NET

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Kontrollierte Therapieevaluation der Narrativen
Expositionstherapie (NET) im Vergleich zu
Stress-Impfungs-Training (SIT) bei posttraumatischer
Belastungsstörung in Folge organisierter Gewalt
Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades
„Doctor rerum naturalium“
im Fachbereich Psychologie,
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion,
Universität Konstanz
vorgelegt von
Diplom-Psychologin Dorothea Hensel-Dittmann
Konstanz, im Dezember 2007
Tag der mündlichen Prüfung: 6. März 2008
1. Referent: Prof. Dr. Thomas Elbert
2. Referent: Prof. Dr. Frank Neuner
Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS)
URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2008/5262/
URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-52629
Mein Dank geht an all diejenigen, die mein Projekt „Doktorarbeit“ in vielerlei
Hinsicht unterstützt haben:
Thomas Elbert für Deine Betreuung, Deine stets offene Bürotür, konstruktive Rückmeldungen, Deinen unerschütterlichen Optimismus trotz der oft schweren
Arbeit im Bereich Trauma und vor allem auch Dein persönliches Engagement
in meiner Therapiestudie.
Frank Neuner zunächst für Dein Angebot, überhaupt bei Euch im Trauma-Team
mitzuarbeiten (beim Mittagessen in der ZPR-Kantine)! Dann für Deine durchgehende Hilfsbereitschaft bezüglich inhaltlicher, methodischer und statistischer Fragen und nicht zuletzt für Deine eigene engagierte Mitarbeit in meiner Studie.
Alle Patientinnen und Patienten, die an meiner Studie teilnahmen, deren ehrenamtliche BegleiterInnen sowie die beteiligten DolmetscherInnen.
Das Team der Psychologischen Ambulanz für Flüchtlinge: Eurem besonderen Engagement als TherapeutInnen, DiagnostikerInnen, OrganisatorInnen (Heike!)
und vor allem stets unterstützenden KollegInnen ist es zu verdanken, dass
meine Studie überhaupt durchführbar war! Dank an Maggie Schauer, Martina Ruf, Claudia Catani, Silke Gotthardt, Britta Balliel, Michael Odenwald, Patience Onyut, Jens Borgelt, Dana Bichescu-Burian, Nadja Jacob,
Elisabeth Schauer, Maria Roth, Heike Riedke, Brigitte Rockstroh, Iris Kolassa, Susanne Schaal, Franka Glöckner, Cindy Eckardt, Anne Kolb, Anna
Halisch, Nina Winkler, Kay-Debora Lehmann, Hannah Adenauer, Hannah
Aichinger und Tobias Schmitt (besonderen Dank für Deinen Einsatz in der
Türkei!).
Katalin Dohrmann für’s gegenseitige Mitfiebern beim jeweiligen Projekt „Doktorarbeit“, für’s Korrektur- und inhaltliche Lesen meiner Texte mit kritischen,
konstruktiven Rückmeldungen, Dein stets offenes Ohr für mehr oder weniger
„banale“ Fragen und jede Menge Pausen mit Ovo und Co., in denen (entgegen möglicher anderer Eindrücke) oft genug auch über unser Doktorarbeiten
diskutiert wurde. ;)
4
Sandra Janzen als wichtiges Vorbild, indem Du mir vorgelebt hat, dass man Doktorarbeit und Therapieausbildung parallel bewältigen kann, und für Deine
sonstige Unterstützung in verschiedenerlei Hinsicht.
Daniela Djundja für das Versüßen des Arbeitslebens durch diverse lustige Pausen, Schokolade und unsere Doktorandinnen-Solidargemeinschaft (große Lücke,
als Du weg warst!).
Kristin Bohn als allererste Diskussionspartnerin hinsichtlich der Frage, ob ich eine Doktorarbeit überhaupt in Angriff nehmen soll (damals in der Seekuh),
für Deine durchgehende Ermutigung und Unterstützung. Und überhaupt:
„Kuck mal, ’n Eichhörnchen!“
Dani Fromm für Deine ungebrochen gnadenlosen und hochpräsizen Korrekturen
meiner „inhaltlich fiesen, aber immerhin nicht langweiligen“ Arbeit. :)
Sabine Vogt für’s blitzschnelle Korrekturlesen in letzter Minute!
Niko Dittmann für Dein durchgehendes Interesse an meiner Arbeit, Deine umfangreiche technische und vor allem menschliche Unterstützung und liebevolle Ermutigung die ganze Zeit über (vor allem am Tag vor dem Drucken...).
Ole Dittmann für Deine erfrischende Unwissenschaftlichkeit und die tägliche Erinnerung an das, was wirklich wichtig ist (regelmäßige, ausreichende Mahlzeiten, Kuscheln und jede Menge Schlaf!).
Meine weitere Familie, insbesondere Euch, meine lieben Eltern, die Ihr die Entstehung meiner Doktorarbeit stets mit Interesse begleitet habt. Speziell möchte
ich Dir, Mama, dafür danken, dass Du meine Arbeit sogar „freiwillig“ gelesen hast und dabei nebenher noch den einen oder anderen Fehler korrigieren
konntest. :)
5
Zusammenfassung
Das wiederholte Erleben von Gewalt führt in vielen Fällen zur Entwicklung
einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland sind häufig aufgrund von Erfahrungen organisierter
Gewalt aus ihren Herkunftsländern geflohen und weisen hohe PTSD-Raten
auf. Psychologische Behandlungsmöglichkeiten für diese Personengruppe sind
bislang kaum erforscht worden – vor allem fehlen systematische Vergleiche
verschiedener aktiver Therapiemethoden.
In der vorliegenden Arbeit wird eine randomisierte kontrollierte Vergleichsstudie zweier Therapieverfahren zur Behandlung von PTSD nach organisierter
Gewalt vorgestellt. Die Studie wurde in Deutschland durchgeführt. Die Stichprobe umfasste größtenteils Asylbewerber, die aufgrund von Gewalterlebnissen aus ihren Herkunftsländern geflüchtet waren. Sie hatten zumeist einen
unsicheren Aufenthaltsstatus für Deutschland inne. Einige wenige Probanden
waren ehemalige DDR-Bürger mit Erlebnissen organisierter Gewalt. Es wurden 28 Personen mit PTSD einander nach Geschlecht und Herkunft paarweise
zugeordnet und zufällig auf die zwei Therapiebedingungen aufgeteilt. Sie erhielten je 10 Sitzungen „Narrative Expositionstherapie“ (NET) oder „StressImpfungs-Training“ (SIT). Standardisierte diagnostische Interviews wurden
vor der Behandlung sowie 4 Wochen, 6 Monate und ein Jahr nach Therapieende durchgeführt. Vor der Therapie litten alle Patienten komorbid zur PTSD an
einer affektiven Störung (82 % Major Depression, 18 % Dysthymia).
Die PTSD-Häufigkeit nahm in der Gesamtstichprobe über die Zeit hinweg signifikant ab. Für die beiden Therapiebedingungen war dies jedoch einzeln betrachtet jeweils nicht der Fall. Bezüglich des PTSD-Schweregrades trat eine
signifikante Reduktion zwischen dem Zeitpunkt der Erstdiagnostik und der 6Monats-Nachuntersuchung über beide Bedingungen hinweg auf. Bei getrennter Betrachtung der beiden Behandlungsgruppen zeigte sich eine signifikante
Reduktion der PTSD-Symptomatik jedoch lediglich für NET, nicht für SIT. Die
Symptomreduktion in der NET-Gruppe trat zwischen dem Zeitpunkt der Erstdiagnostik und der 6-Monats-Nachuntersuchung auf, die Effektstärke betrug
d = 1,43 (für SIT: d = 0,12). Es bestand hinsichtlich des PTSD-Schweregrades
zu keinem Untersuchungszeitpunkt ein signifikanter Unterschied zwischen
den beiden Gruppen. Für die Häufigkeit von Major Depression und anderen
komorbiden Störungen ergab sich in keiner der beiden Therapiebedingungen
eine signifikante Reduktion. Auch der Depressivitätsschweregrad veränderte
sich über die Zeit hinweg nicht signifikant.
Die Befunde zeigen, dass Expositionsverfahren wie die Narrative Expositionstherapie auch bei Flüchtlingen und Asylbewerbern mit größtenteils unsicherem Aufenthaltsstatus zu signifikanten Verbesserungen der PTSD-Symptomatik führen. Vermutlich hat dieser unsichere Status jedoch eine erfolgreiche Behandlung komorbider Erkrankungen erschwert.
7
Abstract
The repeated experience of violence has been shown to lead to the development of post-traumatic stress disorder (PTSD) in many cases. Refugees and
asylum seekers in Germany have often fled from their countries of origin because of organized violence. They tend to show high rates of PTSD. To date,
little research has been done on psychological treatments for this population.
More specifically, there is a lack of systematic comparisons of different active
treatments.
The current thesis describes a randomized controlled clinical trial comparing
two treatments for post-traumatic stress disorder (PTSD) as a consequence of
organized violence. The study was conducted in Germany. The sample mainly
consisted of asylum seekers who had fled from their countries of origin after
having experienced violence. Most of them had an insecure legal status of residency in Germany. Some subjects were former German Democratic Republic residents who had experienced organized violence. Twenty-eight persons
were matched pairwise according to sex and origin and were randomly allocated to one of the two treatments. They received 10 treatment sessions of
either „Narrative Exposure Therapy“ (NET) or „Stress Inoculation Training“
(SIT). Standardized diagnostic interviews were conducted before treatment
and 4 weeks, 6 months and one year after the end of treatment. All participants suffered from a comorbid mood disorder before the start of treatment
(82 % major depression, 18 % dysthymia).
The whole sample showed a significant reduction in PTSD rate over time at
the six-months follow-up examination, but this was not the case when the
two treatment groups were analysed separately. PTSD symptom severity decreased significantly across both treatment groups between the pretest and
the six-months follow-up examination. However, regarding the two treatment
groups separately, a significant reduction in PTSD severity was found for NET,
but not for SIT. The symptom reduction in the NET group occurred between
pretest and six-months follow-up examination, the effect size being d = 1.43
(for SIT: d = 0.12). There was no significant difference between NET and SIT
regarding PTSD severity at any assessment point. The rates of major depression and other comorbid disorders did not decrease significantly over time in
either of the two treatment groups. The scores of depressive symptoms also
did not show a significant reduction over time.
The results indicate that exposure treatments like Narrative Exposure Therapy
lead to a significant PTSD symptom reduction even in refugees and asylum
seekers with mainly insecure asylum status. However, this status might have
hindered successful treatment of comorbid disorders.
9
Inhaltsverzeichnis
1
Theorie
21
1.1
Organisierte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1.1.1
Definition „Gewalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1.1.2
Definition „Organisierte Gewalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
1.1.3
Zahlen und Fakten zu organisierter Gewalt
. . . . . . . . . .
25
Beispiele organisierter Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
1.2.1
Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
1.2.2
Serbien und Montenegro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Flüchtlinge in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
1.3.1
Definition „Flüchtling“ nach der Genfer Konvention . . . . .
31
1.3.2
Zahlen zu Flüchtlingen in Deutschland . . . . . . . . . . . . .
32
1.3.3
Rechtliche Situation von Asylbewerbern . . . . . . . . . . . .
33
Psychische Folgen organisierter Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1.4.1
Posttraumatische Belastungsstörung
. . . . . . . . . . . . . .
39
1.4.2
Psychische Störungen komorbid zu einer PTSD . . . . . . . .
57
1.4.3
Weitere mögliche psychische Folgen organisierter Gewalt . .
69
1.4.4
Besonderheiten bei Asylbewerbern und Flüchtlingen . . . . .
71
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung . . . . . . . . . .
79
1.5.1
Kontroverse Therapieansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
1.5.2
Therapie mit Exposition als festem Bestandteil . . . . . . . . .
81
1.5.3
Therapie ohne bzw. mit fakultativem Expositionsanteil . . . .
