Staat und Wirtschaft - Bundeszentrale für politische Bildung

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Informationen
294
zur politischen Bildung
Neudruck 2009
Staat und Wirtschaft
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Staat und Wirtschaft
Inhalt
Wirtschaftspolitik
und gesellschaftliche Grundwerte
Wirtschaftspolitisch handeln
heißt, eine Wahl treffen
Grundwerte und Verfahrensregeln
Individualismus als Methode und Norm
4
4
4
10
Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat
12
Akteure der Wirtschaftspolitik
20
Ziele und Instrumente
27
Rolle des Marktes
Funktionen des Staates
Einschränkungen des Marktes
Grenzen des Staates
Nationale Akteure
Internationale Organisationen
Supranationale Institutionen
Zielbeziehungen
Wirtschaftspolitische Instrumente
Ziel-Mittel-Systerne
Konzeption Soziale Marktwirtschaft
12
12
15
18
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26
26
28
28
30
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Durchführung der Wirtschaftspolitik
34
Staatliche Handlungsfelder
in einer Marktwirtschaft
39
Glossar
56
Literaturhinweise und Internetadressen
57
Diagnose
Prognose
Erfolgskontrolle
Regeln und freies Ermessen
Ordnungs- und Prozesspolitik
Wettbewerbspolitik
Konjunkturpolitik
Wachstumspolitik
Sozialpolitik
Umweltpolitik
Außenwirtschaftspolitik
Europäische Wirtschaftspolitik
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Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
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Editorial
„So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ – diese Aussage Karl Schillers, Bundeswirtschaftsminister von 1966 bis 1972, verweist auf
ein Spannungsverhältnis, das bis heute die Wirtschaftswissenschaften, aber auch Politik und Öffentlichkeit beschäftigt. Wie viel Einfluss soll der
Staat auf die Wirtschaft, den Markt, nehmen, wie
hoch darf der Anteil der staatlichen Aktivitäten in
der Volkswirtschaft sein? Die Aufgabenverteilung
zwischen Markt und Staat ist umstritten und wird
je nach politischem und ökonomischem Standpunkt und von Land zu Land unterschiedlich beantwortet.
Konsens besteht allerdings darüber, dass der
Markt allein nicht in der Lage ist, öffentliche Güter
wie Bildung, Gesundheit und eine intakte Umwelt
im notwendigen Umfang zu gewährleisten. Auch
deshalb entstand in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 das Modell der Sozialen Marktwirtschaft, die das Prinzip des freien Marktes mit
dem des sozialen Ausgleichs verknüpft. Sie hat in
erheblichem Maße zur politischen Stabilität der
Bundesrepublik beigetragen. Nach dieser Konzeption setzt der Staat den ordnungspolitischen
Rahmen, beispielsweise für einen funktionsfähigen Wettbewerb, und bemüht sich durch seine
Wirtschaftspolitik, konjunkturelle Schwankungen
auszugleichen und unsoziale Auswüchse einzudämmen. Er gestaltet so die ökonomischen und
sozialen Lebensbedingungen seiner Bürgerinnen
und Bürger mit. Lange Zeit entsprach er damit ihren Erwartungen.
Die Entwicklungen in den letzten Jahren haben
allerdings die Skepsis verstärkt, ob der Nationalstaat
die Menschen vor den Auswirkungen einer wettbewerbsorientierten, immer stärker international
verflochtenen Weltwirtschaft zu schützen vermag.
Denn die nationalstaatliche Wirtschaftspolitik verliert gegenüber diesen Globalisierungstendenzen
zunehmend ihre Steuerungsfähigkeit. Auch haben die Mitgliedstaaten der
Europäischen Union wichtige wirtschaftspolitische
Aufgaben auf die supranationale Ebene übertragen.
Die EU setzt sich in ihrem
Wirtschaftsraum für Wettbewerb, Angleichung und Fortschritt ein und greift
auch schon einmal in innerstaatliche Strukturen ein,
wenn die nationalen Regierungen gegen EU-Recht
verstoßen. So hat Brüssel die spanische Regierung
im Fall des Energieversorgers Endesa wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens vor dem Europäischen
Gerichtshof in Straßburg verklagt. Gleiches droht der
Bundesregierung, die bei der Umsetzung des Hochgeschwindigkeitsnetzes VDSL nach Meinung der EUKommission einseitig die Telekom bevorzugt.
Wie Wirtschaftspolitik grundsätzlich funktioniert
und mit welchen Maßnahmen sie auf die zunehmenden Herausforderungen reagieren kann, wird
im vorliegenden Heft behandelt. Ausgangspunkt
und Basis wirtschaftspolitischen Handelns sind die
gesellschaftlichen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt, die für das demokratische System der Bundesrepublik konstitutiv sind
und von einem breiten gesellschaftlichen Konsens
getragen werden. Diese Werte beziehen sich auf die
Individuen, deren Interessen und selbstbestimmtes
wirtschaftliches Handeln gefördert werden sollen.
Die nationalstaatlichen Akteure wie Parlament,
Regierung und Verwaltung werden wirtschaftspolitisch tätig, in dem sie – basierend auf den gesellschaftlichen Grundwerten – wirtschaftspolitische
Ziele festsetzen und die Instrumente auswählen, die
geeignet sind, sie zu erreichen. In welchen konkreten
Handlungsfeldern der Staat aktive Wirtschaftspolitik betreibt, zeigt das letzte Kapitel.
Jutta Klaeren
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
4
Staat und Wirtschaft
Wirtschaftspolitik und
gesellschaftliche Grundwerte
Hans-Jürgen Schlösser
Die Wirtschaftspolitik sollte sich stets an gesellschaftlichen Grundwerten
wie Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt orientieren. Nicht immer sind jedoch diese Werte völlig konfliktfrei miteinander vereinbar.
Wirtschaftspolitisch handeln
heißt, eine Wahl treffen
Grundwerte und Verfahrensregeln
In freiheitlichen und demokratischen Gesellschaften
schreibt der Staat den einzelnen Bürgerinnen und
Bürgern keine individuellen Werte vor: Wie ein
„richtiges“ und „gutes“ Leben zu gestalten ist, dürfen
sie jeweils für sich selbst entscheiden. Stattdessen
beschränkt sich die Politik auf Regeln und Grundwerte, zu denen in der Gesellschaft allgemeine Zustimmung herrscht. Jede Gesellschaft braucht eine
Volkmar Schulz / Keystone
Stellen wir uns einen Gemeinderat vor, der 250 000
Euro zur Verfügung hat und darüber beschließen
muss, wofür er sie ausgibt. Soll die Schule ausgebaut
oder besser ein neues Feuerwehrauto angeschafft
werden? Wäre vielleicht die Erschließung eines Gewerbegebiets wichtiger? Oder die Ausweisung eines
Naturschutzgebietes?
Die Geldsumme kann nur einmal ausgegeben
werden, und wer auswählt, wozu die Gelder verwendet werden sollen, muss auch die Alternativen
in miserablem Zustand befindet. Dann bringt ein
weiteres Feuerwehrauto keinen großen Zuwachs an
Sicherheit, aber der Ausbau der maroden Schule fördert die Bildungsmöglichkeiten in der Gemeinde. Jeder Wahlentscheidung liegt demnach eine Wertung
zugrunde, und die Wirtschaftspolitik orientiert sich
dabei an gesellschaftlichen Grundwerten.
bewerten. Gegenstand der Bewertung sind nicht die
verfügbaren Mittel wie Geld oder Boden, sondern
Ziele: Bildung (Schule), Sicherheit (Feuerwehr), Einkommen (Gewerbegebiet) oder Umweltschutz. Wird
die Feuerwehr ausgebaut, um mehr Sicherheit zu gewinnen, so können nicht gleichzeitig die Bildungsmöglichkeiten für die Kinder verbessert werden.
Entscheidet man sich für das eine, so muss man auf
das andere verzichten.
Ist Sicherheit wichtiger als Bildung? Die Antwort
könnte davon abhängen, ob die Feuerwehr vielleicht
schon gut ausgestattet ist, während sich die Schule
Jörg Lantelmé, Kassel
Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Ist Sicherheit wichtiger ...
...als Bildung? Feuerwehreinsatz in Wedel (l.) und Schule bei Kassel (r.)
derartige Übereinstimmung über Grundwerte, sonst
verliert sie ihre Stabilität, und ohne einen solchen
„Konsens“ kann Politik das gesellschaftliche Zusammenleben nicht gestalten.
Für die Wirtschaftspolitik spielen folgende gesellschaftliche Grundwerte eine besondere Rolle:
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte
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Freiheit,
Gerechtigkeit,
Sicherheit,
Fortschritt.
Freiheit
Freiheit bedeutet, dass der Einzelne sein Leben selbst
gestalten, nach seinem Willen und in frei verantworteter, eigener Entscheidung nach Glück und Erfolg
streben kann. Zur Freiheit gehören allerdings auch
die Möglichkeit zu scheitern und die Pflicht, die Folgen des Scheiterns selbst zu tragen und zu verantworten, soweit der Einzelne dazu in der Lage ist.
Werturteile in Wissenschaft und Politik
Gesellschaftliche Grundwerte finden sich zum Beispiel im Grundgesetz, in Gesetzestexten, in politischen Programmen sowie in Reden von Parlamentariern, Regierungsvertretern oder anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Grundwerte stellen Werturteile dar und unterscheiden sich damit von Sachurteilen:
-
Die Wirtschaftswissenschaftler früherer Jahrhunderte haben Sachund Werturteile vermischt: Sie beschrieben die Realität, stellten
Theorien über ökonomische Zusammenhänge auf (= Sachurteile)
und gaben gleichzeitig Empfehlungen zur Gestaltung der Wirtschaft (= Werturteile). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhob der
deutsche Soziologe und Philosoph Max Weber (1864-1920) dagegen die Forderung, Sachurteile und Werturteile zu trennen.
Nach seiner Ansicht kann Wissenschaft nicht vorgeben, was getan
werden soll, sondern nur aufzeigen, welche Mittel zur Verwirklichung welcher Ziele taugen. Werturteile bleiben der Politik vorbehalten, die entscheiden muss, welche Ziele angestrebt werden
sollen. Wenn es zum Beispiel einen Konflikt zwischen den Zielen
Vollbeschäftigung und Preisstabilität gibt, dann muss die Politik
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Da individuelles Handeln Konsequenzen für andere haben kann, beschränkt die Ausübung der Freiheit
des einen möglicherweise die Freiheit von anderen.
In allen Gesellschaften, für die Freiheit ein Grundwert ist, entstehen daraus immer wieder Interessengegensätze. Artikel 2 Grundgesetz (GG) lautet daher:
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer
verletzt…“
Eine Möglichkeit, solchen Verletzungen der Rechte
anderer vorzubeugen, besteht darin, Persönlichkeitsfestlegen, welches Ziel in der gegebenen Situation als wichtiger anzusehen ist. Die Wissenschaft kann die
Politik dabei auf der Grundlage der
jeweils vorgenommenen Bewertung
beraten.
Heute hat sich Max Webers Auffassung weitgehend durchgesetzt,
wenngleich sie nie gänzlich unumstritten geblieben ist. Das liegt auch
daran, dass es im konkreten Einzelfall
keineswegs einfach ist, Wert- und
Sachurteile
auseinanderzuhalten. Max Weber, 1918
Dies ist aber sehr wichtig, wenn
man zum Beispiel versteckte Beeinflussung, also Manipulation, erkennen will: Wer Werturteile als Sachurteile „tarnt“, erweckt den
Eindruck, eine Aussage sei wissenschaftlich begründet und daher
„objektiv wahr“, obwohl es sich tatsächlich um ein Werturteil handelt, das man teilen mag oder auch nicht. Es muss erkennbar sein,
welche Aussagen Werturteile und welche Sachurteile sind. Dies ist
die Forderung nach „Werttransparenz“. Zum Beispiel könnte sich
hinter der Aussage, der internationale Handel gefährde Arbeitsplätze in Deutschland und müsse deshalb beschränkt werden, ein
Werturteil zugunsten von nationaler Autarkie verstecken, die einer
modernen, arbeitsteiligen Weltwirtschaft nicht angemessen ist.
Das Werturteil würde so durch eine scheinbar ökonomische Sachaussage getarnt.
picture-alliance / akg-images
Genauso wichtig sind die Prinzipien Demokratie und Rationalität. Sie geben vor,
wie in der Wirtschaftspolitik verfahren
wird: Entscheidungen sollen auf demokratische Weise zustande kommen und von
der Vernunft geleitet sein. Es handelt sich
daher um „Verfahrensnormen“.
Die gesellschaftlichen Grundwerte können als Oberziele jeder Politik angesehen
werden. Wirtschaftspolitik und wirtschaftspolitische Ziele im engeren Sinne
– wie zum Beispiel Vollbeschäftigung und
Preisstabilität – dienen letztlich dazu, diese gesellschaftlichen Grundwerte zu verwirklichen.
Hans-Jürgen Schlösser
6
Staat und Wirtschaft
beinhalten, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu grillen
oder laute Musik zu hören?
Ein wesentlicher Bereich der Wirtschaftspolitik,
die „Ordnungspolitik“, befasst sich daher mit der
Ausgestaltung von Eigentumsrechten und Institutionen, die entsprechende Probleme des wirtschaftlichen Zusammenlebens behandeln. Beispiele dafür
sind Regelungen zum Schutz des Privateigentums
und seiner sozialen Bindung, die Gewährung von
Autonomierechten wie der Tarifautonomie am Arbeitsmarkt und die Wettbewerbspolitik mit ihrem
Kartellverbot. In allen diesen Fällen geht es darum,
die „Spielregeln“ für das Wirtschaftsleben entsprechend den Grundwerten und den Zielen der Wirtschaftspolitik festzulegen.
Häufig wird Freiheit auch negativ definiert, als
Abwesenheit von unangemessenen Zwängen. Wir
sprechen dann von „formaler“ Freiheit.
Ein Beispiel ist die Reisefreiheit, die
in der DDR stark beschränkt war – die
Menschen durften nicht nach eigenem
Willen ausreisen. Mit dem Fall der Mauer erhielten die DDR-Bürgerinnen und
-Bürger dann Reisefreiheit als formale
Freiheit. Diejenigen, denen die Mittel für
Reisen fehlten, mussten aber trotz formaler Reisefreiheit im Land bleiben. Die
Freiheit, seinen Entschluss auch umsetzen zu können, nennt sich im Gegenzug
„materiale“ Freiheit.
In freiheitlichen Gesellschaften ist unbestritten, dass der Staat formale Freiheit garantieren muss. Aber ist er auch
verpflichtet, die materiale Freiheit zu
gewährleisten? Oder anders gesagt: Ist
Freiheit nur dann etwas wert, wenn man
sie auch nutzen kann? Gegen das Argument, eine formale Freiheit, die man
nicht wahrnehmen könne oder wolle,
Reisefreiheit wünschten sich die Teilnehmer der Protest-Kundgebung in Ost-Berlin am sei nicht viel wert, lässt sich vorbringen,
dass sich eine staatliche Garantie materi4. November 1989, bei der 750 000 Menschen für Reformen demonstrierten.
aler Freiheit nicht einlösen lässt. Andernfalls müsste der Staat seine Bürgerinnen und Bürger
Die Wirtschaftspolitik berührt dieses fundamenbevormunden, indem er festlegt, welche Wünsche
tale Eigentumsrecht an Leib und Leben nicht, denn
es wert sind, verwirklicht zu werden, und welche
sie tötet und verletzt niemanden direkt. Allerdings
nicht. Solche Fragen spielen in der Sozialpolitik eine
kann beispielsweise eine Wirtschaftspolitik, die Arwichtige Rolle, zum Beispiel bei der Bemessung der
mut erzeugt, indirekt zur Gefährdung von Leib und
Sozialhilfe. Diese soll das Existenzminimum und
Leben führen. Viele wirtschaftspolitische Probleme
die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Sinne
gehen vielmehr darauf zurück, dass andere Eigentumsrechte fehlen oder fehlerhaft ausgestaltet sind. materialer Freiheit gewährleisten. Dafür ist es allerdings unvermeidlich, dass der Staat bestimmt, wie
Ein Beispiel dafür ist das Verfügungsrecht über die
sich der Warenkorb zusammensetzt, dessen Konsum
Umwelt. Wenn keine Eigentumsrechte definiert
den Sozialhilfeempfängern ermöglicht werden soll.
sind, kann jeder die natürlichen Ressourcen nach
Bedeutsam für die Ausrichtung der WirtschaftspoBelieben (über)nutzen. Belastet ein Haushalt oder
litik ist auch, ob Freiheit als Selbstzweck angesehen
ein Unternehmen beispielsweise die Luft, die „niewird. Wird jemand, der gar nicht ins Ausland reisen
mandem gehört“, hat das letztlich negative Konsewill, durch ein Reiseverbot schlechter gestellt? Wird
quenzen für andere.
jemand, der sich keine Reise leisten kann, durch die
Weitere Beispiele lassen sich im Alltag beobachReisefreiheit besser gestellt?
ten: Jemand, der einen Balkon oder einen Garten
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das in
besitzt, sollte die Freiheit, also das Eigentumsrecht,
Deutschland kontrovers diskutiert wurde, erlaubt,
haben, ihn nach eigenem Willen zu benutzen und
dass in Deutschland Bier angeboten werden darf,
andere davon auszuschließen, wenn er das möchte.
welches nicht nach dem Reinheitsgebot von 1516 geAber sollte dieses Eigentumsrecht auch die Freiheit
ullstein – dpa
und Eigentumsrechte festzulegen und abzugrenzen.
Dazu gehören zum Beispiel das Recht darauf, nicht
durch Umweltverschmutzung und Lärm gefährdet
oder belästigt zu werden, das Recht, andere vom
Gebrauch fremden Eigentums auszuschließen, aber
auch das Recht auf Sozialleistungen und auf die
Teilnahme an politischen Wahlen. Eigentumsrechte
eröffnen somit Handlungsmöglichkeiten und schützen vor Übergriffen. Sie werden durch Gesetze und
Rechtsprechung gestützt und gesichert, aber auch
durch Sitten und Gewohnheiten.
Das wichtigste Eigentumsrecht ist das Recht auf
Leib und Leben. Es jemandem zu rauben, gilt als das
schwerste Verbrechen überhaupt. In Artikel 2 GG
heißt es daher weiter: „Jeder hat das Recht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich“.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte
braut worden ist. Dies war bis dahin untersagt. Nach
einem entsprechenden Urteil, das in Italien für Aufregung sorgte, dürfen dort auch Spaghetti verkauft
werden, die nicht aus Hartweizengries bestehen.
Deutsche und Italiener, die kein ausländisches Bier
oder ausländische Nudeln kaufen wollen, könnten
einwenden, dass ihnen die Freiheiten, welche die
Urteile eröffnen, nichts wert sind, weil sie diese gar
nicht nutzen wollen. Jemand, der Freiheit als Wert an
sich ansieht, wird jedoch eine zusätzliche Möglichkeit immer als Gewinn ansehen, unabhängig davon,
ob er sie in Anspruch nimmt oder nicht.
7
keit stellt Artikel 6 der 1789 von der französischen
Nationalversammlung beschlossenen Erklärung der
Menschen- und Bürgerrechte dar: „Das Gesetz ist der
Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter
an seiner Schaffung mitzuwirken. Es muss für alle
gleich sein, mag es nun beschützen oder bestrafen.
Alle Bürger sind vor seinen Augen gleich. Sie sind in
der gleichen Weise zu allen Würden, Stellungen und
öffentlichen Ämtern zugelassen, je nach ihrer Fähigkeit und ohne andere Unterschiede als ihre Tüchtigkeit und Begabung.“
Jeder Einzelne hat sich in seinem Leben gewiss schon
einmal ungerecht behandelt gefühlt, sei es in der
Schule, von Freunden, am Arbeitsplatz, von den Eltern – besonders Geschwister kennen das Gefühl.
Offensichtlich gibt es eine Neigung, also eine „Präferenz“ für Fairness. Und Menschen sind auch dazu bereit, Opfer zu bringen, um Gerechtigkeit zu erlangen.
Die experimentelle Wirtschaftswissenschaft hat
in den letzten Jahren gezeigt, dass Menschen durchaus ein niedrigeres Einkommen einem höheren
Einkommen vorziehen, wenn sie dafür das Gefühl
haben, gerecht behandelt zu werden. Es konnte
nachgewiesen werden, dass Versuchspersonen, denen Geldzahlungen in Aussicht gestellt wurden,
zufriedener waren, wenn die Verteilung der Gelder
auf die verschiedenen Teilnehmer des Experiments
aus ihrer Sicht gerecht erfolgte. Versuchspersonen,
die höhere Zahlungen erhielten, sich aber gegenüber anderen Personen benachteiligt fühlten, waren
dagegen trotzdem unzufrieden.
Ungerechtigkeit lässt aber nicht allein persönliche
Verbitterung aufkommen, sondern sie führt auch
dazu, dass die Gesellschaft insgesamt ihre Stabilität
und ihren Zusammenhalt verliert. Daher gehört Gerechtigkeit zu den gesellschaftlichen Grundwerten,
und die Wirtschaftspolitik soll nach Gerechtigkeit
streben.
Gerechtigkeit hängt zugleich eng mit Gleichheit
zusammen, Ungerechtigkeit beinhaltet immer Ungleichheit; Ungleichheit muss aber umgekehrt nicht
immer Ungerechtigkeit bedeuten. Wie beim Grundwert Freiheit zwischen materialer und formaler Freiheit unterschieden wird, so lässt sich auch beim
Grundwert Gerechtigkeit eine Unterscheidung treffen.
Bei der Verfahrensgerechtigkeit geht es darum,
dass gleiches Verhalten gleich behandelt werden
muss. Die wichtigste Ausprägung der Verfahrensgerechtigkeit ist die Gleichheit vor dem Gesetz, das
für ausnahmslos alle gilt. Das versteht man unter
Rechtsstaatlichkeit. Niemand darf schlechter behandelt werden als ein anderer, der das Gleiche tut
und anstrebt – eben dies bedeutet das Verbot von
„Diskriminierung“. Verhaltensgerechtigkeit meint
damit auch: gleiche formale Freiheit für alle. Es geht
um einen moralischen Maßstab, um eine „Norm“
zur Beurteilung des Verhaltens gegenüber anderen.
Ein historisches Beispiel für VerfahrensgerechtigInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / akg-images
Gerechtigkeit
Zeugnis für eine gerechtere Gesellschaft: die französische Menschenund Bürgerrechtserklärung von 1789, zeitgenössisches Gemälde
Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es indessen
um eine Norm zur Beurteilung von gesellschaftlichen
Stellungen, zum Beispiel eine gerechte Verteilung von
Einkommen und Besitz zwischen Personen und Gruppen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Wahrnehmung von Rechten, die für alle gleich sind, nicht für
alle zu gleichen wirtschaftlichen Ergebnissen führt.
Folglich steht die Verteilungsgerechtigkeit in einem
Zusammenhang mit der materialen Freiheit.
So hat auch die Gerechtigkeit zwei Dimensionen:
eine Verfahrensdimension und eine Verteilungsdimension. Führt Gleichbehandlung zu ungleichen
wirtschaftlichen Ergebnissen, dann erfordert die Angleichung der wirtschaftlichen Ergebnisse durch die
Wirtschaftspolitik ein Abweichen von der Gleichbehandlung. Ein Beispiel dafür stellt die Förderung
wirtschaftlich schwacher Regionen durch die deutsche und die europäische Strukturpolitik dar. Unternehmen, die in solchen Regionen tätig sind, erhalten
Beihilfen und Vergünstigungen, andere Unternehmen dagegen nicht. Die Ungleichbehandlung hat
also die Angleichung der wirtschaftlichen Ergebnisse zum Ziel.
8
Staat und Wirtschaft
Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit können in Konflikt geraten, und damit auch
die Grundwerte Gerechtigkeit und Freiheit. Lassen
sich keine Kompromisse finden, so wird der Konflikt
zum Dilemma der Wirtschaftspolitik: Sie ist dann in
der Zwangslage, zwischen zwei gleichermaßen ungewollten Ergebnissen wählen zu müssen.
In der Wirtschaftspolitik stellt die Steuerpolitik
einen Bereich dar, bei dem der Grundwert Gerechtigkeit eine große Rolle spielt. Was ist ein gerechtes
Steuersystem? Ein sehr einfaches, das jeder verstehen kann? Dafür spricht, dass ein Steuersystem
nicht gerecht ist, wenn es von einem großen Teil
der Steuerpflichtigen, die keine Spezialkenntnisse
haben und sich keine Steuerberatung leisten können, nicht verstanden wird. Ein einfaches Steuersystem behandelt alle gleich, denn es enthält kaum
Ausnahmeregelungen. Aber dann kann es nicht
auf die verschiedenen wirtschaftlichen Lagen der
Neue Diskussion um Gerechtigkeit
Würden wir Josef Ackermann, den Chef der Deutschen Bank, sympathischer finden, wenn er dieses Jahr statt 11,9 Millionen Euro
nur, sagen wir, neun Millionen bekäme? Oder drei? Wäre das dann
gerecht? Angemessen?
Die Leipziger Maler Neo Rauch und Matthias Weischer, derzeit Lieblinge des Kunstmarkts, bekommen für ihre Bilder bis zu 400 000
beziehungsweise 300 000 Euro. Ihre Galeriekollegen freuen sich
über ein Zehntel solcher Preise. Ist das gerecht?
Worüber wir uns empören, ist nicht Ungleichheit per se. Unter bestimmten Umständen wird in einer Gesellschaft selbst wachsende
Ungleichheit hingenommen, wie wir aus den Anfangsjahren der
Bundesrepublik wissen. Um zu verstehen, was den Glutkern der
Empörung der heutigen Gerechtigkeitsdebatten ausmacht, ist es
hilfreich, sich an die Theorie der Gerechtigkeit des amerikanischen
Denkers John Rawls zu halten. Sein berühmtes „Differenzprinzip“
erklärt, unter welchen Bedingungen soziale Ungleichheit als legitim betrachtet wird – nämlich dann, wenn sie am Ende auch den
am schlechtesten Gestellten nutzt. „Diejenigen, die mehr Vorteile
haben“, schreibt Rawls, „müssen das vor denen, die die geringsten
Vorteile haben, rechtfertigen können.“
Der Frankfurter Philosoph Rainer Forst nennt das „Rechtfertigungsgleichheit“. Ebendiese Gleichheit aber wird verletzt, wenn
sich heute jene, die mehr beanspruchen, nicht mehr vor denen
rechtfertigen können (und wollen), die weniger haben.
Solange die Ordnung der Bundesrepublik durch den „Fahrstuhleffekt“ der Wachstumsraten im Ganzen auf immer höhere Niveaus
gehoben wurde, war Ungleichheit kein Problem. Sie wurde in den
ritualisierten Kämpfen der Sozialpartner bearbeitet, in denen dafür gesorgt wurde, dass es auch „den am schlechtesten Gestellten“ kontinuierlich besser ging und die Lebensverhältnisse sich
anglichen.
Das ist vorbei. [...] Welche Gruppe als die „am schlechtesten gestellte“ erscheint, hängt von dem Gut ab, um dessen Verteilung
es jeweils geht. In erster Linie denkt man heute natürlich an die
Langzeitarbeitslosen. Aber auch Hauptschüler ohne Chance auf
eine Berufsausbildung, junge Leute in prekären Zeitvertragsjobs,
ewige Praktikanten ohne Aussicht auf Festanstellung, alleinerziehende Mütter, kinderreiche Familien, am Arbeitsmarkt diskriminierte Migranten, Alte, Kranke und künftige Generationen können
Einzelnen eingehen. Versucht die Steuerpolitik, die
je unterschiedliche wirtschaftliche Lage der vielen
Bürgerinnen und Bürger hingegen zu berücksichtigen, dann kann das Steuersystem so kompliziert
werden, dass es nur noch von wenigen verstanden
wird, und wer geschickt ist, findet viele Schlupflöcher und Tricks. Das Gleiche gilt auch für das Sozialsystem, zum Beispiel für die wirtschaftliche Unterstützung von In der Steuerpolitik spielt
in Armut geratenen Menschen. der Grundwert GerechtigSollen die unterschiedlichsten keit eine wichtige Rolle
Notlagen, in welche Menschen
geraten können, in der Sozialpolitik berücksichtigt
werden, dann kann das System so kompliziert werden, dass die Betroffenen, für die es gemacht ist, es
nicht mehr verstehen. Mit einem komplizierten Sozialsystem entstehen Spielräume für Missbrauch.
Ein sehr einfaches Sozialsystem wiederum ist nicht
in der Lage, spezielle Notlagen zu berücksichtigen.
jeweils als der benachteiligte Part der gesellschaftlichen Verteilungskämpfe erscheinen.
Dabei liegen die Interessen der neuen Ausgeschlossenen zum Teil
nicht nur quer zu denen, die sich heute bei den großen Sozialkonflikten durchsetzen. Sie liegen sogar oft im Konflikt miteinander.
Was dem Arbeitsplatzbesitzer nutzt, kann den Ausschluss des Arbeitssuchenden vom Jobmarkt zementieren. Was heute den Rentnern zugute kommt, wird künftigen Generationen fehlen.
An den neuen Konfliktlinien hat sich eine Fülle von neuen Gerechtigkeitsbegriffen gebildet. Die Leerformel „soziale Gerechtigkeit“
wird ausdifferenziert in Chancengerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Risikogerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Familiengerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit und so fort. In einer komplexen Gesellschaft
gibt es viele Sphären der Gerechtigkeit, die nach ihrer eigenen
Logik funktionieren. So wird die zunehmende Spaltung durch
neue Konflikte überlagert, die nicht mehr nach dem Schema „Ihr
da oben, wir hier unten“ funktionieren, sondern nach dem Muster
von Einschluss und Ausschluss – Insider gegen Outsider.
Unzureichende Grundfertigkeiten, lebenslanges Lernen: Es sind
kulturelle Faktoren, die aus Armut und Arbeitslosigkeit ein Leben
in Ausgrenzung machen, wie die neuere Sozialforschung zeigt.
Schlechte Bildung, fehlende Einbindung in soziale Netzwerke
wie Familie, Gemeinde und Nachbarschaft und eine mangelhafte
(Selbst-)Wertschätzung gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren. Wem es schwer fällt, Kontakt aufzubauen, wem es schwer
fällt, zu lernen und sich selbst darzustellen, der fällt dauerhaft aus
dem sozialen Leben.
Man spricht daher zu Recht von „Kulturen der Armut und der Abhängigkeit, des Bildungsmangels und der Unselbstständigkeit“
(Paul Nolte). Allein durch Umverteilung können die Kulturen der
Armut nicht aufgebrochen werden. Sie werden durch materielle
Alimentation oft erst recht verfestigt. [...]
Die Debatte darüber, was Gerechtigkeit in einer Gesellschaft der
Teilhaber bedeuten kann, hat gerade erst begonnen. Auch eine Gesellschaft wie unsere, die von Verteilungs- auf Teilhabegerechtigkeit umstellt, kommt ohne eine ständige Rechtfertigung nicht aus.
Am Ende kann es durchaus einen Plural von Gerechtigkeitssphären geben, nicht aber der Gerechtigkeit.
Jörg Lau, „Das Maß aller Dinge“, in: Die Zeit Nr. 14 vom 30. März 2006
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte
Sicherheit
Sicherheit ist ein gesellschaftlicher Grundwert, denn
ohne Sicherheit wäre die Gesellschaft ein „Kampf
aller gegen alle“. Die Gewährleistung von Sicherheit
und Frieden ist daher eine vordringliche staatliche
Aufgabe. Eine Bedrohung der Sicherheit geht von
Konflikten aus. Extreme Beispiele sind Kriege zwischen Staaten, Bürgerkriege und Terrorismus.
In der Wirtschaftspolitik geht es indessen nicht
um diese dramatischen Bedrohungen der Sicherheit, sondern um die Konflikte des wirtschaftlichen
Lebens. Nicht jeder kann sich durch die Bildung von
eigenem Vermögen vor den Risiken von Krankheit,
Alter oder Unglücksfällen schützen. Wenn der Staat
solchen Schutz bereitstellt, kann er aber auch missbraucht werden. Manch einer mag zum Beispiel
denken, er könne darauf verzichten, für seine eigene
Altersicherung zu sorgen, wenn andere im Notfall
dafür aufkommen.
Wirtschaftliche Sicherheit bedeutet, dass der Einzelne nicht mit der Zerstörung seiner wirtschaftlichen Grundlagen rechnen muss und sicher in die
Zukunft blicken kann, um sein Leben zu planen und
zu gestalten.
In der Wirtschaftspolitik unterscheiden wir drei
Formen von Risiken:
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
tigt zu halten, oder aber aus langwierigen Strukturkrisen, wenn Branchen oder Regionen einen
wirtschaftlichen Niedergang erleiden und nicht
genügend neues Wirtschaftswachstum entsteht,
um dies auszugleichen. In der Folge verlieren Arbeitskräfte ihre Beschäftigung und Unternehmen
gehen Bankrott.
Michael Ammann
Aber auch andere Bereiche der Wirtschaftspolitik,
zum Beispiel die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit
und Inflation oder die internationale Wirtschaftspolitik, berühren den Grundwert Gerechtigkeit. Dazu
zählen die Gerechtigkeit zwischen wirtschaftlichen
Gruppen, zum Beispiel Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen verschiedenen Ländern, zum Beispiel Entwicklungsländern und
Industrieländern, und schließlich
als „Intergenerative Gerechtigkeit“
zwischen den Generationen, zum
Beispiel im Hinblick auf den Abbau nicht erneuerbarer Rohstoffe.
