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N. Hibler, K. Wailner
Laryng.-Rhinol. 60 (1981)
Laryng.-Rhinol. 60 (1981) 284—288
1st Musikempfindung
meBbar? *
N. Hibler, K. Waliner
Psychophysiologische Abteilung des psychologischen Institutes der Universität
Salzburg )Leiter: Prof. Dr. Kurt Eckel)
Schon der Titel dieser Mitteilung erscheint vermessen. Denn
was versteht man unter Musikempfinden oder besser ausgedrflckt, wer vermag eine eindeutige Definition dieses Begriffes zu geben? Man wird sicherlich eine Unzahl von Antworten und Umschreibungen erhalten und jede wird in einigen
Punkten ihre Richtigkeit haben, andere Gesichtspunkte
aber, die auch in diesen Begriff mitbeinbezogen werden
können, werden je nach Standpunkt nicht berucksichtigt
werden. Bei der Eröffnung der heurigen Salzburger Festspiele hielt W. Hildesheimer die Festrede mit dern Titel:
,,Was sagt Musik aus?" Er begann mit einem Zitat von
Leibniz: ,,Musik ist em arithmetisches Exercitiurn der Seele,
wobei diese sich nicht bewuft ist, daf sie zählt." Hildesheimer selbst definiert die Musik als ,,die Kunst, die zur Seele
spricht und vor der die Ratio versagt. Sic hat keinen Gegen-
stand, sondern ist Subjekt und Objekt in einern. Ihre Botschaft liegt im Medium." Das klingt sehr schön und sehr
geistreich, scheint mir aber doch an einer Kernfrage vorbeizuführen. Die Frage nãmlich, ob nach unseren Kenntnissen
in der Physiologic, Neurologie, Musikologie, Physik etc.
keine Moglichkeit besteht, durch entsprechende Untersuchungen Ableitungen von physikalischen, chernischen, also
materiellen Reaktionen im menschlichen Körper durchzufiihren, die uns der Frage nãherbrächten, warum die Menschen auf rnusikalische Eindrücke so verschieden, der emzelne auch auf das Was und Wann reagiert. Anders ausgedrückt, hat Musik mit Ratio, also mit einer geistigen Lei-
stung wirklich gar nichts zu tun und ist sic ,,nur" eine
nebulose Gefühlsregung, die sich jeder Analyse und experimentellen Forschung entzieht. Das glaube ich sicher nicht.
Schon die emotionellen Faktoren, also die gefuhlsbetonten
Elemente der Musik, sind zum Teil eine Hirnfunktion. Die
Hauptstation liegt in den thalamo-kortikalen Erregungskreisen. Mit diesen emotionellen Reaktionen sind
die subthalamischen Verbindungen und das neurovegetative System beschaftigt. Diese anatomischen Verbindungen sind die Grundlage für den unbestimmten, vagen EmfluI der Musik auf viele Menschen, auch wenn sic keine
Zusammenfassung
Seit 2 Jahren wird an der psychophysiologischen Abteilung des psychologischen Institutes der Naturwissenschaftlichen Fakultat der Univ. Salzburg versucht, der
Frage näher zu kommen, oh sich em Zusammenhang
zwischen musikalischem Empfinden und Lateralisation
der bioelektrischen Hirntatigkeit finden lä1t. Als vor-
läufige Mitteilung kann berichtet werden, daf bei
Untersuchung mit evozierten Potentialen der fronrotemporalen Lappen bei Darbietung einer Tonfolge
eines Musikstückes groIe Unterschiede in der Amplitude und Frequnz der EEG-Kurven bei rnusikalischen
und unmusikalischen Probanden festzustellen waren.
Wàhrend bei musikalischen Personen die Amplituden
sehr hoch und die Frequenzen niedrig sind, ist bei
Unmusikalischen das Umgekehrte der Fall. Als beson-
dere Erkenntnis kann festgehalten werden, da1
geschulte Musiker nach Aufforderung, das Musikstuck, nach Unterdruckung der Emotion, strukturell zu
analysieren, in ihren Kurven em Absinken der Ampli-
tude auf das Niveau der Unmusikalitat zeigen, ohne
da jedoch eine Frequenzsteigerung erfolgen würde.
