Die zentrale Sehbahn – Warum der Sehnerv kein Nerv ist

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OPTOM E TR I E
Carmen und Walter Sempf
Die zentrale Sehbahn –
Warum der Sehnerv kein Nerv ist
■ 1. Vorwort
Zitat: (KONFUZIUS)
„Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird,
nicht das, was gemeint ist.
Ist das, was gesagt wird, nicht das was
gemeint ist, so kommen die Werke nicht zu Stande.
Kommen die Werke nicht zu Stande, so gedeihen Moral und Kunst nicht.
Gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht.
Trifft die Justiz nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen.
Also dulde man keine Willkür in den Worten.
Das ist alles worauf es ankommt.“
■ 2. Einführung in die
Terminologie und Anatomie
„Optologie [01] ist die Lehre vom Sehen” – Das ist ein Satz, der, so
scheint es, auf Anhieb leicht verständlich ist. Was aber ist „Sehen“?
Im Lexikon der Neuro-Wissenschaft steht folgende Erklärung:
„Wahrnehmung optischer Reize und der in ihnen enthaltenen
Informationen (wie Helligkeit, Form und Farbe). Die allgemeinen
Sehvorgänge sind dabei die optische Abbildung der Umwelt im
Auge, das Aufnehmen von Lichtquanten durch Photorezeptorzellen und die Weiterverarbeitung der Signale in den Sehzentren des
Gehirns [...]“.
Es wird das Sehen als die Interpretation der Außenwelt durch das
Hirn definiert. Im Wörterbuch der Optometrie (2. Auflage) steht:
„Lehre vom Sehen. Die Optologie umfasst die für das Verständnis
von visueller Empfindung, Wahrnehmung und Erkennung wesentliche biologische und physikalische Optik“.
Auch hier wird mit dem Begriff "Verständnis" auf eine Hirntätigkeit
hingewiesen. Sehen ist somit kein Ereignis, welches sich als ein
optischer [02] Vorgang auf der Netzhaut abspielt. Es kann geschlussfolgert werden:
Sehen und dessen Lehre
- die Optologie ist ein Bestandteil der Neurologie.
Anmerkung: Es wird vermutlich auffallen, dass die Autoren nicht exakt nach der neuen deutschen Rechtschreibung
vorgehen. Aus didaktischen Gründen sind sehr oft Bindungsstriche gesetzt worden, wo es nicht üblich ist. Auch wurde
mitunter von der üblichen Terminologie abgewichen.
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Neurologie ist die Lehre vom Aufbau und Funktion des NervenSystems. Hierzu gehören unter anderem:
• Neuro - Anatomie, Neuro - Physiologie und Neuro - Psychologie des Visuellen-Systems und seiner Sub-Systeme,
• Neuro - Anatomie, Neuro - Physiologie und Neuro - Psychologie von Sinnes-Systemen, die mit dem Visuellen-System in
Wechselwirkung stehen,
• Reifung der Grob- und Feinmotorik,
• Reifung und Ausübung von Sehfunktionen,
• Deprivation [03] von Sehfunktionen und deren Folgen.
Wir sehen nicht mit den Augen,
sondern mit dem Hirn.
Das Sehen lässt sich neurologisch etwa so beschreiben:
Optisches-Sehen, Netzhautbild: Treffen Quanten auf die
Netzhaut, so entsteht dort ein Bild.
Chemisches-Sehen (visueller Reiz): Die Netzhaut-Rezeptoren
werden erregt und formen, mit Hilfe chemische Vorgänge, die
Elektromagnetische-Energie in elektrische Energie um (Generator-Potenzial). Da die Netzhaut-Rezeptoren mit den Horizontal-,
Bipolar-, Amakrin-Neuronen und den Retinalen-End-Neuronen
(Ganglienzellen) die mit ihren Neuriten zu verschiedenen GehirnRegionen verlaufen, Bestandteil des ZNS sind, dienen die FotoRezeptoren, optisch betrachtet, nur als ein Auffangschirm.
