Swiss Medical Forum 35/2015

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SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero
Swiss
Medical Forum
35 26. 8. 2015
769 D. Eberli, A. Mortezavi,
T. Sulser
Organerhaltende Therapie
des Prostatakarzinoms
773 C. Galland-Decker, G. Greub,
M. Monti
Immunsuppression und
persistierendes Fieber
777 S. Zechmann, L. Villiger,
E. Grüter, et al.
Paraneoplastisches CushingSyndrom
With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”
764 A. Pasch
Mikrohämaturie – Sinnvolles
Vorgehen im Alltag
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH www.medicalforum.ch
Organe officiel de la FMH pour la formation continue www.medicalforum.ch
Bollettino ufficiale per la formazione della FMH www.medicalforum.ch
INHALTSVERZEICHNIS
761
Redaktion
Beratende Redaktoren
Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska,
Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg;
Basel (Managing editor); Prof. Dr. David Conen, Basel;
Dr. Pierre Périat, Basel
Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern;
Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal; Prof. Dr. Antoine de Torrenté,
La Chaux­de­Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne;
Dr. Maria Monika Wertli, Bern
Advisory Board
Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich;
Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux­de­Fonds;
Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne;
Dr. Sven Streit, Bern; Dr. Ryan Tandjung, Zürich
Und anderswo …?
A. de Torrenté
763 Schlaganfallprävention: Folsäure?
Übersichtsartikel
A. Pasch
Mikrohämaturie – Sinnvolles Vorgehen im Alltag
764
Die Mikrohämaturie per se ist ein harmloses Phänomen. Sie ist aber ein Indikator
für eine möglicherweise relevante und schwerwiegende andere Erkrankung.
Artikelserie
D. Eberli, A. Mortezavi, T. Sulser
Organerhaltende Therapie des Prostatakarzinoms
769
Zur Behandlung des Prostatakarzinoms werden dringend neue, weniger invasive Therapie­
optionen gesucht. Die fokale Therapie der Prostata mittels HIFU ist eine der vielversprechendsten
neuen Strategien, die aktuell im Rahmen klinischer Studien evaluiert werden.
Was ist Ihre Diagnose?
C. Galland-Decker, G. Greub, M. Monti
773 Immunsuppression und persistierendes Fieber
Ein 68­jähriger Patient mit seit 23 Jahren bestehender Haarzellleukämie und einer Riesenzellarteriitis wird zur Abklärung
eines persistierenden Fiebers hospitalisiert.
INHALTSVERZEICHNIS
762
Fallberichte
S. Zechmann, L. Villiger, E. Grüter, A. Hoffmann, J. H. Beer, J. Contartese
Paraneoplastisches Cushing-Syndrom
777
Die notfallmässige Einweisung der 68­jährigen, schlanken Patientin erfolgte durch die Söhne,
die bei ihrer Mutter eine akut aufgetretene Wesensveränderung feststellten. Gewöhnlich
reinigte die Patientin jeden Samstag das Badezimmer. Auch an diesem Wochenende nahm sie
ihre Reinigungsarbeiten in Angriff. Plötzlich begann die Patientin unermüdlich, den Badezimmer­
boden zu schrubben, bis ihre Finger blutig waren.
A.-C. Jobin, L. Briner, J.-J. Brugger, M. Worreth
780 Diverticule de Meckel perforé par une arête de poisson
Patient de 58 ans, en bonne santé habituelle, sans antécédents de chirurgie abdominale, qui consulte aux urgences en raison
de douleurs crampiformes de l’hémi­abdomen inférieur depuis 2 jours, associées à un état fébrile. Il n’a pas de nausées ni
vomissements et son transit est sans particularités. Le patient mentionne l’ingestion de poisson il y a 3 jours.
Leserbriefe
F. Hässler
782 Drei Fragen
S. Ott, J. Leuppi
782 Replik
Extended abstracts from SMW
New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 782.
Impressum
Swiss Medical Forum –
Schweizerisches Medizin-Forum
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
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für Innere Medizin
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Marketing und Kommunikation,
Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41
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Redak tionsadresse: Ruth Schindler,
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ISSN: Printversion: 1424-3784 /
elektronische Ausgabe: 1424-4020
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ist eine Open-Access-Publikation
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UND ANDERSWO …?
763
Und anderswo …?
Antoine de Torrenté
Schlaganfallprävention: Folsäure?
Fragestellung
Schlaganfälle sind die zweithäufigste Todes­
ursache weltweit und die häufigste in China.
Die Primärprävention ist sehr wichtig, da es
sich bei 75% der Schlaganfälle um ein erstes
Ereignis handelt. Der Einfluss von Folsäure
(zusätzlich zur konventionellen Bluthoch­
druckbehandlung) ist umstritten. Einige Stu­
dien zeigen eine positive, andere keine Wir­
kung bezüglich der Schlaganfallprävention.
Vermutlich gibt es einen Schwelleneffekt bei
der Einnahme von ca. 0,8 g/Tag. Zudem ist der
Blutfolsäurespiegel auch vom Polymorphis­
mus der Methyltetrahydrofolat­Reduktase
abhängig, von der drei genetische Varianten
existieren: CC, CT und TT. Letztere hat einen
niedrigen Blutfolsäurespiegel zur Folge. Im
China Stroke Primary Prevention Trial (CSPPT)
wurde geprüft, ob die Kombination von Enala­
pril + Folsäure bei der Schlaganfallprävention
von Bluthochdruckpatienten wirksamer ist
als Enalapril allein.
Methode
Die Studie fand von Mai 2008 bis August 2013
statt. Nach einer Stratifizierung in die Geno­
typen CC, CT und TT wurden die Patienten im
Prävention kardiovaskulärer Ereignisse
durch Statine: Frauen = Männer?
Bezüglich der Geschlechtergleichheit bei der
Prävention kardiovaskulärer Ereignisse durch
Statine, insbesondere als Primärprävention,
sind noch viele Fragen offen. Es hatte den An­
schein, dass Frauen weniger von der Ein­
nahme profitieren als Männer. Die Mitglieder
der Cholesterol Treatment Trialists’ Collabo­
ration (CTTC) führten eine Metaanalyse von
27 randomisierten Studien mit 175 000 Patien­
ten durch. Diese ergab, dass Statine bei beiden
Geschlechtern ähnlich wirksam sind und
das LDL­Cholesterin um ca. 1 mmol/l senken.
Dadurch werden kardiovaskuläre Ereignisse
bei Frauen und Männern in gleichem Masse
verringert. Demnach gibt es zumindest bei
diesem Thema keine Frauenquote!
CTTC, et al. Lancet. 2015:385(9976):1397–405.
Trisomie-21-Diagnostik:
eine unfehlbare Methode?
Die üblichen Methoden zur Feststellung von
Trisomie 21 (Down­Syndrom) wie Nackentrans­
parenzmessung, Bestimmung des Plazenta­
assoziierten Plasma­Proteins A sowie des
Verhältnis von 1:1 randomisiert und erhielten
doppelblind randomisiert 10 mg Enalapril
+ 0,8 g Folsäure oder ausschliesslich 10 mg
Enalapril pro Tag. Die Patienten wurden alle
3 Monate untersucht. Dabei wurden ihre Vital­
parameter, die Compliance bei der Medika­
menteneinnahme und die Endpunkte über­
prüft. Bei Studieneinschluss und ­ende wurden
zudem der Folsäure­, Vitamin­B₁₂­, Lipid­ und
Blutzuckerwert bestimmt. Primärer Endpunkt
war das Auftreten eines ischämischen oder
hämorrhagischen Schlaganfalls. Sekundäre
Endpunkte waren kardiovaskulärer Tod und
Myokardinfarkt.
Resultate
10 348 Patienten in Kombinationsbehandlung
und 10 354, die ausschliesslich Enalapril erhiel­
ten, wurden in die Erstanalyse eingeschlos­
sen. Nach einem medianen Follow­up von
4,5 Jahren (die Studie wurde von der Über­
wachungskommission vorzeitig beendet) war
der primäre Endpunkt bei 2,7% der Patienten
in der Kombinationsbehandlungs­ und 3,4%
in der Enalaprilmonotherapiegruppe aufge­
treten, was einer Reduktion um 21% ent­
spricht, HR 0,79, KI 0,68–0,93. Ein sekundärer
Endpunkt trat bei 3,1% der Kombinations­
behandlungs­ gegenüber 3,9% der Enalapril­
gruppe auf, HR 0,80, KI 0,69–0,92. Bezüglich
humanen Choriongonadotropins sind nicht
unfehlbar. Seit 2011 existiert eine weitere
Methode: die Untersuchung der in einer zell­
freien Probe des mütterlichen Blutplasmas
enthaltenen fetalen DNA. An ca. 30­jährigen
Frauen in der 12,5. Schwangerschaftswoche
wurden 16 000 Tests durchgeführt. Diese wie­
sen eine Sensitivität von 100% bezüglich der
Erkennung von Trisomie 21 auf, gegenüber
79% bei den bekannten Methoden. Die Zahl
der falsch positiven Ergebnisse betrug 0,06 vs.
5,4%. Lediglich 3% der Proben waren nicht
analysierbar. Die Entscheidung für die Austra­
gung eines Kindes mit Trisomie 21 treffen
selbstverständlich weiterhin die Eltern.
Norton ME, et al. N Engl J Med. 2015;372:1589–97.
Waldenström-Makroglobulinämie:
neue Behandlung
Morbus Waldenström ist ein mit einer über­
mässigen Produktion von Immunglobulin M
assoziiertes B­Zell­Lymphom mit Infiltration
des Knochenmarks, der Leber und der Lymph­
knoten durch Lymphomzellen. Aufgrund einer
Mutation, die über zwei Tyrosinkinasen zur
Aktivierung des Signalwegs führt, kommt es
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):763
der hämorrhagischen Schlaganfälle und der
Gesamtsterblichkeit gab es keine Unterschiede.
Der durchschnittliche Blutdruckwert betrug
in beiden Gruppen 140/83.
Probleme
70% der Probanden nahmen mindestens 70%
der verschriebenen Medikamente ein. Dies ist
relativ wenig. Überraschenderweise profitier­
ten Patienten mit dem Genotyp TT nicht stär­
ker von der Folsäureeinahme.
Kommentar
Angesichts der hohen Patientenzahlen mit
ischämischem Schlaganfall ist diese Studie
sehr wichtig. Zudem profitieren Patienten mit
geringem Folsäurespiegel aufgrund des Schwel­
leneffekts anscheinend stärker von der Sup­
plementierung. In Ländern, wo bestimmten
Lebensmitteln (wie z.B. Mehl) systematisch Fol­
säure zugesetzt wird, dürfte eine zusätzliche
Einnahme wahrscheinlich nur eine geringe
oder keine Wirkung haben. In Ländern mit ge­
ringer Folsäurezufuhr (Asien) ist ein positiver
Effekt zu erwarten, der eventuell noch stärker
ausfällt als in der chinesischen Studie. Lohnt es
sich bei uns, den Blutfolsäurespiegel bei Hyper­
toniepatienten zu bestimmen und im Falle
niedriger Werten zu supplementieren?
Huo Y, et al. JAMA. 2015;313:1325.
zur Zellproliferation. Durch Ibrutinib wird
eine dieser Kinasen gehemmt. Bei 63 sympto­
matischen, bereits behandelten Patienten be­
wirkte Ibrutinib innerhalb von 20 Monaten
(Medianwert) eine spektakuläre Verringerung
des IgM­Werts von 3500 auf 880 mg/dl und
eine Abnahme der Infiltration des Knochen­
marks von 60 auf 25%. Die Zwei­Jahres­Über­
lebensrate betrug 95%. Ein echter Erfolg dank
Grundlagenforschung!
