Kindererziehung und Familienwerte im Islam

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Kindererziehung und Familienwerte im Islam
Dr. Christine Schirrmacher
Prolog
Normalerweise wünscht sich jedes muslimische Ehepaar Kinder. Sie sind für den Bestand der Ehe
sehr wichtig und gelten als Zeichen einer guten Ehe. Der Koran sagt: „Vermögen und Söhne sind
Schmuck des diesseitigen Lebens“ (Sure 18,46).
Die Bedeutung der Kinder für die Familie
Nach wie vor spielen Kinder auch für den Unterhalt der Familie und die Altersversorgung der
Eltern eine wichtige Rolle. Jungen tragen so bald wie möglich zum Familieneinkommen bei, und
im Alter der Eltern wird der älteste Sohn, der in der Regel mit seiner Familie im Haus seiner
Eltern wohnt, für sie aufkommen.
Staatliche Fürsorge und Altenheime sind so gut wie unbekannt in der islamischen Welt. Viele
Muslime betrachten diese Einrichtungen in der westlichen Welt als Kennzeichen einer beziehungskalten Gesellschaft und die Trennung von Eltern und Kindern im Alter als Hinweis auf
deren mangelnde Ehrerbietung den Eltern gegenüber.
Kinderlosigkeit
Bekommt ein Ehepaar keine Kinder, lastet auf der Ehefrau enormer Druck, denn ihr wird dieser
Umstand so gut wie immer angelastet, auch wenn theoretisch ausreichend Wissen über die vielen
verschiedenen Ursachen für Kinderlosigkeit vorhanden sein mag.
Die verzweifelte Ehefrau wird daher Hilfe suchen - entweder bei einer Wunderheilerin und ihren
magischen Praktiken, bei einer Wallfahrt zu einem Heiligtum, um dort Fruchtbarkeit zu erflehen,
ein Gelübde zu leisten oder ein Opfer zu bringen oder auch bei der westlichen Medizin.
Junge oder Mädchen
Wird ein Kind in eine muslimische Familie geboren, herrscht viel Freude, die noch größer ist,
wenn das Neugeborene ein Junge ist. Die Geburt eines Jungen verbessert die Stellung und das
Ansehen der jungen Ehefrau in der Familie ihres Mannes, insbesondere dann, wenn sie dort mit
ihrem Ehemann lebt, wie es die Tradition vorschreibt.
Besonders erleichtert wird die Ehefrau sein, wenn das erste Kind ein Junge ist, wird doch damit
nicht nur der mögliche Makel der Kinderlosigkeit von ihr genommen, sondern auch die Angst vor
der mit wenig Ansehen behafteten Geburt von ausschließlich Töchtern ausgeräumt.
Das erste Glaubensbekenntnis
Dem Kind wird unmittelbar nach der Geburt das islamische Glaubensbekenntnis ins rechte
Ohr gesprochen („Es gibt keinen Gott außer Allah, und Muhammad ist sein Prophet“). Dieses
Glaubensbekenntnis begleitet einen Muslim täglich - er spricht es vielfach bei seinen rituellen
Gebeten - bis zum Tod, denn kurz vor dem Sterben wird es ihm wieder ins Ohr gesprochen, damit
er der Befragung durch die Todesengel nach seinem Tod standhalten kann.
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Seite Verschiedene magische Schutzpraktiken wie z. B. in die Kleidung eingenähte blaue Perlen
oder daß das Neugeborene die ersten 40 Tage nicht außer Haus mitgenommen wird, sollen das
Neugeborene vor dem gefürchteten „Bösen Blick“ schützen, der von einer anderen Person - vor
allem einer Frau - aus Neid auf ein besonders hübsches Neugeborenes geworfen werden mag.
Dem „Bösen Blick“ werden in der islamischen Welt in allererster Linie noch immer Krankheiten
und die mancherorts in der islamischen Welt hohe Säuglingssterblichkeit zugeschrieben, ja, man
glaubt, daß die meisten Menschen an den Folgen des „Bösen Blicks“ sterben.
Religiöse Erziehung
Wer in eine muslimische Familie hineingeboren wurde, gilt immer als Muslim und wird auch als
solcher behandelt. Es ist keine spätere „Bekehrung“, kein Bekenntnis oder eine ausdrückliche
Erklärung des Kindes nötig, die etwa mit der christlichen Taufe oder der Konfirmation vergleichbar wären.
Die Religionszugehörigkeit „Muslim“ wird in den meisten islamischen Ländern im Paß eingetragen, und in fast allen islamischen Ländern ist es unmöglich, diesen Eintrag jemals zu ändern.