Physiologisches-Sehen (visuelle Erregung): Die elektrische
Energie wird als neuronale Erregung dem Gehirn zugeleitet und mit
Erregungen aus anderen Sinnes-Systemen vermischt.
Psychologisches-Sehen: Die Erregungen werden nicht-bewusst [04] verarbeitet und bekommen, bereits im Nicht-Bewusstsein,
Bedeutung. In dieser Phase werden die Daten, ebenfalls nichtbewusst, mit den bereits in den verschiedenen Gedächtnisse [05] gespeicherten, verglichen. Sind sie neu und von Bedeutung werden sie
in das Erstgedächtnis geleitet und gelangen damit ins Bewusstsein.
Nun erfolgt ein kognitiver Prozess. (siehe weiter unten). Sind jedoch
die einkommenden Daten bekannt und von Bedeutung, wird das
Verhalten entweder von Reflexen gesteuert oder es läuft ein einstudiertes Verhaltensprogramm ab (Automatismus). Dazu gehört
beispielsweise nicht nur das Gehen, das Schwimmen, das Spielen
von Musikinstrumente usw., sondern auch das Singen, das Sprechen und das komplette nonverbale Verhalten. Selbst der MuskelTonus [06] wird nicht-bewusst bestimmt. Insgesamt erfolgt der größte Teil des menschlichen Verhaltens nicht-bewusst.
Kognitives-Sehen: a) Die visuelle Empfindung [07] geht in die
Wahrnehmung [08] über: Mit der Wahrnehmung werden die vom NichtDOZ 1-2009
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Bewusstsein deklarierten und empfundenen Informationen z.B.
Gestalt, Farbe, Bewegung etc. bewusst, ohne deren Bedeutung
bewusst zu erkennen.
b) Visuelle Erkennung: mit der Erkennung wird die Bedeutung der
Wahrnehmung bewusst.
c) Visuelle Verknüpfung: Mit den bereits gemachten Erfahrungen, die ebenfalls in das Erst-Gedächtnis gerufen werden, finden
Verknüpfungen statt, die darauf zielen, weitere Erfahrungen zu
machen, damit der gesamte Informationsfluss in seinem Zusammenhang einsichtig wird. Die Einsicht ist nicht mehr allein
visuell geprägt. Sie ist das Produkt aus sehr unterschiedlich gereiften Sinnes-Systemen. Die neue Erfahrungsstruktur wird gespeichert und kann, sofern ausreichend trainiert, als Automatismus
(außerhalb des Bewusstseins) abgerufen und in Motorik umgewandelt werden. Die visuelle Kognition wird in den Außenraum,
den Sehraum, projiziert. Dieser ist stets individuell gestaltet und
daher subjektiv. Er ist nicht gleichzusetzen mit dem physikalischen
Außenraum, der Objektiven-Realität, das ist die außerhalb des
Menschen vorhandene Wirklichkeit.
Anmerkung: Die Autoren dieser Arbeit verstehen unter
DATEN Elemente, die zu INFORMATIONEN innerhalb des
ZNS verarbeitet werden. Individuell können daraus NACHRICHTEN werden, wenn sie an das Ziel-Organ gelangen. Das
Verhalten wird sich entsprechend "nachrichten" bzw. "ausrichten". Neurologisch betrachtet heißt das, die eingehenden Reize
sind Daten. Sie werden über AFFERENZEN dem ZNS zugeleitet
und dort miteinander verarbeitet. Sind diese entsprechend aufbereitet, dann werden sie als Informationen über EFFERENZEN
dem Zielorgan zugeleitet. Hier findet eine "Individualität" statt.
Nicht jede Information ist für ein Organ eine Nachricht. Hormone beispielsweise, die sich in der Blutbahn befinden, stimulieren
nur bestimmte Organen.