Treon SP, et al. N Engl J Med. 2015;372:1430.
Kindsmisshandlung: Achtung!
Die American Academy of Pediatrics hat klini­
sche Anzeichen veröffentlicht, die auf eine
eventuelle Misshandlung hinweisen. (1.) Ver­
letzungen bei Kindern, die noch nicht laufen;
(2.) Verletzungen an ungewöhnlichen Stellen:
Ohren, Oberkörper; (3.) multiple Verletzungen
in unterschiedlichen Heilungsstadien; (4.) Trau­
mata von mehr als einem Organsystem. Sym­
ptome, die auf ein Schädeltrauma hinweisen:
Erbrechen, Lethargie, Erregbarkeit, Krampf­
anfälle. Leider kommt dies häufiger vor als an­
genommen.
Christian CW. doi: 10.1542/peds.2015–0356.
ÜBERSICHTSARTIKEL
764
Zwischen harmlosem Zufallsbefund und Blasenkarzinom
Mikrohämaturie –
Sinnvolles Vorgehen im Alltag
Andreas Pas ch
Universitätsinstitut für Klinische Chemie, Inselspital, Bern
Angesichts der nur spärlichen Datenlage mit guter Evidenz gibt es bei der Abklärung
der Mikrohämaturie des Erwachsenen viel Spielraum für individuelle ärztliche
Entscheidungen. Die Mikrohämaturie per se ist ein harmloses Phänomen. Sie ist
aber ein Indikator für eine möglicherweise relevante und schwerwiegende andere
Erkrankung. Im vorliegenden Übersichtsartikel sollen die wesentlichen diagnosti­
schen Schritte bei der Abklärung einer Mikrohämaturie dargestellt werden.
Einleitung
Das Blut im Urin kann bei der Mikrohämaturie aus
jeglicher Quelle entlang des Harnsystems stammen,
weswegen die potenzielle Differenzialdiagnose sehr
breit ist. Daher soll mit diesem Artikel ein Grundver­
ständnis für die Komplexität dieses häufigen Befundes
und eine möglichst rationale und individualisierte
Abklärung vermittelt werden. Für eine detailliertere
und umfassendere Abhandlung des Themas sei auf die
entsprechenden klinischen Richtlinien [1] und den aus­
führlichen Übersichtsartikel [2] verwiesen.
Mikrohämaturie, ein häufiges Problem
in der täglichen Praxis
Die Mikrohämaturie ist ein in der Allgemeinbevölke­
rung und in der täglichen Praxis häufig anzutreffender
Befund. Die Prävalenz schwankt je nach untersuchter
Kohorte zwischen 0,19 und 21% [3]. Häufig wird sie als
Zufallsbefund in einem routinemässig und häufig ohne
konkrete Indikation durchgeführten Urinstatus ent­
deckt. In dieser Situation muss eine Entscheidung
gefällt werden, wie mit diesem Befund umgegangen
Andreas Pasch
und wie umfangreich der Patient abgeklärt und nach­
die Mikrohämaturie im Einzelfall hat und wie intensiv
kontrolliert werden soll. Dies bereitet teilweise erheb­
weiter abgeklärt werden soll. Dies wird auch am Evidenz­
liches Kopfzerbrechen, da der Befund Mikrohämaturie
grad der aktuell gültigen Richtlinien­Empfehlungen
von völliger Harmlosigkeit bis hin zu Diagnosen von
deutlich, die häufig nicht über den Evidenzgrad C und
katastrophalem Ausmass, beispielsweise einem fort­
die Expertenmeinung hinausgehen. Es werden hier
geschrittenen Urothelkarzinom, reichen kann.
also häufig Einzelfallentscheidungen notwendig, die
Leider ist es auch heute in vielen Fällen noch nicht
den klinischen Kontext inklusive der Ängste und Sorgen
möglich, klinisch sicher festzustellen, welche Bedeutung
der Patienten mit einbeziehen.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):764–768
ÜBERSICHTSARTIKEL
765
A
B
Abbildung 1: A Mikrohämaturie mit Erythrozyten mit normaler Morphologie und B glomerulären Erythrozyten.
Quelle: http://e-learning.studmed.unibe.ch/urosurf/. © Universität Bern, mit freundlicher Genehmigung.
Schritt 1: Verifizieren der Hämaturie
Im Fall eines positiven Urinstreifentests muss die Mikro­
hämaturie zunächst als «wahre Mikrohämaturie» verifi­
ziert werden. Dies geschieht durch den wiederholten
mikroskopischen Nachweis von Erythrozyten im Urin.
«Streifentest-Pseudomikrohämaturie»
Ein positiver Streifentest ohne Erythrozyten im Urin ist
eine «Streifentest­Pseudomikrohämaturie». Die heute
üblichen Urinstreifentests weisen nicht Erythrozyten,
sondern die Peroxidaseaktivität des Hämoglobins nach.
Diese Reaktion ist jedoch nicht spezifisch, so dass auch
bei Vorliegen von Peroxidaseaktivitäten aus anderen
Quellen, wie z.B. Myoglobin, freiem Hämoglobin, Bak­
terien, Gemüse, Samenflüssigkeit, stark alkalischem
Urin oder Hautdesinfektionsmittel, eine positive Reak­
tion im Streifentest ausgelöst werden kann. Der Ver­
dacht auf eine Myoglobinurie oder eine Hämoglobin­
urie ergibt sich meist aus dem klinischen Kontext, zum
Beispiel bei Traumata, Muskelentzündungen oder In­
fekten (Myoglobinurie) oder bei Einnahme von Me­
dikamenten, die mit einer Hämolyse assoziiert sein
Vergrösserung durch den Nachweis von drei oder mehr
Erythrozyten pro Sichtfeld (engl. high power field). Weiter­
hin soll dieser Nachweis in zwei von drei Proben er­
bracht werden, um von einer Mikrohämaturie sprechen
zu können. Die Abstände zwischen den Probengewin­
nungen sind hierbei nicht genauer definiert.
Nicht sachgerecht gewonnener Mittelstrahlurin kann
vor allem bei Frauen Erythrozyten enthalten, die nicht
aus dem Harntrakt, sondern aus der Umgebung der
Harnröhrenöffnung stammen. Bestehen diesbezüglich
Unsicherheiten, empfielt sich die Gewinnung eines Ein­
malkatheterurins.
Bei positivem Streifentest und negativer Mikroskopie
wird im klinischen Alltag gelegentlich vermutet, die
Erythrozyten seien im Urin hämolysiert. Dies kann im
Einzelfall natürlich nie gänzlich ausgeschlossen werden,
jedoch soll hier festgehalten werden, dass die osmoti­
sche Resistenz der Erythrozyten im Bereich der physio­
logischen Urinosmolalität sehr hoch ist. Daher kann in
der Regel nicht von einer artifiziellen Hämolyse im Urin
ausgegangen werden, sondern es liegt wahrscheinlich in
der Tat eine «Streifentest­Pseudomikrohämaturie» vor.
können (z.B. Cephalosporine). Auch körperliche An­
strengung kann zur Hämolyse führen, beispielsweise
die sogenannte «Marschhämoglobinurie».
Schritt 2:
Erfassung des klinischen Kontextes
Mikroskopie
Nach Verifizierung der Mikrohämaturie erfolgt die kli­
Falsch positive Befunde (insbesondere Grenzwertbe­
nische Abschätzung des Patientenrisikos, an einer rele-
funde) sind im Urinstreifentest häufig. Daher müssen
vanten Ursache zu leiden. Als relevant gelten in diesem
die Erythrozyten in der Mikroskopie direkt nachgewie­
Zusammenhang alle Ursachen, die mit einer erhöhten
sen werden (Abb. 1A). Dies geschieht in der 400­fachen
Morbidität oder Mortalität vergesellschaftet sind.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):764–768
ÜBERSICHTSARTIKEL
766
Tabelle 1: Anamnestische Warnhinweise bei der
Mikrohämaturie («Red flags»).
Anamnese
Die Anamnese beinhaltet neben den Standardfragen
nach dem jetzigen Leiden, der Eigenanamnese, der So­
Männliches Geschlecht
zial­, System­, Medikamenten­ und Raucheranamnese,
Alter >35 Jahre
spezifisch und zusätzlich einerseits die Suche nach typi­
Raucheranamnese
schen Warnhinweisen – im Englischen illustrativ als
Exposition gegenüber Chemikalien und Lacken
(insbesondere Benzene und aromatische Amine)
«Red flags» bezeichnet – und andererseits nach typi­
schen Symptomkomplexen. Zu den wichtigsten Warn­
Analgetikaabusus
hinweisen (Tab. 1) gehören das Alter über 35 Jahre, eine
Makrohämaturie
Raucheranamnese, die berufliche Exposition gegenüber
Urologische Erkrankung
Chemikalien und Lacken sowie eine Makrohämaturie
Dysurie
in der Anamnese. Ferner sollte nach urologischen und
Beckenbestrahlung
nephrologischen Erkrankungen, Miktionsstörungen,
Chronischer Harnwegsinfekt
rezidivierenden Harnwegsinfekten, Analgetikaabusus
Exposition gegenüber Kanzerogenen (z.B. Endoxan)
und Beckenbestrahlungen gefragt werden.
Symptomenkomplexe
Typische Symptomenkomplexe beinhalten beispiels­
Der klinische Kontext und die klinische Einschätzung
weise den akuten Flankenschmerz bei afebrilem Pati­
sind dann Grundlage für die Entscheidung, welcher
enten als möglichen Hinweis auf eine Urolithiasis oder
Patient weiter abgeklärt werden soll. Ein Grundproblem
(seltener) eine Nierenpapillennekrose. Brennen und
ergibt sich daraus, dass Mikrohämaturien in den meis­
Schmerzen plus Fieber sind Hinweise für einen Harn­
ten Fällen harmlos und transient sind und selbst bei
wegsinfekt. Finden sich Gewichtsverlust, Exantheme,
umfangreicher Abklärung häufig ohne Befund bleiben.
Gelenkschmerzen, Erschöpfung und Ödeme in der
Daher würde einerseits die komplette Abklärung jedes
Anamnese und ist zudem noch ein Infekt der oberen
Patienten mit Mikrohämaturie zu einer nicht zu recht­
Atemwege vorhanden, könnte es sich beispielsweise
fertigenden Belastung der Mehrzahl der Patienten und
um eine Vaskulitis, eine postinfektiöse Glomerulo­
der Ressourcen des Gesundheitswesens führen. Ande­
nephritis oder eine IgA­Nephropathie handeln. Hin­
rerseits ist die Mikrohämaturie ein häufiges Erstsym­
weisend auf ein Malignom können zum Beispiel Sym­
ptom bei einer Reihe hochrelevanter Diagnosen (v.a.
ptomkombinationen aus Dysurie, intermittierender
verschiedene Malignome des Urogenitaltrakts), die kei­
Makrohämaturie und Gewichtsverlust sein.
nesfalls verpasst werden sollten. Daher muss bei jeder
Diese Aufzählung der klinischen Möglichkeiten und
Mikrohämaturie unbedingt eine seriöse Abklärung er­
Kombinationen ist selbstredend lediglich exemplari­
folgen – im Umfang dem klinischen Kontext und dem
scher Natur und kann an dieser Stelle nicht abschlies­
sich daraus ergebenden Patientenrisiko angepasst, wie
send sein. Hier ist die klinische Erfahrung und Ana­
bereits oben beschrieben.
mnesetechnik des Arztes gefragt, um die Patienten mit
Tabelle 2: Wichtige Differenzialdiagnosen der Mikrohämaturie in Abhängigkeit vom Alter (Auswahl).
