Medizinische Universität Graz Michalic Rene Matrikel Nummer: 0612435 Gewaltfördernde und gewaltreduzierende Faktoren in Altenpflegeeinrichtungen Bachelorarbeit Unter der Betreuung von Mag.phil.Dr.rer.soc.oec. Müller Bernadette Im Rahmen der LV Sozialwissenschaftliches Arbeiten Sommersemester 2011 Ehrenwörtliche Erklärung: Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe. Graz, 29.08. 2011 Michalic Rene 2 Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeine Einleitung............................................................................................................4 2 Einführung..............................................................................................................................6 3 Definitionen............................................................................................................................7 3.1 Stationäre Altenpflege – eine Totale Institution?............................................................7 3.2 Alter.................................................................................................................................7 3.3 Das Altersbild unserer Gesellschaft.................................................................................8 3.4 Gewalt?............................................................................................................................9 3.5 Wie entsteht Gewalt?.....................................................................................................10 3.6 Aggression?....................................................................................................................10 3.7 Wie entsteht Aggression?...............................................................................................11 3.8 Gegenüberstellung von Gewalt und Aggression............................................................11 4 Ansätze zur Erklärung von Gewalt – Aggressionstheorien..................................................12 4.1 Triebtheorie....................................................................................................................12 4.2 Frustrations-Aggressions-Theorie..................................................................................12 4.3 Lerntheoretischer Ansatz...............................................................................................13 5 Formen der Gewalt an alten Menschen.................................................................................14 5.1 Strukturelle Gewalt........................................................................................................14 5.2 Personale Gewalt............................................................................................................15 5.3 Kulturelle Gewalt...........................................................................................................15 5.4 Vernachlässigung...........................................................................................................16 5.5 Misshandlung.................................................................................................................17 5.5.1 Wo beginnt Misshandlung?.....................................................................................17 6 Exkurs: Der Skandal von Lainz............................................................................................18 7 Ursachen von Gewalt in Altenpflegeeinrichtungen..............................................................19 7.1 Frustrationen innerhalb der pflegerischen Beziehung...................................................19 7.1.1 Frustration der Mitarbeiter durch die Heimbewohner...........................................19 7.1.2 Frustration der Heimbewohner durch die Mitarbeiter............................................20 7.2 Frustrationen außerhalb der pflegerischen Beziehung...................................................21 7.2.1 Frustration der Pflegebedürftigen aus anderen Beziehungen.................................21 7.3 Allmacht der Institution.................................................................................................23 7.4 Personalschlüssel und Dienstpläne................................................................................24 8 Auswirkungen von Frustrationen und Gewalt......................................................................25 3 8.1 Entstehung von Hilflosigkeit ........................................................................................25 8.2 Hilflosigkeit bei den Pflegebedürftigen.........................................................................26 8.3 Hilflosigkeit der Pflegenden und Leitenden.................................................................28 9 Mögliche Zeugen..................................................................................................................29 9.1 Mitpatienten/Mitbewohnern...........................................................................................30 9.2 Angehörige.....................................................................................................................30 9.3 Mitarbeiter......................................................................................................................31 9.4 Heimärzte.......................................................................................................................31 9.5 Behörden und Träger.....................................................................................................31 10 Möglichkeiten der Gewaltprävention..................................................................................32 10.1 Rahmenbedingungen verändern...................................................................................32 10.2 Wissen ist Macht..........................................................................................................33 10.3 Pflege der Pflegenden..................................................................................................33 10.4 Kommunikation und Interaktion..................................................................................34 10.5 Erweiterung des Handlungsspielraumes der Pflegenden.............................................34 10.6 Erweiterung des Handlungsspielraumes der Pflegebedürftigen..................................35 11 Zusammenfassende Darstellung – Gewalt in Altenpflegeeinrichtungen............................36 4 1 Einleitung: Gewalt in Altenpflegeeinrichtungen Mit dem Thema Aggressionen und Gewalt war wohl jeder schon im Alltag mehrmals konfrontiert. In den verschiedensten Lebensbereichen können aggressive oder gewalttätige Handlungen auftreten. Die psychischen und physischen Schäden bei den Opfern können beträchtlich und langfristig sein. Speziell im Gesundheitswesen gewinnt die Thematik immer mehr an Bedeutung und wird in der Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen. Mein persönliches Interesse an dieser Thematik entstand durch Ereignisse welche ich im Rahmen meiner Tätigkeiten im Gesundheitswesen, als Diplomierter Krankenpfleger erlebt habe. Da Gewalt im Gesundheitswesen ein sehr breites und großes Feld darstellt, habe ich mich in dieser Arbeit auf den Bereich der Gewalt und Aggression in Altenpflegeeinrichtungen, beschränkt. Die Forschungsfrage welche ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit zu oben angeführter Thematik beantworten will, lautet wie folgt: Welche Faktoren fördern Gewalt und Aggression und welche Maßnahmen bzw. Faktoren können Gewalt und Aggression in Altenpflegeeinrichtungen reduzieren? Gewalt ist ein allgegenwärtiges gefährdendes Problem für die Gesundheit. „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ So steht es schon im Alten Testament geschrieben. Warum Menschen Gewalt anwenden oder nicht, lässt sich schwer monokausal erklären, denn gewalttätige Handlungen beruhen auf der Wechselwirkung von sozialen, biologischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren. So ist Gewalt also ein äußerst komplexes Phänomen in der Gesellschaft und entbehrt einer exakten wissenschaftlichen Definition. „Gewalt lässt sich in unterschiedlichster Weise definieren, es kommt immer darauf an, wer den Begriff definiert und für welchen Zweck dies geschieht.