Konstantin der Große und die Grundlagen des christlichen

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Konstantin der Große
und die Grundlagen des christlichen Europa
Religion und Politik im 4. Jahrhundert
von Hartwin Brandt
I.
Der sogenannte Laterculus Veronensis, eine Liste der Provinzen des
Römischen Reiches, dürfte etwa um das Jahr 315 publiziert worden sein,
also wenige Jahre nach dem berühmten Sieg Konstantins des Großen an
der Milvischen Brücke im Oktober 312, mit welchem dieser seine Kaiserherrschaft im Westen des Römischen Reiches endgültig etablierte und die
Grundlagen für seine spätere Alleinherrschaft geschaffen hat. In dieser
Liste taucht erstmals der Name einer römischen Provinz namens Europa
auf. Diese kleine, neugeschaffene Verwaltungseinheit war im Zuge der
Auflösung der ehemaligen römischen Provinz Thracia entstanden, aus der
vier neue kleinere Territorialeinheiten hervorgingen, darunter die Provinz Europa, die sich von der Chersones bis zum Schwarzen Meer am Bosporus erstreckte und nicht mehr als einen 40 km breiten Küstenstreifen
umfaßte. Ist Konstantin also wenigstens in diesem engeren, verwaltungspolitischen Sinne der Gründungsvater Europas gewesen? Diese Frage läßt
sich eindeutig verneinen, denn der Urheber der umfassenden Reichsreformen, zu denen auch eine Neuordnung der Provinzorganisation und damit
die Schaffung der kleinen neuen Provinz Europa gehörte, ist Diokletian
(284–305) gewesen, der Begründer der Tetrarchie (Vierkaiserherrschaft)
und Urheber der ab dem Februar 303 ins Werk gesetzten großen Christenverfolgung. Konstantin hat seine politische Karriere im Kontext dieser Tetrarchie begonnen, in den ersten Jahren seiner Herrschaft zwischen
306 (dem Jahr seiner Ausrufung zum Kaiser) und 311 (als das Toleranzedikt des Galerius den Christenverfolgungen ein Ende setzte) wurden die
Christen sogar noch offiziell (wenn auch nicht in allen Reichsteilen) im
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Namen aller Tetrarchen (und damit auch im Namen Konstantins) verfolgt. Außerdem hat Konstantin auf vielen Feldern der Finanz-, Steuer-,
Verwaltungs- und Innenpolitik die Reformansätze der tetrarchischen Zeit
aufgegriffen und fortgesetzt bzw. weiterentwickelt. Obwohl – um es zugespitzt zu formulieren – der Kaiser Konstantin also ein Produkt der diokletianischen Tetrarchie ist, käme heutzutage niemand auf die Idee, Diokletian als prägende Herrschergestalt für die Geschichte und Ausbildung
Europas in Anspruch nehmen zu wollen, schon gar nicht des christlichen
Europas. Vielmehr ist es allein Konstantin der Große, der als erster christlicher Kaiser des Abendlandes einen prominenten Platz in der Erinnerungstopographie Europas einnimmt.
II.
Seiner Herkunft nach war Konstantin Europäer – doch ohne dies
zu wissen. Denn er stammt aus dem Balkanraum, und mit diesem geographischen Gebiet sind alle spärlichen literarischen Hinweise auf Europa
verbunden, die den Quellen des 3. und 4. Jahrhunderts zu entnehmen sind.
Weder gab es zu dieser Zeit einen weitergefaßten, übergeordneten Europa-Begriff, noch spielte Europa überhaupt irgendeine Rolle im Selbstverständnis der römischen Zeitgenossen. Allein die hier nicht näher zu erläuternde, seit Jahrhunderten gängige Beschränkung des nur im geographischen Sinne benutzten Europa-Begriffes auf den Raum um Thrakien und
Illyricum war denn auch verantwortlich dafür gewesen, daß die neue diokletianische Provinz den Namen Europa erhielt.