Alter (Jahre)
Häufig
Selten
15–50
Nephrolithiasis
Menstruation (Kontamination)
Körperliche Anstrengung
Harnwegsinfekt
Polyzystische Nieren
Geschlechtsverkehr
AV-Malformationen/Fisteln
Goodpasture-Syndrom
Niereninfarkt
Nierenvenenthrombose
Schistosomiasis
Markschwammniere
Sichelzellanämie
Papillennekrose
Karzinome (Niere, Ureter, Blase, Prostata)
>50
Nephrolithiasis
Benigne Prostatahyperplasie
Karzinome (Niere, Ureter, Blase, Prostata)
(Über-)Antikoagulation
Polyzystische Nieren
Prostatitis
AV-Malformationen/Fisteln
Endometriose
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) –
hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
Nierenvenenthrombose
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):764–768
ÜBERSICHTSARTIKEL
767
hohem Risiko von Patienten mit niedrigem klinischem
Dasselbe gilt für das Auftreten einer Mikrohämaturie
Risiko abzugrenzen. Mögliche Diagnosen sind anhand
unter Antikoagulation. Auch hier sollte in jedem Fall
des Alters in Tabelle 2 zusammengefasst, die wesent­
nach einer urologischen und gegebenenfalls nephro­
lichen «Red flag»­Symptome in Tabelle 1. Die auf Ana­
logischen Ursache gesucht werden.
mnese und Befund beruhende Einschätzung bildet
Ziel der weiteren Abklärungen ist nun, bei ausgewählten
dann die Grundlage für die Entscheidung, wie umfang­
Patienten einen bösartigen Tumor im Harnwegssystem
reich weiter abgeklärt werden soll.
mit möglichst hoher Sicherheit auszuschliessen. Die
American Urological Association empfiehlt bei allen Pa­
tienten über dem 35. Lebensjahr und bei Patienten mit
Schritt 3:
Welchen Patienten wie abklären?
Risikofaktoren (z.B. Miktionsbeschwerden, Raucherana­
Bei der weiteren Abklärung geht es vor allem darum,
einer Zystoskopie. Bei jüngeren Patienten ohne entspre­
mnese oder Chemikalienexposition) die Durchführung
eine mögliche schwerwiegende Diagnose zeitnah ent­
chende Risikofaktoren wird die Entscheidung dem be­
weder nachzuweisen oder auszuschliessen.
handelnden Arzt überlassen. Ob die Altersgrenze von
Benigne Ursachen sind beispielsweise leichte Infektio­
35 Jahren die «richtige» ist, ist allerdings nicht gesichert
nen, virale Erkrankungen, Menstruation, ausgeprägte
(Evidenzgrad C = Beobachtungsstudien mit inkonstan­
körperliche Anstrengung, Traumata oder kürzlich statt­
ten Ergebnissen, kleiner Patientenzahl und/oder metho­
gehabte urologische Eingriffe. Liegen solche Ursachen
dischen Problemen, welche die Interpretation der Re­
vor, sollte die Suche nach einer Mikrohämaturie bei
sultate verfälschen können). Es ist erstaunlich, wie eine
fehlenden weiteren Verdachtsmomenten entweder
klinische Leitlinie geschrieben werden kann, die prak­
beendet bzw. nach Abklingen der benignen Ursache
tisch ausschliesslich aus Evidenzgrad­C­Empfehlungen
wiederholt und bei andauerndem negativem Befund
besteht …
beendet werden.
Bildgebung
Ausführliche Abklärung
Weiterhin wird im ersten Durchgang eine radiologische
Persistiert die Mikrohämaturie nach Ausschluss beni­
Abklärung, insbesondere eine multiphasische Com­
gner Ursachen, sollte bei Vorliegen weiterer Verdachts­
putertomographie mit und ohne iv­Kontrastmittel
momente eine ausführliche Abklärung erfolgen. Hierbei
zur Darstellung des Nierengewebes sowie des oberen
wird im Abklärungsalgorithmus nun zunächst zwischen
Harntrakts in der exkretorischen Phase des Kontrast­
glomerulärer und nicht­glomerulärer Hämaturie un­
mittels, empfohlen. Alternativen bei Kontrastmittel­
terschieden. Glomeruläre Erythrozyten (Akanthozy­
unverträglichkeit, Schwangerschaft oder Niereninsuf­
ten) entstehen, wenn die Erythrozyten die Basalmem­
fizienz sind die Magnetresonanztomographie sowie
bran des Glomerulum passieren. Dies führt zu einer
die retrograde Urographie.
typischen Morphologie, die durch Aussackungen der
Die routinemässige Durchführung einer Urinzytologie
Erythrozytenmembran, die beschreibend als «Micky­
im Spontanurin ist umstritten, kann jedoch bei persis­
Maus­Ohren» bezeichnet werden (Abb. 1B), gekenn­
tierender Mikrohämaturie nach negativem Work­up
zeichnet ist. Um eine glomeruläre Hämaturie zu dia­
und bei weiter bestehenden Risikofaktoren nützlich
gnostizieren, sollten mehr als 5% der Erythrozyten
sein. Die Therapie und eventuell weitere Abklärungs­
diese Morphologie aufweisen. Die Sensitivität beträgt
schritte richten sich dann im Einzelfall nach den vor­
dann zwischen 50 und 70%, die Spezifität zwischen 98
liegenden Befunden.
und 100% [4, 5].
Bei Diagnose einer glomerulären Hämaturie folgt eine
nephrologische Beurteilung, welche die Bestimmung
von Nierenfunktion und Proteinurie einschliesst. Des
Weiteren wird eine Nierensonographie und, wiederum
Schritt 4: Wie weiter nach dem Work-up,
wann abschliessen?
Bei persistierender asymptomatischer Mikrohämaturie
je nach klinischem Kontext (nephrologische Anamne­
wird eine jährliche Verlaufskontrolle, die die Suche
se und Befund), in vielen Fällen eine Nierenbiopsie zur
nach Risikofaktoren oder neu aufgetretenen Sympto­
Diagnosesicherung empfohlen.
men beinhaltet, empfohlen. Gemäss Expertenmeinung
Ob bei Vorliegen glomerulärer Erythrozyten auch eine
kann nach zweimalig negativem mikroskopischem
urologische Abklärung durchgeführt werden soll, muss
Hämaturiescreening innert zwei Jahren die weitere
im Einzelfall entschieden werden. Selbstverständlich
Nachverfolgung des Patienten abgeschlossen werden.
schliesst ein nephrologisches Problem das gleichzeitige
Bei persistierender asymptomatischer Mikrohämaturie
Vorliegen eines Tumors im Urogenitaltrakt nicht aus.
und negativem Work­up sollte innerhalb der nächsten
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):764–768
ÜBERSICHTSARTIKEL
Korrespondenz:
PD Dr. med. Andreas Pasch
768
drei bis fünf Jahre ein nochmaliges Work­up in Er­
diagnostik mit ihren Gefahren einerseits und einer ver­
wägung gezogen werden.
passten relevanten Diagnose andererseits zu finden.
Die in diesem Übersichtsartikel beschriebenen Abklä­
Universitätsinstitut
für Klinische Chemie
Inselspital
Freiburgstrasse 10
CH­3010 Bern
andreas.pasch[at]insel.ch
rungsschritte können kein Patentrezept liefern, sollen
Fazit
jedoch dazu beitragen, die Entscheidungen auf eine
Aufgrund des insgesamt tiefen Evidenzniveaus, das sich
möglichst rationale Ebene zu stellen. Bei der individuel­
in der Uneinheitlichkeit der aktuellen klinischen Guide­
len Indikationsstellung zur umfangreichen Abklärung
lines widergespiegelt, bleibt die Abklärung der Mikro­
besteht jedoch nach wie vor ein relativ grosser Grau­
hämaturie auch im Jahr 2015 eine Herausforderung für
bereich, in dem Entscheidungen, die nicht strikte den
die behandelnden Ärzte. Hierbei schwingt jeweils die
Guidelines folgen, gefällt und gerechtfertigt werden
Sorge mit, die richtige Balance zwischen einer Über­
müssen. Bei der Hämaturieabklärung wird also vorläu­
fig auch weiterhin die klassische ärztiche Kunst gefor­
dert sein.
Das Wichtigste für die Praxis
Disclosure statement
• Die Mikrohämaturie ist ein in der Praxis häufiger (Zufalls-)Befund.
• Sie tritt häufig intermittierend auf und ist bei Patienten unter 35 Jahren
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Titelbild
meist harmlos.
• Die mittels Urinstreifentest festgestellte Mikrohämaturie muss mikro-
© Alexander Raths | Dreamstime.com
skopisch bestätigt werden; eine Mikrohämaturie liegt bei ≥3 Erythro-
Literatur
zyten pro Sichtfeld vor.
1
• Glomeruläre Erythrozyten weisen auf eine renale Ursache hin.
• Die Entscheidung, wie umfangreich eine Mikrohämaturie abgeklärt werden soll, kann im Einzelfall sehr schwierig sein.
2
3
• Klinischer Kontext und Warnsymptome geben Hinweise auf relevante
Ursachen wie Infektionen, Malignome oder Steine.
• Bei Malignomverdacht werden Computertomographie und Zystoskopie
empfohlen.
• Viele Abklärungen ergeben keinen ursächlichen Befund.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):764–768
4
5
Davis R, Jones JS, Barocas DA, Castle EP, et al. Diagnosis, evaluation
and follow­up of asymptomatic microhematuria (AMH) in adults:
AUA guideline. J Urol 2012; 188: 2473­2481.
Cohen RA, Brown RS. Clinical practice. Microscopic hematuria.
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Grossfeld GD, Wolf JS, Jr., Litwan MS, Hricak H, et al. Asymptomatic
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Kohler H, Wandel E, Brunck B. Acanthocyturia – a characteristic
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Kitamoto Y, Tomita M, Akamine M, Inoue T, et al. Differentiation of
hematuria using a uniquely shaped red cell. Nephron 1993; 64: 32­36.
ARTIKELSERIE
769
Hochintensiver fokussierter Ultraschall (HIFU)
Organerhaltende Therapie
des Prostatakarzinoms
Daniel Eberli, Ashkan Mortezav i, Tullio Sulser
Klinik für Urologie, UniversitätsSpital Zürich
Zur Behandlung des Prostatakarzinoms werden dringend neue, weniger invasive
Therapieoptionen gesucht. Dies aufgrund widersprüchlicher Resultate hinsichtlich
des Nutzens radikaler Therapien und angesichts signifikanter Nebenwirkungen.
Die fokale Therapie der Prostata mittels HIFU ist eine der vielversprechendsten
neuen Strategien, die aktuell im Rahmen klinischer Studien evaluiert werden.
Oberstes Ziel bleibt die Erhaltung der Lebensqualität durch Vermeidung von Inkon­
tinenz und Impotenz bei gleichzeitiger Tumorkontrolle.