Die Arbeiten werden weiter fortgesetzt.
Can Musical Feeling be Measured?
The sensation of music as a pure mental reaction is not
to be maintained. Some decades ago the research work
of music has been concentrated in the different
branches of science. Already, the results are astonish-
ing. Since two years, on the psychophysiological
department of the ,,Psychological Institute of the Scientific Faculty" of the ,,University of Salzburg" investiga-
tions are continued to find a possible connection between the sensation of music and the laterality of the
bioelectric activity of the brain.
We pointed out the following results: there are great
differences in the amplitudes and frequencies (in the
fronto-temporale lobes) of the evoked responses between musicians and nonmusicians.
While musicians show higher amplitudes and lower
frequencies in the evoked potentials, nonmusicians
show lower amplitudes and higher frequencies. Another astonishing cognition is that the musicians who
have been requested to structurice the music without
any emotion show lower amplitudes like the nonmusicians, but no increase in the frequence like them. Thus
we can say that musicality, that means the different
impressions of music shows an effect in the evoked
responses.
intellektuellen Kenntnisse der musikalischen Struktur
haben. Em Grol?teil dieses emotionellen Eindruckes beruht
auf den rhythrnischen Merkmalen, em anderer Teil bezieht
sich aber gewif auf höhere Elernente von Melodic und
harrnonischem Gehalt.
Von der Ratio her urn eine Stufe höher, wenn ich so sagen
darf, liegen die intellektuellen Faktoren der Musik. Das
intellektuelle Erkennen der musikalischen Strukturen ist
Herrn Prof. Dr. A. Hers-mann zum 80. Geburtstag gewidmet.
zweifellos eine Funktion der Hirnrinde und zwar des ternporalen Kortex. Hier werden tonale Formen wahrgenommen, erkannt, erinnert und mit friiheren Eindriicken verglichen. H. Petsche, (9) hat in seinem Referat
die ,,Wahrnehmung von Strukturen in der Musik" festgestellt, daI em
ständiges Wiederholen gleicher musikalischer Folgen ohne
Zweifel Langweile, ja sogar Abneigung hervorruft und der
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1981 Georg Thieme Verlag Stuttgart New York
MusikgenuI? in dem Wiedererkennen von bekannten Strukturen und dem
Auftreten von Neuem liegt.
Ich möchte dem noch hinzufügen, daI die Assoziation der
emotionalen Empfindungen mit dem Auftreten
schender Neuerungen und der intellektuellen Analysefähigkeit den extremen Höhepunkt im Musikhören hervorrufen.
Diese intellektuellen Faktoren des Musikempfindens sind
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Musik dutch Tranquilizer eher verstärkt
Lustgewinn
wird, wenn es sich nicht urn Tanzmusik handelt. Bekannt
ist die Erfahrung, daL Sänger bei Einnahme derartiger
Produkte durch Wegfall des Lampenfiebers evtl. gröfere
Perfektion erzielen, aber durch Dampfung der eigenen
Emotion geringere Wirkung auf den Zuhörer erreicht wird.
J. W. Revers (11) kam bei Untersuchungen in der Berliner
ebenso eine Hirnleistung, wie auch die emotioriellen an
ganz bestimrnten topographisch anatomischen Stellen des
Zerebrurns lokalisiert sind und nicht irrationale, seelische
Produkte, die man nicht greifen kann. Ob diese Hirntätig-
Philharmonie zu dem Ergebnis, daf? pharmakologische
Sedierung der vegetativen Funktionen das Erleben der
Musik unverandert iaf?t. D. h., die Sedierung wirkt sich
wohi physio!ogisch aber nicht psychologisch aus. Dies
keit unsere Emotion auslöst oder durch sie verursacht wird,
steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls handelt es sich
widerspricht nur scheinbar dem Vorhergesagten. Denn man
muf bedenken, daI der ,,gedarnpfte" Sänger ja aktiv Musik
dabei urn schon heute meI?bare GröIen, die wahrscheinlich
rnehr Licht in das Geheimnis der Hirnfunktionen bringen,
als daI sie das Rãtsel der Musik und des Musikempfindens
lösen könnten. Petsche bedauert mit Berechtigung, daf die
Mef?barkeit derzeit, vielleicht sogar für immer, nur mittels
elektrischer Geräte rnoglich ist und dadurch nur elektrische
Stimuli registrieren kann. Chernische, bzw. biochernische
produzieren muf, während die Angehörigen der Berliner
Philharmoniker bei dern erwihnten Sedierungsexperiment
passive Zuhörer waren.
