Stellungnahmen zum Gutachten von Dr. Steffen Alisch

Werbung
FRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN IM BRANDENBURGER
LANDTAG, AM HAVELBLICK 8, 14473 POTSDAM
Enquete-Kommission 5/1
Susanne Melior MdL
Hegelallee 3
14467 Potsdam
FRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
IM BRANDENBURGER LANDTAG
Axel Vogel
Fraktionsvorsitzender
Am Havelblick 8
14473 Potsdam
0331 966 1707
[email protected]
6. Februar 2012
Stellungnahme zum Gutachten „Das DDR- Bild
der politischen Parteien und ausgewählter Verbände “ von Dr. Steffen Alisch
für die Enquete- Kommission 5/1 des Landtags Brandenburg
Sehr geehrte Frau Melior,
als Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ich kurz Stellung zur Darstellung
des „DDR-Bildes von Bündnis 90/Die Grünen“ im Gutachten von Dr. Steffen Alisch für die Enquetekommission 5/1 nehmen.
Dabei sei mir zunächst der Hinweis gestattet, dass eine Stellungnahme primär vor dem Hintergrund der aktuellen Legislaturperiode erfolgen muss. Bündnis 90/Die Grünen waren mehrere
Wahlperioden nicht im Brandenburger Landtag vertreten, die erste Legislaturperiode wiederum
war geprägt durch eine hohe Fluktuation und den Parteiwerdungsprozess von Bündnis 90 und
Grünen.
Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ist insofern nur sehr eingeschränkt als direkter
Nachfolger der früheren Bündnis 90- bzw. Bündnis-Fraktion zu sehen. Mehrere damalige Abgeordnete haben die Vereinigung von Bündnis 90 und Grünen nicht mitgetragen, was auch darin
Ausdruck findet, dass sich die Fraktion zum Ende der ersten Legislaturperiode bewusst umbenannt hat.
Unbeachtet dessen ist festzuhalten, dass die Darstellung des Gutachters eine gute Annäherung
an das Thema und einen ersten Überblick über die Positionierung von Bündnis 90/Die Grünen
zur Frage des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit ermöglicht. An mehreren Punkten sind jedoch Ergänzungen und Richtigstellungen unabdingbar.
1. Es ist vermutlich zutreffend, dass der durch den Gutachter zitierte Text von 1990 (Flyer
des ostdeutschen Wahlbündnisses „Die Grünen/Bündnis 90“) mit der darin formulierten
Aufgabe einer breiten politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung auch von Brandenburgs „Bürgerbewegten“ überwiegend geteilt wurde. Die Auseinandersetzung mit
www.gruene-fraktion.brandenburg.de
der SED-Diktatur, mit ihren Wurzeln und Mechanismen, gehörte für viele zum Grundkonsens ihres politischen Engagements, das für viele schon Jahre zuvor in der DDR-Opposition begonnen hatte. Falsch ist unterdessen die Feststellung des Gutachters, dass in
den Wahlprogrammen die DDR-Vergangenheit keine Rolle spielte. So wird im Wahlprogramm von Bündnis 90 zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990 das Thema wiederholt
explizit angesprochen, beispielsweise bei der Forderung nach der Sicherung der Stasi-Akten oder der Entlassung belasteter Lehrer.
2. Es ist richtig, dass die Diskussion über die Stasi-Kontakte des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe die Prioritätensetzung der Fraktion Bündnis 90 zunehmend
prägte und letztlich zum Bruch der Koalition führte. Gleiches gilt im übrigen auch für die
selbstkritische Auseinandersetzung mit Stasi-Belastungen in den eigenen Reihen. Die Ergebnisse der Bischofs-Kommission in der ersten Legislatur führten bei Bündnis 90 auch
aus dem eigenen Selbstverständnis heraus – und im Gegensatz zur Handhabung in anderen Fraktionen – zur Mandatsniederlegung. Die intensive und emotionale Diskussion
belastete die Fraktion sehr stark, beförderte aber zugleich die Selbstverständigung über
das Erbe der Bürgerbewegung. Dies hätte im vorliegenden Gutachten Erwähnung finden können.
3. In dem Gutachten wird den Aktivitäten von Bündnis 90/Die Grünen eine „gewisse 'Stasi-Lastigkeit'“ attestiert. Diese Sicht mag im Hinblick auf die bündnisgrüne Initiative zur
Abgeordnetenüberprüfung stichhaltig sein, überzeugt jedoch in der Gesamtsicht nicht.
Das belegt nicht nur der Themenfahrplan der einschlägigen und ebenfalls auf bündnisgrünen Vorschlag hin eingesetzten Enquetekommission, das belegen auch zahlreiche
Ausführungen zum Thema. Hier zeigt sich Stärke und Schwäche der gewählten hermeneutischen Herangehensweise. Der Fokus auf Diskussionsbeiträge von Landtagsabgeordneten erscheint als ein durchaus sinnvoller Weg; bei der Fülle des einschlägigen Materials ist jedoch eine vollständige Sichtung im Rahmen der gutachterlichen Tätigkeit für
die Enquete kaum möglich. Tatsache ist, dass Bündnis 90/Die Grünen jeder Form von
einseitiger oder gar verfälschender Vergangenheitsaufarbeitung eine klare Absage erteilen – und immer erteilt haben.
