Umweltziele koordinieren und verbindlich

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Wilfried Kühling, Christian Hildmann
Umweltziele koordinieren
und verbindlich machen!
Der Umweltzielplan als Grundlage der zukünftigen Umweltprüfung für Pläne
Ein herausragendes Thema der Umweltplanung im Jahr 2003 dürfte die anstehende Umsetzung der EU-Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-RL 2001) in das deutsche Planungsrecht sein. Zentraler
Aspekt ist dabei, dass zukünftig die planrelevanten, festgelegten Ziele des Umweltschutzes berücksichtigt werden müssen, es
aber hierzu bisher keine Planungsvorschriften gibt. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang, welches Umweltschutzniveau von
der gesamträumlichen Planung eigentlich anzustreben ist und wie dies abgestimmt werden kann. Die Abfrage vorhandener
Zielaussagen zeigt, dass diese oft nicht ausreichend präzisiert sind oder nicht das erforderliche Niveau anstreben. Zur Problemlösung soll daher der Ansatz eines Umweltzielplans vorgestellt werden, der die zu erreichenden Umweltziele integrativ formuliert und festlegt. Mit seiner Hilfe lassen sich Umweltbelange stärker im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigen,
als es bisher möglich ist.
B
ereits seit dem Beginn einer breiteren umweltpolitischen Diskussion in den 1970er Jahren (Deutscher
Bundestag 1971, 1972) wird die zentrale Frage erörtert, wie
Umweltqualität zu beurteilen sei. Greift man zentrale Ergebnisse heraus, so machen Fürst et al. (1992) deutlich,
dass Umweltqualität im Sinne der zukunftsorientierten Vorsorge definiert werden muss und vorhandene Wertmaßstäbe daraufhin zu überprüfen sind. Ein grundsätzliches Problem dabei ist jedoch, wie die formulierbaren umwelt- und
naturschutzfachlichen Anforderungen in einen gesamträumlichen Abstimmungsprozess integriert werden können. Die Aufstellung eines Umweltqualitätszielkonzepts
(Kühling et al. 1995) kann als ein erster Versuch angesehen
werden, wie man die Inwertsetzung von Umweltqualität inhaltlich strukturieren und ein Verfahren organisieren kann.
Der Zielmaßstab für Umweltqualität
Ein anderes Problem stellt sich mit der Frage des Zielmaßstabs. Ziele zur Umweltqualität sind generell mit dem Vorsorgeprinzip verbunden (SRU 1987: Tz. 90). Das Vorsorgeprinzip ist national im Grundgesetz (Art. 20 a GG) und diversen Fachgesetzen sowie international vereinbart (RioDeklaration 1992, Art. 174 Abs. 2 EWG-Vertrag). Im planerischen Kontext sind vor allem die nachhaltige Entwicklung
gemäß § 1 Abs. 2 Raumordnungsgesetz (ROG) und analog
dazu die nachhaltige städtebauliche Entwicklung in § 1
Abs. 5 Baugesetzbuch (BauGB) von Bedeutung. Diese Leitlinien der angestrebten Raumentwicklung erfordern die
Definition und Festlegung eines langfristig verfügbaren
Umweltbudgets mit möglichst klar definierten Leistungen
und Belastungsgrenzen (Kühling 2001) der natürlichen Lebensgrundlagen und natürlichen Funktionen des Raums.
Eine solche Bestimmung der erforderlichen Umweltqualität bedeutet logisch abgeleitet eine so genannte „strong
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sustainability“ (Kühling et al. 2000) und müsste unabdingbar eine klare, auf die Zukunft hin ausgerichtete, zu erreichende oder einzuhaltende Umweltqualität benennen.
Ohne die Aufstellung von zu erreichenden Umweltqualitätszielen und deren Festlegung läuft jede kompetente
Planung und Bewirtschaftung des Raums leer. Bei allen semantischen Verbesserungen, die inzwischen bei der Definition von Begriffen wie Vorsorge und Nachhaltigkeit erreicht worden sind, bleibt der materielle Gehalt jedoch
nach wie vor recht verschwommen.