Konstantins Geburtsort lag ein gutes Stück nordöstlich dieses ‹diokletianischen Europas›, denn er war in Naissus (dem heutigen Niš in Serbien) geboren worden, in den Jahren um 275 /280. Seine Mutter Helena
stammte wahrscheinlich aus einfachsten Verhältnissen, und sein Vater,
den wir später als Constantius (I.) Chlorus zu den Kaisern der ersten Tetrarchie zählen, dürfte um diese Zeit nichts anderes gewesen sein als ein
mehr oder weniger erfolgreicher Offizier, der, wie so viele Kaiser bereits
des 3. Jahrhunderts, aus dem Illyricum stammte. Erst im Jahre 293 wurde
Constantius (I.) Chlorus als Caesar in die von Diokletian begründete Tetrarchie aufgenommen, mit welcher die krisenhafte, an Usurpationen reiche Soldatenkaiserzeit des 3. Jahrhunderts erfolgreich beendet werden
konnte. Seine drei Kollegen Diokletian, Maximian und Galerius zählten
ebenfalls zu den sogenannten illyrischen Kaisern, die sämtlich im Balkanraum das Licht der Welt erblickt hatten. Das neue, augenscheinlich weit-
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gehend von Diokletian selbst ersonnene, ingeniöse Herrschaftssystem sah
ein gemeinsames Regiment zweier Oberkaiser (Augusti) und zweier Unterkaiser (Caesares) vor, das auf Permanenz angelegt war. Denn alle Beteiligten sollten in der Summe nicht länger als 20 Jahre herrschen, da
die Caesares nach einer Zeit von zehn Jahren zu Augusti aufrücken,
sich neue Caesares kooptieren und dann nach weiteren zehn Jahren freiwillig abdanken sollten, um wiederum den nun zu Augusti aufrückenden
Caesares Platz zu machen. Zwei geradezu revolutionäre Elemente sind es,
die dieses neue tetrarchische Herrschaftsmodell auszeichneten, aber auch
letztendlich sein Scheitern herbeiführen sollten: zum einen die – dem
römischen Kaisertum genuin fremde – Idee einer freiwilligen Selbstbeschränkung auf eine 20jährige Herrschaftsausübung, zum zweiten der
Ausschluß leiblicher Söhne, denn die Tetrarchen sollten eine künstlich
gebildete, durch eine religiös fundierte Legitimation verbundene Herrscherfamilie bilden. Unter diesen Voraussetzungen konnte Konstantin als
Sohn des Caesar Constantius (I.) Chlorus nicht auf eine Karriere als
Nachfolger seines Vaters rechnen. Ob und inwieweit sich dies auf seinen
Werdegang in Jugend und frühem Mannesalter ausgewirkt hat, wissen wir
leider nicht, denn für die gesamte Zeit bis zum Jahre 306 fehlen uns glaubwürdige und aussagekräftige Quellen zum Leben und zur Persönlichkeit
Konstantins. Gesichert ist nur, daß er eine konventionelle militärische
Laufbahn einschlug, zeitweise im engeren Umfeld des Augustus Diokletian und des Caesar Galerius im Osten war und daß er im Jahre 305 systemgerecht bei der Neukonstituierung der Tetrarchie übergangen wurde.
Die Augusti Diokletian und Maximian traten nämlich in diesem Jahr von
ihrer Herrschaft zurück, die Caesares Galerius und Constantius (I.) Chlorus avancierten zu Augusti, und zu neuen Caesares wurden die ebenfalls
dem Balkanraum entstammenden Militärs Severus und Maximinus Daia
ernannt. Neben Konstantin fand also auch Maxentius, der leibliche Sohn
des nun ‹pensionierten› Augustus Maximian, keine Berücksichtigung in
der sogenannten zweiten Tetrarchie.
III.
Das theoretisch ideal und krisenfest anmutende Konzept der Tetrarchie, welches seine erste Bewährungsprobe im Jahr 305 bestanden
hatte, wurde bereits im Folgejahr von der Lebenswirklichkeit eingeholt.
Am 25. Juli 306 starb im britannischen Eburacum, dem heutigen York, der
frischgebackene Augustus Constantius (I.) Chlorus, und die dort versam-
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melten Soldaten riefen unverzüglich den dort vielleicht nicht zufällig anwesenden Kaisersohn Konstantin zum Nachfolger und damit zum neuen
Augustus aus. Auf diese Weise offenbarte sich eine weitere Schwäche des
tetrarchischen Systems. Denn die bisherige Geschichte der römischen
Kaiserzeit und zumal die unruhigen Zeiten des 3. Jahrhunderts hatten unmißverständlich die Soldaten als die eigentlichen Kaisermacher ausgewiesen, und die Soldaten hatten meist eine dynastische Gesinnung an den Tag
gelegt, d. h. sie bevorzugten in der Regel nahe Angehörige des amtierenden Kaisers als dessen Nachfolger. Der dem tetrarchischen System immanente Ausschluß leiblicher Söhne von der Sukzession mußte daher bei den
dynastisch gesonnenen Soldaten besondere Widerstände erzeugen. Galerius, nun qua Anciennität der tonangebende Kaiser im tetrarchischen Kollegium, reagierte auf den dramatischen Konflikt zwischen Systemzwang
und Realitätssinn, indem er einen pragmatischen Kompromiß fand. Zwar
wurde Konstantin systemwidrig als neues Mitglied des Kaiserkollegiums
akzeptiert, aber nur im Rang eines Caesars, während der erst kürzlich zum
Caesar erhobene Severus gleich zum Augustus weiterbefördert wurde.