Einleitung
Für die häufigste maligne Erkrankung des Mannes, das
Prostatakarzinom, konnte durch hochspezialisierte
Medizin in der Schweiz im letzten Jahrzehnt eine hohe
Behandlungsqualität etabliert werden. Mit der Einfüh­
rung der roboterassistierten radikalen Prostatektomie
und ihren standardisierten Operationsschritten wur­
den die perioperative Morbidität signifikant gesenkt
und gleichzeitig eine hohe onkologische Sicherheit für
lokalisierte Tumorstadien erhalten. Zwar können heut­
zutage die meisten Patienten durch die Prostatektomie
geheilt werden, jedoch wird dieser Erfolg mit signi­
fikanten funktionellen Verlusten erkauft: Die mit der
Strahlentherapie vergleichbaren Nebenwirkungen der
radikalen Therapie liegen bei 30–90% für die erektile
Dysfunktion sowie bei 5–20% für die Inkontinenz [1].
Die Ergebnisse der PIVOT­Studie (Prostate Cancer Intervention Versus Observation Trial) zeigten zudem, dass
der tatsächliche Nutzen der radikalen Prostatektomie
für das Überleben deutlich geringer ist als bislang ange­
nommen, was zu einer Sensibilisierung für das Thema
der «Übertherapie» führte. Mit der Einführung der
ist, zeigt, dass diese Option jedoch nur für eine kleine
Active Surveillance (keine Behandlung des Tumors – ak­
Gruppe von Patienten empfohlen werden kann.
tive Überwachung des Patienten; siehe dazu Iselin CE
Eine neue Therapie, die gleichzeitig eine effektive Tumor­
et al. «Die Bedeutung der aktiven Überwachung in der
kontrolle und minimale Nebenwirkungen verspricht,
Schweiz» in der letzten Ausgabe des SMF) wird versucht,
ist die fokale Therapie des Prostatakarzinoms. Anders
in der Patientengruppe mit kleinen und wenig aggres­
als bei der radikalen Prostatektomie oder der Bestrah­
siven Tumoren eine Operation und damit verbundene
lung, bei denen stets die gesamte Prostata behandelt
Nebenwirkungen zu vermeiden oder hinauszuzögern.
und Kollateralschäden an funktionell relevanten Struk­
Die Tatsache, dass das Prostatakarzinom weiterhin die
turen in Kauf genommen werden, versucht man bei der
zweithäufigste maligne Todesursache in der Schweiz
fokalen Therapie ausschliesslich den malignen Tumor
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):769–772
ARTIKELSERIE
770
zu zerstören und dabei die restliche Prostata, den
kose durchgeführten, schachbrettartigen Gewebeent­
Schliessmuskel und das Gefässnervenbündel zu scho­
nahme wird eine Sensitivität von über 90% erreicht.
nen. Diese logische Strategie birgt jedoch einige neue
Diese Zahl lässt sich durch Zusatzbiopsien in allen MRI­
Herausforderungen, wie die genaue Lokalisation / Dia­
verdächtigen Arealen sogar weiter erhöhen. Die Kompli­
gnose des Tumors, die Wahl einer geeigneten Energie­
kationsrate und Nebenwirkungen der transperinealen
quelle und das engmaschige Überwachen nicht behan­
Entnahme sind dabei erstaunlich gering. Es entstehen
delter Areale.
weder länger währende Nebenwirkungen auf die Mik­
tion oder erektile Funktion noch medizinisch signi­
Ortung des Prostatakarzinoms
Die organerhaltende Operation hat sich bei anderen
Organen wie der Niere, Leber und Lunge bereits erfolg­
fikante Komplikationen (> Clavien Grad II) [4].
Fokale HIFU-Therapie
reich durchgesetzt. Mit der fokalen Therapie soll diese
Wurde ein hochaggressives Prostatakarzinom durch
Strategie nun auch auf die Prostata angewendet wer­
die Histologie ausgeschlossen und zeigt sich der Tu­
den. Bei ca. 50% der Patienten kann ein klar abgrenz­
mor lokalisiert, kann dem Patienten eine fokale Thera­
barer, einseitiger Prostatakrebsherd definiert werden.
pie des Prostatakarzinoms angeboten werden. Die
Diese Zahl wird deutlich grösser, wenn auf der Gegen­
Anforderungen an die Energiequelle für eine fokale
seite ein klinisch insignifikanter Prostatakrebs mit dem
Therapie sind einfach definiert: Sie soll eine vollstän­
Gleason­Muster 6 toleriert wird. Diese kleinvolumigen
dige Ablation des Zielgewebes mittels exakter Naviga­
(<0,5 cm3) Gleason­6­Tumoren haben auf den Krank­
tion unter Schonung umliegender Areale ermöglichen.
heitsprogress mit grösster Wahrscheinlichkeit keinen
Während zu Beginn dieser Entwicklung lokale Kälte
Einfluss und bedürfen nur einer aktiven Überwachung
(Cryo), Laser oder ionisierende Strahlung eingesetzt
[2]. Tatsächlich wird bei genauer histologischer Auf­
wurde, basiert die aktuell fortschrittlichste Therapie­
arbeitung der Prostata nach radikaler Prostatektomie
form auf fokussierten, hochenergetischen Ultraschall­
oft mehr als ein Herd gefunden. Jedoch zeigt sich meist
wellen (high intensity focused ultrasound; hochintensi­
ein dominanter Tumor, der 80% der gesamten Tumor­
ver fokussierter Ultraschall, HIFU). Der Ultraschall
masse ausmacht.
wird dabei durch eine Linse auf einen sehr kleinen
Um das tatsächliche Tumorvolumen und die Aggressi­
Brennpunkt fokussiert, der durch einen Roboterarm
vität richtig einschätzen zu können, muss vor dem
an die richtigen Stellen geführt wird, um so den Tumor
eigentlichen Therapieentscheid eine maximale Dia­
millimetergenau durch lokale Erhitzung zu zerstören.
gnostik mit einem multiparametrischen MRI (mpMRI)
Die Applikation erfolgt transrektal in Allgemeinnar­
sowie einer erweiterten, dreidimensionalen Template­
kose und ohne die Integrität der Mucosa zu beeinträch­
Biopsie der Prostata durchgeführt werden. Die multi­
tigen. Die Therapie wird auffallend gut toleriert, und
modale Magnetresonanztomographie hat in den letz­
die Patienten können das Spital bereits am Folgetag
ten Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Aktuell
verlassen. Wir belassen einen Dauerkatheter für ca.
beinhaltet die Prostatabildgebung eine T2­gewichtete
fünf Tage, der ambulant gezogen wird. Aktuelle Unter­
Sequenz, die Darstellung von Diffusionseinschränkun­
suchungen des fokalen HIFU zeigen Impotenzraten
gen und eine kontrastverstärkte, dynamische Untersu­
zwischen 5 und 15% ohne Inkontinenz [5]. HIFU als
chung mit Gadolinium. In spezialisierten Zentren kann
Energiequelle ist zwar nicht neu – in den letzten zwei
dadurch für signifikante Karzinome eine Sensitivität
Jahrzehnten wurde er in diversen Studien für eine
von über 90% mit etwas niedrigerer Spezifität erreicht
totale Behandlung der kompletten Prostata eingesetzt
werden [3]. Die MRI­Untersuchung eignet sich auch zur
(whole gland ablation) –, jedoch ermöglichen erst die
Evaluation des nicht­tumortragenden Gewebes. Der ne­
technologischen Neuerungen mit exakter Steuerung
gative prädiktive Wert zum Ausschluss eines klinisch
und Dosierung der Ablation eine fokale Therapie. Die
signifikanten Karzinomherdes beträgt 63–98%. Diese
Basis für die Navigation bildet eine dreidimensionale
erstaunlich guten Resultate lassen sich jedoch nur an
Überlagerung des Echtzeit­Ultraschallbildes mit hoch­
einem Radiologie­Institut, das über speziell geschulte
auflösenden MRI­Bildern (Fusion), auf denen der Pro­
Prostata­MRI­Radiologen verfügt, erreichen. Deshalb
stataumriss und der Tumor vordefiniert sind (Abb. 1).
gehört aktuell eine dreidimensionale Template­Biop­
sie vor jeder fokalen Therapie zur Routine (Abb. 1). Da­
bei geht es um die richtige Klassifizierung des Tumors,
Follow-up
die histologische Definition der Tumorgrenzen und die
Entscheidend für das Therapiekonzept der fokalen
Bestätigung tumorfreier Areale. Mit dieser in Kurznar­
Therapie ist die Überwachung des nicht behandelten
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):769–772
ARTIKELSERIE
771
und belassenen Prostatagewebes, um ein Rezidiv oder
ca. 15% aus. Von grossen internationalen Zentren wird
Neuentstehen von Tumoren früh zu entdecken. Dafür
berichtet, dass auch eine radikale Prostatektomie oder
werden PSA­Kontrollen, erneute mpMRI­Untersuchun­
eine spätere externe Bestrahlung ohne Probleme
gen sowie erweiterte Prostatabiopsien durchgeführt.
durchführbar sei. Zu beachten ist jedoch, dass es sich
Zeigt sich ein Rezidiv oder ein Zweittumor, besteht die
bei der fokalen Therapie um eine neue Therapiestrate­
Möglichkeit einer zweiten Ablation. Anhand der aktuel­
gie handelt und Follow­up­Daten aktuell nur über ca.
len Studien gehen wir von einer Re­Therapie­Rate von
drei Jahre vorliegen.
A 2D gesteuerte perineale
B
Biopsie
Darstellung der Prostata
im 3D Ultraschall
Fusionsbiopsie
von US/MRI
Darstellung der Prostata
im mpMRI
Ultraschallgesteuerte 2D Planung
Fusionierte Darstellung aus
3D Ultraschall un mpMRI
C
Postoperative KM-Kontrolle
Abbildung 1: A: Intraoperative Dokumentation der transperinealen MRI-fusionierten Prostatabiopsie. B: Sonographie-gesteuerte HIFU-Behandlung der
Prostata (blau markiert die Ablationszone) mit C: anschliessender Kontrastmittelgabe zur Ablationskontrolle; die nicht perfundierte und abladierte Zone
stellt sich schwarz dar.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):769–772
ARTIKELSERIE
Korrespondenz:
PD Dr. med. Dr. rer. nat.
772
Patientenauswahl für eine fokale Therapie
Daniel Eberli
Aktuell liegen noch keine Guidelines zur fokalen The­
Facharzt für Urologie,
rapie beim Prostatakarzinom vor. Jedoch haben bereits
speziell Operative Urologie,
FMH, FEBU
einige Konsensus­Konferenzen zum sinnvollen Ein­
Klinik für Urologie
satz dieser Therapiestrategie stattgefunden. Momen­
UniversitätsSpital Zürich
tan werden am UniversitätsSpital Zürich, mit einem
Frauenklinikstr. 10
CH­8091 Zürich
durch die Ethikkommission genehmigten Protokoll,
daniel.eberli[at]usz.ch
Patienten mit Gleason­6­ oder ­7­Tumor eingeschlos­
sen. Der optimale Kandidat hat einen einseitigen Glea­
son­7­Tumor, der sich sowohl im MRI zeigt, als auch
histologisch entsprechend der Lokalisation nachge­
wiesen wurde. Aufgrund der erweiterten Biopsietech­
nik werden jedoch auch kleine, beidseitige Gleason­7­
Tumoren diagnostiziert. In diesen Fällen ist auch eine
beidseitige fokale Therapie des Prostatakarzinoms er­
laubt. Eine eigentliche Hemiablation respektive totale
Prostatabehandlung mit HIFU wenden wir wegen der
höheren Inkontinenz­ und Impotenzraten, die nahezu
die Werte nach radikaler Prostatektomie erreichen,
nicht an. Weiter gilt grundsätzlich, dass Patienten
mit einem einseitigen Gleason­6­Tumor für eine Active
Surveillance­Strategie motiviert werden sollten. Eine
HIFU­Therapie macht nur bei grösseren Tumoren oder
Patienten mit psychologischer Belastung angesichts
der Tumorerkrankung Sinn.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Das Wichtigste für die Praxis
Titelbild
Patienten mit einem neu entdeckten und lokal begrenzten Prostatakarzinom
Literatur
© Myrabella | Wikimedia Commons
steht neuerdings im Rahmen klinischer Studien eine weitere Therapieoption
1
zur Verfügung: Neben Active Surveillance und den radikalen Therapien
(externe Radiatio oder Operation) darf diesen Patienten nach genauer Ab-
2
klärung eine fokale HIFU-Therapie des Tumorherdes angeboten werden.