Eigentlich gibt es keine Möglichkeit, aus dem Islam auszutreten.
Der Koran droht zwar einem Apostaten (Abgefallenen vom Islam) nur die Strafe Gottes im Jenseits
an, die Überlieferung benennt jedoch die Todesstrafe für Abtrünnige, und dieser Meinung hat sich
die islamische Theologie - von wenigen Ausnahmen abgesehen - angeschlossen. Wer als Muslim
geboren wurde und sich vom Islam abwendet, muß immer mit ernsten Konsequenzen rechnen, zu
denen häufig der Verlust des Arbeitsplatzes, die Zwangsscheidung, Enterbung, Vertreibung oder
Umerziehung in einer psychatrischen Klinik und manchmal auch seine Ermordung gehören.
Die natürliche Religion
Muslimische Theologen gehen davon aus, daß der Islam die ‚natürliche Religion‘ eines jeden
Menschen sei.
Nur wenn Kinder in einer nichtislamischen Umgebung aufwachsen, so meint man, wird das Wissen
um diese natürliche Religion ‚verdunkelt‘ und sie werden zu Juden oder Christen ‚gemacht‘.
In einer muslimischen Familie geht es also ‚nur‘ darum, den als Muslim Geborenen nun auch
als Muslim aufwachsen zu lassen. Dazu gehört die - für traditionell geprägte Muslime selbstverständliche - religiöse Unterweisung des Kindes in der Familie und manchmal auch in der
Koranschule.
Unschuldig und unwissend
Man geht davon aus, daß Säuglinge und Kleinkinder zunächst einmal ganz und gar ‚unschuldig‘ und ‚unwissend‘ sind und nichts Böses kennen und wollen. So haben sie in den ersten
Lebensjahren (etwa bis zur Einschulung) viele Freiheiten, die bei einem Sohn später meist nur
in geringem Maß eingeschränkt werden. Töchter dagegen werden von klein an dazu angehalten,
im Haushalt mitzuhelfen und auf kleinere Geschwister aufzupassen, sich nützlich zu machen und
sobald wie möglich die späteren Aufgaben als Hausfrau und Mutter zu erlernen.
Religiöse Erziehung geschieht indirekt dadurch, daß das Kind mit islamischen Festen und
Feiertagen aufwächst, aber auch mit Speise- und Reinigungsvorschriften, mit detaillierten
Auffassungen davon, was als erlaubt und verboten gilt, mit dem täglichen rituellen Gebet, dem
Fasten im Monat Ramadan, mit den islamischen Ehe- und Familiengesetzen, mit den vielen
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Seite magischen Praktiken, mit der Trennung der Geschlechter und den vom Islam vorgegebenen
Moralauffassungen.
Beschneidung
Für den Sohn ist sein Beschneidungsfest sehr wichtig, durch das er in die Gemeinschaft der
Männer aufgenommen und ein vollwertiges Mitglied der Religionsgemeinschaft der Muslime
wird.
Die Beschneidung kann schon einige Tage nach der Geburt erfolgen, wird jedoch häufiger zwischen dem vierten und siebten, spätestens jedoch bis zum zwölften Lebensjahr durchgeführt. Es
wird ein - manchmal aufwendiges - Fest gefeiert, der Sohn erhält Geschenke und Süßigkeiten und
wird in einer Prozession durch die Straßen geführt.
Einführung in religiöse Pflichten
Danach wird der Sohn vom Vater immer mehr in ihren religiösen Pflichten unterwiesen.
Die Tochter erlernt die Glaubenspflichten von der Mutter. Schritt für Schritt werden die Kinder in
die Glaubenspflichten des Islam eingeführt, vor allem „Die fünf Säulen“: Das Bekenntnis zu Allah
als dem einzigen Gott, das fünfmal tägliche rituelle Gebet auf Arabisch in Richtung Mekka, das
Fasten, das Almosengeben und die Wallfahrt nach Mekka im Erwachsenenalter.
Praktizierte Religion
Zur Praxis der Religionsausübung gehört vor allem das fünfmal täglich gesprochene rituelle
Gebet mit seiner genau festgelegten Abfolge von Verbeugungen, Niederwerfungen und auf arabisch gesprochenen Koranversen und Gebetsteilen. Es geht dabei darum, das Gebet korrekt auf
Arabisch auszuführen, nicht darum, die Bedeutung der einzelnen Worte zu verstehen.