96
1.5.4
Therapie der PTSD bei Asylbewerbern und Flüchtlingen . . . 104
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
2
Zusammenfassung und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Methoden
115
2.1
Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.2
Versuchspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.2.1
Rekrutierung der Versuchspersonen . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.2.2
Ausschluss- und Aufnahmekriterien . . . . . . . . . . . . . . . 116
2.2.3
Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
2.3
Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
2.4
Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
2.5
Ablauf der Therapiestudie
2.6
Diagnostische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
2.6.1
Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
2.6.2
Die Magnetenzephalographie-Messung (MEG)
11
. . . . . . . . 132
3
2.7
Durchführung der Narrativen Expositionstherapie . . . . . . . . . . . 132
2.8
Durchführung des Stress-Impfungs-Trainings . . . . . . . . . . . . . . 133
2.9
Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Ergebnisse
3.1
3.2
3.3
Zusammenhang versch. Faktoren mit PTSD und Depressivität . . . . 137
3.1.1
Zusammenhang CAPS-Score und andere Faktoren . . . . . . 137
3.1.2
Zusammenhang HAM-D-Score und andere Faktoren . . . . . 137
Posttraumatische Belastungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
3.2.1
Verzögerter Beginn und Chronizität . . . . . . . . . . . . . . . 138
3.2.2
Häufigkeit der Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
3.2.3
Veränderung des Symptom-Scores im Fragebogen CAPS . . . 140
3.2.4
Funktionsbeeinträchtigung durch die PTSD-Symptomatik . . 145
3.2.5
Begleitsymptome im Fragebogen CAPS . . . . . . . . . . . . . 147
Affektive Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
3.3.1
Häufigkeit affektiver Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
3.3.2
Veränderung des Symptom-Scores in der HAM-D
3.3.3
Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
. . . . . . 152
3.4
Zusammenhang PTSD und Depressivität . . . . . . . . . . . . . . . . 157
3.5
Weitere komorbide Störungen
3.6
4
137
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
3.5.1
Psychische Störungen bei der Erstuntersuchung . . . . . . . . 158
3.5.2
Psychische Störungen bei der Nachuntersuchung . . . . . . . 159
Therapieabbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Diskussion
4.1
4.2
4.3
4.4
165
Zusammenhang versch. Faktoren mit PTSD und Depressivität . . . . 165
4.1.1
Zusammenhang CAPS-Score und andere Faktoren . . . . . . 165
4.1.2
Zusammenhang HAM-D-Score und andere Faktoren . . . . . 167
Posttraumatische Belastungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
4.2.1
Häufigkeit der Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
4.2.2
Veränderung des Symptom-Scores im Fragebogen CAPS . . . 169
4.2.3
Funktionsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
4.2.4
Begleitsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
4.3.1
Häufigkeit der Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
4.3.2
Veränderung des Symptom-Scores in der HAM-D
4.3.3
Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
. . . . . . 178
Zusammenhang PTSD – Depressivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
12
4.5
Weitere komorbide Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
4.5.1
Häufigkeit von Angst- und Zwangsstörungen . . . . . . . . . 183
4.5.2
Häufigkeit von Substanzmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . 185
4.5.3
Häufigkeit psychotischer Störungen . . . . . . . . . . . . . . . 185
4.5.4
Veränderung der Raten komorbider Störungen . . . . . . . . . 186
4.6
Therapieabbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
4.7
Einschränkungen der Studie
4.8
4.9
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
4.7.1
Länge der Therapiesitzungen in den beiden Bedingungen . . 188
4.7.2
Stichprobengröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
4.7.3
„Blindheit“ der Interviewer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
4.7.4
Arbeit mit Dolmetschern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Stärken der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
4.8.1
Vergleich zweier aktiver Behandlungsverfahren . . . . . . . . 192
4.8.2
Abgrenzung der Verfahren hinsichtlich Exposition . . . . . . 192
4.8.3
Einbeziehung einer stark belasteten Stichprobe . . . . . . . . . 192
4.8.4
Durchführbarkeit und Erfolg von Exposition . . . . . . . . . . 193
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Literatur
199
Anhang
221
13
Tabellenverzeichnis
1
Beschreibung der Stichprobe
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
2
Medikamenteneinnahme bei Erstuntersuchung
3
Foltermethoden nach Häufigkeit (Gesamtstichprobe) . . . . . . . . . 123
4
Foltermethoden für NET und SIT getrennt
5
CAPS-Scores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
6
Funktionsbeeinträchtigung CAPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
7
Begleitsymptome CAPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
8
HAM-D-Scores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
9
Suizidrisiko nach M.I.N.I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
10
Korrelationen CAPS- und HAM-D-Scores . . . . . . . . . . . . . . . . 157
11
Störungen komorbid zur PTSD (ohne affektive Störungen) . . . . . . 160
15
. . . . . . . . . . . . 122
. . . . . . . . . . . . . . . 124
Abbildungsverzeichnis
1
Herkunft der Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2
Familienstand der Probanden und Anzahl Kinder . . . . . . . . . . . 119
3
Aufenthalts-/Asylstatus der Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4
Flussdiagramm Therapiestudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
5
Häufigkeit PTSD-Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
6
CAPS-Scores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
7
CAPS-Scores der einzelnen Symptomgruppen . . . . . . . . . . . . . 144
8
Funktionsbeeinträchtigung CAPS
9
Begleitsymptome CAPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
10
Schuldgefühle und Dissoziationssymptome CAPS . . . . . . . . . . . 150
11
Häufigkeit Depressionsdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
12
HAM-D-Scores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
13
Rate hohen Suizidrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
14
Zusammenhang CAPS- und HAM-D-Scores Gesamtstichprobe . . . 158
15
Raten von Störungen komorbid zur PTSD (Erstdiagnostik) . . . . . . 161
16
Raten von Störungen komorbid zur PTSD (6-Monats-Nachunters.) . 162
17
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Anmerkungen:
In dieser Arbeit werden zugunsten der besseren Lesbarkeit anstelle von
männlichen und weiblichen Begriffen wie „KlientInnen“ und „TherapeutInnen“ usw. zumeist lediglich die maskulinen Bezeichnungen „Klienten“, „Therapeuten“ etc. verwendet. Sollte es nicht explizit anders gekennzeichnet sein,
beziehen sich die Aussagen jedoch auf beide Geschlechter.
Des Weiteren wird in der vorliegenden Arbeit anstelle der deutschen Abkürzung für posttraumatische Belastungsstörung „PTBS“ die gängigere englische
Abkürzung „PTSD“ (posttraumatic stress disorder) verwendet.
19
1
1
THEORIE
Theorie
„Das 20. Jahrhundert wird in die Geschichte als ein Jahrhundert der
Gewalt eingehen. Es hinterlässt uns das Massenvernichtungserbe einer
Gewalt in noch nie da gewesenem Ausmaß, einer Gewalt, wie sie in
der Geschichte der Menschheit bis dahin nicht möglich gewesen war.“
(Nelson Mandela, „Weltbericht Gewalt und Gesundheit - Zusammenfassung“, Weltgesundheitsorganisation WHO, Seite V, 2003)
Betrachtet man den Verlauf der Geschichte bis hin zu den aktuellen Medienberichten, entsteht der Eindruck, dass die Menschheit nicht auf Gewalt verzichten kann
oder will. Täglich findet man neue Meldungen über zivile Gewalt in Form von
Kindesmissbrauch, Gewalt an den Schulen, in Familien usw., aber auch über organisierte Gewalt in Form von Kriegen, Folter und terroristischen Aktivitäten. So
wurden etwa am 19. Mai 2007 bei einem Selbstmordattentat auf einem belebten
Markt in der nordafghanischen Stadt Kundus elf Menschen getötet, darunter drei
deutsche Soldaten der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf. Zudem wurden fünf weitere Bundeswehrsoldaten und 16 Afghanen verletzt (Tagesschau vom
19.5.2007).
Ob die psychischen Reaktionen auf Gewalt im Verlauf der Menschheitsgeschichte dieselben waren, die man heute kennt, oder ob sie sich im Laufe der Zeit
verändert haben, lässt sich nicht rekonstruieren. Es existieren lediglich einzelne Dokumente, die dieses Thema aufgreifen. Beispielsweise finden sich einige Beschreibungen von Reaktionen auf drohende oder bereits erlebte Gewalt in der Bibel, hier
aus der Geschichte des bevorstehenden Untergangs der Stadt Babel: „Der Räuber
raubt, und der Verstörer verstört [...] Derhalben sind meine Lenden voll Schmerzen, und Angst hat mich ergriffen wie eine Gebärerin. Ich krümme mich, wenn
ich’s höre, und erschrecke, wenn ich’s ansehe. Mein Herz zittert, Grauen hat mich
erschreckt; auch am Abend, der mir so lieb ist, habe ich keine Ruhe“ (Jesaja, Kapitel 21, Verse 2-4, „Die Bibel“, Seite 849, Württembergische Bibelanstalt, 1962). Ein
weiteres Beispiel bietet die Geschichte des Sieges Davids über die Amalekiter: „Da
nun David samt seinen Männern zur Stadt kam und sah, dass sie mit Feuer verbrannt war und ihre Weiber, Söhne und Töchter gefangen waren, hoben David und
das Volk, das bei ihm war, ihre Stimme auf und weinten, bis sie nicht mehr weinen konnten“ (Erstes Buch Samuel, Kapitel 30, Verse 3 und 4, „Die Bibel“, Seite
21
1.1
Organisierte Gewalt
1
THEORIE
849, Württembergische Bibelanstalt, 1962). Es werden also Angst- und Trauerreaktionen im Zusammenhang mit dem Erleben von Gewalt geschildert. Eine systematische Beschreibung psychischer Folgen von Gewalt begann erst in den letzten
zwei Jahrhunderten. Freud und Breuer veröffentlichten beispielsweise 1895 ihre
„Studien über Hysterie“ (Freud, 1969): Sie hatten die Theorie entwickelt, dass die
meisten Hysterien und Ängste auf frühere Traumata zurückzuführen seien – später
verwarfen sie diese Annahme jedoch wieder (Shorter, 1999).
Fest steht, dass Menschen weltweit unter psychischen Folgen organisierter Gewalt leiden. Oftmals verlassen sie aufgrund der Gewalterlebnisse ihre Heimat und
werden zu Flüchtlingen. Diese Arbeit befasst sich mit der Behandlung psychischer
Störungen, unter denen Menschen nach dem Erleben organisierter Gewalt leiden
können. Dabei wird im vorliegenden Kapitel zunächst der Begriff der organisierten Gewalt definiert. Des Weiteren wird das Thema „Flüchtlinge in Deutschland“
behandelt. In dieser Bevölkerungsgruppe finden sich viele Menschen, die organisierte Gewalt erlebt und aus diesem Grund ihre Heimat verlassen haben. Im Anschluss werden mögliche psychische Folgen organisierter Gewalt beschrieben. Der
Schwerpunkt liegt hierbei auf einer der häufigsten psychischen Störungen nach
Gewalterlebnissen, der posttraumatischen Belastungsstörung (z. B. de Jong, Komproe & Van Ommeren, 2003; Bichescu, Schauer, Saleptsi, Neculau, Elbert & Neuner,
2005). Als letzter Punkt dieses Kapitels wird auf Behandlungsmöglichkeiten bei
posttraumatischer Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) eingegangen. Derzeit finden sich in Deutschland zwei gegenläufige Strömungen bezüglich der geeigneten Behandlungsmethode bei PTSD: Stabilisierung des Patienten,
bevor man möglicherweise anschließend zu Expositionsverfahren übergeht, versus explizite Expositionsverfahren. Es wird der momentane Forschungsstand zu
dieser Kontroverse aufgezeigt. Neben allgemeinen Befunden zur PTSD und ihrer
Behandlung wird auch auf die besondere Situation von Flüchtlingen eingegangen,
die unter einer PTSD leiden.
1.1
1.1.1
Organisierte Gewalt
Definition „Gewalt“
Es scheint sinnvoll, sich zunächst mit der allgemeineren Definition von „Gewalt“
zu befassen, bevor man sich der spezifischeren Definition von „Organisierter Gewalt“ zuwendet. Das Definieren von Gewalt ist schwierig, da es sich um ein äußerst
diffuses und komplexes Phänomen handelt, das von Einzelnen unterschiedlich betrachtet wird und wissenschaftlich nicht exakt fassbar ist (Weltgesundheitsorgani22
1.1
Organisierte Gewalt
1
THEORIE
sation WHO, 2003). Je nach Kontext wird eine Definition unterschiedlich ausfallen.
Zudem unterliegt die Vorstellung dessen, was Gewalt bedeutet, kulturellen Einflüssen und Veränderungen von Wertvorstellungen und Normen über die Zeit. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert einen weltweiten Konsens über die
Definition von Gewalt, die idealerweise die gesamte Bandbreite der Täterhandlungen und die subjektive Erfahrung der Opfer einschließt, ohne zu ungenau zu
werden. Die WHO selbst orientiert sich an folgender Definition von Gewalt:
„Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine
andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder
konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“ („Weltbericht Gewalt und Gesundheit“, Weltgesundheitsorganisation WHO
2003, Seite 6, nach Weltgesundheitsorganisation WHO 1996, „WHO Global Consultation on Violence and Health. Violence: a public health priority“)
Mit dieser Definition sind sowohl interpersonelle Gewalt als auch Suizidhandlungen und bewaffnete Auseinandersetzungen abgedeckt. Auch die Androhung von
Gewalt ist mit eingeschlossen. Gewalt ist ein Phänomen, das in jedem Land auftritt. Weltweit gehört Gewalt in der Altersgruppe der 15- bis 44-Jährigen zu den
Haupttodesursachen und ist unter Männern für etwa 14 % und bei den Frauen für
7 % aller Sterbefälle verantwortlich (Weltgesundheitsorganisation WHO 2003, nach
Weltgesundheitsorganisation WHO 1996, „WHO Global Consultation on Violence
and Health. Violence: a public health priority“). Die WHO unterscheidet drei Typen
von Gewalt: Gegen sich selbst gerichtete Gewalt, interpersonelle und kollektive Gewalt. Unter kollektiver Gewalt wird hier folgendes verstanden: Der instrumentelle
Gebrauch von Gewalt durch Personen, die sich als zu einer mehr oder weniger festen Gruppe zugehörig fühlen, gegenüber Einzelnen oder einer anderen Gruppe mit
der Absicht, politische, wirtschaftliche oder soziale Ziele zu erreichen (Weltgesundheitsorganisation WHO 2002, „Collective Violence“). Die Definition ist derjenigen
der organisierten Gewalt von Neuner (2003) sehr ähnlich, wobei letztere weniger
allgemein gefasst ist (siehe „1.1.2 Definition ,Organisierte Gewalt’“).
Derrienic (1971) merkt allerdings an, dass kollektive und organisierte Gewalt
sich oft überschneiden, jedoch nicht zwingend miteinander verknüpft sind: Beispielsweise kann es sein, dass Ausschreitungen einer Gruppe von Personen nur
in geringem Maße organisiert sind. Er beschreibt Gewalt auf drei kontinuierlichen
23
1.1
Organisierte Gewalt
1
THEORIE
Ebenen: So kann Gewalt mehr oder weniger direkt und mehr oder weniger organisiert sein, und potenzielle Gewalt kann weiter oder weniger weit davon entfernt
sein, in tatsächliche Gewalt umzuschlagen.
1.1.2
Definition „Organisierte Gewalt“
Organisierte Gewalt kann als eine spezifische Form von Gewalt betrachtet werden,
die weltweit in zahlreichen Ländern stattfindet. Sie umfasst Krieg, andauernde Verfolgung und Folter durch den Staat sowie Gewalt, die von Terrororganisationen
ausgeht, und zeichnet sich dadurch aus, dass ein politisches Motiv hinter der Gewaltausübung steckt (Burnett & Peel, 2001). Neuner (2003) definiert organisierte
Gewalt folgendermaßen:
Es handelt sich um Gewalt, die systematisch und direkt von Mitgliedern einer Gruppe ausgeübt wird, die eine mehr oder weniger ausgeprägte zentral geleitete Struktur aufweist. Dies ist der Fall bei Polizeieinheiten, Rebellenorganisationen, Terrororganisationen, paramilitärischen und militärischen Verbänden. Die Gewalt wird mit einer gewissen Kontinuität gegen Individuen und Gruppen mit anderen politischen Einstellungen, Nationalitäten oder rassischen, kulturellen oder
ethnischen Hintergründen ausgeübt. Sie ist charakterisiert durch Verletzung der Menschenrechte oder anderer Grundrechte von Menschen.
Staatliche sowie quasi-staatliche Gewaltstrukturen werden zur systematischen Unterdrückung und Verfolgung der Bevölkerung oder Teilen derselben eingesetzt. Ein
herausragendes Merkmal politisch organisierter Gewalt ist auch der Verschleierungscharakter in der Öffentlichkeit. So wird einerseits nicht offen eingestanden,
dass der Staat zur Kontrolle „innerer Feinde“ Folter, Bespitzelung etc. einsetzt, andererseits ist der Einsatz von Gewalt allgemein bekannt. Dies dient der Einschüchterung und Entsolidarisierung innerhalb der Gesellschaft (Zebra, Interkulturelles
Beratungs- und Therapiezentrum, 2006). Schauer, Neuner und Elbert (2005) weisen
darauf hin, dass die Konsequenzen organisierter Gewalt weitreichend sind und die
Zukunft einer Gesellschaft nachhaltig beeinflussen.