Verteilungsgerechtigkeit bedeutet
im letzten Beispiel, dass die gegenwärtige Generation nicht „auf Kosten“ der zukünftigen leben darf. Sie
tut dies jedoch, wenn sie in der Gegenwart Rohstoffe verbraucht, die
deshalb in der Zukunft nicht mehr
zur Verfügung stehen. Verfahrensgerechtigkeit würde bedeuten,
dass gegenwärtige und zukünftige
Generationen gleich behandelt
werden. Die Verfahren finden aber
in der Gegenwart statt, und die zukünftigen Generationen sind dabei
nicht beteiligt.
9
-
Zusammen führen solche Risiken über die private
Vorsorge hinaus zu einem Bedarf an staatlicher Risikovorsorge. Unterschiedliche Auffassungen bestehen dabei darüber, welchen Umfang die Risikovorsorge durch den Staat haben sollte und inwieweit
der Einzelne für seine wirtschaftliche Sicherheit
selbst verantwortlich ist.
Vollkommene Sicherheit ließe sich nur in einer
gänzlich starren, unbeweglichen Volkswirtschaft
verwirklichen, denn jede neue Idee und jede Veränderung haben für irgendjemanden neue Unsicherheit zur Folge. Jedes neue Unternehmen, das in den
Wettbewerb eintritt, bringt wirtschaftliche Unsicherheit für die bestehenden Unternehmen. Selbst
das mittelalterliche Zunftsystem, das stark auf Sicherheit und den Ausschluss von Wettbewerbern
ausgerichtet war, blieb nicht frei von wirtschaftlichen Konflikten.
Zwar kann Sicherheit erhöht werden, indem die
Verhaltensspielräume für Einzelne und Gruppen
eingeschränkt werden, aber dann gerät Sicherheit
in Konflikt mit Freiheit. Auch die sozialistischen
Volkswirtschaften, zum Beispiel die der Sowjetunion oder der DDR, die Sicherheit hoch und Freiheit
niedrig bewertet haben, litten unter wirtschaftlichen Konflikten.
10
Staat und Wirtschaft
Fortschritt
Sven Döring / Visum
In den vergangenen Jahrhunderten wuchs das
menschliche Wissen über die Natur, die Technik, die
eigene Spezies und die Gesellschaft und fand vielfältige Anwendung. Diese Vermehrung und Anwendung von Wissen bezeichnet man als Fortschritt.
Er ist eine Voraussetzung für die Bekämpfung von
Armut und Krankheit und hat zu mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit geführt. Deshalb kann
Fortschritt selbst als ein gesellschaftlicher Grundwert angesehen werden, den die Wirtschaftspolitik
daher anstreben sollte.
Allerdings lässt sich die Frage stellen, ob Fortschritt
stets Fortschritt zum Besseren ist. Er enthält auch
die Möglichkeit von unvorhergesehenen Folgen und
Irrtum. Technische Entwicklungen können sich als
gefährlich erweisen oder missbraucht werden. Ein
Beispiel ist die Nutzung der Atomenergie.
Gewarnt sei also vor der Einschätzung, alle Probleme dieser Welt ließen sich durch Fortschritt, insbesondere technischen Fortschritt, lösen, zumal die
sittliche Entwicklung der Menschen nicht mit der
Wissensvermehrung gleichgezogen hat.
Wirtschaftlich schlägt sich Fortschritt in Form
neuer Produkte oder neuer Produktionsverfahren
nieder. Solche Neuerungen – von „Pionieren“ eingeführt – werden dann von anderen imitiert. So verän-
Daher ist Fortschritt auch Anlass für Konflikte. Die
Herkunft des Begriffs „Sabotage“ erinnert daran: In
der Frühzeit der Industrialisierung warfen französische Arbeiter ihre Holzschuhe, ihre sabots, in die
neuen Maschinen, durch die sie ihre Arbeitsplätze
gefährdet sahen, um so die Maschinen zu stoppen
und zu beschädigen. Fortschritt als Prozess der ständigen Erschaffung von Neuem und der Zerstörung
von Altem kann also in Konflikt mit dem Grundwert
Sicherheit geraten. Dabei sind die Chancen und Lasten einer Anpassung an den Wandel meist ungleich
verteilt. Daraus resultieren mögliche Konflikte mit
Gerechtigkeitszielen. Alle gesellschaftlichen Grundwerte zu verwirklichen und auch die möglichen
Konflikte zwischen ihnen zu lösen, ist eine äußerst
schwierige Aufgabe der Wirtschaftspolitik.
Individualismus als Methode und Norm
Methodologischer Individualismus
Ausgangspunkt für die Untersuchung des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist in der Volkswirtschaftslehre der einzelne Mensch, nicht „die Gesellschaft als Ganzes“. Nicht sie denkt, fühlt, handelt,
sondern das Denken, Fühlen, Handeln ihrer einzelnen Mitglieder bestimmt, was in der Gesellschaft geschieht. Eine solche Untersuchungsmethode, die vom Individuum ausgeht, bezeichnet man als „methodologischen Individualismus“. Dieser Forschungsansatz sieht also nicht Kollektive wie Gesellschaften, Parteien,
Klassen und Völker als Akteure an,
sondern versucht, deren Entwicklung
durch die Untersuchung des Verhaltens ihrer einzelnen Mitglieder zu
erklären. Diese handeln, treffen Entscheidungen, schließen oder kündigen Bündnisse und beeinflussen sich
dabei gegenseitig. Oft wird das Ergebnis ihres Handelns wenig mit dem
zu tun haben, was sie ursprünglich
gewollt haben. Daran wird der KoorFortschritt in Technik und Organisation verändert die Volkswirtschaft. Moderne Produk- dinationsbedarf menschlichen Handelns deutlich: Vernünftiges Handeln
tionsanlage für Mikrochips in Dresden 2007
aus der Sicht des Einzelnen kann zu
einem ungünstigen Ergebnis für die Gesellschaft
dert der technische und organisatorische Fortschritt
oder Gruppe insgesamt führen, wenn das Handeln
schließlich die gesamte Volkswirtschaft. Allerdings
nicht koordiniert wird.
gewinnen dabei Einzelne und Gruppen, während
Aus der Sicht des methodologischen Individualisandere Einbußen erleiden.
mus wird der Mensch nicht durch die Gesellschaft,
Wirtschaftlicher Fortschritt schafft neue Möglichsondern in der Gesellschaft geformt. Er begegnet
keiten, Einkommen zu erwerben. Aber er gefährdet
nicht der Gesellschaft, der Gewerkschaft, der Partei,
die ökonomische Sicherheit derer, die negativ betrofsondern Gesellschaftsmitgliedern, Parteimitgliefen sind: Neue Produkte verdrängen die alten, und
dern, Gewerkschaftsmitgliedern. Wirtschaftswisderen Produzenten verlieren Marktanteile. Durch
senschaftler versprechen sich von der Anwendung
neue Produktionsverfahren werden neue Berufe
dieser Methode, dass ihre Theorien sich genauer in
geschaffen, aber bestehende berufliche Fähigkeiten
der Wirklichkeit überprüfen lassen.
und die alten Maschinen werden wertlos.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Grundwerte
Der Einzelne als Maß aller Dinge
Vom Individualismus als Forschungsmethode ist der
Individualismus als Werthaltung zu unterscheiden.
Individualismus als Norm bedeutet, dass das wirtschaftspolitische Handeln sich am einzelnen Menschen ausrichten soll. Staaten, Klassen oder Völker
gelten dem Individualismus daher weder als sinnstiftend noch als Richtmaß. Allein jedes Individuum
in seiner Einzigartigkeit ist für den normativen Individualismus die Autorität, die im Zusammenspiel
mit anderen entscheidet, was wünschenswert ist.
Der Einzelne soll seinen eigenen Lebensentwurf
konzipieren und realisieren können. Eine der schwierigsten Fragen der Wirtschaftspolitik besteht darin, unter welchen Bedingungen gegen diese Norm
verstoßen wird, werden darf oder werden muss.
Individualismus als Norm bedeutet, dass es keine
überindividuelle Begründung für die Unterordnung
eines Individuums unter ein anderes gibt. Niemand
darf einen anderen als Instrument für seine eigenen
Ziele missbrauchen. Stellt sich jemand in den Dienst
anderer und nehmen diese den Dienst an, dann ist
dies nur erlaubt, wenn es freiwillig geschieht. Erst
die Entscheidungsfreiheit macht die verantwortliche Bejahung höherer Autoritäten möglich.
Ein wichtiges Problem der Wirtschaftspolitik ergibt sich daraus, dass die individuellen Interessen
aufeinanderprallen, wenn jedes Individuum sich
selbst das Maß aller Dinge ist. Daher verweist auch
der Individualismus als Norm, genauso wie der Individualismus als Methode, auf die Notwendigkeit,
das Handeln der Einzelnen zu koordinieren. Im Bereich der Wirtschaft ist dafür die Wirtschaftspolitik
verantwortlich.
Die Einzigartigkeit des Individuums ist die Grundlage für eine
andere wichtige Überlegung.
Einzigartigkeit des Individuums
heißt auch Einzigartigkeit seiner Selbstwahrnehmung. Individuelle Entscheidungen werden
immer auf der Grundlage von
subjektiven
Wahrnehmungen
getroffen. Subjektivismus bedeutet aber, dass es nicht möglich ist,
Vergleiche zwischen Personen
über die Wünschbarkeit einer
gesellschaftlichen Situation anzustellen. Das Glück des Einen
kann nicht gegen das Leid des
Anderen aufgerechnet werden.
Die demokratische Beschlussfassung in Form der Abstimmung
ist eine Möglichkeit, dennoch
eine gesellschaftliche Entscheidung zu finden. Im Vorhinein
muss darüber beratschlagt werden: Beratende, „deliberative“
Demokratie bedeutet, dass Abstimmungen immer
eine Phase der Diskussion über das Für und Wider
verschiedener Programme voranzugehen hat.
Der Nachteil von Abstimmungen besteht darin,
dass die Individuen nur Zustimmung oder Ablehnung äußern können, aber nicht die Möglichkeit
besitzen, den Grad ihrer Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit auszudrücken. Auch könnte eine zahlenmäßige Minderheit in ihrer individuellen Befindlichkeit nicht respektiert oder unterdrückt werden.
Das Handicap von Debatten und Beratungen zeigt
sich darin, dass rhetorisches Talent und die Art und
Weise, wie kommuniziert wird, sich unter Umständen auf die gesellschaftliche Entscheidung auswirken können. In jedem Fall wird politisches Handeln
durch individuelle Entscheidungen herbeigeführt.
Wirtschaftspolitische Maßnahmen, die alle Beteiligten besser stellen, finden leicht allgemeine Zustimmung, aber in der Praxis gewinnen nur selten
alle Bürgerinnen und Bürger durch eine bestimmte
Wirtschaftspolitik. Wenn beispielsweise die Zentralbank die Leitzinsen erhöht, um eine Inflation zu
bekämpfen, so leiden unter den steigenden Zinsen
die privaten Haushalte, welche Wohneigentum abzahlen müssen, und zudem geht die Baukonjunktur
zurück – zum Nachteil der Bauunternehmen. Besser
gestellt werden hingegen jene, die über Kapitalvermögen verfügen, das sie zu den steigenden Zinsen
anlegen können. Kapitaleigner gewinnen auch,
wenn der Staat sich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verschuldet, da sie ihre Gelder in diesem Fall
in Staatsschuldpapieren anlegen können. Wenngleich also die meisten Bürgerinnen und Bürger
darin übereinstimmen werden, dass es wichtig ist,
Arbeitslosigkeit und Inflation zu bekämpfen, können sie von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sehr unterschiedlich betroffen sein.
picture-alliance / dpa
Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung
11
Schwierige Entscheidung: Nach monatelanger Diskussion billigt das Parlament am 2. Februar
2007 nach namentlicher Abstimmung den Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
12
Staat und Wirtschaft
Aufgaben und Grenzen
von Markt und Staat
Hans-Jürgen Schlösser
In der Sozialen Marktwirtschaft wird wirtschaftliches Handeln größtenteils durch den
Markt koordiniert. Doch sind, wenn es etwa um den Schutz öffentlicher Güter geht,
staatliche Eingriffe angebracht. Sowohl Markt als auch Staat sind Grenzen gesetzt.
ullstein – CARO / Muhs
Rolle des Marktes
die sehr verbrauchsintensiv sind, zu verzichten, und
dass Unternehmen sich bemühen, Alternativen zum
In einer marktwirtschaftlichen Volkswirtschaft, Öl zu entwickeln.
Der zentrale Koordinationsmechanismus, der auf
auch in einer Sozialen Marktwirtschaft, ist der
Märkten den Ausgleich von Angebot und NachfraMarkt das Koordinationsinstrument der ersten
ge herbeiführt, ist also der Preismechanismus. Ihm
Wahl. Die Einzelnen koordinieren ihre Handlungen
kommt für das Verständnis von Märkten eine zentraüber Märkte, und nur wenn diese Koordination zu
le Rolle zu. Er vermittelt zwischen Anbietern
und Nachfragern wichtige Informationen,
die sie zur Koordinierung ihrer Wirtschaftspläne benötigen. Marktpreise sind dabei
als Zusammenfassung verschiedenster Informationen, als „Informationsaggregate“
anzusehen, in die wichtige Variablen wie
Produktionskosten, Transportkosten, Verhandlungskosten, Marktmacht eingehen.
Die Fähigkeit, Marktpreise korrekt auszuwerten, ist für das Funktionieren eines jeden Marktes unerlässlich. Müssen einzelne
Wirtschaftssubjekte all diese Informationen
getrennt voneinander einschätzen, so würde wahrscheinlich ihre Zeit nicht mehr dazu
reichen, überhaupt einen Wirtschaftsplan
aufzustellen. Es ist aber nicht notwendig,
eine Vielzahl von Einzelinformationen auszuwerten, um die Knappheit eines Gutes
beurteilen zu können: Marktpreise fassen
Angebot, Nachfrage und ihr Ausgleich durch den Preis wird nirgends so anschau- alle Informationen in einer einzigen Größe
zusammen. Ihre einfache Vergleichbarkeit
lich wie auf dem Wochenmarkt.
ermöglicht es den Wirtschaftssubjekten,
Trends auf Märkten zu erkennen und sich auf sie
unerwünschten Ergebnissen führt, soll der Staat
einzustellen.
eingreifen: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat
wie nötig“ (Karl Schiller, Bundeswirtschaftsminister
1966-1972). Marktwirtschaftliche Koordination der
Funktionen des Staates
einzelnen wirtschaftlichen Handlungen bedeutet,
dass die jeweiligen Akteure, insbesondere die Firmen, miteinander im Wettbewerb stehen, dass sich
Das Individuum spielt eine Schlüsselrolle für das
aus Angebot und Nachfrage Marktpreise bilden und
Funktionieren einer modernen Wirtschaft. Ebenso
dass die Individuen ihr Handeln an diesen Marktbedeutsam ist, wie gut es gelingt, auf der Grundlapreisen ausrichten. Steigen zum Beispiel die Preise
für Erdöl, so zeigt dies in einer Marktwirtschaft an, ge individueller Entscheidungen die richtige Aufgadass dieser Rohstoff knapper geworden ist, sei es, benverteilung zwischen Staat und Markt zu finden.
Nach Auffassung des schottischen Ökonomen und
weil die Vorräte zurückgehen, sei es, weil der VerPhilosophen Adam Smith (1723-1790) hat das Streben
brauch zugenommen hat. Marktwirtschaftliche Konach individueller Bedürfnisbefriedigung den größordination bedeutet, dass in einem solchen Fall die
ten Nutzen für die Gesellschaft insgesamt dabei zur
Unternehmen und die Haushalte versuchen, Energie rationeller zu verwenden und auf Aktivitäten, Folge. Er beschrieb diese Koordinationsleistung –
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat
vom individuellen Nutzenstreben zum sozialen
Optimum – mit der Metapher von der „Unsichtbaren
Hand“ des Marktes, die ein Eingreifen des Staates
nicht nötig macht.
Solch eine idealisierte Wirtschaft mit perfekten
Märkten existiert in der Realität jedoch nicht. Marktwirtschaften leiden vielmehr unter einer Reihe von
Unzulänglichkeiten, die unter anderem zu Arbeitslosigkeit, einer Ungleichverteilung von Einkommen
und zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen führen. Es gibt also eine Reihe von guten Argumenten
für staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben. Über
den optimalen Umfang der Staatstätigkeit besteht
jedoch Uneinigkeit. In manchen Volkswirtschaften
übernimmt der Staat eine beinahe unbegrenzte Anzahl an Aufgaben, während er sich in anderen auf
bestimmte Bereiche beschränkt.
Was für den einen sozial gerecht ist, ist für den anderen möglicherweise sozial ungerecht. Aber selbst
wenn die Gesellschaftsmitglieder sich auf ein einheitliches Verständnis von sozialer Gerechtigkeit
einigen könnten, existierte nach wie vor das fundamentale Problem, dass Märkte allein nicht unbedingt zu einer Einkommensverteilung führen, die als
sozial gerecht empfunden wird. Im Gegenteil kann
ein perfekt funktionierender Markt sogar eine extreme Ungleichverteilung der Einkommen nach sich
ziehen, da unter Idealbedingungen alle Nachfrager
bei dem Anbieter mit dem besten Preis-LeistungsVerhältnis einkaufen.
Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von 1970, Paul A. Samuelson, hat in diesem Zusammenhang einmal das Beispiel angeführt, es könne dazu kommen, dass die Katze der Reichen genau
die Milch trinkt, die den Kindern der Armen fehlt.
Dies geschieht, weil der Marktmechanismus von der
Kaufkraft der Nachfrager angetrieben wird. So gesehen bedarf auch ein effizientes Marktsystem der
Korrektur. Es geht darum, die Effizienz von Märkten
und ethisch-moralische Normen gegeneinander abzuwägen und eine möglichst allgemein akzeptierte
Entscheidung zu treffen. Dazu gehört aus Sicht der
Volkswirtschaftslehre beispielsweise, sich mit den
Kosten und Nutzen verschiedener Umverteilungsund Transfersysteme zu befassen.
Die kurzfristigen Steuerungsaufgaben des Staates im Rahmen der Konjunkturpolitik sind in der
Bundesrepublik Deutschland im Gesetz für Stabilität und Wachstum von 1967, dem „Stabilitätsgesetz“, beschrieben und geregelt. Es verpflichtet die
Regierung darauf, gleichzeitig vier wirtschaftspolitische Ziele, das „magische
Viereck“, anzustreben: Preis- Preisniveaustabilität, hoher
niveaustabilität, hoher Be- Beschäftigungsgrad, Wachstum
schäftigungsgrad, Wachstum und außenwirtschaftliches
und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bilden das
Gleichgewicht. Diese vier Zie- „magische Viereck“
le werden deshalb als „magisch“ bezeichnet, weil sie nicht alle zugleich
verwirklicht werden können. Zwischen den einzelnen Zielen bestehen vielmehr Konflikte und
Wechselwirkungen, sodass sich wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels negativ auf die Realisierung anderer Ziele auswirken
können. Alle vier Ziele werden im Gesetz noch näher
beschrieben, und es werden auch die prozesspolitischen Instrumente genannt, die dem Staat zur Verfügung stehen. Umstritten ist allerdings in diesem
Zusammenhang, ob Wirkungsverzögerungen sowie
Informations- und Wissensdefizite nicht dazu führen, dass der Staat mit seiner Politik eine Destabilisierung der Wirtschaft bewirkt, also das Gegenteil
von dem, was er erreichen will.
Ein Bestreben der Wirtschaftsunternehmen, das
staatlicherseits unterstützt wird, ist dafür zu sorgen, dass die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden
und Kapital so produktiv wie möglich verwendet
werden. Ziel ist letztendlich, jene Güter, welche den
Wünschen der Verbraucher am besten entsprechen,
an optimalen Standorten mit minimalen Kosten zu
erzeugen. Diese Aufgabe der „Allokation“ betrifft im
Wesentlichen die drei Fragen
Während viele Allokationsaufgaben am besten
durch den Markt erfüllt werden, versagt er bei öffentlichen Gütern. Ein wichtiges Beispiel für ein
öffentliches Gut ist eine intakte Umwelt. Steuern,
Subventionen, Ge- und Verbote gehören zu den
staatlichen Instrumenten der Allokationspolitik.
Ordnungspolitisch greift der Staat zum Schutz der
natürlichen Umwelt ein, wenn er die Rahmenbedingungen für die Bildung von Märkten für Emissionsberechtigungen schafft. Dies ist der Weg, den
die Umweltpolitik zur Verminderung der Kohlendioxyd-Emissionen nach dem „Kyoto-Protokoll“ eingeschlagen hat (siehe S. 16f.).
Der Staat beeinflusst die Allokation durch Strukturpolitik, wenn er einzelne Wirtschaftssektoren mit
Subventionen unterstützt, um sie zu erhalten oder
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
13
14
Staat und Wirtschaft
stehen, sind das Steuersystem und Sozialleistungen.
Auch die Regional- und Strukturpolitik verfolgt
neben den Allokationszielen zusätzlich Verteilungsziele, die bei den Europäischen Strukturfonds sogar
im Vordergrund stehen. In der Verteilungspolitik
gibt es viele Konflikte. Der wichtigste Konflikt besteht darin, dass eine Umverteilung, die letztlich
über Steuerzahlungen der Haushalte mit höheren
Einkommen finanziert werden muss, deren Leistungsmotivation dämpft und gleichzeitig den
Haushalten mit niedrigeren Einkommen, welche
Sozialleistungen erhalten, den Anreiz nimmt, sich
verstärkt selbst zu helfen.
ullstein bild – joko
Eigentumsrechte
Staatliche Subventionen sollen schwache Wirtschaftssektoren schützen oder zukunftsträchtige fördern.
schneller zu entwickeln, als dies am Markt geschehen würde. Beispiele für Erhaltungssubventionen
sind der Steinkohlenbergbau und die Landwirtschaft. Anhand der Windenergie-Industrie lässt
sich zeigen, wie der Staat versucht, die Entwicklung
eines als zukunftsträchtig angesehenen Sektors zu
beschleunigen. Eine besonders aktive Strukturpolitik hat in den letzten Jahren die Europäische Union
mit ihren Strukturfonds betrieben, weil sie durch
Subventionen an einkommensschwache Regionen
eine Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus und
auf diesem Weg das Zusammenwachsen der europäischen Staaten beschleunigen will.
Kritische Stimmen gegen die Strukturpolitik
bringen vor, dass es dem Markt
überlassen werden müsse, welche Sektoren wachsen oder
schrumpfen. Diese Kritik richtet sich besonders gegen Erhaltungssubventionen, weil durch
sie den wachsenden Sektoren
Mittel entzogen werden.
Neben der Stabilisierung und
der Allokation ist eine weitere
Staatsaufgabe in der Sozialen
Marktwirtschaft die Verteilung,
um für mehr Gerechtigkeit
zu sorgen. Die Einkommensverteilung, welche der Markt
erzeugt hat, die „Primärverteilung“, wird aus sozialpolitischen
Gründen korrigiert, um eine
gleichmäßigere Verteilung, die
„Sekundärverteilung“, zu erzeugen. Die wesentlichen Instrumente, die dem Staat bei der Verteilungsaufgabe zur Verfügung
Marktwirtschaft ist nur möglich, wenn der Staat Eigentumsrechte definiert und garantiert. Ein Beispiel
für unklare Eigentumsrechte stellten die ungeklärten Besitzansprüche an Immobilien in der ehemaligen DDR kurz nach der deutschen Einigung dar.
Weil zunächst nicht klargestellt werden konnte, wer
Besitzansprüche an Grundstücken geltend machen
konnte, war es nicht möglich, sie zu handeln oder einer produktiven Nutzung zuzuführen.
Das wichtigste Eigentumsrecht an einem Gut besteht in dem Recht, dieses Gut selbst zu nutzen. In
dieser Sichtweise werden die Eigentumsrechte an
Gütern auf Märkten gehandelt. Der Wert eines Gutes
hängt davon ab, mit welchen Rechten das Eigentum
an diesem Gut verbunden ist: Ein Auto, mit dem man
immer fahren darf, ist mehr wert, als ein Auto, für
das bei Smog-Alarm Fahrverbot besteht. Das Fahrverbot wirkt wertmindernd, weil es die Eigentumsrechte am Auto einschränkt. Diese Wertminderung
tritt ein, obwohl materiell am Auto nichts geändert
worden ist.
Ein weiteres wichtiges Eigentumsrecht erlaubt, jemand anderen von der Nutzung des eigenen Eigen-
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / dpa
Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat
Wertminderung: Autos mit diesen Plaketten kann ab Juli 2007
die Fahrt in bestimmten Umweltzonen verboten werden.
tums auszuschließen. Dieses Recht kann nur bei privaten Gütern verwirklicht werden, denn bei ihnen
ist das Ausschlussprinzip anwendbar. Beispielsweise kann der Eigentümer eines Hauses andere von
dessen Nutzung ausschließen, indem er das Haus
abschließt. Für öffentliche Güter wie saubere Luft
gilt dies nicht, denn es ist nicht möglich, jemanden
vom Einatmen der Luft auszuschließen, sodass sich
für öffentliche Güter folglich keine individuellen,
privaten Eigentumsrechte definieren lassen.
Ein drittes Eigentumsrecht berechtigt dazu, das eigene Eigentum zu verkaufen. Hinzu tritt als viertes
das Recht auf die Früchte der Nutzung aus dem Eigentum. In den Volkswirtschaften der Sowjetunion
und der DDR war es erlaubt, Privateigentum, beispielsweise ein Auto, zu besitzen, aber es war in der
Regel untersagt, damit Geld zu verdienen, zum Beispiel als Taxi-Unternehmer.
Die Eigentumsrechte müssen durch den Staat garantiert werden. Das Parlament, die Legislative, definiert die Eigentumsrechte in der Regel in Gesetzen.
Die Rechtsprechung, die Judikative, legt die von der
Legislative formulierten Eigentumsrechte aus. Die
Exekutive schließlich, also Regierung, Verwaltung
und Polizei, setzt die Eigentumsrechte durch.
doch Fälle, in denen die Folgen von Entscheidungen
nicht den Verursacher, sondern Unbeteiligte treffen. Ein Beispiel hierfür ist ein Industriebetrieb, der
giftige Abwässer in einen Fluss leitet, dadurch die
Fischbestände ausrottet und in der Folge einen benachbarten Fischer um seine wirtschaftliche Existenzgrundlage bringt. Die Vergiftung der Fische
taucht in der Rechnung des Industriebetriebes nicht
als Kostenfaktor auf. Die Kosten fallen schließlich
außerhalb des Industriebetriebes an, beim Fischer.
Solche außerhalb anfallenden Kosten werden
„externe Kosten“ oder allgemeiner: „negative externe Effekte“ genannt. Bei negativen externen Effekten wird derjenige, der Kosten hervorruft, nicht mit
diesen Kosten belastet. Jemand anderes muss dafür
aufkommen. Das wirtschaftspolitische Problem, das
staatliches Handeln erfordert, besteht in diesem Fall
darin, dass die Umwelt geschädigt und die Norm der
Selbstverantwortlichkeit des Individuums verletzt
wird. Externe Kosten bedeuten, dass der Stärkere
– hier der Industriebetrieb – den Schwächeren – hier
den Fischer – schädigt.
Externe Effekte
Individualismus als Norm fordert, dass jeder alle
Folgen seiner Handlungen tragen muss, die er durch
seine eigenen Entscheidungen hervorgerufen hat.
Nur so können die Handlungen der Einzelnen über
Märkte erfolgreich koordiniert werden. Es gibt jeInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Arnulf Hettrich / Fnoxx
Einschränkungen des Marktes
Manchmal funktioniert die Koordination über den
Markt nicht. Sie scheitert, wenn die wirtschaftlichen
Handlungen der einzelnen Akteure andere Akteure
schädigen, ohne dass diese sich dem entziehen können. Hier wird die ordnende und eingreifende Hand
des Staates benötigt. Ein Beispiel sind Schädigungen
der natürlichen Umwelt. Zudem gibt es „öffentliche
Güter“, für deren Bereitstellung der Staat auch in einer Marktwirtschaft verantwortlich ist.
15
Nicht immer trägt der Verursacher die Kosten seines Handelns. Angler vor Chemiewerk in Duisburg 2005
Es gibt auch „positive externe Effekte“, die aber in
der Regel kein vordringliches Problem für die Wirtschaftspolitik darstellen. Positive externe Effekte
bedeuten, dass jemand, der seinen eigenen Interessen nachgeht, dabei gleichzeitig und unbeabsichtigt
einem anderen nützt. Hier ist es also so, dass ein Akteur einen Nutzen erzeugt, der nicht in seine eigene
Kalkulation eingeht. Deshalb wird auch vom „externen Nutzen“ gesprochen. Zum Beispiel betreibt ein
Imker sein Gewerbe in der Nähe eines Gartenbaubetriebes. Die Pflanzen des Gartenbaubetriebes erhöhen die Produktivität der Imkerei. In diesem Fall gibt
16
Staat und Wirtschaft
es für die Wirtschaftspolitik keinen
Grund einzugreifen, denn es wird
niemand benachteiligt. Der Imker
genießt lediglich einen unentgeltlichen Vorteil. Aus der Sicht des Imkers wäre es vielleicht wünschenswert, wenn der Gartenbaubetrieb
noch mehr Blumen pflanzen würde.
Das tut er aber nicht, weil er die positiven Effekte auf die Imkerei nicht
einkalkuliert, sie sind eben „extern“.
Sollte hier jemand wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf sehen, so
ist dieser gewiss nicht dringend.
Negative externe Effekte stellen
dagegen ein schwerwiegendes Problem marktwirtschaftlicher Volkswirtschaften dar. Eine Möglichkeit
sie zu lösen besteht darin, die Erzeugung negativer externer Effekte
zu verbieten. Solche Verbote sind in
Marktwirtschaften aber selten, sie
gelten beispielsweise für die Verbreitung giftiger
Stoffe. Außerdem gibt es kaum Aktivitäten ohne
negative externe Effekte. Auch der Krankenwagen,
der einen Verletzten ins Hospital bringt, belastet die
Umwelt. Dennoch wollen wir, dass er fährt.
Eine andere Lösung besteht darin, den Verursacher der negativen externen Effekte mit den Kosten
seines Verhaltens zu belasten. Man holt also die Kosten von außen wieder in die Kalkulation des Verursachers zurück, man „internalisiert“ sie. Der Staat
könnte den Verursacher beispielsweise mit einer
Steuer belegen oder ihn zwingen, den Geschädigten
mit einer Zahlung zu kompensieren, um den Verursacher von seinem schädigenden Verhalten abzubringen oder ihn zumindest dazu zu veranlassen, es
einzuschränken.
In jedem Fall gibt es allerdings schwierige Probleme zu klären: Selbst wenn der Verursacher bekannt ist, was keineswegs immer der Fall ist, muss
die Höhe des Schadens, den er angerichtet hat, festgestellt werden. Im Beispiel ist die Beeinträchtigung
gewiss höher zu veranschlagen, als lediglich die entgangenen Einkünfte des Fischers, denn es sind auch
die Belange des Naturschutzes und des Tierschutzes
zu berücksichtigen. Dies alles lässt sich aber nicht
zweifelsfrei berechnen. Daher muss der Staat im
Falle negativer externer Effekte eine wertende Entscheidung treffen und die folgenden Fragen beantworten: Ist der externe Effekt so erheblich, dass die
Regierung eingreifen sollte? Wie hoch sind die externen Kosten insgesamt zu veranschlagen? Nach
welcher Methode soll die „Internalisierung“ der externen Effekte erfolgen?
Letztere kann durch eine Reihe von Maßnahmen
herbeigeführt werden. In manchen Fällen löst Besteuerung das Problem. Stehen die notwendigen
Informationen zur Verfügung, so ist die Regierung
in der Lage, die Verursacher von negativen externen
Effekten in genau dem Maße zu besteuern, das nötig
ist, um sie zur Verringerung der Aktivitäten zu veranlassen, welche die negativen externen Effekte ver-
ursachen. In diese Kategorie fallen die so genannten
Emissionssteuern. Diese Herangehensweise ist jedoch aus zwei Gründen problematisch: In der Regel
stehen der Regierung die für die Besteuerung nötigen Informationen nicht zur Verfügung, sondern sie
müssen erst unter Aufwand beschafft werden. Hinzu kommt, dass die Besteuerung auch nicht kostenlos ist, denn die staatliche Verwaltung, welche die
Besteuerung organisiert, muss ebenfalls finanziert
werden.
Ein interessanter Lösungsvorschlag für das Problem der negativen externen Effekte besteht in deren Internalisierung durch private Verhandlungen.
Ist die Anzahl der Beteiligten klein genug, sodass
solche Verhandlungen keine zu hohen Kosten verursachen, so kann eine Einigung durch so genannte
Seitenzahlungen herbeigeführt werden. Die Rechtsordnung legt dabei nur fest, welche Seite Zahlungen
zu leisten hat. Hat der Fischer ein Recht auf sauberes
Wasser und erleidet er einen negativen externen
Effekt durch die Abwassereinleitung des Industriebetriebes, so kann dieser den Fischer für dessen Verluste durch eine Seitenzahlung
kompensieren, wenn die eigenen Negative externe Effekte
Gewinne ausreichend groß sind. sind ein großes Problem
Hat umgekehrt der Industriebe- in der Marktwirtschaft
trieb das Recht, seine Abwässer in
den Fluss einzuleiten, so könnte der Fischer theoretisch dem Industriebetrieb eine Seitenzahlung anbieten, um ihn zur Verringerung der Abwassereinleitung zu veranlassen. Auch hier gilt, dass diese
Lösung nur dann möglich ist, wenn die Gewinne des
Fischers ausreichend groß sind, um die Verluste des
Industriebetriebes aufzuwiegen. Kann grundsätzlich
durch die Umverteilung von Gewinnen und Verlusten die Gesellschaft als Ganzes besser gestellt werden, ist eine Verhandlungslösung prinzipiell möglich, so lange nur die Anzahl der Beteiligten nicht
allzu groß ist.