“ (WHO 2002, S. 14) Beim Thema Gewalt denkt jeder zunächst einmal an Kriminalität, Körperverletzung oder gar Totschlag. Die Medien berichten täglich darüber. In den eigenen vier Wänden, in der Schule, am Arbeitsplatz, wie auch in verschiedensten weiteren Institutionen – Gewalt geschieht überall. Die vorliegende Arbeit dreht sich um einen weiteren möglichen Schauplatz gewalttätiger Handlungen. Jener wird als solches von vielen Menschen nicht wahrgenommen. 5 Sei es weil sie sich meist nicht in einer so konkreten Lage befinden oder weil sie aus Erschrecken, wie auch aus Scham die Augen davor verschließen. Die Rede ist von Gewalt in Altenpflegeeinrichtungen. Fakt ist, dass Misshandlungen an alten Menschen sowohl im privaten als auch im professionellen Bereich vorkommen. Oft handelt es sich dabei nicht um eine absichtlich herbeigeführte Handlung, sondern ist vielmehr Resultat längerfristiger Missstände. In Haushalten sind Angehörige mit der Pflege oft überfordert und werden zudem mit ihren Problemen von der Umgebung allein gelassen. Auch in Pflegeheimen sind solche Probleme keine Seltenheit. Vielfach steht das dortige Personal unter Zeitdruck, ist überlastet oder für diverse Aufgabenbereiche nicht richtig oder zu wenig ausgebildet (Przyklenk 1996, S. 11f). Die Begriffe Gewalt und Aggression in Altenpflegeeinrichtungen sind ein sehr komplexes Thema und werden in ihrer Bedeutung oft nicht klar voneinander abgegrenzt. Für die Allgemeinheit scheinen sie Hand in Hand zu gehen. Um Missverständnisse diesbezüglich zu vermeiden, werden vorerst die grundlegenden Begriffe anhand verschiedener Fachliteraturen definiert: 2 Begriffserklärung 2.1 Stationäre Altenpflege – eine Totale Institution? Dieser Begriff wurde vom amerikanischen Soziologen Goffman geprägt, und ist gekennzeichnet von Trennungen und Beschränkungen sämtlicher Aktivitäten des täglichen Lebens. Diese Aktivitäten sind strukturiert, hierarchischen gegliedert und werden von „Funktionären“ aufgestellt. Somit lässt sich das Konzept der totalen Institution auch auf die Altenpflege anwenden. Durch die vom Pflegeheim festgelegten Tagesstrukturen (z. B. Essenszeiten, Besuchszeiten), bleibt dem Bewohner wenig oder keine Zeit sich selbst zu organisieren. Dies kann bedeuten, dass nicht ausreichend Alternativen zur Verfügung stehen, dass der Aufenthalt in einem Altenpflegeheim mit Autonomieverlust und Verletzung der Würde einhergehen kann (Förster 2008, S. 20f) 6 2.2 Alter Der Begriff „alt“ ist im Wortschatz unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken und wird für die Beschreibung und Bewertung von Situationen, Gegenständen und Menschen verwendet. Das Wort kann negativ und auch positiv verstanden werden. Zum Beispiel ist die Bezeichnung „senil“ heutzutage eher negativ behaftet, während der Begriff „Hochbetagter“ von den älteren Menschen unserer Gesellschaft als positiv ausgelegt wird. Der Ausdruck „alt“ hat eigentlich keine einheitliche Bedeutung, wie folgenden Aussagen als Beispiele belegen: „ Ich soll zum Seniorennachmittag des Caritas-Verbandes gehen? Dort wo die alten Leute sind. Nein danke. Vielleicht wenn ich selbst mal alt bin, aber das ist noch lange hin“, so eine 78 jährige Frau. „Um wirklich Ballerina zu werden, bist du zu alt. Da hättest du viel früher beginnen müssen“, so ein Ballettlehrer zu einer 12 Jährigen. Wie man anhand dieser Zitaten erkennen kann, ist die tatsächliche Bedeutung des Begriffs „alt“ von Situationen zu Situationen unterschiedlich. Er ist demnach nicht statisch zu verstehen, sondern unterliegt historischen sowie auch kulturellen Einflüssen (Meyer 1998, S. 24). 2.3 Altersbilder unserer Gesellschaft Das Rollenbild des alten Menschen wird meist negativ festgelegt, da Altern als Prozess des Verlustes sowie des Abbaus von Fähigkeiten und Fertigkeiten angesehen wird. Unsere moderne Gesellschaft ist stark leistungsorientiert. Im Mittelpunkt des Daseins stehen heute Fortschritt und Produktivität. „Alte“ haben in diesem Bild keinen Platz. Im Gegensatz dazu sind Schlagwörter der Medien für das Rollenbild alter Menschen Krankheit, Armut, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. Häufig in Relation mit Altenhilfe, Pflegefälle und Abgrenzung (Meyer, 1998, S. 25ff). 7 Zusammenfassend werden folgende Eigenschaften nach Schenda mit dem Alter in Zusammenhang gebracht: „mangelnde Beweglichkeit und Wendigkeit, Anfälligkeit für Krankheiten, Neigung zur Bequemlichkeit,mangelnde Umstellungsfähigkeit, Widerstand gegen neue Arbeitsmethoden, Widerstand gegen jüngeren Vorgesetzten, Verlangsamung des Verhaltens und leichte Ermüdbarkeit.“ (Schenda, 1972, S. 148) Ein weiteres Bild wäre der aktive Senior, der mit 70 noch vom Sprungbrett springt und keine Falten im Gesicht hat, wie es oft in Werbungen dargestellt wird. 2.4 Gewalt? Der Gewaltbegriff wurde vom norwegischen Soziologen Johann Galtung geprägt und liegt nach dessen Definition dann vor, wenn es sich um eine vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender Bedürfnisse handelt. Schon bei Androhung von Gewalt, liegt Gewalt im hohen Grade vor (Galtung 1993 zit. in: Schneider, 2005, S.19). Laut einer anderen Definition von Ruthemann wird dann von Gewalt gesprochen, wenn es „Opfer“ gibt, und eine dauerhafte „Behinderung“ von Wünschen und Bedürfnissen vorliegt. Diese „Behinderung“ kann durch eine Person (personale Gewalt) oder durch Institutionen (strukturelle Gewalt) verursacht werden (Ruthemann 1993, S. 14). Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gewalt im Weltgesundheitsbericht (2002, S. 15) folgendermaßen: „Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt“. 2.5 Wie entsteht Gewalt? Gewalt wird vom lateinischen Begriff „valere“ abgeleitet und bedeutet „Verfügungsfähigkeit haben“. In Ausführungen, von Hirsch, gibt es zwei Bedeutungsstränge des Begriffes, 8 welcher im weiteren Sinne mit Herrschaft, Besitz und Macht verbunden wird, und im engeren Sinne mit körperlicher Kraft und Zwang in Verbindung steht (Schneider 2005, S. 19). Es gibt viele Ansätze und Theorien zur Klärung des Begriffs Gewalt, sowie auch Fakten die das Gewaltentstehen erläutern. So wird von Grond beschrieben, dass wir in einer von Gewalt bestimmten Gesellschaft leben, in der z. B. Gewaltfilme und Gewaltspiele die Wirkung dieser „Gewaltkultur“ verstärken. Die „allgegenwärtige Gewalt“ Abstumpfung der Menschen. Gewalt erscheint normal. in den Medien führt zu Intoleranz und fehlende soziale Bindung fördern bei Menschen Angst und Unsicherheit. Daraus resultierend entwickelt sich ein stärkeres Sicherheits- und Schutzbedürfnis, was wiederum höhere Bereitschaft zu gewalttätigem Verhalten fördert. Gronds weitere Ursachen für Entstehung von Gewalt sind u.a. fehlerhafte Erziehung, Probleme oder Ärger im Alltag, ungünstige Lebensbedingungen, schlechte Veranlagung usw. (Grond 1997, S. 7). 2.6 Aggression? „Adgredi“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet, „auf jemanden zugehen“, „sich in friedlicher Absicht jemandem nähern“. Somit ist dieser Begriff, welcher mit Gewalt in einem direkten Zusammenhang steht, wertneutral und schwer einzugrenzen. In der Psychologie jedoch wird der Begriff ausschließlich negativ gebraucht und steht für die Beeinträchtigung eines Individuums oder eines Gegenstandes (Grond 1997, S. 8). Aggressionen, so in Meyer (1998, S.43) äußern sich in vielfältiger bzw. dichotomer Weise, wie beispielsweise verbal oder körperlich, instrumentell oder feindselig, direkt oder indirekt, aktiv oder passiv. Der Begriff steht auch für ein zielgerichtetes Verhalten mit einer absichtlichen Handlung jemanden zu verletzen, beschädigen oder vernichten (Förster 2008, S. 9). „Aggressives Verhalten liegt nur dann vor, wenn die Absicht der Schädigung bei einem Täter vorhanden ist. Wenn also eine Person absichtlich etwas macht oder unterlässt, um eine psychische oder physische Beeinträchtigung einer anderen Person herbeizuführen, verhält sie sich aggressiv. Aggression wird aufgrund der Intention eines Täters definiert.