Einer der Impulse unserer eigenen Untersuchungen, die
nachfolgend behandelt werden sollen, war das Anhören
eines modernen Triplekonzertes. Ich hatte dabei den Emdruck, keine Musik zu hören, sondern einen indifferenten,
Messungen, die dem physiologischen Geschehen mehr
akustischen Uniweltreiz, der nicht emma! unangenehm oder
Rechnung tragen würden, sind uns bisher verwehrt.
Die Beschàftigung mit Musik ist urak. Musik selbst wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Orpheus erscheint uns
in der griechischen Mythologie als erster Musiktherapeut,
der Mensch und Tier bezauberte. Vor 2 tausend Jahren
bereits berechnete Pythagoras in Kroton auf Sizilien die
Harmonie der Tonfolgen und vor gut 120 Jahren tritt uns
in Europa der groe Arzt, Physiologe und Physiker Helmholtz gegenuber, der auf dem Gebiete der Musik die Bedeutung der Obertöne für die Klangfarbe des Tones nachwies,
die Summationstöne entdeckte uiid seine beriihmte ,,Resonanztheorie" aufstellte, die Jahrzehntelang als unumstö1liche Tatsache gait, bevor sie von der ,,Wanderwellentheone" (von Békésy, Ranke, Keidel) abgelost wurde.
Intensivere Beschàftigung mit dem vorerst komplex ausgedrücktem Begriff Musik hat in gröIerem Umfang vor Ca. 40
Jahren eingesetzt und ist gerade vor kurzer Zeit von den
verschiedensten wissenschaftlichen Sparten aufgegriffen
lastig, aber unnütz war. Als ob diese ,,Musik" nur im
worden. G. Harrer (8) und sein Mitarbeiterstab führen
schon
10 Jahre laufend einschlagige Experimente und
Untersuchungen am neurologischen Institut der Landesnervenklinik Sa!zburg durch. Die zahireichen Arbeiten, die von
dieser Seite veröffentlicht wurden, beschaftigten sich vorwiegend mit den emotionellen, vegetativen Vorgängen, die
durch die Musik ausgelost werden. Es wird das EKG, der
Puls, Atmung, Hauttemperatur etc. gemessen und bei den
Probanden festgestellt, wie sie auf musikalische Werke verschiedener Komponisten reagieren, wie weit bei dem Einzelnen emotionales Erleben im Vordergrund steht usw. Es
konrite dabei beobachtet werden, daf es Musikstücke gibt,
die z. B. mehr auf die Motorik (Waizer etc.), andere wieder,
die mehr auf Herz, Kreislauf und Atmung Einflug haben
oder da1 aktives Musizieren vie! grö1ere emotionelle vegetative Veranderungen erzeugt als Musikhören. Ich selbst
habe die Pulskurve eines hochberühmten Dirigenten gesehen, die wãhrend der Auffuhrung der 6. Symphonie Gustav
Mahlers aufgezeichnet wurde und die eine betràchtliche
Tachycardie erkenneri lief. Auf Befragen gab der Künstler
an, nur em angenehmes Warmegefühl und eine freudige,
gehobene Stimmung erlebt zu haben, keine Spur von Hammern an den Schlafen oder Herzjagen, was nach der Pulszahi zu erwarten gewesen ware. Sehr interessant ist die
Beobachtung von G. und H. Harrer, daf die Freude und der
l-{örzentrum aufgenornmen worden ware und nicht in die
vegetativen und kortikalen Musikareale ge!angen würde.