Die Patienten profitieren bei dieser Therapie von einer deutlich verringerten Impotenz- und Inkontinenzrate bei guter Tumorkontrolle. Wegen der
3
eingeschränkten Langzeitergebnisse muss sich der Patient vor der Therapie bewusst sein, dass eine weitere Tumornachsorge zwingend mit MRI
sowie Template-Biopsie durchgeführt werden muss. Aktuelle Kongressberichte, Publikationen und unsere eigenen Erfahrungen deuten darauf hin,
dass mit der fokalen HIFU-Therapie der Prostata das Zeitalter der nichtinvasiven, computergestützten Therapie eingeleitet ist.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):769–772
4
5
Sanda MG, Dunn RL, Michalski J, et al. Quality of life and satisfaction
with outcome among prostate­cancer survivors. The New England
journal of medicine. 2008 Mar 20;358:1250–61
Andren O, Fall K, Franzen L, Andersson SO, Johansson JE, Rubin
MA. How well does the Gleason score predict prostate cancer death?
A 20­year followup of a population based cohort in Sweden. The
Journal of urology. 2006 Apr;175:1337–40
Futterer JJ, Briganti A, De Visschere P, et al. Can Clinically Significant
Prostate Cancer Be Detected with Multiparametric Magnetic Re­
sonance Imaging? A Systematic Review of the Literature. European
urology. 2015 Feb 2
Losa A, Gadda GM, Lazzeri M, et al. Complications and quality of
life after template­assisted transperineal prostate biopsy in patients
eligible for focal therapy. Urology. 2013 Jun;81:1291–6
Ahmed HU, Hindley RG, Dickinson L, et al. Focal therapy for localised
unifocal and multifocal prostate cancer: a prospective development
study. The Lancet Oncology. 2012 Jun;13:622–32
WAS IST IHRE DIAGNOSE?
773
Fieber unklarer Genese
Immunsuppression und
persistierendes Fieber
Coralie Galland-Deckera, Gilbert Greubb, Matteo Montia
a
b
Service de Médecine Interne, Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne
Institut de microbiologie, Centre hospitalier universitaire vaudois et Université de Lausanne
Ein 68-jähriger Patient mit seit 23 Jahren bestehender
Bei FUO ist jedes Symptom als potenziell relevant an-
Haarzellleukämie und einer Riesenzellarteriitis (Arte-
zusehen [5]. Die klinische Untersuchung ist äusserst
riitis temporalis, Morbus Horton) wird zur Abklärung
gründlich und mehrmals durchzuführen und muss
eines persistierenden Fiebers hospitalisiert. Die Leuk-
die Bereiche Neurologie, HNO, Dermatologie, lympha-
ämie war mittels Splenektomie therapiert worden; ge-
tisches und Urogenital-System sowie Ophthalmologie
genwärtig wird mit Rituximab behandelt. Die Arterii-
(Augenfundus) einschliessen [5].
tis temporalis wird seit vier Jahren mit 5 mg Prednison/
Unser Patient lebt in der Stadt, ist nie ausserhalb Mit-
Tag unter Kontrolle gehalten. Der Status febrilis begann
teleuropas gereist, hat keine Tiere, ist verheiratet und
zwei Monate vor Spitalaufnahme. Gemäss Patienten-
ohne aussereheliche Beziehung und hat keine speziel-
angaben war das Fieber zwei Tage nach einer Rituximab-
len Essgewohnheiten. Die klinische Untersuchung lie-
Injektion aufgetreten und zeigt sich intermittierend,
fert keine Hinweise.
verbunden mit einem verschlechterten Allgemeinbe-
Die Laborbefunde zeigen eine normochrome normozy-
finden, trockenem Husten, Appetitlosigkeit und einem
täre Anämie (Hb 82 g/l), eine Lymphopenie (Leukozyten
Gewichtsverlust von 10 kg in zwei Monaten.
5,2 G/l, davon 0,41 G/l Lymphozyten) und ein Entzün-
Frage 1: Welche Massnahmen gehören zur Eingangs-
Die antinukleären Antikörper sind positiv bei 1:1280.
dungssyndrom (CRP 132 mg/l und BSG >100 mm/h).
untersuchung? (mehrere Antworten möglich)
Proteinelektrophorese, M. tuberculosis-spezifischer ELISPOT, Urinuntersuchungen und HIV-Test sind negativ. Vier
A
Ernährungsanamnese
B
C
D
E
Hepatitistests
Transösophageale Echokardiographie
Thorax/Abdomen-CT
HIV-Test
Blutkultur-Paare erweisen sich als steril, Röntgenthorax und Thorax/Abdomen-CT sind unauffällig. Bei FUO
ist aktiv nach Hinweisen auf eine infektiöse Endokarditis zu suchen [3]. Als Erstuntersuchung ist eine trans-
Der Patient erfüllt die Kriterien eines Fiebers unklarer
thorakale Echokardiographie (TTE) durchzuführen; die
Genese ( fever of unknown origin, FUO), definiert als Fie-
transösophageale Echokardiographie ist bestimmten
ber über 38,3 °C, mehrfach über eine Dauer von mehr
Fällen vorbehalten (Empfehlungen der European Asso-
als drei Wochen gemessen und ohne erkennbare Ur-
ciation of Echocardiography). Bei unserem Patienten
sache, trotz dreitägiger Hospitalisierung oder drei am-
zeigte die TTE keine Anzeichen für eine Endokarditis.
bulanter Arztbesuche [1]. Tabelle 1 fasst die minimale
Basisdiagnostik bei FUO zusammen.
Eine vollständige Anamnese ist obligat und oft auch
mehrfach durchzuführen. Von besonderer Wichtigkeit
sind:
–
Medizinische und chirurgische Vorgeschichte
–
Begleiterkrankungen sowie deren Behandlung/
Betreuung
–
Reisen
Frage 2: Welcher diagnostische Ansatz ist bei dem immunsupprimierten Patienten in dieser Phase Ihrer Meinung nach
am wenigsten angezeigt?
A
B
C
Mikroskopische Untersuchung des Blutausstrichs
Prüfung auf invasive Pilzinfektion
Abklärung einer Infektion mit Haemophilus influenzae
D
E
Prüfung auf Mykobakterieninfektion
Durchführung einer Toxoplasmose-Serologie
–
Sexuelle Gewohnheiten
Fieberzustände ohne weitere Symptome bei einem Pa-
–
Lebensgewohnheiten/-umstände (Drogenkonsum,
tienten mit Haarzellleukämie weisen in erster Linie
–
Kontakt mit Tieren, Hobbys, Leben in der Stadt
auf ein Rezidiv der hämatologischen Erkrankung hin.
oder auf dem Land, Essgewohnheiten wie Verzehr
Im Falle eines Rückfalls sind im peripheren Blut Haar-
nicht pasteurisierter Produkte oder rohen Fleisches)
zellen nachweisbar; in diesem Fall konnte dies ausge-
Medikamente
schlossen werden.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):773–776
WAS IST IHRE DIAGNOSE?
774
Der Patient ist von einer dreifachen Immunsuppression
Chemotherapie oder bei Transplantation hämatopoe-
betroffen:
tischer Stammzellen im Falle akuter Leukämie).
–
Splenektomie
Bei unserem Patienten sind Serologie und PCR für
–
Rituximab-Therapie
Toxoplasma gondii, Epstein-Barr-Virus (EBV), Zytome-
–
Langzeit-Kortikoidtherapie
galievirus (ZMV), Parvovirus B19, Bordetella pertussis,
Eine Splenektomie erhöht die Anfälligkeit gegenüber be-
Herpes simplex, Herpes zoster, Herpes-Virus 6 und 8
kapselten Keimen wie Haemophilus influenzae, Pneu-
(HHV-6/8), Chlamydia pneumoniae, Borrelia burgdorferi,
mokokken (Streptococcus pneumoniae) und Meningo-
Coxiella burnetii, Mycoplasma pneumoniae, Bartonella
kokken (Neisseria meningitis).
henselae und Legionella pneumophila allesamt negativ.
Die immunsuppressive Therapie mit Rituximab erhöht
Zuvor durchgeführte Röntgenaufnahme und Thorax-
das Risiko für opportunistische Infektionen (z.B. mit
CT zeigten keine Anzeichen für Pneumocystis jirovecii,
Pneumocystis jirovecii, Zytomegalievirus, Toxoplasma
was durch eine bronchoalveoläre Lavage bestätigt
gondii, Mycobacterium spp., Cryptococcus neoformans,
wird. Die Stuhluntersuchungen auf Parasiten ein-
Coccidioides immitis und Cryptosporidium parvum) [6].
schliesslich Kryptosporidien und Isospora sind eben-
Eine Prednison-Therapie kann schon in geringen Dosen
falls negativ.
zu einer signifikanten Lymphopenie beitragen, wie es bei
unserem Patienten zu beobachten war [7]. Die CD4-positiven T-Lymphozyten sind hier vermindert (141/mm ),
3
was das Risiko für Virusinfektionen (insbesondere mit
Herpes zoster), Tuberkulose und opportunistische Infektionen (Pneumocystis jirovecii) erhöht.
Die Abwehr gegen Pilzinfektionen beruht vorrangig auf
der Zellimmunität (Neutrophile und andere Phagozyten),
Frage 3: Welcher der folgenden Schritte erscheint Ihnen
zur weiterführenden Abklärung am wenigsten geeignet?
A
Ösophagogastroduodenoskopie
B
C
D
PET/CT
Drei- bis vierwöchige Bebrütung von Blutkulturen
Knochenmarkspunktion
Bei FUO sind auch bestimmte schwer anzüchtbare
die durch Steroide geschwächt wird. Dennoch ist eine
Keime wie die Bakterien der HACEK-Gruppe sowie be-
invasive Mykose bei unserem Patienten wenig wahr-
stimmte langsam wachsende, gramnegative Bakterien
scheinlich. Niedrig dosierte Steroide haben, im Gegen-
(Brucella, Bartonella) in Betracht zu ziehen, deren De-
satz zu hohen Dosen, nur geringe Auswirkungen auf die
tektionsrate erhöht werden kann, indem die Gesamt-
Phagozytenfunktionen. Patienten mit dem Risiko der
bebrütungsdauer der Blutkulturen auf 21 bis 28 Tage
Entwicklung einer invasiven Pilzinfektion (Candidose
ausgeweitet wird. Weitere Keime wie beispielsweise
und Aspergillose) weisen typischerweise eine starke, an-
Coxiella burnetii (Q-Fieber) und Tropheryma whipplei
haltende Neutropenie auf (vor allem unter aplasierender
bedürfen zum Wachstum spezieller mikrobiologischer
Verfahren [2]. Bei diesen beiden Spezies und bei Bartonella ermöglicht die PCR im Serum oder EDTA-Blut
Tabelle 1: Eingangsuntersuchung bei Fieber
ungeklärter Genese. Adaptiert nach [2, 3].
mitunter eine Diagnose. Bei Bartonella und Coxiella
hat die Serologie einen ausgezeichneten prädiktiven
Minimales Untersuchungsprogramm
Wert und wird bei Verdacht auf Endokarditis mit nega-
Wiederholte vollständige Anamnese mit
Vor- und Begleiterkrankungen
tiven Blutkulturen empfohlen.