Eine aktuelle Methode der Internalisierung externer Effekte stellt der Klimaschutz nach dem
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat
Öffentliche Güter
Positive externe Effekte, also externe Nutzen, stellen in der Regel kein Problem der Wirtschaftspolitik
dar, da niemand geschädigt wird und es sogar als
erwünscht angesehen wird, dass jemand bei der
Verfolgung seiner eigenen Interessen auch noch
Vorteile für Außenstehende erzeugt. Allerdings
muss sich die Wirtschaftspolitik dann mit externen
Nutzen befassen, wenn ein Gut ausschließlich oder
überwiegend externe Nutzen aufweist und nur geringen Nutzen für denjenigen, der die Kosten der
Produktion zu tragen hat. Dann kann es geschehen,
dass dieses Gut erst gar nicht erzeugt wird, obwohl
die Produktion aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert wäre. Solche Güter sind „öffentliche Güter“. Ein Beispiel dafür ist ein Deich, der Siedlungen
vor Überschwemmungen schützen soll. Hochwasserschutz ist ein öffentliches Gut, denn niemand,
der hinter dem Deich lebt, kann davon ausgeschlossen werden. Der Deich schützt jeden, gleichgültig,
ob er sich an den Kosten seines Baus beteiligt hat
oder nicht.
Positive externe Effekte bedürfen in manchen
Fällen also ebenfalls einer wirtschaftspolitischen
Korrektur. Das öffentliche Gut ist dadurch charakterisiert, dass es jedem Individuum in der gleichen
Menge zur Verfügung steht, aber niemand zur Bezahlung seines Beitrages bzw. zur Erstellung gezwungen werden kann. In einem solchen Fall kommt
es aufgrund des positiven externen Effekts zu einer
kollektiven Schädigung, wenn alle Individuen eigenInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
nützig handeln. Der Grund hierfür ist das so genannte Trittbrettfahrer-Problem (Freerider-Problem).
Es ist bei großen Gruppen gravierender als bei
kleinen, da in großen Gruppen jedes Individuum das
Verhalten der anderen als gegeben annehmen kann.
Es ist in einer solchen Situation individuell-rational,
keinen Beitrag zu leisten. Daraus erwächst sogar ein
doppelter Vorteil für den Trittbrettfahrer: Er trägt
keine Kosten, und er konsumiert das öffentliche Gut
im vollen Umfang. Im Beispiel des Deichbaus kann
der Trittbrettfahrer den Deich nutzen, auch wenn er
sich nicht an seinem Bau beteiligt hat, denn im Fall
einer Flut werden alle Anwesen durch den Damm
geschützt, auch diejenigen der Trittbrettfahrer.
Denken die anderen Individuen auch so und leisten
ebenfalls keinen Beitrag zur Finanzierung des öffentlichen Gutes, so kann dieses nicht bereitgestellt
werden. Umso ungünstiger wäre es in dieser Situation, selbst etwas zu zahlen. Trittbrettfahren ist für
jedes Individuum die geschickteste Verhaltensweise,
gleichgültig, ob die anderen einen Beitrag zur Bereitstellung des öffentlichen Gutes leisten oder nicht.
Der Wirtschaftspolitik stehen zur Lösung dieses
Problems eine Reihe von Eingriffsmöglichkeiten zur
Verfügung. Manche sind mehr, andere weniger mit
dem normativen Individualismus vereinbar. So kann
die Regierung die öffentliche Leistung in einem Umfang nach ihrem Gutdünken bereitstellen und die
anfallenden Kosten auf die Gesellschaftsmitglieder
gleichmäßig verteilen. Es ist auch möglich, über das
Angebot des öffentlichen Gutes abstimmen zu lassen. Die erste Lösung ist eine hierarchische, die zweite eine demokratische.
Öffentliche Güter zeichnen sich immer dadurch
aus, dass man niemanden von ihrer Nutzung ausschließen kann, wenn er sich weigert, sich an den
Produktionskosten dieser Güter zu beteiligen. In
picture-alliance / ZB
Kyoto-Protokoll dar. Dabei geht es ausschließlich um
Kohlendioxyd, dessen Ausstoß in die Atmosphäre
gesenkt werden soll. Die Regierungen legen in einer
normativen, also wertenden Entscheidung, die verhandelt wird, fest, wie hoch in einem bestimmten
Zeitraum der Kohlendioxydausstoß auf ihrem Territorium sein darf. Die Unternehmen erhalten dann
Zertifikate, die sie berechtigen, im Rahmen der Regierungsvorgaben Kohlendioxyd in die Atmosphäre
abzugeben. Die Marktkoordination erfolgt dadurch,
dass diese Zertifikate gehandelt werden können.
Wenn also eine Firma ihren Kohlendioxydausstoß
erhöhen will, muss sie zusätzliche Zertifikate von
anderen Betrieben kaufen. Das führt bei der ersten
Firma zu einer Internalisierung der externen Kosten.
Andererseits haben Unternehmen große Anreize,
ihre Kohlendioxydabgaben zu mindern, weil dann
Zertifikate „frei“ werden, die sie verkaufen können.
In der Theorie stellt dieses Konzept eine elegante
wirtschaftspolitische Lösung dar. Zum einen ist gesichert, dass der Kohlendioxydausstoß das einmal
vorgegebene Niveau, das zudem in der Zukunft gesenkt werden kann, nicht überschreitet. Zum anderen braucht die staatliche Wirtschaftspolitik nicht
mehr einzugreifen, sobald das System einmal angelaufen ist. Allerdings lässt sich eine solche Lösung
nur bei wenigen Schadstoffen verwirklichen, und
es bleibt abzuwarten, wie hoch der bürokratische
Aufwand wird.
17
Vom Hochwasserschutz profitieren auch diejenigen, die sich
nicht am Deichbau beteiligt haben. Oderdeich bei Schwedt 2003
Staat und Wirtschaft
diesem Fall versagt die Koordination der Handlungen über Märkte. Die
Landesverteidigung ist ein weiteres
Beispiel dieser Problemlage. Kein Bewohner eines Landes kann von ihr
ausgeschlossen werden, auch wenn
er sich weigert, sie mitzufinanzieren.
Wenn das „Ausschlussprinzip“ nicht
gilt, wird voraussichtlich niemand die
Kosten für die Produktion eines Gutes
auf sich nehmen, da er es ja kostenlos
nutzen kann. Der Anbieter würde in
diesem Fall keine Einnahmen haben
oder ganz auf die Gutwilligkeit der
Nutzer angewiesen sein. Das Problem öffentlicher Güter besteht also
darin, dass sie volkswirtschaftlich
zwar erwünscht sind, aber der private Nutzen, der für ihren Erzeuger
anfällt, niedriger ist als die Produkti- Landesverteidigung gehört nach Meinung vieler Bürgerinnen und Bürger in staatliche
onskosten. Der überwiegende Teil des Hand. Rekrutenausbildung in Stern-Buchholz bei Schwerin 2005
Nutzens dieser Güter ist ein externer
wohl nur schwer an Privatfirmen zu übergeben sein,
Nutzen, von dem niemand ausgeschlossen werden
wenngleich sich auch auf diesem Feld starke Privatikann. Also werden öffentliche Güter nicht oder in zu
sierungstendenzen beobachten lassen.
geringem Umfang erzeugt. Im Extremfall wird tatsächlich keiner zahlen, aber jeder will konsumieren.
Die Umwelt als natürlicher Lebensraum ist ein besonders deutliches Beispiel für ein öffentliches Gut,
Grenzen des Staates
denn die Erträge von Investitionen in die Umweltqualität können nicht internaliNiemandem kann die siert werden. Hinzu tritt, dass eine Auch der Staat ist nicht perfekt. Regierung und VerNutzung öffentlicher Übernutzung des öffentlichen waltung machen Fehler, sie leiden unter InformatiGüter verwehrt werden Gutes „Umwelt“ in vielen Fällen onsdefiziten, und Politik und Beamtenschaft haben
ebenfalls persönliche Interessen und Ideale, Ideonicht durch Preissteigerungen silogien, Interesse an Macht, Prestige, Einkommen.
gnalisiert wird. Umweltverschmutzer werden daher
Wenn der Markt ein Problem nur unbefriedigend
nicht durch steigende Preise zurückgedrängt, das öflösen kann, bedeutet das somit nicht automatisch,
fentliche Gut Umwelt wird übernutzt, und die Kosdass der Staat dafür besser geeignet ist.
ten der Übernutzung werden externalisiert.
Ein wesentliches Problem entsteht dadurch, dass
Ein weiteres typisches Beispiel ist die „Tragödie der
die Wirtschaftspolitik unter WirkungsverzögeAllmende“. Die Allmende ist eine Weide, die keinem
rungen leidet (time lags), die schwer zu kalkulieren
Einzelnen gehört, sondern der gesamten Gemeinsind. Probleme werden oft erst erkannt, wenn sie
de. Beim Allmende-Problem geht es darum, dass
schon längere Zeit bestehen, und es vergeht dann
der Einzelne bei der Entscheidung, eine Ressource
zu nutzen, die sich im Gemeineigentum befindet, noch einmal Zeit, bis die staatlichen Akteure zu einer
Entscheidung kommen. Wenn schließlich Maßnahnur seine eigenen Nutzen und Kosten berücksichmen ergriffen werden, wirken auch diese nur mit eitigt, nicht aber die Konsequenzen für die Gemeinde
ner zeitlichen Verzögerung, die oft nicht kalkulierbar
insgesamt. Dadurch wird die Allmende überweidet
ist. Am Ende wird die Wirtschaftspolitik häufig erst
und kann am Ende von niemandem mehr genutzt
wirksam, wenn sich die Lage schon längst wieder
werden. Erst ein Mechanismus, der dem Einzelnen
verändert hat, und die angestrebten Ziele werden
die sozialen Konsequenzen seiner Handlungen vor
Augen führt und sie ihn spüren lässt, ist in der Lage, deshalb verfehlt.
Weitere Grenzen des Staates ergeben sich dadas Koordinationsproblem zu lösen. Diese Mechadurch, dass auch Politiker und Politikerinnen sowie
nismen werden durch Menschen geformt, deshalb
Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung
fließen letztlich immer individuelle Interessen in die
eigene Ziele anstreben, wobei sie auf die UnterstütFormulierung solcher Mechanismen ein.
zung der Wählerschaft angewiesen sind, um im Amt
Für die Bereitstellung öffentlicher Güter sorgt dazu bleiben beziehungsweise ins Amt zu kommen.
her in vielen Fällen der Staat. Allerdings ist es nicht
Im politischen Bereich erfüllen Wahlen die Funktiunbedingt notwendig, dass der Staat die öffenton, die das Preissystem auf dem Markt erfüllt: die
lichen Güter selbst herstellt. Er kann damit private
Durchsetzung individueller Vorstellungen und die
Unternehmen beauftragen. Dies ist beispielsweise
Koordination der Handlungen. Wahlen und Märkte
bei öffentlichen Bauten üblich. Andererseits wersind demnach Verfahren, die dazu führen, dass die
den öffentliche Güter wie die Landesverteidigung
Wünsche und Werthaltungen der einzelnen Bürin den Augen der meisten Bürgerinnen und Bürger
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / ZB
18
Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat
Privatisierung mit Vorbehalt
[...] Bis in die achtziger Jahre lag die Wahrnehmung der bundesstaatlichen Zuständigkeit für das Post- und Fernmeldewesen
nach dem Grundgesetz (Art. 73, Ziff. 7) in den Händen der staatlichen Bundespost. Eine staatliche Monopolstellung war verfassungsrechtlich verbrieft.
Im Zuge der mikroelektronischen Revolution der siebziger und
achtziger Jahre wurde bekanntlich gerade auch der Telekommunikationsmarkt grundlegend revolutioniert. Die Deutsche
Bundespost blockierte faktisch den Anschluss Deutschlands an
die technischen Errungenschaften im Ausland, weil sie nicht genügend Kapital für einen entsprechenden Infrastrukturausbau,
noch dazu in schnellem Tempo, aufbrachte. Um das Innovationspotenzial privater Kapitalmärkte für die notwendigen Investitionen zu erschließen, waren fundamentale Strukturreformen
überfällig.
Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes in Deutschland durch Aufgabe des staatlichen Postmonopols und Aufgliederung der Bundespost erfolgte in drei Stufen (vgl. Markus
Müller/Roland Sturm in: Gegenwartskunde, 1/2000, S. 37-48).
1989 wurde die Post in drei von einander getrennte Sparten
aufgeteilt: Telefon, Postbank, „gelbe Post“. Wichtig war dabei der
Rückzug des Staates durch Abtrennung der hoheitlichen Funktionen, also Fragen der Aufsicht und/oder Regulierung, von der
nun getrennten betrieblichen Unternehmensführung. Überdies
begann die Öffnung der Märkte für neue Dienste, z. B. für Mobilfunk. 1994 wurde die Telekom teilweise privatisiert (Deutsche
Telekom AG); die Ausgabe von Aktien war dann aber nicht nur
für die Finanzierung neuer Dienstleistungsangebote, sondern
vor allem, nach der deutschen Wiedervereinigung, für die Finanzierung von Strukturinvestitionen in die Telekommunikation der
neuen Bundesländer wichtig. Die beiden anderen Sparten der
ehemaligen Post wurden dem Titel nach ebenfalls, jedoch ohne
Aktienausgabe, privatisiert. 1996 wurde der Telekommunikationsmarkt mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) auch im
ordnungspolitischen Sinne liberalisiert und für neue Segmente
geöffnet.
19
gerinnen und Bürger im politisch-ökonomischen
System berücksichtigt werden.
In der ökonomischen Theorie der Demokratie
geht es darum, dass politische Parteien Programme
aufstellen, um Wahlen zu gewinnen. Um wiedergewählt zu werden, müssen die Regierungspolitiker
auf die Wählerwünsche eingehen. Entsprechendes
gilt für die Opposition. Nach dieser Theorie entscheiden sich die Parteien für das politische Programm,
das den größten Wahlerfolg verspricht.
Das ökonomische Modell der Demokratie ist ein
Modell der Konkurrenz. Es weist auf ein schwerwiegendes Problem hin: Einzelne Bürgerinnen und
Bürger haben wenig Anreize, sich über Probleme der
Politik vertieft zu informieren. Ihre einzelnen Stimmen haben bei Wahlen kein messbares Gewicht,
und deshalb lohnt es sich für sie nicht, Kosten auf
sich zu nehmen, um Informationen über Politik zu
beschaffen. Parteien berücksichtigen auch die ideologischen Vorlieben von Wählergruppen. Wenn Ideologien existieren, kommt es nicht nur auf die reine
Anzahl der Wähler an, die bereit sind, ihre Stimme
für eine Partei abzugeben, sondern auch auf die Bereitschaft von Wählern, ihre Loyalität auf eine andere Partei zu übertragen. Unter diesen Bedingungen
berücksichtigen Parteien die Vorlieben der so genannten Wechselwähler bei der Formulierung ihrer
Wahlprogramme.
Die Konkurrenztheorie der Demokratie verweist
auf einen Bedarf ökonomischer und politischer Bildung, die beide als öffentliche Güter anzusehen
sind. Daher muss mit einer Unterversorgung ökonomischer und politischer Bildung gerechnet werden,
wenn sich der Staat ihrer nicht annimmt. Ein Angebot an Wissen über ökonomische und politische Zusammenhänge ist, unabhängig von der laufenden
politischen Auseinandersetzung, erforderlich.
Hans-Hermann Hartwich, Marktwirtschaft in Deutschland: Vom
Keynesianismus zum Neoliberalismus, in: Gesellschaft-WirtschaftPolitik 4/2006, S. 491f.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / dpa
Die aus dem ehemaligen Postmonopol verbliebenen Rechte des
Postministers wurden in einer eigenständigen neuen Behörde
gebündelt und damit vom politischen Tagesgeschäft getrennt.
1998 wurde das Postministerium aufgelöst und dafür eine „Regulierungsbehörde“ geschaffen, die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RTP). Diese neue Behörde entschied
u. a. über den Marktzutritt neuer Anbieter, Tarife und Preise
und über das Marktverhalten. Zwar war damit der Eingriff des
Staates in das operative Geschäft beseitigt, jedoch unterschied
sich diese „Regulierung“ nicht sonderlich überzeugend von den
früheren staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Märkte.
Da die Regulierungsbehörde zudem die Eigentümerrechte des
Bundes wahrzunehmen hat, aber gleichzeitig die Märkte entgegen den Interessen der Telekom für Mitbewerber öffnen soll, ist
eine Interessenkollision unvermeidlich und die Behörde eher zu
konsensualem Vorgehen gegenüber der Telekom als zu irgendeiner rigiden Marktöffnungspolitik gezwungen. [...]
Mit Parolen werben Politiker um die Gunst der Wählerinnen und Wähler.
Plakatwand in Oberursel zur Kommunalwahl in Hessen 2006
20
Staat und Wirtschaft
Akteure der Wirtschaftspolitik
Hans-Jürgen Schlösser
Das wirtschaftspolitische Handeln wird maßgeblich von den jeweiligen Organisationsstrukturen und gesellschaftlichen Funktionen der beteiligten Akteure bestimmt.
Erst ihre Kooperation gibt der deutschen Wirtschaftspolitik ihr spezifisches Gesicht.
D
Nationale Akteure
Parlament
Das Parlament bildet zusammen mit der Regierung,
der Verwaltung und der Rechtsprechung die staatlichen Gewalten. Als Verfassungs- und Gesetzgeber
bestimmt das Parlament den Rahmen, innerhalb
dessen sich die Wirtschaftspolitik bewegen kann.
Deshalb ist das Parlament, das heißt in der Bundesrepublik Deutschland der Deutsche Bundestag der
oberste Träger der Wirtschaftspolitik.
In den Ausschüssen des Deutschen Bundestages
bereiten Abgeordnete aller Fraktionen Gesetzesvor-
Deutscher Bundestag / Siegfried Büker
ie wichtigsten Akteure der Wirtschaftspolitik
sind im inländischen Bereich das Parlament und
die Regierung, die Verwaltung und die Interessenverbände. Immer wichtiger aber werden für die moderne Wirtschaftspolitik ausländische, internationale und supranationale Akteure wie die Europäische
Union, der ihre Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte
übertragen haben. Supranationale wirtschaftspolitische Akteure der EU sind der Rat der Europäischen
Union (Ministerrat), die Europäische Kommission
sowie die Europäische Zentralbank (EZB).
Rente und Arbeit werden im Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelt.
Kaum ein Thema bewegt die Bürgerinnen und Bürger so sehr.
haben für die Verabschiedung im Plenum vor. Seine
wichtigsten Ausschüsse für die Wirtschaftspolitik
sind
Die Belastung durch die ständig wachsende Gesetzgebungsarbeit hat allerdings
die Parlamente im Lauf der Zeit dazu veranlasst, den Regierungen und Ministerien
immer mehr Entscheidungsbefugnisse zu
übertragen. Auch haben sich die Aufgaben der Wirtschafts- und Sozialpolitik so
verkompliziert, dass die Abgeordneten
zunehmend außerstande sind, alle wirtschaftspolitischen Sachprobleme selbst
zu bearbeiten und zu beurteilen. Sie konzentrieren sich deshalb verstärkt auf die
formellen Funktionen der Gesetzgebung
und auf ihre Kontrollfunktionen.
Das demokratisch gewählte Parlament
soll die Beziehung zwischen dem Wählerwillen und den wirtschaftspolitischen
Maßnahmen sicherstellen. Allerdings
kann auch ein demokratisches System mit
seinen Wahlen und parlamentarischen
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Akteure der Wirtschaftspolitik
Regierung
Die Regierung, bestehend aus Bundeskanzler(in)
und Minister(inne)n, ist für die Durchführung und
Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik verantwortlich. Sie schlägt dem Parlament ihre wirtschaftspolitischen Konzepte vor und trifft bei der Durchführung der Wirtschaftspolitik die Entscheidungen.
Die Regierung ist die oberste Instanz im politischadminstrativen Bereich und damit der wichtigste
Träger faktischer Macht bei der Entscheidung über
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
wirtschaftspolitische Maßnahmen. Bei diesen Entscheidungen muss sie folgende Bedingungen berücksichtigen:
ullstein bild – ddp
Abstimmungen nicht immer gewährleisten, dass
der Wille der Wählerinnen und Wähler repräsentiert
wird: So kann schon allein das Wahlsystem zu Verzerrungen führen, wenn beispielsweise ein reines
Mehrheitswahlrecht besteht und zur Folge hat, dass
eine Partei extrem überrepräsentiert wird, während
der Wille einer großen Minderheit nicht zur Geltung
kommt.
Die Tatsache, dass jede Person eine Stimme hat,
entspricht dem demokratischen Ideal der Gleichheit
vor dem Gesetz. Aus diesem Grunde werden demokratische Entscheidungen oft für legitimer befunden
als die Entscheidungen des Marktes, denn auf Märkten entspricht die Anzahl der Stimmen der ungleich
verteilten Kaufkraft von Marktteilnehmern. Die demokratische Legitimation wächst mit dem Grad der
Beteiligung. So sollten möglichst viele Individuen
eines Gemeinwesens zu Abstimmungen zugelassen
werden bzw. Zugang zu demokratischen Mitbestimmungsrechten haben.
Bringt eine Abstimmung eine klare Mehrheit für
eine der beiden Seiten, dann wird die Minderheit in
der Regel diese Entscheidung akzeptieren. Wenn das
Abstimmungsergebnis sehr knapp ausfällt, ist das
aber schon weniger zu erwarten. Um dennoch die Legitimität wichtiger Entscheidungen sicherzustellen,
wird daher oft eine absolute Mehrheit oder sogar eine
Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert. Letzteres gilt insbesondere für Verfassungsänderungen, also für sehr
fundamentale ordnungspolitische Entscheidungen.
Ein großer Vorteil der Demokratie ist, dass sich Abstimmungen zumindest in kleinen Gruppen ohne
großen Aufwand durchführen lassen. Komplikationen treten erst dann auf, wenn zwischen mehr als
zwei Optionen zu entscheiden ist. In diesem Fall muss
festgelegt werden, ob die einfache oder die absolute
Mehrheit gelten soll. Dabei kann es unter Umständen
zu dem Dilemma kommen, dass eine einfache Mehrheitsentscheidung als nicht ausreichend legitim
empfunden wird, während sich eine absolute Mehrheit für keines der zur Wahl gestellten Ergebnisse findet und so der Status quo erhalten bleibt.
Bei aller Komplexität der Entscheidungsfindung
bleibt jedoch ein wesentlicher Vorteil der Demokratie
gegenüber nicht-demokratischen Herrschaftsformen
die Tatsache, dass die Bundestagsabgeordneten aus
demokratischen Wahlen hervorgehen und in ihren
Wahlkreisen mit den Anliegen der Bürgerinnen und
Bürger konfrontiert werden. So besteht noch die größte Gewähr, dass deren Wünsche Gehör finden.
21
Die Bundesregierung ist für die Gestaltung und Durchführung der Wirtschaftspolitik verantwortlich. Kabinettssitzung im Dezember 2006
Nicht außer Acht bleiben sollte natürlich auch das
Bewusstsein, dass die Mitglieder der Regierung nebenher eigene Ziele verfolgen – ideologische, immaterielle und materielle. Sie wollen beispielsweise
persönliches Ansehen erlangen, die Wirtschaft und
Gesellschaft nach ihren jeweiligen Auffassungen
gestalten, eher konservative, liberale oder sozialistische Werthaltungen durchsetzen oder bestimmte
gesellschaftliche Gruppen fördern.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Parlament und Regierung sich in der Wirtschaftspolitik
an den Wünschen und Wertvorstellungen der Menschen orientieren, ist der Wettbewerb zwischen den
politischen Parteien aus denen die Parlaments- und
Regierungsvertreter in ihrer überwiegenden Mehrheit hervorgehen. Die Parteien bündeln gesellschaftliche Interessen und verdichten sie in ihren Parteiprogrammen, sodass die Wählenden Alternativen
vorfinden. Eine Wertung dieser Alternativen durch
die Bürgerinnen und Bürger ist allerdings nur möglich, wenn ihnen unabhängige Informationen zur
Wirtschaftspolitik zur Verfügung gestellt werden.
Bei fehlendem oder unzureichendem Wettbewerb
zwischen den Parteien besteht die Gefahr, dass sich
sowohl die Parlamentarier als auch die Regierungsmitglieder dem Wählerwillen entziehen, einseitig
bestimmte organisierte Interessengruppen wie beispielsweise die Gewerkschaften oder die Arbeitgeberverbände bevorzugen oder wirtschaftspolitische
Maßnahmen veranlassen, deren Nutzen besonders
gut, deren Kosten aber nur wenig sichtbar sind und
übergeordnete Perspektiven vermissen lassen.
22
Staat und Wirtschaft
Da eine Regierung immer auch ihre Wiederwahl
sichern will, kann sie verschiedenen Versuchungen
unterliegen, zum Beispiel kurz vor den Wahlen die
Staatsausgaben zu erhöhen, um so die Einkommen
Verschuldung nach dem Grundgesetz
Die Defizitkontrolle des Grundgesetzes ist recht unverbindlich.
Das zeigt die steigende Verschuldung des Bundes. Seit 1970 kennt
die Entwicklung nur eine Richtung: Sie geht nach oben. Artikel 115
Grundgesetz begrenzt die Nettokreditaufnahme auf die Investitionsausgaben. Was als Grenze gedacht war, ist zunehmend als Rahmen, der ausgeschöpft werden sollte, missverstanden worden. Zudem macht der Artikel eine entscheidende Ausnahme: Zur Abwehr
einer gesamtwirtschaftlichen Störung darf es auch mehr sein. Sie
wurde nicht nur für den Haushalt 2004 in Anspruch genommen.
Doch anders als in vergleichbaren Fällen ist seinerzeit die Opposition dagegen nach Karlsruhe gezogen.
In den Ländern sieht es nicht viel anders aus. Dort gelten vergleichbare Regeln. Auch dort ist der Verstoß zum Normalfall geworden. Im
September 2005 sprach der damalige Bundesfinanzminister Eichel
(SPD) von elf verfassungswidrigen Länderhaushalten. Dank Sparbeschlüssen und Steuererhöhungen erfüllen zu Beginn dieses Jahres
die meisten Länder die Minimalanforderung an die Haushaltsführung. Nur noch das Saarland, Schleswig-Holstein und Bremen haben verfassungswidrige Haushalte. Der Bund hat im Jahr 2007 seine
Nettokreditaufnahme unter die Investitionsausgaben gedrückt. Zuvor war das im Jahr 2001 der Fall gewesen.
Der Bundesrechnungshof kritisiert die „unzureichende Begrenzungswirkung“ von Artikel 115. Er verweist auf die Entwicklung der
jährlichen Nettokreditaufnahme. „Im Zeitraum von 1983 bis heute
war die Summe der Nettokreditaufnahme mit 614 Milliarden Euro
fast ebenso hoch wie die Summe der in demselben Zeitraum geleisteten Investitionsausgaben mit 619 Milliarden Euro“, heißt es in der
Stellungnahme für die mündliche Verhandlung. „Die Regelkreditgrenze wurde also über diesen gesamten Zeitraum vollständig ausgeschöpft, obwohl die Gesamtwirtschaft in den letzten 25 Jahren
durchschnittlich rund 2,1 Prozent pro Jahr real wuchs“, stellt der Präsident des Rechnungshofes Engels fest. „In elf dieser 25 Haushalts-
der Bürgerinnen und Bürger oder bevorzugter Wählergruppen kurzfristig zu steigern. Die daraus folgenden
Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit werden als „politischer Konjunkturzyklus“ bezeichnet. Die kurzen Legislaturperioden und die dichte Folge von Wahlen im föderalistischen System der Bundesrepublik
Deutschland sind zudem geeignet,
solche Tendenzen zu kurzfristig angelegter Wirtschaftspolitik zu verstärken, da auch die Machtverteilung
im Bundesrat die Durchsetzbarkeit
politischer Entscheidungen der Bundesregierung beeinflusst.
Staatsausgaben, die im Moment
den Bürgerinnen und Bürgern Gutes
tun und so kurzfristig populäre Wirkungen zeigen, können aber Folgen
nach sich ziehen, die verdeckt oder
verzögert zum Tragen kommen,
etwa eine wachsende Staatsverschuldung. So kann
eine amtierende Regierung mit ihren Wohltaten ein
Budgetdefizit aufbauen, dass die Nachfolgeregierung,
die eventuell von der Opposition gebildet wird, vor
jahre wurde die Regelkreditgrenze zum Teil erheblich überschritten,
vor allem in den Haushaltsjahren 2002 bis 2006.“ Ursprünglich sollte die Kreditbegrenzung dafür sorgen, dass nachfolgende Generationen nicht übermäßig unter der Ausgabenfreude ihrer Vorgänger
zu leiden haben. Indem man den neuen Krediten reale Investitionen
gegenüberstellte, sollte eine faire Lastenverteilung erreicht werden
– schließlich wird eine Autobahn länger als ein Jahr genutzt. Den
Schulden steht in dieser Betrachtung ein realer Vermögensaufbau
gegenüber.
Mehrere Entwicklungen haben diese Rechnung nicht aufgehen
lassen. Erstens sind alte Kredite nur umgeschuldet, aber nie getilgt
worden (große Ausnahme waren die Erlöse aus der UMTS-Versteigerung), so dass Zins und Zinseszins den Schuldenberg weiter anwachsen ließen. Zweitens sind nach einer gewissen Zeit weitere Investitionen zum Erhalt der Straßen und Gebäude notwendig. Drittens ist
in jüngerer Zeit hinzugekommen, dass der Staat Vermögen in erheblichem Umfang verkauft hat. Viertens hat die starke Inanspruchnahme der Ausnahmeklausel zum Anstieg des Schuldenbergs beigetragen. Ende dieses Jahres wird er bei 938 Milliarden Euro gesehen.
[...] Folge der permanenten Kreditaufnahme und des damit verbundenen Schuldenanstiegs sind wachsende Zinsausgaben. „Seit 1990
verdoppelte sich die jährliche Zinslast von 17,5 Milliarden Euro auf
41,1 Milliarden Euro im Jahre 1999“, hebt der Rechnungshof hervor.
Seitdem seien die Zinsausgaben aufgrund des Zinsniveaus an den
Finanzmärkten zwar leicht rückläufig, aber auch im Haushalt 2007
bildeten die Zinsen mit 39,3 Milliarden Euro den zweitgrößten Ausgabenblock. Sie sind damit deutlich höher als die neuen Kredite und
die Investitionsausgaben.
Die Finanzminister können offenbar den Ausgabenwünschen der
Fachpolitiker zu wenig entgegensetzen. Daran hat auch der in den
neunziger Jahren hinzugekommene Stabilitätspakt nichts Wesentliches geändert. [...]
Manfred Schäfers, „Der missbrauchte Artikel 115“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Februar 2007
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Akteure der Wirtschaftspolitik
die unbequeme Wahl stellt, entweder sparsamer und
damit unpopulärer zu sein oder die Verschuldungsspirale weiter anzutreiben.
Verwaltung
T. Imo/ photothek.net
Die Regierung ist nur handlungsfähig, wenn sie über
einen entsprechenden Verwaltungsapparat verfügt.
An der Spitze der Verwaltung im Bund stehen die
Bundesministerien (Ressorts), ihnen folgen Bundesbehörden, beispielsweise die Finanzverwaltung.
Verwaltungen existieren im föderalistischen System
der Bundesrepublik Deutschland außerdem auf der
Ebene der Länder und der Kommunen. Der Bundestag entscheidet über den Bundeshaushalt, doch die
entsprechende Durchführung der finanzpolitischen
Maßnahmen obliegt dem Finanzministerium. Auch
die Zentralbank hat ihre eigene Verwaltung, welche
die Geldpolitik durchführt.
Die Verwaltung setzt die in der Politik getroffenen Entscheidungen praktisch
um. Wegweiser im Rathaus Radevormwald 2003
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
23
Die Aufgabe der Verwaltung
besteht darin, die in Wahlen,
Parlament und Regierung gefallenen Entscheidungen der
demokratischen Willensbildung
praktisch umzusetzen. Verwaltung vollzieht und konkretisiert
Gesetze, die zentrale Handlungsform der Verwaltung ist
der Verwaltungsakt. Zu den Verwaltungsaufgaben gehören Planung, zum Beispiel die Planung
von Verkehrswegen, die Verwaltung von Leistungen, etwa die
Gewährung von Arbeitslosengeld, Eingriffe, zum Beispiel das
Verbot, an einem bestimmten
Ort ein bestimmtes Gewerbe
auszuüben und die Abgabenverwaltung, also der Einzug von
Steuern durch die Finanzämter.
Je größer die Bevölkerung und
je höher der wirtschaftliche Entwicklungsstand eines Landes ist, desto zahlreicher
sind generell die Aufgaben der öffentlichen Hand
und die zu ihrer Lösung erforderlichen Verwaltungsorgane. Im Föderalismus werden
zudem auch den Ländern und Ge- Parlament, Regierung und
meinden eigene, wirtschaftspoli- Verwaltung verfolgen
tisch relevante Entscheidungsbe- eigene Interessen
fugnisse übertragen, zum Beispiel
über ihre Haushalte. Parallel zur Machtverlagerung
vom Parlament zur Regierung lässt sich eine Tendenz
zur Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse der
Verwaltung im Verhältnis zur Regierung beobachten.
Die Regierung stützt sich bei der Vorbereitung ihrer
Entscheidungen weitgehend auf die Fachkenntnisse
der Verwaltung.