REIZ (Stimulus, Impuls) ist dasjenige, was eine Sinnes-Zelle
(Rezeptor) in Erregung bringt. ERREGUNG ist die Änderung
des Membran-Potenzials eines Neurons. Wird diese Erregung
auf das folgende Neuron übertragen, dann ist das, was übertragen wird ein SIGNAL und der Vorgang wird mit VERKNÜPFUNG oder auch mit Verschaltung bezeichnet. Genau genommen wirkt das Signal auf das folgende Neuron ebenfalls als
Reiz, Stimulus oder Impuls. Die Verknüpfung führt zu einer
anders gearteten Erregung, Sind diese „endgültig“ verarbeitet,
werden sie als NACHRICHT auf ein Effektor-Organ übertragen.
Der Effektor wird „nachgerichtet“. Er wird auf den aktuellen notwendigen Stand (Sollwert) justiert. Weitere Erklärungen stehen
im Abschnitt "das Aktions-Potenzial".
Gemeinsam ist den so eben beschriebenen Vorgängen die
Orientierung des Organismus in seiner Umgebung als Grundlage
für angepasstes Verhalten.
In der Neuro-Wissenschaft wird alles, was dem Sehen zugerechnet wird, mit „visuell [09]“ bezeichnet. Darunter wird ein System
neuronaler Verschaltungen von den Foto-Rezeptoren bis zum Kortex und sub-kortikalen Arealen verstanden, welche visuelle Daten
mit Daten aus anderen Sinnes-Systemen verknüpfen und das Sehen
ermöglichen. Dieses System wird als das „Visuelle-System [10]“ oder
auch als Seh-System bezeichnet.
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Folgende Begriffe sind in der neurologischen Literatur nicht anzutreffen und haben vermutlich kaum Aussicht anerkannt zu werden
(siehe: GOERSCH: Wörterbuch der Optometrie):
biologische Optik (biological optics): Sammelbegriff für
physiologische und psychologische Optik. [53 [11]] S. 323: „Im
Allgemeinen lassen sich beim Sehvorgang physikalisches, physiologisches und psychologisches Geschehen nicht voneinander
trennen. Es ist daher gerechtfertigt, für die Optik des Sehvorganges
den Begriff biologische Optik einzuführen und darunter das physikalische, physiologische und psychische Geschehen insgesamt zu
verstehen“
ophthalmologische Optik, (ophthalmological optics): Lehre von den Vorgängen im visuellen System aus medizinischer Sicht
einschließlich der Pathologie von Sehstörungen.
physiologische Optik (physiological optics): Lehre von
der Verarbeitung des Lichts im visuellen System. Die physiologische
Optik ist ein Teilgebiet der Sinnesphysiologie.
„Optisch“ ist in der Neurologie nur das reizauslösende Element,
das Photon. Schon dessen energetische Umsetzung (Foto-Transduktion) in ein chemisches Signal, wird mit „visuelle Transduktion“ bezeichnet. Die Weiterleitung innerhalb des Nicht-Bewusstem und
auch das bewusste Sehen sind neurale [12] und keine optischen Vorgänge. Optologie und als Teilgebiet die Optometrie [13] sind Bestandteile der Neurologie, der Wissenschaft vom Aufbau und der Funktion
des Nerven-Systems. Das Visuelle-System ist eine komplexe neurale
Struktur, deren Gesamtfunktion in eine Vielzahl von Teilfunktionen
(Sehfunktionen) unterteilt wird.
Auflistung der bekanntesten Sehfunktionen: Adaptation, Akkommodation (innere Augen-Motorik), Auflösungs-Vermögen, räumliche
Auflösungs-Vermögen, zeitliche (Flickerempfindlichkeit), Auge-HandKoordination, Bewegungs-Sehen, Binokular-Sehen, Blendempfindlichkeit, Blick-Motorik (äußere Augen-Motorik), Dämmerungs-Sehen,
Farben-Sehvermögen, Fixation mit Hilfe der Konvergenz, Fixation mit
Hilfe von Akkommodation, Fixation mit Hilfe von Blick-Folgebewegungen, Fixation mit Hilfe von Blick-Sprüngen (Sakkaden), Fusion,
Iris-Motorik (innere Augen-Motorik), Kontrast-Wahrnehmung
(Kontrastempfindlichkeit), Leuchtdichte-Unterschieds-Empfindlichkeit, Nacht-Sehen, Orientierungsvermögen, Physiologischer Nystagmus (und andere Nystagmus-Arten), Sehschärfe, Spektrale Empfindlichkeit, Tages-Sehen, Tiefenunterscheidung (Räumliches-Sehen,
Stereopsis), visuelle Wahrnehmungs-Konstanzen.