Ob man le erforschen können wird, unter welchen Umstiinden das Ohr treffende Schaliwellen in der Hesch!schen
Q uerwindung enden, und wann sie Musikempfindung mit
emotioneller und intellektueller Reaktion auszulösen im
Stande sind? W. Scheidt, (14) hat aufgrund von Untersuchungen am Hörorgan eine ,,naturkundliche HarmonieIehre" aufgestellt und ist der Auffassung, dal? sich Sprache
und Musik in gewisser Weise gegensatzlich verhalten. Die
Voka!formation, diejenigen Frequenzen, die in der Schallkurve des gesprochenen Vokals am stãrksten hervortreten,
also den Klang des phonierten Vokais bestimmen, verursachen im menschlichen Ohr so gut wie keinen Vorhofreiz,
sondern nur einen in der Schnecke. Sie !ösen damit keinen
Gefuhlsvorgang aus. Musik führt aufgrund ihres Frequenzbandes auch zu einer Vorhofreizung, wodurch vegetative
und Gefühlsvorgange hervorgebracht werden. Diese Theone ist noch nicht erwiesen, könnte aber erklaren, warum die
Musik, mehr als alle anderen Formen und Produkte der
Künste, besonders starke emotionelle und vegetative Vorgange hervorruft.
Vor 14 Tagen ist im Rahmen des Karinthischen Sommers in
Ossiach (Kàrnten/Osterreich) em Stagiger Workshop
,,Hirn, Sprache und Musik" zu Ende gegangen. Er war
gespickt mit hochinteressanten, erkenntnisreichen Vortragen, deren Quintessenz aber nicht zu
war. Die
Forscher kamen von den verschiedensten Sparten (Musikologen, Musiktherapeuten, Psychologen, Hirnphysiologen,
Linguisten, Physiker, Elektroakustiker und praktische und
theoretische Mediziner). Sie kamen aus allen Erdteilen und
arbeiteten intensiv und, soweit beurteilbar, mit Akribie
nicht so selten an demselben Problem. Und trotzdern waren
die Aussagen nicht nur einrnal diametral entgegengesetzt
oder vollig anders als die bisherig allgemein anerkannte
Lehrrneinung. Sicherlich ist Musikhören für unser Gehirn
eine holistische Angelegenheit, aber sicher auch mit gewis-
sen Schwerpunkten. Aber wo diese liegen wird von den
einzelnen Forschern verschieden angenornmen. Borchgrevink, (2) glaubt auf Grund seiner Experimente mit passagerer Arnytalausscha!tung einer Hirnhàlfte, da das Erkennen
der Tonhöhe in der rechten Hemisphäre, der Melodie und
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IstMusikempfindungmefThar?
N. Hibler, K. Waliner
Laryng.-Rhinol. 60 (1981)
des Rhythmus aber auf der Seite der Sprache, also zumeist
in der linken Hirnhälfte liegt. Shanon, (15) dagegen ist
aufgrund seiner Untersuchungen von 80 Personen (eine
Gruppe aktive Musiker, zweite Gruppe musikalische Laien)
der Ansicht, da1 Musikempfinden im aligemeinen in der
rechten Hirnhemisphare beheimatet ist, da1 abet Berufsmu-
siker zur Lösung ihrer Aufgaben die linke Hemisphare
verwenden, weil dort die komplexe Analyse und damit die
Erfassung der musikalischen Strukturen besser gewahrleistet sei. Man sieht, und diese beiden Beispiele mögen geniigen, dat? die Frage der Topographie verschiedener musikalischer Leistungen im Gehirn, auch die Frage von Musik und
Lateralisation sehr unsicher ist und zu verschiedenen Forschungsergebnissen fiihrt. Wenn Röderer, (15) meint, dat?