Nach den aufgeführten Definitionen kann man organisierte Gewalt stets als
kollektive Gewalt nach der Definition der WHO bezeichnen. Ein weiterer ähnlicher Begriff ist der der Menschenrechtsverletzung, durch die organisierte Gewalt
nach Neuner charakterisiert ist. Menschenrechte sind universelle Rechte, die jedem
Menschen allein aufgrund der Tatsache, dass er ein Mensch ist, zustehen. Beispie24
1.1
Organisierte Gewalt
1
THEORIE
le sind das Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum und Sicherheit der Person. Auch
Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit gehören dazu.
Die Menschenrechte sind ihrem Wesen nach Rechte des Einzelnen gegenüber
dem Staat, der diese Rechte respektieren, schützen und für deren volle Verwirklichung Sorge tragen sollte (UN-Generalversammlung, 1998). Demnach kann aus
juristischer Sicht lediglich ein Staat Menschenrechte verletzen, und jedes Individuum hat wiederum das Recht, staatliche Aktivitäten abzulehnen, die zur Verletzung der Menschenrechte beitragen. Es zeigt sich, dass sich organisierte Gewalt
und Menschenrechtsverletzungen stark überschneiden. Organisierte Gewalt kann
zwar auch von nichtstaatlichen Gruppierungen ausgehen. Jedoch ist möglicherweise das nicht ausreichende Bemühen um Bekämpfung dieser Gewalt durch den Staat
wiederum als eine Verletzung der Menschenrechte zu betrachten: Es wird juristisch
als mittelbare staatliche Verfolgung bezeichnet, wenn Übergriffe von Privatpersonen oder -gruppen ausgehen und der Staat trotz vorhandener Gebietsgewalt zu
Verfolgungsmaßnahmen anregt oder sie unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt
und damit dem Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er dazu nicht
willens oder in der Lage ist (PRO ASYL, 2004). Andersherum geht jede Menschenrechtsverletzung per definitionem vom Staat aus, ist also organisiert. Fraglich ist,
ob jede Form der Menschenrechtsverletzung als Gewalt nach der obigen Definition
zu bezeichnen ist, z. B. Einschränkungen der Pressefreiheit.
1.1.3
Zahlen und Fakten zu organisierter Gewalt
Zahlen zu organisierter Gewalt weltweit lassen sich nur schwer präzisieren. Eine
systematische Erfassung ist beinahe unmöglich, da die Thematik politisch hochsensibel ist. Es muss also auf Angaben von Menschenrechtsorganisationen zurückgegriffen werden (Basoglu, 1993). So dokumentierte etwa amnesty international
im Jahr 2004 folgende Beispiele von weltweiten Menschenrechtsverletzungen, die
Zahl der tatsächlichen Vorkommnisse dürfte weitaus höher sein (amnesty international, 2005a): In 42 Staaten wurden Menschen willkürlich oder ohne Anklage und
Verfahren verhaftet. In 28 Ländern wurden Zivilisten willkürlich von bewaffneten
Gruppen angegriffen. Folterungen und Misshandlungen durch Polizei, Sicherheitskräfte oder andere Staatsangestellte fanden in 104 Ländern statt. Ebenso schwierig
ist es, einzuschätzen, wie viele Menschen weltweit unter organisierter Gewalt leiden. Laut UNHCR befinden sich schätzungsweise über 44 Millionen Menschen auf
der Flucht oder in flüchtlingsähnlichen Situationen (UNHCR, 2005). Sie fliehen unter anderem vor Krieg, Verfolgung und anderen Menschenrechtsverletzungen. Der
25
1.1
Organisierte Gewalt
1
THEORIE
Anteil derjeniger Flüchtlinge, die aus den genannten Gründen ihre Heimat verlassen haben, ist unbekannt. Ebenso ist unklar, wie viele Menschen organisierte
Gewalt erleben, ohne zu fliehen.
Gibt es Staatsstrukturen, die das Auftreten organisierter Gewalt begünstigen?
Nach Neuner (2003) lässt sich zumindest ein Teilaspekt organisierter Gewalt in allen Diktaturen und auch in manchen als demokratisch eingestuften Staaten finden: vom Staat finanzierte Verfolgung, z. B. Folter, extralegale Hinrichtungen oder
„Verschwindenlassen“ von Personen. Bürgerkriege oder zwischenstaatliche Kriege können unabhängig von der Staatsstruktur auftreten, ebenso Gewalt, die von
terroristischen Gruppierungen ausgeht. Es kommt auch in modernen Rechtsstaaten vor, dass Folter verharmlost und als nicht illegal bezeichnet wird, wenn sie
einem bestimmten Zweck dienen soll: So wurden z. B. in den USA im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus Folterpraktiken dadurch gerechtfertigt, dass man schnelle Informationen benötigt, um z. B. weitere Anschläge zu
verhindern (Summerfield, 2003; Krauthammer, 2005). Erst im Sommer 2007 erließ
US-Präsident George W. Bush u. a. unter juristischem Druck ein Folterverbot für
Verhöre von Terrorverdächtigen durch den Geheimdienst CIA (Tagesschau vom
20.7.2007).
Fakt ist, dass Folter immer die Würde des Gefolterten und damit die Menschenrechte verletzt. Das Folterverbot ist daher unabhängig von einem erhofften
Nutzen der Gewaltanwendung nicht relativierbar (amnesty international, 2005b).
Abgesehen davon, dass die Befürworter von Folter die Verletzung von Menschenrechten in Kauf nehmen, müssten sie sich zur „Rechtfertigung“ die Frage stellen,
ob Folter zur angestrebten Informationsgewinnung überhaupt dienlich ist (Applebaum, 2005). Diese Frage wird jedoch oft nicht gestellt und erst recht nicht beantwortet; Applebaum spricht von einem „Folter-Mythos“ bezogen auf deren Wirksamkeit zur Informationsgewinnung, der bestehe, obwohl es keine hinreichenden
Belege dafür gebe. Es werden höchstens Einzelfälle „erfolgreicher“ Folter zitiert
(Krauthammer, 2005). Hingegen bestreiten einige in Verhörtechniken erfahrene ehemalige Militärs die Wirksamkeit von Folter zur Informationsgewinnung eindeutig:
Die meisten verhörten Personen gäben Informationen auch ohne Gewaltanwendung preis, und unter Gewaltanwendung machten sie wahllos irgendwelche nicht
verlässlichen Angaben, nur um die Folter zu beenden.
Selbst wenn es Belege für die Wirksamkeit von Folter gäbe, wäre laut amnesty
international „eine unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips angewendete Folterhandlung [...] nicht denkbar. Folter wohnt stets ein zerstörerischer Überschuss inne, der über die bloß präventiv motivierte Aussagenerzwingung weit
26
1.1
Organisierte Gewalt
1
THEORIE
hinausgeht und dazu führt, dass zur Brechung des Willens des Aussageunwilligen dessen Psyche gezielt zerstört wird.“ („Nein zur Folter. Ja zum Rechtsstaat.“,
amnesty international, 2005b, Januar, www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/3c7abab8e052c42fc1256eeb004ce861/9f87934c699e9e5bc1256fb8004f3aad, eingesehen am
22.8.2006).
Nach der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen (1984) ist Folter folgendermaßen definiert:
„... Der Ausdruck ,Folter’ [bezeichnet] jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder
Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten
eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen,
oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher
Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht
werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich
lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören
oder damit verbunden sind.“ (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, Teil 1, Artikel 1, Vereinte Nationen, eingesehen am 24.4.2006 unter www.aufenthaltstitel.de/folter.html)
Es scheint also, dass es keine Staatsstruktur gibt, die per se frei von organisierter Gewalt ist. Jedoch begünstigen Staatsformen wie Diktaturen das Auftreten von
(organisierter) Gewalt: „Gewalt gedeiht dort, wo Demokratie und Achtung vor
Menschenrechten fehlen und die Regierungsgeschäfte schlecht geführt werden. [...]
Wahr ist auch, dass Gewalt in Gesellschaften, in denen die Behörden durch ihr eigenes Handeln Gewalt billigen, stärker um sich greift und weiter verbreitet ist. In
vielen Gesellschaften ist Gewalt so vorherrschend, dass sie alle Hoffnungen auf
eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung vereitelt.“ (Nelson Mandela, Weltgesundheitsorganisation WHO „Weltbericht Gewalt und Gesundheit“, Seite V, 2003).
Basoglu (1993) analysierte den Jahresbericht von amnesty international von
1992 hinsichtlich berichteter Folter weltweit und beobachteten Zusammenhängen
mit bestimmten politischen Umständen in einem Land. Weit verbreitete Folter wur27
1.2
Beispiele organisierter Gewalt
1
THEORIE
de eher aus Regionen berichtet, in denen politische und soziale Unruhen, bewaffnete Konflikte und politische Unterdrückung von ethnischen, religiösen oder ursprünglich dort ansässigen Minderheiten oder anderer oppositioneller Gruppen an
der Tagesordnung waren. Betrachtet man alleine das Vorkommen von Folter – ungeachtet anderer Formen organisierter Gewalt – so scheint dies in etwa der Hälfte
aller Länder weltweit ein Problem zu sein. Basoglu vermutet, dass in seiner Analyse die Zahlen zu Folter bei nicht-politischen Häftlingen möglicherweise deutlich
niedriger sein könnten als in Wirklichkeit, da diese Foltervorkommnisse eventuell
weniger Medienaufmerksamkeit erhalten als die Folter von politischen Gefangenen.
1.2
Beispiele organisierter Gewalt in ausgewählten Ländern
Es sollen hier diejenigen Länder herausgegriffen werden, aus denen in den letzten Jahren die meisten Flüchtlinge einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben,
die Türkei sowie Serbien und Montenegro (siehe „1.3.2 Zahlen zu Flüchtlingen in
Deutschland“). Die überwiegende Mehrheit der aus der Türkei kommenden Asylbewerber waren Kurden. Von den Asylbewerbern aus Serbien und Montenegro
waren etwa die Hälfte Albaner, die andere Hälfte setzte sich aus anderen ethnischen Gruppen zusammen. Im Folgenden werden Beispiele organisierter Gewalt
aufgeführt, wie sie von amnesty international im Berichtszeitraum 2004 beobachtet
wurde (amnesty international, 2005a). Zudem werden Studien angeführt, in denen
Einzelheiten zu Vorkommnissen organisierter Gewalt in den genannten Ländern
untersucht wurden. Sicherlich stellen die folgenden Ausführungen kein umfassendes Bild aller Vorkommnisse und Formen organisierter Gewalt in der Türkei und
in Serbien und Montenegro dar – es ist nicht möglich, das Phänomen an repräsentativen Stichproben zu untersuchen (Basoglu, 1993). Es soll jedoch ein Eindruck
davon vermittelt werden, in welcher Form organisierte Gewalt in diesen Ländern
vorkommen kann und was vermutlich viele Menschen, die von dort stammen, vorübergehend oder auch bis in die Gegenwart erlebt haben oder erleben.
1.2.1
Türkei
Trotz einiger Reformschritte zur Anpassung des türkischen Rechtssystems an internationale Standards kam es in der Türkei auch 2004 bei Inhaftierungen nach
wie vor zu Folterungen und Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte. Auch
wurde gegen abweichende Meinungen mit Gewalt vorgegangen, so wurden etwa
Demonstrationen verboten und Teilnehmer friedlicher Protestkundgebungen fest28
1.2
Beispiele organisierter Gewalt
1
THEORIE
genommen. Es wurde nicht ausreichend kontrolliert, ob die teilweise verbesserten
Haftvorschriften eingehalten werden, und Folter- und Misshandlungsvorwürfen
wurde nicht genügend nachgegangen. Es fehlen dort insgesamt nach wie vor unabhängige Mechanismen zur Untersuchung systematischer Übergriffe gegen die
Menschenrechte.
In Studien mit Folterüberlebenden aus der Türkei nennen Basoglu, Paker, Paker, Özmen, Marks, Incesu, Sahin und Sarimurat (1994) verschiedene Foltermethoden, die ihnen im Interview berichtet wurden: Nahezu alle früheren politischen
Aktivisten (55 Personen) hatten Beleidigungen und Schläge erlebt. Zu den sonstigen häufigen Praktiken zählten das Verbinden der Augen, abwechselnd milde
und grobe Behandlung durch die Folterer sowie Androhung weiterer Folter und
erzwungenes langes Stehen in einer auf Dauer schmerzhaften Position. Etwa die
Hälfte der Folterüberlebenden berichtete von Drohungen gegenüber ihrer Familie,
mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln, Unterbringung in schmutzigen Zellen
oder Aufhängen an den Handgelenken. Zu den seltenen Praktiken zählten das Untertauchen in Wasser oder anderen Flüssigkeiten, das Anbringen von Nadeln unter
den Finger- oder Zehennägeln, Verbrennungen, Überstrecken von Gliedmaßen und
Vergewaltigung (Basoglu et al. hatten jeweils mehr Männer als Frauen befragt).
Im Vergleich zu diesen Angaben wurden Folterüberlebenden, die nicht politisch aktiv gewesen waren (34 Personen), weniger häufig die Augen verbunden, es
gab weniger abwechselnd milde und grobe Behandlung, sie hatten eher die Möglichkeit zur Körperpflege und erhielten weniger Elektroschocks. Des Weiteren wurden sie weniger von anderen isoliert und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt,
sie erhielten öfter medizinische Hilfe und wurden nicht in verschmutzten Räumlichkeiten untergebracht. Zudem wurden sie weniger daran gehindert, auf die Toilette zu gehen, und mussten weniger in unbequemen Positionen stehen. Die sonstigen Foltererfahrungen deckten sich mit denen der politischen Aktivisten (Basoglu,
Mineka, Paker, Aker, Livanou & Gök, 1997).
Moisander und Edston (2003) befragten Folterüberlebende aus Bangladesh,
dem Iran, Peru, Syrien, der Türkei und Uganda, um Unterschiede in den Foltermethoden verschiedener Länder und die Krankheitsfolgen der Folter zu erfassen.
Von den 25 aus der Türkei stammenden Befragten wurden 84 % auf die Fußsohlen
geschlagen (Falaka), davon wurden 12 % währenddessen auf einen Autoreifen gebunden. Über die Hälfte berichtete von Elektroschocks, 68 % waren in irgendeiner
Weise aufgehängt worden. Folter an den Genitalien hatten 40 % der Überlebenden
angegeben, 28 % waren vergewaltigt worden (vaginaler oder analer Verkehr oder
29
1.2
Beispiele organisierter Gewalt
1
THEORIE
Penetration mit einem Stock, einer Flasche o. ä.). Von Scheinhinrichtungen berichteten 8 % der Befragten, 4 % wurden an Finger- oder Fußnägeln misshandelt.