In Verwaltungen herrschen meist formalisierte,
hierarchische Entscheidungsverfahren vor. Auf diese Weise sind die durchgeführten Maßnahmen besser kontrollierbar. Den Verwaltungsbeamten drohen
entsprechend harte Strafen, wenn sie formale Vorschriften nicht einhalten. Die Instrumente, mit denen die Effektivität der behördlichen Maßnahmen
gemessen werden, sind demgegenüber nach einer
häufig geäußerten Kritik bisher noch weniger entwickelt.
Ebenso wie die Mitglieder von Parlament und Regierung verfolgen auch die Mitglieder der Verwaltung eigene Interessen, die nicht ohne Einfluss darauf
sind, ob und wie die Präferenzen der Bürgerinnen und
Bürger, aber auch Regierungsbeschlüsse, Parlamentsentscheidungen und Gesetze durch die Verwaltung
umgesetzt werden. Beispielsweise wollen auch die
Verwaltungsmitglieder ein gutes Einkommen erzielen und ihre Leistung durch Fachwelt, Öffentlichkeit,
Vorgesetzte und ihre spezifische Klientel anerkannt
sehen.
Die Mitglieder der Verwaltung können diese Interessen aber nur unter Einschränkungen verfolgen. Sie
sind an Vorschriften gebunden, sie werden durch ihre
Budgets eingeschränkt und sie müssen allzu starke
24
Staat und Wirtschaft
Interessengegensätze zwischen Verwaltung und Regierung, Verbänden, Bevölkerung und Parlament vermeiden.
Von der Größe ihres Budgets ist abhängig, in welchem Maße die Verwaltungsmitglieder ihre Aufgaben erfüllen können. Je größer ihr Budget ist, umso
mehr Projekte können sie realisieren. Dies steigert
ihre Anerkennung und erhöht in der Regel die Zahl
ihrer Mitarbeiter. Außerdem werden auch die Verwendungsspielräume für die finanziellen Mittel größer. Die Regierung hat ihrerseits ein Interesse daran,
Mittel für die Verwaltung einzusparen und sie an anderer Stelle zu verwenden, um dadurch zusätzliche
Wählerstimmen zu gewinnen.
Die Verwaltungswissenschaft diskutiert folgende
Möglichkeiten zur Kontrolle der Verwaltung:
-
Zentralbank
Die wichtigste Aufgabe der Zentralbank liegt in der
Sicherung der Geldwertstabilität. Die meisten Zentralbanken sind zusätzlich zur Unterstützung der
staatlichen Wirtschaftspolitik verpflichtet, aber nur,
soweit das Ziel der Geldwertstabilität dadurch nicht
gefährdet wird. Die Stabilität des Geldwertes hat
eine entscheidende Bedeutung für die Funktionsfähigkeit einer Wirtschaftsordnung, die grundsätzlich
auf der marktwirtschaftlichen Koordination beruht.
Die Deutsche Bundesbank ist heute nicht mehr
eigenständig, da sie 1999 in das System der Europäischen Zentralbanken integriert wurde. Die Eu-
ropäische Zentralbank wiederum wurde durch den
Vertrag von Maastricht von 1992 auf das Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Sie ist unabhängig von nationalen Regierungen und EU-Organen und es ist ihr
verboten, von diesen Weisungen anzunehmen.
Die Unabhängigkeit einer Zentralbank von Wahlen
und Regierungen ist sehr bedeutsam, weil Geldwertstabilität für manche Politiker ein eher unattraktives
Ziel ist. Es ist abstrakt, und seine Bedeutung den Bürgerinnen und Bürgern verglichen mit Vollbeschäftigung oder Einkommenssteigerung nur schwer vermitteln. Hinzu tritt, dass zwar die Geldwertstabilität
geschätzt wird, nicht jedoch die unpopulären Maßnahmen wie Erhöhungen der Leitzinsen, die oft zu
ihrer Erreichung notwendig sind. Aus diesem Grund
droht die Geldwertstabilität im politischen Wettbewerb am ehesten beiseite geschoben zu werden,
wenn dies Wählerstimmen verspricht. Daher wird
auch der Europäischen Zentralbank eine den Gerichten vergleichbare Unabhängigkeit eingeräumt.
Gleichzeitig besteht für die Mitglieder der unabhängigen, nur der Geldwertstabilität verpflichteten Zentralbank ein großer Anreiz, dieses Ziel zu verfolgen,
denn schließlich sind ihr Ansehen und ihr Einfluss
daran gebunden.
Verbände und Interessengruppen
Eine besondere Bedeutung kommt in Demokratien
dem Interessengruppenwettbewerb zu. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen wie zum Beispiel
Industrieverbände, Gewerkschaften, Umweltschutzbünde betreiben Lobby-Arbeit, Werbung und sind
beratend tätig mit dem Ziel, die Regierung zu einer
stärkeren Berücksichtigung ihrer speziellen Interessen zu veranlassen.
Viele Verbände und Interessengruppen haben ökonomische Anliegen, aber nicht alle sind im wirtschaftlichen Bereich tätig. Es sind
Akteure mit gleichen oder
ähnlichen Interessen, die
miteinander kommunizieren, Weiterbildung organisieren, sich gegenseitig Hilfe
und Unterstützung leisten
und ihre Positionen gegenüber anderen Akteuren nach
außen vertreten. Sie versuchen,Wählerinnen und Wähler, die Regierung und die
öffentliche Verwaltung im
Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen. Die entscheiden den Voraussetzungen für
den Erfolg von Interessengruppen sind Organisationsfähigkeit und Konfliktfähigkeit.
Da Interessengruppen
keinen Zugang zu den Instrumenten der Wirtschaftspolitik wie Steuersätzen,
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Akteure der Wirtschaftspolitik
25
Leitzinsen oder Staatsausgaben haben, aber dennoch
versuchen, die übrigen Entscheider in diesem Bereich
zu beeinflussen, können wir sie als indirekte Akteure
der Wirtschaftspolitik ansehen. Sie verfügen über
verschiedene Einflusskanäle: Sie können über die
Medien die Öffentlichkeit erreichen; sie versuchen,
im vorparlamentarischen Prozess Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen; die Unterstützung von
Parteien und Kandidaten erlaubt eine Einwirkung
auf das Parlament, und durch Informationsangebote
und Verhandlungen kann Einfluss auf die öffentliche
Verwaltung ausgeübt werden.
Weil kleine Interessengruppen übersichtlich sind
und in ihnen der soziale Druck in der Regel hoch ist,
lassen sie sich leichter organisieren als große Gruppen. Kleine, einheitliche, homogene Gruppen, zum
Beispiel Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Wirtschaftssektors, können oft mehr Einfluss ausüben
als große, heterogene, schwer organisierbare Gruppen wie die Verbraucher
oder die Steuerzahler. Die Konfliktfähigkeit einer Interessengruppe zeigt
sich darin, inwieweit sie in der Lage ist,
andere Akteure der Wirtschaftspolitik
am Erreichen ihrer Ziele zu hindern.
Politische Entscheidungen zugunsten
kleiner, konfliktfähiger Gruppen können sehr wahlwirksam sein, weil der
Nutzen für die begünstigte Gruppe
deutlich spürbar ist.
Wettbewerb zwischen Interessengruppen sorgt dafür, dass die Regierung nicht einseitig informiert bzw.
beeinflusst wird. Ein Beispiel stellt
die politische Formulierung von Umweltstandards dar. Ausgewogenheit
kommt in diesem Fall nur dann zustande, wenn weder die wirtschaftlichen
Interessengruppen (Industrieverbän- Greenpeace ist eine Interessengruppe mit großer Öffentlichkeitswirkung: Aktion vor dem Brandenburger
de, Gewerkschaften) noch Umwelt- Tor am 25. April 2006 zur Erinnerung an den 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
ullstein bild – Meißner
schutzorganisationen ein Monopol zur Beeinflussung der Regierung haben, aber ihre Argumente vorbringen können. Ihre Spezialkenntnisse bereichern
dann die Arbeit in den thematisch befassten Ausschüssen.
Ein wesentlicher Vorteil der
Einbindung von Interessengruppen in die Wirtschaftspolitik liegt
in der Entlastung des Staates.
Sowohl die Regierung als auch
die Verwaltung sind häufig auf
Informationen von Interessengruppen angewiesen. Die Risiken
bestehen darin, dass sich Politik
und Interessengruppen bei anstehenden Reformvorhaben auf den
kleinsten gemeinsamen Nenner
einigen, um Besitzstände der Interessengruppen zu wahren; dass
Staat und Gesellschaft unfähig
zu Neuerungen werden oder es
zu Einigungen auf Kosten Unbeteiligter kommt. Eine
hohe Verbandsmacht im Staat wird als Korporatismus bezeichnet. Die Gesellschaft wandelt sich von
einer Produktionsgesellschaft zu einer Verteilungsgesellschaft, wenn die in Verbänden zusammengeschlossenen wirtschaftlichen Akteure ihre Ressourcen nicht in erster Linie für die effiziente Produktion
von Gütern und Dienstleistungen einsetzen, sondern
für die Erlangung und Erhaltung von Privilegien,
die ihnen Wettbewerbsvorteile verschaffen. Im Extremfall kämpft dann jede Gruppe nur noch um ein
„größeres Stück vom Kuchen“, niemand jedoch berücksichtigt das Gemeinwohl. Die gesellschaftlichen
Grundwerte werden verfehlt.
Das Ausmaß, mit dem Verbände ihre Interessen geltend machen können, ist allerdings nicht
unbeschränkt. Knappe finanzielle Mittel begrenzen beispielsweise die Möglichkeiten der Regie-
Staat und Wirtschaft
picture-alliance / dpa
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Wichtige Akteure der internationalen Wirtschaftspolitik sind IWF und Weltbank, die ein Mal jährlich tagen – hier 2006 in Singapur.
rung, Wünsche von Interessengruppen zu erfüllen.
Auch müssen Regierungen mit sinkenden Wiederwahlchancen rechnen, wenn sie allzu deutlich den
Forderungen einzelner Interessengruppen nachgeben. Schließlich beschränkt die Konkurrenz der Interessengruppen untereinander ihre Macht.
Um die Vorteile von Interessengruppen und Verbänden in demokratischen Gesellschaften nutzen
und gleichzeitig die Risiken, die mit der Macht von
Interessengruppen verbunden sind, eindämmen
zu können, wurden verschiedene Konzepte entwickelt. Dazu gehört die Verpflichtung, die Aktivitäten
der Interessengruppen durch Berichte gegenüber
der Öffentlichkeit publik zu machen und auch die
Beschränkung der Möglichkeiten von Parlamentariern, für Interessengruppen zu arbeiten, zählt dazu.
Außerdem wurden Spielregeln für das Verhalten
innerhalb von Verbänden entwickelt, zum Beispiel
die Verpflichtung auf Satzungen, die eine demokratische Wahl der Verbandsführung gewährleisten.
Internationale Organisationen
Die nationale Wirtschaftspolitik unterliegt dem
Einfluss internationaler Institutionen. Besonders
bedeutsam ist der Internationale Währungsfonds
(IWF), der Kredite an verschuldete Länder vergibt,
und die Vergabe dieser Kredite an wirtschaftspolitische Auflagen bindet, zum Beispiel an Verpflichtungen zur Senkung der Staatsausgaben,
zum Abbau von Zöllen oder zur Liberalisierung von
Märkten. Für die Entwicklungshilfe ist die Weltbank von entsprechend großer Bedeutung.
Aber selbst wenn internationale Organisationen
keine Auflagen erteilen und Gelder vergeben, können sie die inländische Wirtschaftspolitik dadurch
beeinflussen, dass sie eine Öffentlichkeit schaffen
und Regierungen unter Rechtfertigungsdruck setzen. So fordern die Vereinten Nationen (UNO) beispielsweise, dass die Industrieländer 0,7 Prozent
ihres Bruttoinlandsprodukts für Maßnahmen der
Entwicklungshilfe in benachteiligten Ländern zur
Verfügung stellen. Staaten, die diesen Wert erheblich unterschreiten, werden der öffentlichen Kritik
ausgesetzt. Internationale Organisationen wie die
UNO oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) üben Einfluss auf die inländische Wirtschaftspolitik aus, indem sie Empfehlungen geben sowie Analysen und
öffentliche Bewertungen der Wirtschaftspolitik
veröffentlichen.
Supranationale Institutionen
Die Entscheidungen internationaler Organisationen
sind nur dann bindend für ihre Mitglieder, wenn
sie von diesen ausdrücklich anerkannt werden. Im
Unterschied dazu sind Entscheidungen und Regelungen von supranationalen Organisationen für
ihre Mitglieder grundsätzlich verbindlich.
Bestimmte Entscheidungen der EU sind dementsprechend für alle EU-Staaten und die gesamte EUBevölkerung verpflichtend. Die Mitgliedsstaaten
haben zu diesem Zweck ihre wirtschaftspolitische
Souveränität in wichtigen Bereichen auf die EU
übertragen.
Die Europäische Zentralbank wacht über die
Geldwertstabilität ihrer Mitgliedstaaten. Auch die
europäische Handelspolitik und die europäische
Agrarpolitik unterliegen supranationalen Akteuren,
der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union. Die einzelnen Mitgliedstaaten
haben die Handelspolitik der Europäischen Kommission übertragen, die zum Beispiel für die gesamte EU mit der World Trade Organisation (WTO)
über Zollsenkungen verhandelt. Beschlüsse der EU
zur Agrarpolitik, zum Beispiel zu Agrarmarktordnungen, welche die Preise für landwirtschaftliche
Produkte regulieren, sind ebenfalls für alle EU-Mitglieder verbindlich.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
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Ziele und Instrumente
Hans-Jürgen Schlösser
Wirtschaftspolitik basiert auf politischen Konzeptionen – mit jeweils spezifischen Zielen und Instrumenten. Die Soziale Marktwirtschaft bemüht
sich, freie Märkte unter Berücksichtigung der Grundwerte Freiheit und
Gerechtigkeit mit sozialem Ausgleich zu verbinden.
D
ie Wirtschaftspolitik muss ihre Ziele aus den gesellschaftlichen Werten ableiten. Daher können
wirtschaftspolitische Ziele als Unterziele für Grundwerte angesehen werden. Sie werden in Regierungserklärungen formuliert, aber zum Beispiel auch in
Gesetzen und Parlamentsbeschlüssen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele in der Bundesrepublik Deutschland sind
Nur wenn wirtschaftspolitische Ziele messbar sind,
lässt sich ihr Erfolg kontrollieren. Messbar ist beispielsweise das Ausmaß der Arbeitslosigkeit oder ob
und wie weit eine bestimmte Region innerhalb eines
festgelegten Zeitraums ihr Sozialprodukt pro Kopf der
Bevölkerung steigern konnte. Einen geringeren Grad
von Operationalität stellt die Ordnung nach RänInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
gen dar: Zustand A ist besser als Zustand B und dieser
wiederum ist besser als Zustand C. Messbarkeit erfordert, die Zustände der Wirtschaft zumindest in eine
Rangfolge bringen zu können, um in der Lage zu sein,
den Erfolg der Wirtschaftspolitik zu kontrollieren.
Dennoch finden wir in der praktischen Politik
immer wieder nicht messbare, inoperationale Ziele
vor. Oft werden sie lediglich als allgemeine Grundsätze beschrieben, anhand
derer die Politik ihre Linien
absteckt. Ein Beispiel dafür
ist: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig!“
(Karl Schiller). In dieser Form
können inoperationale Ziele
einen Konsens zwischen Akteuren herstellen, zum Beispiel zwischen Parteien, die
eine Regierungskoalition bilden, aber in den Einzelheiten
unterschiedliche Auffassungen haben.
Die Ziele der Wirtschaftspolitik können zu den gesellschaftlichen Grundwerten in
Beziehung gesetzt werden:
Vollbeschäftigung betrifft
den Grundwert Sicherheit,
aber auch das Freiheitsziel,
da unfreiwillige Arbeitslosigkeit einen Verlust an materialer Freiheit darstellt.
Preisstabilität bezieht sich
dagegen auf die Werte Gerechtigkeit und Sicherheit, da eine Inflation die Einkommens- und Vermögensverteilung zum Beispiel zu Ungunsten der
Sparer verändert und wirtschaftliche Unsicherheit schafft.
-
28
Staat und Wirtschaft
Zielbeziehungen
Wirtschaftspolitische Ziele können in unterschiedlichem Bezug zueinander stehen. Als vertikal gelten
Zielbeziehungen, in denen ein Ziel einen dienenden
Charakter für andere Ziele hat. Die wirtschaftspolitischen Ziele dienen der Realisierung gesellschaftlicher Grundwerte.
Zu den vertikalen treten horizontale Zielbeziehungen, die in der praktischen Wirtschaftspolitik
eine wichtige Rolle spielen. Sie lassen sich nochmals
unterscheiden in logische und
Die Annäherung an ein technologische Zielbeziehungen.
Ziel kann zu Einbußen bei Zu den logischen Zielbezieeinem anderen Ziel führen hungen gehört zum Beispiel die
Vereinbarkeit bzw. die Unvereinbarkeit von Zielen. Unvereinbar ist beispielsweise,
wenn die Wirtschaftspolitik gleichzeitig auf eine
Erhöhung der Energiepreise hinwirken will, um zum
Umweltschutz beizutragen, und auf eine Senkung
der Energiepreise, um das Wirtschaftswachstum zu steigern. Von
Zielidentität spricht man dann,
wenn Ziele sich inhaltlich nicht
unterscheiden oder sich mehrere
Ziele auf ein einziges Ziel zurückführen lassen. Dies ist etwa der
Fall, wenn man gleichzeitig Geldwertstabilität verfolgen und Inflation vermeiden will.
Logische Vereinbarkeit ist eine
Voraussetzung dafür, dass mehrere Ziele gleichzeitig angestrebt
werden können. Aber auch bei logischer Vereinbarkeit kann die Annäherung an ein Ziel zu Einbußen
bei der Erfüllung anderer Ziele führen. Solche horizontalen Zielbeziehungen werden als technologische
Zielbeziehungen bezeichnet: Wenn
die Verfolgung eines Ziels die Erreichung anderer Ziele beeinträchtigt,
dann liegt ein Zielkonflikt vor, beispielsweise bei den Zielen Wirtschaftswachstum
und Erhalt der natürlichen Umwelt. Gibt es dagegen
keine Wirkungen auf andere Ziele, so spricht man
von Zielneutralität. Die unproblematischste Situation ist die Zielharmonie: Die Verfolgung eines Ziels
begünstigt die Erreichung anderer Ziele, beispielsweise bei den Zielen Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung.
Im Zielkonflikt muss ein Kompromiss gefunden
werden. Gelingt dies nicht, befindet sich die Wirtschaftspolitik in einem Dilemma. Sie muss abwägen,
ob der Nutzen bei der Verfolgung des einen Ziels die
Beeinträchtigungen beim Erreichen des anderen
Ziels wert ist.
Die Ursachen von Zielkonflikten liegen im Einsatz
der wirtschaftspolitischen Instrumente. Wenn nur
ein einziges Instrument zur Erreichung von zwei
Zielen eingesetzt wird, kann davon eine negative
Wirkung auf eines der beiden Ziele ausgehen. Soll
beispielsweise eine Energiesteuer gleichzeitig den
Energieverbrauch senken und die öffentlichen Einnahmen erhöhen, führt ein Erfolg beim ersten Ziel
zum Verfehlen des zweiten. Beide Ziele sind nur
gleichzeitig zu erreichen, wenn noch ein zweites
wirtschaftspolitisches Instrument eingesetzt wird,
zum Beispiel ein höherer Mehrwertsteuersatz. Im
Idealfall verfügt die Wirtschaftspolitik also über so
viele Instrumente, wie sie Ziele anstrebt. Allerdings
lässt sich in der Praxis häufig nicht hinreichend
kontrollieren, ob und inwieweit die eingesetzten Instrumente die angestrebten Ziele befördern.
Wirtschaftspolitische Instrumente
Wirtschaftspolitische Instrumente lassen sich danach einteilen, wie intensiv sie in den Wirtschaftsablauf eingreifen und wie viel Zwang der Staat mit
ihnen ausübt. Er kann versuchen, das Verhalten der
wirtschaftenden Menschen durch Informationen
über die geplante Politik („Programminformationen“) zu beeinflussen oder mittels Analysen über
die gegenwärtige Wirtschaftslage Aufklärung geben („Lageinformation“). Beispiele für beide sind
der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung
oder Bedarfsanalysen für die Berufswahl. Der Staat
übernimmt bzw. fördert die Bereitstellung dieser
Informationen, weil wirtschaftspolitische Analysen
öffentliche Güter darstellen, deren Erstellung für
den Einzelnen zu teuer, für die Gesamtheit der Menschen aber lohnend ist. Programminformationen
können darüber hinaus dabei helfen, Wirkungsverzögerungen der Politik zu verkürzen, indem der Sinn
einer beabsichtigten Maßnahme verdeutlicht wird.
Wenn der Staat versucht, die Ziele der privaten Akteure zu verändern, spricht man von instrumentaler
Verwendung von Information. Hierzu gehören Aufforderungen und Mahnungen, beispielsweise zur
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
29
beteiligten Interessengruppen treffen
würden, sondern alle Bürgerinnen und
Bürger. Den Vorteilen einer solchen Politik stehen allerdings die Risiken einer
Herrschaft der Verbände (Korporativismus) gegenüber.
Den intensivsten Eingriff stellt staatlicher Zwang dar. Er kollidiert mit dem
Grundwert der Freiheit. Die Betroffenen
verlieren durch ihn jede Chance, selbst
Ziele zu setzen und zu verfolgen. Alle
Zwangsmaßnahmen zeichnen sich
durch einen sehr hohen Verwaltungsaufwand und häufig geringe Wirksamkeit aus, da die Betroffenen immer mit
Vermeidungsstrategien antworten. In
einigen wohl zu begründenden Einzelfällen allerdings kann Zwang zur
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos präsentiert im Januar 2006 den Jahres- Erhaltung von Freiheit sowie dem Allwirtschaftsbericht, der die finanz- und wirtschaftspolitischen Ziele der Bundesre- gemeinwohl dienen, beispielsweise bei
der zwangsweisen Entflechtung marktgierung für das laufende Jahr enthält.
beherrschender und ihre Marktmacht
missbrauchender Unternehmen. Beispiele hierfür
Lohnzurückhaltung oder zum Kauf inländischer Wasind die IG Farben, die nach 1945 wegen ihrer Verren. Beispiele aus dem Ausland sind die Slogans „buy
strickung mit dem nationalsozialistischen Regime
british“ oder „keep America rolling“. Die Wirkung insauf Beschluss des Alliierten Kontrollrats aufgelöst
trumentaler Verwendung von Informationen hängt
wurde, und der Telekommunikationsriese AT&T, der
von der geschickten Präsentation ab, und die Grenze
jahrzehntelang eine Monopolstellung in Kanada
zur Manipulation ist fließend.
und in den USA innehatte.
Sehr viel intensiver sind Eingriffe in die MarktDer Staat ist jedoch nicht darauf beschränkt, ledigprozesse, durch die sich Marktpreise und institutiolich das Verhalten von wirtschaftlichen Akteuren zu
nelle Bedingungen verändern. Hierzu gehören Zölle
beeinflussen, sondern kann auch versuchen, durch
auf ausländische Produkte zum Schutz der einheieigene Aktionen direkte Zielwirkungen zu erreichen.
mischen Produktion, zum Beispiel im Agrarsektor.
Dazu zählt die unmittelbare Güterversorgung durch
Weitere Markteingriffe sind Subventionen, um geden Staat, beispielsweise im Bereich der öffentlichen
fährdete, aber als existenziell wichtig angesehene
Güter. Durch Steuern und Sozialhilfe kann der Staat
Wirtschaftsbereiche wie die Kohleförderung zu
auch unmittelbar die Einkommen verändern, und
stützen und Abgaben, beispielsweise auf umweltdurch staatliche Nachfrage oder Angebote kann er
belastende Stoffe. Auch geld- und kreditpolitische
Eingriffe, welche die Zinssätze beeinflussen sollen, die Preise direkt beeinflussen, wie zum Beispiel beim
Ankauf landwirtschaftlicher Produkte (Getreide,
verändern Marktpreise. Fundamentaler als derartige
Butter) in der Agrarpolitik. Hinzu tritt die MöglichEingriffe in die laufenden wirtschaftlichen Prozesse
sind jedoch Veränderungen der institutionellen Bedingungen. Hierzu gehören
die Eigentumsordnung und das Vertragsrecht, das Wettbewerbsrecht und die Regulierung des Marktzugangs bei freien
Berufen.
Gerade in der deutschen Wirtschaftspolitik wurden und werden zur Bewahrung des sozialen Friedens immer wieder
„runde Tische“ und konzertierte Aktionen
„arrangiert“ um freiwillige Übereinkünfte zwischen den Trägern der Wirtschaftspolitik und wirtschaftlichen Interessengruppen zu erreichen. Wenn letztere über
wirtschaftspolitisch relevante Macht verfügen, vermindert sich allerdings die wirtschaftspolitische Autonomie des Staates.
Regierungen versuchen daher, eine Übereinkunft mit den wirtschaftlichen Interessengruppen zu finden, insbesondere Konzertierte Aktion im Jahr 1967: der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (M.)
wenn wirtschaftspolitische Zieleinbußen mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Zur Überwindung der Wirtschaftskridrohen, die nicht nur die Mitglieder der se sollten alle am Wirtschaftsprozess beteiligten Institutionen gemeinsam handeln.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / dpa
ullstein – BPA
Ziele und Instrumente
30
Staat und Wirtschaft
Die Wirtschaft blüht – im Schatten
Hamburger Abendblatt (HA): Die Bundesregierung versucht durch
mehr Kontrollen, die Schwarzarbeit einzudämmen. Wie hat sich die
Schwarzarbeit 2006 nach Ihrer Einschätzung entwickelt?
Schneider: In Deutschland ist die Schwarzarbeit 2006 weiter leicht
um 500 bis 900 Millionen Euro auf 345,5 Milliarden Euro gesunken.
Den Hauptgrund dafür sehe ich aber nicht in den Kontrollen, sondern in den anreizorientierten Maßnahmen – wie die Einführung
der Minijobs und die steuerliche Absetzbarkeit von privaten Haushaltsaufwendungen.
HA: Könnte die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Anreiz zur
Schwarzarbeit in diesem Jahr wieder erhöhen?
Schneider: Ja. Ich gehe davon aus, dass die Mehrwertsteuererhöhung zusammen mit der Anhebung der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge sowie die höhere Besteuerung von Minijobs die
Schwarzarbeit in diesem Jahr wieder moderat um etwa ein Prozent
steigen lässt.
HA: Wie viel Geld geht dem Staat dadurch verloren?
Schneider: Durch entgangene Steuer- und Sozialabgaben gehen
dem Staat zwischen 40 und 50 Milliarden Euro jährlich verloren.
Gleichzeitig wird durch Schwarzarbeit ein Teil der Steuerverluste
wieder wettgemacht. Denn das mit Schwarzarbeit verdiente Geld
geben die meisten Schwarzarbeiter in der regulären Wirtschaft wieder aus. Kaum jemand arbeitet fürs Sparbuch schwarz, sondern um
ein neues Auto, einen Fernseher oder Computer zu kaufen.
HA: In welchen Branchen gibt es viel Schwarzarbeit?
Schneider: Am meisten – etwa zwei Fünftel – wird im Bau und Handwerk schwarz gearbeitet. Danach folgen haushaltsnahe Dienstleistungen und solche in Gaststätten und Restaurants.
HA: Wer arbeitet in Deutschland schwarz?
Schneider: Zwischen neun und elf Millionen Deutsche arbeiten regelmäßig neben ihrem Job schwarz. Dazu gehören alle Berufsgruppen – Lehrer, Architekten, Rechtsanwälte, Fliesenleger oder Automechaniker. Es sind oft Nebenerwerbsschwarzarbeiter, die gleichzeitig
für ihren regulären Job brav Steuern und Abgaben bezahlen.
HA: Was reizt an Schwarzarbeit?
Schneider: Einige brauchen es als Zuverdienst, allen bringt es eine
Erhöhung des Lebensstandards. Man muss sehen, dass die Schattenwirtschaft den Wohlstand in Deutschland insgesamt steigert.
keit der staatlichen Regulierung, etwa in Form von
Preiskontrollen in der Versicherungswirtschaft.
Alle Varianten staatlichen Bemühens unterliegen jedoch einer Einschränkung: Die Wirkung wirtschaftspolitischer Instrumente ist immer unsicher.
Schließlich hängt sie davon ab, wie die wirtschaftenden Menschen auf die Maßnahmen der Wirtschaftspolitik reagieren. Diese Reaktionen sind niemals vollständig voraussehbar.
Ziel-Mittel-Systeme
Ein Ziel-Mittel-System stellt die systematische Verbindung von wirtschaftspolitischen Zielen mit
wirtschaftspolitischen Instrumenten dar. Wenn ein
Ziel-Mittel-System dazu dient, konkrete wirtschaftliche Probleme zu lösen, so handelt es sich um ein
wirtschaftspolitisches Programm. Eine wirtschafts-
Verlierer sind der Staat, die Sozialversicherungskassen sowie Unternehmer und Handwerker, die nicht nebenher schwarz arbeiten.
HA: Schwarzarbeiter sind also typische Normalbürger.
Schneider: Richtig. Schwarzarbeit, das sind wir. Schwarzarbeit ist die
Steuerrebellion des kleinen Mannes. Mindestens jeder dritte Deutsche arbeitet schwarz oder beschäftigt Schwarzarbeiter. Das ist ein
Massenphänomen zwischen Flensburg und Konstanz sowie Aachen
bis Frankfurt an der Oder. Allein die Reinigung von Privatwohnungen
ist zu 80 Prozent in die Schattenwirtschaft ausgelagert.
HA: Welche Möglichkeit gibt es, die Schwarzarbeit in den geregelten
Arbeitsmarkt wieder überzuleiten?
Schneider: Eine Möglichkeit ist es, Steuern und Abgaben zu senken.
Bis zu 25 Prozent Steuerlast akzeptieren die Menschen noch, aber
wenn man ihnen ein Drittel wegnimmt, arbeiten sie lieber wieder
schwarz. Die Steuerlast sollte generell 40 bis 45 Prozent nicht überschreiten. Positiv ist, dass Handwerkerrechungen jetzt steuerlich
absetzbar sind. Um die Schwarzarbeit weiter einzudämmen, sollte
die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive und ökologisch vorteilhafte
Maßnahmen sowie für Handwerker auf die Hälfte reduziert oder für
ein Jahr sogar ganz ausgesetzt werden. Das würde schon viel bringen. Zudem sollte die steuerliche Absetzbarkeit von privaten haushaltsnahen Dienstleistungen auf mindestens 1000 Euro im Monat
aufgestockt werden.
HA: Wie viele Jobs könnten aus der Schwarzarbeit in die reguläre
Wirtschaft überführt werden?
Schneider: Ich gehe davon aus, dass höchstens 20 bis 30 Prozent der
heutigen Schwarzarbeiten in der offiziellen Wirtschaft nachgefragt
werden würde. Der Rest würde entweder im Do-it-yourself oder gar
nicht mehr erbracht. Die Leidtragenden wären insbesondere berufstätige Frauen, die auf diese Dienstleistungen angewiesen sind, damit sie ihrem Job nachgehen können. Denn kaum ein Mann stellt
sich nach der Arbeit in die Küche, kocht, bügelt oder putzt. Wir haben
hier eine duale Wirtschaft, die eingespielt ist – und wohl so schnell
auch nicht verschwinden wird.
HA: Gibt es ein Land auf der Welt, in dem es keine Schwarzarbeit
gibt?
Schneider: Nein. Das kenne ich nicht.
„Schwarzarbeit wird 2007 zunehmen“. Interview mit Friedrich
Schneider, in: Hamburger Abendblatt vom 6. Januar 2007
politische Konzeption liegt vor, wenn das Ziel-Mittel-System als Richtschnur und Leitbild für alle,
auch zukünftige wirtschaftspolitische Aktivitäten,
dient. Für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik
Deutschland gilt die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitischen Programmen zur
Lösung konkreter Probleme sollen wirtschaftspolitische Konzeptionen zugrunde liegen, aus denen die
Programme entwickelt werden können. Die wirtschaftspolitischen Einzelentscheidungen werden
erleichtert, wenn eine wirtschaftspolitische Konzeption eine Vorauswahl unter den erkennbaren
Handlungsmöglichkeiten erlaubt, so dass nicht bei
jeder Alltagsentscheidung alle Konsequenzen, bis
hin zu den Grundwerten, im Einzelnen bestimmt
und abgewogen werden müssen. Die wichtigste
Bedeutung einer wirtschaftspolitischen Konzeption
besteht aber darin, dass sie undurchdachte Eingriffe
verhindert. Für die Soziale Marktwirtschaft gilt beispielsweise, dass alle staatlichen Eingriffe marktInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Ziele und Instrumente
konform sein sollen, also den Marktmechanismus
nicht außer Kraft setzen dürfen.
Eine wirtschaftspolitische Konzeption muss widerspruchsfrei formuliert sein, ihre Zielvorgaben
müssen aber nicht im gleichen Ausmaß messbar
sein wie die Ziele kurzfristiger wirtschaftspolitischer
Programme. Die Konzeption ist langfristig ausgerichtet und enthält langfristig gültige Ziel-MittelBeziehungen und ordnungspolitische Grundsätze,
die bestimmen, welche wirtschaftspolitischen Instrumente zugelassen sind und nach welchem Verfahren die wirtschaftlichen Handlungen koordiniert
werden. Die wirtschaftspolitische Konzeption und
ihre ordnungspolitischen Grundsätze spiegeln die
Bedeutung der gesellschaftlichen Grundwerte für
die Wirtschaftspolitik wider.