Die spätere christliche, prokonstantinische Geschichtsschreibung hat
angesichts dieser Entwicklungen den 25. Juli 306 als den eigentlichen Beginn des christlichen Kaisertums und damit als den «allerglücklichsten
Tag für den gesamten Erdkreis» (Laktanz, Institutiones divinae 1,1,13 f.)
bezeichnet und dem neuen Tetrarchen Konstantin sofort die formelle
Beendigung der Christenverfolgung sowie die Restitution konfiszierter
Güter an die christliche Kirche zugeschrieben. Dies dürfte nach allem,
was wir wissen, genausowenig zutreffen wie die ebenfalls später verbreitete Auffassung, Konstantin sei bereits zu dieser Zeit nach persönlicher
Neigung und innerer Glaubenshaltung ein Christ gewesen. Zumindest
deuten die uns verfügbaren, offiziellen Verlautbarungen der Jahre 306 –310
– von den Kaisern abgesegnete und vor diesen gehaltene Festreden (Panegyrici Latini), Inschriften und Münzen – eindeutig darauf hin, daß Konstantin sich nicht prinzipiell und dezidiert vom traditionellen römischen
Pantheon distanziert, sondern sich vor allem in besondere Nähe zum Sonnengott Sol Invictus bzw. Phoebus-Apollo gestellt hat. Konstantin mag zu
dieser Zeit bereits ein Nahverhältnis zu der potentiell monotheistischen
Licht- und Sonnengottheit empfunden haben, und er mag daher auch für
Grundzüge der christlichen Religion offen und empfänglich gewesen sein,
für genuin Christliches im Denken oder Handeln Konstantins fehlt jedoch in diesem frühen Zeitraum seiner Herrschaft jeglicher belastbare
Hinweis.
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Ohnehin dürften Konstantins Hauptbestrebungen seit dem Sommer
306 weniger religiösen Überlegungen oder gar theologischen Spekulationen, sondern vielmehr der Sicherung und dem Ausbau seiner politischen
Position gegolten haben. Diese Position war durch die am 28. Oktober 306
erfolgte Usurpation des Maximian-Sohnes Maxentius in Rom gewiß nicht
einfacher geworden. Dem neuen Augustus Severus gelang es im Jahre 307
nicht, Maxentius auf militärischem Wege zu beseitigen, und er bezahlte
sein Scheitern mit seinem Leben. Hinzu kam, daß der ehemalige Augustus
Maximian wieder auf die politische Bühne zurückkehrte und Konstantin,
den neuen Caesar, für ein geradezu abenteuerlich anmutendes politisches
Bündnis gewann. Im Dezember 307 heiratete Konstantin wahrscheinlich
in Trier Maximians Tochter Fausta und besiegelte auf diese Weise die neue
strategische Verbindung. Das tetrarchische System, dem vor allem Konstantin von Beginn an erkennbar nichts hatte abgewinnen können, stand
damit vor seinem Scheitern und konnte im Jahre 308 nur durch das nochmalige Eingreifen des alten Diokletian notdürftig stabilisiert werden. In
Carnuntum (östlich vom heutigen Wien) wurde im November 308 die sogenannte vierte Tetrarchie aus der Taufe gehoben, mit den Augusti Galerius und Licinius (der vorher nie Caesar gewesen war) und den Caesares
Maximinus Daia und Konstantin; das Problem des in Rom weiterhin unangefochten amtierenden Maxentius blieb in Carnuntum ungelöst.
Diese Notlösung, bei deren Umsetzung man elementare Verletzungen
des tetrarchischen Systems bewußt in Kauf nahm, konnte naturgemäß
nicht zu einer längerfristigen Konsolidierung der politischen Szenerie
führen. Bereits im Jahre 310 erlebte die Tetrarchie denn auch faktisch ihr
definitives Ende. Nun nämlich begnügten sich auch die Caesares Konstantin und Maximinus Daia nicht mehr mit ihrem inferioren Status und
erhoben sich zu Augusti, während der alte Maximian von seinem eigenen
Schwiegersohn Konstantin zum Selbstmord gezwungen wurde. Konstantin brach nun alle Brücken zu den Tetrarchen und zu den ideellen Grundlagen der Tetrarchie ab und hatte offenbar auch keinerlei Anteil an dem im
April 311 von Galerius promulgierten Duldungsedikt, mit welchem die
Christenverfolgungen offiziell ihr Ende fanden. Daß auch die christlichen
Autoren Konstantin keinerlei Anteil an diesem für die Geschichte der
Christen bahnbrechenden Vorgang beimessen, unterstreicht im übrigen
die Plausibilität der Annahme, daß Konstantin zu dieser Zeit noch nicht
definitiv zum Christentum gefunden hatte. Als Galerius kurz darauf im
Mai 311 starb, gab es keinerlei Versuche mehr, wenigstens noch zum
Schein eine tetrarchische Fassade für die Nachfolgeregelung aufrechtzu-
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Hartwin Brandt
erhalten oder diese gar zu renovieren – alles lief in traditioneller Weise auf
einen Machtkampf zwischen miteinander rivalisierenden Thronaspiranten hinaus.