4. Völlig unnötig und sachlich abwegig ist die Spekulation des Autors, dass „möglicherweise“ „manches bündnisgrüne Parteimitglied manchmal etwas nostalgisch an die 'sozialen
Errungenschaften' der DDR“ zurückdenkt. Für eine solche These fehlt jede empirische
Unterfütterung. Im Gegenteil: die Ergebnisse der Forsa-Umfrage im Auftrag der Enquete-Kommission belegen, wie kritisch die DDR in ihrer täglichen Ausprägung im Umfeld
von Bündnis 90/Die Grünen bewertet wird.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Vogel
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, JÄGERSTR. 18, 14467 POTSDAM
Landesverband Brandenburg
Enquete-Kommission EK 5/1
Frau Susanne Melior
Hegelallee 3
Annalena Baerbock
Benjamin Raschke
Landesvorsitzende
14467 Potsdam
Jägerstr. 18
14467 Potsdam
Tel: 0331/9 79 31-0
Fax: 0331/9 79 31-19
[email protected]
www.gruene-brandenburg.de
Potsdam, 30. Januar 2012
Bündnisgrüne Stellungnahme zum Gutachten „Das DDR-Bild
der politischen Parteien und ausgewählter Verbände“ von Dr. Steffen Alisch
für die Enquete-Kommission 5/1 des Landtags Brandenburg
Sehr geehrte Frau Melior,
wir bedanken uns für die von Ihnen eingeräumte Gelegenheit zum oben genannten Gutachten
Stellung zu nehmen. Dies möchten wir hiermit gerne tun. Grundsätzlich teilen wir die Einschätzungen von Herrn Dr. Alisch in weiten Teilen und möchten diese nur in einigen Punkten ergänzen.
Das Thema Vergangenheitsaufarbeitung spielte für das Bündnis 90, aber auch für die Grünen,
später Bündnis 90/Die Grünen Brandenburg, immer eine herausgehobene Rolle. Dies begründet
sich schon allein dadurch, dass das Bündnis 90 ein Sammelbecken der DDR-Bürgerbewegung
war, sodass das Verhältnis zum untergegangenen Staat zwangsläufig immer präsent war. Viele
Mitglieder waren ja aus ihrer Opposition zum DDR-Machtapparat heraus politisiert worden.
Auch heute gibt es noch viele DDR-Oppositionelle und Bürgerbewegte in unseren Reihen.
Aufgrund der Bürgerbewegungsbiografien vieler Parteimitglieder und der Entstehungsgeschichte unserer Partei, bedarf es – anders als in anderen Parteien – bei uns Bündnisgrünen jedoch
nicht ständig einer Neu-Positionierung zum DDR-Bild. Daher halten wir die These von Herrn Dr.
Alisch, die geringe Anzahl von Parteibeschlüssen oder Aussagen in Wahlprogrammen zu diesem
Thema sei ein Zeichen für eine temporäre Zweitrangigkeit des Themas innerhalb der Partei, für
nicht zutreffend. Diese Einschätzung wird auch durch die Forsa-Umfrage zum DDR-Bild in der
Bevölkerung belegt: Für Anhänger von Bündnis 90/Die Grünen spielt die Diskussion über die
DDR-Vergangenheit eine deutlich wichtigere Rolle als für die Anhänger der anderen im Landtag
Bankverbindung: Berliner Volksbank, Kontonummer: 88 48 05 90 06, Bankleitzahl: 10 09 00 00
vertretenen Parteien (siehe dazu die überarbeitete Forsa-Umfrage „Das DDR-Bild der Bevölkerung des Landes Brandenburg“ vom November 2011, u.a. S. 74 f., 97 f.).
Die von Herrn Dr. Alisch bemängelte Materiallage gerade in den Anfangsjahren unserer Partei
liegt auch darin begründet, dass eine in dieser Zeit sehr mitgliederschwache Partei ohne parlamentarische Verankerung (und mit zermürbenden Erfahrungen des Personenwechsels infolge
der IM- und Stolpe-Debatten) vor allem damit befasst war, grundlegende Organisationsstrukturen überhaupt aufrecht zu erhalten. Gerade zu Beginn der 90er Jahre gab es eine extreme Vielfalt an neuen Themen und Fragestellungen, die politisch schnell entschieden werden mussten
und bei denen es keine einheitliche Positionierung gab. Schließlich ging es auch darum, sich als
neu gegründete Partei inhaltlich sowie organisatorisch für die politische Arbeit der kommenden
Jahre aufzustellen.
Bekanntermaßen waren Bündnis 90/Die Grünen in den darauf folgenden 15 Jahren nicht im
Landtag vertreten, wodurch sich aus unserer Sicht die relativ geringe Öffentlichkeitsarbeit von
Bündnis 90/Die Grünen (nicht nur) zu diesem Thema erklärt. Als außerparlamentarische Opposition ist die mediale Resonanz bekanntermaßen eine andere, als als parlamentarische Kraft,
sodass diesbezüglich vor allem unsere Bundestags- und Europaabgeordneten tätig waren.
Dass das Thema Vergangenheitsbewältigung dennoch immer eine herausgehobene Rolle für
Bündnis 90/Die Grünen spielte und spielt, belegen die mit dem Wiedereinzug in den Landtag
gestarteten zahlreichen parlamentarischen Initiativen unserer Landtagsfraktion, die wiederum
auf dem Parteitagsbeschluss „Resolution zum Umgang mit ehemaligen hauptamtlichen und
inoffiziellen Mitarbeitern des MfS im öffentlichen Dienst in Brandenburg nach 1990“ von Juni
2009 sowie unserem Landtagswahlprogramm fußen.
Zuletzt möchten wir anmerken, dass wir die These von Herrn Dr. Alisch, dass „möglicherweise
manches bündnisgrüne Parteimitglied manchmal etwas nostalgisch an die ‚sozialen Errungenschaften’ der DDR“ zurückdenke, an dieser Stelle für eine zusammenhangslose Spekulation
halten, die Herr Dr. Alisch nicht begründet und für die es aufgrund unserer Parteigeschichte
keinerlei Anhaltspunkte gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock
Benjamin Raschke
Herunterladen