Da wirtschaftspolitische Konzeptionen eng mit
gesellschaftlichen Grundwerten verbunden sind,
enthält jede Entscheidung für eine wirtschaftspolitische Konzeption Werturteile. Wirtschaftspolitische
Konzeptionen sind daher nicht allein wirtschaftswissenschaftlich begründbar. Dennoch stehen viele
Fragestellungen der wissenschaftlichen Analyse offen. Zielkonflikte und Ziel-Mittel-Beziehungen lassen
sich ebenso untersuchen wie die Erfolgswahrscheinlichkeit der angestrebten Ziele. Schließlich besteht
eine wichtige Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft
darin, ideologische Elemente in wirtschaftspolitischen Konzeptionen offenzulegen.
Ist eine wirtschaftspolitische Konzeption nicht
durch politischen Konsens über die gesellschaftlichen Grundwerte abgesichert, so kann sie ihren
Zweck als langfristige Leitlinie nicht erfüllen. Wenn
sich die gesellschaftlichen Grundwerte oder auch
ihre Gewichtung gegeneinander im Lauf der Zeit
ändern, muss die wirtschaftspolitische Konzeption
überprüft und angepasst werden.
Konzeption Soziale Marktwirtschaft
Die Soziale Marktwirtschaft stellt
eine marktwirtschaftliche Ordnung
dar, in welcher die Marktergebnisse aus sozialpolitischen Gründen
durch Maßnahmen der staatlichen
Wirtschaftpolitik korrigiert werden.
Bei ihr stehen die Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit im Vordergrund. Die Soziale Marktwirtschaft
strebt die Verbindung von freien
Märkten mit sozialem Ausgleich
an. Ihre Grundsätze lassen sich den
gesellschaftlichen Grundwerten zuordnen:
Freiheit:
-
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
der Wirtschaft durch Wettbewerb und nicht durch
zentrale staatliche Planung.
Gerechtigkeit:
-
Sicherheit:
Fortschritt:
-
Hinzu kommen zwei ordnungspolitische Grundsätze:
-
Den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft entspricht die Einrichtung einer unabhängigen Zentralbank zur Sicherung des Geldwertes. Diese Voraussetzung erfüllen die Deutsche Bundesbank und die
Europäische Zentralbank (EZB). Genauso bedeutsam
ist die Errichtung einer Wettbewerbsbehörde zur
Sicherung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs.
Diese Aufgabe übernimmt in der Bundesrepublik
31
Staat und Wirtschaft
Deutschland das Bundeskartellamt, in der EU die
Europäische Kommission.
Historische Entwicklung
ullstein – AKG Pressebild
picture-alliance / dpa
Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ging aus den ersten Wahlen zum Deutschen
Bundestag 1949 eine Regierung bürgerlicher Parteien unter Bundeskanzler Konrad Adenauer hervor. Während im Parlamentarischen Rat, der das
Grundgesetz 1948/49 erarbeitet hatte, noch äu-
dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern
er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine
nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf
einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen
wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung,
die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder
durchbrochen werden kann.“ (Bundesverfassungsgericht, Urteil des 1. Senats vom 20. Juli 1954 –
BVerfGE 4,7). Erst im Zuge der deutsch-deutschen
ullstein bild
32
Die „Väter“ der Sozialen Marktwirtschaft: Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack und Walter Eucken (v.l.n.r.)
ßerst unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik
Deutschland diskutiert worden waren, fiel nach
der Wahl die ordnungspolitische Grundentscheidung zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft.
Die Konzeption geht auf Prinzipien zurück, die
Walter Eucken, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg, in den 1920er und
1930er Jahren und zum Teil noch im Geheimen
während der nationalsozialistischen Diktatur wissenschaftlich erarbeitet hatte. Seine Leitsätze wurden von Ludwig Erhard, dem ersten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, und
von Alfred Müller-Armack, Professor in Köln und
Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium,
zu einem Konzept zusammengefügt und in konkrete Wirtschaftspolitik umgesetzt.
Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor. 1954 hat das Bundesverfassungsgericht dazu entschieden: „Das Grundgesetz
garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt, noch eine nur mit marktkonformen Mitteln
zu steuernde Soziale Marktwirtschaft. Die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes
besteht lediglich darin, dass sich der Verfassunggeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht
Wiedervereinigung, im Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom
18. Mai 1990 wurde die bundesdeutsche Soziale
Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung bindend festgeschrieben.
Prinzipien
In der Sozialen Marktwirtschaft gilt das Marktprinzip. Es spricht den Konsumenten eine zentrale Rolle
zu. Sie sollen durch ihre Nachfrage die Produktion
der Güter bestimmen. Gelingt dies, so hat die Wirtschaftsordnung das Prinzip der Konsumentensouveränität realisiert. Nach dem Marktprinzip handeln die Wirtschaftssubjekte eigenverantwortlich.
Die Preise der Güter bilden sich durch Angebot und
Nachfrage, sie sind „Knappheitsanzeiger“ und dienen somit als Instrumente der Wirtschaftslenkung
und des Interessensausgleichs. Kosten, Erträge, Gewinne und Verluste sind die wesentlichen Größen
des Wirtschaftslebens unter Marktbedingungen.
Die Einzelnen haben das Recht, ihre ökonomischen
Ziele selbst zu bestimmen und zu verfolgen. Dies alles gelingt aber nur, wenn eine Reihe von allgemein
geltenden Rechten und Freiheiten gesichert sind.
Dazu gehören:
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Ziele und Instrumente
Marktmechanismus
Haushalte
Güternachfrage
Unternehmen
Güterangebote
Markt
Nachfrage steigt
Preis steigt
Preis fällt
Angebot steigt
Angebot fällt
Preis steigt
Preis fällt
Nachfrage fällt
Beeinflussung
der Einkommensverteilung
wirkt indirekt
Wirtschaftspolitik
Konjunkturpolitik
Steuerpolitik
Staat
Beeinflussung
der Investitionstätigkeit
Achim Pollert, u. a., Das Lexikon der Wirtschaft (Schriftenreihe der bpb, Bd.414), Bonn 2004, S. 78
Konsumentensouveränität wird dann verfehlt,
wenn zwischen den Produzenten kein Wettbewerb
stattfindet. Dann wird die Souveränität der Konsumenten durch die der Produzenten ersetzt. Produzenten, die Kartelle bilden und Preisabsprachen
treffen, oder sehr große Unternehmen mit Marktmacht, die keine Wettbewerber fürchten müssen,
stehen nicht unter dem Zwang, die Bedürfnisse der
Konsumenten möglichst gut zu bedienen. Sie handeln dann ausschließlich nach
ihren eigenen Gewinninteressen.
Daher gehört zu den konstitutiven Merkmalen der Sozialen
Marktwirtschaft eine entschiedene
und starke Wettbewerbspolitik des
Staates: Er ist für die Förderung
und die Erhaltung des Wettbewerbs verantwortlich.
Zwar hält sich der Staat in der
Sozialen Marktwirtschaft aus Entscheidungen über die Produktion,
die Verteilung und den Preis von
Gütern und Dienstleistungen heraus, jedoch praktiziert er einen
sozialen Ausgleich, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrumente
des sozialen Ausgleichs sind das
Steuersystem und die Sozialhilfe. Durch das Steuersystem findet
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Umverteilung statt, indem Haushalte mit höherem
Einkommen auch höhere Steuersätze zahlen müssen (progressive Einkommensteuer). Jede Form der
Sozialleistung stellt automatisch eine Umverteilung dar, da der Staat selbst nicht über eigene Mittel
verfügt und jede Leistung, die er einer Gruppe zur
Verfügung stellt, letztlich nur dadurch finanzieren
kann, dass er eine andere Gruppe besteuert.
Zur Politik des sozialen Ausgleichs in der Sozialen
Marktwirtschaft zählen Elemente der Vermögensbildung, im Wohnungsbau, die Förderung benachteiligter Regionen und Solidarelemente im Sozialversicherungssystem, das nicht allein nach dem
Versicherungsprinzip, sondern auch nach dem Fürsorgeprinzip ausgestaltet ist.
33
34
Staat und Wirtschaft
Durchführung der Wirtschaftspolitik
Hans-Jürgen Schlösser
Aktive Wirtschaftspolitik beruht auf Ist-Analysen und Erwartungen künftiger Entwicklungen, ihre Erfolge müssen kontrolliert werden. Der Staat setzt Rahmenbedingungen
für wirtschaftliches Handeln, greift aber auch fallweise in die Wirtschaftsabläufe ein.
ie wichtigsten Aufgaben der wirtschaftspolitischen Planung bestehen in der Diagnose,
der Prognose sowie in der Erfolgskontrolle der
durchgeführten Politik. Die Diagnose prüft den
Zustand der Volkswirtschaft und den bisherigen
Erfolg der angestrebten wirtschaftspolitischen Ziele.
Die Prognose stellt eine bedingte Vorhersage über
die wirtschaftliche Entwicklung dar, insbesondere
über die Wirkung geplanter wirtschaftspolitischer
Maßnahmen. Am Ende hat die Erfolgskontrolle die
Aufgabe festzustellen, ob die Ziele erreicht oder
verfehlt worden sind, und Hinweise dafür zu geben,
welche Änderungen der Politik unter Umständen
nötig sind. Wirtschaftspolitische Prognosen und
Diagnosen werden von der Verwaltung erstellt, von
Forschungsinstituten und Zentralbanken. Aufgrund
der internationalen wirtschaftlichen Verflechtung
werden auch internationale Prognosen, beispielsweise von der EU, der OECD und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) immer bedeutsamer.
Diagnose
Die Diagnose analysiert die bestehende ökonomische Situation und gleicht sie ab mit den zuvor
gesetzten Zielen. Es handelt sich also um einen „SollIst-Vergleich“, der voraussetzt, dass die Ziele sowohl
widerspruchsfrei als auch messbar formuliert wurden. Bei der Diagnose müssen Informationen über
die wirtschaftliche Realität gesammelt und ausgewertet werden. Die wichtigste Quelle dafür stellt die
amtliche Statistik dar, aber unter Umständen müssen zusätzliche Informationen durch die Verwaltung
oder durch Forschungsinstitute, zum Beispiel in
Form von Gutachten, beschafft werden. Derartige Informationen sind allerdings nicht kostenlos: Ihre Beschaffung ruft Kosten hervor, die zum zusätzlichen
Nutzen für die Wirtschaftspolitik ins Verhältnis gesetzt werden müssen.
Abweichungen des Soll-Zustandes vom Ist-Zustand müssen erklärt werden. Für solche Erklärungen werden wirtschaftswissenschaftliche Theorien benötigt, die Aussagen über Ursachen und
Wirkungen sowie über räumliche und zeitliche Anwendungsbedingungen wirtschaftspolitischer Instrumente machen. Der letzte Schritt der Diagnose
besteht nun darin, diejenigen wirtschaftspolitischen
Instrumente bzw. Mittel zum konkreten Handlungsziel zu identifizieren, die von der Wirtschaftspolitik
dazu eingesetzt werden können, um den Zielzustand zu erreichen. Darüber hinaus soll die Diagnose
auch Aufschluss darüber geben, wie man Zielverfehlungen in der Vergangenheit durch ein anderes
wirtschaftspolitisches Vorgehen hätte verhindern
können.
Wenn keine geeigneten wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zur Verfügung stehen oder konkurrierende Theorien vorliegen – wie im Fall der nachfrage- und angebotsorientierten Theorien in der
Konjunkturpolitik –, verliert die Diagnose ihre Eindeutigkeit, und es kommt zu unterschiedlichen Erklärungsversuchen mit verschiedenen wirtschaftspolitischen Therapievorschlägen.
Prognose
Jedes Handeln, das nicht ausschließlich durch Gefühle
oder Gewohnheit bestimmt ist, beruht auf Prognosen. Der Jugendliche, der eine Ausbildung beginnt,
CARO / Rupert Oberhäuser
D
Durch eine gute Ausbildung erhoffen sich Jugendliche bessere
Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auszubildende in Düsseldorf 2005
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Durchführung der Wirtschaftspolitik
35
Wegen der generellen Unsicherheit von Prognosen
werden in jüngerer Zeit statt einer einzigen Prognose
mehrere Prognosevarianten vorgelegt – beispielsweise eine optimistische, eine mittlere und eine pessimistische. Solche Varianten gehen bei einer Konjunkturprognose von unterschiedlichen Annahmen über
die zukünftige Entwicklung der Weltkonjunktur aus:
Die zukünftige Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland
wird geschätzt, indem
man eine hohe, eine mittlere und eine niedrige
Wachstumsrate der Weltwirtschaft annimmt. Für
die stark exportabhängige Volkswirtschaft der
Bundesrepublik Deutschland ergeben sich dann
drei unterschiedliche Perspektiven; sie markieren
einen Bereich der Entwicklungsmöglichkeiten,
wobei letztlich die wirtschaftspolitischen Akteure entscheiden müssen,
an welcher von der Wirtschaftswissenschaft vorDie fünf Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung über- gelegten Variante sie sich
ausrichten.
geben Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8. November 2006 ihr Jahresgutachten 2006/2007.
also was geschähe, wenn keine neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen würden („StatusErfolgskontrolle
quo-Prognose“). Danach beschäftigt man sich mit
der Frage, wie sich die wirtschaftspolitische Lage
Effektive Wirtschaftspolitik trägt durch ihre Maßvon dem Moment an verändert, in dem ausgewählnahmen in der erwünschten Weise und im
te wirtschaftspolitische Maßnahmen wirken („Wirerwünschten Umfang zur Erreichung der wirtkungsprognose“). Die Basis der Prognose bildet die
schaftspolitischen Ziele bei. Zusätzlich ist WirtDiagnose. Dabei wird angenommen, dass die Ursaschaftspolitik effizient, wenn sie genau jene Maßche-Wirkungszusammenhänge, die bei der Diagnonahmen ergriffen hat, durch welche sie ihre Ziele
se ermittelt worden sind, auch in Zukunft gelten. Ermit den geringsten Kosten erreichen konnte.
weist sich diese Annahme jedoch als falsch, so geht
Die Überprüfung der Wirtschaftspolitik auf Effekdie Prognose in die Irre.
tivität und Effizienz ist Aufgabe der Erfolgskontrolle.
Volkswirtschaftliche Systeme sind jedoch offene
Sie dient dazu, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu
Systeme, bei denen immer mit unbekannten oder
unerwarteten Faktoren gerechnet werden
muss. Da die Bedingungen, an die Prognosen
geknüpft sind, nicht mit Gewissheit vorhergesehen werden können, sind alle Prognosen
lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen und
äußerst vorsichtig zu verwenden. Die Prognose kann sogar selbst die wirtschaftliche
Entwicklung beeinflussen („self-fulfilling
prophecy“). So weisen in der Konjunkturpolitik Prognosen einen Trend zur Selbstverstärkung auf. Wenn die Prognose beispielsweise
einen Niedergang der Investitionen, einen
Rückgang des privaten Konsums und daher
eine Rezession voraussagt, so kann dies dazu
führen, dass die wirtschaftlichen Akteure
aufgrund dieser pessimistischen Erwartung
eine negative Grundeinstellung entwickeln
und sich genauso verhalten, wie es die Pro- Der Bundesrechnungshof übt externe Kontrolle aus, indem er die Haushalts- und Wirtgnose ankündigte.
schaftsführung des Bundes prüft und seinen Rat zu wirtschaftspolitischen Fragen gibt.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / dpa
picture-alliance / dpa
tut dies in der Hoffnung, dass er damit später eine
Anstellung finden wird. Die Unternehmerin, die ihr
Kapital investiert, rechnet damit, dass sich diese Investition rentiert.
Die wirtschaftspolitische Prognose hat – wie jede
ökonomische Prognose – zwei Aspekte: Zunächst
müssen die wirtschaftspolitischen Akteure wissen,
wie sich die Lage von sich aus verändern würde,
36
Staat und Wirtschaft
tion, die Rechnungshöfe und nicht zuletzt die Wirtschaftspresse eignen sich ebenfalls für die externe
Kontrolle, weil sie die Wirtschaftspolitik kontinuierlich kritisch beobachten.
ullstein – Becker & Bredel
Regeln und freies Ermessen
Wirtschaftsjournalisten sind sachkundige Beobachter der Wirtschaftspolitik, deren Kritik sich die Politik stellen muss.
korrigieren oder durch andere Maßnahmen zu ersetzen. Die begleitende Erfolgskontrolle versucht dabei,
Abweichungen von den erwünschten Wirkungen der
Maßnahmen möglichst frühzeitig festzustellen. Sie
bedeutet den fortwährenden Vergleich der Soll- mit
den Ist-Werten bereits während der Durchführung
der Politik.
Wird die Erfolgskontrolle von den Trägern der
Politik selbst durchgeführt, so handelt es sich um
eine interne Kontrolle. Sie hat den Vorteil, dass die
Träger der Wirtschaftspolitik, beispielsweise das
Finanz- oder das Wirtschaftsministerium oder die
Zentralbank, besonders gut über den eigenen Bereich Bescheid wissen und daher zu einer besonders
gründlichen Kontrolle fähig sind. Da sie allerdings
selbst die Abweichungen des Soll- vom Ist-Zustand
zu vertreten haben, kann dies dazu führen, dass
Zielverfehlungen verschwiegen oder bagatellisiert
werden.
Daher wird in vielen Fällen eine externe Kontrolle vorgezogen. Hierfür kommen beispielsweise
wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute
und Universitäten in Frage. Einer solchen externen
Kontrolle durch unabhängige Forschungsinstitute
wurden beispielsweise 2006 die Hartz-Reformen
unterzogen. Externe Erfolgskontrolle wird allerdings
schwierig, wenn Regierung und Verwaltung Informationen zurückhalten.
Auch Interessenorganisationen kontrollieren den
Erfolg der Wirtschaftspolitik, allerdings beurteilen
sie die ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf ihre
eigenen Interessen. Die parlamentarische Opposi-
Angesichts der vielen Unsicherheiten und Schwächen, mit denen Diagnose und Wirkungsprognose
behaftet sind, stellt sich die Frage, ob eine Wirtschaftspolitik mit großen Ermessensspielräumen
und zahlreichen Einzeleingriffen nicht mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Fallweise Eingriffe
sind mit Risiken verbunden, da sich oft nur schwer
vorhersagen lässt, ob und mit welchen zeitlichen
Verzögerungen sie sich auswirken. Große Ermessensspielräume können zu wirtschaftspolitischem
Aktivismus und zu Lavieren um des kurzfristigen
Erfolges Willen verleiten sowie den Einfluss von
Interessenverbänden erhöhen. Diese Argumente
sprechen gegen große Ermessensspielräume, aber
sie lassen sich zum Teil genauso gut gegen Einschränkungen und feste Regeln anführen, denn
diese setzen voraus, dass die angenommenen Zusammenhänge allgemein bekannt sind und auch in
der Zukunft gelten.
Beim jetzigen Stand des wirtschaftspolitischen
Wissens kann wegen der Unvorhersehbarkeit künftiger Ereignisse nicht auf Ermessensspielräume verzichtet werden. Fallweise Eingriffe erfordern wegen
der mit ihnen verbundenen Nachteile und Risiken
sorgfältige Abwägung und – wo es möglich ist – sollten ihnen Regelbindungen vorgezogen werden.
Ordnungs- und Prozesspolitik
In Deutschland wird häufig zwischen Ordnungspolitik und Prozesspolitik unterschieden. Die Ordnungspolitik zielt auf die Gestaltung der Wirtschaftsordnung ab, also auf die „Spielregeln“, nach welchen
ökonomisch gehandelt wird. Prozesspolitik dagegen bedeutet, dass der Staat nicht allein die Regeln
festlegt, sondern fallweise in die wirtschaftlichen
Abläufe eingreift. Daher steht die Unterscheidung
zwischen Ordnungspolitik und Prozesspolitik in
einem engen Zusammenhang mit der Diskussion
um Regeln und freies Ermessen. Liberale Kritiker der
Wirtschaftspolitik, die davon überzeugt sind, dass
die Marktwirtschaft von allein zu einem stabilen
Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung findet, lehnen
prozesspolitische Interventionen ab, weil solche
punktuellen Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf ihrer Ansicht nach ihre Ziele nicht erreichen
und die Volkswirtschaft nur destabilisieren.
Ordnungspolitik hat den Vorteil, dass der Staat
nur den „Rahmen“ setzen muss, ohne immer wieder
in die wirtschaftlichen Abläufe einzugreifen. Allerdings lassen sich bestimmte wirtschaftspolitische
Probleme, beispielsweise KonjunkturschwankunInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Durchführung der Wirtschaftspolitik
gen, nach Auffassung vieler Wirtschaftspolitiker
nicht allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen
bewältigen. Sie argumentieren, dass es nicht zweckmäßig sei, prozesspolitische Instrumente ungenutzt
zu lassen, wenn man durch ihren Einsatz Konjunkturund Strukturkrisen vermeiden oder abmildern kann.
Daher finden wir in der deutschen Wirtschaftspolitik sowohl Ordnungs- als auch Prozesspolitik vor.
Ordnungspolitische Maßnahmen
Der Gegenstand der Ordnungspolitik ist die Gestaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung. Ordnungspolitische Maßnahmen bestimmen
die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns,
sie werden nur in großen Zeitabständen ergriffen.
Ordnungspolitische Entscheidungen haben häufig
Verfassungsrang. Ein Beispiel dafür stellt in Deutschland die Tarifautonomie dar, die im Grundgesetz
verankert ist und zur Arbeitsmarktordnungspolitik
gehört. Tarifautonomie bedeutet, dass Arbeitnehmer
und Arbeitgeber die Tarifverträge im Rahmen der
Arbeitsmarktgesetze frei von Interventionen der Regierung aushandeln können. Ein weiteres Beispiel
für ordnungspolitische Festlegungen sind die Kompetenzen der Zentralbank, insbesondere ihr Verhältnis
zur Regierung (siehe S. 24).
Die Wirtschaftsordnung wird bestimmt von
-
37
duktionsmittel im Wesentlichen bei den Betrieben,
welche sich wiederum in der Regel in Privatbesitz
befinden. Genossenschaften spielen hauptsächlich
in der Landwirtschaft eine größere Rolle. Die Koordination erfolgt über Märkte, über Verträge und in
geringerem Umfang über Gruppenverhandlungen.
In der zentralen Verwaltungswirtschaft (kommunistische Planwirtschaft) dagegen haben staatliche
Instanzen die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, allerdings kommt in der Landwirtschaft
den Genossenschaften eine größere Bedeutung zu.
Die Koordination der wirtschaftlichen Handlungen
erfolgt durch Plananweisungen.
Dem deutschen Ökonomen Walter Eucken zufolge betrifft die Ordnungspolitik nicht nur die allgemeinen, für die gesamte Volkswirtschaft gültigen
Regeln, wie zum Beispiel den Schutz des Privateigentums bzw. dessen soziale Verpflichtung. Ordnungspolitik muss auch die Rahmenbedingungen
prägen, die in speziellen Bereichen der Wirtschaft
gelten, zum Beispiel in bestimmten Sektoren wie
Landwirtschaft, Energie oder Verkehr. Die Ordnungspolitik hat Leitbildfunktion. Wenn sie diese
verliert und in den einzelnen Bereichen unüberlegt
entschieden wird, kommt es zu willkürlichen Interventionen, zu Orientierungsverlust, Koordinationsmängeln und Ineffizienz.
Prozesspolitische Eingriffe
Eine Volkswirtschaft, in welcher der Staat sich nicht
darauf beschränkt, Regeln zu setzen, sondern in die
Wirtschaftsabläufe eingreift, wird als interventionistische Marktwirtschaft bezeichnet. Gründe dafür,
dass tatsächlich alle Marktwirtschaften mehr oder
weniger interventionistisch sind, können einerseits
in fallweisem Marktversagen liegen, insbesondere
aber darin, dass die Regierung aus unterschiedlichen
Motiven – Wille zur aktiven Gestaltung der Volks-
Im Einzelnen geht es bei der Ordnungspolitik darum,
die Handlungen der einzelnen arbeitsteilig tätigen
Wirtschaftssubjekte zu koordinieren, ökonomische
Entscheidungsbefugnisse zuzuordnen und die sachgemäße Verwendung der Produktionsmittel – zum
Beispiel Maschinen und Gebäude – zu kontrollieren.
In der Realität finden wir niemals
„reine“ Formen von WirtschaftssysteModellhafte Klassifikation idealtypischer Wirtschaftssysteme
men vor. Stattdessen treten gemischte
Systeme mit verschiedenartigen – oft
HauptunterscheidungsZentralverwaltungsMarktwirtschaft
auch widersprüchlichen – Elementen
elemente
wirtschaft
auf. Die jeweils vorherrschenden EleKoordination der
Einplanwirtschaft und
Mehrplanwirtschaft und
mente werden konstitutive SystemWirtschaftseinheiten
staatliche Steuerung
Wettbewerbssteuerung
elemente genannt. Sie liefern Unter(„zentral
geleitete
Wirt
(„freie Verkehrswirtschaft“)
scheidungskriterien für die Analyse
schaft“)
von Wirtschaftsordnungen:
Subordination der
Gebote
Verbote
Wirtschaftseinheiten
(Plansoll-Vorgaben)
(staatlicher Ordnungsrahmen)
unter den Staat
In der Sozialen Marktwirtschaft liegt
die Verfügungsgewalt über die ProInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Eigentumsordnung
Staatseigentum
(„Sozialismus“)
Privateigentum
(„Kapitalismus“)
Interdependenz mit der
politischen Ordnung
Diktatur
Demokratie
nach: Achim Pollert, u. a., Das Lexikon der Wirtschaft, Bonn 2004, S. 58
38
Staat und Wirtschaft
Zentrale (Fehl-)Steuerung der Wirtschaft
[…] Die zentral geplante Strukturpolitik sollte der DDR Krisenfreiheit und Wohlstand bringen, den Staat im Innern befrieden und
gegenüber äußeren Gegnern stärken. Diese Ziele glaubte sie durch
die Effizienz des eigenen Wirtschaftssystems erreichen zu können,
das nach Überzeugung der SED-Führung die überlegene Innovationsfähigkeit, die optimale Zusammensetzung der Produktionsfaktoren, die kontinuierliche Produktion und die Beschleunigung des
Wirtschaftswachstums garantierte.
Die Daten über die Entwicklung der Investitionen und der Beschäftigten- und Produktionsstruktur, wie auch die (interne) Kritik der
DDR-Wirtschaftswissenschaftler an der volkswirtschaftlichen Unterspezialisierung, dem zu hohen Energie- und Materialverbrauch,
der nicht bedarfsgerechten Güterstruktur und der Konzentration
der Investitionen auf wechselnde Entwicklungsschwerpunkte bei
gleichzeitiger Vernachlässigung der restlichen Bereiche zeigten
aber, daß die Innovationsfähigkeit gering und die Zusammensetzung der Produktionsfaktoren nicht optimal waren. Daher konnten
weder der angestrebte Wohlstand noch die innere und äußere Sicherheit erreicht werden. Die Führungen der DDR und der anderen
sozialistischen Länder behaupteten zwar, ihr Wirtschaftssystem sei
dem kapitalistischen überlegen; doch der Leistungsvergleich fiel
immer deutlicher zugunsten der westlichen Industrieländer aus.
Die DDR-Wirtschaft blieb in ihrer strukturellen Entwicklung hinter den westlichen Industrieländern zurück. Sie vermochte sich
nicht von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft zu
wandeln. […] In den 80er Jahren schließlich gerieten alle Planwirt-
wirtschaft, Wunsch der Wiederwahl – an der Beeinflussung der Wirtschaftsprozesse interessiert ist.
Prozesspolitische Eingriffe werden, anders als
ordnungspolitische Maßnahmen, häufig vorgenommen. Sie verändern die ökonomischen Prozesse direkt, und es werden Instrumente eingesetzt, deren
Wirkungen sich statistisch erfassen lassen. Zu den
schaften sozialistischen Typs in eine Krise, deren Merkmale überall
die gleichen waren: sinkende Zuwachsraten des Sozialprodukts, abnehmende Kapital- und Arbeitsproduktivität, niedrige Investitionsraten, Verschlechterung der terms of trade im Westhandel und in
fast allen RGW-Ländern wachsende Verschuldung gegenüber den
OECD-Staaten.
[…] In allen sozialistischen Staaten behinderte die zentrale Steuerung von Entscheidungen und Informationen die Innovationsfähigkeit. Das Preissystem verhinderte überall eine ökonomisch effiziente Strukturpolitik, denn trotz aller Reformversuche gelang es nirgends, den „gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand“ durch
die Preise zu erfassen; die zentral festgesetzten Preise vermittelten
in keinem Land zutreffende Informationen über die Knappheitsverhältnisse, und mangels gesamtwirtschaftlicher Rentabilitätskriterien war deshalb die Konzentration der Investitionen auf die effizientesten Sektoren, Zweige und Produkte nirgends möglich. Eine
Ökonomisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den RGWLändern scheiterte an den gleichen Systemdefekten: Da ökonomisch begründete Preise fehlten, prägte der bilaterale Tausch von
Produkten den Außenhandel, und die Staaten verhinderten eine
multinationale Strukturpolitik u.a. auch, weil deren ökonomischer
Nutzen nicht quantifizierbar war und damit nicht in ihrem Interesse liegend erschien. […]
Siegfried Kupper,„Ziele und Folgen des zentralgelenkten sektoralen
und regionalen Strukturwandels in der DDR-Planwirtschaft“, in:
Eberhard Kuhrt u.a. (Hg.), Die Endzeit der DDR-Wirtschaft, Opladen
1999, S. 136f.
Instrumenten der Prozesspolitik gehören die Staatsausgaben, die Steuersätze, Subventionen und die
Leitzinsen der Zentralbank. Mit dem Einsatz ihrer
prozesspolitischen Instrumente zielen die Träger der
Wirtschaftspolitik darauf ab, die wirtschaftliche Aktivität anzuregen oder zu dämpfen, je nachdem, ob
die wirtschaftspolitische Gesamtsituation eher eine
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder der Inflation
erfordert.
Im Gegensatz zur langfristig ausgerichteten Ordnungspolitik ist Prozesspolitik kurzfristig angelegt. Beide müssen aber
im Zusammenhang gesehen werden, denn eine
Prozesspolitik, die gegen
die Prinzipien der Wirtschaftsordnung verstößt,
zerstört diese letztlich.
Die Ordnungspolitik fällt
Grundsatzentscheidungen
über die Ausrichtung des
Wirtschaftssystems (zum
Beispiel zugunsten einer
zentralen Lenkung oder
zugunsten freien Wettbewerbs). Die Prozesspolitik
baut darauf auf, sie übernimmt kurzfristige Steuerungsaufgaben.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
39
Staatliche Handlungsfelder
in einer Marktwirtschaft
Hans-Jürgen Schlösser
Wirtschaftspolitik soll den Wettbewerb schützen, nachhaltiges Wachstum fördern, gegen Lebensrisiken absichern und sozialen Ausgleich bewirken. Die eng verflochtene
Weltwirtschaft erfordert Handelsdiplomatie und Rücksicht auf benachteiligte Regionen.
Wettbewerbspolitik
Wettbewerb ist das wichtigste Prinzip der Marktwirtschaft. Daher hat die Wirtschaftspolitik die Aufgabe,
den Wettbewerb in allen Bereichen und Sektoren der
Volkswirtschaft zu schützen und zu fördern. Dabei
sind folgende Kriterien für einen funktionsfähigen
Wettbewerb zu beachten:
Wettbewerb und Freiheit können als zwei Seiten
derselben Medaille angesehen werden. Der Handlungsspielraum und die Wahlmöglichkeiten der
wirtschaftlichen Akteure dürfen nicht unangemessen eingeschränkt werden: Weder durch Marktteilnehmer, wenn sich zum Beispiel mehrere Firmen
zu Kartellen zusammenschließen und durch ihre
Absprachen andere benachteiligen, noch durch den
Staat, indem dieser beispielsweise einzelne Unternehmen privilegiert oder diskriminiert. Freiheit
beinhaltet in diesem Kontext, dass niemand an der
Teilnahme am Wettbewerb gehindert oder eingeschränkt wird und stellt damit eine Voraussetzung
für funktionierenden Wettbewerb dar.
Wettbewerb dient dem gesellschaftlichen Grundwert Gerechtigkeit, da er für eine leistungsgerechte
Primärverteilung sorgt. Wettbewerbsbeschränkungen, zum Beispiel durch marktmächtige Unternehmen, die keine Konkurrenz zu befürchten haben,
oder durch Kartelle, welche durch Preisabsprachen
die Konkurrenz ausschließen, ermöglichen eine
Ausbeutung der Kunden. Am deutlichsten wird dies
am Beispiel des Monopols: Der Gewinn maximierende Monopolist erzeugt eine geringere Produktionsmenge als Unternehmen, die in Konkurrenz
zueinander stehen. Diese Verringerung der Angebotsmenge im Monopol treibt den Marktpreis hoch
und stellt den Monopolisten auf Kosten der Konsumierenden besser.
Die Primärverteilung in der Wettbewerbswirtschaft erfolgt nach der Marktleistung. Honoriert
wird, was am Markt ankommt. In der reinen Wettbewerbswirtschaft wird also nicht gefragt, ob jemand
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
„verdient, was er verdient“. Wer etwas zu verkaufen
hat, das von vielen nachgefragt und von wenigen
angeboten wird, erzielt ein hohes Einkommen, unabhängig davon, ob seine wirtschaftliche Aktivität
als verdienstvoll oder als verachtenswert angesehen
wird.
Es gibt aber auch Leistungen, die sich nicht als
Marktleistungen verwirklichen, wie zum Beispiel
ehrenamtliche Arbeit. Andererseits wird der Konsum mancher Güter, die hohe Marktpreise erzielen,
als verwerflich angesehen, beispielsweise Rausch-
Kartellrecht
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
§1 Kartellverbot
Vereinbarungen zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander
abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder
Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.
verbotene Absprachen
Preiskartell
Die Kartellmitglieder verpflichten sich, beim Absatz
ihrer Güter einen einheitlichen Preis zu verlangen
oder einen Mindestpreis nicht zu unterschreiten.