IV.
Dieser Machtkampf kulminierte im Westen in den berühmten
militärischen Auseinandersetzungen vor und bei der Milvischen Brücke
am 28. Oktober 312, in deren Zuge Maxentius den Tod fand. Erst dieser
militärische Sieg Konstantins hat die sogenannte Konstantinische Wende
ermöglicht und vor allem die für das christliche Europa so folgenreichen
Entwicklungen eingeleitet – der Verlierer Konstantin hätte demgegenüber keine Rolle mehr gespielt und gewiß auch keinen exponierten Platz
in der europäischen Erinnerungslandschaft gefunden. Die spätere christliche Geschichtsschreibung, namentlich der schon zitierte Laktanz und
der berühmte Kirchenhistoriker und Konstantin-Biograph Eusebios von
Kaisareia, hat diesen Kausalzusammenhang umgedreht und die Hinwendung Konstantins zum Christentum zur eigentlichen Voraussetzung für
seinen (natürlich vom Christengott entscheidend beförderten) militärischen Triumph über den heidnischen Gegner Maxentius erklärt. Konstantin selbst mag in späteren Jahren diese Sichtweise lanciert und auch
die Überlieferung von einer vermeintlichen christlichen Vision, die ihm
vor der Schlacht an der Milvischen Brücke zuteil geworden sei, verbreitet
oder wenigstens zugelassen haben; der militärische Sieg selbst ist gewiß
von seinen mehrheitlich paganen Truppen unter zweifellos nichtchristlichen Feldzeichen errungen worden. Als Konstantin am 29. Oktober 312
siegreich in triumphaler Prozession in Rom einzog, da war er sich der
Tatsache bewußt, unter dem persönlichen Schutz einer ihn gezielt begünstigenden Gottheit gestanden zu haben und wohl auch weiterhin zu stehen. Daß dies nicht der kapitolinische Jupiter war, stand für Konstantin
wohl ebenfalls außer Frage. Aber ob er sich über den Charakter und die
Identität dieser ihm wohlgesonnenen Gottheit tatsächlich im klaren war, ist
weit weniger sicher: War es der erst seit 311 offiziell im Römischen Reich
akzeptierte Christengott? Oder war es vielleicht doch der noch bis ins Jahr
325 auf Münzen Konstantins als persönlicher Begleiter des Kaisers gepriesene Sonnengott? Oder war es gar ein Amalgam aus beiden, die ja über
die Licht- und Sonnenmetaphorik miteinander vereinbar oder wenigstens
doch vergleichbar zu sein schienen? Sicher ist nur, daß seit Ende 312 /Anfang 313 Konstantin in offiziellen Verlautbarungen als bekennender (wenn
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auch nicht getaufter) Christ in Erscheinung trat, daß er sich deutlich und
vor aller Welt als Förderer der christlichen Kirche zeigte und zum Beispiel mit der Lateranbasilika der stadtrömischen Christengemeinde ein
gewaltiges Versammlungshaus stiftete. Sicher ist aber andererseits ebenso,
daß er zugleich als pontifex maximus für alle – also auch für alle heidnischen – Kulte im Römischen Reich der letztinstanzlich zuständige Oberbeamte blieb und daß er schließlich auf dem 315 in Rom zu seinen Ehren
geweihten Bogen nicht nur jedes Bekenntnis zum Christentum, sondern
überhaupt jegliche christliche Anspielungen gewiß bewußt unterließ.