Aus diesem geschilderten Sachverhalt ist das Wort Optometrie
abzuleiten. Der Begriff setzt sich aus 'opt' [14] (zum sehen gehörend) und 'metron'(vermessen) zusammen.
Optometrie ist die Lehre der Messungen und
Bewertungen von Sehfunktionen mit ihren Aktivitäten.
Sie ist ein Teilgebiet der Optologie.
Durch die Ankoppelung an andere sensorische Systeme,
besonders an das Gleichgewichts-System und an das Gedächtnis,
umfasst das Visuelle-System mehr als nur Daten, die von der Netzhaut kommen. Es ist in das komplette neurale Netzwerk eingebettet.
Es ist außerdem an der Gestaltung des Gedächtnisses mit der RaumOrientierung und Zeit-Orientierung maßgebend beteiligt.
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Visuelle Wahrnehmungsstörungen liegen vor, wenn eine oder
mehrere Sehfunktionen gestört sind. In einem solchen Fall kann
eine Reifungsverzögerung, eine Anomalie oder eine Läsion im
Gehirn vorliegen.
Anmerkung: In der Literatur werden die Begriffe Fähigkeit,
Fertigkeit, Funktion, Leistung und Vermögen von den verschiedenen Autoren mit unterschiedlichen Inhalten versehen. Deshalb zum besseren Verständnis die folgenden Erklärungen:
Der Begriff FÄHIGKEIT drückt lediglich eine Befähigung
aus, die die Grundlage (Voraussetzung) für die Schaffung von
Fertigkeiten, Funktionen und Leistungen darstellt, die in ihrer
Gesamtheit ein Vermögen bilden. Im mathematischen Sinne
symbolisiert der Begriff Fähigkeit eine Leermenge oder auch
bildlich dargestellt, der Vergleich mit einem Korb. Dieser ist
fähig (befähigt, hat die Fähigkeit) >Etwas< aufzunehmen. Umgangssprachlich, aber auch in der Fachliteratur, wird der Begriff
Fähigkeit sehr oft als Synonym für Vermögen verwendet. Die
Autoren dieser Arbeit sind der Auffassung, dass eine Trennung,
aus Gründen der Verständlichkeit, zwischen diesen beiden Begriffen vorgenommen werden soll. So ist der Begriff Sehfähigkeit ein sehr unscharfer Begriff und er kann sich nur auf die
Sehfähigkeit bei der Geburt beziehen, nämlich einfache
Schwarz-Weiß-Kontraste wahrzunehmen.
FERTIGKEITEN: Sind Tätigkeiten, die im Dienste einer bestimmten Aufgabe (Funktion) stehen. Aus der Bündelung von
bestimmten Fertigkeiten ergibt sich eine
FUNKTION: Es ist eine klar umrissene Tätigkeit bzw. Aufgabe innerhalb eines größeren Zusammenhangs. In der Biologie
gilt: Organe entwickeln sich und Funktionen reifen. Mit Anwendung bestimmter Funktionen, inklusive der dazu notwendigen
Fertigkeiten, lassen sich Tätigkeiten ausführen.
REIFUNG: Mit der Ausbildung von Fertigkeiten tritt eine
Reifung der Funktion ein. Reifung ist ein Begriff, der auch
bildungssprachlich wenig verwendet wird. In der Regel wird
von Entwicklung gesprochen. Gemeint wird eine Veränderung
bzw. ein Prozess.
LEISTUNG: Arbeit, ausgeführt in einer bestimmen Zeit,
ergibt die Leistung (physikalische Definition). Umgangssprachlich als auch bildungssprachlich wird dieser Begriff für eine
bestimmte Tätigkeit angewendet, ohne das eine zeitliche
Spanne festgelegt ist. Der Begriff Leistung und auch der Begriff
Leistungsvermögen sollten daher, wegen ihrer Ungenauigkeit ,
in der Optologie nicht angewendet werden.
