„Actinidenchemie in wässrigen Lösungen“

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„Actinidenchemie in wässrigen Lösungen“
Marcus Altmaier, Xavier Gaona und Horst Geckeis
Einleitung
Mit dem neuen Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für
Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle aus der Kernenergienutzung (StandAG) ist in
Deutschland aktuell ein neues Verfahren zur Lösung des Problems der nuklearen
Entsorgung angelaufen. Die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen gilt,
international anerkannt, als sicherste Option. Grundsätzlich ist die Freisetzung von
Radionukliden aus einem Endlager in die Biosphäre nahezu ausschließlich über den
Transport mit Grundwasser denkbar. Daher werden umfassende Analysen durchgeführt,
um das Verhalten von Actiniden und langlebigen Radionukliden in verschiedenen
wässrigen Systemen belastbar voraussagen zu können. Die Entwicklung optimierter
Endlagerkonzepte und entsprechende Sicherheitsanalysen basieren auf einem
detaillierten Verständnis der aquatischen Chemie radiotoxischer Abfallbestandteile. Ein
interessantes Beispiel für die prominente Rolle, welche die wässrige Chemie in diesem
Kontext spielt, ist die Actinidenchemie [1, 2].
Aquatische Chemie der Actiniden
Actiniden sind als 5 f-Elemente im Periodensystem der Elemente, beginnend mit Thorium
(Z = 90), bis Lawrencium (Z = 103) lokalisiert. Im Zusammenhang mit der geochemischen
Umweltforschung sind allerdings nur die sogenannten „leichten Actiniden“ vom Thorium
bis zum Curium von Interesse. Schwerere Actiniden entstehen in Kernbrennelementen
allenfalls in Ultraspurenkonzentrationen. Verbrauchte Brennelemente bestehen zu über
95% aus Uranoxid und enthalten nach Entnahme aus dem Reaktor die
Transuranelemente Plutonium (ca. 1%), Neptunium, Americium und Curium (insgesamt
weniger als 0,1%). Actiniden sind Schwermetalle und wie alle Schwermetalle toxisch.
Darüber hinaus besitzen Actiniden als hochenergetische Alphastrahler über lange
Zeiträume eine beträchtliche Radiotoxizität. Grund genug, um gezielt für diese
Elementgruppe exakte chemische Kenntnisse und Modelle zu entwickeln und damit ihr
Verhalten in wässrigen Systemen genau verstehen und vorhersagen zu können. So stellen
z.B. Löslichkeitsgrenzen von Radionukliden äußerst wichtige Größen dar. Sie definieren
die Menge der maximal gelösten und potenziell mobilen Radionuklidspezies. Daten zur
Speziation (d.h. zur chemischen Form, in der Actiniden in einer bestimmten Lösung
vorliegen), werden dazu benötigt, um zusätzliche Effekte, z.B. die Rückhaltung durch
Sorption an Mineraloberflächen, systematisch einschätzen zu können [3]. Alle diese
fundamentalen Prozesse müssen sowohl wissenschaftlich verstanden als auch
systematisiert und belastbar quantifiziert werden.
Chemische Prozesse und insbesondere die Löslichkeit von Metallverbindungen besitzen
eine starke Abhängigkeit vom geochemischen Milieu. Hierin unterscheidet sich die
Actinidenchemie nicht von der Chemie typischer Schwermetalle. Aus der Perspektive der
Endlagersicherheitsforschung bedeutet dies, dass die möglichen Entwicklungsstufen (d.h.
die vorhandenen geochemischen Systeme und hiermit korrelierenden wässrigen
Lösungen) eines Endlagers bekannt sein müssen. In einem nächsten Schritt wird das
spezifische Verhalten der Actiniden in genau diesen wässrigen Lösungen belastbar
Die Aktuelle-Wochenschau© der GDCh – Wasserchemische Gesellschaft 24/2014
beschrieben. So beeinflussen Ionenstärkeeffekte und Temperatur, mikrobielle Effekte oder
der Einfluss langsamer Reaktionskinetiken die Actinidlöslichkeit, Komplexierung in Lösung
und Transportprozesse [4].