Dieser Konstantinsbogen, entstanden anläßlich der Decennalia, des
zehnjährigen Regierungsjubiläums Konstantins, erzählt rückblickend die
Begebenheiten des Herbstes 312 aus der Perspektive des Siegers. Auf dem
reich mit Reliefs ausgestatteten Monument sind die Siegesgöttin Victoria,
der Sonnengott Sol Invictus, die Mondgöttin Luna und manch andere
Gottheiten im Bild präsent, und in der Dedikationsinschrift wird eine
siegbringende Gottheit (divinitas) gepriesen, über deren genaue Identität
der Betrachter nicht ohne Absicht im unklaren gelassen wird. Die umlaufenden Friese, welche Konstantins Marsch nach Italien, seinen Sieg an der
Milvischen Brücke und seinen Einzug nach Rom erzählen, zeigen den
Kaiser gewissermaßen in herrscherlicher Totalität: als Schlachtensieger,
als Städtebelagerer, als Redner vor dem Volk und als großzügigen Spender
von Geldgeschenken. Deutlich erkennbar ist das Bemühen Konstantins,
jegliche Form von Polarisierung oder gar Ausgrenzung zu vermeiden, und
in dieser Beobachtung dürfte auch der Schlüssel zum Verständnis des religionspolitisch agierenden Kaisers liegen. Denn mag Konstantin nun auch
eine starke persönliche Affinität zum christlichen Gott, zur christlichen
Theologie und zur christlichen Kirche empfunden und besessen haben,
so dominierten doch stets nüchternes Kalkül und zweckrationale Erwägungen sein vornehmlich auf Machterwerb und Machtsicherung ausgerichtetes Handeln. Folglich wird er es bewußt vermieden haben, einen
Großteil der Reichsbewohner (und auch einen Großteil der Soldaten)
durch allzu ostentative Begünstigung und Herausstellung des Christentums zu verprellen.
V.
Die Machtfragen waren nämlich trotz der triumphalen Ereignisse
vom Oktober 312 noch längst nicht geklärt, und um dabei ein Stück weit
in seinem Sinne voranzukommen, traf sich Konstantin mit dem seit der
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Hartwin Brandt
Konferenz von Carnuntum im Jahre 308 amtierenden Augustus Licinius
Anfang des Jahres 313 in Mailand. Daß während dieser Zusammenkunft –
die überdies die Hochzeit zwischen Licinius und Konstantins Halbschwester Constantia zeitigte – auch noch die berühmten Mailänder Vereinbarungen verabschiedet wurden, mit welchen allgemeine Religionsfreiheit
im Römischen Reich proklamiert wurde, dokumentiert einmal mehr die
enge Verquickung von Macht- und Religionspolitik, aber auch die beachtliche Beweglichkeit Konstantins, denn schließlich galt diese neue allgemeine Religionsfreiheit ja auch für Nichtchristen. Herrschaftsstrategisch,
und das dürfte für Konstantin zu dieser Zeit weiterhin im Vordergrund all
seiner Überlegungen gestanden haben, waren nun die Weichen für eine
Zweikaiserherrschaft gestellt, und nachdem im Spätsommer 313 Maximinus Daia beseitigt worden war, gab es nun in der Tat eine Dyarchie mit
dem Augustus Konstantin im Westen und dem Augustus Licinius im
Osten. Nominell blieb es bei dieser Regelung bis zum Jahr 324, faktisch
jedoch erlebte das Reich nun eine andauernde Rivalität zwischen beiden
Kaisern, die im Herbst 316 bereits in eine große Feldschlacht bei Cibalae
(im heutigen Serbien) mündete. Erst im Jahre 324 kam es zu den endgültig entscheidenden Auseinandersetzungen zwischen Konstantin und Licinius, und Licinius unterlag erst bei Adrianopel im Juli 324 einem Heer des
Westkaisers und büßte anschließend im September 324 in einer Seeschlacht am Bosporus sämtliche militärischen Ressourcen und im Jahr
darauf auch sein Leben ein. Für den Kaiserbiographen Eusebios von Kaisareia stand kurz nach 337 (als er seine Lebensbeschreibung Konstantins publizierte) fest, daß nun, im Jahr 325, göttliche und irdische Herrschaft
endlich zu harmonischer Kongruenz gefunden hätten und der weltliche
Herrscher seinem prominentesten Auftrag künftig ungehindert würde
nachkommen können: der Christianisierung der Menschheit: «Und nicht
mehr gab es irgendeine Erinnerung an die früheren Übel, denn überall
feierten alle den Sieger und gestanden, daß sie nur seinen Retter als Gott
anerkennen wollten. Konstantin aber, der durch die vollkommene Tugend
der Gottesfurcht ausgezeichnete Kaiser, der Siegreiche (denn diesen Beinamen hatte er für sich als den am besten passenden angenommen wegen
des ihm von Gott über alle Gegner und Feinde geschenkten Sieges), er
übernahm wieder den Osten und brachte das Römische Reich ganz und
ungeteilt, wie es früher gewesen war, unter seine Kontrolle, um sofort
allen die Botschaft von der Alleinherrschaft Gottes zu bringen und um
durch die Einzelherrschaft selbst das gesamte irdische Leben unter römische Herrschaft zu stellen» (Eusebios, Vita Constantini 2,19,1–2).