Dies ist bei der Mehrheit der Muslime ohnehin nicht der Fall, da nur eine Minderheit der etwa
1,3 Mrd. Muslime Arabisch als Muttersprache spricht und die absolute Mehrheit der Muslime
weltweit in Asien beheimatet ist.
Man geht davon aus, daß ein Kind etwa mit 7 Jahren mit dem rituellen Gebet beginnen sollte. Mit
10 Jahren sollte es das Gebet beherrschen und auch vollziehen - natürlich in Abhängigkeit davon,
wie streng die Familie selbst der Gebetspflicht nachkommt.
Die Befolgung der Fünf Säulen des Islam und insbesondere die Einhaltung der Gebete gilt für
Männer und Frauen als absolut verpflichtend. Das Gebet absichtlich zu versäumen, ist im Islam
eine der schwersten Sünden überhaupt. Und so verlangen manche muslimischen Theologen,
Kinder zur Not mit Schlägen zur Einhaltung der Gebetspflicht zu zwingen.
Ist das Gebet wie im christlichen Glauben nicht ein Vorrecht zum Gespräch mit dem himmlischen
Vater, für das es keinerlei formelle Vorschriften gibt, sondern in erster Linie eine Pflicht, von
deren Erfüllung auch die Beurteilung des einzelnen im Jüngsten Gericht abhängt, so entbehrt
im Islam eine Bestrafung desjenigen, der sich dem willentlich widersetzt, nicht einer gewissen
Logik.
Auch in das 30tägige Fasten im Monat Ramadan wird das Kind Schritt für Schritt eingeführt.
Beim ersten Mal fastet es vielleicht nur zwei bis drei Tage, beim nächsten Mal eine Woche.
Ungefähr mit der Pubertät sollte es die ganze Fastenzeit einhalten.
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Seite Besucht das Kind (frühestens ab etwa vier Jahren) die Koranschule, wird es dort vor allen Dingen
den Koran durch ständiges Wiederholen auf Arabisch auswendig lernen. Die Bedeutung der Verse
oder gar ihre Anwendung auf das tägliche Leben kommt dabei im allgemeinen kaum jemals zur
Sprache.
Die Aneignung des Korans gilt als Grundlage für alles spätere Lernen und aller Wissenschaften
und steht daher im Mittelpunkt. Es kommt vor, daß Kinder schon nach etwa zwei bis drei Jahren
Unterricht den gesamten Koran auswendig können, womit sie meist für ein theologisches Studium
als prädestiniert gelten. Sie erhalten dann den Ehrentitel „Hafiz“ (etwa: „Bewahrer“). Noch heute
ist dies die Voraussetzung zum Theologiestudium an der berühmtesten islamischen Universität,
der al-Azhar in Kairo.
In der westlichen Welt nehmen manche Muslime aus Furcht vor einem als negativ empfundenen
westlich-freiheitlichen oder auch christlichen Einfluß die religiöse Erziehung ihrer Kinder recht
ernst und schicken sie ebenfalls zur Koranschule.
„Säkulare“ Schulbildung
In der Koranschule, aber auch in der ‚säkularen‘ Schule lernen Kinder in weiten Teilen der islamischen Welt vor allem durch Auswendiglernen und Wiederholen. Eigene Gedanken, Diskutieren,
Hinterfragen oder sogar das Ablehnen des Lernstoffs sind in aller Regel nicht gefragt.
Diese Lernmethode hat m.E. ihre letzte Ursache im Gottes- und Menschenbild des Islam: Gott
muß nach islamischer Auffassung nicht verstanden, sondern vor allem angebetet werden. Es geht
nicht darum, seinen Willen, sein Handeln zu hinterfragen, eigenständig zu beurteilen oder zu diskutieren, sondern sich ihm und seinem Willen zu unterwerfen, die von Gott geforderten Pflichten
einzuhalten und ihm Dank zu sagen für seine Wohltaten. Dem Menschen kommt es nicht zu,
Gott und sein Wort, den Koran, in Frage zu stellen, kritische Gedanken dazu zu äußern oder zu
überlegen, welche Anweisungen des Korans für heute in welcher Form gültig sein könnten und
- noch abwegiger - welche nicht.
Darin liegt wohl auch ein Grund dafür, warum arabische Korankommentare in aller Regel sehr
vorsichtig damit sind, eigenständige Beurteilungen von Koranversen vorzunehmen. Insbesondere
in den klassischen Kommentaren werden meist einige altbekannte Meinungen nebeneinandergestellt, die den Text vorsichtig zu deuten versuchen, aber der Autor wird nur selten ein eigenständiges Urteil fällen oder abschließend eine der Auslegungsmöglichkeiten klar favorisieren und
andere verwerfen.