Für die aquatische Actinidengeochemie besonders relevante geochemische Prozesse sind
im Folgenden beschrieben:
(i) Redoxprozesse. Die leichten Actiniden können in verschiedenen Redoxstufen
auftreten, die sich in dem chemischen Verhalten stark unterscheiden. Eine zuverlässige
Einschätzung, welche Oxidationsstufen für die einzelnen Radionuklide unter welchen
Bedingungen stabil sind, ist daher unerlässlich.
Abbildung 1: Redoxstufen des Plutoniums.
(a) Lösungen von Plutonium in unterschiedlichen Oxidationsstufen in 1 M
Perchlorsäure. Von Links nach Rechts: PuIII bis PuVI.
(b) Chemische Gleichgewichte zwischen relevanten Plutoniumspezies [5].
Charakteristisch insbesondere für das Verhalten von Plutonium in wässriger Lösung ist die
mögliche Koexistenz verschiedener Oxidationsstufen (siehe Abb. 1b). Während unter den
endlagertypischen
stark
reduzierenden
Bedingungen
dreiund
vierwertige
Oxidationsstufen vorliegen, treten die höheren Oxidationsstufen unter nicht-reduzierenden
Bedingungen auf. Die Oxidationsstufe hat erhebliche Konsequenzen auf die Mobilität des
Plutoniums in Grundwassersystemen: Unter reduzierenden Bedingungen führen geringe
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Löslichkeit und starke Sorption an Mineraloberflächen zu einer starken Rückhaltung,
während z.B. in Gegenwart von Luftsauerstoff unter oxidierenden Bedingungen Plutonium
deutlich mobiler sein kann. Dieses Faktum stellt ein wichtiges Argument für die
Endlagerung actinidenhaltiger Abfälle in tiefen, sauerstoffarmen geologischen Schichten
dar. Die chemischen Eigenschaften des vierwertigen Plutoniums führen allerdings auch
zur Bildung von sogenannten Eigenkolloiden, die eine spezielle Rolle in der PlutoniumGleichgewichtschemie besitzen.
(ii) Bildung unterschiedlicher Actinidenfestphasen. Durch ihre starke Tendenz zur
Bildung von oxidischen oder hydroxidischen Festphasen wird die Löslichkeit und damit die
Mobilisierung von Actiniden wesentlich begrenzt. Zudem werden die Löslichkeitsgrenzen
direkt von der jeweiligen im chemischen Gleichgewicht befindlichen Festphasen
mitbestimmt, was eine genaue thermodynamische Beschreibung der Actinidfestphasen
erfordert. In Abbildung 2 wird die Löslichkeit von hexavalentem Uran(VI) gezeigt. Wie
erwartet ist die Löslichkeit stark von dem pH Wert der Lösung abhängig und entwickelt
sich systematisch als Funktion der jeweiligen löslichkeitsbestimmenden Uran(VI)
Festphasen.
Abbildung 2: Löslichkeit von sechswertigem Uran in 0.5 molarer NaCl Lösung:
Auftragung der Urankonzentration gegen den pH-Wert. Die Löslichkeit wird im
sauren Bereich von Uran-Metaschöpit und im alkalischen Bereich von einen
Natrium-Diuranat kontrolliert. (unpublizierte Arbeiten KIT-INE).