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Hier liegen natürlich unverkennbar die Wurzeln eines christlichen Kaiserideals, welches seine Wirksamkeit in der Folgezeit erst recht entwikkeln und die mittelalterliche und frühneuzeitliche Auffassung vom Kaiser
als Hüter und Verbreiter des rechten Glaubens und der einen ungeteilten
Kirche prägen sollte, und dies gleich in mehrfacher Hinsicht. Denn die
überschwenglichen Worte des Eusebios beziehen sich auch auf den – nur
vorläufigen, wie die kommenden Jahrzehnte zeigen sollten – Abschluß
von innerkirchlichen Auseinandersetzungen, in welchen der Kaiser Konstantin ebenfalls eine herausragende Rolle spielte und in deren Verlauf zugleich die Weichen gestellt wurden für Entwicklungen, deren Bedeutung
für das christliche Abendland kaum überschätzt werden kann.
Die Rede ist von der Genese der Konzilien. In Nordafrika hatte sich
nämlich ein innerchristliches Schisma ergeben, das seine Ursache in Konflikten hatte zwischen rigorosen Christen, die keinerlei Schwäche in den
Zeiten der Christenverfolgungen zu tolerieren bereit waren, und denjenigen, die diese Zeit mit mehr Großmut behandelt sehen wollten. Als die
Rigoristen einen karthagischen Gegenbischof namens Donatus erhoben,
eskalierten die Auseinandersetzungen in Nordafrika, die in der gelehrten
Forschung als Donatistenstreit bezeichnet werden und in der Folgezeit
derartige Ausmaße annahmen, daß der Kaiser, verantwortlich für den inneren Frieden und die äußere Stabilität des Reiches, eingreifen mußte.
Auf seine Veranlassung also berief der römische Bischof Miltiades im
Herbst 313 eine Synode (Bischofsversammlung) nach Rom ein, gewissermaßen das Gründungsdatum reichskirchlichen Tuns und kaiserlicher
Synodalgewalt. Zwar vermochten weder diese noch weitere Synoden (wie
diejenige in Arles 314) den Donatistenstreit einer einvernehmlichen Lösung oder wenigstens einem Ende zuzuführen, doch ändert dies nichts an
der im historischen Rückblick hochbedeutsamen Kooperation zwischen
Kaiser und Kirche auch in Fragen der innerkirchlichen Auseinandersetzung und innerkirchlichen Organisation.
Diese Kooperation zwischen Kaiser und Kirche erstreckte sich sogar
auf die Behandlung von theologischen Kardinalfragen, auf zentrale Probleme der göttlichen Trinität, die parallel zum Donatistenstreit Kaiser
und Bischöfe permanent beschäftigten. Deren Ursprungsort war das
ägyptische Alexandreia, wo der christliche Presbyter Arius die Wesensgleichheit zwischen Gottessohn und Gottvater öffentlichkeitswirksam bestritt. Der daraufhin ausgebrochene, weite Kreise ziehende sogenannte
Arianismusstreit führte schließlich dazu, daß Konstantin im Frühsommer
des Jahres 325 fast 300 Bischöfe in seinem Palast in Nicaea / Nikaia (in der
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heutigen nordwestlichen Türkei) versammelte. Konstantin ist nicht nur
Initiator, sondern auch Vorsitzender des Konzils von Nicaea gewesen, das
als Erstes sogenanntes Ökumenisches Konzil in die Geschichte eingegangen ist. Unter der Leitung des bekennenden Christen und ungetauften
Laien Konstantin wurde das ‹Ur-Nizänum› formuliert, das katholische
Glaubensbekenntnis, das bis heute den Kern des katholischen Credos bildet und die Wesensgleichheit zwischen Jesus Christus und Gottvater festschreibt. Konstantin agierte hier als eine Art Weltbischof von außen, was
Eusebios in einem vielzitierten Abschnitt seiner Konstantinbiographie
explizit zum Ausdruck bringt:
«So war es ganz natürlich, daß Konstantin, als er einmal Bischöfe gastlich bewirtete, die Bemerkung fallen ließ, auch er sei ein Bischof, und, wie
wir selbst hörten, ungefähr so zu ihnen sagte: ‹Ihr seid Bischöfe derer, die
sich innerhalb des Bereiches der Kirche befinden, ich aber bin wohl von
Gott zum Bischof für diejenigen bestellt worden, die sich außerhalb befinden.› In Übereinstimmung mit diesem Diktum war seine Gesinnung, und
er übte bischöfliche Aufsicht über alle Untertanen aus und trieb sie dazu
an, soweit es in seiner Macht stand, ein gottgefälliges Leben zu führen»
(Eusebios, Vita Constantini 4,24).
Erneut ist hervorzuheben, daß von diesen Vorgängen und diesen eusebianischen Deutungen Linien ausgehen, die bis ins hohe Mittelalter führen und das Spannungsverhältnis von weltlicher (imperium) und kirchlicher Gewalt (sacerdotium) betreffen.