1.2.2
Serbien und Montenegro
In Serbien und Montenegro fanden 2004 verschiedene Menschenrechtsverletzungen statt. So wurden unter anderem Misshandlungen und Folterungen zur Erpressung von Aussagen durch die Polizei gemeldet, und frühere Fälle wurden nicht
ausreichend untersucht. Es kam auch zu Ausschreitungen gegen Minderheiten,
z. B. wurden in Nis und Belgrad Moscheen zerstört. Angehörige der Volksgruppe der Roma wurden diskriminiert, so lebten die meisten von ihnen beispielsweise
in Siedlungen mit niedrigem hygienischen Standard, sie haben einen erschwerten
Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen.
In Serbien gab es behördliche Versuche, die Lage der Roma zu verbessern. Diese zeigten jedoch noch keine große Wirkung. In Montenegro gab es hingegen nicht
einmal Ansätze, die Diskriminierungen von Roma zu verringern. Auch Gewalt gegen Frauen, z. B. in Form von Menschenhandel und Zwangsprostitution, fand im
Berichtszeitraum statt. Kam es in diesem Zusammenhang zu Strafprozessen, erhielten die Angeklagten oft milde Strafen.
In einer Untersuchung zur Prävalenz psychiatrischer Erkrankungen nach dem
Krieg im Kosovo 1998/99 in der albanischen Bevölkerung erhoben Lopes Cardozo,
Vergara, Agani und Gotway (2000) bei 1358 Erwachsenen folgende Erlebnisse organisierter Gewalt: Über 66 % der Befragten waren in Gefechtssituationen gewesen,
nahezu die Hälfte gab an, Folter oder Misshandlungen erlebt zu haben (es wurde
keine Definition von „Folter“ oder „Misshandlung“ vorgegeben). Aktiv an Kämpfen beteiligt waren 33 % der Befragten oder andere Personen aus deren Familien.
Über ein Viertel hatte ein ermordetes Familienmitglied oder einen Freund zu beklagen, 23 % wurden Zeugen von Mord an fremden Personen. Nahezu 10 % der
Befragten waren in Haft gewesen, 4,4 % der Frauen waren vergewaltigt worden.
In Hinblick auf die Vergewaltigungen wurde hier jedoch nicht erfragt, durch wen
die Vergewaltigungen begangen wurden, da die Interviews nicht ausschließlich auf
das Erheben organisierter Gewalt ausgerichtet waren. Es bleibt also offen, ob es sich
bei diesen Vergewaltigungen um eine Form organisierter Gewalt gehandelt hat.
Eytan, Gex-Fabry, Toscani, Deroo, Loutan und Bovier (2004) führten zwei Jahre
nach Ende des Krieges im Kosovo eine Studie mit albanischen Erwachsenen durch.
Von den befragten 996 Personen waren 86 % in einer Kampfsituation gewesen, 36 %
hatten beobachtet, wie eine fremde Person ermordet worden war, 28 % waren gefol-
30
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
tert worden, von Ermordung oder anderweitig unnatürlichem Tod eines Familienmitglieds oder Freundes berichteten 27 % bzw. 9 % der Befragten, und 3 % waren
in Gefangenschaft gewesen.
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
Wie unter 1.1.3 („Zahlen und Fakten zu organisierter Gewalt“) bereits erwähnt, befinden sich laut UNHCR weltweit schätzungsweise über 44 Millionen Menschen
auf der Flucht oder in flüchtlingsähnlichen Situationen (UNHCR, 2005). Letzteres
kann z. B. bedeuten, dass jemand innerhalb seines Heimatlandes vertrieben wurde,
wieder in die Heimat zurückgekehrt und dort schutzbedürftig ist oder außerhalb
des Heimatlandes vorübergehend Schutz gefunden hat, ohne dass er den vollen
Rechtsstatus eines Flüchtlings erhielte. Fluchtgründe sind unter anderem Krieg,
Verfolgung und weitere massive Menschenrechtsverletzungen. In der Alltagssprache wird eine Person als Flüchtling bezeichnet, die durch politische Zwangsmaßnahmen, Kriege oder existenzgefährdende Notlagen veranlasst wurde, ihre Heimat vorübergehend oder auf Dauer zu verlassen. Im Folgenden wird der Begriff
„Flüchtling“ meist in seiner alltagssprachlichen Bedeutung benutzt. Im juristischen
Kontext bezeichnet der Begriff hingegen einen bestimmten Status, der einer Person
zu- oder aberkannt wird (Ausländerrecht, 2005).
1.3.1
Definition „Flüchtling“ nach der Genfer Konvention
Als Flüchtling gilt nach der Genfer Konvention von 1951 eine Person, die „aus der
begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt,
und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder will“ (Genfer
Flüchtlingskonvention, UNHCR, 1951, Kapitel I, Artikel 1 A.). Dies schließt auch
Kriegsflüchtlinge ein. In dieser Definition nicht berücksichtigt sind Binnenflüchtlinge, die innerhalb ihres Landes geflohen sind und auch als „Vertriebene“ bezeichnet werden. Zudem klammert die Definition Elends- und Umweltflüchtlinge
sowie Wirtschaftsflüchtlinge aus. Bis Flüchtlinge einen offiziellen Flüchtlingsstatus
erlangt haben, gelten sie als Asyl Suchende oder Asylbewerber. Wird ihr Status als
Flüchtling anerkannt, erhalten sie politisches Asyl: Wer nach § 16 a Grundgesetz als
Flüchtling gilt, erhält den Status eines Asylberechtigten (Ausländerrecht, 2005).
31
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1.3.2
1
THEORIE
Zahlen zu Flüchtlingen in Deutschland
Flüchtlinge in Deutschland kommen hauptsächlich aus anderen Ländern Europas,
häufig Zentral- und Osteuropa (Carta, Bernal, Harday & Haro-Abad, 2005). Von
1953 bis Ende 2004 wurden in Deutschland etwa 3,1 Millionen Asylanträge gestellt, davon drei Viertel im Zeitraum nach 1990 (Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge, 2006). 1992 wurden die meisten Asylanträge gestellt (438.191), seither
geht die Zahl der Anträge pro Jahr zurück. So wurden beispielsweise im Jahr 2005
lediglich 48.102 Anträge gestellt. Davon wurden 27.452, also 57,1 %, als unbegründet oder offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nicht berücksichtigt sind hierbei
die formellen Entscheidungen über Asylanträge, das heißt die Fälle, in denen das
Asylvorbringen nicht näher inhaltlich überprüft wird (z. B. Ablehnung des Asylantrags auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens oder Einstellung des Verfahrens wegen Antragsrücknahme durch den Asylbewerber). Diese belaufen sich
auf 36,4 %. Insgesamt sind 2005 lediglich 411 (0,9 %) aller Asylbewerber aufgrund
politischer Verfolgung als Asylberechtigte nach Artikel 16 a Grundgesetz und Familienasyl anerkannt worden.
Vergleicht man diese Zahlen mit denjenigen seit 1991, wird deutlich, dass einerseits insgesamt immer weniger Anträge gestellt wurden, andererseits aber auch
der Anteil derjeniger Asylbewerber, die als Asylberechtigte anerkannt wurden oder
bei denen Abschiebehindernisse festgestellt wurden, zurückging. So wurden im
Jahr 1995 beispielsweise 9 % der Asylbewerber als Asylberechtigte anerkannt, der
höchste Prozentsatz zwischen 1991 und 2005. Im Jahr 2001 waren es 5,3 %, 2004
noch 1,5 %. Im Jahr 2005 wurde bei 4,3 % der Asylbewerber Abschiebeschutz gemäß § 60 Absatz 1 gewährt, bei 1,4 % ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Absätze
2, 3, 5 oder 7 festgestellt. Zu letzteren liegen lediglich Daten seit 1999 vor, die Quote war seither stets ähnlich gering. Abschiebeschutz nach (seit 1.1.2005) § 60 Abs.
1 wurde seit 2001 immer weniger gewährt (zu dem Zeitpunkt lag die Quote bei
einem Spitzenwert von etwa 15 %), der Vergleich von 2004 mit 2005 zeigt allerdings einen leichten Anstieg von 1,8 % auf die genannten 4,3 %. Betrachtet man die
zugangsstärksten Herkunftsländer bezüglich Erstanträgen auf Asyl zwischen 1995
und 2004, stellen Serbien und Montenegro (zuvor Bundesrepublik Jugoslawien) sowie die Türkei die beiden Länder mit den höchsten Zugangszahlen dar. Lediglich
im Jahr 2000 rückte der Irak vor die Türkei auf Platz zwei.
Auch im Jahr 2005 wurden die meisten Erstanträge von Personen aus der Türkei (10,2 %) und Serbien und Montenegro (19,1 %) gestellt: Es wurden 2958 Erstund 3027 Folgeanträge von türkischen Flüchtlingen gestellt, davon wurden 2922 als
32
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
unbegründet oder offensichtlich unbegründet abgelehnt, und bei 2347 wurden formelle Entscheidungen über die Asylanträge getroffen (inhaltlich nicht näher überprüft worden, siehe oben). Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro stellten entsprechend 5522 Erst- sowie 5437 Folgeanträge. Davon wurden 4752 als unbegründet oder offensichtlich unbegründet abgelehnt. Bei 6100 wurden formelle Entscheidungen über die Asylanträge getroffen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
2006).
1.3.3
Rechtliche Situation von Asylbewerbern in Deutschland
Aufenthaltsgesetz
Seit dem 1.1.2005 ist das Zuwanderungsgesetz in Kraft. Dieses enthält das Aufenthaltsgesetz, das das bisherige Ausländergesetz ersetzt (Ausländerrecht, 2005). In
Hinblick auf verschiedene Aufenthaltstitel ist die Gesetzeslage nun vereinfacht: Es
gibt lediglich noch die Titel „Visum“, befristete „Aufenthaltserlaubnis“, unbefristete „Niederlassungserlaubnis“ und „Aufenthaltsgestattung“, ein Aufenthaltstitel
zur Durchführung des Asylverfahrens. Zuvor gab es die Titel „Aufenthaltsberechtigung“ (zeitlich und räumlich unbeschränkt, § 27), „Aufenthaltserlaubnis“ (befristet oder unbefristet, ohne Bindung an einen bestimmten Aufenthaltszweck und
bei Familiennachzug, §§ 15 und 17), „Aufenthaltsbewilligung“ (an einen Zweck gebunden und vorübergehend, auch für Familienangehörige, §§ 28 und 29), „Aufenthaltsbefugnis“ (wird aus humanitären Gründen erteilt, § 30). Nach wie vor existiert
ein Paragraph zur „Vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung)“
(§ 60 a Aufenthaltsgesetz, vor 2005: §§ 55 und 56 Ausländergesetz), der dann in
Kraft tritt, wenn eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen
nicht möglich ist und die Person keine Aufenthaltserlaubnis hat (Ausländerrecht,
2005). Am 31.12.2004 hatten in Deutschland 13.945 Asylbewerber aus der Türkei
und 23.285 aus Serbien und Montenegro (Länder, aus denen zum Zeitpunkt der
Studie die meisten Asylbewerber kamen) eine Duldung (Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge, 2005). Die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren, die im Jahr
2004 letztinstanzlich abgeschlossen wurden, betrug 21,3 Monate. Das heißt, dass
viele Asylbewerber ein Jahr oder länger in einer unklaren Lebenssituation bleiben.
Laut PRO ASYL (2004) leben von den insgesamt 217.000 Geduldeten aller Nationalitäten ca. 150.000 bereits länger als fünf Jahre in Deutschland.
Es gibt verschiedene Abschiebehindernisse, d. h. Gründe, aus denen ein Asylbewerber (zunächst) nicht abgeschoben wird (Ausländerrecht, 2005): Zuerst gilt
nach Artikel 16 a des Grundgesetzes, dass politisch Verfolgte Asylrecht genießen.
33
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
Darüber hinaus haben nach dem neuen Zuwanderungsgesetz Personen Anspruch
auf Schutz, bei denen Abschiebehindernisse nach § 60 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen (im Ausländergesetz vor 2005: §§ 51 und 53). Dieser Paragraph besagt, dass
ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden kann, in dem er aufgrund
seiner Rasse, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Auch die Bedrohung alleine
aufgrund des Geschlechts der Person ist hiermit erfasst. Der Paragraph findet dann
Anwendung, wenn eine Person Gefahr läuft, der Folter unterworfen zu werden,
Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden, oder wenn eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Person besteht. Auch eine Krankheit oder mangelnde Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland können Abschiebehindernisse darstellen (Zenker, 2006). Wie unter „1.3.2 Zahlen zu Flüchtlingen in Deutschland“ bereits angeführt, wurde 2005 nur einem sehr geringen Anteil
von insgesamt weniger als 7 % aller Asylbewerber, deren Verfahren in dem Jahr abgeschlossen wurden, einer der genannten Paragraphen zuerkannt. In § 25 Absätze
1, 2 und 3 des Aufenthaltsgesetzes ist festgelegt, dass Ausländern, die unanfechtbar als Asylberechtigte gelten oder für die Abschiebehindernisse nach § 60 vorliegen, grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll. In § 25 Absatz 4
ist festgelegt, dass ein Ausländer vorübergehend eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche
öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet
erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann u. U. verlängert werden, wenn im Einzelfall das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche
Härte bedeuten würde.
amnesty international merkt im Jahresbericht 2005 an, dass es im neuen Zuwanderungsgesetz zwar einige Verbesserungen in Hinblick auf die Anerkennung
als Flüchtling auch bei nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung gibt,
jedoch auch für viele Menschen ohne Aufenthaltstitel und Asylsuchende die Gefahr besteht, dass sich ihre Rechtsstellung durch die neuen Bestimmungen verschlechtert (amnesty international, 2005a). PRO ASYL (2004) kritisiert, dass das
neue Zuwanderungsgesetz in vielen Problembereichen keine Lösungsansätze mit
sich bringt, so gibt es z. B. nach wie vor keine Änderung bei der Praxis der Abschiebungshaft und keine obligatorische Verfahrensberatung. In einer Evaluation des
geänderten Gesetzes, die u. a. von PRO ASYL auf Nachfrage des Bundesministeriums des Inneren durchgeführt wurde, kommt PRO ASYL (2006) nach einem Jahr
zu dem Schluss, dass wichtige Ziele wie z. B. die Abschaffung von so genannten
Kettenduldungen (ständige erneute Verlängerung der Duldung u. U. über mehre34
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
re Jahre), eine effektive Härtefallregelung sowie insgesamt eine Verbesserung des
Flüchtlingsschutzes nicht erreicht wurden. Kettenduldungen sollten eigentlich mit
einem Paragraphen des neuen Aufenthaltsgesetzes abgeschafft werden, der besagt,
dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Abschiebung seit 18
Monaten ausgesetzt ist und die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit
nicht zu rechnen ist (Ausländerrecht, 2005). Aufenthaltsstatistiken zeigen, dass es
nach der Gesetzesänderung auch nach der Frist von 18 Monaten ausgesetzter Abschiebung weiterhin zur Erteilung aufeinanderfolgender Duldungen kommt: Nach
einer Bundestagsmitteilung auf eine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ (Bundestag, 2005) leben über 170.000 geduldete Personen bereits seit über zwei Jahren
in Deutschland, und 48.000 befinden sich schon über zehn Jahre im Land, ohne
dass ihre Asylverfahren abgeschlossen worden wären. Hinzu kommt, dass diejenigen Geduldeten, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ (o. u.) nach
§ 30 Absatz 3 des Asylverfahrensgesetzes abgelehnt wurde, keine Chance auf einen
Aufenthaltstitel haben, da dies bereits mit der Einschätzung des Antrags als „o. u.“
nach § 10 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes wegfällt (PRO ASYL, 2006).