“ (Ruthemann, 1993 S. 15) 9 2.7 Wie entsteht Aggression? Durch das Aufstauen zu vieler negativer Gefühle und aufgrund Unwissenheit, kann es zu aggressivem Verhalten kommen, und dies wiederum kann gewalttätige Handlungen fördern. Aggressionen und Gewalt liegen sehr eng beieinander. Gewalterklärungsansätze werden aus der Forschung mit oder über Aggressionen entnommen, da Aggressionen als wesentliche Ursache für Gewalt angesehen werden. Ein Beispiel für eine solche Aggressionstheorie ist, dass erlernte Erfahrungen ein wichtiger Faktor für die Entstehung von aggressivem Verhalten sind. Je häufiger dieses Verhalten erfolgreich angewandt und anerkannt wurde, desto häufiger wird diese auf ähnliche Situationen übertragen (Meyer 1998, S. 45 u. S. 48). 2.8 Gegenüberstellung von Gewalt und Aggression Nach Ruthemann (1993, S. 17) geht „Gewalt nur dann auf Aggression zurück, wenn ein/e Täter/in einen Wunsch oder ein Bedürfnis seines Opfers zwar kennt, aber dennoch absichtlich missachtet.“ Beispiele nicht von Aggression geleiteter Gewalt sind Fälle, in denen Heimbewohner unwissentlich vernachlässigt werden. Besonders bei physischer und psychischer Vernachlässigung wird der Unterschied zwischen den beiden Begriffen wesentlich sichtbar. „Gewalt“ wird meist aus der Sichtweise des Opfers beschrieben wie z. B. Einschränkungen der Entfaltungsmöglichkeiten. Im Gegensatz dazu ist „Aggression“ aufgrund von Handlungen des Täters gekennzeichnet wie beispielsweise die absichtliche Schädigung eines Opfers (Ruthemann, 1993, S.17). 3 Ansätze zur Erklärung von Gewalt – Aggressionstheorien Explizite Gewaltansätze sind in der Literatur schwierig zu finden. Gegenwärtige Gewalterklärungsansätze werden meist aus der Aggressionsforschung entnommen, da Aggression als Ursache für gewalttätiges Handeln angesehen wird. Es lassen sich folgende Theorien von Aggression unterscheiden: 10 3.1 Triebtheorie Bei den Triebtheorien lassen sich die Psychoanalytischen ausgehend von Freud und die Ethnologischen ausgehend von Lorenz unterscheiden. Laut Freud sind Aggressionen ein Ausdruck des Todestriebes, welcher nach Selbstzerstörung des Individuums strebt. Diese Aggressionen, welcher jeder Mensch besitzt, haben eine lebenserhaltende Funktion, da der Todestrieb in Gestalt von Aggression gegen andere nach außen umgelenkt wird, so Freud. Kann man diese nicht kontinuierlich auf sozial akzeptierte Weise abgeben, so wird diese in Form von Energie gesammelt, bis sie sich in Form von Aggression entlädt. Weitere Möglichkeiten einer Ableitung dieser Energie können durch Weinen, Worte symbolische Mittel oder direkte Handlungen verarbeitet werden. Aufgrund von Verhaltensbeobachtungen (Konrad Lorenz) von Tieren wurde angenommen, dass ein angeborener Aggressionstrieb bzw. -instinkt beim Menschen zur Arterhaltung eine wichtige Rolle spielt, um seinen Lebensraum und seine Nachkommen zu verteidigen und seine soziale Rangordnung zu verteidigen (Meyer 1998, S. 45f). 3.2 Frustrations-Aggressions-Theorie In dieser Theorie wird die Aggression als ein erworbener Trieb begriffen, welche als eine Reaktion auf Frustration entsteht. Sie wurde von einer Gruppe von Psychologen aus Yale beschrieben und stellt somit eine weitere Alternative zu einer anderen Betrachtungsweise von Aggression dar (Meyer 1998, S. 46). Laut Zimbardo, tritt Frustration auf, wenn „die Ausführung einer Zielreaktion unterbrochen oder blockiert wird. Je größer die gegenwärtige und angesammelte Frustration, umso stärker die daraus resultierende aggressive Reaktion.“ (Zimbardo 1992 zit. in Meyer 1998, S. 46) 3.3 Lerntheoretischer Ansatz Diese Auffassung ist im Vergleich zu den anderen Theorien noch relativ jung. Der lerntheoretische Ansatz geht davon aus, dass aggressives Verhalten überwiegend durch Lernen erworben wird. Die Lerntheorie beschäftigt sich mit der Frage, was Menschen dazu bewegt sich aggressiv zu verhalten, und was dieses Verhalten aufrechterhält. Aggression bezeichnet eine Verhaltensweise, die zu einer Schädigung und Zerstörung von Eigentum 11 führt, sowohl psychisch als auch physisch. Aggressives Verhalten erfordert komplexe Fertigkeiten und somit auch die damit verbundenen soziale Lernprozesse. Lernen bedeutet Veränderung und Erleben aufgrund von Erfahrungen (Meyer 1998, S. 48). Diese Erfahrungen können durch verschiedenste Konzepte erlernt werden: Durch klassische Konditionierung (Signallernen) wird ein neutraler Reiz zum Auslöser von Aggressionen. Mimik, Sprache, Gestik oder sogar Kleidung können solch ein Verhalten beim Gegenüber auslösen. Folgende Möglichkeit stellt die operante Konditionierung dar. Diese wird definiert als, Lernen am persönlich erlebten Erfolg bzw. Misserfolg. Aggressives Verhalten wird erlernt und auf gleichartige Situationen übertragen, je häufiger sie erfolgreich war und anerkannt wurde. Ein weiteres Konzept ist das Lernen durch Beobachten bzw. Lernen am Modell. Wenn die Aggressionen des „Vorbildes“ moralisch gerechtfertigt belohnt oder gebilligt werden, kann aggressives Verhalten des Beobachters aktiviert werden (Meyer 1998, S. 48f). „Wird im Heim die Gewalt des Vorbildes belohnt, sozial anerkannt, moralisch gerechtfertigt oder als Mittel zum Durchsetzen von Anliegen erfolgreich eingesetzt, werden die Pflegenden diesen autoritären Führungsstil übernehmen, besonders, wenn sie selbst mit solchem Verhalten schon erfolgreich waren.“ (Grond 1991, S. 14) 4 Formen der Gewalt an alten Menschen Durch das Auseinandersetzen mit den verschiedenen Formen von Gewalt, kann man grundlegend zwischen struktureller (indirekter), personaler (direkter) , kultureller Gewalt und Vernachlässigung und Misshandlung differenzieren wie die folgend angeführte Abbildung veranschaulicht. 4.1 Strukturelle Gewalt Im Gegensatz zur personalen Gewalt handelt strukturelle Gewalt ohne Personen, welche einer anderen Person einen Schaden zufügen könnte. Die Gewalt ist vielmehr in Strukturen eingebaut – sie trifft die Person indirekt. Obwohl diese Gewalt nur indirekt zu spüren ist, kann 12 sie personale Gewalt an Intensität um einiges übertreffen. Gekennzeichnet wird diese Form von Gewalt meist durch Geräuschlosigkeit und Unsichtbarkeit – sie ist stillstehend, statisch und mit einer gewissen Stabilität (Meyer 1998, S. 55). Laut Dießenbacher (1993 S. 33) „sind Strukturen Dinge, die Gewaltbereitschaft begünstigen oder behindern können.“ Gesetzliche Rahmenbedingungen und Altenheimordnungen, die bei einem Aufenthalt in einem Alten oder Pflegeheim geregelt sind, können strukturelle Gewalt bzw. Macht bedingen. Grundbedürfnisse und sogar Grundrechte der Menschen könnten eingeschränkt werden, und die Bewohner müssten mit Disziplinarmaßnahmen rechnen (Meyer 1998, S. 56). 4.2 Personale Gewalt Dies ist die Gewalt, die von einem Akteur, also von einer Person ausgeht. Sie wird in der Regel von der betroffen Person wahrgenommen und trifft diese direkt und ohne Umwege. Personale Gewalt steht für Veränderung und Dynamik. Diese Gewaltform ist von Launen und Wünschen einzelner abhängig und zeigt weniger Stabilität als die strukturelle Gewalt – dadurch ist sie leichter festzustellen. Da personale Gewalt leichter ersichtlich ist im Gegensatz zur strukturellen Gewalt steht sie mehr im Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Sie äußert sich in den meisten Fällen in Vernachlässigung oder in Misshandlung (Meyer 1998, S. 57f). 