VI.
Konstantin befand sich nun auf der Höhe seiner Macht, außenpolitisch hatte er Franken und Alamannen, Goten und Sarmaten mit der
römischen Stärke bekannt gemacht, im Innern eine Monarchie alten Stils
Silbermedaillon von Ticinum
Konstantin der Große
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errichtet und das Reichsganze stabilisiert. Letzteres wurde auch nicht
durch die aufsehenerregenden Turbulenzen des Jahres 326 erschüttert, als
Konstantin erst seinen Sohn Crispus (aus einer frühen Verbindung mit
Minervina) und anschließend seine Frau Fausta umbringen ließ. Die Hintergründe dieser Familientragödie bleiben bis heute undurchsichtig, das
Handeln Konstantins hingegen ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Nicht anders als in den frühen Jahren seiner Kaiserherrschaft war
Konstantin notfalls auch zu Rücksichtslosigkeiten aller Art bereit, wenn
dies zweckdienlich und notwendig zu sein schien. Es ist diese Seite des
ersten christlichen Kaisers, die natürlich von Eusebios und seinen kirchenhistorischen Nachfolgern weitgehend ausgeblendet bleibt, die aber
zweifellos wichtiger Bestandteil der Persönlichkeit Konstantins des Großen ist. Die Rolle des Crispus, der sich bei der Ausschaltung des Licinius
im Jahre 324 noch große Meriten erworben hatte, wurde gewissermaßen
auf die drei Söhne aus seiner Ehe mit Fausta aufgeteilt, die allesamt nach
und nach das Caesariat erlangten. Faustas Stelle selbst blieb unbesetzt, in
gewisser Weise wurde sie nur von Konstantins Mutter Helena eingenommen, die nach Jahrzehnten der Unscheinbarkeit plötzlich ins Rampenlicht
der Öffentlichkeit trat, den Titel einer Augusta erhielt und bis ca. 328 /329
als Förderin des Christentums, Stifterin von Kirchenbauten und Protagonistin des aufkommenden Reliquien- und Kreuzeskultes Prominenz gewann. Sie war es auch, deren Standbild neben denen des Kaisers Konstantin selbst in der Stadt öffentlich aufgestellt wurde, die seinen Namen trug:
Konstantinopel.
Konstantinopel, am 11. Mai 330 feierlich und sogar unter Zuhilfenahme
alter paganer Riten eingeweiht, war das eindrucksvollste Monument der
Sieghaftigkeit und Herrlichkeit des Kaisers, bei und über den Mauern des
alten Byzantion erbaut. Hier ließ er eine prächtige Kaiserstadt errichten,
die erst nach seinem Tode im Laufe des 4. Jahrhunderts wahrhaftig zu
Goldmultiplum mit Konstantin und Sol
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einer Art zweiten Roms wurde, hier ließ er sich selbst in vergoldeter
Bronze auf einer riesigen Porphyrsäule darstellen, wo er nach Ausweis
eines byzantinischen Autors «leuchtete wie die Sonne», und wo noch im
5. Jahrhundert sogar Christen Opferhandlungen verrichteten. Auch Tempel der Göttermutter Rhea und der Schicksalsgöttin Tyche gehörten zum
konstantinischen Bauprogramm, dem freilich die christlichen Elemente
natürlich nicht fehlten. Genannt seien nur die Hagia Eirene, die Hagia
Sophia und schließlich das christlich komponierte Mausoleum, wo sich
Konstantin inmitten der Kenotaphe (Leergräber) der zwölf Apostel nach
seinem Tode am 22. Mai 337 bestatten und wohl nicht nur als Apostelgleicher, sondern sogar als isóchristos, als Christusgleicher, verehren ließ. Vor
seinem Tod, der ihn ereilte, als er zu einem Kriegszug gegen die Perser
aufbrechen wollte, hat Konstantin sich taufen lassen. Diese späte Taufe ist
kein Indiz für eine innere Distanz Konstantins zum Christentum, sondern
entsprach durchaus spätantiker Praxis. Gerade der spät Getaufte hatte die
Möglichkeit, unbefleckt, d. h. sündenlos, die letzte große Reise anzutreten, und auch Konstantin behielt nach der Taufe die weißen Gewänder an,
um nicht in dem vom Familienmord befleckten kaiserlichen Purpurgewand vor den Richter treten zu müssen. Der an der Taufe maßgeblich beteiligte Bischof war Eusebios von Nikomedeia, ein ‹Arianer›, was der
Konstantinbiograph Eusebios von Kaisareia geflissentlich verschweigt.