PRO ASYL (2006) nennt eine Reihe weiterer Probleme aufgrund umstrittener
Rechtsauslegung in der praktischen Umsetzung des Gesetzes: So stellen z. B. viele
Ausländerbehörden keine Aufenthaltserlaubnis aus, weil die Person keinen Pass
vorlegen kann. Es kommt zu Verweigerungen oder erheblichen Verzögerungen
der Aufenthaltserlaubnis, da argumentiert wird, dass der Ausländer seiner Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung nicht nachgekommen sei. Jedoch ist im
Gesetz festgelegt, dass in den Fällen des § 25 Abs. 1 bis 3 (Aufenthalt aus humanitären Gründen) Passbeschaffungspflicht und Pflicht zur Identitätsklärung nachrangig sind. Ein weiteres Beispiel ist, dass manche Ausländerbehörden (meist angewiesen von den Innenministerien) die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3
des Aufenthaltsgesetzes verweigern mit der Begründung, es würden demnächst
die rechtsbegründenden Voraussetzungen nach § 60, Absätzen 2, 3, 5 oder 7 wegfallen, oder sobald ein Widerrufsverfahren eingeleitet wurde.
Generell kritisiert PRO ASYL (2006), dass die statistische Erfassung von Daten,
die zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes notwendig sind, mangelhaft sei.
So wurden bisher beispielsweise im Ausländerzentralregister, das seit 1.1.2005 vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geführt wird, nicht erfasst, welche Aufenthaltszwecke einer Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis zugrunde liegen
oder wie der Status einer Person vor Erteilung des Aufenthaltstitels war.
35
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
Zudem bezweifelt PRO ASYL (2006), dass die Anhörungs- und Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dem Schutzbedürfnis der
Asylantragsteller Rechnung trägt, und fordert eine effektive Qualitätskontrolle der
Asylentscheidungen innerhalb des Amtes.
Regelungen zur Lebenssituation von Flüchtlingen
Ausländer, die einen Antrag auf Asyl in der Bundesrepublik Deutschland stellen,
sind verpflichtet, mindestens sechs Wochen, längstens bis zu drei Monate in einer (Erst)Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 47 Asylverfahrensgesetz, Ausländerrecht, 2005). Endet diese Verpflichtung, sollen sie in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden (§ 53 Asylverfahrensgesetz).
Asylbewerber leben in Gemeinschaftsunterkünften häufig in beengten Wohnverhältnissen. Es werden zwei Beispiele von Berichten aus Unterkünften in Lebach
(Saarland) und Duisburg angeführt: Die Gemeinschaftsunterkunft Lebach wurde
vom äußeren Erscheinungsbild und für vorübergehende Unterbringung für zufriedenstellend erachtet. Jedoch gibt es Probleme z. B. aufgrund der hohen Belegungsdichte. Es wohnen zwei bis fünf Asylbewerber in einem Raum. Eine vierköpfige Familie hat beispielsweise zwei Etagenbetten, einen Kleiderschrank, einen
Tisch mit vier Stühlen und einen Kühlschrank zur Verfügung. Es existieren Gemeinschaftsküchen und -waschräume. Damit sind nach Ansicht der zuständigen
Behörde die Grundbedürfnisse gedeckt. Problematisch ist, dass es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt, dass z. B. Kinder und Jugendliche keine Möglichkeiten haben,
ihre Hausaufgaben in Ruhe zu erledigen. Auch das Zusammenleben von Eltern als
Paar ist schwierig, das Sexualleben ist oft gestört oder findet überhaupt nicht mehr
statt (isoplan consult, 2005). In den Gemeinschaftsunterkünften in Duisburg stehen
jedem Asylbewerber etwa zehn Quadratmeter Raum zu. Einzelpersonen wohnen
zumeist in Mehrbettzimmern mit Gemeinschaftsküche, -dusche und -toilette (Lillig, 2004).
Das Flüchtlingsaufnahmegesetz in Baden-Württemberg von 1998 weist an, pro
Person in einer vorläufigen Unterbringung (Gemeinschaftsunterkunft) 4,5 Quadratmeter Wohn- und Schlaffläche zuzüglich der Gemeinschaftsräume zugrunde
zu legen (FLüAG, 1998).
Solange ein Asylbewerber eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des
Asylverfahrens (§ 55 Asylverfahrensgesetz) hat, darf er den Bezirk der zuständigen
Ausländerbehörde nicht bzw. nur aus zwingenden Gründen, z. T. mit Genehmigung des Bundesamtes, verlassen (§§ 56 und 57 Asylverfahrensgesetz). Laut PRO
36
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
ASYL (2004) ist Deutschland mit dieser Form der Residenzpflicht eines der restriktivsten Länder in Europa. Es wird z. B. nicht berücksichtigt, inwieweit in dem
festgelegten Aufenthaltsgebiet für den Asylbewerber die Möglichkeit besteht, mit
Hilfsorganisationen oder einem Rechtsbeistand in Kontakt zu treten, medizinische
Einrichtungen zu erreichen oder Sprachkurse besuchen zu können. Dies schränkt
vor allem bei abgelegenen Unterkünften die Freiheit und Integrationsmöglichkeiten der Asylbewerber ein (Europäisches Netzwerk ICF, oJ, eingesehen 2006). Im
ersten Jahr ist es einem Asylbewerber zudem nicht gestattet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, danach kann er eine Erlaubnis dafür erhalten (§ 61 Asylverfahrensgesetz). Insbesondere für Geduldete ist es auch nach Ablauf des ersten Jahres häufig schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen (PRO ASYL, 2006). Dies
hängt mit der Regelung zusammen, dass EU-Bürgern oder Drittstaatsangehörigen
mit rechtmäßigem Aufenthalt bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes Vorrang eingeräumt werden kann, was in der Praxis sehr restriktiv umgesetzt wird (Europäisches Netzwerk ICF, oJ, eingesehen 2006).
Nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes wird der notwendige Bedarf an
Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und
Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts durch Sachleistungen gedeckt,
zusätzlich erhalten Asylbewerber ein geringes Taschengeld (zum Zeitpunkt des
Gesetzerlasses 1997 waren es 80 Deutsche Mark pro Monat für einen über 15jährigen Asylbewerber). Es besteht für Asylbewerber keine Möglichkeit, Arbeitslosengeld II (ALG II) zu beantragen. Die Zuwendungen des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen etwa 35 % unter dem Satz des ALG II.
Gesundheitsleistungen für Ausländer in Deutschland sind je nach Aufenthaltsstatus nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder nach dem Sozialhilfegesetz geregelt (Flüchtlingshilfe Berlin, 2006). Für die Gestattung einer Behandlung muss
das Sozialamt die finanzielle Notlage und den Behandlungsbedarf der Person anerkennen. Ein uneingeschränkter Behandlungsanspruch besteht bei akuten Erkrankungen oder Schmerzzuständen, Einschränkungen gibt es unter Umständen beim
Zahnersatz. Laut Flüchtlingshilfe Berlin (2006) ist der rechtlich festgelegte Behandlungsumfang für Ausländer in fast allen Fällen derselbe wie der Behandlungsanspruch deutscher Staatsbürger, jedoch kommt es in der Praxis häufig zu rechtswidrigen Ablehnungen von Behandlungsanträgen durch Sozialämter und Amtsärzte
aufgrund mangelnder Kenntnis der Rechtsgrundlagen des Asylbewerberleistungsund des Sozialgesetzes. Beispielsweise wird oft irrtümlich angenommen, dass die
Behandlung einer chronischen Erkrankung nicht gestattet werden darf. Dies ist
jedoch nicht der Fall, denn es besteht ein Behandlungsanspruch bei akuten oder
37
1.3
Flüchtlinge in Deutschland
1
THEORIE
schmerzhaften Erkrankungen, nicht etwa lediglich bei akuten und schmerzhaften
Zuständen. D. h. im Falle einer schmerzhaften chronischen Erkrankung besteht
ebenfalls Behandlungsanspruch. Allgemein sollten solche Behandlungen gestattet werden, die zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Dies ist immer
dann der Fall, wenn bei Nichtbehandlung eine wesentliche Verschlechterung des
Gesundheitszustandes, Folgeerkrankungen oder dauerhafte, nicht wieder gutzumachende gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen. PRO ASYL (2006) fordert,
dass bei Anzeichen von Traumatisierungen das Verfahren ausgesetzt und dem Asylsuchenden die Möglichkeit gegeben werden sollte, fachärztliche Hilfe in Anspruch
zu nehmen. Dies sollte sowohl zur therapeutischen Behandlung als auch zu Beweiszwecken dienen. Zudem sollte den Betroffenen bereits während des Verfahrens eine Aufenthaltserlaubnis gegeben werden, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Der Rat der Europäischen Union hat 2003 eine Richtlinie zur Festlegung von
Mindestnormen bei der Aufnahme von Flüchtlingen in den EU-Mitgliedsstaaten
vorgelegt. Diese sollen sicherstellen, dass Asylbewerbern innerhalb der EU ein vergleichbarer, menschenwürdiger Lebensstandard gewährleistet wird (Rat der Europäischen Union, 2003). Das Europäische Netzwerk ICF (Informations- und Kommunikationsforum) hat Recherchen über die Einhaltung dieser Mindestnormen angestellt und kommt zu dem Schluss, dass die Richtlinie in vielerlei Hinsicht von
den Mitgliedsstaaten nicht umgesetzt wurde oder zu viel Spielraum lässt, um möglichst hilfreich für die Betroffenen realisiert zu werden (Europäisches Netzwerk
ICF, oJ, eingesehen 2006). Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass es sich um
Mindestnormen handelt und jeder Mitgliedsstaat die Freiheit hat, über diese Normen hinaus für bessere Lebensbedingungen der Asylbewerber zu sorgen.
An Versäumnissen in der Umsetzung der Richtlinie nennt das ICF beispielsweise, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber zwischen den verschiedenen Ländern der EU, jedoch auch innerhalb einzelner Länder noch stark differieren. Auch fehlte es in fast allen der sieben untersuchten Länder (dazu gehörten u. a. Deutschland und Österreich) an psychologischer Betreuung und Therapiemöglichkeiten für Traumatisierte und Folteropfer. Die Standards der Unterbringungen wichen ebenfalls stark voneinander ab und waren laut ICF oftmals „defizitär und geeignet, das Wohlergehen der Insassen drastisch zu beeinträchtigen“ (Europäisches Netzwerk ICF, Unterpunkt „Unterbringung“, eingesehen am 7.8.2006
http://www.proasyl.de/de/informationen/europ-netzwerk-icf/die-eu-aufnahmerichtlinie/index.html).
38
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Das Erleben organisierter Gewalt kann eine Reihe von Folgen für die psychische
Gesundheit einer Person mit sich bringen. Im vorliegenden Kapitel soll ein Überblick über diese möglichen Konsequenzen gegeben werden. Der Schwerpunkt liegt
dabei auf der posttraumatischen Belastungsstörung, einer der häufigsten psychischen Störungen, die nach Gewalterfahrungen auftreten können (z. B. de Jong et al.,
2003; Bichescu, Schauer, Saleptsi, Neculau, Elbert & Neuner, 2005). Die hier beschriebenen Störungen können nicht nur nach dem Erleben organisierter Gewalt,
sondern generell nach dem Erleben von Belastungen und traumatischen Erfahrungen entstehen. Zu anderen psychischen Problemen außer PTSD, die auf traumatische Ereignisse folgen können, existieren bislang keine systematischen Studien
– in einigen Untersuchungen werden jedoch Zusammenhänge zwischen traumatischen Erlebnissen und verschiedenen psychischen Problemen betrachtet (siehe
„1.4.2 Psychische Störungen komorbid zu einer PTSD“, z. B. Perkonigg, Kessler,
Storz & Wittchen, 2000; Maercker, Michael, Fehm, Becker & Margraf, 2004).
1.4.1
Posttraumatische Belastungsstörung
Das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) beschreibt ein Symptommuster psychischer Probleme, das nach dem
Erleben eines traumatischen Ereignisses bei einer Person auftreten kann. Erlebnisse
wie Kriege, Naturkatastrophen, Unfälle, Folter oder sexuelle Übergriffe können potenziell traumatisch sein, d. h. vom Betroffenen als extrem bedrohlich bis zur Todesangst erlebt werden und mit Hilflosigkeit oder Entsetzen einhergehen. Auf physiologischer Ebene zeigt sich der subjektiv traumatische Charakter einer Situation als
„Alarmreaktion“ des Organismus’ (Schauer et al., 2005), d. h. es finden vielfältige
Aktivitäten des autonomen Nervensystems statt, die dem Betroffenen ermöglichen
sollen, möglichst effektiv auf die Bedrohung zu reagieren. Dies begünstigt etwa die
Flucht aus der Gefahrensituation oder auch den Kampf gegen die Bedrohung.
Die Kriterien für das Vorliegen einer PTSD sind in den beiden Diagnosemanualen, dem Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen der
Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung DSM-IV (American Psychiatric Association, 1996) sowie der International Classification of Diseases der Weltgesundheitsorganisation ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation, 1991), unterschiedlich gefasst, wobei das DSM-IV klarer umgrenzte und striktere Kriterien vorgibt.
39
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Kriterien für die Diagnose einer PTSD nach DSM-IV und ICD-10
Für die Entwicklung einer PTSD werden nach DSM-IV subjektive und objektive
Kriterien für das Erleben einer Situation als traumatisch vorausgesetzt: d. h. das
subjektive Erleben der relevanten Situation als traumatisch in der oben beschriebenen Weise sowie eine objektive Gefahr für die körperliche oder seelische Unversehrtheit der Person selbst oder einer anderen Person bis hin zu Lebensgefahr.