Mehrmalige gründliche klinische Untersuchung
Vollständiges Blutbild
Im Kontext einer Haarzellleukämie sind fehlende Anzeichen für ein Rezidiv im peripheren Blutausstrich
Entzündungsparameter: CRP, BSG*
durch eine Knochenmarkspunktion zu bestätigen.
Sämtliche Hepatitistests
Ohne sonstige diagnostische Hinweise besteht ein zu-
LDH
sätzlicher Ansatz in der Durchführung einer PET/CT mit
Elektrophorese der Serumproteine/Immunfixation
18
TBC-ELISPOT
Untersuchung auf Auto-Antikörper (ANA, ANCA, RF)
Urinanalysen: Sediment und Kulturen
Wiederholte Blutkulturen
zündungsherde sowie granulomatöse, infektiöse und
neoplastische Herde in einem frühen Stadium detektiert und lokalisiert werden können. Gegenwärtig existieren nur wenige Studien zur Evaluierung der diagnos-
HIV-Test
Röntgenbildgebung (Thorax-Röntgen und AbdomenSonographie oder CT Thorax/Abdomen)
* Sehr hohe Werte korrelieren relativ gut mit einer vorhandenen schweren
Erkrankung, ohne jedoch eine Unterscheidung zwischen entzündlicher,
infektiöser oder tumoraler Erkrankung zu erlauben. Obgleich diese
Marker häufig verwendet werden, beschränken der fehlende Grenzwert für die verschiedenen Erkrankungen sowie die mangelnde Spezifizität deren Nutzen [4].
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
F-Fluorodeoxyglucose (18F-FDG-PET/CT), mit der Ent-
2015;15(35):773–776
tischen Wirksamkeit der PET/CT bei FUO. In einer der
Studien trug die PET/CT in 50% der Fälle zur finalen Diagnose bei, jedoch in lediglich 23% der Fälle in entscheidender Weise [8]. In diesem Stadium ist von den vorgegebenen Möglichkeiten die Ösophagogastroduodenoskopie
diejenige Untersuchung, die am wenigsten angezeigt ist.
WAS IST IHRE DIAGNOSE?
775
Alle länger inkubierten Blutkulturen sowie Serologien
Die Untersuchung auf Morbus Whipple mittels PCR aus
und PCR haben bei unserem Patienten ein negatives
Speichel und Stuhl ergibt bei unserem Patienten ein
Ergebnis. Histologie und immunologische Marker aus
doppelt positives Ergebnis. Da die Untersuchung der
der Knochenmarkspunktion schliessen ein Rezidiv der
Duodenalbiopsien mittels PAS-Reaktion und PCR die
Leukämie definitiv aus. Da der Patient weiterhin fie-
Absenz von Keimen zum Resultat hatte, kann die Dia-
bert, zunehmend schwächer wird und immer weniger
gnostik nun eine lokalisierte Infektion in den Blick neh-
Appetit hat, wird eine Ganzkörper-18F-FDG-PET/CT
men. Die Liquoranalyse, die bei Verdacht auf Morbus
durchgeführt, die keinerlei hypermetabolische Läsion
Whipple grundsätzlich und auch bei fehlenden Sympto-
als Hinweis auf eine Neoplasie, Entzündung oder Vasku-
men durchzuführen ist, zeigt eine sterile, lymphozytäre
litis zeigt.
Meningitis (Liquoreiweiss und lymphozytäre Pleozytose).
Frage 4: Persistierendes Fieber und Appetitlosigkeit
bestehen weiterhin; welche Diagnosestrategie ist in diesem
Stadium zu wählen?
A
B
C
D
E
Bei zu vereinbarender Klinik (Gewichtsverlust und
länger anhaltendes Fieber), doppelt positiven PCR für
Tropheryma whipplei, einer lymphozytären meningea-
Abklärung einer Leishmaniose
Ausschluss von Morbus Still
Lumbalpunktion
Prüfung auf Morbus Whipple
Erwägung einer erneuten Biopsie der Schläfenarterie
len Erkrankung und fehlender Alternativdiagnose
wird ein Morbus Whipple in Betracht gezogen und eine
Probebehandlung mit Doxycyclin, Hydroxychloroquin
und Sulfadiazin begonnen.
Zwei Wochen nach Therapiebeginn ist die klinische
Da der Patient nie ausserhalb Mitteleuropas reiste, ist
Entwicklung günstig, es treten keinerlei Fieberspitzen
eine Leishmaniose wenig wahrscheinlich. Die Manifes-
mehr auf, und der Patient nimmt langsam wieder an
tationsformen von Morbus Still können sehr heterogen
Gewicht zu. Zwei Monate darauf hat er wieder mit
sein, jedoch sind die häufigsten Merkmale tägliche Fie-
Schwimmen begonnen (er schwimmt täglich etwa 1 km)
berspitzen, makulopapuläre Hauteruption, Arthralgien
und hatte keine Fieberzustände mehr.
sowie eine deutliche Ferritinerhöhung [9]. Trotz des
hohen Ferritinwertes von 1863 mcg/l wird diese Diagnose aufgrund fehlender weiterer Merkmale verwor-
Diskussion
fen. Eine Lumbalpunktion ist in diesem Stadium ohne
Die Ätiologie des FUO wird in vier Gruppen eingeteilt:
richtungsweisende Befunde von geringem Nutzen.
Infektionen, systemische Erkrankungen, Neoplasien
Die Riesenzellarteriitis stellt 16 bis 17% der FUO-Fälle
und sonstige Ursachen (Tab. 2). Etwa ein Drittel der Fälle
dar [10] und tritt häufiger bei älteren Patienten auf. Bei
bleibt ohne Diagnose, aber die Prognose ist in diesen
länger anhaltendem Fieber sollte bei FUO-Patienten
Fällen im Allgemeinen gut, und das Fieber bildet sich
über 55 Jahre eine Biopsie der Arteria temporalis durch-
spontan zurück.
geführt werden, selbst wenn keine weiteren Symptome
An erster Stelle ist eine infektiöse Ursache zu prüfen
vorliegen [2]. Bei unserem Patienten mit Arteriitis tem-
(20 bis 30% der FUO-Fälle); die Behandlung ist spezi-
poralis unter Kortikoidtherapie in der Anamnese wird
fisch und im Allgemeinen wirksam [14]. Bestimmte Er-
eine Reaktivierung der Krankheit in Betracht gezogen;
reger von nur sehr langsamem bzw. intrazellulärem
eine erneute Biopsie der Temporalarterie wird aber als
Wachstum sind mit spezifischen Verfahren zu suchen.
unnötig erachtet, da die Diagnose bereits gestellt
Viruserkrankungen kommen selten in Frage, es ist je-
wurde. Nach Ausschluss einer aktiven Infektionser-
doch an das Zytomegalie- und das Epstein-Barr-Virus
krankung werden die Prednisondosen versuchsweise
zu denken.
erhöht, jedoch ohne Auswirkung auf das febrile Krank-
Ein neoplastischer Ursprung (15% der FUO-Fälle) ist
heitsbild.
meistens Folge von Lymphomen, aber auch von Sarko-
Tropheryma whipplei ist ein ubiquitärer Keim, der zu
men oder soliden, in der Regel bereits metastasierten
chronischen Infektionen führen kann. Kaukasische
Tumoren mit entsprechend schlechter Prognose.
Männer sind am häufigsten betroffen (73–87% der Fälle)
Bei einer entzündlichen Ursache ist unter anderem auf
[11]. Angesichts eines Gewichtsverlusts und länger an-
Morbus Horton, Morbus Still bei Erwachsenen und sys-
dauernden Fiebers in Zusammenhang mit einer Im-
temischen Lupus erythematodes zu untersuchen.
munsuppression ist eine Infektion mit Tropheryma
Unter den sonstigen Ursachen ist zunächst das Arznei-
whipplei abzuklären. Solange kein Serumtest verfüg-
mittelfieber zu nennen; aus diesem Grund sollten vor
bar ist, kann die Prüfung auf eine Exposition gegen-
Beginn der Untersuchungen sämtliche Medikamente
über diesem Keim durch eine PCR aus Speichel und
abgesetzt werden (auch Arzneimittel, die bereits ein
Stuhl erfolgen [12, 13].
Jahr vor Auftreten der Symptome eingesetzt worden
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):773–776
WAS IST IHRE DIAGNOSE?
776
Tabelle 2: Häufige Ursachen für Fieber unklarer Genese (FUO). Adaptiert nach [5, 15].
Infektionen (15–30%)
Bakteriell
– Infektiöse Endokarditis
– Extrapulmonale oder disseminierte Tuberkulose
– Abdominalabszess
– Prostatitis
– Zahnabszess
– Brucellose und sonstige systemische Infektionen
durch sehr langsam wachsende Bakterien
Viral
– ZMV
– EBV
Neoplasien (10–30%)
ten: der klassischen Form mit multisystemischer Beteiligung, dem sogenannten Morbus Whipple, und der
lokalisierten Erkrankung. Die erste Form manifestiert
sich gewöhnlich in einer intermittierend auftretenden
Polyarthritis der grossen Gelenke, Gewichtsverlust
und chronischen Diarrhoen. Die Manifestationsart ist
jedoch variabel, und nicht immer sind Symptome am
Verdauungsapparat zu verzeichnen [12]. Ein ungeklärtes, länger andauerndes Fieber, mediastinale bzw. mes-
Parasitär
– Malaria
– Leishmaniose
enteriale Adenopathien und kognitive/neuropsycho-
Hämatologisch
– Lymphom
– Leukämie
insbesondere bei einem immunsupprimierten Patien-
logische Störungen unklaren Ursprungs begründen
ten einen Verdacht auf diese Erkrankung. Die lokalisier-
Solide Tumoren
– Lebermetastasen
– Klarzelliges Nierenkarzinom
– Pankreaskarzinom
ten Infektionen werden überwiegend in Form einer Endokarditis, Uveitis oder Enzephalitis manifest [11, 17].