Der erste christliche Kaiser, der Begründer der Reichskonzilien und Vorsitzende des ersten Ökumenischen Konzils von Nicaea, war in theologicis
offenbar ein unsicherer Kantonist, doch derlei Grautöne sollten das helle
Bild des christlichen Idealkaisers natürlich nicht trüben.
VII.
Der tote Konstantin entfaltete kaum geringere Wirkungskraft,
als der lebende es vormals getan hatte. Bis die Nachfolgekämpfe zwischen
seinen Söhnen ausgefochten waren, verging fast ein halbes Jahr, und
währenddessen erschienen weiterhin die hohen Palastbeamten in Konstantinopel zur täglichen Aufwartung (salutatio) vor dem Leichnam Konstantins. Vielleicht noch im 4. Jahrhundert entstand die sogenannte Silvesterlegende, welche die Konstantinische Wende erst in der Stadt Rom
stattfinden und durch die vom Papst Silvester vollzogene Taufe vollenden
ließ. Vorher soll Konstantin, von krankhaftem, gräßlichem Aussatz gezeichnet, auf den Rat seiner (heidnischen) Ratgeber hin beabsichtigt haben, ein Reinigungsbad im Blut ermordeter Kinder zu nehmen. Erst eine
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christliche Vision habe ihn davon ab- und auf den rechten Weg bringen
können, und die Taufe habe ihn dann von seiner Krankheit befreit. Diese
rein legendenhafte Version der Konstantinischen Wende liegt wiederum
dem um die Mitte des 8. Jahrhunderts entstandenen Constitutum Constantini zugrunde, einem gefälschten Dokument, laut welchem der päpstliche Anspruch auf den Kirchenstaat auf vermeintliche Konzessionen
Konstantins des Großen zurückgeführt werden konnte. Konstantin habe
den Papst darin nicht nur als ranggleich anerkannt, sondern ihm überdies
Rom und die italischen Provinzen überlassen.
Diese dem fränkischen König Pippin als rechtlich bindendes Dokument
präsentierte Fälschung hat sich als außerordentlich geschichtsträchtig erwiesen und Konstantin dem Großen unverdiente Nachwirkung in der
europäischen Geschichte eingebracht. Schon der in dem Dokument formulierte Anspruch auf den Primat des Papstes, der somit über dem Kaiser
stand, widerspricht allem, was sich über Konstantin und die Kirche im
frühen 4. Jahrhundert sagen läßt. Gewiß, der Kaiser Konstantin war ein
Revolutionär, der die Konstantinische Wende vollzog, die christliche Kirche und ihre Funktionäre in das öffentliche Leben integrierte und zielstrebig förderte und einen Christianisierungsprozeß einleitete, der sich als
irreversibel erweisen und unter Theodosius I. (379 –395) seinen auch amtlich dokumentierten, vorläufigen Abschluß finden sollte. Denn unter diesem Kaiser wurde das Christentum offiziell zur Staatsreligion des Römischen Reiches erhoben. Das christliche Europa ist mithin ohne den christlichen Kaiser Konstantin nicht vorstellbar. Der Kaiser Konstantin war
aber zugleich ein gerade auch in Personalfragen frei von konfessionellen
Gesichtspunkten agierender Reformpolitiker, der zum Beispiel die höchsten Zivil- und Militärämter neu organisierte, das Militärwesen nachhaltig reformierte und die finanz- und steuerpolitischen Vorgaben seines
Vorgängers Diokletian konsequent aufgriff und fortentwickelte. Und der
Kaiser Konstantin war vor allem auch ein kühler Pragmatiker und Machtpolitiker, der sich selbst in religionspolitischer Hinsicht Frei- und Handlungsräume offen hielt, der Heidnisches dort zuließ, wo er es für verantwortbar oder gar geboten hielt, und Christliches dort nicht förderte, wo es
ihm nicht ratsam schien. Einem Bischof von Rom hätte er gewiß niemals
derartige Zugeständnisse gemacht, wie sie ihm im 8. Jahrhundert zugeschrieben wurden.
Und schließlich war Konstantin, wie wir eingangs festgestellt haben,
Europäer – doch nur qua Herkunft und ohne sich dessen bewußt zu sein.
Gleichwohl hat er für das christliche Europa überragende Bedeutung ge-
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wonnen – doch ohne dies intendiert zu haben. Denn eine Europa-Perspektive hat dieser Kaiser, der alleiniger Weltherrscher sein wollte, nie besessen. Als ‹großer› Konstantin ist er eine byzantinische, östliche Heldengestalt geworden. Im christlichen Abendland hat ihn erst eine katholische
Rezeptionsgeschichte, die ihn von allen Brüchen und unerwünschten
Eigenschaften, Haltungen und Handlungen befreit hat, zum großen Vorbild europäischer Herrscher werden lassen.
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