Quotenkartell
Die Kartellmitglieder teilen unter sich das
Marktangebot auf.
Gebietskartell
Die Kartellmitglieder teilen unter sich das
Absatzgebiet auf.
Submissionskartell
Die Kartellmitglieder vereinbaren, ein Unterbieten
bei öffentlichen Ausschreibungen zu verhindern
und ihre Angebote so zu gestalten, dass jedes
Kartellmitglied in einer bestimmten Abfolge den
Zuschlag als preisgünstigster Anbieter enthält.
Rabattkartell
Die Kartellmitglieder regeln Anlass, Form und
Höhe von Preisnachlässen.
Importkartell
Die Kartellmitglieder vereinbaren, ausländischen
Konkurrenten den Zugang zum heimischen Markt
zu versperren.
Exportkartell
Die Kartellmitglieder vereinbaren gemeinsame
Strategien auf ausländischen Märkten.
Achim Pollert, u. a., Das Lexikon der Wirtschaft (Schriftenreihe der
bpb, Bd. 414), Bonn 2004, S. 71
40
Staat und Wirtschaft
gift. Daher greift der Staat immer wieder regulierend in die wirtschaftlichen Abläufe ein. Die Erhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung erfordert
allerdings, dass diese Eingriffe so gering wie möglich gehalten werden und jede Intervention sorgfältig begründet wird.
Wettbewerb führt zu effizienter Allokation. Er bewirkt, dass die leistungsfähigen und effizienten Unternehmen die Produktionsfaktoren an sich ziehen
und wachsen, während den leistungsschwachen
Betrieben, in denen unrentabel gewirtschaftet wird,
die Kontrolle über die Produktionsfaktoren entzogen wird, sie schrumpfen oder Konkurs anmelden
müssen. Zahlreiche Unternehmen, die in der Vergangenheit sehr bekannt waren, gibt es heute nicht
mehr, beispielsweise den Automobilhersteller Rover
in England oder die amerikanische Fluggesellschaft
PAN AM. Solche Unternehmen konnten – meist we-
Hüter des Wettbewerbsprinzips
Sieben Jahre hat Ulf Böge an der Spitze des Kartellamtes gestanden. Anfang April [2007 – Anm. d. Red.] geht er in den Ruhestand.
Im F.A.Z.-Interview spricht er über seine Erfahrungen mit Europa, die
Lernfähigkeit der Politik und den Kampf gegen räuberische Kartelle.
FAZ: Herr Böge, in der Rückschau auf 7 Jahre an der Spitze des Bundeskartellamtes: Wie hat sich die Wettbewerbspolitik verändert?
Böge: Sie ist europäischer geworden. Als ich hier anfing, stritt
Deutschland mit der Europäischen Kommission erbittert über neue
Regeln für die Kartellaufsicht. Aus dem Konkurrenzverhältnis ist ein
Partnerschaftsmodell geworden, in dem nationale Wettbewerbsbehörden und die Kommission eng zusammenarbeiten. Auch die
Debatte über angebliche Brüsseler Bestrebungen, sich immer mehr
Kompetenzen zu sichern, hat sich in der Wettbewerbsaufsicht weitgehend erledigt.
FAZ: Die Welt ist größer als Europa, Unternehmen stehen im globalen Wettbewerb.
Böge: Deshalb haben die Wettbewerbsbehörden die internationale Zusammenarbeit intensiviert. Inzwischen befinden sich 99 Kartellämter unter dem Dach des International Competition Network.
China hat ebenfalls schon angeklopft und könnte das hundertste
Mitglied werden.
FAZ: Dennoch hat man nicht den Eindruck, als sei das Wettbewerbsprinzip die Richtschnur der Politik.
Böge: Wir haben im Bewusstsein für den Nutzen des Wettbewerbs
in Deutschland und in Europa viel erreicht. Aber es gibt auch Gegenströmungen in Form des nationalen Protektionismus und durch die
Neigung der Politik, nationale Champions zu fördern und zu schützen. Nehmen Sie nur das Verhalten der spanischen Regierung, um
Endesa vor einer Übernahme durch Eon zu schützen, oder die von
der französischen Politik angestoßene Fusion von Suez und Gaz de
France. Nationale Champions haben nur dann Erfolg und eine Berechtigung, wenn sie aus eigener Leistung hervorgehen. Wir haben in
Deutschland nach der Ministererlaubnis für den Zusammenschluss
von Eon und Ruhrgas erlebt, welche Folgen solche staatlichen Eingriffe für den Wettbewerb und die Verbraucher haben können.
FAZ: Hat die deutsche Politik in Wettbewerbsfragen dazugelernt?
Böge: Es gibt immer Wellenbewegungen. Ich würde sagen, in den
Vorstellungen einer wettbewerbsorientierten Politik stehen wir
heute wieder da, wo wir im Jahr 2000 waren. Dazwischen gab es
gen zu hoher Kosten – im Wettbewerb nicht mithalten und mussten den Markt verlassen. Im günstigsten Fall werden die Arbeitskräfte und die Maschinen
von den erfolgreicheren Konkurrenten übernommen. Bestehen am Markt jedoch Überkapazitäten,
werden die Firmenangehörigen arbeitslos und müssen versuchen, in anderen Branchen Arbeit zu finden. Die Maschinen werden verschrottet oder billig
ins Ausland verkauft.
Unternehmen, die an den Bedürfnissen ihrer Kundinnen und Kunden „vorbeiproduzieren“, schrumpfen oder sind zum Marktaustritt gezwungen. Ihre
Kundschaft wandert zu den Konkurrenten ab. Je besser eine Unternehmung die Bedürfnisse der Kunden
erkennt, weckt und befriedigt, desto mehr Kunden
gewinnt sie. Insgesamt sorgt also der Wettbewerb
dafür, dass genau diejenigen Güter produziert werden, an denen Interesse und Bedarf besteht, und
auch graue Tage. […]
FAZ: Viele Konsumenten verstehen nicht, warum das Kartellamt die
Drogeriekette Rossmann zwingen will, ihre Preise zu erhöhen.
Böge: Normalerweise bewerten die Verbraucher ihren kurzfristigen
Vorteil höher als die längerfristige Entwicklung. Aber wenn marktstarke Unternehmen unter Einstandspreis verkaufen, um Kunden
zu gewinnen, werden kleine und mittlere Unternehmen verdrängt,
obwohl sie bei fairen Preisen leistungsfähig wären. Am Ende hätten
die Verbraucher den Schaden. Ein Beispiel: Wir haben vor einigen
Jahren der Lufthansa ihre Unterpreis-Angebote zwischen Frankfurt
und Berlin verboten, mit denen die Lufthansa versuchte, den Konkurrenten Germania zu verdrängen. Ohne diese Entscheidung hätte
sich kein anderes Luftfahrtunternehmen in den deutschen Markt
getraut, weil es ebenfalls eine Verdrängung durch Unterpreis-Angebote hätte befürchten müssen. Und ohne diese Entscheidung gäbe
es heute wahrscheinlich nicht den intensiven Wettbewerb und die
Billigfluglinien.
FAZ: Warum wehren Sie sich gegen die geplante Verschärfung der
Vorschriften gegen Dumping-Angebote?
Böge: Weil unser Instrumentarium ausreicht. Wenn das Oberlandesgericht unsere Entscheidung gegen Rossmann bestätigt, werden wir sehen, dass das geltende Recht greift. Sollten wir allerdings
unterliegen, wäre das Wasser auf die Mühlen der Befürworter einer
Gesetzesverschärfung. […]
FAZ: Gibt es Branchen, die für wettbewerbswidriges Verhalten besonders anfällig sind?
Böge: Die Versuchung zu Kartellabsprachen ist überall vorhanden.
Aber es fällt auf, dass sich die Fälle auf manchen Märkten wie Zement, Beton oder Pharma gehäuft haben. Doch wir ziehen die
Schraube an. Die Strafen werden immer drakonischer, um Kartellbildungen zu verhindern.
FAZ: Aber mehr als Geldbußen müssen Kartellbrüder dennoch nicht
befürchten. In Amerika drohen Gefängnisstrafen.
Böge: Trotzdem gibt es auch dort Kartelle. Strafrechtliche Instrumente müssen in das System passen. Und das ist bei uns nicht
der Fall. In Deutschland müssten wir Kartellverfahren dann an die
Staatsanwaltschaft abgeben. Dort würden Kartelle mit Sicherheit
weniger Aufmerksamkeit finden als Mörder und Räuber, obwohl der
verursachte Schaden oft schwerer wiegt als ein Raub.
Helmut Bünder, „Wir ziehen die Schraube an“. Interview mit Ulf Böge,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. März 2007
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
dass diese Produktion effizient stattfindet. Kartelle
und Monopole können es sich dagegen erlauben,
die Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten zu missachten und mit überhöhten Kosten
zu produzieren, da diese ja auf die Konsumierenden
überwälzt werden können.
Die Anpassungsfunktion des Wettbewerbs ist
eine dynamische Funktion. Wenn sich die Nachfrage der Konsumenten ändert, sind Unternehmen,
die im Wettbewerb stehen, dazu gezwungen, sich
solchen Veränderungen anzupassen. Sie müssen
dies schnell tun, denn wer zu langsam ist, verliert
Marktanteile. Wettbewerb sorgt also nicht alleine
dafür, dass die richtigen Güter auf effiziente Weise produziert werden, sondern auch dafür, dass der
Warenkorb, der in einer Volkswirtschaft produziert
wird, ständig den Veränderungen der Bedürfnisse
angepasst wird. Eine Wettbewerbswirtschaft befindet sich daher im permanenten Wandel. Hierin
liegt freilich auch ein Grund dafür, dass Wettbewerb Ängste hervorruft.
Die nächste dynamische Wettbewerbsfunktion,
die Innovationsfunktion des Wettbewerbs, verdeutlicht ebenso wie die Anpassungsfunktion, dass Konflikte zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und
dem Wunsch nach Fortschritt bestehen können. In
einer Wettbewerbswirtschaft herrscht immer ein
gewisses Maß an Unsicherheit.
Innovation bedeutet die Einführung eines neuen
Produkts und/oder eines neuen Produktionsverfahrens. Wir unterscheiden daher zwischen Produktinnovation und Prozessinnovation. Der Innovation
geht die Erfindung voraus, die Invention. Die Innovation stellt somit letztlich die Vermarktung von
Erfindungen dar.
Die Innovationsfunktion des Wettbewerbs wird
erfüllt, wenn Unternehmen in einen Neuerungswettbewerb eintreten. Das Unternehmen, welches
als erstes mit einem neuen Produkt auf den Markt
kommt, gewinnt zunächst eine Monopolstellung,
da es der erste und einzige Anbieter ist. In dieser Stellung kann der
Innovator einen über das normale
Maß hinausgehenden Gewinn erzielen, den „Pioniergewinn“, dieser bildet das eigentliche Motiv
für Innovation. In einer Wettbewerbswirtschaft geraten nun die
anderen, nicht innovativen Unternehmen unter Druck. Die Kunden wandern zum erfolgreichen
Innovator ab, sei es, weil sie die
neuen Produkte den herkömmlichen vorziehen (Produktinnovation), oder, weil der Innovator mit
einem kostengünstigeren Produktionsverfahren arbeitet als seine
Konkurrenten (Prozessinnovation)
und diese Ersparnisse an seine
Kundschaft weitergeben kann. Der
Konkurrenzdruck und die hohen
Pioniergewinne des Innovators bilden in der Wettbewerbswirtschaft
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
41
picture-alliance / dpa
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
Invention – Innovation – Massenproduktion: Elektronikbaustein für Regler
von ABS-Systemen
einen Anreiz, das Verhalten des Pioniers zu imitieren.
Nun setzt der „Imitationswettbewerb“ ein. Immer
mehr Unternehmen imitieren die neuen Produkte
und die neuen Produktionsverfahren; die Neuerungen breiten sich auf die gesamte Volkswirtschaft
aus, es kommt zur „Diffusion“: Alle Unternehmen,
die am Markt geblieben sind, benutzen die neue
Technologie. Die Innovation ist damit keine mehr.
Der Preis für das neue Produkt sinkt nun drastisch,
der Pioniergewinn des Innovators schmilzt dahin.
Nun muss er neue Anstrengungen zur Innovation
unternehmen, wenn er weiterhin Pioniergewinne
erzielen will. Ein Beispiel aus der Automobilindustrie
ist das Anti-Blockier-System ABS: In den 1980er Jahren auf den Markt gebracht, war es anfänglich nur
sehr vermögenden Konsumenten verfügbar, denn
es wurde ausschließlich in Luxusautomobile eingebaut. Schon nach wenigen Jahren jedoch gehörte
ABS zum Standard der Mittelklasse, und inzwischen
ist es Teil der Serienausstattung aller Wagen.
42
Staat und Wirtschaft
Aus dieser Sichtweise ist der Imitationswettbewerb genauso wichtig wie der Innovationswettbewerb. Ohne Imitation würde der Innovator den
Pioniergewinn für immer geDer Erfolg einer Volks- nießen können. Er hätte keinen
wirtschaft in der globalisier- Anreiz mehr zu erneuter Innovaten Welt hängt von ihrer tion, sein Monopol wäre festgeInnovationsfähigkeit ab schrieben. Da es aber gerade der
Pioniergewinn ist, der den Anreiz
zur Innovation darstellt, und zudem das Risiko hoch
ist, dass eine Innovation nicht gelingt, schützt der
Staat Erfindungen durch Patente. Der Patentschutz
soll gewährleisten, dass der Imitationswettbewerb
nicht so früh einsetzt, dass kein attraktiver Pioniergewinn mehr möglich wird.
In einer Weltwirtschaft, die sich sehr schnell
wandelt und in der permanent neue Firmen mit
neuen Produkten und Produktionsverfahren auf
den Markt treten, muss die Innovationsfunktion
des Wettbewerbs als die wichtigste angesehen werden. Die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft
entscheidet wesentlich über Erfolg oder Misserfolg
in der globalisierten Wirtschaft. Während Imitation in gewissem Maße auch in einer staatlich gelenkten Wirtschaft möglich ist, zeigt die Erfahrung,
dass Innovation der Wettbewerbswirtschaft bedarf.
Beispiele für erfolgreiche staatlich gelenkte Aufholprozesse durch Imitation bieten Korea und Japan;
nachdem allerdings Japan zu den anderen Industrieländern aufgeschlossen hatte, wurde dort die
staatliche Lenkung durch das Ministry of Trade and
Absprachen haben hohe Strafen zur Folge
[…] Der ThyssenKrupp-Konzern muss eine Rekordstrafe von fast einer halben Milliarde Euro wegen seiner Beteiligung an einem Kartell für Fahrstühle und Rolltreppen zahlen. Die EU-Kommission verhängte für vier marktführende Konzerne insgesamt ein Bußgeld in
Höhe von 992,3 Millionen Euro. Die Firmen hatten sich zwischen
1995 und 2004 den Markt in Deutschland, Belgien, Luxemburg und
den Niederlanden aufgeteilt und vereinbart, wer einen Auftrag bekommen sollte.
Mit 479,7 Millionen Euro entfällt der Löwenanteil der Strafe auf
ThyssenKrupp. […] Der US-Branchengigant Otis wurde zu 225 Millionen, die Schindler AG (Schweiz) zu 143,7 Millionen und Kone (Finnland) zu 142,1 Millionen Euro Geldbuße verurteilt. Mit knapp 2,0
Millionen Euro wurde auch Mitsubishi Niederlande bestraft. […]
„Steuerzahler, öffentliche Einrichtungen und Bauherren sind in
großem Stil betrogen worden“, sagte ein Sprecher der Kommission.
Jedes der Unternehmen habe seine angestammten Marktanteile
behalten. Andere Mitglieder hätten, „wenn sie gerade nicht an der
Reihe waren“, völlig überhöhte Angebote abgegeben. […]
Auch die EU selbst wurde nach Angaben des Kommissionssprechers Opfer des Kartells. Sowohl bei der Renovierung des Kommissionsgebäudes in Brüssel als auch beim Neubau eines Gebäudes
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg sei das Kartell tätig gewesen.
„Die Auswirkungen des Kartells werden noch die nächsten 20 bis
50 Jahre zu spüren sein“, sagte der Kommissionssprecher. Der Bau
von Aufzügen und Rolltreppen schließe erhebliche Folgeverträge
für die Wartung ein. Die Betroffenen könnten nun jedoch versu-
Industry (MITI), das bis in die 1980er Jahre hinein
eine intensive Struktur- und Technologiepolitik betrieb, drastisch zurückgeschraubt.
Gefährdungen des Wettbewerbs
Die schwersten Gefährdungen des Wettbewerbs
gehen von der Unternehmenskonzentration und
von Marktabsprachen aus. Daher müssen Unternehmenszusammenschlüsse ab einer gewissen
Größenordnung dem Kartellamt bzw. der Europäischen Kommission angezeigt werden und können
von diesen Wettbewerbsbehörden untersagt werden, wenn das neue Unternehmen Marktmacht gewinnt und keinem wesentlichen Wettbewerb mehr
ausgesetzt ist. Dies ist die vorbeugende, „präventive“
Fusionskontrolle. Verfügen Unternehmen bereits
über Marktmacht ohne mit anderen zu fusionieren,
so wird ihr Verhalten im Rahmen der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen
vom Kartellamt kontrolliert. Wenn solche Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen, zum Beispiel indem sie überhöhte Preise durchsetzen oder
Konkurrenten beim Wettbewerb behindern, wird ihr
Verhalten vom Kartellamt sanktioniert. Sie können
mit hohen Geldbußen belegt werden, und im Fall
der Unternehmensfusion steht der Kartellbehörde
neben dem Verbot der Fusion auch das Instrument
zur Verfügung, eine Fusion nur unter Auflagen zu erlauben. Dazu kann beispielsweise gehören, dass die
chen, unter Hinweis auf die Preisabsprachen vor Auftragserteilung
die Verträge entweder mit den fraglichen Unternehmen neu auszuhandeln oder aber vor Gericht anzufechten.
[…] Die Bußen fließen in den EU-Haushalt. Die Beiträge der einzelnen Mitgliedstaaten reduzieren sich dadurch; bei Deutschland
sind es rund 200 Millionen Euro weniger.
„Rekordstrafe für Fahrstuhlkartell“, in: General-Anzeiger Bonn vom
22. Februar 2007
Die höchsten Strafen
Firma
ThyssenKrupp
Gegenstand
Aufzüge/
Rolltreppen
Hoffmann-La Roche
Vitamine
Siemens
Schaltsysteme
ENI
Synthetikkautschuk
Lafarge
Gipsplatten
BASF
Vitamine
Acrylglas
Arkema
Arjo Wiggins Appleton Durchschreibpapier
Solvay
Bleichmittel
Shell
Synthetikkautschuk
Mio. EUR Jahr
479,7
2007
462,0
418,6
272,3
2001
2007
2006
249,6
236,8
219,1
184,3
2002
2001
2006
2001
167,1
160,9
2006
2006
Quelle: EU-Kommission – GÜ/General-Anzeiger, 22.2.2007
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Konjunkturpolitik
Die Konjunkturpolitik ist kurzfristig ausgerichtet
und benutzt hauptsächlich Instrumente der Prozesspolitik. Der Konjunkturverlauf lässt sich in vier Phasen einteilen:
Im Boom kommt es zur Überauslastung, in der Rezession zur Unterauslastung der Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft. Diese Ungleichgewichte entstehen, wenn die Güternachfrage von
Unternehmen, Haushalten, Staat und Ausland höher
oder niedriger ausfällt als das Angebot der Produzenten von Gütern. Es kommt dann zu Konjunkturschwankungen, die auch eine Ursache für soziale
Ungleichgewichte sind, insbesondere bei längerer
Arbeitslosigkeit und Inflation. Bei letzterer verlieren
die Sparguthaben an Wert, die Schuldner werden gegenüber den Gläubigern bevorteilt und die Bezieher
von Einkommen, die nicht umgehend an die steigenden Preise angepasst werden, zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner, erleiden Kaufkraftverluste.
Arbeitslosigkeit in der Rezession führt bei den Betroffenen zu Einkommensverlusten und ruft häufig
Existenzängste hervor. Es besteht die Gefahr, dass
das Vertrauen in den Staat und in die Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung insgesamt schwindet.
Umstritten ist allerdings, ob und mit welchen Instrumenten der Staat das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wahren und Fehlentwicklungen korrigieren
kann. Sollte der Staatshaushalt, also Staatsausgaben
und Steuersätze, eingesetzt werden („Fiskalpolitik“)
oder die Geldpolitik der Zentralbank?
Noch in den 1970er Jahren gingen viele Wirtschaftspolitiker davon aus, dass es einen dauerhaften
Zielkonflikt zwischen den Zielen Vollbeschäftigung
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
und Preisstabilität gebe. Daraus wurde dann abgeleitet, dass die Wirtschaftspolitik Vollbeschäftigung
durch die Hinnahme einer höheren Inflationsrate
„erkaufen“ könne. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt wird mit dem Satz zitiert: „Lieber fünf
Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“
Heute vertritt die Wirtschaftswissenschaft die These,
dass es einen solchen Zielkonflikt zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität – wenn überhaupt –,
nur kurzfristig gibt. Inflation wird nicht mehr als „Öl
für den Wirtschaftsmotor“ angesehen, und die Erhöhung der Inflationsrate gilt nicht mehr als angemessenes Mittel, um die Beschäftigung zu erhöhen.
Langfristig wird stattdessen Preisstabilität als Voraussetzung für Vollbeschäftigung angesehen.
Die Grundlinien dieser konjunkturpolitischen Diskussion lassen sich durch die Begriffe „nachfrageorientierte“ und „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“ beschreiben. In der wirtschaftspolitischen Praxis
finden wir heute Mischformen beider Konzepte. Die
nachfrageorientierte Konjunkturpolitik zielt auf kurzfristige
Erfolge, die angebotsorientierte
Wirtschaftspolitik ist eher langfristig angelegt.
Die in der Regel nachfrageorientierte Stabilitätspolitik steht
der Marktwirtschaft skeptisch
gegenüber. Ihre Konzeption
geht auf den englischen Ökonomen John Maynard Keynes
(1883-1946) zurück. Seine Grundthese lautet, dass sich in der
Marktwirtschaft nicht automa- John Maynard Keynes
tisch ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bildet, in dem Vollbeschäftigung
herrscht. Wenn die Wirtschaftssubjekte negative
Entwicklungen erwarten und deshalb ihre Güternachfrage einschränken, führt dies zur Unterauslastung der Volkswirtschaft und damit zu Arbeitslosigkeit. Der Therapievorschlag besteht darin, dass der
Staat durch seine Fiskalpolitik eine gleichmäßige
Auslastung der Volkswirtschaft sicherstellt. Er ergreift dabei prozesspolitische
Maßnahmen wie die fallweise
Veränderung der Staatsausgaben und der Steuersätze zur
Belebung der Nachfrage. Die
Rezession soll der Staat dadurch
bekämpfen, dass er seine erhöhten Ausgaben durch Staatsverschuldung finanziert und somit
„deficit spending“ betreibt. Im
Boom soll diese Staatsverschuldung dann wieder abgetragen
werden.
Die angebotsorientierte Konjunkturpolitik baut auf den Vor- Milton Friedman
stellungen des amerikanischen
Ökonomen Milton Friedman (1912-2006) auf. Nach
Friedman führen gerade die punktuellen Eingriffe
des Staates wegen mangelhafter Diagnose- und
Prognosefähigkeit zum gesamtwirtschaftlichen Un-
ullstein bild
beteiligten Unternehmen vor der Fusion Unternehmensteile am Markt veräußern müssen.
Kartelle sind verboten, wenn sie Preise absprechen
oder Absprachen über die Aufteilung von Marktanteilen durchführen. Werden die Kartelle entdeckt
und die beteiligten Unternehmen rechtskräftig
verurteilt, werden sie in der Europäischen Union
mit Geldbußen belegt, die höher sein sollen als der
zusätzliche Gewinn, den die Unternehmen aus der
Kartellbildung erzielt haben. In anderen Staaten
drohen dem Management auch Haftstrafen. Kartelle, die Vorteile für die Verbraucher versprechen,
wie Forschungs- und Entwicklungskartelle – zum
Beispiel zur gemeinsamen Motorenentwicklung in
der Automobilindustrie –, können wiederum genehmigt werden. Auch diese Kartelle können aber den
Wettbewerb gefährden, insbesondere dann, wenn
sie sich am Ende als Vorstufe für Preis- oder Mengenkartelle erweisen.
43
ullstein – Financial Times
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
44
Staat und Wirtschaft
der Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen der
Unternehmen. Regulierungen am
Angebotspolitik:
Nachfragepolitik:
Arbeitsmarkt, eine strenge UmAngebotsorientierung mit
Keynesianische
weltpolitik, insbesondere aber die
Geldmengensteuerung
Nachfragesteuerung
staatliche Umverteilungspolitik
werden als Ursachen dafür angemittel- bis längerfristige Bekurzfristige Beseitigung von
sehen, dass die Unternehmen zu
seitigung gleichgewichtsstöGleichgewichtsstörungen
wenig investieren und daher ArZiele
render Auslösefaktoren
(= Symptombekämpfung)
beitslosigkeit entsteht.
(= Ursachenbekämpfung)
In beiden Konzepten wird eine
zu geringe Investitionstätigkeit
• Stärkung des gesamtwirtStärkung der gesamtwirtder Unternehmen als Hauptursaschaftlichen Angebots durch
schaftlichen Nachfrage durch
che für Arbeitslosigkeit angeseVerbesserung der ProduktiKonsumsteigerung
hen. Der Mangel an Investitionen
onsbedingungen
Ansatzpunkte
wird aber unterschiedlich erklärt,
• Verstetigung des gesamtund entsprechend unterscheiwirtschaftlichen Spielraums
den sich die Therapievorschläge.
durch Geldmengensteuerung
Während die nachfrageorientierte
Konzeption nach Keynes eine zu
• Stärkung der Massenkauf• Erhöhung der Unternehgeringe Nachfrage auf den Güterkraft durch Lohnerhöhung
mensrentabilität durch
märkten als Ursache für den Inund/oder höhere staatliche
Kostendämpfung (LohnZuschüsse für bzw. geringere
vestitionsmangel ansieht, werden
mäßigung und/oder
Abgaben der Privathaushalte
Verringerung der Unternehin der angebotsorientierten Kon• Erhöhung des Staatskonsums
mensteuerbelastung)
zeption die Ursachen für zu gedurch öffentliche Ausgaben• Verringerung des effizienzringe Investitionen darin gesehen,
Maßnahmen
programme
schwachen Staatskonsums
dass die Bedingungen für unter• Ausweitung des öffentlichen
• Ausweitung des privaten
nehmerische Tätigkeiten ungünsSektors
Sektors
tig sind. Der Grund für die Mei• stärkere Regulierung
• Investitionsförderung
nungsunterschiede über Strate• Schaffung verbrauchsfördern• Deregulierung
gien zur Bekämpfung von Arder Rahmenbedingungen
• Abbau von Subventionen
beitslosigkeit besteht also in einer
• Schaffung leistungsanreiunterschiedlichen Analyse ihrer
zender, innovationsfördernder
Ursachen. Mischformen beider
Rahmenbedingungen
Konzeptionen treten auf, wenn
nachfrageorientierte WirtschaftsQuelle: Bundesverband deutscher Banken,
politik zur Bewältigung kurzfrisAchim Pollert, u. a. ,Das Lexikon der Wirtschaft, Bonn 2004, S. 158
tiger Probleme betrieben wird
und angebotsorientierte Politik,
um die langfristigen Wachstumsbedingungen der
gleichgewicht. Friedman geht von der Stabilität
Volkswirtschaft zu verbessern.
der Marktwirtschaft aus und führt die Konjunkturschwankungen auf Staatsversagen zurück. Er
plädiert für grundsätzliche Regeln statt punktueller Interventionen. Dabei steht die Geldpolitik im
Wachstumspolitik
Vordergrund, Fiskalpolitik spielt keine Rolle. Die
wichtigste Regel besteht nach Friedman darin, das
Wirtschaftswachstum muss in einer marktwirtGeldmengenwachstum am Wirtschaftswachstum
schaftlichen Ordnung als vorab unbekanntes Erauszurichten. Da Inflation nur möglich ist, wenn
gebnis millionenfacher privater und zusätzlich
die Geldmenge wächst, wird auf diese Weise Preisstaatlicher Entscheidungen angesehen werden. Die
stabilität gewahrt. Auf kurzfristige Schwankungen
Wachstumspolitik will in erster Linie die Wachsin der Auslastung der Produktionsmöglichkeiten
tumsbedingungen verbessern. Sie zielt darauf ab,
sollte der Staat nicht reagieren, weil die prozesspodie Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft
litischen Instrumente, die ihm dafür zur Verfügung
langfristig zu steigern.
stehen, unkalkulierbare Wirkungsverzögerungen
Während die kurzfristig angelegte Konjunkturaufweisen und der Staat daher die Effekte seiner
politik eine gleichmäßige Auslastung der ProdukPolitik nicht prognostizieren kann. Die angebotsoritionsmöglichkeiten zum Ziel hat, will die langfrisentierte Konzeption geht aber über Friedmans Vortig orientierte Wachstumspolitik eine Ausweitung
schlag einer langfristig angelegten, an Regeln und
dieser Produktionsmöglichkeiten erreichen. Damit
nicht an Ermessen orientierten Geldpolitik („Monewerden auch Fragen der Umweltpolitik und des
tarismus“) hinaus. Es wird ein allgemeiner Rückzug
des Staates aus den Wirtschaftsabläufen empfohlen, Rohstoffverbrauchs interessant, zur wirtschaftspolitischen Intention der Wachstumsförderung tritt
eine Konzentration auf ordnungspolitische Grunddas Ziel der „Nachhaltigen Entwicklung“.
satzentscheidungen und generell eine Verbesserung
Wirtschaftspolitische Konzepte
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
Nachfrageorientierung im Deutschland der 1960er und
1970er Jahre
1966/67 kam es in der Bundesrepublik Deutschland zur ersten
schweren Rezession (Konjunkturrückgang) der Nachkriegszeit. Die
Arbeitslosigkeit, die man schon überwunden glaubte, trat erneut
auf, gleichzeitig erhöhte sich die Inflationsrate, während das Wirtschaftswachstum seine Dynamik verlor.
Der aus heutiger Sicht geringfügige Anstieg der Arbeitslosigkeit
auf 2,1 Prozent erschütterte die für die Erhard-Ära leitende Auffassung, dass die Marktwirtschaft in sich stabil sei und staatliche
Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe (Prozesspolitik) möglichst
vermieden werden sollten.
Es setzte ein neuer Kurs in der Wirtschaftspolitik ein. Kennzeichnend hierfür ist das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des
Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) vom 8. Juni 1967. Es
stellte der Regierung zusätzliche prozesspolitische Instrumente
zur Verfügung wie Rücklagen zum Konjunkturausgleich, Variationen der Steuersätze und der Staatsausgaben sowie Steuerver-
Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in Großbritannien
In Großbritannien und den USA wurde in den 1970er Jahren das
Konzept der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (Supply Side
Economics) verfolgt – nach der Devise: Mehr Markt, weniger Staat.
Die Konjunktur- und Wachstumsschwäche der 1970er Jahre wurde nicht auf mangelnde Güternachfrage zurückgeführt, sondern
auf ungünstige Angebotsbedingungen für die Unternehmen. Zur
Erhöhung der Investitionsbereitschaft sollten daher die Unternehmenssteuern gesenkt, Staatsbetriebe privatisiert und Vorschriften,
zum Beispiel im Umweltschutz und bei Genehmigungsverfahren
für neue Anlagen, abgebaut werden. Umverteilung als Mittel zur
Bekämpfung von Armut wurde abgelehnt und die Sozialpolitik zurückgefahren. Diese Wirtschaftspolitik beruhte auf konservativen
Werthaltungen, sie propagierte zum Beispiel Disziplin in Schule
und Gesellschaft und betonte den Vorrang staatlicher Autorität,
insbesondere gegenüber Kommunen und Universitäten.
1979 wandte sich in Großbritannien die Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher grundsätzlich gegen prozesspolitische, insbesondere gegen fiskalpolitische Eingriffe und vertrat
einen scharfen Kurs gegenüber den Gewerkschaften. Leitlinien der
Wirtschaftspolitik waren
Zwar konnte die Inflationsrate gesenkt werden, die strikte, an festen Regeln orientierte Kontrolle der Geldmenge gelang jedoch
nicht. Deshalb musste die Fiskalpolitik eine wichtigere Rolle spielen
als von der Regierung ursprünglich geplant. Einsparungen wurden
durch Kürzungen beim öffentlichen Wohnungsbau, Stellenabbau
im öffentlichen Dienst und Senkung der Zahlungen an die EU er-
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
45
günstigungen für Investitionen. Der Übergang zu einer nachfrage-orientierten Stabilitätspolitik vollzog sich auf der Grundlage
einer Problemanalyse des neuen Wirtschaftsministers Karl Schiller
(SPD): Nach ihr reichten die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft
nicht aus, um Inflation und Arbeitslosigkeit zu verhindern, und die
geldpolitischen Instrumente der Bundesbank wirkten zu langsam
und nicht durchschlagend genug. Deshalb sollten die öffentlichen
Haushalte eingesetzt werden, um die Konjunktur zu steuern (antizyklische Fiskalpolitik).