Musik reine Asthetik, eine Manifestation des angeborenen
und erhöhten menschlichen Verständnisses des Schönen
mehr 1st als em blot?er Effekt von bestimmten Tonwellenstimuli mit einem komplexen Reiz von Millionen Nervenzellen, dann müt?te man primär die Frage stellen, was schön ist
und aut?erdem bringen diese sicherlich sehr geistvollen Definitionen weder die Musik, noch die Hirnforschung weiter.
Zuzustimmen ist Röderers Aussage, dat? wir nie die Musik
nur aufgrund neurophysiologischer Funktionen erklären
werden können.
Dat? Musikalitat erwas Angeborenes, auch in der Tierwelt
zu beobachtendes ist und getestet werden kann, ist unbestritten. Den umfassendsten Test dürfte Révész (12) schon
1920 angegeben haben. Seine wichtigsten Punkte sind:
1. Test für Rhythmus, 2. Nachahmen einzelner Tine, 2.
Analyse von Akkorden durch Singen ihrer Einzeltöne, 4.
Reaktives Tongehir (der Priifling mut? zu einem angebotenen Ton einen hiheren oder tieferen in einem bestimmten,
verlangten Interval! hinzufiigen. 5. Erinnern und Wiedergabe von Melodien. 6. Tongedächtnis.
Révész schätzt, dat? 82 % der Menschen musikalisch und
18 % unmusikalisch sind.
Angeboren 1st auch das Phänomen des absoluten Gehirs
und es ist
dat? diese Hirnleistung an eine
anatomische Besonderheit gebunden 1st und zwar abhàngig
von einer bestimmten Konfiguration des Gehirns in und urn
die Heschlsche Querwindung, mit einer starken Anhaufung
von Ganglienzellen. Das absolute Gehir und Musika1itt
haben eine einseitige Korrelation, das heif?t, alle Personen
mit dieser ungewihnlichen Begabung sind hochmusikalisch, aber die breite Mehrzahl der grot?en Musiker und
Komponisten hatte kein absolutes Gehir. Interessant ist,
dat? diese Fahigkeit durch Mudigkeit, Schwãche oder
Krankheit vermindert werden oder vorubergehend ganz
verschwinden kann. Noch frappierender erscheint mir, dat?
mir vor kurzem em betagter Träger eines absoluten Gehirs
sagte, dat? dieses ganz deutlich mit seinern Alter und der
Reduktion der Hirnleistung abnehme, wie er selbst beobachtet babe. Also Abbau dieses musikalischen Phänomens
durch morphologische, d. h. materielle Verãnderungen im
Cerebrum!
Schon 1936 hat R. A. Pfeifer (10) mitgeteilt, dat? SO % der
von ihm studierten Gehirne auf der rechten Hemisphäre
zwei Heschlsche Querwindungen hätten, wiihrend links nur
eine angelegt war. Daraus folgerte er, dat? die kortikale
Reprãsentation der Hörfun ktion i m nicht prãponderanten
Schläfelappen zweimal so grof? wie auf der dominanten
Seite sei. Bei einem geringen Anteil von Gehirnen wurden 2
Querwindungen auf jeder Seite gefunden. Pfeifer glaubte,
dat? es sich dabei urn einen phylogenetisch älteren Hirnauf-
bau handelt (noch ohne expressive Lateralisation) und
nannte ihn deshaib anthropoid. Ganz selten wurde auf
beiden Seiten nur eine Heschlsche Windung gefunden und
einige wahrhafte Linkshãnder zeigten umgekehrte Verhàlt-
nisse, also 2 Querwindungen links und nur eine rechts.