Vorbereitung auf das Leben als Mann oder Frau
Auch die Vorbereitung auf das Leben als Mann oder Frau ist Teil der Religion. Die
Aufgabenzuteilung und die Geschlechtertrennung sind in der Religion, ja bereits im Koran verankert.
Mädchen werden in der islamischen Welt daher früh auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und
Mutter hin erzogen. Sie übernehmen in aller Regel schon in jungen Jahren Haushaltspflichten
und sind meist bereits vor der Pubertät in der Lage, die Mutter in den Aufgaben des Haushaltes
zu vertreten. Dies hängt auch damit zusammen, daß Mädchen mit Eintritt der Pubertät zumindest
im ländlichen Bereich prinzipiell als heiratsfähig gelten. Ab diesem Zeitpunkt stehen sie unter
strikter Kontrolle der männlichen Familienmitglieder, da vom Verhalten der Frauen die Ehre der
ganzen Familie abhängt. Die Bewahrung der Keuschheit bis zur Ehe ist absolut oberstes Gebot.
Auch die Fürsorge für jüngere Geschwister als Vorbereitung auf die spätere Mutterrolle ist für
Mädchen wichtiges Aufgabenfeld, das meist als selbstverständlicher betrachtet wird als der
höhere Schulbesuch.
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Seite Jungen dagegen werden früh auf eine Identifizierung mit der Welt des Vaters in der Moschee,
der Öffentlichkeit und seinem Beruf hin geprägt. Im Schulbesuch, der Bewegungs- und
Entscheidungsfreiheit, der Eigenverantwortlichkeit, sowie oft selbst in der medizinischen
Versorgung genießen sie deutliche Privilegien vor ihren Schwestern, und zwar auch dann, wenn
diese älter sind. Zwar gilt eine Frau prinzipiell vor Gott als gleichwertig, jedoch hat sie im Eheund Erbrecht, in Entscheidungsbefugnissen, in der Religionsausübung (durch rituelle Unreinheit
und eingeschränkte Handlungsfähigkeit) und durch die streng-moralische Beurteilung ihres
Lebenswandels durch ihre Umwelt erhebliche Einschränkungen hinzunehmen.
Eine Ehefrau ist ihrem Ehemann grundsätzlich zum Gehorsam verpflichtet, eine Tochter ihrem
Vater, ja, auch ihrem Bruder, und diese Demutshaltung und Gehorsamspflicht gegenüber dem
männlichen Geschlecht wird Mädchen früh vermittelt.
Auch diese Vorbereitung auf das Leben als Mann oder Frau gehört zur religiösen Erziehung im
Islam, denn die Aufgabenteilung und Geschlechtertrennung ist in der Religion verankert.
Nach ‚klassischem‘ Verständnis verpflichtet der islamische Ehevertrag den Ehemann dazu, alleine
für den Unterhalt seiner Familie aufzukommen. Er vertritt die Familie nach außen, trifft aber auch
die anstehenden Entscheidungen zu Wohnort, Schulbesuch oder Berufsausbildung, während der
Ehefrau die Fürsorge für die Kinder und die Führung des Haushaltes zufallen. Da die nahöstliche
Gesellschaft viel stärker von Gemeinschafts- und Gesellschaftsdenken als von Individualismus
geprägt ist, wird entsprechend erwartet, daß der einzelne den ihm in der Gesellschaft durch seine
Geburt, seine Stellung und sein Geschlecht zugewiesenen Platz ausfüllt und die damit verbundenen Verhaltensweisen übernimmt.
Nicht Individualismus, Auflehnung und Definition des eigenen Willens sind gefragt, sondern das
sich Einfügen in die bestehende Hierarchie und die Übernahme der gesellschaftlich vorgesehenen
Rolle.
Angemessenes, respektvolles Verhalten gegenüber Eltern, Älteren im allgemeinen, von Frauen
gegenüber Männern, Zurückhaltung im Umgang mit dem anderen Geschlecht und die Wahrung
eines untadeligen Rufes für Mädchen und Frauen gehören ebenfalls zu den grundlegenden
Erziehungsidealen im Islam.
Sterben die muslimischen Eltern eines Kindes und ist z. B. der nächste Verwandte der Eltern
Christ geworden, wird die Verwandtschaft darauf bestehen, daß das Kind bei einem entfernteren
Verwandten, auf jeden Fall aber in einer muslimischen Familie aufwächst.
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