In der ICD-10 gilt hingegen ein Erlebnis als traumatisch, das in einer Weise eine
außergewöhnliche Bedrohung darstellt oder katastrophenartiges Ausmaß hat, so
dass dieses Erlebnis bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde. Für die
Diagnose einer PTSD wird also in beiden Manualen ein ursächliches Ereignis vorausgesetzt. In der ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation, 1991) ist die PTSD der Kategorie der Anpassungsstörungen zugeordnet. Diesen ist der Einschluss eines ursächlichen Ereignisses (außergewöhnlich belastendes Lebensereignis oder besondere Lebensveränderung, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt
hat) zur Diagnosestellung gemeinsam. Darin unterscheidet sich diese diagnostische Kategorie von allen anderen in der ICD-10. Im DSM-IV zählt die PTSD ebenso
wie die akute Belastungsstörung zu den Angststörungen. Anpassungsstörungen
bilden hier eine eigene Kategorie (American Psychiatric Association, 1996). Im Gegensatz zu einer PTSD, die das Erleben einer subjektiv und objektiv extremen Belastung voraussetzt, erfordert die Diagnose einer Anpassungsstörung nach DSMIV lediglich einen identifizierbaren Stressor beliebigen Schweregrades. Ein weiterer
Unterschied besteht darin, dass die Symptome einer Anpassungsstörung spätestens sechs Monate nach Ende der Belastung oder deren Folgen nicht mehr vorhanden sein dürfen. Bei der PTSD wird keine entsprechende zeitliche Einschränkung
vorgegeben, die Störung kann theoretisch lebenslang bestehen, selbst wenn das
ursächliche Ereignis bereits jahrelang zurückliegt. Zudem kann eine PTSD auch
erst längere Zeit nach dem Ereignis einsetzen, ab sechs Monaten bis hin zu Jahren
spricht man von einem verzögerten Beginn (siehe weiter unten, Seite 41, „verzögerter Beginn“). Diese Unterscheidungen zwischen Anpassungs- und posttraumatischer Belastungsstörung werden in der ICD-10 in ähnlicher Art und Weise getroffen.
Neben einem traumatischen Erlebnis in der Vorgeschichte erfordert die Diagnose einer PTSD das Vorliegen folgender weiterer Kriterien:
Wiedererleben: Intrusionen, d. h. unwillkürliche belastende Erinnerungen an das
traumatische Erlebnis, Alpträume über das Erlebnis, so genannte Flashbacks,
d. h. dissoziative Zustände, in denen die Person sich so verhält, als ob sie das
40
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Erlebnis in diesem Moment wiedererleben würde, intensives Leid und unangenehme Körperreaktionen bei Erinnerungen an das Erlebnis. Symptome
des Wiedererlebens müssen sowohl nach DSM-IV als auch nach ICD-10 für
die Diagnosestellung vorhanden sein.
Vermeidung: Externale und internale Reize, die mit dem Trauma verbunden sind,
werden vermieden. Die Person vermeidet dadurch die unangenehmen Gefühle und Körperreaktionen, die mit den Erinnerungen verbunden sind. Es
kann sich unter Umständen um eine Vielzahl solcher Reize handeln, die der
Betroffene zu vermeiden sucht – eine mögliche Erklärung dafür ist die Reizgeneralisierung, d. h. für die Person werden auch Reize, die denjenigen während des traumatischen Erlebnisses ähneln, angstauslösend. Man kann aktive und passive Vermeidungssymptome unterscheiden; erstere bezeichnet
das absichtliche Wegschieben von Gedanken, Gefühlen und Gesprächen über
das Trauma sowie Vermeidung von Orten, Aktivitäten und Personen, die mit
dem Trauma assoziiert sind. Passive Vermeidung umfasst Symptome wie Gefühlstaubheit, Interessensverlust, Erinnerungslücken bezüglich des traumatischen Ereignisses, Gefühle einer verkürzten Zukunft und Entfremdungsgefühle gegenüber Mitmenschen. Vermeidungssymptome müssen für eine
PTSD-Diagnose nach dem DSM-IV vorhanden sein, während sie in der ICD10 als häufig beobachtbare, jedoch für die Diagnosestellung nicht wesentliche
Symptome bezeichnet werden.
Übererregung: Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, übertriebene Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit. Wie bei den Vermeidungssymptomen müssen nach DSM-IV Übererregungssymptome für die Diagnosestellung einer PTSD vorliegen. Laut ICD-10 tragen die genannten Symptome
hingegen zur Diagnose bei, sind aber nicht von erstrangiger Bedeutung.
Über die genannten Kriterien hinaus, die sowohl in der ICD-10 als auch im DSMIV genannt sind, ist in letzterem festgelegt, dass eine PTSD-Diagnose dann gestellt
werden kann, wenn die genannten Kriterien und Symptome über einen Zeitraum
von vier Wochen hinaus bestehen. Zudem muss die Symptomatik eine deutliche
Funktionsbeeinträchtigung in wesentlichen Lebensbereichen der betroffenen Person mit sich bringen. Man spricht nach DSM-IV von einer chronischen PTSD, wenn
die Symptomatik länger als drei Monate andauert. Zudem kann festgelegt werden,
ob die Störung innerhalb der ersten sechs Monate nach dem traumatischen Ereignis
auftrat oder ob es sich um eine PTSD mit verzögertem Beginn handelt. Die ICD-10
sieht keinen verzögerten Beginn einer PTSD vor. Tritt die Störung erst später als
41
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
sechs Monate nach dem belastenden Erlebnis auf, kann lediglich die „wahrscheinliche“ Diagnose einer PTSD gestellt werden.
Es handelt sich um ein relativ neues Konzept: Obwohl der Zusammenhang
zwischen belastenden Lebensereignissen und psychischen Störungen bereits bekannt war und z. B. nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg vielfach
beschrieben wurde, wurde das Störungsbild erst 1980 präziser definiert und in das
damalige DSM-III aufgenommen. In die ICD fand die PTSD sogar erst 1990 mit
dem Wechsel von der 9. auf die 10. Version Eingang.
Weitere häufige Folgen traumatischer Erlebnisse wie z. B. affektive Störungen,
Substanzabhängigkeit oder Somatisierungssymptome (z. B. Perkonigg et al., 2000)
sind nicht in das stärker umgrenzte PTSD-Konzept mit aufgenommen. Es werden
also möglicherweise nicht alle denkbaren Reaktionen auf alle Arten von Traumata
im Rahmen einer PTSD ausreichend beschrieben (Foa, Keane & Friedman, 2000).
Die genannten anderen psychischen Reaktionen können jedoch als komorbide Störungen zusätzlich zu einer PTSD auftreten und diagnostiziert werden (siehe „1.4.2
Psychische Störungen komorbid zu einer PTSD“). Es gibt auch Hinweise z. B. aus
der Reaktion auf psychopharmakologische Behandlung der PTSD (Gaffney, 2003),
dass das Symptommuster einer PTSD von anderen psychischen Störungen wie Depression oder (anderen) Angststörungen deutlich abgrenzbar ist.
Prävalenz von traumatischen Lebensereignissen und PTSD in der westlichen
Allgemeinbevölkerung
Es existiert derzeit insgesamt nur eine geringe Anzahl an Studien zur Prävalenz
von PTSD in der Allgemeinbevölkerung, die meisten davon wurden in den USA
oder in Kanada durchgeführt (Hepp, Gamma, Milos, Eich, Ajdacic-Gross, Rössler, Angst & Schnyder, 2006a). So führten etwa Breslau, Kessler, Chilcoat, Schultz,
Davis und Andreski (1998) im Jahr 1996 eine Umfrage in der Allgemeinbevölkerung in der Gegend von Detroit, USA, durch und fanden heraus, dass mehr als
89 % der über 2000 Befragten in der Vergangenheit mindestens ein traumatisches
Erlebnis hatten. Jedoch wiesen nur 9,2 % dieser Untergruppe eine PTSD auf (bedingtes PTSD-Risiko über alle traumatischen Erlebnisse hinweg, nicht nur anhand
des subjektiv schlimmsten Ereignisses erhoben). Stein, Walker, Hazen und Forde
(1997) führten eine Untersuchung in Kanada durch und fanden Prävalenzzahlen
von potenziell traumatischen Lebensereignissen bei 45,8 % der befragten Frauen
und 55,4 % der Männer. Es litten 2,7 % der Frauen und 1,2 % der Männer zum Zeit-
42
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
punkt des Interviews an einer PTSD. Subsyndromale PTSD-Symptome wurden bei
3,4 % der Frauen und 0,3 % der Männer festgestellt.
Für Europa finden sich nur sehr wenige repräsentative Studien, in denen jeweils recht geringe PTSD-Raten zutage kamen: Beispielsweise gaben in einer Untersuchung von Hepp et al. (2006a) im Raum Zürich 28 % der Befragten an, mindestens ein potenziell traumatisches Erlebnis gehabt zu haben. Die Versuchspersonen waren sowohl 1993 als auch 1999 befragt worden. Unter den 28 % mit einem
potenziell traumatischen Erlebnis in der Vorgeschichte hatte niemand eine PTSD,
es kamen lediglich subsyndromale PTSD-Symptome bei 1,9 % der Befragten (12Monats-Prävalenz, Befragung 1993) bzw. 1,3 % (Befragung 1999) vor. Eine Studie
von Perkonigg et al. (2000) im Raum München ergab, dass 21,4 % der interviewten Personen bereits ein Erlebnis hatten, das den objektiven Trauma-Kriterien entsprach. Jedoch waren nur bei 17 % aller Befragten zusätzlich die subjektiven Kriterien für ein traumatisches Erlebnis erfüllt. Es ergaben sich eine Lebenszeitprävalenz für die Entwicklung einer PTSD von 1,3 % und eine 12-Monats-Prävalenz von
0,7 %. Stein, Höfler, Perkonigg, Lieb, Pfister, Maercker und Wittchen (2002) werteten Daten aus derselben Untersuchung aus: Sie bezogen auch Fälle ein, die eine
subsyndromale PTSD aufwiesen, und fanden Prävalenzen von 5,6 % PTSD oder
subsyndromaler PTSD zum ersten Untersuchungszeitpunkt (von diesem Zeitpunkt
stammen auch die Ergebnisse der vorher genannten Studie von Perkonigg et al.,
2000) sowie 10,3 % zum letzten Untersuchungszeitpunkt 34 bis 50 Monate später.
Maercker et al. (2004) untersuchten eine repräsentative Stichprobe junger Frauen
im Raum Dresden und fanden potenziell traumatische Erlebnisse bei einem Viertel der Befragten, ein Fünftel hatte Situationen hinter sich, die auch subjektiv als
traumatisch erlebt worden waren (am häufigsten nach Vergewaltigung). Insgesamt
hatten 3,2 % der Versuchspersonen eine PTSD.
Breslau (2002) weist darauf hin, dass die Methode zur Erhebung potenzieller traumatischer Lebensereignisse einen Einfluss auf die Prävalenzzahlen hat. So
führt die Befragung anhand einer Liste von Ereignissen gegenüber etwa einer offenen Frage eher zur Nennung einer größeren Anzahl an potenziell traumatischen
Erlebnissen. Hepp, Gamma, Milos, Eih, Ajdacic-Gross, Rössler, Angst und Schnyder (2006b) untersuchten die Konsistenz von Berichten über traumatische Lebensereignisse zu zwei verschiedenen, sechs Jahre auseinander liegenden Zeitpunkten.
Es zeigte sich, dass die Berichte teilweise erheblich voneinander abwichen. So berichtete etwa ein Drittel der Probanden erst zum zweiten Zeitpunkt Erlebnisse, die
jedoch bereits vor dem ersten Interview stattgefunden hatten, und 40 % der Befragten berichteten ein Lebensereignis, das sie zum ersten Zeitpunkt angegeben hatten,
43
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
zum zweiten Termin nicht mehr. Teilweise konnte die Inkonsistenz der Berichte auf
die Art des erlebten Traumas, auf die subjektive Wahrnehmung des Traumas sowie auf die individuellen PTSD-Symptome zurückgeführt werden. Diese Befunde
machen deutlich, dass Prävalenzzahlen zu traumatischen Lebensereignissen möglicherweise verzerrt sein könnten und vorsichtig interpretiert werden müssen.
Prävalenz der PTSD nach dem Erleben organisierter Gewalt
Unter „1.1.3 Zahlen und Fakten zu organisierter Gewalt“ wurde bereits angeführt,
dass es schwierig ist, repräsentative Zahlen zu organisierter Gewalt weltweit aufzustellen (Basoglu, 1993). Ebenso lässt sich nicht lückenlos aufdecken, wie häufig
Personen nach dem Erleben organisierter Gewalt an einer PTSD erkranken. Beispielsweise erreicht man oft nur Betroffene, die aus ihrem Herkunftsland geflohen
sind. Forschung in entsprechenden Ländern mit repressiven politischen Systemen
wird häufig nicht gestattet. Untersucht man jedoch die psychische Gesundheit von
Personen, die aufgrund von organisierter Gewalt ihre Heimat verlassen haben, so
ist oft unklar, ob die erhobenen Symptome von den Gewalterlebnissen herrühren
oder aber beispielsweise von Stressoren während der Flucht, von Entwurzelung
oder dem aktuellen Flüchtlingsstatus (Basoglu, 1993; Holtz, 1998). Hinsichtlich dieser Fragestellung verglich Holtz (1998) zwei Gruppen von tibetanischen Flüchtlingen – eine davon hatte Folter erlebt, die andere nicht – und fand heraus, dass
die gefolterten Flüchtlinge eine deutlich höhere Angstsymptomatik zeigten als die
anderen. Jedoch unterschieden sie sich nicht hinsichtlich ihrer Depressionssymptomatik. Dies lässt darauf schließen, dass die Spätfolgen von Folter über die Einflüsse
fluchtbezogener Umstände hinausgehen können. Andersherum könnten Belastungen, die im Exil auf Flüchtlinge mit traumatischen Vorerfahrungen einwirken, deren psychische Befindlichkeit zusätzlich beeinträchtigen (Silove & Steel, 1998; siehe
„1.4.4 Besonderheiten bei Asylbewerbern“).
Auch für Untersuchungen von PTSD nach organisierter Gewalt gelten die oben
angeführten Hinweise auf mögliche Verzerrungen in den Angaben der Probanden (siehe oben: Breslau, 2002). Ein weiteres Problem stellen methodische Mängel
dar, wie sie z. B. aus dem Gebrauch von Fragebögen, die für die jeweilige Untersuchungssprache nicht validiert sind, oder aus nicht-randomisierten Auswahlverfahren der Stichprobe entstehen können (Neuner, 2003). Ganz allgemein sind die
Angaben zu Prävalenz und Komorbidität über verschiedene Studien hinweg oft
nicht vergleichbar, da unterschiedliche Untersuchungsinstrumente, Diagnosekriterien oder Interviewmethoden etc. zur Anwendung kamen (Kunzke & Güls, 2003).