4.3 Kulturelle Gewalt Unter kultureller Gewalt wird im Besonderen von verschiedenen Wertvorstellungen ausgegangen. Beispiele für solche Wertvorstellungen wären Religionen, Staatsideologien sowie auch Sprachen. Auch das negative Bild vom Alter und Altern in der Gesellschaft kann Gewalt verursachen und fördern (Förster 2008, S. 16). Diese Form von Gewalt tötet nicht oder schädigt Personen direkt, aber sie trägt zur ideologischen Rechtfertigung bei. Es verschafft dadurch ein Abbild ungleicher Lebenschancen sowie von ungleicher Machtverhältnisse in der Gesellschaft bei. 13 Abbildung 1: Triade der Gewalt gegen alten Menschen (Galtung 1993 in Hirsch 2001) 4.4 Vernachlässigung Vernachlässigung wird in der Literatur als Unterlassung bezeichnet. Dies kann bewusst oder unbewusst und aufgrund von unzureichender Einsicht bzw. Wissen erfolgen. Nach Diek, 1987, wird zwischen „aktiver“ und „passiver“ Vernachlässigung unterschieden. Von passiver Vernachlässigung spricht man bei einem Nichterkennen von Bedarfssituationen oder einem unzureichenden Hilfspotential. Durch folgende Beispiele sind laut Diek diese Art von Vernachlässigung gekennzeichnet: „Alleinlassen des Älteren über eine angemessene Zeit, Vergessen von notwendigen Hilfeleistungen, unzureichende Pflege mit dem Ergebnis von Mangelernährung, Dehydration, sich verschlechternde Decubiti. Bei der aktiven Vernachlässigung wird vom Helfenden bewusst eine Handlung verweigert (Diek 1987 zit. in Meyer 1998, S. 58). 4.5 Misshandlung Unter Misshandlung wird ein „aktives Tun, das den Adressanten dieser Handlung in seiner Befindlichkeit in spürbarer Weise negativ berührt bzw. seinem expliziten Wunsch deutlich widerspricht“ verstanden. Sie wird in folgende 4 Unterformen kategorisiert: körperliche 14 Misshandlung, psychische Misshandlung, finanzielle Misshandlung und Einschränkung des freien Willens (Meyer 1998, S. 58f). Eine der sichtbarsten und vordergründig spektakulärsten Formen von Misshandlung ist die der körperlichen Gewalt. Die tragische Spitze dieser Art von Gewalt haben wir in Österreich 1986 mit dem „Skandal in Lainz“ erlebt – siehe Exkurs. 4.5.1 Wo beginnt Misshandlung? Durch unflexible Arbeitszeiten sowie auch Personalmangel im Bereich der Altenpflege kommt es sehr oft vor, dass Bewohner meist schon sehr früh gewaschen und angezogen werden. Im Gegensatz zum Abend, wo sich das umgekehrte Bild bietet. Meist werden schon die ersten Bewohner nach dem Abendmahl „bettfertig“ gemacht, da die Tagschicht für das „Zubettbringen“ verantwortlich ist. Das bedeutet, der normale Lebensrhythmus wird oft nicht beachtet. Gründe für solch ein Verhalten liegen meist in der Organisation des Betriebes und der Überlastung des Personals. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ so das Gesetz. Doch scheint dieses für alte Menschen oft nicht mehr zu gelten. Egal ob körperliche bzw. seelische Gewalt gemeint ist, es wird immer als Macht des Stärkeren über einen Schwächeren definiert. Insofern ist jede Art von Gewalt eine Verletzung der Würde und zu hinterfragen und rechtlich zu diskutieren (Przyklenk 1996, S. 105f). 5 Exkurs: Der Skandal von Lainz „Die Verantwortlichen in der Altenhilfepolitik müssen endlich erkennen, in welchem Maß die anhaltende Überforderung der Pflegenden zu Feindseligkeit, Ungeduld und Aggression führen kann“, so Prof. Dr. Leopold Rosenmayr, Wiener Soziologe und Altenforscher. Fassungsloses Entsetzen machte sich im Frühjahr 1989 breit. Im Wiener Krankenhaus Lainz wurde eine große Anzahl alter Menschen durch ihre Pflegerinnen umgebracht – aus Mitleid? Nein, bei der Vernehmung stellte sich heraus, dass das Motiv der Pflegerinnen nicht das „Mitleid“ sondern das „Lästige“ war. Da dieser schreckliche Fall sich in den Köpfen unserer 15 Gesellschaft einbrannte, ist jede weitere negative Meldung über Pflegeeinrichtungen eine weitere Bestätigung für Gewalt, welche sich gegen alte Menschen richtet. Auch für das Pflegepersonal gestaltet sich das Arbeiten mit alten Menschen immer schwieriger und beinhaltet immer mehr Aufgaben. Finanzielle Mittel werden weniger, dem gegenüber steht, dass die Anforderungen für das Personal immer größer werden. Die Pflege an hilfsbedürftigen Menschen ist eine der schwierigsten Formen der Pflege und führt oft dazu, dass das Pflegepersonal körperlich und seelisch überlastet ist. „Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt gegen alte Menschen sind die furchtbarsten Äußerungen einer schlechten Organisation in Institutionen, einer ungenügenden Personalzuteilung, einer schlechten Qualifikation der Pflegenden, einem Fehlen einer der geriatrischen Medizin spezifischen Philosophie und Berufsethik“, so die Schweizer Gesellschaft für Gerontologie. Demnach sind Situationen dahingehend zu schaffen, wie man Gewalt in Form von Vernachlässigung und Misshandlung präventiv zuvorkommt, nicht die Frage, ob Gewalt überhaupt in solchen Einrichtungen existiert (Przyklenk 1996, S. 103f). Inzwischen gibt es schon von Fachleuten geführte Vorbeugungsprogramme, welche von der Regierung beauftragt sind. „Es ist nicht damit getan, den Schuldigen zu suchen und nach Bestrafung zu rufen. Statt Anklage sind entlastende Hilfe, Betreuung und Rat gefragt. Ziel der Seniorenpolitik ist es, angemessene Hilfe und Unterstützung bereitzustellen. Die Hilfsmöglichkeiten reichen von personellen Entlastungen über technische Hilfen bis hin zu Selbsthilfegruppen unter professioneller Leitung. Anzustreben ist ein engmaschiges Netz von ambulanten und teilstationären Angeboten wie Kurzzeitpflege, Tagespflege und Tageskliniken“, so die Parlamentarische Staatssekretärin Gertrud Dempwolf (Dempwolf 1992 zit. in Przyklenk 1996, S. 12). 6 Ursachen von Gewalt in Altenpflegeeinrichtungen Gewalt setzt voraus, dass es im Vorfeld bereits Ereignisse gab, die Frustrationen ausgelöst haben. Werden diese nicht gemindert oder gar beseitigt können sie ein aggressives bzw. gewalttätiges Verhalten auslösen. Im folgenden Kapitel wird versucht einen Einblick in die Komplexität der Zusammenhänge von Gewalt und deren Ursachen zu gewinnen. 16 6.1 Frustrationen innerhalb der pflegerischen Beziehung In diesem Abschnitt werden gewaltfördernde Faktoren betrachtet, welche sich in der pflegerischen Beziehung zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen abspielen. Pflege sollte eigentlich als abwechselndes Agieren und Reagieren betrachtet werden, doch durch ungünstige Verhaltensweisen beider bildet sich ein Teufelskreis. 6.1.1 Frustration der Mitarbeiter durch die Heimbewohner In der Literatur wird beschrieben, dass diese Frustration mit den Erwartungen der Mitarbeiter zusammenhängt. Die Langzeitpflege wird oft als „Endlospflege“ angesehen, welche selten oder nie mit einer Verbesserung des Zustandes einhergeht, sondern oft eine Geduldsprobe darstellt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich bei einer aktivierenden Pflege oft kleine Erfolge ergeben. Diese Erfolge bestärken oft Hoffnungen und Erwartungen der Mitarbeiter. Doch andererseits sind diese Erwartungen auch falsch, da meist mit einer unausweichlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gerechnet werden muss. Der Erfolg des Betreuens dieser Menschen liegt also in der Verlangsamung der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes (Ruhtemann 1993, S. 30). Die zusätzlichen physischen und psychischen Belastungen des Pflegepersonals können auf Dauer sehr frustrierend wirken. Die ständige Konfrontation mit dem Tod, verbunden mit Gefühlen von Hilflosigkeit, sowie in späterer Folge das Abschied nehmen stellt nicht selten eine hohe Herausforderung an die Belastbarkeit dar (Meyer 1998, S. 72f). Da trotz einer guten Betreuung oft keine Verbesserung des Gesundheitszustandes möglich ist, wünschen sich die Pflegenden doch ein dankendes Wort. Meist tritt das Gegenteil ein: Undankbarkeit und Kritik. Es kostet Kraft, ältere Menschen immer wieder neu zu motivieren und mit ihnen ihren Interessen nachzugehen. Zeigen sich die Pflegenden dann nicht kooperativ, werden sie oft als „schwierige“ Patienten eingestuft. Weiters werden auch depressive, frustrierte, enttäuschte, resignierte alte Menschen zu den so genannten „schwierigen“ Patienten gezählt, deren Verhaltensweisen auf Dauer Hilflosigkeit und Unsicherheit bei den Pflegenden auslöst, was wiederum zu Frustrationen führen kann (Meyer 1998, S. 73). 