Der erste Diagnoseschritt besteht in der Untersuchung
Entzündliche Erkrankun- Morbus Still
gen (33–40%)
Systemischer Lupus erythematodes
Arteriitis temporalis
Systemische Vaskulitis
Polymyalgia rheumatica
Entzündliche Darmerkrankung
Sarkoidose
Sonstige (5–14%)
symptomen assoziiert ist. Eine chronische Infektion
mit Tropheryma whipplei kann in zwei Formen auftre-
Arzneimittelfieber
Familiäres Mittelmeerfieber
Vorgetäuschtes Fieber
Lungenembolie / tiefe Venenthrombose
Hyperthyreose
Ohne Diagnose (20–30%)
auf den Keim mittels PCR aus Speichel und Stuhl. Sind
beide Proben positiv, ist Morbus Whipple sehr wahrscheinlich (positiver prädiktiver Wert: 95,2%); sind
beide negativ, kann Morbus Whipple ausgeschlossen
werden (negativer prädiktiver Wert: 100%) [11, 13]. Bei
positiven PCR besteht der zweite Schritt in einer Duodenalbiopsie mit histologischer Analyse (PAS-Reaktion)
und PCR. Eine positive Biopsie bestätigt einen Morbus
Whipple, wohingegen eine negative Biopsie die Diagnostik in Richtung eines asymptomatischen Trägerstatus oder einer chronischen fokalen bzw. multifoka-
waren, können in Betracht kommen). Des Weiteren
sind vorgetäuschtes Fieber (2% der FUO-Fälle, in der
Regel durch Manipulationen am Thermometer oder
Inokulation infizierten Materials) sowie das familiäre
Mittelmeerfieber zu erwägen.
Bei Immunsuppression müssen weitere Erreger berücksichtigt werden. Das Verständnis über die Art der
Korrespondenz:
Coralie Galland-Decker
Immunsuppression (humoral oder zellulär) kann zu
et Matteo Monti
einer zielgerichteteren Suche beitragen.
Service de Médecine Interne
Wenngleich der Platz der 18F-FDG-PET/CT bei der FUO-
Centre hospitalier
universitaire vaudois
Abklärung noch nicht klar definiert ist, belegen Studien,
CH-1011 Lausanne
dass es sich um ein sehr erfolgversprechendes Diagnose-
coralie.galland[at]chuv.ch
werkzeug handelt, das bereits im Frühstadium der Dia-
matteo.monti[at]chuv.ch
Gilbert Greub
Institut de microbiologie
gnosefindung eingesetzt werden kann [16].
Morbus Whipple ist eine Krankheit, an die nicht unbe-
Centre hospitalier
dingt gedacht wird; bei länger anhaltendem Fieber und
universitaire vaudois
ohne Alternativdiagnose ist es aber gerechtfertigt, dar-
et Université de Lausanne
CH-1011 Lausanne
gilbert.greub[at]chuv.ch
aufhin zu untersuchen, insbesondere wenn das Fieber
mit Gewichtsverlust, Arthritis und/oder Abdominal-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):773–776
len Infektion öffnet.
Bei Verdacht auf Morbus Whipple ist grundsätzlich
eine Liquoranalyse mit PCR vorzunehmen, da eine neurologische Beteiligung folgenschwere Auswirkungen
haben kann [18].
Die Behandlung der Wahl besteht in einer Antibiotikatherapie mit Doxicyclin und Hydroxychloroquin; bei
neurologischer Beteiligung wird der Therapie Sulfadiazin (das die Blut-Hirn-Schranke passiert) hinzugefügt.
Antworten:
Frage 1: A, B, D, E. Frage 2: B. Frage 3: A. Frage 4: D
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang
des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.
LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix
Literatur / Références
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FALLBERICHTE
777
Von der Putzwut gepackt
Paraneoplastisches CushingSyndrom
Stefan Zechmann a , Lukas Villiger b , Erwin Grüter c , Anna Ho ffmann d , Jürg H. Beer a , Jo landa Co ntartese a
a
Departement für Innere Medizin; b Konsiliararzt Endokrinologie; c Abteilung für Nephrologie; d Departement für Radiologie, Kantonsspital Baden
Fallbericht
Grad I, ein chronisches zervikales und lumbales Schmerzsyndrom sowie ein persistierender Nikotinabusus (ca. 30
Anamnese
pack years).
Die notfallmässige Einweisung der 68-jährigen, schlan-
Bei Eintritt auf unserer Notfallstation präsentierte sich
ken Patientin (BMI 23,4 kg/m2) erfolgte durch die Söhne,
die Patienin in leicht reduziertem Allgemeinzustand.
die bei ihrer Mutter eine akut aufgetretene Wesensveränderung feststellten. Gewöhnlich reinigte die Patientin
Status
jeden Samstag das Badezimmer. Auch an diesem Wo-
Die schreiende und um sich schlagende Patientin hal-
chenende nahm sie ihre Reinigungsarbeiten in Angriff.
luzinierte aktiv und war örtlich, zeitlich und autopsy-
Plötzlich begann die Patientin unermüdlich den Bade-
chisch desorientiert, bei fehlenden Hinweisen für fokal
zimmerboden zu schrubben, bis ihre Finger blutig wa-
neurologische Ausfälle. Die Vitalparameter waren bis
ren. Der Ehemann konnte die von der Putzwut gepackte
auf den erhöhten Blutdruck (200/90 mm Hg) normal.
Patientin bei der Reinigungsarbeit nicht mehr stoppen
Auffallend waren die blutigen, abgebrochenen Finger-
und musste seine Söhne zur Hilfe rufen.
nägel, die massiv zerkratzten Hände, subkutane Häma-
Anamnestisch war keine psychische Erkrankung be-
tome an allen Extremitäten und am Abdomen sowie
kannt. Es bestand eine arterielle Hypertonie, eine PAVK
eine hyperpigmentierte Operationsnarbe. Der übrige
internistische Status war unauffällig. Die bei Spitaleintritt auffälligen Laborbefunde sind der Tabelle 1 zu entnehmen, und das toxikologische Screening war negativ. Das Schädel-CT und -MRI (inklusive Hypophyse), die
Lumbalpunktion und das Elektroenzephalogramm (EEG)
waren ebenfalls nicht richtungsweisend.
Aufgrund der konsequenten Analyse der Differentialdiagnose eines Delirs, der Klinik und Laborkonstellation
dachten wir auch an ein Cushing-Syndrom. Der Cortisolwert war sowohl im Serum (4600 nmol/l) als auch im
Urin (10 372 nmol/l) deutlich erhöht (8× respektive 40×
über der Norm). Ein low-dose-Dexamethason-Hemmtest
mit 1 mg zeigte keine relevante Suppression. Das ACTH
(adrenocortikotropes Hormon) war erhöht (44,4 pmol/l;
Normwert: 2,2–10,5 pmol/l). Der Aldosteron/Renin-QuoTabelle 1: Eintrittslabor (auffällige Befunde).
Abbildung 1: Konventionelles Röntgen-Thorax liegend am Eintrittstag mit polyzyklisch
imponierendem linken Hilus (Pfeil).
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):777–779
Normalwerte
Eintrittswerte
Kalium
3,5–4,8 mmol/l
2,5 ↓↓
Glucose
3,1–6,4 mmol/l
9,4 ↑
γ-GT
5–39 U/l
189 ↑
LDH
240–280 U/l
879 ↑↑
Leukozyten
3,7–11,2 Tsd/μl
15,3 ↑
Der Fall wurde teilweise präsentiert und publiziert in Abstract-Form:
82. Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin 2014,
Genf, Schweiz, Poster P548.
FALLBERICHTE
778
Abbildung 2: CT Abdomen i.v. KM: Die Leber normal gross, jedoch mit multiplen unscharf berandeten hypodensen Läsionen
(Pfeile), die grösste 1,3 cm.
tient war normwertig. Ein Thorax-Röntgenbild zeigte
mehr ist das Delir oft ein Frühwarnsymptom für eine
diskrete Hinweise für eine COPD sowie eine linksseitige
akute und ernste Erkrankung. Die Differentialdiagnose
Hilusvergrösserung (Abb. 1). Im CT-Thorax/Abdomen
somatischer Ursachen ist breit, und die Durchführung
konnten noduläre Auftreibungen beider Nebennieren,
diagnostischer Abklärungen gestaltet sich aufgrund
eine mediastinale Lymphadenopathie und multiple hy-
der Unruhe und Aggressivität oftmals sehr schwierig.
podense Leberläsionen nachgewiesen werden (Abb. 2
Trotzdem oder gerade deshalb gilt es, die differential-
und 3). Die Feinnadelpunktion der Leberläsionen ergab
diagnostischen Überlegungen systematisch durchzu-
Metastasen eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms.
führen. Der klinische Verlauf mit akutem Delir, therapieresistenter Hypokaliämie, hypertensiver Entgleisung
Verlauf
und Hyperglykämie zusammen mit den radiologischen
Im Verlauf trat ein septischer Schock mit Streptococcus
Befunden sowie dem schnell ansteigenden Cortisol-
bovis- und Escherichia coli-Bakteriämie auf. Nach einer
spiegel liess ein rasch «explodierendes» paraneoplasti-
passageren klinischen Verbesserung unter empirischer
sches Cushing-Syndrom bei kleinzelligem Bronchialkar-
Antibiotikatherapie kam es zu einem Multiorganver-
zinom vermuten.
sagen. Aufgrund der infausten Prognose wurde mit den
Um ein Cushing-Syndrom zu diagnostizieren, bedarf es
Angehörigen ein konservatives Vorgehen besprochen,
angesichts solch hoher Cortisolwerte im Serum und
und die intensivmedizinischen Massnahmen wurden
Urin bei passender Klinik kaum weiterer diagnostischer
nicht weiter ausgebaut. Die Patientin verstarb kurze
Schritte. Bei erhöhten Cortisolwerten durch Stress, De-
Zeit später. Eine Autopsie wurde abgelehnt.
pression oder Alkohol (sogenannter Pseudo-Cushing)
steigen die Werte üblicherweise nicht über das Dreibis Vierfache der oberen Norm an.
Diskussion
Chronische Effekte des Hypercortisolismus wie zum
Das Delir mit seinem plötzlichen Beginn und fluk-
Beispiel proximale Muskelatrophie fehlten bei unserer
tuierendem Verlauf stellt keineswegs nur eine lästige
Patientin. Es zeigte sich lediglich eine beidseitige knotige
Begleiterscheinung anderer Krankheitsbilder dar, viel-
Nebennierenhyperplasie. Das metastasierende Bron-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):777–779
FALLBERICHTE
779
Korrespondenz:
Dr. med. univ.
Stefan Zechmann
Klinik und Poliklinik für
Innere Medizin
Universitätsspital Zürich
Ch-8091 Zürich
stefan.zechmann[at]usz.ch
Abbildung 3: CT Abdomen i.v. KM: Die Nebennieren imponieren beidseits etwas verklumpt. Auf der linken Seite (Pfeil) im
Bereich des nodulär aufgetriebenen ventralen Schenkels beträgt die mittlere HU (Hounsfield Units) nativ 28, in der portalvenösen Phase 97 sowie in der Spätphase 47 HU. Es ergibt sich ein Washout von 72%, was für das Vorliegen eines Nebennierenadenoms spricht.
chialkarzinom, gepaart mit hauptsächlich akuten und
nur wenigen chronischen cortisolbedingten Veränderungen, spricht für ein akutes Aufflammen der paraneoplastischen endokrinen Aktivität.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen
Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
Schlussfolgerungen für die Praxis
2
Zweifelsohne stellt die Versorgung akut verwirrter Patienten im hektischen
3
klinischen Alltag für das betreuende Pflege- und Ärzteteam eine grosse
Herausforderung dar, und der diensttuende Arzt wird oft unter Druck gesetzt, zügig zu handeln. Trotzdem gilt es, die breite Differentialdiagnose
des Delirs auch unter erschwerten Bedingungen zu meistern, und manchmal wird man dafür mit einer internistischen Perle belohnt.