44
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Prävalenz der PTSD in Populationen mit erhöhtem Risiko für das Erleben organisierter Gewalt
Die bisher bekannten Prävalenzzahlen zu PTSD nach den Kriterien des DSM-IV in
der Allgemeinbevölkerung westlicher Staaten liegen je nach Lebensumständen etwa zwischen 1 und 10 % (siehe weiter oben). Dies umfasst PTSD in der Folge aller
Typen von traumatischen Ereignissen, von Unfällen und bis hin zu Gewalterlebnissen. Betrachtet man die Häufigkeit von PTSD in Bevölkerungsgruppen, die ein höheres Risiko für das Erleben traumatischer Ereignisse in Form von organisierter Gewalt hatten – beispielsweise in Ländern, in denen Krieg herrscht(e) oder Folter an
der Tagesordnung ist – finden sich meist höhere Prävalenzzahlen. So führten etwa
Lopes Cardozo et al. (2000) nach dem Krieg im Kosovo 1998/99 in der albanischen
Bevölkerung eine Befragung zu psychischen Erkrankungen durch und fanden eine
PTSD-Prävalenz von 17,1 %. Ein hoher Anteil der befragten Personen hatte traumatische Ereignisse erlebt (siehe „1.2.2 Beispiele organisierter Gewalt – Serbien und
Montenegro“). Da hier jedoch keine klinischen Interviews durchgeführt wurden,
sondern die Teilnehmer selbst Fragebögen ausfüllten, ist fraglich, wie valide die
Ergebnisse sind. Eine andere Studie mit Kosovo-Albanern, die teilweise während
des Kosovo-Krieges in ihrer Heimat geblieben waren oder diese vorübergehend
verlassen hatten, zeigte eine PTSD-Rate von 23,5 % auf (Eytan et al., 2004). Diejenigen Befragten, die ihre Heimat verlassen hatten, litten später signifikant häufiger
an einer PTSD. Mollica, McInnes, Sarajlic, Lavelle, Saraljic und Massagli (1999) untersuchten bosnische Flüchtlinge in einem Flüchtlingscamp in Kroatien und fanden
eine PTSD-Rate von 26,3 %. Allerdings unterschieden die Forscher nicht zwischen
subjektivem und objektivem Traumaerleben, sondern gingen davon aus, dass das
Kriterium A eines traumatischen Erlebnisses bei allen Teilnehmern alleine dadurch
erfüllt war, dass sie aus ihrer Heimat geflohen waren und nun Flüchtlingsstatus innehatten. Drei Jahre später erfüllten immer noch 45 % der Betroffenen die Kriterien
für eine PTSD (Mollica, Sarajlic, Chernoff, Lavelle, Vokovic & Massagli, 2001).
Neuner (2003) beschreibt eine große Untersuchung, die in Uganda mit sudanesischen Flüchtlingen durchgeführt wurde. Die Sudanesen waren aufgrund des
Bürgerkriegs in ihrem Heimatland geflohen. Es wurden über 1200 sudanesische
Flüchtlinge sowie eine ugandische Vergleichsgruppe mit über 650 Personen und
eine nicht geflohene sudanesische Vergleichsgruppe mit über 1400 Personen unter anderem zu PTSD-Symptomen befragt. Alle drei Gruppen hatten aufgrund von
jahrelangen mehr oder weniger ausgeprägten Unruhen in den jeweiligen Regionen
ein erhöhtes Risiko für das Erleben traumatischer Ereignisse. Es zeigte sich eine
45
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
PTSD-Prävalenz von 47,7 % in der Gruppe der Flüchtlinge sowie 48,7 % unter den
nicht geflohenen Sudanesen; in der ugandischen Vergleichsgruppe fand sich eine
PTSD-Prävalenz von 19,7 %.
In einer Untersuchung mit 118 verwaisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ruanda, die 1994 den Genozid erlebt hatten, fand Schaal (2006) eine Punktprävalenz der PTSD von 33,9 % und eine Lebenszeitprävalenz von 73,7 %. Die Befragten lebten entweder in einem Waisenhaus oder in einem lediglich von Kindern geführten Haushalt. Alle hatten potenziell traumatische Ereignisse erlebt, im
Durchschnitt waren es neun. Diese waren keineswegs nur auf den Genozid beschränkt, sondern hatten teilweise auch erst in jüngster Zeit vor dem Interview
stattgefunden.
In einer weiteren Studie von de Jong et al. (2003) führten die Untersucher diagnostische Interviews in Hinblick auf psychiatrische Störungen in Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Ländern nach gewalttätigen Konflikten durch: Sie befragten Personen in Algerien, Kambodscha, Äthiopien und Palästina und unterschieden zwischen denjenigen, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten Gewalterfahrungen gemacht hatten, und denen, die nichts dergleichen erlebt hatten.
In der Gruppe der Personen ohne solche Gewalterfahrungen hatten 13,2 % der Algerier, 6,9 % der Kambodschaner, 3,9 % der Äthiopier und 2,9 % der Palästinenser
eine PTSD. Die Prävalenzzahlen von PTSD unter denjenigen, die im bewaffneten
Konflikt potenziell traumatische Erfahrungen gemacht hatten, liegen deutlich höher und werden im nächsten Abschnitt aufgeführt.
Prävalenz der PTSD in Stichproben von Überlebenden organisierter Gewalt
Die vergleichsweise geringe PTSD-Prävalenz von 18 %, die Basoglu et al. (1994)
bei politischen Aktivisten in der Türkei nach Folter gefunden hatten, führen die
Autoren darauf zurück, dass diese Gruppe eine Erwartungshaltung und innere Bereitschaft gegenüber möglicher Gefangenschaft und Folter entwickelt hatten, die
sie vor einer PTSD schützten (siehe weiter unten, Seite 48, „Risikofaktoren für die
Entwicklung einer PTSD“). Untersuchungen einer Vergleichsgruppe von Personen,
die ebenfalls gefoltert worden waren, jedoch nicht politisch aktiv waren, bestätigen die Vermutung, dass politisches Engagement mit einem geringeren Risiko für
PTSD einhergeht: In der Vergleichsgruppe wiesen 58 % zum Untersuchungszeitpunkt das Symptommuster einer PTSD auf. Neuner (2003) weist allerdings auf die
Möglichkeit hin, dass es sich vermutlich nicht um eine repräsentative Stichprobe
handelte: Es könnte sein, dass sich aufgrund des Schneeball-Prinzips zur Gewin-
46
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
nung der Versuchspersonen nur Personen zur Teilnahme bereit erklärt haben, die
weniger schwer erkrankt waren, und daher die PTSD-Rate vermutlich in Wirklichkeit höher als 18 % ist.
In einer Studie von de Jong et al. (2003), in der wie im vorherigen Abschnitt erwähnt Überlebende organisierter Gewalt in Algerien, Kambodscha, Äthiopien und
Palästina untersucht wurden, wiesen die Untergruppen mit potenziell traumatischen Erlebnissen aus bewaffneten Konflikten folgende PTSD-Raten auf: 39,5 % der
Algerier, 33,4 % der Kambodschaner, 19 % der Äthiopier und 28 % der Palästinenser
hatten zum Untersuchungszeitpunkt eine PTSD.
Basoglu, Livanou, Crnobaric, Franciskovic, Suljic, Duric und Vranesic (2005)
untersuchten eine Stichprobe im ehemaligen Jugoslawien, in der jeder Befragte
mindestens eines von verschiedenen kriegsbezogenen traumatischen Erlebnissen
gehabt hatte (z. B. Kampferlebnisse, Folter oder Vertreibung). Sie führten eine Untersuchung hinsichtlich psychischer Kriegsfolgen in der Allgemeinbevölkerung im
ehemaligen Jugoslawien durch. Unter diesen Personen hatten 22 % zum Untersuchungszeitpunkt eine PTSD, die Lebenszeitprävalenz betrug 33 %.
Dass Erfahrungen organisierter Gewalt auch noch lange Zeit danach die Lebensqualität der Betroffenen beeinflussen können, zeigten Bichescu et al. (2005) in
einer Untersuchung mit im Schnitt über 70jährigen ehemaligen politischen Häftlingen in Rumänien. Auch lange nachdem sich die politischen Verhältnisse gewandelt hatten, wiesen 30,5 % der Befragten immer noch eine PTSD auf. Unter denjenigen, die die Kriterien einer PTSD nicht vollständig erfüllten, hatten alle bis auf
3 % der Gesamtstichprobe einzelne PTSD-Symptome. Die Gewalterlebnisse lagen
im Schnitt knapp über 40 Jahre zurück.
Ein weiteres Beispiel für mögliche Langzeitfolgen von organisierter Gewalt
bietet eine Studie von Maercker und Schutzwohl (1997), die politische Häftlinge
aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) untersuchten. Es
zeigte sich eine Rate aktuell bestehender PTSD von 30 % der Befragten und eine
Lebenszeitprävalenz von 60 %.
Alle bisher aufgeführten Studien in diesem Abschnitt wurden jeweils in den
Heimatländern der Befragten durchgeführt. Untersuchungen zur PTSD-Prävalenz
im Exil werden unter „1.4.4 Besonderheiten bei Asylbewerbern und Flüchtlingen“,
am Ende des Kapitels aufgeführt.
47
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTSD
Wie bereits angeführt, ist ein objektiv und subjektiv traumatisches Erlebnis die
Grundlage für die Diagnose einer PTSD (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Jedoch ist dies allein nicht ausreichend zur
Erklärung der Entstehung der Symptomatik, da nur ein geringer Anteil der Betroffenen nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses eine PTSD entwickelt
(siehe Seite 42, „Prävalenz von traumatischen Lebensereignissen und PTSD in der
westlichen Allgemeinbevölkerung“; McFarlane & Yehuda, 2000). Es kommt bei den
Betroffenen zwar möglicherweise zunächst zu Belastungssymptomen, die dann jedoch nicht zwangsläufig chronifizieren (Ehlers & Clark, 2000). Selbst massive potenziell traumatische Lebensereignisse werden weder von allen Menschen im selben Ausmaß subjektiv als traumatisch erlebt noch entwickeln die Betroffenen in der
Folge notwendigerweise eine (chronische) PTSD: Basoglu et al. (1997) untersuchten
beispielsweise politische Aktivisten aus der Türkei, die auf extreme Weise gefoltert
worden waren (siehe „1.2.1 Beispiele organisierter Gewalt - Türkei“). Es wiesen nur
18 % von ihnen zum Untersuchungszeitpunkt eine PTSD auf. Basoglu et al. gehen
davon aus, dass „psychologische Bereitschaft“ für mögliche Gefangenschaft und
Folter die politischen Aktivisten vor der Entwicklung einer PTSD schützte.
Welche weiteren Einflüsse über ein traumatisches Erlebnis hinaus spielen also
eine Rolle für die Entwicklung einer PTSD? Es wurden bestimmte Risikofaktoren
gefunden, die vor, während oder nach dem Trauma zum Tragen kommen können
(beispielsweise das Geschlecht einer Person, psychiatrische Vorerkrankungen, der
subjektive Stress während des Traumas oder die Reaktionen anderer Personen nach
dem Trauma – eine detaillierte Auflistung folgt weiter unten). Brewin, Andrews
und Valentine (2000a) fanden in einer Metaanalyse, dass diese Faktoren eine PTSD
zwar verlässlich voraussagten, jedoch lediglich in einem geringen Ausmaß. Die
Effekte waren nicht über alle in die Analyse einbezogenen Studien gleichermaßen
ausgeprägt.
Jedoch ist bei Betrachtung neuere Studien zur Anzahl erlebter Traumata (z. B. Eytan et al., 2004; Neuner, Schauer, Karunakara, Klaschik, Robert & Elbert, 2004a;
Mollica, McInnes, Pham, Fawzi, Murphy & Lin, 1998a; Mollica, McInnes, Poole &
Tor, 1998b) fraglich, ob sich einige der genannten Faktoren nicht zu einem „DosisFaktor“ zusammenfassen ließen, der eine PTSD in hohem Ausmaß vorauszusagen
scheint: Es zeigte sich, dass die Anzahl der erlebten Arten von Traumata einer der
stärksten Prädiktoren für die Entwicklung einer PTSD zu sein schien bzw. mit stärker ausgeprägter Symptomschwere einher ging (Eytan et al., 2004; Neuner et al.,
48
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
2004a; Terheggen, Stroebe & Kleber, 2001). Je mehr verschiedene traumatische Erlebnisse eine Person hatte oder je bedrohlicher diese waren, desto höher war die
Wahrscheinlichkeit, dass sie an einer PTSD erkrankt war („building block“-Effekt
der Belastung). Es wird angenommen, dass vermutlich jeder Mensch bei multipler
Erfahrung traumatischer Lebensereignisse irgendwann eine PTSD entwickeln würde. D. h. auch Menschen, die zuvor keine Vulnerabilitätsfaktoren aufwiesen, können bei genügend hoher „Trauma-Dosis“ betroffen sein. Diese Dosis ist individuell verschieden, jedoch erfüllten beispielsweise in einer Untersuchung von Neuner
et al. (2004a), in der über 3000 Personen im Sudan hinsichtlich PTSD befragt wurden, alle Probanden ab einer Anzahl von mehr als 28 erlebten Typen von traumatischen Erlebnissen die Kriterien einer PTSD. Die Dosis der erlebten Traumata hat
nicht nur einen Einfluss auf die Entwicklung einer PTSD, sondern auf die gesamte
psychische Gesundheit und das soziale Funktionsniveau einer Person (Lopes Cardozo et al., 2000). Neuner et al. (2004a) merken an, dass es sinnvoll wäre, in Untersuchungen zu Risikofaktoren stets den „building block“-Effekt zu untersuchen. In
der genannten Metaanalyse von Brewin et al. (2000a) ist jedoch die Erhebung der
Faktoren „vorherige Trauma-Erfahrungen“ und „weiterer Stress nach dem traumatischen Erlebnis“ in den einzelnen analysierten Studien nicht genau beschrieben.