17 Ein weiterer belastender Faktor hinsichtlich Antipathien von Pflegenden gegenüber den Heimbewohnern ist die Übertragung von ähnlichen Charaktereigenschaften, aus dem früheren Leben des Heimbewohners. Ein Heimbewohner kann sich in irgendeiner Hinsicht an früher erlebte, problematische Autoritätspersonen erinnern. Diese Projektion von Gefühlen auf die Mitarbeiter können weitere Diskrepanzen bzw. Belastungen in der Pflegebeziehung hervorrufen (Ruthemann 1993, S.76). 6.1.2 Frustration der Heimbewohner durch die Mitarbeiter Durch einen Perspektivenwechsel kann man jedoch erkennen, dass auch die Mitarbeiter eine Quelle für Frustrationen sind. Die Diskrepanz zwischen körperlicher Nähe und der seelischen Distanz können die Heimbewohner negativ beeinflussen. Obwohl die Pflegepersonen den Heimbewohnern bei der pflegerischen Verrichtung oft sehr nah sind, finden diese oft keine Zeit für mitmenschliche Anteilnahme in Form von intensiven, persönlichen Gesprächen über Probleme oder Anliegen der Heimbewohner. In fast allen Alteninstitutionen gibt es den alltäglichen dominierenden Arbeitsablauf. Das bedeutet, dass meist keine Zeit für Spontanität bleibt, da die Pflege des alten Menschen meist rationell durchorganisiert ist. Das Leben wird kaum mehr selbst gestaltet, wie es früher üblich war, und somit wird das Problem des so genannten Funktionsverlustes immer mehr verschärft (Ruthemann 1993, S. 35 – 37). Aufgrund des Zeitmangels aber auch mangelndes Interesse des Personals für individuelle bzw. seelische Bedürfnisse, gibt es für viele Pflegebedürftige immer weitere frustrierende Ereignisse, da doch für die meisten Bewohner dieser Kontakt zum Pflegepersonal eine der wenigen Möglichkeiten ist einen kontinuierlichen sozialen Kontakt zu haben (Meyer 1998, S. 78). Umso weiter sich Arbeitsabläufe der Mitarbeiter und Bedürfnisse der Heimbewohner voneinander distanzieren, umso mehr werden Mitarbeiter Dankbarkeit vermissen und noch größer wird die Distanz dieser Beziehung. Der Teufelskreis dreht sich (Ruthemann 1993, S. 35 – 37). 18 6.2 Frustrationen außerhalb der pflegerischen Beziehung Neben den, wie im oberen Abschnitt erwähnten, interaktionellen Frustrationen, die sich aus der Pflegebeziehung ergeben, gibt es auch konflikthafte Beziehungen zwischen den Pflegebedürftigen, sowie auch von institutionellen Strukturen abhängige Faktoren, welche sich wiederum individuell auf Pflegepersonal sowie auch auf Pflegebedürftige auswirken. 6.2.1 Frustration der Pflegebedürftigen aus anderen Beziehungen Konflikte können sich, wie oben erwähnt, zwischen den Pflegebedürftigen ergeben. Meist sind die Kontakte der alten Menschen in Pflegeeinrichtungen nicht frei gewählt. In Pflegeheimen muss man sich oft ein Zimmer mit einem zunächst fremden Menschen teilen. Ob man will oder nicht. Struktureller Gewalt kombiniert mit einer konfliktreichen Beziehung mit dem Zimmerbewohner, kann meist zu einer Belastung werden und in späterer Folge wieder zu Frustration und Aggressionen führen. Es wird meist die These vertreten, dass durch Mehrbettzimmer die Kommunikation der Bewohner gesteigert wird. Doch gerontologische Untersuchungen ergaben, dass Bewohner von Einzelzimmer ein höheres Kontaktverhalten aufweisen, da ihnen immer die Möglichkeit des Zurückziehens ins eigene Zimmer offen steht. Eine weitere Belastung für viele alte Menschen ist die Beobachtung der psychischen und physischen Veränderung anderer Pflegebedürftiger in den pflegerischen Einrichtungen. Reaktionen reichen von Betroffenheit bis Unverständnis, wie das untenstehende Zitat verdeutlicht (Meyer 1998, S. 96f). „Hier gibt es einige, die schon richtig dumm geworden sind. Da kommt es vor, dass sie andere beschuldigen, gestohlen zu haben“ oder „Unter den Bewohnern, sind viele Verwirrte, manchmal richtig irre, da leide ich seelisch drunter, ich möchte so gern helfen, hab` immer gern geholfen – ist aber zwecklos“ so zwei Bewohnerinnen aus einer stationären Einrichtung. Meist ist ein Heimeintritt auch mit einem Konflikt zwischen pflegebedürftigen Eltern und ihren Kindern verbunden. Oft würden die Eltern gerne bei einem ihrer Kinder leben, aber auch wiederum nicht „zur Last fallen“ wollen. Die Kinder können jedoch ihre Eltern wegen verschiedensten Gründen (z.B. Wohnverhältnisse, Berufstätigkeit) nicht aufnehmen. 19 Trotzdem fühlen sich die Familienmitglieder durchaus verpflichtet, sich in irgendeiner Form um ihre Eltern kümmern zu müssen. Auf beiden Seiten, Eltern und Kindern, ist eine deutliche Ambivalenz gegeben und kann zu einem schlechten Gewissen beider Seiten führen. Das schlechte Gewissen und die damit verbundene Frustration entstehen meist auch dann, wenn beide Seiten sich Mühe geben, eine ideale Lösung zu finden (Ruthemann 1993, S. 46). 6.3 Allmacht der Institution Es gibt schon sehr gute Alten- und Altenpflegeheime, welche gegenüber neuen Konzepten aufgeschlossen sind. Ein Altenheim bzw. Pflegeheim muss nicht immer die schlechteste Alternative sein. Es gibt viele Situationen, die einen Umzug in Richtung Verbesserung der Lebensqualität begünstigen. Man sollte allerdings das Heim sorgfältig und gewissenhaft aussuchen, da allzu oft die große Enttäuschung nach einer gewissen Aufenthaltsdauer eintritt. Öffentliche Heime sowie auch private Heime haben einen institutionellen Charakter, und am Ende dieser Hierarchie stehen meistens die Bewohner selbst. Trotzdem sind die Bewohner diejenigen, die für ihren Aufenthalt bezahlen, müssen sie sich diversen Richtlinien und Gesetzen unterwerfen. Es sind nur wenige Menschen in Pflegeeinrichtungen in der Lage ihre Rechte wahrzunehmen. Über dem subjektiven Empfinden der Heimbewohner steht meist das Pflegepersonal. Sie bestimmen, wann aufgestanden, gegessen, gewindelt und dann zu Bett gegangen wird.Und wie die Hierarchie es so will, steht über dem Pflegepersonal die Heimleitung. Das Pflegepersonal hat in den meisten Häusern nur geringen Einfluss auf die Führung und die Organisation des Pflegealltags. Zu wenig Personal, mangelndes Hygienematerial oder zu wenig Zeit für Therapien. Beschwerden bleiben sehr oft unberücksichtigt. Sparen heißt die Devise. Über die Heimleitung steht bei größeren Heimen meist ein Träger. Dieser Träger ist verantwortlich für die Grundsätze nach denen das Heim geleitet und geführt wird. Nicht immer ist der Träger, der für die Heime zuständig ist, interessiert oder qualifiziert der tatsächlichen Aufgabe nachzukommen. Auch diverse Heimaufsichtsbehörden sind mit der Kontrolle von Pflegeheimen überfordert. Hauptsächlich interessieren sie sich für die hygienischen Verhältnisse und den Küchenbereich, die Sicherheit der Mitarbeiter und Bewohner. Bei so einem Kurzbesuch solcher Behörden, lassen sich Missstände zwischen Personal und Bewohner nur schwierig entdecken bzw. erfassen. Probleme werden erst dann wahrgenommen, wenn sich Angehörige oder Mitarbeiter an den Träger, an die Polizei oder an die Öffentlichkeit wenden (Przyklenk 1996, S. 107 –109). 20 6.4 Personalschlüssel und Dienstpläne „Zurecht wird über wenig Personal geklagt“, so Experten und Betroffene über das Thema Personalmangel im Pflegebereich. Träger von Heimen und Krankenhäusern argumentieren mit zu hohen Personalkosten als Grund für den Personalnotsand. Mit Sicherheit verursacht Pflege hohe Kosten, doch kann man mit Verbesserungen der jeweiligen Betreuungskonzepte dem nicht entgegenwirken? Ein Weg wäre die Favorisierung der ambulanten Pflege. Viele Heimbewohner wären eigentlich noch in der Lage sich selbst teilweise zu versorgen, sofern ihnen verschiedenste Möglichkeiten der ambulanten Pflege zur Verfügung stehen würden. Durch den Umzug in ein Altenheim werden alte Menschen plötzlich ihrer Selbstständigkeit beraubt. Sie müssen keinen Haushalt mehr führen, nicht mehr putzen und auch sonst keine Eigenständigkeit bewahren – alles wird ab sofort für sie erledigt. Ein Bewohner dem eigentlich überflüssige Pflegehandlungen aufgedrängt werden, wird mit Dauer dieser Handlungen immer unbeweglicher, unselbstständiger und abhängiger. Abhängigkeit und Fremdbestimmung fördern in der Regel die Unzufriedenheit der Bewohner. Die Gefahr ein Opfer von Aggression und Gewalt zu werden wird größer. Ein weiteres wichtiges Schlagwort ist der Personalschlüssel in Pflegeheimen. Laut der Verordnung für Heime vom 19. Juli 1993, § 5, Absatz 1, dürfen betreuende Tätigkeiten „nur durch Fachkräfte oder unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden. Hierbei muss mindestens einer, bei mehr als 20 nicht pflegebedürftigen Bewohnern oder mehr als vier pflegebedürftigen Bewohnern mindestens jeder zweite weitere Beschäftigte eine Fachkraft ist“. Diese Bestimmung kann aber unter bestimmten Bedingungen umgangen werden. Durch gewisse Übergangregelungen und Ausnahmen herrscht in vielen Heimen, besonders in Kleineren, ein Mangel an Fachpersonal. Es werden nicht mehr gleich viele Hilfskräfte wie früher eingestellt, da die Personalkosten durch das Mehr an Fachkräften meist höher ausfallen. Weiters machen Urlaube und Krankmeldungen des Dienstpersonals die vorgegebenen Dienstpläne zunichte und reduzieren das notwendige Mindestmaß an Personal (Przyklenk 1996, S. 109 – 112). 