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien
zum Umweltschutz (BGBl. I Nr. 40 v. 27.07.2001 S. 1950)
und auch mit der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL 2000)
sind neue materielle Ansprüche an das angestrebte Maß
der Umweltqualität definiert. Dort geht es insbesondere
um die „integrierte Vermeidung und Verminderung der
Umweltverschmutzung“; es gilt, „ein hohes Schutzniveau
für die Umwelt insgesamt“ bzw. einen „guten ökologischen
Zustand der Gewässer“ zu erreichen. Folgende Begriffe
sind dabei bemerkenswert (Kühling 2002):
– „Integration“ meint nach dem Duden „In ein übergeordnetes Ganzes aufnehmen, sich in ein übergeordnetes
Ganzes einfügen“. Damit ist eine ganzheitliche Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung zu
betrachten, die alle wichtigen Aspekte erfasst; es werden auch die sehr verschiedenartigen Wirkungen auf
die Umweltschutzgüter und Wechselwirkungen untereinander betrachtet werden müssen, auch wenn einzelne Formulierungen der hier zu Grunde liegenden IVU-RL
(1996) wieder hinter diesen Anspruch zurückfallen.
– Eine Konkretisierung der „Vermeidung und Verminderung“ leistet auch Art. 174 Abs. 1 EWGV, wonach neben
der Erhaltung und dem Schutz der Umwelt auch die Ver-
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besserung ihrer Qualität angestrebt wird. Ein solches Verbesserungsgebot bleibt den deutschen Fachgesetzen
bislang allerdings weitgehend fremd.
– Mit der Formulierung „hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ kann eine Bestimmung für die zu erreichende Umweltqualität abgeleitet werden, wenn man
eine Abgrenzung hinsichtlich der zu vermeidenden Umweltverschmutzung gemäß Art. 2 Nr. 2 der IVU-RL (1996)
vornimmt. Danach ist Umweltverschmutzung nicht nur
auf den Schaden an der menschlichen Gesundheit oder
der Umweltqualität bezogen, sondern es handelt sich
auch um die Freisetzung von Stoffen, Erschütterungen,
Wärme oder Lärm in Luft, Wasser oder Boden, die zu einer „(...) Schädigung von Sachwerten bzw. zu einer Beeinträchtigung oder Störung von Annehmlichkeiten und
anderen legitimen Nutzungen der Umwelt führen können“. Das angestrebte Schutzniveau der EU zielt damit
deutlicher als verschiedene Regelungen des bisherigen
deutschen Umweltfachrechts auf eine Umweltqualität,
die nicht beim bloßen Schutzprinzip (Schutz vor Umweltschäden und Gesundheitsgefahren) stehen bleibt.
Mit diesen Formulierungen zur angestrebten Umweltqualität wird insgesamt deutlich, welche Ziele eine gesamträumliche Planung verfolgen muss. Zwar ist seit langem
klar, dass vorsorgender Umweltschutz als aktive Politik zur
langfristigen Sicherung der natürlichen Ressourcen und
zur Verbesserung der Umweltqualität insbesondere die
Raumordnung, Stadtentwicklung, Fachplanungen und
Umweltschutzfachplanungen anspricht (Hoppe 1980). Es
bedarf jedoch immer wieder gesetzlicher Vorgaben, um
die planerische Aufgabenerfüllung anzumahnen – so zuletzt durch den ergänzten „Planungs-Paragrafen“ 50
BImSchG, der verdeutlicht: „Bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen in Gebieten, in denen die (…) festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden, ist bei der Abwägung der betroffenen Belange die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität als Belang zu berücksichtigen“. Damit sind die Planenden eindeutig aufgefordert, schon unterhalb der Gefahrengrenze eine optimale Umweltqualität zu sichern.
Diese materielle Ausrichtung von Vorsorge und nachhaltiger Entwicklung ist eigentlich nicht neu. Aus einer Vielzahl von Fehlern in der planerischen Abwägung, die sich
besonders dort ergeben, wo schwache Interessenlagen wie
beim Umweltschutz bestehen, hat sich durch gerichtliche
Klärungen eine Reihe von Grundsätzen und städtebaulichen Lehrsätzen herausgebildet. Bei Nichtbeachtung dieser
Grundsätze ist eine Planung fehlerhaft; zu ihnen zählen
beispielsweise (Ernst & Hoppe 1981): das Gebot der Rücksichtnahme (der Grundsatz des planerisch-vorbeugenden
Umweltschutzes) und das Verbesserungsgebot (Planung
muss stets auf Situationsverbesserung ausgerichtet sein).