(iii) Komplexbildung. Actiniden besitzen, abhängig von ihrer Oxidationsstufe, eine mehr
oder weniger stark ausgeprägte Tendenz zur Komplexbildung mit anorganischen und
organischen Liganden. Stark komplexierende Liganden wie Hydroxid oder Karbonat treten
in diversen wässrigen Systemen natürlich auf und bestimmen endscheidend das
chemische Verhalten, die Speziation und die Löslichkeit in wässrigen Systemen. Neben
diesen beiden prominenten Liganden werden sämtliche potenziell in einem Endlager in
relevanter Menge vorhandenen Komplexbildner betrachtet. Weitere typische anorganische
Liganden sind beispielsweise Sulfat, Nitrat, Chlorid, Fluorit, aber auch chemisch
komplexere Substanzen wie verschiedene Borate, Silikate und Phosphate. An
organischen Liganden werden Stoffe berücksichtigt, die als Teil des Abfalls in ein Endlager
eingebracht werden oder sich beispielsweise aufgrund von Abbauprozessen organischer
Materialien bilden können. Typische Liganden sind z.B. EDTA bzw. Isosaccharinsäure
oder Huminsäuren, kleine organische Moleküle wie Oxalat und Citrat sind jedoch ebenfalls
relevant. Die Analyse der Wechselwirkung von Actiniden mit unterschiedlichen
komplexbildenden Liganden ist Inhalt diverser Forschungsarbeiten [6].
Die Anwendung moderner
Laserfluoreszensspektrometrie
analytischer Techniken wie der zeitaufgelösten
(TRLFS) oder verschiedener synchrotonbasierter
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röntgenspektroskopischer Methoden wie EXAFS oder XANES (siehe Abbildung 3) sind
heute unverzichtbare Werkzeuge zur Aufklärung der molekularen Struktur von
Actinidverbindungen
sowie
ihrer
geochemischen
Reaktionen.
Komplexe
quantenchemische Ansätze der Actinidenchemie ergänzen konventionelle chemische
Analyseverfahren und liefern Detailinformationen zu Struktur und Bindungszuständen.
Abbildung 3: INE-Beamline für Actinidenforschung an der ANKA (linkes und rechtes
Bild). ANKA Halle ist in der Mitte abgebildet. (ANKA: Synchrotron Strahlenquelle des
Karlsruher Institut für Technologie).
Ein wesentlicher Erfolg der aquatischen Actindenchemie liegt in der umfassenden
thermodynamischen Beschreibung der relevanten grundlegenden Prozesse. Im Rahmen
von konsistenten thermodynamischen Modellen und Datenbasen sind umfangreiche
Konstanten
abgelegt,
die
es
ermöglichen,
unterschiedliche
chemische
Gleichgewichtsprozesse in Lösung zu berechnen und vorherzusagen. International
herausragend sind die umfangreichen Aktivitäten der Nuclear Energy Agency (NEA)
(http://www.oecd-nea.org/dbtdb). Eine Datenbank mit derzeit spezifischem Fokus auf
salinare Systeme wird im Rahmen des deutschen THEREDA Projekts
(https://www.thereda.de) entwickelt.
Zusammenfassung und Ausblick
Sicherheitsanalysen für Nukleare Endlager über geologische Zeiträume hinweg benötigen
belastbare Aussagen zur aquatischen Chemie von Actiniden und langlebigen
Spaltprodukten von hoher wissenschaftlicher Qualität. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei
die Ableitung sogenannter Radionuklidquellterme, welche die maximale Menge an
Radionukliden angeben, die potenziell in einem gegebenen Lösungsvolumen aus dem
Endlagerbereich
heraustransportiert
werden
kann.
Berechnungen
von
Löslichkeitsbegrenzungen für die verschiedenen relevanten Radionuklide stellen hier
einen zentralen Schritt dar, der sowohl auf Basis experimenteller Studien als auch von
chemischen Modellrechnungen erfolgt [7, 8].