VERMÖGEN: Die Anreicherung von Fertigkeiten, bzw.
Funktionen ergeben das Vermögen z.B. Innerhalb des Visuellen-Systems existieren z.B.: das Kontrast-Unterscheidungs-Vermögen, das Konvergenzvermögen, das Fusionsvermögen, das
Tiefensehvermögen u.a. Die Begriffe Sehvermögen und Leistungsvermögen sollten sehr vorsichtig verwendet werden, da
sie sehr unscharfe Begriffe darstellen. Sie bringen jeweils stets
das komplette Vermögen, mit allen Funktionen und Fertigkeiten zum Ausdruck. Das ist aber in der Regel nicht gemeint. Der
Begriff Vermögen sollte aus diesem Grunde stets mit einer
Funktion in Verbindung gebracht werden.
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In der Physiologie wird zwischen Organ und Funktion unterschieden:
Ein Organ entwickelt sich, eine Funktion reift.
Jedes Organ bzw. Organ-System hat mindestens
eine Funktion und zu einer Funktion gehört
mindestens ein Organ (Organ-System).
Organ: ist ein aus verschiedenen Geweben zusammengesetzter,
ganzheitlicher Teil des tierischen (inklusive menschlichen) und
pflanzlichen Körpers mit einer bestimmten Funktion.
Gewebe: Ist ein Verband aus gleichartigen Zellen, die einen ähnlichen Aufbau und die gleiche Funktion haben. Es werden 5 Arten
unterschieden: Epithelgewebe, Bindegewebe und Stützgewebe,
Muskelgewebe, Nervengewebe und Flüssigkeitsgewebe.
Funktion: ist die Tätigkeit (Aufgabe) eines Organs, welche einem
bestimmten Zweck dient.
Entwicklung: Wird in der Biologie als eine allgemein gerichtete,
morphologische Veränderung definiert. Was von einfachen zu komplexen Formen führt. Sie ist zugleich das Ergebnis von Wachstum
und Differenzierung.
Wachstum: ist die Zellvermehrung, sie entsteht durch Zellteilungen (Mitose [15])
Differenzierung: ist die Aufgliederung und die Bildung verschiedener Gewebe aus ursprünglich gleichartigen Zellen.
Anmerkung: Es sind noch folgende Begriffe abzuklären:
Vererbt und angeboren werden oft synonym verwendet. Es ist
aber zu differenzieren:
VERERBT: Vererbt wird immer das, was in den Genen der
DNA kodiert ist.
ERWORBEN: Erworben wird das, was in der Interaktion der
Gene mit der Umwelt entsteht. Während der Embryonal- und
Fetal-Zeit bilden die Organe bereits Funktionen mit den ersten
Fertigkeiten heraus. Beispielsweise entstehen in dieser Zeit die
ersten Frühkindlichen-Reflexe. Alle Sinnes-Systeme beginnen
zu reifen. Von ihnen ist das Gleichgewichts-System bei Geburt
am besten ausgereift. Das Visuelle-System dagegen am geringsten. Der Säugling bringt bereits bei Geburt "Erworbenes" mit.
Lernprozesse und Gedächtnisbildung in einer einfachen Form
sind erfolgt.
ANGEBOREN: Das also, was der Säugling während der
Schwangerschaft erworben hat, ist bei Geburt "angeboren".
Die Gene haben in dieser Zeit mit der Umwelt interagiert und
einen individuellen Reifungsprozess in Gang gesetzt. Jeder
Säugling bringt deshalb ein anderes angeborenes "Startkapital" mit, denn Gene und Umwelt sind stets unterschiedlich
gestaltet. Es liegt bereits eine eine Reifung von Verhaltensstrukturen vor und damit hat der Säugling eine Persönlichkeit.