Am Beispiel der Bauleitplanung lässt sich die Verpflichtung zum Ziel der Vorsorge weiter verdeutlichen. Nach § 1
Abs. 5 BauGB sollen die Bauleitpläne nicht nur dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, sondern
auch die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und
zu entwickeln. Schon darin manifestiert sich vorsorgender
Umweltschutz; noch konkreter wird § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 7
BauGB mit der umfassenden Aufzählung der Umweltschutzbelange, aus denen vorsorgendes Planen abzuleiten
ist (Battis, Krautzberger, Löhr 1994, § 1 Rn. 57 und 76b). Damit gehen die Aufgaben des Städtebaus über eine Gefahrenabwehr hinaus und verpflichten zu früh ansetzender
Vorsorge (Kühling 1993).
Nachhaltige Umweltqualität als
Aufgabe der gesamträumlichen Planung
Bereits aus der Betrachtung dieser wenigen Aspekte, mit
denen die Aufgaben einer Umweltplanung hinsichtlich
der räumlich zu verortenden und sachlich zu konkretisierenden Umweltqualität angerissen werden, zeigt sich ein
heute oft anzutreffendes Dilemma: Klare Anforderungen
an eine nachhaltige Umweltqualität im oben skizzierten
Sinne werden selten gestellt. Häufig ist es so, dass der Anspruch (umwelt-)fachplanerischer Aussagen lediglich dem
Schutz- und weniger dem Vorsorge- oder Nachhaltigkeitsgedanken folgt. Im Vorgehen des gesamtplanerischen Interessenausgleichs werden die genannten Ziele dann lediglich koordinierend miteinander kompatibel gemacht.
Folge ist, dass Umweltschutz und Umweltplanung in den
meisten Fällen (sieht man von den vorsorgeorientierten
Umweltplanungen im engeren Sinn – wie etwa der Landschaftsplanung – einmal ab) kaum ein „Mehr“ an Umweltqualität erreichen und häufig nur entlang dem gesetzlich
verankerten Bereich der Gefahrenabwehr agieren.
Abbildung 1 verdeutlicht den genannten Aktionsbereich der fachplanerisch/ fachgesetzlich geregelten Umweltqualität unter dem gefahrenschützenden Aspekt. Der
Aktionsbereich der räumlichen Gesamtplanung entspricht
dem dargestellten mittleren Feld, das auf der anderen Seite durch das verfassungsrechtlich gesicherte Übermaßverbot begrenzt ist, nach dem die weitere (und nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erreichbare) Reduzierung
relativ geringer Risiken nicht vertretbar ist. Zwischen diesen beiden „Leitplanken“ verbleibt ein in vielen Belastungs- oder Risikobereichen gültiger Aufgabenbereich
der gesamträumlichen Planung, der – wie gezeigt – zu ihren originären Aufgaben zählt und in dem aktiv die untere
Planke zum Restrisikobereich anzustreben ist. Dieser Bereich ist natürlich der planerischen Abwägung zugänglich.
Seine sinnvolle planerische Gestaltung setzt dabei besonders da an, wo durch Rahmen setzende Bedingungen ein
hohes Maß an Selbststeuerung erreicht wird.