Die Konjunkturkrise von 1966/67 konnte mit diesem Konzept überwunden werden, aber einem kurzen Boom zu Beginn der 1970er
Jahre folgte 1974/75 erneut eine – europaweite – Rezession. Sowohl
die Arbeitslosenquoten als auch die Inflationsraten, die durch Ölpreiserhöhungen ausgelöst wurden, stiegen an. Dieser Rezession
folgte ein nur schwacher Aufschwung. In vielen Staaten kamen
deshalb Zweifel auf, ob die antizyklische Fiskalpolitik noch dazu
geeignet war, die Volkswirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu
bringen.
Hans-Jürgen Schlösser
zielt. Dennoch stiegen die Gesamtausgaben des Staates an: Eine
schwere Rezession zu Beginn der 1980er Jahre, hervorgerufen
durch die restriktive Geldpolitik, erforderte steigende öffentliche
Ausgaben, zum Beispiel für die Arbeitslosenunterstützung, zudem
führte Großbritannien einen kostspieligen Krieg (Falklandkrieg).
Allerdings flossen dem Staat wegen der steigenden Rohölpreise
(Nordseeöl) und durch die Privatisierung zahlreicher Staatsbetriebe
erhebliche finanzielle Mittel zu. Insgesamt konnte die Regierung
die Staatsverschuldung senken, eine substanzielle Minderung des
Staatsanteils am Volkseinkommen wurde jedoch nicht erreicht.
Der Verkauf von staatseigenen Betrieben war ein Hauptmerkmal
der britischen Wirtschaftspolitik. Der staatliche Sektor war sehr
umfangreich, da unter den Vorgängerregierungen seit den 1940er
Jahren zahlreiche Unternehmen verstaatlicht worden waren. Ziele
der Privatisierungen waren die Steigerung der Produktivität, Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer unter dem Druck des Marktes
und die Chance für mehr Menschen, Eigentum an Unternehmen
zu erlangen. Hinzu trat das Interesse, der Staatskasse Einnahmen
zuzuführen. Zu den renommierten staatlichen Betrieben, die sich
leicht verkaufen ließen, gehörten British Aerospace, Jaguar, Britoil, British Telecom und British Gas. Außerdem wurden staatliche
Wohnungen an die Mieter verkauft. In Europa hatte zu dieser Zeit
niemand Erfahrungen mit Privatisierungen im großen Stil, und die
britische Regierung nahm eine Pionierrolle ein, handelte aber auch
nicht fehlerlos. Erfolge blieben aus, wenn kein Wettbewerb eingeführt und lediglich ein öffentliches durch ein privates Monopol
ersetzt wurde. Als Negativbeispiel gilt auch die Privatisierung von
Britsh Rail, weil die erhoffte Sanierung des maroden Streckennetzes der unfallträchtigen britischen Staatsbahn nach dem Verkauf
ausblieb.
Insgesamt stärkten die Privatisierungen jedoch den Privatsektor
und das Unternehmertum und führten zu erheblichen Produktivitätssteigerungen. Als größter Erfolg der Thatcher-Regierung gilt
neben der Senkung der Inflationsrate die Einleitung eines allgemeinen Stimmungswandels von einer Atmosphäre des Niedergangs hin zu Aufbruch und Optimismus.
Hans-Jürgen Schlösser
46
Staat und Wirtschaft
Internationale Aspekte
In den letzten Jahrzehnten hat sich der materielle Lebensstandard in allen Industrieländern deutlich erhöht. In Deutschland ist das reale Volkseinkommen
pro Kopf beispielsweise mehr als viermal so groß
wie im Jahr 1950. Allerdings bestehen zwischen den
verschiedenen Staaten sehr große Unterschiede im
Lebensstandard. An der Spitze stehen die USA. Nigeria jedoch erreicht nur drei Prozent des US-amerikanischen Pro-Kopf-Einkommens. Besonders bedenklich ist, dass es bezogen auf das Pro-Kopf-Einkommen
der Länder kaum einen „Mittelstand“ gibt: Im Jahr
2002 zählte die Weltbevölkerung
Weltweit bestehen sechs Milliarden Menschen. Davon
massive Unterschiede lebten nur 800 Millionen in den
im Lebensstandard 18 Ländern, die zur höchsten Einkommensgruppe gehören, meist
in Europa und Nordamerika. Sie verfügten über ein
Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 25 000 Dollar
pro Jahr. Fünf Milliarden Menschen dagegen lebten
in armen Staaten, nämlich in 111 Ländern mit einem
Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 8000 Dollar
pro Jahr. Nur 340 Millionen Menschen lebten im
mittleren Bereich zwischen der Spitzengruppe und
den armen Ländern. Das sind lediglich fünf Prozent
der Weltbevölkerung.
Höchstwahrscheinlich werden die meisten der armen Nationen auch in zehn oder 20 Jahren noch arm
sein. Aus Sicht der Volkswirtschaftslehre liegen die
Ursachen für ökonomischen Erfolg oder Misserfolg
in der Wirtschaftspolitik. Das Auseinanderklaffen
der Pro-Kopf-Einkommen kann großenteils durch
Produktivitätsunterschiede erklärt werden. In den
reichen Ländern wird pro Arbeitsstunde und pro Arbeitskraft viel mehr Volkseinkommen erzeugt als in
armen Ländern, weil erstere leistungsfähigere Technologien einsetzen, mit einer besseren Infrastruktur,
beispielsweise Verkehrswegen, ausgestattet sind
und die Produktion sowohl in den einzelnen Betrieben als auch in der Volkswirtschaft insgesamt effektiver organisiert ist.
Besondere Wachstumsprobleme haben die afrikanischen Staaten. Die meisten afrikanischen Länder
waren 1960, als sie ihre Unabhängigkeit von den
alten Kolonialmächten erlangten, sehr arm, und in
vielen dieser Länder ist der Lebensstandard seither
noch weiter zurückgegangen. Die Pro-Kopf-Produktion im Tschad und in Madagaskar lag 1992 nur bei
55 Prozent des Niveaus von 1960 (Nicholas Gregory
Mankiw, Makroökonomik, 5. Aufl., Stuttgart 2003,
S. 212).
Zwischen Wachstumspolitik und Entwicklungspolitik gibt es nur eine vage Trennlinie. Ein Unterschied besteht darin, dass die der Wachstumspolitik
zugrunde liegende Wachstumstheorie in den Industriestaaten entwickelt worden ist und viele Institutionen, wie beispielsweise den Rechtsstaat oder die
Demokratie, als gegeben voraussetzt. Die Entwicklungspolitik muss dagegen auch beachten, welche
Institutionen für das Wachstum notwendig sind
und wie sie geschaffen werden können.
Ansatzpunkte
Die Bestimmungsgründe des Wachstums liegen in
der Menge und der Qualität der Produktionsfaktoren
sowie in der Art und Weise ihrer Verwendung. Im
Zentrum der wachstumspolitischen Überlegungen
steht daher die Aufgabe der Allokation.
Ordnungspolitisch zielt Wachstumspolitik darauf
ab, die Funktionsfähigkeit der Märkte sicherzustellen, um eine effiziente Allokation der Produktionsfaktoren zu gewährleisten. Das wichtigste Instrument
dazu ist die Sicherung des Wettbewerbs. Unbehinderter Marktzutritt, Handelsund Gewerbefreiheit, Vertragsfreiheit sowie Maßnahmen gegen Wettbewerbsbeschränkungen
durch Kartelle sowie gegen zu hohe Unternehmenskonzentrationen,
die zum Missbrauch wirtschaftlicher Macht führen, sind die wichtigsten
ordnungspolitischen Elemente, welche die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft sichern. Die Intensität des Wettbewerbs
ist eine entscheidende Voraussetzung für die Wachstumsfähigkeit einer Volkswirtschaft.
In der wachstumspolitischen Praxis werden
auch zahlreiche prozesspolitische Maßnahmen
ergriffen, um die Menge
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
47
satz von aufwändigen Großgeräten erforderlich ist. Als
besonders wachstumsbedeutsam werden heute die Nanotechnologie, optische Technologien, Informations- und
Kommunikationstechnolo gien, Werkstofftechnologien,
die Biowissenschaften und
die Energieforschung angesehen.
In kurzer Frist lässt sich
die Effizienz wachstumspolitischer Maßnahmen kaum
messen. Sie können auch
Mitnahmeeffekte bewirken,
wenn der Staat Aktivitäten
fördert, die auch ohne diese
Förderung stattgefunden hätten. Mitnahmeeffekte sind
im Einzelfall kaum nachzuweisen, aber umso eher zu erAuch gute Bildung und Ausbildung stellen einen bedeutsamen Wachstumsfaktor für die Wirtschaft dar. In
warten, je anwendungs- und
Potsdam feiern im März 2007 frisch examinierte IT-Ingenieure und -Ingenieurinnen ihren Abschluss.
marktnäher die geförderte
Forschung ist, weil die Unternehmen diese aus Geund Qualität der Produktionsfaktoren zu erhöhen.
winnstreben selbst betreiben. Daher bleibt langfrisEine Senkung von Steuersätzen soll die Arbeitstig die Freiheit und Intensität des Wettbewerbs auf
und die Investitionsbereitschaft stärken, in vielen
den Gütermärkten wahrscheinlich der wichtigste
Ländern wird die Zuwanderung von qualifizierten
Motor für Wachstum und Innovation, denn die InnoArbeitskräften aus dem Ausland gefördert, Steuervationsfunktion des Wettbewerbs erzwingt von den
vergünstigungen steigern die Sparbereitschaft und
damit die Bildung von Kapital für Investitionen, Unternehmen Prozess- und Produktinnovationen
und belohnt diese mit Pioniergewinnen.
zum Beispiel in neue Technologien und Produktionsstandorte. Diesem letzten Zweck dienen auch Investitionsprämien, Abschreibungserleichterungen und
staatliche Beteiligungen am Investitionsrisiko der
Unternehmen.
Auch der Bildungsstand der Bevölkerung, insbesondere deren berufliche Qualifikation, ist ein bedeutsamer Faktor für Wachstumsmöglichkeiten
einer Wirtschaft. Wenn den Anforderungen einer
expandierenden Wirtschaft Arbeitskräfte ohne ausreichende berufliche Qualifikationen gegenüberstehen, gerät das Wachstum ins Stocken. Das Recht
auf Bildung stellt einerseits ein Bürgerrecht dar (so
der deutsch-britische Soziologe und Politiker Ralf
Dahrendorf); andererseits kann Bildung auch rein
ökonomisch, wachstumspolitisch betrachtet werden. Dafür wird in der Wirtschaftswissenschaft der
Begriff „Humankapital“ verwendet. Investitionen in
Humankapital können in dieser Sichtweise genauso unter Renditegesichtspunkten bewertet werden
Förderung von Forschung und Entwicklung gehört zur Wachstumspolitik. Nawie Investitionen in Sachkapital. Diese rein ökononotechnologie am Wissenschaftsstandort Berlin-Adlershof
mische Betrachtungsweise von Bildung als Humankapital schöpft gewiss nicht alle Dimensionen des
Bildungsbegriffs aus, findet aber aus rein wachsSozialpolitik
tumspolitischer Sicht eine Berechtigung.
Technischer Fortschritt erhöht die Qualität der
Staatliche Sozialpolitik besitzt eine Schutzfunktion,
produzierten Güter und gestaltet den Einsatz der
eine Produktivitätsfunktion sowie eine Verteilungsdafür notwendigen Produktionsfaktoren effektiver.
funktion. Zur Sozialpolitik gehören Maßnahmen der
Aus diesem Grund fördert der Staat die Grundlasozialen Sicherung, daneben zusätzlich Bereiche wie
genforschung als öffentliches Gut und betreibt daArbeitsschutzpolitik, Verteilungspolitik, Förderung
mit Wachstumspolitik. Beispielsweise unterstützt
tarifvertraglicher Übereinkünfte zwischen Arbeitgeer physikalische Forschungen, bei denen der EinInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
picture-alliance / ZB
picture-alliance / dpa
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
48
Staat und Wirtschaft
bern und Arbeitnehmern, betriebliche Sozialpolitik und Vermögenspolitik. Vielfach wird auch die
Mitbestimmungspolitik zur Sozialpolitik gezählt.
Mit ihrer Schutzfunktion dient die Sozialpolitik dem gesellschaftlichen Grundwert Sicherheit.
Sie erfüllt diese Schutzfunktion dann, wenn sie
Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz
durch Erwerbstätigkeit zu sichern, wirtschaftlich
und sozial unterstützt. Geeignete Maßnahmen
sollen die Stellung der betroffenen Menschen
verbessern und verhindern, dass Personen durch
existenzgefährdende Risiken in den Zustand wirtschaftlicher Schwäche geraten. Zu diesen Risiken
gehören zum Beispiel Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Invalidität oder Alter. Wichtige Instrumente zur Erfüllung dieser Schutzfunktion sind die
„Grundsicherung für Arbeitsuchende“ für die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihnen
Großbritannien – ein Vorbild?
[...] Deutschland ist nicht Großbritannien [...]. Aus welchen Gründen hat der angelsächsische Neoliberalismus in Deutschland und
im kontinentalen Europa keine konsequente Verwirklichung gefunden?
Vordergründig betrachtet, gibt das deutsche Regierungssystem
der Bundesregierung im Vergleich zum britischen System deutlich
geringere Handlungsfreiheiten. Das britische System „belohnt“
über das Mehrheitswahlrecht die siegreiche Parlamentspartei,
und im Gegensatz zur Theorie kontrolliert dann der Premierminister das Parlament und nicht umgekehrt. Daraus ergeben sich
Handlungsfreiheiten, die eine deutsche Regierung nicht kennt. Ihre
parlamentarische Bindung ist, noch dazu in Koalitionsregierungen,
stark. Die Parteiführungen in der Regierung balancieren überdies
ihre Macht und suchen ein Gleichgewicht zwischen der Sicherung
ihres Staatsamtes und der Absicherung der Parteiloyalität. Schließlich kompliziert der deutsche Föderalismus jede politische Ent-
in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen (ALG I
– Sozialgesetzbuch [SGB], II.
Buch) sowie die „Sozialhilfe“
für bedürftige Nichterwerbsfähige und bedürftige Personen über 65 Jahre (SGB, XII.
Buch).
Aufgabe der Sozialhilfe
ist es, dem Empfänger die
Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen. Die Hilfe soll ihn soweit
wie möglich befähigen, später wieder unabhängig von
ihr zu leben; hierbei muss er
nach seinen Kräften mitwirken. Sozialhilfe erhält nicht,
wer sich selbst helfen kann
oder die erforderliche Hilfe
von anderen erhält, besonders von Angehörigen oder
von Trägern anderer Sozialleistungen. Auf Sozialhilfe
Sozialbeiträge
Rentenversicherung
Beitragsbemessungs-
Beitragssatz (in % des
grenze (in Euro) 1
Bruttomonatsentgelts) 2
West: 5250
Ost: 4550
Krankenversicherung
3562,50
Pflegeversicherung
3562,50
Arbeitslosenversicherung
West: 5250
Ost :4550
19,9
13,9 3
+0,9% Sonderbeitrag der Versicherten
1,7
+0,25% Zuschlag für Kinderlose 4
4,2
Bis zu dieser Höhe ist das Bruttomonatsentgelt sozialabgabenpflichtig.
aufgeteilt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
3
angenommener Durchschnitt der Krankenkassen-Beitragssätze
4
ab 23 Jahren
1
2
nach ESV-Zahlenbilder 145 310
scheidung und vor allem natürlich grundlegende Veränderungen
der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse.
Die Interessenstruktur der deutschen Gesellschaft und ihr Einfluss
über eine auch politisch agierende Medienwelt verleiht manchen
wirtschaftlichen Interessen geradezu eine Blockade-Position, die
auch genutzt wird.
Ein Vorgehen gegen die Gewerkschaften und ihre verbrieften Rechte, wie es die Premierministerin Thatcher in Großbritannien praktizierte, erscheint für Deutschland undenkbar.
Die großen gesellschaftlichen Gruppen sind traditionell eingebettet in gewachsene Strukturen des Zusammenlebens, des Wohnens, Arbeitens, Lernens in einem Staat, der bislang kaum anders
gedacht worden war als umsorgender Staat, Sozialstaat also. In
seiner geschichtlichen Verankerung ist er kaum in wenigen Legislaturperioden aus den Angeln zu heben. [...]
Hans-Hermann Hartwich, „Marktwirtschaft in Deutschland: Vom
Keynesianismus zum Neoliberalismus“, in: GWP 4/2006, S. 496f.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
besteht ein Anspruch. Er ist nicht übertragbar. Auch
die erhaltenen Leistungen dürfen nicht verpfändet
oder gepfändet werden (SGB XII. Buch, §1, §2).
Die Produktivitätsfunktion der Sozialpolitik besteht
darin, bei vorübergehendem Verlust der Erwerbsfähigkeit Maßnahmen zu ergreifen, welche diese
Fähigkeit wiederherstellen. Schließlich hat die Sozialpolitik auch die Funktion der Verteilung: Sozialpolitik ist Umverteilungspolitik, wenn Einkommensbeziehern durch Steuern und Beiträge Mittel entzogen
werden, die dann solchen Personen zugute kommen,
die als bedürftig gelten.
Das sozialpolitische Leitbild einer freien Marktwirtschaft wird durch das Individualprinzip und das Versicherungsprinzip geprägt. Die Eigenvorsorge gegenüber existenzbedrohenden Risiken soll durch Sparen
erfolgen, die Verantwortung für die Existenzsicherung liegt ausschließlich beim Einzelnen. Risiken, die
sich nicht hinreichend durch Sparen abdecken lassen,
werden durch Versicherungen gedeckt.
Gleichartig bedrohte Personen schließen sich zu Gefahrengemeinschaften
zusammen, in denen ein Risikoausgleich
durchgeführt wird. Die Höhe der Auszahlungen, die jemand aus der Versicherung erhält, ist von den eingezahlten Beiträgen abhängig. Solche Versicherungen
sind mit einer Kasko-Versicherung für
das Auto oder einer privaten Lebensversicherung vergleichbar. Individual- und
Versicherungsprinzip sind für die Sozialpolitik in den angelsächsischen Ländern,
beispielsweise in den USA, leitend.
Die Soziale Marktwirtschaft hingegen
folgt dem Leitbild des Sozialstaates. An
die Stelle des Individualprinzips tritt das
Sozialprinzip, und zum Versicherungsprinzip tritt im Sozialstaat das Fürsorgeprinzip, das zum Beispiel der Sozialhilfe zugrunde liegt. Die Sicherung des
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Existenzminimums ist im Sozialstaat eine staatliche
Aufgabe. Flankierend dazu erzwingt der Staat durch
Pflichtversicherungen die Eigenvorsorge der Bürger.
Eine weiter gehende Zuständigkeit des Staates
dagegen fordert das Konzept des Wohlfahrtsstaates.
Hier kommt es zu einer Übernahme fast aller Risiken
durch die Gesellschaft. Die skandinavischen Länder,
insbesondere Schweden, haben sich in den 1970er
Jahren an diesem Leitbild orientiert, sich inzwischen
aber wieder davon abgewendet. Den Kernbereich der
sozialen Sicherung stellen die Rentenversicherung
und die vier Sozialversicherungen dar:
gesetzliche Kranken- und
Pflegeversicherung,
Arbeitslosenversicherung und
gesetzliche Unfallversicherung.
In einem weiter gefassten Begriff
von Sozialpolitik werden auch der
Arbeitsschutz und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik und
der Bildungspolitik, des Wohnungsbaus und der Verbraucherpolitik zur
Sozialpolitik gerechnet.
Bei Kontroversen um die Reform
der Sozialpolitik und den „Umbau
des Sozialstaates“ treffen häufig Individualprinzip und Sozialprinzip
aufeinander, beispielsweise wenn
im Gesundheitswesen die einen
mehr Selbstverantwortung und Eigenbeteiligung (Individualprinzip)
fordern, die anderen dagegen für
Solidarität der Gesunden mit den
Kranken und für eine einkommensabhängige Bemessung der Versicherungsbeiträge plädieren (Sozialprinzip). Ausgelöst durch schwerwiegende Finanzierungsprobleme bei den Systemen der sozialen
Sicherung hat sich eine kontroverse Diskussion um
gesellschaftliche Grundwerte und ihre sozialpolitische Erfüllung entwickelt.
49
50
Staat und Wirtschaft
Umweltpolitik
picture-alliance / dpa
Aus volkswirtschaftlicher Sicht sollen sowohl die
ökonomischen als auch ökologischen Auswirkungen
berücksichtigt werden, die das Verhalten einzelner
Haushalte und Unternehmen auf alle Mitglieder der
Gesellschaft hat. Dabei müssen auch globale Wechselwirkungen (Klimaschutz) Beachtung finden. Eine
intakte Umwelt hat positive externe Effekte und ist
ein öffentliches Gut. Deshalb fördert der Staat den
Kritikpunkte ins Feld geführt:
-
-
-
Umweltauflagen sind mit dem Risiko verbunden, dass die Verursacher von Umweltschäden nicht motiviert werden, von sich aus
ihre Schadstoffabgaben unter das vom Staat
als Obergrenze vorgegebene Niveau zu senken. Eine Umweltauflage kann demgegenüber eher als „Erlaubnis“ angesehen werden,
bis zur vorgeschriebenen Obergrenze Schadstoffe kostenlos abzugeben. Damit werden
falsche Anreize gesetzt: Wer von sich aus
die Umwelt über das vom Staat vorgeschriebene Maß schont, wird finanziell „bestraft“,
wer dagegen die Erlaubnis zur Umweltverschmutzung voll ausnutzt, hat einen wirtschaftlichen Vorteil.
Um mehr Umweltschutz zu erreichen,
muss der Staat die Umweltstandards ständig verschärfen. Welche Umweltstandards
allerdings technisch durchführbar und wirtDie Umweltpolitik ist für die Internalisierung negativer externer Effekte zuständig. schaftlich tragbar sind, hängt vom Stand
der Technik ab. Der Staat muss dies selbst
Rauchende Schornsteine vor einem Stahlwerk in Duisburg im Februar 2004
definieren und gerät dabei in die schwierige
Lage, herausfinden zu müssen, wie viel UmweltUmweltschutz und subventioniert umweltfreundschutz die Unternehmen realisieren könnten, wenn
liche Technologien. Umweltbelastungen stellen nesie nur wollten. Die Unternehmen ihrerseits, die ihre
gative externe Effekte dar, und Umweltpolitik hat
technischen Produktionsverhältnisse besser kennen
die Aufgabe, sicherzustellen, dass diese negativen
als der Staat, haben keinen Anreiz dazu, ihre Umexternen Effekte internalisiert werden. Dafür stehen
weltschutzmöglichkeiten offen zu legen, denn dies
verschiedene Maßnahmen zur Verfügung:
Ein traditioneller Weg der
Umweltpolitik besteht darin,
den Unternehmen Umweltstandards zu setzen, also beispielsweise Obergrenzen für Emissionen, und sie zu bestrafen,
wenn sie diese Standards verletzen. Der Ausstoß von Schadstoffen durch Betriebe wird
zum Beispiel „am Schornstein“
(end of pipe) gemessen, und bei
einer Verletzung der Auflagen
drohen Geldbußen bzw. strafrechtliche Verfolgung. Diese Politik der Umweltauflagen ist in
allen Industrieländern verfolgt
worden und hat dazu geführt,
dass die Schadstoffbelastung
zurückgegangen ist oder zumindest ihr Anstieg gedämpft
werden konnte.
Allerdings werden gegen
staatliche Umweltauflagen drei
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
würde eine Verschärfung der Standards und damit
einen Anstieg der Produktionskosten nach sich ziehen. So kommt es immer wieder zu langwierigen
Verhandlungen zwischen Staat und Wirtschaft,
welches denn der Stand der Technik sei. Ob die gefundenen Kompromisse umweltpolitisch optimal
sind, lässt sich am Ende kaum noch beurteilen.
Hinzu tritt, dass die volkswirtschaftlichen Kosten
des Umweltschutzes umso höher sind, je undifferenzierter die Standards gesetzt werden. Für das
eine Unternehmen mag die Senkung der Schadstoffabgabe um fünf Prozent nur mit einer sehr geringen
Kostensteigerung verbunden sein, für ein anderes
hingegen wirkt dieselbe Verschärfung ruinös.
Einige Probleme im Zusammenhang mit Umweltauflagen können durch Umweltabgaben gelöst
werden. Diesem Prinzip folgt beispielsweise der
„Wasserpfennig“ (Wasserentnahmeentgelt), welcher auf den Verbrauch von öffentlichem Wasser
(Grundwasser, Oberflächenwasser) durch Haushalte
und Unternehmen – mit verminderten Raten für bestimmte Industriezweige – erhoben wird.
Bei Umweltabgaben auf Schadstoffe müssen die
Unternehmen nicht nur eine Obergrenze einhalten,
sondern sie müssen für jede abgegebene Mengeneinheit eines Schadstoffes eine Abgabe entrichten.
Umweltbelastung wird damit von Anfang an zu
einem Kostenfaktor.
Die Unternehmen haben daher ein Interesse
daran, die Umwelt nur in geringerem Maße zu verschmutzen als es erlaubt ist. Sie werden angeregt,
nach neuen, umweltschonenden Produktionstechniken zu suchen, um Umweltabgaben zu vermeiden. Zumindest in diesem Punkt wird der Staat davon entlastet, den Stand der Technik zu definieren,
und das Umweltschutzbestreben der Unternehmen
kann eine Eigendynamik entwickeln, weil Umweltschutz Geld spart.
Das Problem der Umweltabgaben besteht allerdings darin, wie hoch sie festgesetzt werden. Sind
sie zu niedrig, so stellen sie keinen Anreiz zum Umweltschutz dar, sind sie zu hoch, so wirken sie wie
eine Umweltauflage, die wirtschaftlich nicht tragbar ist.
Eine dritte Lösung stellt das Konzept von Märkten
für Emissionsrechte (emission permits) dar. Dabei
müssen die Unternehmen für Emissionsrechte einen Preis entrichten, der sich durch Angebot und
Nachfrage bildet. Liegt der Preis für Emissionsrechte
über den Kosten der Schadstoffvermeidung, so kann
ein Unternehmen seinen Gewinn erhöhen, wenn es
die Schadstoffabgabe vermindert und danach die
nicht mehr benötigten Emissionsrechte verkauft.
Käufer werden Unternehmen mit hohen „Vermeidungskosten“ sein.
Der Staat legt fest, wie viele Emissionsrechte insgesamt ausgegeben werden. Damit bestimmt er
eine Obergrenze für die Schadstoffabgabe insgesamt. Der Preis, der sich für die Emissionsrechte am
Markt bildet, zeigt dann die Knappheit des öffentlichen Gutes Luftreinheit an.
Das Konzept der Emissionsrechte wird beim Klimaschutz angewendet. Die Weltklimaschutz-KonfeInformationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
51
Martin Geene / vario images
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
Märkte für Emissionsrechte sind ein Konzept der Umweltpolitik. An der Energiebörse European Energy Exchange wird mit Strom und CO2 -Zertifikaten gehandelt.
renz hat im Rahmen des Kyoto-Protokolls von 1997
die Einführung eines solchen Systems zur Senkung
des Kohlendioxidausstoßes beschlossen.
Außenwirtschaftspolitik
Die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des
außenwirtschaftlichen und des binnenwirtschaftlichen Handelns müssen zueinander passen. Eine
marktwirtschaftliche Binnenwirtschaftspolitik geht
nicht mit einer planwirtschaftlichen Außenwirtschaftspolitik zusammen, und eine Planwirtschaft
im Innern lässt sich nur schwer in eine marktwirtschaftlich organisierte Weltwirtschaft integrieren.
Daran ist zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg
eine Eingliederung der Sowjetunion und anderer
planwirtschaftlicher Volkswirtschaften in die globale Wirtschaft gescheitert. China hingegen, das sich
zunehmend in die Weltwirtschaft integriert, hat dafür zumindest in Teilbereichen und -regionen seine
sozialistische Planwirtschaft marktwirtschaftlichen
Reformen unterworfen, zu denen die Sowjetunion
seinerzeit nicht willens bzw. nicht fähig war.
Eine rein marktwirtschaftliche Außenwirtschaftspolitik entspricht einer freien Marktwirtschaft im
Binnenraum. Das Koordinationssystem ist der sich
über die nationalen Grenzen hinaus entwickelnde
Markt; die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte ist das oberste Prinzip. Die Prozesspolitik versucht nicht, die internationalen Transaktionen mit
Gütern, Kapital und Dienstleistungen zu steuern.
Doch dieses Modell einer rein marktwirtschaftlichen Binnen- und Außenwirtschaft hat es in der
Realität noch nie gegeben. Zu unterschiedlich sind
die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der verschiedenen Staaten, und auch in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden die Marktergebnisse aus sozialpolitischen, umweltpolitischen
und anderen Gründen korrigiert.
Staat und Wirtschaft
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Infolge marktwirtschaftlicher Reformen boomt der Konsum in Chinas Wirtschaftszentren. In Straßen wie der Nanjing Road in
Shanghai prangt mittlerweile eine Vielzahl bunter Reklameschilder.
Redux Pictures / laif
Auch eine Planwirtschaft in Reinkultur hat es mit
wenigen Ausnahmen – so die ehemalige DDR und
Nordkorea – nie gegeben. Eine rein planwirtschaftliche Außenhandelspolitik entspricht einem totalen
staatlichen Außenhandelsmonopol. Alle Entscheidungen der einzelnen Bürger werden durch die Entscheidung einer zentralen Behörde ersetzt. Sie allein
beschließt also, welche Güter und Dienstleistungen
exportiert oder importiert werden.
Den verschiedenen ordnungspolitischen Konzeptionen entsprechen unterschiedliche Vorstellungen von einer idealen Weltwirtschaftsordnung. Im
marktwirtschaftlichen Leitbild verzichten die Regierungen darauf, Handelsströme zu lenken. Ziel ist eine
Weltwirtschaft, die einen einzigen großen Markt
darstellt. Im Prinzip ist die Welthandelsorganisation,
die World Trade Organisation (WTO), diesem marktwirtschaftlichen Leitbild verpflichtet. Der Gegenpol
ist das Ideal einer Weltwirtschaftsordnung, in wel-
Im Zuge der weltweiten Spezialisierung und Arbeitsteilung betreiben immer
mehr westliche Unternehmen ihre Callcenter in Indien.
cher der gesamte Welthandel durch eine Zentrale gesteuert wird, wobei offen bleibt, wer diese Steuerung
durchführen sollte.
Wiederum zeigt die Wirklichkeit gemischte Ordnungsformen. In den meisten Staaten dürfen die
Einzelnen selbst entscheiden, ob sie ausländische
Güter kaufen oder etwas ins Ausland verkaufen
wollen, jedoch versucht die staatliche Seite, auf
diese Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die Regierungen erheben Zölle, beschränken die Importund Exportmengen durch festgelegte Kontingente
und erlassen technische und verwaltungsrechtliche
Vorschriften, welche die Konkurrenz aus dem Ausland behindern.
Niemand bestreitet heute, dass die internationale
Arbeitsteilung allen Beteiligten Vorteile bietet, denn
sie hat zur Folge, dass die Güter dort produziert werden, wo die Produktion am kostengünstigsten erfolgen kann. Genau wie die Arbeitsteilung im Inland
führt die weltweite Arbeitsteilung zu Spezialisierung und damit zu Produktivitätsgewinnen. Aus der
Sicht der Konsumenten bietet sie nur Vorteile, denn
sie erhöht die Gütervielfalt und senkt die Preise. In
diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die
Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft den einzelnen Konsumenten in den Mittelpunkt stellt (Konsumentensouveränität).
Aus der Sicht der Arbeitnehmer und der Unternehmen bedeutet internationale Arbeitsteilung aber
nicht nur die Chance, neue Märkte im Ausland zu
erschließen, sondern auch Konkurrenz aus dem Ausland. Daher erfolgt häufig der Ruf nach Schutz vor ausländischen Wettbewerbern, den der Staat bieten soll.
Die Staaten der Europäischen Union haben jedoch
ihre handelspolitische Souveränität an die EU abgegeben: Die Europäische Kommission vertritt in diesem Bereich als supranationaler Akteur die EU nach
außen. Während die EU-Mitglieder untereinander
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
53
ihre Zölle vollständig abgebaut haben,
hält die Union als Ganzes Außenzölle
aufrecht. Die Handelspartner der EU
kritisieren dies mit dem Schlagwort
„Festung Europa“. Ziel der internationalen Handelspolitik, deren wichtigstes
Forum die WTO darstellt, ist es, Kompromisse herbeizuführen, die einerseits die
unbestrittenen Vorteile der internationalen Arbeitsteilung sichern und andererseits den verschiedenen Staaten
erlauben, ihre binnenwirtschaftlichen
Ziele zu berücksichtigen. Dies erfordert
langwierige und oft sehr harte Verhandlungen der internationalen „Handelsdiplomatie“.
Eine Voraussetzung für eine marktwirtschaftliche Weltwirtschaftsordnung
besteht darin, dass ausländische Zahlungsmittel in inländisches Geld umgetauscht werden können und umgekehrt
(Konvertibilität der Währungen). Hinzu Die Handelspolitik der großen Wirtschaftsmächte ist mitnichten unumstritten. Globalisietritt der freie Kapitalverkehr: Kapital soll rungskritiker bei einer Demonstration anlässlich des WTO-Treffens in Hongkong 2005
in die Regionen fließen können, wo es
die höchste Rentabilität findet, und dort für Investiwichtigere Rolle. Dazu gehören zum Beispiel der Intionen sorgen. Ein staatlicherseits bisher ungelöstes
ternationale Währungsfonds (IWF), die WTO und die
bzw. schwer lösbares Problem sind dabei jedoch die
G 8 – die Gruppe der sieben führenden IndustrielänFolgewirkungen für eine Volkswirtschaft, wenn Kader mit Russland.
pitalanleger ihre im betreffenden Land angelegten
Gelder kurzfristig und in großen Mengen abziehen.