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■ 2.1. Gliederung des Nerven-Systems (NS)
Das ZNS verarbeitet die einlaufenden Daten und sendet dann die
Informationen in den Efferenzen zu den Zielorganen. Der Anfang
der Efferenzen beginnt also im ZNS.
■ 2.2. Das Neuron
Abkürzungen:
Nerven-System = NS
Zentrales-Nerven-System = ZNS
Peripheres-Nerven-System = PNS
Abb. 1: Die Gliederung des Nerven-Systems
Das ist eine in der Literatur häufig vorkommenden Darstellung
des NS. Bei Betrachtung kann allerdings der Eindruck entstehen,
dass das PNS grundsätzlich nicht im Gehirn und Rückenmark lokalisiert ist. Das aber ist nicht der Fall. Die Hirnnerven beispielsweise,
die Bestandteile des PNS sind, befindenden sich im Gehirn. Teile
der Efferenzen und Afferenzen liegen ebenfalls im Gehirn bzw. im
Rückenmark.
Die Unterteilung des NS in das ZNS und in das PNS wird vermutlich
verständlicher, wenn es eingeteilt wird, wie im Bild 2 dargestellt.
Abb. 3: Schematische Darstellung eines Neurons
mit den wichtigsten äußeren Strukturen
Im Nerven-System (NS) gibt es verschieden geformte Neurone.
So weichen beispielsweise die Gestalt der Horizontal- und Amakrin-Neurone erheblich von dieser Zeichnung ab. Das gezeichnete
Neuron soll nur schematisch drei Teile wiedergeben, die bei jedem
Neuron zu finden sind: die Dendriten, der Zellkörper und der Neurit.
Er wird auch Axon, Achsenzylinder oder Nervenfaser genannt.
Das Wort "Faser" finden wir in verschiedenen Begriffen wieder,
z.B. Muskelfaser, Kollagenfaser, Glia-Faser u.a. Der Begriff "Nervenfaser" ist deshalb unscharf, weil "Faser" nicht eindeutig definiert
ist. Neben dem Begriff Nervenfaser wird in der Literatur vielfach der
Begriff Axon verwendet, abgeleitet von griechisch axon = Achse.
Auch Achse ist in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht eindeutig
definiert, während der Begriff Neurit - griech. neurites = sehnig,
nervig - nach Ansicht der Autoren dieser Arbeit zutreffender ist.
Ein Neuron weist mehrere Dendriten auf, aber nur ein Neurit.
Dieser Neurit verzweigt sich am Ende und bildet ein Terminal. Das
Neurit-Ende (End-Knöpfchen genannt) kontaktiert mit einem anderen Neuron, in dem es die Erregung über eine Synapse dem nachfolgenden Neuron mit einem chemischen Stoff (Neuro-Transmitter)
signalisiert.
■ 2.3. Die Synapse
Rezeptor --> Afferenzen --> Zwischengeflecht --> Efferenzen --> Zielorgan
Die Rezeptoren bilden den Anfang der Afferenzen.
Das Ende der Efferenzen bildet das Zielorgan.
Abb. 2: Der Verlauf der Erregungen
Die Afferenz: Das ist die Richtung, die von den Sinnes-Neuronen
aufgenommenen Reize (Stimuli), dem ZNS zugeleitet werden.
Die Efferenz: Das ist der Weg der Erregung vom ZNS zu
dem Zielorgan (auch Erfolgsorgan genannt). Während die Einzahl
(Afferenz, Efferenz) auf eine Richtung hinweist, wird mit der
Mehrzahl (Afferenzen, Efferenzen) das jeweilige Neuriten-Bündel
gemeint, welches eine bestimmte Richtung aufweist.
ZNS: Das ZNS ist dann das Zwischengeflecht, welches zwischen
den Afferenzen und den Efferenzen liegt. Afferenzen und Efferenzen
sind Bestandteile des PNS sind aber teilweise im ZNS lokalisiert.
Beginnend bei den Rezeptoren enden die Afferenzen im ZNS.