Wenn Sie also das nächste Mal vor einem verwirrten Patienten stehen, denken Sie an die Differentialdiagnose des Delirs. Dieser eindrückliche klinische
Fall beschreibt ein klassisches paraneoplastisches Syndrom. Die durchgeführten Abklärungsschritte betreffend Cushing-Syndrom wurden dargelegt.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
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FALLBERICHTE
780
Une entité très rare
Diverticule de Meckel perforé
par une arête de poisson
Anne-Christine Jobin, Lukas Briner, Jean-Jacques Brugger, Marc Worret h
Service de chirurgie générale, Hôpital de Pourtalès, Neuchâtel
Présentation de cas
Intervention
Patient de 58 ans, en bonne santé habituelle, sans anté-
La laparoscopie exploratrice est effectuée de manière
cédents de chirurgie abdominale, qui consulte aux ur-
ouverte via un trocart optique de 10 mm en hémi-
gences en raison de douleurs crampiformes de l’hémi-
abdomen gauche. Deux trocarts de travail complémen-
abdomen inférieur depuis 2 jours, associées à un état
taires sont utilisés, de 5 mm en sus-pubien et de 5 mm
fébrile. Il n’a pas de nausées ni vomissements et son
en fosse iliaque gauche. A l’entrée de la cavité ab-
transit est sans particularités. Le patient mentionne
dominale, après libération de quelques adhérences, on
l’ingestion de poisson (dorade) il y a 3 jours.
constate un appendice normal et on met en évidence un
L’examen clinique montre un abdomen douloureux
diverticule de Meckel à 50 cm de la valvule de Bauhin,
en périombilical et en fosse iliaque droite, avec une
hyperémié, d’aspect inflammatoire, avec perforation à
défense localisée, sans détente. Le patient est fébrile à
sa pointe (fig. 2) par un corps étranger pointu, se révé-
38 °C.
lant être une arête de poisson de 3 cm de long (fig. 3).
Au laboratoire, présence d’une leucocytose à 15 G/l et
Au vu de l’inflammation et perforation du diverticule
une CRP à 72 mg/l. Le reste du laboratoire est sans par-
de Meckel, une conversion en mini-laparotomie sous-
ticularités. Un CT abdominal (fig. 1) est alors effectué,
ombilicale est effectuée. Une résection grêle segmen-
parlant en faveur d’un corps étranger linéaire siégeant
taire emportant le diverticule de Meckel est réalisée au
au niveau d’une anse iléale associé à un épaississement
moyen d’une agrafeuse (GIA 80 mm) avec anastomose
d’allure inflammatoire en regard, avec présence d’air ex-
latéro-latérale isopéristaltique mécanique. Une antibio-
tra-digestif compatible avec une perforation couverte.
prophylaxie peropératoire a été donnée (amoxicilline-
L’indication à une laparoscopie exploratrice est alors
clavulanate) en dose unique.
posée.
Les suites post-opératoires sont marquées par un iléus
traité avec succès par un traitement conservateur,
ainsi qu’un abcès de paroi qui a nécessité un débridement au bloc opératoire. Le patient a pu regagner son
domicile 10 jours après l’intervention.
L’examen anatomo-pathologique montre un segment
de paroi intestinale grêle diverticulaire avec microfoyer d’inflammation aiguë abcédante de la muqueuse
et sous-muqueuse. Il n’a pas été retrouvé de muqueuse
hétérotopique ni de signes de malignité.
Discussion
Le diverticule de Meckel a été décrit pour la première
fois en 1598 par Fabricius Hildanus, un chirurgien allemand, puis nommé plus tard par l’anatomiste allemand
Johann Friedrich Meckel en 1809. Dans la littérature, la
perforation du diverticule de Meckel par un corps
étranger est une entité rare. Pour rappel, le diverticule
de Meckel est une anomalie congénitale résultant
Figure 1: Scanner abdominal natif, coupe axiale: arête de poisson dans le diverticule
de Meckel (flèche).
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):780–781
d’une oblitération incomplète du canal vitellin ou
omphalomésentérique dans la 5e semaine de gestation,
FALLBERICHTE
781
tions liées au diverticule de Meckel [3]. L’occlusion intestinale est la présentation la plus fréquente du diverticule de Meckel chez l’adulte. La diverticulite de Meckel
représente 20% des Meckel symptomatiques associée à
une clinique mimant une appendicite aiguë.
Par contre, la perforation du diverticule de Meckel est
une entité très rare, responsable d’environ 0,5% des
diverticules de Meckel symptomatiques.
Un faible pourcentage de corps étrangers ingérés peut
causer une perforation intestinale menant à un abdomen aigu, notamment des cure-dents, des arêtes de
poisson ou des os de poulet.
Le diagnostic de perforation d’un diverticule de Meckel
par un corps étranger est extrêmement rare. Le mécaFigure 2: Perforation à la pointe du diverticule de Meckel (flèche).
nisme de perforation est une combinaison entre l’inflammation locale créée par le corps étranger, la nécrose de la paroi ainsi qu’au péristaltisme poussant le
corps étranger au fond du diverticule. La perforation
du diverticule de Meckel reste un diagnostic différentiel de la douleur localisée en fosse iliaque droite. La
perforation due à une arête de poisson est une complication très rare et peut avoir des conséquences fatales
si elle n’est pas reconnue à temps [4].
Dans les cas reportés dans la littérature, le diagnostic
de perforation du diverticule de Meckel par un corps
étranger est fait uniquement après chirurgie pour suspicion d’appendicite, d’où l’importance des examens
complémentaires notamment le CT scan dans le bilan
Figure 3: L’arête de poisson une fois extraite (flèche) de la pointe du diverticule
de Meckel.
de l’abdomen aigu.
Enfin, l’arête de poisson est la cause la plus fréquente
de perforation du diverticule de Meckel.
touchant 2% de la population [1]. Le rapport hommes/
femmes est de 3 : 1 [2]. Il s’agit d’un diverticule vrai,
composé de toutes les couches de la paroi intestinale
normale se situant sur le bord antimésentérique de
l’iléon terminal. Sa localisation peut varier, mais il se
trouve en général au niveau de l’iléon, dans les derniers 100 cm par rapport à la valve iléo-caecale.
Remerciements
Nous remercions le Dr Sofiane Derrouis (titre FMH radiologie) pour sa
participation aux images scannographiques.
Disclosure statement
Les auteurs n’ont déclaré aucun lien financier ou personnel en rapport
avec cet article.
Références
1
Les complications les plus fréquentes liées au divertiCorrespondance:
cule de Meckel sont l’hémorragie liée à la présence de
Dr Marc Worreth
muqueuse hétérotopique, notamment gastrique, duo-
Médecin-chef du département de chirurgie
dénale ou pancréatique, l’occlusion intestinale, la diver-
Hôpital neuchâtelois HNE
ticulite, l’invagination et la néoplasie. L’hémorragie est
Rue de la Maladière 45
CH-2000 Neuchâtel
Marc.Worreth[at]h-ne.ch
la présentation la plus fréquente touchant les enfants
de moins de 18 ans, représentant 50% des complica-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):780–781
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LESERBRIEFE
782
Leserbriefe
Drei Fragen
Leserbrief zu Leuppi J, Ott SR, COPD-Exazerbationen.
Schweiz Med Forum 2015;15(27–28):654–657.
Liebe Kollegen
Ich habe heute mit Interesse Ihren Artikel im
SMF-Themenheft COPD gelesen, und für mich
bleiben drei Fragen zurück:
1. Als Radiologe bekomme ich ständig Thoraxaufnahmen mit Frage nach «Pneumonie» von
Patienten mit COPD-Exazerbation zu Gesicht.
Dabei lese ich in der Untersuchungsanmeldung
bereits vor jeder weiterführenden Diagnostik
regelmässig die Diagnose «infektexazerbierte
COPD». Werden sonstige, nichtinfektiöse Ursachen im klinischen Alltag unterschätzt?
2. In dem Artikel ist die Thoraxaufnahme nirgends erwähnt. Hat sie aus Ihrer Sicht überhaupt irgendeine Bedeutung bezüglich Therapiewahl (Hinweise auf bakterielle Pneumonie?
Antibiose?) oder zur Beurteilung des Schweregrades? Oder dient sie nur der Beschäftigung
des Radiologen?
3. Es werden Laborkriterien (CRP, Leukozyten,
Procalcitonin) erwähnt, die eventuell Kandidaten für eine Antibiotikagabe identifizieren
könnten. In den abschliessenden Empfehlungen sind diese Werte (insbesondere das Procalcitonin, das mir doch relativ gut geeignet
erscheint) dann aber nicht mehr berücksichtigt. Sind die Labormediziner hier im Grunde
auch überflüssig?
Freundliche Grüsse und im Voraus Dank für
Ihre Antwort
Fabian Hässler
Korrespondenz:
Dr. Fabian Hässler
Differentialdiagnosen wie kardiales Lungenödem oder (Spontan-)Pneumothorax auszuschliessen oder zu bestätigen.
Nicht-infektiöse Ursachen einer COPD-Exazerbation können zum Beispiel Lungenembolien sein. Die kürzlich erschienene Arbeit von
Shapira-Rootman M et al. [1] zeigte eine Lungenembolieprävalenz von 18% bei Patienten
mit COPD-Exazerbationen. Radiologische Untersuchungen wie die konventionelle Röntgenaufnahme für den Ausschluss einer Pneumonie oder CT-Untersuchung des Thorax zum
Ausschluss von Lungenembolien sind unerlässliche Untersuchungen, die wir aber nicht
detailliert in unserem Artikel diskutiert haben.
Wir sehen die radiologischen Untersuchungen
zur weiteren differentialdiagnostischen Abgrenzung; zur Beurteilung des COPD-Schweregrads braucht es primär lungenfunktionelle
Untersuchungen. Neben Infektionen zählt
auch die Luftverschmutzung, insbesondere
mit Feinstaub, zu den Hauptursachen von
COPD-Exazerbationen. Laboruntersuchungen
wie das CRP oder Procalcitonin helfen uns in
der Entscheidung, ob ein Antibiotikum bei
einer COPD-Exazerbation zusätzlich eingesetzt
werden soll. Dementsprechend macht es Sinn,
diese Laboruntersuchungen auch durchzuführen.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. S. Ott, Bern; Prof. Dr. J. Leuppi, Liestal
Literatur
1
Shapira-Rootman M, Beckerman M, Soimu U,
Nachtigal A, Zeina AR. The prevalence of pulmonary
embolism among patients suffering from acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease.
Emerg Radiol. 2015 Jun;22(3):257–60.
Ltd. Arzt Radiologie und Nuklearmedizin
Kantonsspital Schaffhausen
fabian.haessler[at]spitaeler-sh.ch
Replik
Lieber Herr Kollege Hässler
Vielen Dank für Ihre Anregungen zu unserem
Artikel über Management von COPD-Exazerbationen.
Bei Patienten mit und ohne Fieber sowie deutlich erhöhtem CRP muss differentialdiagnostisch eine Pneumonie ausgeschlossen werden,
da dies therapeutische Konsequenzen hat.
Eine reine COPD-Exazerbation braucht nicht
in jedem Fall eine Antibiotikatherapie. Somit
kommt man oft nicht um eine Thoraxröntgenaufnahme herum. Ferner kann eine Thoraxröntgenaufnahme auch helfen, wichtige
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2015;15(35):782
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