Eccies, Geschwind und Levitsky haben jüngst bestätigt, dat?
eine doppelte Querwindung rechts sehr haufig ist (5, 7).Sie
kamen fast auf 80 % und nehmen an, dat? in diesem Areal
so etwas wie em ,,Musikzentrum" Iiegt. Pfeifer hat noch
weiter beobachtet, dat? neben dieser Asymmetrie des Schläfenlappens die absolute Grit?e der Heschlschen Region sehr
variabel ist und bei musikalischen Personen wesentlich
grit?er gefunden wurde als bei unmusikalischen. Er spricht
von langen, steilen, im Gegensatz zu kurzen, flachen Querwindungen. Diese langen, steilen Typen wurden interessanter Weise fast nur bei Mãnnern angetroffen, ganz selten bei
Frauen. Es erhebt sich die Frage, ob diese morphologische
Tatsache, die auch anderweitig bestätigt wurde, vielleicht
eine Antwort darauf ist, warum es keine grot?en Komponistinnen gibt.
Eine besondere Frage wurde bei dem schon erwähnten
Workshop anlt?lich des Karinthischen Sommers 1980 in
Ossiach von dem australischen Musikforscher M. Clynes
(4) aufgeworfen. Clynes hatte mit einer besonderen Apparatur die Reaktion von 350 Personen auf verschiedenste
Emotionen gemessen. Die Probanden mut?ten auf einem
Taster des Instrumentes, das er Sentograph nennt, driicken,
wenn ihnen em Ausdruck für eine Gefühlsregung vorgegeben wurde. Je nach Lange und Starke des Druckes wurde
bei den verschiedenen Emotionen in Sinuskurven die
Amplitude und Frequenz festgehalten. Diese Sinusschwin-
gungen wurden in Tine moduliert. Die wichtigsten
Gefuhlsregungen waren Freude, Liebe, Verehrung, Sex und
Hat?. Dann wurden den Pruflingen eine Sekunde lang die
Tone, die aus den Kurven gewonnen worden waren, zweimal vorgefiihrt. Das erste Mal sollten sie sie hiren, das
zweite Mal entscheiden, welches Gefiihl dieser Ton ausdrückt. Der, wenn man so will, den Menschen gemat?e
Urton für Hat?, Freude und Sex wurde von fast allen
Probanden als solcher bezeichnet. Schwierig war anscheinend die Unterscheidung zwischen Liebe und Verehrung;
diese beiden Emotionen wurden am haufigsten verwechselt.
Das Erstaunlichste bei dieser Untersuchung war nun, dat?
das Ergebnis praktisch dasselbe war, gleichgiltig, ob die
Versuchspersonen Studenten der USA oder Ureinwohner
Australiens (die Origines), die auf einer sehr primitiven
Kulturstufe stehen, waren. Die aus Emotionen erzeugten
Klange haben eine Eigenschaft, die im Leben jedes Menschen, anscheinend auch des Primarmenschen, eine Bedeu-
twig haben. Vielleicht könnten sich Komponisten ihrer
bedienen oder haben es unbewut?t schon getan. Es kinnten
bei dieser Betrachtung Gedanken z. B. auf die akustisch
verwandten Klangfolgen in den Schlut?akkorden von
Richard Wagners Holländer, Tristan und Gitterdãmmerung aufkommen.
Seit 2 Jahren laufen nun an der neurophysiologischen
Abteilung des psychologischen Institutes der Universität
Salzburg (Leiter Prof. Dr. K. Eckel) Untersuchungen
den Zusammenhang zwischen Musikempfinden und Lateralisation der bioelektrischen Hirntatigkeit (6). Es wurde
bisher bei 50 Personen folgende Versuchsanordnung durchgefflhrt: Die Probanden mut?ten priniär den Persinlichkeitsfragebogen nach Eysenk als Basisvergleich (labil-stabil)
ausfüllen, dazu auch die Befindlichkeitsskala nach Zerssen.