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Planung (und hier insbesondere die gesamträumliche Planung) muss einerseits
diesen Spielraum erkennen und andererseits in diesem Spielraum als Initiator auch
agieren (wollen), um eine möglichst gute
Umweltqualität zu erreichen. Diese über
den Gefahrenschutz hinausgehenden Ziele
müssen von Seiten der Planung sachlich,
räumlich und zeitlich konkretisiert und operationalisiert und in ihrer objektiven Gewichtigkeit als Belang in die Abwägung eingestellt werden. Es gilt hier, die langjährige
Diskussion um einen Umweltleitplan oder
Umweltgrundlagenplan im Entwurf eines Abb. 1: Prinzipskizze zur Problemidentifikation beim Umweltzielplan: Aufgaben- und
Umweltgesetzbuchs wieder aufzugreifen Handlungsbereiche zur Erreichung von Umweltqualitätszielen (rechtliche Sicht) [Quelle:
eigene Darstellung]
(UBA 1992; UGB-KomE 1998; Kühling & Hildmann 2003), mit der eine Aufwertung und Bündelung der
Am Beispiel der Überlegungen zur Novellierung des
Umweltfachplanungen angestrebt wurde. Dort zeigte sich, Baugesetzbuchs (BauGB) zeigt sich nach Ansicht der eindass das komplizierte System des Umweltrechts kaum gesetzten Expertenkommission zwar, dass keine neuen
neue Instrumente verkraftet; daher lohnt es, unkonventio- Verfahren zur Umsetzung der SUP-RL erforderlich scheinelle – aber möglicherweise praktikable – Lösungen zu nen und eine in die Bauleitplanung als unselbstständiger
entwerfen, wie es weiter unten mit dem Ansatz eines Um- Verfahrensteil integrierte Umweltprüfung als Regelverweltzielplans versucht wird.
fahren für alle Umweltbelange zu erreichen sein dürfte
(BMVBW 2002). Die Kommission konstatiert jedoch, dass
Die Strategische Umweltprüfung:
die bisherigen Regelungen im § 2 BauGB bisher keine AnEin Schritt nach vorn?
forderungen hinsichtlich der Berücksichtigung festgelegBislang werden lediglich bestimmte Vorhaben gemäß dem ter Ziele des Umweltschutzes gemäß SUP-RL enthalten.
Anhand der SUP-RL wird damit sichtbar, was schon
Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)
bzw. gemäß der Eingriffsregelung nach Bundesnaturschutz- lange als inhaltlich und verfahrensmäßig logisch gilt: Ziele
gesetz (BNatSchG) hinsichtlich der Auswirkungen auf die zur Umweltqualität (im Hinblick auf das hohe SchutzniUmwelt intensiver geprüft. Die grundsätzlichere Frage, ob veau insgesamt bzw. im Sinne der nachhaltigen Entwickein geplantes Vorhaben hinsichtlich der Umweltwirkungen lung /Umweltvorsorge) müssen formuliert und vor allem
überhaupt tolerierbar sein kann, blieb zumeist ungeprüft. auch festgelegt werden (Kühling et al. 1995).
Dies zeigt sich zum Beispiel beim Bundesverkehrswegeplan, der die grundsätzliche Verbindung zwischen zwei Der Umweltzielplan als
Punkten bereits festlegt, die Prüfung der Umweltauswirkun- Prozess und Lösungsansatz
gen aber erst bei der konkreten Trasse ansetzt.
Die vor wenigen Jahren abgebrochene Diskussion um ein
Die EU-Richtlinie zur Strategischen Umweltprüfung Umweltgesetzbuch, das einen Umweltleitplan bzw. Um(SUP-RL) aus dem Jahr 2001 sieht eine obligatorische Um- weltgrundlagenplan zur Bündelung und Stärkung der Umweltprüfung bei bestimmten Plänen und Programmen weltbelange bei der Abwägung in raumbedeutsamen Plävor. Bis zum 21. Juli 2004 ist diese Richtlinie in das bun- nen vorsah, sollte schon auf einer wissenschaftlichen
desdeutsche Recht umzusetzen. Nach Art. 5 Abs. 1 der Fachtagung im Februar 2002 konstruktiv fortentwickelt
Richtlinie wird zukünftig ein Umweltbericht zu erstellen werden (vgl. Kühling/Hildmann 2003). Als ein zentrales Ersein, in dem die Umweltauswirkungen des Plans ermittelt, gebnis der Diskussionen verdichtete sich dort der Gedanbeschrieben und bewertet werden. Zum Inhalt des Be- ke, dass ein „Umweltzielplan“ oder auch „ökologischer
richts zählen gemäß Anhang I e SUP-RL „die (…) festgeleg- Funktionsplan“ mit neuen Anforderungen – allerdings in
ten Ziele des Umweltschutzes, die für den Plan oder das das vorhandene Planungssystem integriert – zur Lösung
Programm von Bedeutung sind, und die Art, wie diese der offenen Fragen und Probleme einer nachhaltigeren
Ziele und alle Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung Entwicklung beitragen könnte (Finke 2003). Die Fortfühdes Plans oder Programms berücksichtigt wurden.“ Diese rung der Diskussion brachte im Januar 2003 den Ansatz
Forderung ist neu und bedarf der expliziten Berücksichti- einer Umweltzielplanung hervor, deren Prinzipien in Abgung, zum Beispiel im Rahmen der Planerläuterung.