7 Auswirkungen von Frustrationen und Gewalt Frustration kann also als Risikofaktor für Gewalt und Aggressionen gelten. Aber führen solche Frustrationen automatisch und unvermeidlich zur Entstehung von Aggressionen und 21 Gewalt? Immer, mit Sicherheit nicht. Andauernde Frustration kann Kräfte verschleißen und ein Fass füllen, welches eines Tages zu überlaufen droht. Hilflosigkeit ist die Folge und kann auf Seiten der Pflegenden zu „burnout“, sowie bei den Bewohnern zu zusätzlicher Erkrankung und Verwirrung führen (Rutheman 1993, S. 71). Auch Oud ist der Ansicht, dass Opfer wie auch Pflegende nach aggressiv- gewalttätigen Konfrontationen, die gleichen Verhaltensmuster aufweisen. Zu diesen Mustern zählen: Furcht, Angst, Irritation, Depression, Schock, Ungläubigkeit, Apathie und Selbstbeschuldigung (Oud 1993 zit. in Meyer 1998, S. 107). 7.1 Entstehung von Hilflosigkeit Anhand Tierexperimente versuchte Seligman nachzuweisen, dass Angst und Depression auf das Gefühl der Hilflosigkeit folgen. Diese Versuche verdeutlichten, dass ein Tier, wenn es keine Beziehungen zwischen Reaktionen und den nachfolgenden Konsequenzen erkennen kann, Symptome von Hilflosigkeit zeigt. Bei Menschen, so Luka-Krausgriff (Luka Kausgriff 1994 zit. in Meyer 1998, S.107) die solchen Ereignissen ausgesetzt sind, und diese nicht kontrollieren können, treten „Veränderungen im motivationalen, kognitiven, emotionalen und den Selbstwert betreffenden Bereich ein, die mit der depressiven Symptomatik vergleichbar sind.“ Die Aufgabe von Furcht und Frustration, so Seligman weiter, besteht in der Anregung nach der Suche von Bewältigungsstrategien. Solange ein Mensch sich sicher sein kann, dass seine Situation nicht aussichtslos ist. Einmal von der Unkontrollierbarkeit der Situation überzeugt, schwindet die Furcht, da dies viel Energie kostet. Depressionen folgen (Seligman 1992 zit. in Meyer 1998, S. 107f). Aus einer anderen Definition von Rutheman, lässt sich „gelernte Hilflosigkeit“ folgendermaßen erklären: „ … dass Passivität, Depressivität, unangemessene Aggressivität usw. durch meist mehrere schwere Erfahrungen erworben wird. Gemeinsam ist den Erfahrungen, unangenehmen Situationen hilflos ausgeliefert zu sein, ein Schicksal nicht abwenden zu können, sich nicht erfolgreich wehren zu können. Wer sich vergeblich bemüht, nicht ausgeliefert zu sein, entwickelt das Syndrom der „gelernten Hilflosigkeit“ und setzt sich nicht mehr oder falsch - z.B. aggressiv – für seine Belange ein.“ (Rutheman 1993, S. 71) 22 7.2 Hilflosigkeit bei den Pflegebedürftigen Hilflosigkeit muss als negativer Veränderungsprozess verstanden werden und nicht nur als ein kurzfristiger Zustand. Das gilt für alle Menschen. Speziell für pflegebedürftige Menschen ist der allmähliche oder plötzliche Zustand des Funktionsverlusts wichtig, da mit dem Verlust an Rollen und Funktion das Training von Fähigkeiten verschwindet (Ruthemann 1993, S. 75). Auch nach Seligman werden die Bedürfnisse von Heimbewohnern über die eigene Kontrolle von wichtigen Lebensumständen in Institutionen viel zu wenig in den Augenschein genommen. Die Heimbewohner machen die Erfahrung, dass ihnen objektive Möglichkeiten genommen werden, welche sie außerhalb der Institutionen noch gehabt haben. In solchen Situationen bemerken die Bewohner, dass sie an einer Grenze eines Handlungsspielraumes angelangt sind, was bei ihnen wieder zu Frustrationen führen kann (Meyer 1998, S. 109). Ebenso verweist Seligman darauf, dass Verlust an Kontrolle auch im Krankenhaus möglich ist, und es sodann zu einer weiteren Schwächung bis hin zum Tod des Heimbewohners kommen kann (Meyer 1998, S. 110). Auf einen weiteren Aspekt als Folge an Hilflosigkeit weist das KDA hin, nämlich auf die Suchtgefahr im Alter. Suchtfördernd gelten jene Heime, in denen Betreuungs- bzw. Pflegekonzepte zu wenig forciert werden. Verabreichungen von Psychopharmaka können einen Ausdruck von Hilflosigkeit der Pflegenden vermitteln, da sie sich aufgrund des meist großen Zeitmangels nicht um den älteren Menschen kümmern können. Durch diesen erwähnten Zeitmangel bleibt der Kontakt meist nur auf die Pflegetätigkeiten begrenzt. Sich noch hilfloser zu stellen, bleibt oft die einzige Möglichkeit der Bewohner mehr Zuneigung zu bekommen – und somit geben sie den letzten Rest ihrer Selbstständigkeit auf (Meyer 1998, S.110f). 7.3 Hilflosigkeit der Pflegenden und Leitenden Bei den Pflegenden spielt neben der gelernten Hilflosigkeit auch die Enge bei den Handlungsspielräumen eine große Rolle. Folgende Handlungsspielräume sind für die Mitarbeiter von Bedeutung: Die Variationsbreite der Tätigkeit der Pflegepersonen (Tätigkeitsspielraum), die Möglichkeit, 23 Entscheidungen selbst zu treffen (Entscheidungsspielraum), sowie Möglichkeit, aus Eigeninitiative Einfluss zu nehmen (Kontrollspielraum) (Ruthemann 1993, S. 82). Wie schon oben beschrieben, befinden sich auch Leitende von Altenheimen in solchen Situationen eingeschränkter Entscheidungsfreiheit, weil sie in der Hierarchie in unterschiedliche Entscheidungsbefugnisse eingegliedert sind. Bei Mitarbeiter/innen in der Pflege äußert sich diese Entscheidungsbefugnis im Ausleben ihrer Tätigkeiten. Es gibt jedoch Fälle, in denen die Pflegeperson mehr entscheiden muss, als sie möchte. Hier spielen dann tatsächliche Überforderungen oder aber eine fortgeschrittene Entwicklung zur gelernten Hilflosigkeit eine große Rolle. Durch negative Erfahrungen und früheren Einschränkungen wurde das Zutrauen, selbst zu bestimmen und zu entscheiden auf ein Minimum reduziert. Alle diese Faktoren haben auch einen deutlichen Anteil daran, wie gefährdet Mitarbeiter/innen sind, an „burnout“ zu erkranken. Nicht selten sind Kündigungen die Folge, wobei durch diese Kündigungen meist ein Personalmangel entsteht und es für die übrigen Mitarbeiter noch schwieriger wird, auf die Personen in solchen Einrichtungen näher einzugehen (Ruthemann 1993, S. 82 –86). Der oben erwähnte Begriff „burnout“ ist ein Erschöpfungszustand, der besonders bei helfenden Berufen zum Tragen kommt, und ist inzwischen zu einem eigenen Forschungsgegenstand geworden (Petzold 1992, S. 269). In der Literatur wird der Begriff als ein Zustand körperlicher, geistiger und emotionaler Erschöpfung verstanden, welcher meist oft in eine Phase von Niedergeschlagenheit, Depersonalisation und emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter endet. Als emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter wird verstanden, dass der Kontakt mit anderen Menschen Gefühle von Überanstrengung und Überlastung hervorbringt. Und mit dem Begriff Depersonalisierung ist eine abgestumpfte und gefühllose Reaktion auf Menschen zu verstehen, die Fürsorge empfangen (Petzold 1990, S. 568). 8 Mögliche Zeugen Warum Personen in Pflegeeinrichtungen Gewalt an alten Menschen ausüben kann durch verschiedene Faktoren erklärt werden. Um es jedoch ausreichend erklären zu können, muss 24 auch die Mitwisserschaft bzw. Mitwissergleichgültigkeit gewisser Personen aufgedeckt und analysiert werden. 