Grundsätzlich wird die Bildung der Wechselkurse soEuropäische Wirtschaftspolitik
wie der Zu- und Abfluss des Kapitals den Marktkräften überlassen, allerdings greifen die Währungsbehörden durch Käufe und Verkäufe von Devisen in
Nicht nur die Handelspolitik nach außen findet auf
den Prozess der Wechselkursbildung ein, um zu starder Ebene der EU statt, sondern auch alle Bemühunke Wechselkursausschläge zu vermeiden.
gen zur Verbesserung des EU-BinnenwirtschaftsDamit finden wir sowohl in der Außenhandelsraumes. Im März 2000 einigten sich die Staats- und
politik als auch in der Wechselkurspolitik vielfältige
Regierungschefs im Rahmen des EU-Gipfeltreffens
staatliche Eingriffe. Internationale Organisationen
in Lissabon darauf, die EU bis 2010 „zum wettbespielen dabei als Akteure und als Foren eine immer
werbsfähigsten und dynamischsten Wirtschafts-
Besser als ihr Ruf – die Arbeit der Brüsseler „Eurokraten“
[...] Vor 50 Jahren begann das europäische Abenteuer mit sechs
Ländern und einem „Gemeinsamen Markt”, der so gemeinsam
nicht war. Im Kern war es bloß eine Zollunion, und freie Fahrt gab’s
nur für Produkte, nicht einmal für Menschen, die nach wie vor ihre
Pässe am Schlagbaum vorzeigen mussten.
Heute sind es 27 Länder mit einer halben Milliarde Bürger – ein Vielvölkerstaat, der von Sevilla bis nach Sofia reicht, mit gemeinsamem
Pass und Geld, mit freiem Verkehr auch für Kapital und Arbeit, mit
eigener Justiz und Verwaltung, mit Parlamentswahlen und militärischen Eingreifkräften. Klingt immer noch langweilig, weil es so
selbstverständlich ist?
Dann noch einmal zurück: Wer hätte 1957, zwölf Jahre nach dem
furchtbarsten aller Kriege, vorauszusagen gewagt, dass [...] sich
dieser Kriegskontinent nach 2000 Jahren Gemetzel in eine Festung
des Friedens verwandeln würde? Zum größten Wirtschaftsblock
auf Erden aufsteigen würde? Und sich als Modernisierungsmaschine sondergleichen entpuppen würde?
[...] [Die] viel gescholtenen „Eurokraten“, die bekanntlich auch die
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Krümmung von Gurken und die Höhe von Traktorensitzen bestimmen wollen, haben vollbracht, was keine Regierung aus eigener
Kraft geschafft hätte.
In ihrem Deregulierungsdrang haben sie Mauern und Privilegien
geschleift, den harten Wind des Wettbewerbs durch einst geschützte Räume blasen lassen. Ohne Europa würden wir vielleicht
heute noch mit schwarzen Wählscheibenapparaten unter staatlicher Regie telefonieren. Tatsächlich kann ein Hamburger heute billiger mit einem New Yorker plaudern als umgekehrt. Weil die EU es
so will, müssen die astronomischen Handygebühren purzeln. „Nationale Favoriten“ wie Banken, Airlines oder Energiekonzerne müssen europaweit um ihre Kunden kämpfen. Und wehe den Firmen,
die sich zu räuberischen Kartellen zusammenrotten.
Bismarck notierte einst: Qui parle d’Europe a tort – etwa: Wer sich
auf Europa beruft, handelt mit Illusionen. Nach 50 Jahren ist Europa nicht nur eine Realität, sondern auch ein Magnet, ein „Imperium“, das sich – historisch einmalig – nicht durch Gewalt, sondern
durch schieres Gelingen ausdehnt. [...]
Josef Joffe, „Von wegen Alte Welt!“, in: Die Zeit Nr. 13 vom 22. März
2007
REUTERS / Claro Cortes IV
Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
Staat und Wirtschaft
raum der Welt“ zu entwickeln,
„einem Wirtschaftsraum, der fähig
ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren
Arbeitsplätzen und einen größeren sozialen Zusammenhalt zu erreichen.“ Im Jahr 2001 ergänzte der
Europäische Rat von Göteborg diese Zielsetzung um Umweltschutz
und nachhaltige Entwicklung.
Im Zentrum der Lissabon-Strategie stehen der Übergang zur
wissensbasierten Gesellschaft, die
Förderung von Forschung und Entwicklung, die Weiterentwicklung
des Binnenmarktes sowie eine europäische Wachstumspolitik. Hinzu tritt die Bekämpfung sozialer
Ausgrenzung. Zur Erreichung dieser Ziele sollen in der EU unter
anderem die Investitionen in Forschung und Entwicklung von ursprünglich 2,2 Prozent auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert und die Verwaltungsbürokratie abgebaut werden. Zu den Zielen gehören
außerdem, die Einführung von Informationstechnologien zu erleichtern sowie Wettbewerb und Unternehmertum zu fördern.
Auf den regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs im Frühjahr (Frühjahrsgipfel) wird
überprüft, welche Fortschritte im Sinne der Lissabon-Strategie erreicht worden sind und welche zusätzlichen Maßnahmen veranlasst werden sollen.
Dies erfolgt auf der Basis eines Berichts, den die
Europäische Kommission vorlegt. Zusätzlich hat die
Kommission 2005 ein eigenes „Lissabon-Programm
für die Gemeinschaft“ erarbeitet, das die Maßnahmen umfasst, die auf Gemeinschaftsebene ergriffen
werden sollen. Für die Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten stellen die Regierungen wiederum nationale
Weniger Regulierung sichert den Standort Europa
Vor wenigen Monaten hat die EU-Kommission eine neue Initiative zum Abbau von unnötiger Bürokratie und Überregulierung
gestartet. Damit wollen wir das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger in die europäische Integration stärken und dem Eindruck
entgegentreten, die EU sei ein regulierungswütiges bürokratisches Monster. Gleichzeitig wollen wir Wachstumskräfte in der
Wirtschaft freisetzen, die durch zu viele oder zu komplizierte Vorschriften gehemmt sind. Wir dürfen die gefährliche Wirkung einer
Wahrnehmung keinesfalls unterschätzen, die Brüssel mit seelenloser und wenig transparenter Bürokratie gleichsetzt.
Wir alle sind gefordert, Kommission, Parlament und Ministerrat
durch konkrete Taten zu beweisen, dass Europa so nicht ist. Bessere Rechtsetzung ist aber auch ein wesentlicher Teil der Wachstums- und Beschäftigungsinitiative der EU. Die Barroso-Kommission hat mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze zur obersten
Priorität ihrer Arbeit erklärt. Sie hat die Lissabon-Strategie für
Wachstum und Beschäftigung in diesem Sinne überarbeitet und
die Politikfelder hervorgehoben, die einen entscheidenden Beitrag
Thomas Plaßmann
54
Reformprogramme auf, die den spezifischen nationalen Gegebenheiten entsprechen. Die Regierungen
erarbeiten anschließend Berichte darüber, wie ihre
Reformprogramme auf nationaler Ebene umgesetzt
worden sind.
Praktische Umsetzung mit Mängeln
Der optimistischen Aufbruchstimmung von Lissabon folgten jedoch bald Enttäuschung und Stillstand. Die Euphorie der New Economy brach zusammen und die europäische Konjunktur erlahmte. Die
Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission
in den Jahren 2003 bis 2005 zeichneten ein düsteres
Bild von der Wettbewerbsfähigkeit der EU: Wirtschaftsreformen wurden nur widerwillig durchgeführt, die Ausgaben für Forschung und Innovation
zur Stärkung des Wachstums und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten können. Bessere Rechtsetzung ist eines dieser zentralen Politikfelder. [...]
Nur wenn es uns gelingt, die Bürokratie zu entschlacken, sinnlos
gewordene Regelungen aufzuheben, und Industrie und Dienstleistern einen modernen und langfristig berechenbaren Rechtsrahmen vorzugeben, werden wir Europa als Standort sichern und
seine Chancen im globalen Wettbewerb verbessern. Bei diesem
Vorhaben geht es nicht um ideologisch befrachtete Deregulierung.
Es geht um „bessere Regulierung“. Der Binnenmarkt braucht einen
klaren und berechenbaren Rechtsrahmen. Wir müssen jedoch dafür sorgen, dass unsere Gesellschaften nicht mit unnötiger Bürokratie belastet werden und dass unsere Bürgerinnen und Bürger
die Gewissheit haben, dass europäisches Recht mit der größtmöglichen Sorgfalt vorbereitet wird und nur dort greift, wo europäische
Regelungen auch notwendig sind. [...]
Günter Verheugen, „Weniger Bürokratie sorgt für mehr Wachstum“,
in: Deutscher Industrie- und Handelskammertag (Hg.), Sonderdienst
zum Jahr „Unternehmen Europa“, Dezember 2005
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
55
kaum aufgestockt. Insgesamt verlor die EU wirtAktuelle Herausforderungen
schaftlich gegenüber den USA und Japan an Boden.
Um die Lissabon-Strategie wiederzubeleben, erMaßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes sind
nannten die Staats- und Regierungschefs der EU
aktuell die Liberalisierung der Postmärkte und die
im Jahr 2004 den früheren niederländischen MinisVollendung des Binnenmarktes für Telekommuniterpräsidenten Wim Kok zum Vorsitzenden einer
kation. Bis 2009 soll gewährleistet werden, dass alle
Sachverständigengruppe mit dem Ziel, die MitgliedUnternehmen, die Postdienstleistungen erbringen,
staaten und Interessengruppen stärker in den Lissagleiche Eintrittschancen im gesamten Gebiet des
bon-Prozess einzubeziehen. Die Akteure der GesellBinnenmarktes haben. In der Telekommunikation
schaft sollten dabei stärker eingebunden werden, geht es um die Absenkung der Entgelte für die Nutdamit der Lissabon-Pozess nicht allein ein Projekt
zung fremder Netze mit Mobiltelefonen (internatioder politischen Eliten bliebe. Der Kok-Bericht kam zu
nales Roaming), um Verbraucherinnen und Verbraudem Schluss, dass „eine überfrachtete Agenda, eine
cher sowie Unternehmen zu entlasten und mehr
mangelhafte Koordinierung, miteinander konfligieMarkttransparenz zu schaffen.
rende Prioritäten“ für das enttäuschende Ergebnis
Darüber hinaus strebt der Europäische Rat einen
verantwortlich seien. Vor allem machte der Bericht
vollständig funktionierenden europäischen Binnendie Mitgliedstaaten und ihren Mangel an politischem
markt für Strom und Gas an. Dieser soll stärker zuWillen für das schlechte Ergebnis verantwortlich. Er
sammenwachsen und mehr Dynamik entfalten. Alle
enthielt aber auch zahlreiche Vorschläge für die Weikonkurrierenden Energieversorger sollen die Stromterentwicklung der nationalen Aktionsprogramme
und Gasnetze wie einen neutralen Marktplatz zur
und für die Verbesserung der politischen Steuerung
Durchleitung der Energie nutzen können. Deshalb
sowie die Umsetzung des Lissabon-Prozesses. Nach
ist ein Ziel, den Betrieb der Netze von der Energiedieser enttäuschenden Halbzeitbilanz wurde die Liserzeugung und dem Vertrieb zu trennen (Entflechsabon-Strategie 2005 neu ausgerichtet und auf Wirttung), um ungleiche Zugangsbedingungen zu den
schaftswachstum und Beschäftigung fokussiert.
Netzen zu verhindern.
Beim Frühjahrsgipfel unter deutscher RatspräWie die Lissabon-Strategie insgesamt dienen auch
sidentschaft im März 2007 in Brüssel standen die
die Maßnahmen zur Weiterentwicklung des europäerneuerte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beischen Binnenmarktes dem Ziel, Europa gegenüber
schäftigung, eine bessere Rechtsetzung und die inanderen Wirtschaftsregionen wie den USA, Japan
tegrierte Energie- und Klimapolitik im Mittelpunkt
und den neuen Zentren um China, Indien und Lader Aufmerksamkeit. Im Zeichen der Lissabon-Strateinamerika konkurrenzfähiger zu machen. Europa
tegie ging es vornehmlich um die Frage, wie die
soll aber nicht nur wettbewerbsfähig, sondern auch
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Untersozial sein. Bei der Lissabon-Strategie geht es um die
nehmen sowie Bürgerinnen und Bürger durch den
Gestaltung einer europäischen Ordnungspolitik, für
Abbau von Bürokratie verbessert, der Binnenmarkt
die gemeinsame Grundwerte erforderlich sind. Desgestärkt und das Europäische Sozialmodell weiterhalb kann dieses Projekt nur erfolgreich sein, wenn
entwickelt werden können. Reformbedarf sah der
es nicht nur von den politischen Eliten, sondern von
Europäische Rat im Hinblick auf die Nachhaltigkeit
der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
der öffentlichen Finanzen, die Steigerung der Beverstanden und getragen wird.
schäftigungsquoten, die Modernisierung
der Bildungssysteme und die Stärkung von
Forschung und Innovation.
Ein wirtschaftspolitischer Schwerpunkt
der deutschen Ratspräsidentschaft ist jedoch
die Verbesserung der Rechtsetzung. Trotz
vielfältiger Initiativen der Europäischen
Kommission konnten für die europäischen
Unternehmen bislang nur wenige spürbare
Entlastungen von Bürokratiekosten erreicht
werden. Solche Kosten entstehen zum Beispiel durch gesetzliche Informations- und
Statistikpflichten. Auf EU-Ebene strebt der
Europäische Rat bis 2012 einen Abbau von 25
Prozent der Bürokratiekosten aus EU-Recht
an. Dies beträfe Verordnungen, Richtlinien
und deren Umsetzung. Die Europäische
Kommission, welche den Wohlstandsgewinn aus dem Bürokratieabbau in der EU
auf 150 Milliarden Euro schätzt, hat bereits
ein entsprechendes Aktionsprogramm für
die Bereiche Gesellschaftsrecht, Landwirtschaft, Statistik und Lebensmittelhygiene Die Weichen der europäischen Wirtschaftspolitik werden bei den EU-Gipfeltreffen gevorgelegt.
stellt. Angela Merkel mit Parteikollegen von der Europäischen Volkspartei im März 2007
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
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Staatliche Handlungsfelder in einer Marktwirtschaft
56
Staat und Wirtschaft
Glossar
Allokation: die Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre
verschiedenen Verwendungen. Durch die Allokation ergibt
sich, welche Waren an welchen Standorten mit welchen
Verfahren produziert werden.
gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie die Darlegung der
von der Bundesregierung für das laufende Jahr angestrebten
wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele beinhaltet.
Bruttoinlandsprodukt (BIP): Gesamtwert aller in einem festgelegten Zeitraum innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen.
Kartell: Unternehmen, die sich zu einem Kartell zusammenschließen, indem sie Vereinbarungen (beispielsweise Preisabsprachen oder Absprachen über die Aufteilung von Marktanteilen) treffen, behindern damit den Wettbewerb und schädigen
letztlich die Verbraucher. Die Kartellämter sowie die Europäische Kommission überwachen den Wettbewerb und ahnden
Verstöße gegen das Kartellrecht mit hohen Geldstrafen.
Effizienz: Alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die zur
Erreichung der Ziele der Wirtschaftspolitik beitragen, sind effektiv. Werden diese Ziele möglichst kostengünstig erreicht,
spricht man von Effizienz.
Externe Effekte: Folgen von Entscheidungen, die Individuen
hinnehmen müssen bzw. genießen, obwohl sie an den Entscheidungen nicht beteiligt gewesen sind. Negative externe
Effekte senken die Lebensqualität Unbeteiligter, gehen aber
nicht in die Kalkulation der Verursacher ein. Das wichtigste
Beispiel ist die Umweltverschmutzung. Bei positiven externen Effekten wäre es volkswirtschaftlich wünschenswert,
wenn die Produktion, welche die Effekte hervorruft, noch
verstärkt würde. Die Wirtschaftspolitik hat speziell im ersten
Fall die Aufgabe, externe Effekte zu internalisieren.
Freie Marktwirtschaft: In der Freien Marktwirtschaft werden Produktion und Konsum allein durch die Mechanismen
des Marktes gesteuert. Es findet freier Wettbewerb statt,
ohne dass der Staat in Wirtschaftsabläufe eingreift. Die
Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte ist oberstes
Prinzip.
Grundwerte: Wirtschaftspolitische Ziele sollen sich an
Grundwerten orientieren, zu denen Freiheit, Gerechtigkeit,
Sicherheit und Fortschritt zählen. Aus diesen grundlegenden
Wertvorstellungen lassen sich weitere umfassende und auf
alle Lebensbereiche anwendbare Normen ableiten.
Hoher Beschäftigungsgrad: Der Beschäftigungsgrad ist das
in einem Prozentsatz ausgedrückte Verhältnis von tatsächlicher Beschäftigung und möglicher Beschäftigung. Theoretisch beträgt der höchste Beschäftigungsgrad 100 Prozent,
aber dieser Wert ist in der Praxis nicht zu erreichen. Vereinfacht wird heute von Vollbeschäftigung gesprochen. Sie gilt
in den meisten Staaten als erreicht, wenn die Arbeitslosigkeit nicht höher als drei Prozent ist.
Inflation: signifikanter und anhaltender Anstieg des Preisniveaus und damit Prozess der Geldentwertung in einer
Volkswirtschaft.
Internalisierung: Positive und negative externe Effekte
werden in das Kosten-Nutzen-Kalkül ihrer Verursacher
eingebracht. Der Handel mit Emissionszertifikaten stellt
beispielsweise eine Methode der Internalisierung negativer
externer Effekte dar.
Jahreswirtschaftsbericht: nach dem Stabilitätsgesetz jährlich
im Januar dem Bundestag und -rat von der Bundesregierung
vorzulegender Bericht, der die Stellungnahme zum Jahres-
Konjunktur: wirtschaftliche Lage einer Volkswirtschaft.
Die Entwicklung der Konjunktur ist von wellenförmigen
Schwankungen gekennzeichnet, welche sich mit gewisser
Regelmäßigkeit wiederholen, man spricht deshalb auch von
Konjunkturzyklen. Der Konjunkturverlauf lässt sich in vier
Phasen einteilen: Aufschwung (oder Expansion), Hochkonjunktur (oder „Boom“), Abschwung (oder Rezession), und
Depression, die Wirtschaftskrise. Mit dem erneuten Anstieg
der Produktion beginnt ein neuer Konjunkturzyklus. Bewegungen in der wirtschaftlichen Entwicklung lassen sich
bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft oder auf einzelne
Branchen oder auch auf bestimmte Zeiträume (saisonale
Schwankungen) beobachten.
Monopol: Marktsituation, die vorliegt, wenn nur ein einziger
Anbieter für ein bestimmtes ökonomisches Gut existiert. Bei
reinen Monopolsituationen existiert kein Wettbewerb; durch
die fehlende Konkurrenz kann der Monopolist den Marktpreis der angebotenen Güter auf Kosten der Verbraucher in
die Höhe treiben.
Öffentliche Güter: Güter, die positive externe Effekte mit
sich bringen, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen
werden kann und bei denen keine Nutzungskonkurrenz besteht. Der Staat muss für ihre Bereitstellung sorgen, da der
Markt sie nicht oder nur in geringem Maße produziert (Trittbrettfahrer-Problem). Beispiele für öffentliche Güter sind
Landesverteidigung und Umweltschutz.
Operationalität: Bestimmtheit von Zielen, insbesondere
die Messbarkeit der Zielerreichung bzw. Zielverfehlung. Ein
Ziel ist operational, wenn der Zielerreichungsgrad gemessen
werden kann. Das Ziel darf daher nicht zu allgemein und
unverbindlich formuliert sein („Die Situation des Unternehmens soll verbessert werden!“).
Opportunitätskosten: Ressourcen, die für die Erreichung
eines Ziels eingesetzt werden, stehen nicht mehr für andere Ziele zur Verfügung. Die daraus resultierenden Abstriche
(Nachteile, Verluste) beim attraktivsten anderen Ziel bezeichnet man als Opportunitätskosten.
Ordnungspolitik: Ordnungspolitik bestimmt die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns und besitzt Leitbildcharakter. Beispiele für Ordnungspolitik sind die Sicherung
von Privateigentum, Tarifautonomie und Notenbankunabhängigkeit.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Glossar/ Literaturhinweise
Planwirtschaft: In der Planwirtschaft verfügen zentrale Instanzen über die Produktionsmittel, die Koordination wirtschaftlicher Handlungen erfolgt zentral durch Plananweisungen. Freier Wettbewerb und freie Preisbildung existieren
nicht.
resgutachtens verpflichtet, das die gesamtwirtschaftliche
Lage und deren absehbare Entwicklung darstellt. Er darf keine konkreten Empfehlungen für wirtschaftspolitische und
soziale Maßnahmen geben, soll aber Fehlentwicklungen
sowie Möglichkeiten zu deren Überwindung aufzeigen.
Preisniveaustabilität: herrscht, wenn die Kaufkraft des
Geldes konstant bleibt. Zwar ändern sich gegebenenfalls
einzelne Preise, aber insgesamt bleiben die Preise im Durchschnitt konstant. Die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank verwenden häufig den einfacheren Begriff
Preisstabilität (Price Stability). Die Europäische Zentralbank
sieht das Ziel der Preisstabilität als erfüllt an, wenn die Inflationsrate nahe bei, aber unter zwei Prozent liegt.
Soziale Marktwirtschaft: Eine wirtschaftspolitische Konzeption, welche die Verbindung von Freiheit und sozialem Ausgleich anstrebt und in der die Marktergebnisse von Seiten
des Staates aus sozialpolitischen Motiven korrigiert werden.
Prozesspolitik: Prozesspolitische Maßnahmen werden häufig ergriffen. Die Prozesspolitik muss sich am Rahmen orientieren, den die Ordnungspolitik setzt. Ihre Effekte lassen sich
statistisch messen. Beispiele für Prozesspolitik sind Änderungen der Staatsausgaben und Änderungen der Leitzinsen.
Regelbindung: Es werden auslösende Tatbestände definiert, welche die wirtschaftspolitischen Akteure dazu verpflichten, vorgeschriebene Handlungen vorzunehmen. Die
Akteure können also nicht mehr nach freiem Ermessen
handeln. Ein Beispiel für staatliche Regulierungen sind gesetzliche Vorschriften zum Umweltschutz.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR): 1963 gegründetes unabhängiges wirtschaftswissenschaftliches Expertengremium,
bestehend aus fünf Personen („fünf Weisen“), die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung für fünf
Jahre berufen werden. Der SVR ist zur Erstellung eines Jah-
Wahlhandlungen: Wirtschaften erfordert immer Wahlhandlungen, also Entscheidungen zwischen zwei oder mehreren
Möglichkeiten. Die Volkswirtschaftslehre kann zu einem großen Teil als Theorie der Wahlhandlungen angesehen werden.
Wirtschaftspolitische Konzeption: Ziel-Mittel-System auf
hoher Abstraktionsstufe, das als Richtschnur für die Wirtschaftspolitik dient. Für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland gilt die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft.
Wirtschaftspolitisches Programm: Operationales Ziel-Mittel-System zur Bearbeitung konkreter wirtschaftspolitischer
Probleme. Beispiele sind etwa die Erhöhung des staatlichen
Investitionsvolumens zur Reduktion der Arbeitslosigkeit
oder der Abbau von Subventionen zur Senkung der Staatsverschuldung.
Zielkonflikt: Die Verfolgung eines Ziels beeinträchtigt die
Erfüllung anderer Ziele. In der Volkswirtschaftslehre gibt
es zum Beispiel eine kontroverse Diskussion darüber, ob
die Ziele Vollbeschäftigung und Preisstabilität im Konflikt
liegen.
Literaturhinweise und Internetadressen
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1945 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Bd. 460), Bonn 2005, 527 S.
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Marktwirtschaft (B 13/2007). (auch als PDF unter www.bpb.de)
Im Rahmen der Reihe Aus Politik und Zeitgeschichte, der
Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, versammeln
die Einzelausgaben wissenschaftlich fundierte Beiträge zu
den jeweiligen Themen.
Altmann, Jörn, Wirtschaftspolitik. Eine praxisorientierte Einführung, 8. Aufl., Stuttgart 2007, 600 S.
-
Dies. (Hg.), Themenblätter im Unterricht: Aktien – Chancen
und Risiken (Nr. 27), Globalisierung – Ängste und Kritik (Nr.
28), Arbeitslosigkeit (Nr. 30), Bonn 2003; Staatsverschuldung
(Nr. 35), Konjunktur und Konjunkturpolitik (Nr. 42), Bonn
2004. (auch als PDF unter www.bpb.de)
Je ein vierfarbiges Arbeitsblatt, 26-mal im Abreißblock;
dazu 4 Seiten Lehrerhandreichung.
Bofinger, Peter, Grundzüge der Volkswirtschaft. Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten, m. CD-ROM, München 2006, 300 S.
Einführung in die Volkswirtschaftslehre mit Modellsimulationen zur Mikro- und Makroökonomie. Auf der beiliegenden CD-ROM können die Beispiele des Buchs simuliert
und variiert werden.
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Hg.), Aus Politik
und Zeitgeschichte: Wirtschaftspolitik (B 43/2005), Verbände
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Dies. (Hg.), Wirtschaft heute (Bd. 499 der bpb-Schriftenreihe),
Bonn 2006, 320 S.
Grundlagen der Wirtschaftstheorie und Kernfragen der
Volks- und Betriebswirtschaft werden verknüpft mit
einem Blick auf den heutigen Stand der ökonomisch-politischen Entwicklung.
Dies. (Hg.), Wirtschaft – Ökonomische Grundbegriffe (Reihe
Pocket), Bonn 2006, 257 S.
57
58
Staat und Wirtschaft
-
Namhafte Wissenschaftler analysieren in diesem Sammelband, wie Globalisierung und Standortwettbewerb die
staatliche und lokale Wirtschaftspolitik verändern.
Donges, Jürgen/Freytag, Andreas, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Stuttgart 2001, 320 S.
-
Sinn, Hans-Werner, Die Basar-Ökonomie (Bd. 534 der bpbSchriftenreihe), Bonn 2006, 248 S.
Hans-Werner Sinn beschreibt die Folgen der Globalisierung sowie die Fehlentwicklungen in der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik und zeigt Konsequenzen und
Handlungsmöglichkeiten auf.
Frey, Bruno S./ Kirchgässner, Gebhard, Demokratische Wirtschaftspolitik. Theorie und Anwendung, 3., neubearb. Aufl.,
Stuttgart 2002, 495 S.
Unter Berücksichtigung neuer Forschungsansätze beleuchtet das Lehrbuch die Wirtschaftspolitik und untersucht Auswirkungen eigennutzorientierten Handelns
aller an der Wirtschaftspolitik beteiligten Entscheidungsträger.
Stratenschulte, Eckart D., Wirtschaft in Deutschland (Reihe
ZeitBilder der bpb), Bonn 2006, 193 S.
Dieses Buch beschreibt leicht verständlich die Grundzüge der (Sozialen) Marktwirtschaft sowie die Steuerungsmöglichkeiten und Grenzen unseres Wirtschaftssystems.
Hüther, Michael, Klassiker der Ökonomie (Bd. 611 der bpbSchriftenreihe), Bonn 2007, 303 S.
Der Band bietet in 15 Kapiteln Einblicke in die zentralen
Thesen der ökonomischen Klassiker und verdeutlicht ihre
Bedeutung für die Wirtschaftsgeschichte.
Streit, Manfred E., Theorie der Wirtschaftspolitik, 6., durchges.
u. erg. Aufl., Stuttgart 2005, 457 S.
Das erstmals vor 25 Jahren erschienene – hier korrigierte
und ergänzte – Buch verknüpft Elemente der Allgemeinen
Wirtschaftspolitik mit der ökonomischen Theorie sowie
der Entscheidungs- und Wissenschaftstheorie. Streit plädiert für ein unantastbares Primat der Politik.
Internetadressen
Jarass, Lorenz / Obermair, Gustav M. ,Wer soll das bezahlen?
Wege zu einer fairen und sachgerechten Besteuerung, 2., Aufl. ,
Marburg 2005, 180 S.
Kirsch, Guy, Neue Politische Ökonomie, 5., neubearb. Aufl.,
Stuttgart 2004, 445 S.
-
Klump, Rainer, Wirtschaftspolitik. Instrumente, Ziele und Institutionen, München 2006, 330 S.
May, Hermann (Hg.), Handbuch zur ökonomischen Bildung,
9., überarb. u. akt. Aufl., München 2008, 550 S.
Ders. (Hg.), Lexikon der ökonomischen Bildung, 6., überarb., aktual. u. erw. Aufl., München 2006, 713. S.
Dieses Lexikon bietet Grundbegriffe und wichtige Aspekte
der Ökonomie und Wirtschaftspolitik.
Pollert, Achim / Kirchner, Bernd / Polzin, Javier Morato, Das
Lexikon der Wirtschaft. (Bd. 414 der bpb-Schriftenreihe), 2.,
Aufl., Mannheim/Bonn 2004, 511 S.
Die Themenpalette des informativen Nachschlagewerkes
umfasst das gesamte Feld der Wirtschaft in zwölf Kapiteln, darunter Wirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft und
Weltwirtschaft.
Schäfer, Wolf (Hg.), Wirtschaftspolitik im Systemwettbewerb,
Berlin 2006, 259 S.
http://www.bundeskartellamt.de/
http://www.bundesfinanzministerium.de/
http://www.bmwi.de/
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
www.bundesbank.de/
http://www.diw.de/deutsch/
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
http://www.economist.com
Economist (englisch)
http://ec.europa.eu/index_de.htm
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http://www.ecb.int/
Europäische Zentralbank
http://www.ftd.de/
Financial Times Deutschland
http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stabg/
gesamt.pdf
Gesetz zur Förderung der Stabilität und des
Wachstums der Wirtschaft
www.handelsblatt.com/
http://www.iiw.uni-bonn.de/
Institut für Internationale Wirtschaftspolitik
http://www.ioeb.de/
Institut für Ökonomische Bildung
http://www.iwp.uni-koeln.de/
Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität
Köln mit umfangreichem Publikationsangebot, u. a.
auch „Zeitschrift für Wirtschaftspolitik“
http://www.oecd.org
OECD (englisch)
http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/
http://www.destatis.de/
Statistisches Bundesamt Deutschland
http://www.worldbank.org/
Weltbank (englisch)
http://www.wto.org/
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
59
Impressum
Der Autor:
Dr. rer. pol. Hans Jürgen Schlösser M. Sc. (LSE), Jahrgang 1952, ist
Universitätsprofessor für Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Siegen und Leiter des Zentrums für ökonomische Bildung Siegen (ZöBiS).
Seine Arbeitsschwerpunkte sind theoretische und empirische
Forschungen zur ökonomischen Bildung, das Menschenbild der
Ökonomie sowie Ordnungs- und Wettbewerbspolitik.
Hans Jürgen Schlösser hat Volkswirtschaftslehre, Erziehungswissenschaft und Philosophie an der Universität Münster, dem
Institut für Weltwirtschaft in Kiel und an der London School
of Economics studiert. Vor seiner Berufung an die Universität
Siegen hielt er Professuren an der TU Chemnitz und an der
Universität Koblenz-Landau.
Kontakt: [email protected]
Internet: www.zoebis.de
Herausgeberin:
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb,
Adenauerallee 86, 53113 Bonn, Fax-Nr.: 02 28/99 515-113.
Internetadresse: http://www.bpb.de
E-Mail: [email protected]
Redaktion:
Jürgen Faulenbach, Christine Hesse (verantwortlich/bpb), Jutta
Klaeren, Sibylle Klöcker (Volontärin).
Manuskript und Mitarbeit:
Jürgen Faulenbach, Bonn; Christine Hesse, Bonn; Jutta Klaeren,
Bonn; Sibylle Klöcker, Bonn; André Postert, Herne; Lena Renz,
Berlin; Prof. Dr. Hans-Jürgen Schlösser, Siegen; Prof. Dr. Günther
Seeber, Wissenschaftliche Hochschule Lahr; OStR. Erika Zabanoff, Zentrum für ökonomische Bildung Siegen.
Titelbild:
Gestaltung Michael Rechl, Kassel, unter Verwendung eines
Fotomotivs von Thomas Köhler/photothek.net.
Umschlag-Rückseite:
Stefan Eling, Köln.
Anforderungen:
bitte schriftlich an
Bundeszentrale für politische Bildung c/o IBRo,
Kastanienweg 1, 18184 Roggentin
Fax: 03 82 04/66-273 oder E-Mail: [email protected]
Absenderanschrift bitte in Druckschrift.
Abonnement-Anmeldungen oder Änderungen der
Abonnementmodalitäten bitte melden an bpb@
gebhard-mueller.de
Informationen über das weitere Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung / bpb erhalten Sie unter
der rechts oben genannten bpb-Adresse.
Für telefonische Auskünfte (bitte keine Bestellungen)
steht das Infotelefon der bpb unter Tel.: 02 28/99 515-115
von Montag bis Freitag in der Zeit von 8.30 bis 15.30 Uhr
zur Verfügung.
Informationen zur politischen Bildung Nr. 294/2007
Gesamtgestaltung:
Otterbach Medien KG GmbH & Co., 76437 Rastatt.
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co. KG, 26506 Norden.
Vertrieb:
IBRo, Verbindungsstrasse 1, 18184 Roggentin.
Erscheinungsweise:
vierteljährlich.
ISSN 0046-9408. Auflage dieser Ausgabe: 150 000.
Redaktionsschluss dieser Ausgabe:
April 2007
Text und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Der Text kann
in Schulen zu Unterrichtszwecken vergütungsfrei vervielfältigt
werden.
Der Umwelt zuliebe werden die Informationen zur politischen
Bildung auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.
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