bildung 2 skizziert werden.
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Generell geht es zunächst um das Grundproblem, – Zunächst müsste ein genereller Entwurf über die Rahmen setzenden, ökologischen Funktionen erstellt und
sachbezogene Aussagen zu Umweltaspekten (Sachebene)
eine prinzipielle Verständigung darüber erzielt werden.
in eine normative Festlegung (Wertebene) zu überführen.
In dieser ersten Phase (vgl. Abbildung 2) sollte die räumEin solches Verfahren ist in der Literatur am Beispiel der
liche Gesamtplanung nur dann die aktive und moderieOperationalisierung des Prinzips der Nachhaltigkeit in den
rende Rolle einnehmen, wenn die oben genannten AufGrundzügen bereits beschrieben (Kühling 2001).
gaben richtig erkannt wurden. Ein verstärktes WechselDer Planungsgegenstand – die vom Menschen vielfach
spiel zwischen Politik und Planung ist für übergeordnete
genutzte und beeinflusste Umwelt – entzieht sich häufig
Aspekte – etwa im fiskalischen Bereich – unabdingbar.
einer einfachen linearen Betrachtungsweise. Nichtlineare
Rückkopplungen, zahlreiche Wechselwirkungen, Selbst- – In der Phase 2 und 3 entwickeln diejenigen Umwelt-Fachplanungen, die die Schutzgüter der Umwelt steuernd beorganisation und schleichende Prozesse ebenso wie raeinflussen können, ihre
sche Systemänderungen
Zielvorstellungen
und
(„Flips“) machen eine syskonkretisieren sie im
temische und ganzheitliHinblick auf das angeche Herangehensweise
strebte „hohe Schutznierforderlich (Vester 2002,
veau insgesamt“. Sie sind
Kay et al.1999). Folglich
dabei zur Verbesserung
dürfte es nicht ausreides Umweltzustands im
chen, lediglich multidisSinne einer nachhaltigen
ziplinär Wissen zusamEntwicklung und Ummenzutragen. Vielmehr
weltvorsorge verpflichtet.
müssen die Prozesse in
In koordinierender Rolle
ihrer räumlichen und
achtet die räumliche Gezeitlichen Verteilung besamtplanung darauf, dass
trachtet werden, um darwesentliche Umweltbeaus ein ausreichendes
lange und ihre WechselSystemverständnis
für
wirkungen in den FachPlanung und Manageplanungen berücksichtigt
ment ableiten zu könsind. Können einzelne Benen. Die Leitung und Kolange dort nicht ausreiordination des Verfahchend gewürdigt werden,
rens sollte also bei einer
sollte die Gesamtplaim systemischen Denken
nung diese Aufgabe
geübten Person liegen,
wahrnehmen (ggf. über
damit die letztlich politischen Prozesse sachge- Abb. 2: Der Umweltzielplan im Rahmen einer nachhaltigeren Raumentwick- eine externe Auftragsvergabe).
recht beeinflusst werden. lung (Prinzipskizze) [Quelle: eigene Darstellung]
Wegen der generellen Aufgaben und Inhalte sollte die – In Phase 4 quantifizieren die Fachplanungen für ihren
Zuständigkeitsbereich die Zielvorstellungen über Indiräumliche Gesamtplanung insbesondere auf der regionakatoren, analysieren und bilanzieren den (Ist-)Zustand
len und kommunalen Planungsebene gleichzeitig Initiaund die zukünftige Entwicklung (Soll-Zustand) anhand
tor, Koordinator und Adressat eines Umweltzielplans sein.