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Die Synapse ist die Kontaktstelle zwischen zwei Neuronen, Neuron und Muskelfaser, Neuron und Drüsen-Zelle, an der die Signale
von einer Zelle zur anderen übertragen werden. Diese Zellen berühren sich nicht. Sie werden durch den Synaptischen-Spalt (20 nm
breit) getrennt. In diesen Spalt wird der Transmitter ausgeschüttet,
der die Membran-Rezeptoren der nachfolgenden Zelle stimuliert.
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Das Periphere-Nerven-System hat etwa 20 000 000 Neurone. Die
Gesamtlänge der vielfach verzweigten Dendriten und Neuriten des
NS wird auf ca. 750 000 km geschätzt. Obwohl das Gehirn weniger als
2% der Körpermasse ausmacht, verbraucht es 25% des im Körper
vorhandenen Sauerstoffs und 70% der Glukose. Als Ergebnis produziert es sehr viel Wärme und ist bei körperlicher Anstrengung oder
hohen Außentemperaturen dem Risiko der Überhitzung ausgesetzt.
Die Optimale Gehirndurchblutung beträgt 3/4 Liter pro Minute.
■ 2.4. Das Aktions-Potenzial
Abb. 4: Die Synapse ist der Zwischenraum und zugleich Kontaktstelle
zwischen zwei Neuronen oder Neuron und Muskelfaser oder
Neuron und Drüsenzelle. Der Neuro-Transmitter signalisiert
die Erregungen von der Post-Synaptische-Membran auf
die Prä-Synaptische-Membran
Das Neuron ist spezialisiert auf:
1. den Empfang von Reizen,
2. der Weiterleitung,
3. zur Datenverarbeitung und
4. der Nachrichten-Übertragung
zu einer Effektor-Zelle.
Manche Neuronen besitzen ca. 10 000 Verbindungen mit anderen
Neuronen. Im Durchschnitt hat ein Neuron rund 1 000 Kontakte mit
anderen Neuronen. In einem Kubikmillimeter Hirnrinde befinden
sich etwa vierzigtausend Neuronen, die untereinander verbunden
sind. Dabei kommunizieren sowohl Neuronen miteinander, die in
unmittelbarer Nachbarschaft angeordnet sind, als auch Neuronen,
die weit entfernt in verschiedenen Hirnstrukturen liegen. Das ZNS eines Menschen hat ca. 1 Billionen [16] Neurone und etwa ein Drittel davon ist direkt oder indirekt mit dem Sehen befasst, ca. 9 Billionen GliaZellen (das Neunfache an Neuronen), ca. 500 Billionen Synapsen.
Anmerkung: Der Begriff Nerven-Zelle umfasst alle Zellen
des NS, das sind Neurone, Sinnes-Zellen und Glia-Zellen. Er
sollte deshalb nur dann verwendet werden, wenn alle diese
Zellen gemeint sind. In der Regel ist dies aber nicht der Fall.
Besonders häufig wird mit dem Begriff Nerven-Zelle das
Neuron gemeint. Didaktisch ist es besser, den Begriff "NervenZelle" nach Möglichkeit zu vermeiden.
NEURONE sind Zellen, die auf die Weiterleitung von neuronalen Erregungen - in der Regel Aktions-Potenzialen - spezialisiert sind. Horizontal-, Bipolar- Amakrin-Neuronen erzeugen
Generator-Potenziale. Diese werden an die Retinalen-EndNeuronen (retinale Ganglien-Zellen) weiter geleitet, welche
sie in Aktions-Potenziale umformen. Von dort gelangen sie in
spezielle Gehirn-Regionen.
Mit dem Begriff "Rezeptor" wird eine SINNES-ZELLE bezeichnet. Im Visuellen-System sind es die Foto-Rezeptoren
(Schwarz-Weiß- und Farb-Rezeptoren).
GLIA-ZELLEN bilden ein bindegewebsähnliches Stützgewebe (Neuro-Glia) und haben vielfältige Funktionen.