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Darin wurden ihnen die ersten 9 Tone aus der kleinen
Nachtmusik (W. A. Mozart) in einer Dauer von 4 Sekunden
angeboten. Im ganzen SOmal. Zwischen den kurzen Tonfolgen wurde eine Pause von 6 Sekunden eingeschalten, so da
die Gesamtpriifung eine Zeit VOfl Ca. 8 Minuten in
Anspruch nahrn. Der ganze Ablauf wurde computergesteuert und die Potentialen von 8 Konvexitatselektroden digital
zur Berechnung gebracht. Verwendet wurde em 8 Kanal
EEG unipolar. Die Kanalanordnung war:
1. Kanal : frontal re
2. Kanal : frontal ii
3. Kanal : temporal re
4. Kanal : temporal Ii
5. Kanal okzipital re
6. Kanal okzipiral Ii
7. Kanal zentrozentral re
8. Kanal zentrozentral Ii
Unter den Probanden waren hochmusikalische, zum Teil
auch mit absolutem Gehör, geschulte, ausübende Musiker
(Dirigenten, Komponisten und Instrumentalsolisten) und
Menschen, die nach ihren Angaben vOllig unmusikalisch
waren und auch keinerlei Interesse an Musik hatten. Die
Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen uiid, wie
immer, bringen neue Erkenntnisse wieder neue, ungelOste
Fragen.
Aber etwas scheint man doch schon aussagen zu können:
1. Bei musikalischen Personen, vor allem bei soichen mit
absolutem Gehör, finden sich in den Ableitungen sehr hohe
Amplituden und niedrige Frequenzen.
Siehe Abb. 1 a: es handelt sich urn einen ausübenden Dingenten mit höchsten theoretischen Musikkenntnissen und
absolutem Gehör. Man sieht die hohe Amplitude mit niederer Frequenz. Von Bedeutung sind bei diesen Untersuchungen vorwiegend die Ergebnisse der Kanäle 1—4, also die
Ableitung der frontalen und temporalen Lappen.
2. Bei fehiender Musikalitat ist eine niedrige Amplitude bei
hoher Frequenz festzustellen, urn so mehr, je weniger den
Probanden die Musik beriihrt.
Abb. 1 b: vollig unmusikalische und musikuninteressierte
Versuchsperson.
3. Wenn musikalische Personen, vor allem Berufsmusiker,
aufgefordert werden, die Musik zu analysieren, also nicht
emotionell auf sich wirken zu lassen, sondern sich mit ihrer
Struktur (Aufbau, Melodie, Rhythmus) zu beschaftigen,
dann sinkt die Amplitude ab, fast wie bei unmusikalischen
Probanden, aber die Frequenz steigert sich nicht.
Abb. 1 C: man sieht bei diesen sehr musikalischen Priiflingen, die die Emotionen unterdrücken, die geringen Ausschiage bei gleichbleibend langsamer Frequenz.
Es ist uns vOllig kiar, daf diese Aussagen nicht zu voreiligen
Schlüssen fOhren dürfen. Weitere analytische tiberlegungen
führten dazu, die Auswertung der einzelnen EEG-Kurven in
Zehnerschritten zusammenzufassen. Wenn man die
SOmalige Sendung der Tonfolge auf je 5 Zehnergruppen
zusammenzieht und miteinander vergleicht, dürften rele-
N. Hibler, K. Wallner: 1st Musikempfindung me$bar?
vante Beziehungen zum emotionellen Erleben zu erkennen
sein. D. h. die Musikempfindungen, die wahrend der Darbietung mittels eines nachher ausgefullten Fragebogens fest-
gehalten wurden, wiederspiegein sich in den Kurven.
(Arnplitudenhöhe und Frequenz).
R. Brix (3) aus der 2. Univ. HNO-Wien arbeitet an diesen
Problemen in ahnlicher Weise und konnte sehr eindrucksvoIle Kurven zeigen, die entstehen, wenn sich die Proban-
den eine rnusikalische Tonfolge vorstellen, ohne daf sie
ihnen zu Gehör gebraCht wurde. Viele Wege führen nach
Rom und neue werden gesuCht und erforscht werden. Das
Ziel ware, daf. jemand ankommt.