der Ergebnisse aus Phase 2. In diesem Stadium kann
Die inhaltliche Interpretation der Leitvorstellung einer
eine fachplanerisch-interne Zielkorrektur der Phase 2 ernachhaltigen Raumentwicklung (§ 1 Abs. 2 des ROG)
forderlich werden.
führt zu der Erkenntnis, dass die ökologischen Funktionen
eines Raums den Rahmen für die künftige soziale und – Unter sachkundiger Anleitung und Moderation der Gesamtplanung (siehe oben genannte Anforderungen)
wirtschaftliche Entwicklung darstellen. Von einer Gleichwird in Phase 5 eine Umweltzielkonferenz, das heißt,
wertigkeit der drei Nachhaltigkeitsdimensionen kann also
ein Diskussionsprozess mit den anderen Umweltfachkeine Rede sein (dazu z. B. Hildmann 2003). Auch aus der
planungen gestartet. Die Integration der fachplaneriLeitvorstellung einer nachhaltigen städtebaulichen Entschen Ziele erfolgt hier also nicht wie sonst im Rahmen
wicklung und weiteren Anforderungen des § 1 Abs. 5
der gesamtplanerischen Abwägung. Dies erlaubt die
BauGB ergeben sich wesentliche Rahmenbedingungen eigemeinsame Entwicklung von Zielen über nachhaltig
nes Umweltzielplans:
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zu sichernde ökologische Funktionen und über Umweltaspekte, die nicht gleich durch gegenläufige soziale oder ökonomische Belange blockiert werden können.
In einer solchen Konferenz werden die sektoralen Ansichten bündelnd zusammengeführt, Wechselwirkungen geklärt und Zieldivergenzen handhabbar gemacht.
– Am Ende des Diskussionsprozesses steht in Phase 6 ein
gemeinsam von allen Fachplanungen getragener Umweltzielplan. Hier sind Prioritäten, Hierarchien und Gewichtungen geklärt; es können auch Alternativen, Szenarien oder andere Bewertungen enthalten sein. Diese
Phase steht für den methodischen Grundanspruch, zunächst die sachbezogenen Aussagen zu klären, bevor normative Festlegungen folgen. Die hier zusammengestellten und begründeten Ziele haben für die Öffentlichkeit
noch unverbindlichen Orientierungscharakter, sollten
aber bereits eine interne Behördenverbindlichkeit enthalten. Die geringe Verbindlichkeit hat auch den Vorteil,
dass ein Konsens der Beteiligten leichter zu erreichen ist.
– In Phase 7 folgt dann der Abgleich mit den sozio-ökonomischen Erfordernissen des Raums und gegebenenfalls
weiteren raumordnerischen Aspekten. Der für den räumlichen Gesamtplan zuständige Entscheidungsträger sollte den Umweltzielplan (z. B. als sachbezogener Teil des
Gesamtplans) vorab beschließen. Dieser Beschluss ist erforderlich, um gemäß § 1 Abs. 2 ROG den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen die soziale und ökonomische
Entwicklung des jeweiligen Raums stattfinden soll.
Der besonderes Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass
die zukünftig aufgrund der SUP-RL abzufragenden und jeweils zu berücksichtigenden Umweltziele nicht sektoral
und isoliert verfolgt werden, sondern der neue Anspruch
einer integrierten Arbeitsweise unter Einschluss möglicher
Wechselwirkungen wirklich gelingen kann. Hinzu kommt,
dass ein solchermaßen gebündeltes Konzept Voraussetzungen für intelligente Rahmensetzungen (z. B. durch ökonomische Anreize) schafft, mit denen eine sich selbst steuernde Entwicklung in Gang gesetzt werden könnte.
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der Wasserpolitik, ABl. EG L 327 vom 22.12.2000
Prof. Dr.-Ing. Wilfried Kühling leitet das Fachgebiet
Raum- und Umweltplanung am Institut für Geographie
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dr. Christian Hildmann ist Wissenschaftlicher Assistent am selben
Fachgebiet. ■
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