8.1 Mitpatienten/Mitbewohnern Bei vielen Mitpatienten/Mitbewohnern ist es oft so, dass sie, wenn sie Zeugen einer gewalttätigen Handlung an anderen pflegebedürftigen alten Menschen sind, zu eingeschüchtert sind um dies zu melden. Es fehlt der Mut einzugreifen, da die Angst besteht, dass es auch bei ihnen zu pflegerischen Sanktionen kommen könnte (Dießenbacher/Schüller 1993,S. 77). So wurden die pflegebedürftigen Personen sowie auch die Opfer selbst, durch den Einfluss der Täter, sogar zu Mittätern und somit auch zu Gewaltgehilfen gemacht. Weiters wird in der Literatur beschrieben, dass Versuche, sich heimlich Gehör bei Heimleitung, Behörden oder der Polizei zu verschaffen, fehlschlugen (Dießenbacher 1988, S. S. 62f). 8.2 Angehörige Manche Angehörige wissen von Misshandlungen, bringen jedoch nicht genug Mut auf um Anzeige zu erstatten und verleugnen dieses Wissen sogar nach außen hin. Angehörige haben häufig Schuldgefühle, da sie ihre Eltern bzw. Verwandten nicht selbst pflegen können. Sie sind dankbar, wenn eine Pflegeeinrichtung diese Aufgabe für sie übernimmt. Darum glauben sie meist den Aussagen und Darstellungen des Täters, über angebliche Unfälle oder einer plötzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Andererseits ist es schon vorgekommen, dass Angehörige sehr wohl die Anzeichen wahr nahmen bzw. ernst nahmen, jedoch von den jeweiligen zuständigen Behörden kein Gehör fanden (Meyer 1998, S. 102). 8.3 Mitarbeiter Das Verhalten der übrigen Mitarbeiter und der anderen Pflegepersonen ist oft sehr unterschiedlich. Diejenigen, die sich nicht zum Mittäter machen ließen, wurden zum Mitwisser („Bystander“), was diese Person gleichzeitig wieder zu einem Täter der anderen Art machte (Meyer 1998, S. 103). 25 Im Gegensatz zum „ungeschulten“ Personal weist das „qualifizierte“ Personal mehr Achtsamkeit und Widerstand auf. War das gewaltbereite Personal jedoch „stärker“, wird häufig die Arbeitsstelle gewechselt. Das „ungeschulte“ Personal jedoch sah weiter untätig, verängstigt und gehorsam zu (Dießenbacher 1988, S. 382). 8.4 Heimärzte Eine weitere wichtige Rolle ist den Ärzten zugeschrieben, welche es zur Aufgabe haben, regelmäßig ihre Patienten in Pflegeheimen zu besuchen. Ihnen sollte es auffallen, wenn „ihr“ Patient verändert wirkt oder untypische Verletzungen aufweist (Meyer 1998, S.103f). Doch viele von ihnen verhalten sich passiv, da ihre Konzentration meist nur der Erkrankung gilt. Aber dieses Verhalten macht sie unweigerlich zu einem Mittäter. In der Literatur werden Beispiele genannt, bei denen Ärzte Rezepte verschrieben, ohne eine genaue Verabreichung zu kontrollieren, ärztliche Aufgaben an das Pflegepersonal delegierten und sogar Totenscheine ausstellen, ohne einer genauen Leichenuntersuchung, nur um kein Aufsehen zu erregen und um einen Polizeieinsatz zu vermeiden (Meyer 1998, S. 104). 8.5 Behörden und Träger Wird eine gewalttätige Handlung von einem Beobachter, an einem Vorgesetzten, Träger oder an eine Behörde, gemeldet, so wird meist versucht, so einen Vorfall zu vertuschen. Da zu befürchten ist, dass es zu einem Skandal in der Öffentlichkeit kommen kann (Dießenbacher 1988, S. 383). Die Träger sind eher mehr bemüht einen guten Ruf auf den Zustand der baulichen Fassaden zu schaffen, als auf das Wohl der Bewohner. Obwohl diese verpflichtet sind bei Verdacht von Missbrauch ihre Einrichtungen zu überwachen und zu kontrollieren (Dießenbacher/Schüller 1993, S. 100). 26 9 Möglichkeiten der Gewaltprävention Um die vielfältigen Quellen der Gewalt, in pflegerischen Einrichtungen, vermindern zu können muss man versuchen die Ursachen und Zusammenhänge gleichzeitig zu berücksichtigen. Hierbei sind alle Instanzen, also Pflegekräfte, Leitungskräfte und Träger der Institutionen, gleichermaßen gefordert. Die folgenden Ansatzpunkte sollen die nötige Hilfestellung, bezüglich Gewaltverhinderung bzw. -verminderung, leisten. So vielfältig die Quellen der Gewalt und Aggression auch sein mögen, so viel vielfältig sind auch die Lösungswege. Das Mittel zur Lösung ist im Wesentlichen das Erkennen der Zusammenhänge. Die meisten Quellen sind oft schnell vermeidbar, wenn man sie durchschaut, dadurch fällt es auch leichter die Eskalation auszuschalten oder bzw. anzuhalten (Ruthemann 1993, S. 91f). 9.1 Rahmenbedingungen verändern Durch die Erhöhung des Personalstandes kann man nachweislich Aggressionen besser eindämmen. Des weiteren besteht die Möglichkeit, für die Mitarbeiter Seminare (Weiterbildungen, Supervisionen) anzubieten, Konfliktmöglichkeiten umzugehen und schaffen dadurch lernen diese besser mit somit eine vermehrt partnerschaftliche Beziehung zu den Heimbewohnern. Desto besser die oben genannte Personalsituation sowie der Austausch von Informationen untereinander ist, desto integrierter fühlen sich die Bewohner, was wiederum viele Vorteile für beide hervorbringen kann (Grond, 1997, S. 92). 9.2 Wissen ist Macht Das Verstehen der Zusammenhänge von Entstehungsprozessen und das Durchschauen von Situationen, welche Gewalt fördern bzw. auslösen, kann zur Reduzierung von gewalttätigen Handlungen sehr hilfreich sein. Es kann Pflegende befähigen Verhaltensänderungen und Situationen besser zu analysieren und dann präventiv entgegenzuwirken, um in den verschiedenen Gewaltsituationen noch bessere Ansatzpunkte bzw. Lösungswege zu erörtern, wie z. B. Entspannung des Klimas, konstruktive Konfliktgespräche, Reflexion des eigenen Verhaltens (Ruthemann 1993, S. 91). 27 Wichtig ist auch das Wahrnehmen der Zusammenhänge und Symptome des persönlichkeitsund gesundheitsschädigenden „burnouts“ bei anderen Kollegen, um rechtzeitig Schutz zu finden und sich gegebenenfalls wehren zu können. Fort- und Weiterbildung könnten Unsicherheiten und Konflikte vorbeugen, welche meist durch geringe pflegerische Kompetenzen und geringes Wissen entstehen (Petzold 1992, S. 116). 9.3 Pflege der Pflegenden In Pflegeeinrichtungen wird personale Gewalt meist von Pflegekräften ausgeübt, deshalb stellt dieser Ansatzpunkt einen hohen Stellenwert zur Gewaltverminderung dar. Man kann sagen, dass Pflegende, die in einer guten Verfassung sind und im inneren Einklang mit sich leben, genug Kraft aufbringen können, ihr Handeln zu reflektieren, um sich und andere, womöglich auch Strukturen, zu verändern. Pflegepersonen, die sich nicht ausreichend um ihr eigenes Wohlergehen kümmern, sind früher oder später nicht mehr in der Lage eine qualitativ hochwertige Pflege durchführen zu können und bringen den pflegebedürftigen Menschen mehr Schaden als Nutzen (Meyer 1998, S. 116). Jede Pflegeperson nimmt Belastungen unterschiedlich wahr. Mit zunehmender Belastung steigert sich das Aggressions- und Gewaltpotential. Daher gilt es für Pflegende zu lernen, wie sie Belastungen im Privatleben und bei der Arbeit abzubauen (Meyer 1998, S. 117). Grond, 1991, spricht von einer „ganzheitliche Pflege für Pflegende“. Einerseits ist es wichtig, sich körperlich zu entspannen, andererseits kann das innere Gleichgewicht nur dann hergestellt werden, wenn man auch seinen Geist pflegt. Belastungen, Sorgen sowie auch Ärger sollten nicht alleine gelöst werden, sondern man sollte diese z.B. mittels, SupervisionsGesprächsgruppen oder regelmäßige Teambesprechungen, lösen. 9.4 Kommunikation und Interaktion Besonders in der Gesundheits- und Krankenpflege ist Kommunikation eine wichtige Komponente und bildet die Basis der pflegerischen Interaktion. Durch diverse Störungen in der Kommunikation kann es häufig zu zwischenmenschlichen Konflikten kommen. Gerade für im Heim lebende Menschen stellt eine Pflegeperson häufig die einzige Verbindung zur 28 Außenwelt dar. Je nach Wahrnehmung und Interpretation können gesagte Sätze unterschiedlich von einer Pflegeperson aufgenommen und verstanden werden, was wiederum zu Konflikten und Missverständnissen führen kann. Doch Kommunikationsstörungen können nicht nur zwischen Pflegeperson und Pflegebedürftigen vorkommen, sondern auch zwischen Teammitgliedern sowie zwischen Mitarbeitern und Leitungskräften. Um solchen Diskrepanzen vorzubeugen ist es wichtig, wie schon im Kapitel „Wissen ist Macht“ besprochen, dass diverse Supervisions- und Selbsterfahrungsgruppen angeboten werden, um eine Verbesserung der Kommunikation gewährleisten zu können. Dadurch sind die einzelnen Pflegepersonen nicht mehr so stark belastet, und kann sich besser auf eine ganzheitliche Pflege konzentrieren (Meyer 1998, S. 124f). 