Eine wichtige Zukunftsaufgabe der aquatischen Actinidenchemie im Kontext der
Endlagersicherheitsforschung liegt in der fortlaufenden Ausdifferenzierung chemischer
Expertise und dem Abbau bestehender Lücken im Datenbestand. Ein aktuelles Beispiel für
die starke Vernetzung von Arbeiten der aquatischen Actinidenchemie mit anderen Teilen
der chemischen Fachöffentlichkeit ist die von 21. bis 25. Juli 2014 stattfindende ISSP-16
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Konferenz (16th International Symposium on Solubility Phenomena and Related
Equilibrium Processes) in Karlsruhe. Die vom Institut für Nukleare Entsorgung am
Karlsruhe Institut für Technologie im Rahmen der IUPAC organisierte Konferenz besitzt
eine Konferenzwebpage (https://issp16.ine.kit.edu) mit näheren Informationen. Der
Zeitraum zum Einreichen von Last-Minute Postern für ISSP-16 ist bis Mitte Juli 2014 offen.
Kontakt:
Schlauer Fuchs
Dr. Marcus Altmaier
Institut für Nukleare Entsorgung (INE)
Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe
Tel.: +49 (0)721 608 22231
E-Mail: [email protected]
Dr. Xavier Gaona
Unsere Schlaue-Fuchs-Frage zu
diesem Beitrag lautete:
Welche Konferenz ist ein aktuelles
Beispiel für die starke Vernetzung von
Arbeiten der aquatischen
Actinidenchemie mit anderen Teilen
der chemischen Fachöffentlichkeit und
wann und wo findet sie statt?
Institut für Nukleare Entsorgung (INE)
Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe
Tel.: +49 (0)721 608 22231
E-Mail: [email protected]
Prof. Horst Geckeis
Institut für Nukleare Entsorgung (INE)
Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe
Tel.: +49 (0)721 608 22231
E-Mail: [email protected]
http://www.ine.kit.edu/
Literatur:
[1] Altmaier, M.; Gaona, X.; Fanghänel, Th., Recent Advances in Aqueous Actinide Chemistry and
Thermodynamics, Chemical Reviews (2013), 113, 901−943.
[2] Geckeis, H.; Stumpf, Th.; Annual Report 2011: Institute for Nuclear Waste Disposal. KIT Scientific
Report No 7617, (2012). Free download at dx.doi.org/10.5445/KSP/1000028703.
[3] Geckeis, H.; Lützenkirchen, J.; Polly, R.; Rabung, Th.; Schmidt, M., Mineral−Water Interface Reactions
of Actinides, Chemical Reviews (2013), 113, 1016−1062.
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[4] Altmaier, M.; Bube, Ch.; Kienzler, B.; Metz, V., Reed, D.T., Proceedings of the International Workshop
ABC-Salt (II) and HiTAC 2011, KIT Scientific Reports No. 7625 (2012) Free download at
dx.doi.org/10.5445/KSP/1000029520.
[5] Altmaier, M.; Geckeis, H., Plutonium and Actinide Chemistry in Saline Solutions, Actinide Research
Quarterly, published by Los Alamos National Laboratory, Los Alamos, USA, (2011).
[6] Altmaier, M.; Vercouter, T., Aquatic chemistry of the actinides: aspects relevant to their environmental
behavior, published in: Radionuclide Behaviour in the Natural Environment: Science, Implications and
Lessons for the Nuclear Industry Book Series. Book Editor(s): Poinssot, C.; Geckeis, H.; Woodhead
Publishing Series in Energy. (2012), 44-69.
[7] Kienzler, B.; Altmaier, M.; Bube, Ch.; Metz, V., Radionuclide Source Term for HLW Glass, Spent Nuclear
Fuel, and Compacted Hulls and End Pieces (CSD-C Waste), KIT scientific reports No 7624, (2012). Free
download at http://dx.doi.org/10.5445/KSP/1000029420)
[8] Kienzler, B.; Altmaier, M.; Bube, Ch.; Metz, V., Radionuclide Source Term for Irradiated Fuel from
Prototype, Research and Education Reactors, for Waste Forms with Negligible Heat Generation and for
Uranium
Tails,
KIT
scientific
reports
No
7635,
(2013).
Free
download
at
dx.doi.org/10.5445/KSP/1000032099.
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