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Abb. 5: Das Aktionspotenzial; Oben: Entlang des Neurits herrscht eine
Spannung von –70mV. Das ist die Ruhespannung. Mitte: Am
Neurit-Anfang bricht die Spannung zusammen. Es entsteht das
Aktionspotenzial. Unten: Dieser Vorgang verursacht, dass sich
das Aktionspotenzial entlang des Neurits fortpflanzt.
Jedes Neuron ist an seiner Membran entlang von einem elektrischen Potenzial umgeben. An der Außenfläche befinden sich positive und an der Innenfläche negative Ionen. Da an der Innenfläche
mehr negative Ionen vorhanden sind als positive an der Außenfläche, ergibt sich eine negative Spannung. Der komplette Neurit hat,
wenn keine Erregung vorliegt, eine Ruhespannung von 70mV. Tritt
eine Erregung ein, dann bricht das Ruhepotenzial zusammen. Die
Spannung weist dann einem positiven Wert auf. Anschließend wird
die Spannung von 70mV nach ca. 1 ms aufgebaut. Der Zusammenbruch der Ruhespannung wird Aktionspotenzial oder Erregung
genannt. Das Aktionspotenzial pflanzt sich entlang des Neurits fort.
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Dieser Vorgang ist vergleichbar mit dem Domino-Effekt: ein umgekippter Dominostein bringt den nächstfolgenden zum Umkippen.
Ein Neurit allerdings kann das Ruhepotenzial (den "Dominostein")
in ca. 1 ms aufzustellen. Ist das Aktionspotenzial am Ende des Neurits angelangt, dann wird dort eine Substanz (Neuro-Transmitter)
ausgestoßen. Dieser diffundiert über einen Spalt von 20nm Breite
(Synaptischer-Spalt) zu dem nächstfolgenden Neuron und erregt
diesen. Die Anzahl der Aktionspotenziale innerhalb einer Sekunde
gibt den Grad der Erregung an.
zum Zellkörper. Diese Membran-Potenziale werden an der Membran des Zellkörpers mit den vorliegenden Membran-Potenzialen
(Erregungen) vermischt (summiert). Entlang der Dendriten und
des Zellkörpers entstehen unterschiedliche Membran-Potenziale,
(graduiertes Potenzial), welche dem Neurit-Anfang zugeführt werden. Dieses Vermischen (Summierung) wird Verrechnung genannt.
Verknüpfen: Am Neurit-Anfang entsteht, unter bestimmten Voraussetzungen (es müssen -65mV vorliegen) ein Aktions-Potenzial,
welches dem Endknöpfchen zugeleitet wird. An der Membran des
Endknöpfchens (Prä-Synaptische-Membran) wird die TransmitterSubstanz ausgestoßen. Diese diffundiert durch den SynaptischenSpalt an die Membran (Post-Synaptische-Membran) des nachfolgenden Neurons, Muskel-Faser oder Drüsen-Zelle. Die Weiterleitung
zu einem anderen Neuron; Muskel-Faser oder Drüsen-Zelle über
den Synaptischen-Spalt, ist die Verknüpfung.
Verarbeiten: Die durch Synapsen verknüpften Neurone bilden
das Neuronale-Netzwerk. Das Verrechnen und das Verknüpfen wird
Verarbeiten genannt.
Teil 2, Schluss, (inkl. Literaturverzeichnis) folgt in der
nächsten DOZ.
Autoren:
Carmen Sempf
Augenoptikermeisterin
M. Sc. Pennsylvania College of Optometrie (USA)
Johannes-Lamp-Str. 11 • 60528 Frankfurt/Main
Abb. 6: Schematische Darstellung einer Synapse
In diesem Zusammenhang sind die Begriffe Verrechnen, Verknüpfen und Verarbeiten abzuklären.
Walter Sempf
staatlich geprüfter Augenoptiker (Jena)
Johannes-Lamp-Str. 11 • 60528 Frankfurt/Main
Verrechnung: Der Dendrit nimmt (perzipiert) die Signale von
einem anderen Neuron oder einer Sinnes-Zelle auf und leitet sie
Anna Müller, zeichnete die Illustrationen
Paul-Gerhard-Ring 70 • 60528 Frankfurt/Main
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