9.5 Erweiterung des Handlungsspielraumes der Pflegenden Aus verschiedenen Gründen sind Pflegepersonen Grenzen gesetzt, die meist den Handlungsspielraum dieser einschränken. Woran liegt es Ideen in die Tat umzusetzen? Oft haben Mitarbeiter zahlreiche Ideen und Vorschläge zur Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner und der Arbeitssituation des Personals, dürfen diese jedoch wegen strukturellen Richtlinien und wegen mangelnder Unterstützung von Leitungskräften nicht umsetzen. Doch Handlungsspielräume sind ein wichtiges Detail einer Institution, das nicht übersehen werden darf, da diese Spielräume sich für das Wohlbefinden der Mitarbeiter und Leiter, sowie auch für die Ziele einer Institution einsetzt (Ruthemann 1993, S. 133f). In der Literatur von Schneider wird beschrieben dass es sich positiv auswirkt, gelegentlich einen systematischen Arbeitsplatzwechsel („job rotation“) durchzuführen. Damit nimmt das Ausmaß er Tätigkeit kontinuierlich zu und erweitert sich. Durch diese Erweiterung könnten sich Pflegende stärker mit ihrer Arbeit identifizieren, und dadurch ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem Berufstand entwickeln. Balluseck gibt als Beispiel für eine solche Möglichkeit an, „gleichzeitig eine pflegerische, wie auch eine verwaltende Tätigkeit durchzuführen“, dies halbtags und in der gleichen Institution. (Schneider 1992 zit. in Meyer 1998, S. 131) 29 9.6 Erweiterung des Handlungsspielraumes der Pflegebedürftigen Erweiterung im Zusammenhang mit einer Pflegeheimeinrichtung bedeutet in erster Linie, vorhandene Freiheiten nicht zu nehmen, genommen Freiheiten zurückzugeben und möglichst neue Freiräume zu schaffen. Maßnahmen welche einer Erweiterung dienen, wirken meist vorbeugend und heilend auf die Gesundheit der Heimbewohner. Folgende Handlungsspielräume lassen sich laut Ruthemann unterscheiden: Bewegungsfreiheit: Hat der Bewohner zu allen Räumen Zugang? Zu welchen Räumen hat der Bewohner keinen Zugang? Beziehungsspielraum: Mit welchem Mitbewohnern und Personal pflegt der Bewohner seinen Umgang? Welche Art (Oberflächliche Gespräche oder Gespräche mit Tiefgang) von Kommunikation wird geführt? Tätigkeitsspielraum: Bei welchen Handlungen ist der Bewohner eingeschränkt und in welchen nicht? Aktivitätsspielraum: Was kann ein Heimbewohner initiieren? Entscheidungsspielraum: Hat der Heimbewohner die Möglichkeit mit zu entscheiden? Worüber darf dieser entscheiden, und worüber nicht? Kontrollspielraum: Worauf hat eine Heimbewohner Einfluss? Bei welchen Tätigkeiten ist der Heimbewohner eingeschränkt? Bei diesen Aspekten der Handlungsspielräume ist es wichtig zu verstehen, dass diese nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Denn ein Heimbewohner der z.B. seine Bewegungsfreiheit verliert aufgrund seines Alters, verliert auch in allen anderen Handlungsspielräumen Teile seiner Autonomie (Ruthemann 1993, S.127f). 30 10 Zusammenfassende Darstellung – Gewalt in Altenpflegeeinrichtungen Anhand der vielfältigen Bilder die Gewalt in Altenpflegeheimen verdeutlichen, kann man erst sehen wie vielschichtig eine Gewaltsituation sein kann. Gewalthandlungen sind daher häufig das Ergebnis vieler verschiedener Einflussfaktoren wie z. B. soziale Isolation, Frustrationen verschiedener Natur, unzureichender Unterstützung sowie auch Stresssituationen. Dabei ist es nicht wichtig, das hauptsächlich nach dem Schuldigen gesucht wird, sondern wie man in eine solche Situation kommt, und wie man diese konstruktiv lösen kann um den Pflegealltag in den Heimen zu erleichtern und zu verbessern. Gewalt setzt also Ereignisse voraus, welche Frustrationen voraussetzen. Dabei werden nicht nur Frustrationen innerhalb der Pflegebeziehung verstanden, wie z.B. der ständigen Konfrontationen mit dem Tod, der unausweichlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes sowie Gefühle von Hilflosigkeit, sondern auch Frustration außerhalb der pflegerischen Beziehung. Diese sind meist gekennzeichnet von Hierarchien der Institutionen und deren Richtlinien und Vorgaben, auf welche Pflegepersonen sowie auch die zu Pflegenden keinen Einfluss haben. Personalschlüssel und Dienstpläne sind weitere Indizien dafür, das ein Personalmangel im Pflegebereich vorhanden ist. Mehr Personal verursacht hohe Kosten und dies ist wiederum nicht immer im Sinne des Trägers der Institution. Im Kapitel, Auswirkung von Frustration und Gewalt, wird näher auf den Begriff der Hilflosigkeit eingegangen. Da Bedürfnisse der Heimbewohner sehr oft nicht mit einbezogen werden, kann es zu solchen Veränderungsprozessen kommen welche Frustrationen und in späterer Folge Gewalt herbeiführen. Hilflosigkeit ist daher ein negativ zu sehender Begriff, welcher nicht nur kurzfristig verstanden werden darf, da dieser mit Verlust von Rollenverhalten und sozialen Fähigkeiten zu tun hat. Aber auch bei Pflegenden und Leitenden in Institutionen gibt es Situationen wo Hilflosigkeit auftreten kann. In diesen Fall sind Einschränkungen ihrer Tätigkeiten, Entscheidungen und der Kontrollspielraum die beschriebenen Faktoren. Diese Faktoren haben dann auch einen erheblichen Anteil daran, dass Mitarbeiter nicht selten an „burn out“ erkranken oder ihre Kündigung einreichen. Um Gewalt und Aggression zu verhindern bzw. zu vermindern gibt es mehrere Lösungswege. Wichtig ist hierbei das Erkennen der verschiedenen Faktoren, welche Gewalt auslösen. Hierbei sind Pflegekräfte, Leitungskräfte und Träger alle gleichermaßen gefordert. Die angeführten Möglichkeiten in diesem Kapitel sind Rahmenbedingungen zu verändern 31 (Erhöhung des Personalstandes), Wissen ist Macht (Überblicken der Entstehungsprozesse), Pflege der Pflegenden (Belastungen abbauen), die Kommunikation und Interaktion der verschiedenen Beteiligten und je nach Möglichkeit das Erweitern der Handlungsspielräume der Pflegenden und der zu betreuenden Menschen. 32 Literaturverzeichnis: Dießenbacher H. (1988) Gewalt gegen Alte. Über Vernachlässigung-, Misshandlung- und Tötungsrisiken in Einrichtungen der Altenpflege. In Göckenjahn G., Kondratowitz HJ Alter und Alltag. Suhrkamp, Frankfurt, S. 372 – 386. Dießenbacher H., Schüller K. (1993) Gewalt in Altenheimen. Eine Analyse von Gerichtsakten. Lambertus, Freiburg. Förster C. (2008) Gewalt in der institutionellen Altenpflege. Mabuse Verlag, Frankfurt. Grond E. (1997) Altenpflege ohne Gewalt. Vincentz, Hannover. Meyer M. (1998) Gewalt gegen alte Menschen in Pflegeeinrichtungen. Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle. Petzold H. (1992) Bedrohte Lebenswelten – Überforderung, Burnout und Gewalt in Heimen. Lebenswelten alter Menschen. Konzepte, Perspektiven, Praxisstrategien. Vincentz, Hannover. Petzold H. (1992) Die pathologischen Formen der Inhumanität. Belastung, Überforderung, Burnout, In Altenpflege. 15 Jg. 10/90, S. 566 – 571. Pryzklenk A., Wengert A. (1996) Alt. Einsam. Geschlagen? Gewalt – Vernachlässigung – Einsamkeit. Die Tragödie alter Menschen. Ein Ratgeber für Senioren, Angehörige und Pflegende. Vertragsgesellschaft Axel B. Trunkel GmbH, Stuttgart. Ruthemann U. (1993) Aggression und Gewalt im Altenheim. Verständnishilfen und Lösungswege für die Praxis. Recom Verlag, Basel. Schenda R. (1972) Das Elend der alten Leute. Patmos-Verlag, Düsseldorf. Schneider C. (2005) Gewalt in Pflegeeinrichtungen. Erfahrungen von Pflegenden. Schlütersche, Hannover. Weltgesundheitsorganisation (2002) Worldreport on violence and health. Kopenhagen. 33 Abbildungsverzeichnis: Abbildung 1: Triade der Gewalt gegen alten Menschen (Galtung 1993 in Hirsch 2001), S. 17. 34