Literatur
(1) Arnold, G.E., R. Luchsinger:
Handbuch der Stimm- und Sprachheilkunde, Bd. 2: Die Sprache und ihre
Storungen. Springer Verlag Wien/New
York 1970
(2) Borchgrevink, H. Prosody and
musical rhyrhm are controlled by the
speech hemisphere (Vortrag, gehalten
am 9.8. 1980 beim 3. Workshop on
Physical and Neuropsychological
foundations of music beim Karinthischen Summer in Ossiach in Osterreich
(3) Brix, R.: EEG-Untersuchungen
während der Vorstellung von musikalischen Stücken durch den Probanden:
Vortrag, gehalten am 9. 8. 1980 beim
Karinth. Summer in Ossiach (Osterreich)
(4) Clynes, M.: Expressly brain codes
common to emotion, music and dance
(Vortrag, gehalten am 8. 8. 1980 beim
Kar. Summer in Ossiach (Osterreich)
(5) Eccles, J. C.: Das Gehirn des Menschen (R. Piper u. Co., Verlag München/Zürich 1976
(6) Eckel, K.: Der Anteil der Sinnesphysiologic an der menschlichen Hoewelt in: Harrer G.: Grundlagen der
Musikeherapie und Musikphysiologie.
G. Fischer Verlag, Stuttgart, 1975
(7) Geschwind, N. und Levitsky, W.:
Human brain: leftright Asymetries in
Temporal Speech Region (Science 161
(1968) 186—87
(8) Harrer, G.: Grundlagen der Musikrherapie und Musikphysiologie. G.
Fischer-Verlag, Stuttgart 1975
Ders.: Musiktherapie, Therapiewoche
27)1977)
Ders. u. H. Harrer: Schallwellen — die
Grundlagen dee ungleichen Geschwi-
wee Musik und Lrm. Musik und Medizin 4(1975)
Dies.: Die Trommel — das Trommelfell
(Der Einflug der Akustik auf die Biorhythmen) W. Med. Wochschr. 128/
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Dies.: Musik und Bewegung (Musiktherapie, Ztschr, für die musiktherap.
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Dies.: Musik, Emotion und Vegetativum. W. Med. Wochschr. 116/45
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Dies.: ((her den Srellenwert neurophysiologischer Untersuchungsergebnisse
für die Musiktherapie (Musica) 33
(1979) 544—47
Dies. und A. Mayr: Mensch und Musik, Festschrift für Herbert v. Karajan,
Otto Miller-Verlag, Salzburg (1979)
(9) Petsche, H.: Wahrnehmung von
Strukturen in der Musik (Vortrag, gehalten am 8.4. 1980 beim Ostersymposion der Karajanstifrung)
(10) Pfeifer, R. A.: Pathologic der
HOrstrahlung und der cortikalen 1-lOrsphare. Handbuch Neurologie, (Bumke und FOrster) 6,533, Berlin J. Springer-Verlag (1936)
(11) Revers, W. J.: Das Musikerlebnis,
eine Schrift der H. v. Karajanstiftung,
Econ-Verlag, Düsseldorf-Wien (1970)
(12) Révész, G.: Uber musikalische Begabung. 6. Kongrel( experimentelle
Psychologie, GOttingen (1914)
(13) Röderer, J.: Vortrag beim W. Sh.
on physical and neuropsychological
foundation of music vom 8—12. 8.
1980 Ossiach (Osterreich)
(14) Scheidt, W.: Du mir Leib und
Seele, Ullstein Verlag, Wien (1950)
(15) Shanon, B.: Lateralisations effects
in musical decision tasks, (Vortrag, gehalten am 9.8. 1980 beim Kar. Summer Ossiach (Osterreich)
(16) Ranke, 0. F., H. Lullies: Gehör,
Stimme, Sprache. Springer Verlag Heidelberg (1953)
(17) Keidel, W. D.: Physiologic des
lnnenohres, sowie Anatomic und Elektrophysiologie der zentralen, akustischen Bahnen. In: Berendes/Link/
Zöllner: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Bd. III, T. 3, Georg Thieme Verlag
Stuttgart (1966)
Anschrift: Prim, a. D. Prof. Dr. Norbert Hibler,
Viktor Keldorferstr. 5
A-6020 Salzburg
Karin Wallner
Univ. Salzburg, psycholog. Institut
Akademiestr. 24
A-6020 Sa!zburg
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