D. h. es bleibt unklar, ob das Ausmaß verschiedener traumatischer Vorerfahrungen oder auch nachfolgender Belastungen erhoben wurde oder lediglich danach
gefragt wurde, ob je zuvor ein traumatisches Ereignis vorgekommen sei oder es
später neue Belastungen gegeben habe. Die Ergebnisse der Metaanalyse werden
im Folgenden hier dennoch kurz angeführt:
Zu den Risikofaktoren, die bereits vor dem Trauma bestehen, zählen Geschlecht,
Alter zum Zeitpunkt des Traumas und Rassenzugehörigkeit, sozioökonomischer
Status, Bildung, Intelligenz, vorherige Trauma-Erfahrungen, psychiatrische Erkrankungen in der Vorgeschichte (auf die Person selbst oder auf ihre Familie bezogen) sowie Missbrauch oder andere belastende Einflüsse in der Kindheit. Es zeigte
sich über verschiedene Stichproben hinweg, dass psychiatrische Vorerkrankungen
beim Probanden oder seiner Familie sowie Missbrauchserlebnisse in der Kindheit
relativ konstant die Entwicklung einer PTSD vorhersagten. In allen untersuchten
Stichproben mit Ausnahme einer Gruppe, die Kriegserlebnisse gehabt hatte, zeigt
sich zudem, dass weibliches Geschlecht durchgehend ein höheres Risiko für eine
PTSD bedeutete. Hier bleibt jedoch unklar, ob Frauen allgemein vulnerabler sind
oder ob sie beispielsweise eine höhere Dosis an Traumata erlebt hatten – auch hier
fehlt zur Beurteilung die genauere Beschreibung des Faktors „früheres TraumaErleben“. Auch niedrigerer sozioökonomischer Status, niedrigere Bildung und In49
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
telligenz sowie frühere psychiatrische Erkrankungen und andere frühere Belastungen sagten eine PTSD in geringem, aber zuverlässigem Maß voraus. Niedrigeres
Lebensalter zum Zeitpunkt des Traumas sowie die Rassenzugehörigkeit zu einer
Minderheitengruppe – in den untersuchten Studien lediglich als „weiße Mehrheit“
vs. „Minderheiten“ klassifiziert – stellten nicht durchgehend in allen analysierten
Stichproben ein Risiko für die Entwicklung einer PTSD dar (Brewin et al., 2000a).
Eine Zwillingsstudie von True, Rice, Eisen, Heath, Goldberg, Lyons und Nowak (1993) mit Vietnamveteranen zeigte, dass das Risiko für die Entwicklung einer
PTSD nach traumatischen Erfahrungen auch von genetischen Faktoren beeinflusst
wird, sogar unabhängig von Unterschieden im Ausmaß der Kriegserfahrungen.
Diejenigen Faktoren, die während oder nach dem Trauma zum Tragen kamen,
sagten eine PTSD in etwas höherem Ausmaß voraus als solche, die vor dem Trauma
bestanden (Brewin et al., 2000a).
Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTSD, die während des traumatischen Erlebnisses zum Tragen kommen, sind die Schwere des traumatischen Erlebnisses, starke Gefühle von Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen während des Traumas, Gefühle von Scham oder Wut gegenüber anderen sowie dissoziative Erfahrungen während und nach dem Erlebnis. In die genannte Metaanalyse von Brewin
und Kollegen wurden lediglich diejenigen Risikofaktoren einbezogen, die in wenigstens vier der analysierten wissenschaftlichen Artikel untersucht worden waren. Aus diesem Grund wurde von den genannten Risikofaktoren während des Erlebnisses lediglich die Schwere des traumatischen Erlebnisses mit berücksichtigt.
Diese zeigte sich neben zwei Posttrauma-Faktoren (siehe unten) als einer der drei
stärksten Prädiktoren für die Entwicklung einer PTSD in dieser Studie (dennoch
bewegen sich diese Einflüsse lediglich im unteren bis mittleren Bereich). Es ist allerdings nicht beschrieben, wie die Schwere der traumatischen Erlebnisse in den
jeweiligen Studien erhoben wurde, also ob beispielsweise subjektive oder objektive Schwere-Einschätzungen vorgenommen wurden oder beides erhoben wurde.
Die subjektive Schwere des traumatischen Ereignisses war in einer unveröffentlichten Untersuchung von Basoglu und Paker, auf die er in einem anderen Artikel hinweist (Basoglu, 1993), ein Prädiktor für die Entwicklung einer PTSD. Die
Studie wurde mit Folterüberlebenden durchgeführt. Es zeigte sich, dass lediglich
der wahrgenommene subjektive Stress während der Folter, nicht aber der objektive
Schweregrad der Folter eine spätere PTSD voraussagte.
Weitere der oben genannten peritraumatischen Risikofaktoren wurden von
Brewin, Andrews und Rose (2000b) untersucht. Die Autoren untersuchten die subjektive Einschätzung der Intensität verschiedener traumarelevanter Gefühle der
50
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Probanden. Sie fanden heraus, dass intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen
in hohem Maß eine spätere PTSD vorhersagten. Ein kleiner Teil der Probanden mit
ebenso ausgeprägten PTSD-Symptomen berichtete nicht von solchen Gefühlen, jedoch von intensiver traumabezogener Wut und / oder Scham zum Zeitpunkt des
Interviews. Diese Emotionen stellten in einer anderen Untersuchung ebenfalls Prädiktoren für eine spätere PTSD dar (Andrews, Brewin, Rose & Kirk, 2000).
Briere, Scott und Weathers (2005) untersuchten verschiedene Dissoziationsphänomene als Prädiktoren für die Entwicklung einer PTSD. Es zeigte sich, dass sowohl peritraumatische Dissoziation als auch traumabezogene anhaltende Dissoziation und peritraumatischer Stress als auch bereits vor dem Trauma vorhandene
generalisierte Dissoziation PTSD vorhersagten. Jedoch spielte die peritraumatische
Dissoziation als Prädiktor keine Rolle mehr, sobald anhaltende Dissoziation vorlag.
Briere et al. folgern aus den Befunden, dass peritraumatische Phänomene weniger
wichtig für die Entstehung einer späteren PTSD zu sein scheinen als das, das nach
dem Trauma geschieht.
Nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses spielen folgende Faktoren
eine Rolle für die Entwicklung einer PTSD (Brewin et al., 2000a): Stress in der Zeit
nach dem Trauma, die Entwicklung einer akuten Belastungsreaktion und fehlende
soziale Unterstützung bzw. negative Reaktionen der Umwelt. Letzterer Faktor sagte eine PTSD am stärksten voraus, wenn auch lediglich mit moderatem Einfluss.
Brewin und Holmes (2003) merken an, dass negative soziale Erfahrungen wie Indifferenz oder Kritik eine PTSD zuverlässiger voraussagten als lediglich das Fehlen
positiver Unterstützung. Darüber hinaus stellte die negative Bewertung des Betroffenen von an sich positiven Unterstützungsangeboten anderer ebenfalls einen Risikofaktor für eine spätere PTSD dar. Ehlers und Clark (2000) stellen in ihrem „Kognitiven Modell der posttraumatischen Belastungsstörung“ den Zusammenhang
zwischen Faktoren wie z. B. Grübeln, Sicherheitsverhalten, Vermeidung von Gedanken an das Trauma und dem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer PTSD
dar (siehe weiter unten).
Modelle der posttraumatischen Belastungsstörung
Es werden im Folgenden drei neuere Modelle der PTSD vorgestellt sowie die Unterschiede zwischen ihnen aufgezeigt. Implikationen für eine Behandlung werden
kurz erwähnt. Es handelt sich um die „dual representation theory“ von Brewin,
Dalgleish und Joseph, die „emotional processing theory“ von Foa und Rothbaum
51
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
sowie das Kognitive Modell der posttraumatischen Belastungsstörung nach Ehlers
und Clark.
Die „dual representation theory“ von Brewin, Dalgleish und Joseph
Brewin, Dalgleish und Joseph (1996) entwickelten ein Modell der PTSD, das von
zwei verschiedenen, parallel arbeitenden Gedächtnissystemen ausgeht. Die Autoren beschreiben einerseits das „verbally accessive memory“ (VAM), das willentlich abrufbare, in einen autobiografischen Kontext eingebundene, bewusst wahrgenommene Informationen enthält. Jedoch ist angesichts einer bedrohlichen Situation die Kapazität des VAM stark eingeschränkt. Der Abruf von VAM ist von
so genannten primären Emotionen begleitet, die während des traumatischen Erlebnisses aufgetreten waren, aber auch von sekundären Emotionen, die aus rückblickenden Bewertungen des Traumas entstehen. Auf der anderen Seite steht das
„situationally accessible memory“ (SAM), das Informationen enthält, die auf weniger bewussten Ebenen wahrgenommen wurden und nicht willentlich abrufbar
sind. Solche Informationen sind z. B. Veränderungen im Körper oder sehr kurz präsente sensorische Eindrücke, die kaum bewusst wahrgenommen werden konnten
und deshalb nicht im VAM gespeichert wurden. Erinnerungen dieser Art sind lediglich von den oben bereits genannten primären Emotionen begleitet. Brewin et
al. betrachten neuropsychologische Befunde als Untermauerung der „dual representation theory“: Das VAM ist mit dem Hippocampus assoziiert, der bewusste Informationen kohärent und eingebettet in einen zeitlichen und räumlichen Kontext
speichert und der bei höherem Stress zunächst effizienter arbeitet, was bei andauerndem, intensivem Stress jedoch wieder abnimmt. Diese anhaltende Belastung beeinträchtigt das Funktionieren des Hippocampus. So erklären die Autoren, dass die
Inhalte des VAM für ein traumatisches Ereignis oft lückenhaft und desorganisiert
sind. Das SAM ist wiederum mit der Amygdala assoziiert, in der Informationen
ohne kontextuelle Einbindung gespeichert werden und die bei höherem Stress allgemein mehr Aktivität zeigt. Die fehlende zeitliche Einbettung der Erinnerungen
führt beim Abruf zu einem Hier-und-Jetzt-Gefühl, durch das Flashbacks charakterisiert sind. Dadurch, dass beständig der Eindruck von Gefahr besteht, kommt es
auch zu Aufmerksamkeits- und Erinnerungsverzerrungen.
Die Autoren gehen davon aus, dass die traumatischen Gedächtnisrepräsentationen – etwa durch eine Therapie – nicht verändert werden, sondern dass neue
Trauma-Erinnerungen etabliert werden, die idealerweise irgendwann näherliegend
und somit leichter abrufbar sein sollten als die alten Gedächtnisinhalte. Solange je-
52
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
doch das SAM im Verhältnis zum VAM noch zu viele Informationen enthält, die
unzureichend im VAM repräsentiert sind, ist es wahrscheinlicher, dass die alten
Trauma-Erinnerungen leichter abrufbar sind. D. h. im neuen VAM sind die Informationen aus dem SAM integriert und somit ebenfalls bewusst abrufbar und in
den Kontext eingebettet.
Brewin et al. nennen einige Implikationen für die Behandlung einer PTSD, die
sich aus der „dual representation theory“ ergeben: Zum einen bestehen therapeutische Ansätze zum Beenden von Flashbacks darin, dass der Betroffene sich auf
den Inhalt der Flashbacks konzentrieren soll, anstatt sie zu unterdrücken, um die
Erinnerungen aus dem SAM in einen zeitlichen und räumlichen Kontext, also ins
VAM-System, einzubetten. Zum anderen sollen negative Bewertungen korrigiert
werden: Dies erfordert, dass der Patient explizit über diese Bewertungen spricht.
Zur Symptomreduktion ist es notwendig, neue und hilfreichere Gedächtnisrepräsentationen des Traumas zu etablieren, die auch leichter abgerufen werden als die
ursprünglichen Repräsentationen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese neuen Informationen genauer sind oder korrektiven Charakter haben, sie sollen nur
leichter aus dem Gedächtnis abrufbar sein (siehe „1.5 Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung“).
Die „emotional processing theory“ von Foa und Rothbaum
Foa und Rothbaum (1998) stellen ein Modell der PTSD auf, das Lerntheorien, kognitive und Persönlichkeitstheorien mit einbezieht und erklärt, warum einige Personen nach einem traumatischen Erlebnis an einer PTSD erkranken, während andere sich wieder erholen. Die Autoren gehen davon aus, dass die Unterschiede zwischen diesen beiden Personengruppen in der Beschaffenheit des Traumagedächtnisses liegen.
Dem Modell liegt die kognitive Struktur der Angst zugrunde. Hinsichtlich dieser Struktur übernehmen Foa und Rothbaum die „bioinformational theory of emotion“ von Lang (1979, nach Foa & Rothbaum, 1998). Diese besagt, dass die Angststruktur grundsätzlich hilfreich ist, um vor Gefahren zu fliehen, und Informationen
über traumabezogene Reize, Reaktionen und Bedeutungen enthält. Wenn die Bedrohung vorüber ist, lässt im Normalfall auch die Angstreaktion nach. In manchen
Fällen wird diese Reaktion jedoch pathologisch: Wenn die Furchtreaktion besonders stark ist (ausgeprägte Vermeidung und physiologische Erregung), wenn die
Furchtstruktur unrealistische Informationen enthält und wenn Verbindungen zwischen harmlosen Reizen und Flucht-/Vermeidungsreaktionen bestehen. Die As-
53
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
soziationen und Bewertungen eines normalen Traumagedächtnisses spiegeln die
Realität hingegen unverzerrter wider. Die Besonderheit der Angststruktur bei PTSD
im Vergleich zu sonstigen pathologischen Strukturen (z. B. bei einfachen Phobien)
ist die besonders große Anzahl angstauslösender Stimuli. Die fehlerhaften Annahmen und Assoziationen in der pathologischen Furchtstruktur führen nach Annahme der Autoren dazu, dass der Betroffene sich selbst als inkompetent und die Welt
als extrem gefährlich einschätzt.
Ob jemand nach einem traumatischen Erlebnis an einer PTSD erkrankt oder
sich wieder erholt, hängt von folgenden Faktoren ab: den Schemata, die derjenige über die Welt und sich selbst bereits vor dem Trauma hatte, den Erinnerungen
an spezifische Ereignisse vor dem Trauma, den Erinnerungen an das Trauma selbst
und den Erinnerungen an die Zeit nach dem Trauma. Diese Faktoren hängen außerdem zusammen, z. B. beeinflussen die bereits bestehenden Schemata die Wahrnehmung der traumatischen Situation. Bereits bestehende Schemata über die eigene
Person und die Welt scheinen dann eine pathologische Furchtstruktur zu fördern,
wenn sie extrem sind, sowohl in positiver als auch in negativer Richtung. Das Erleben eines traumatischen Ereignisses wird eine besonders positive Sichtweise über
sich und die Welt extrem in Frage stellen und so den Betroffenen in seiner Einschätzung von Gefahr stark verunsichern. Hatte jemand zuvor jedoch bereits eine
extrem negative Sichtweise seiner selbst und der Welt, so wird diese durch das Erleben eines Traumas bestätigt.
Das subjektive Erleben des traumatischen Ereignisses als besonders schwer
und starke Gefühle von Hilflosigkeit währenddessen begünstigen die Entstehung
einer pathologischen Furchtstruktur (siehe weiter oben, „Risikofaktoren für die
Entstehung einer PTSD“). Die Erinnerungen für die Zeit nach dem Trauma führen dann eher zu einer pathologischen Entwicklung, wenn Reaktionen von anderen oder eigene emotionale Probleme, die zunächst nach dem Trauma bestehen,
als weitere Zeichen einer gefährlichen Welt oder eigener Inkompetenz gedeutet
werden. Legt man dieses Modell der PTSD zugrunde, soll eine erfolgreiche Therapie der Störung dadurch erfolgen, dass die „gesunde“ emotionale Verarbeitung
des Traumas vorangetrieben wird. Es ist also notwendig, diejenigen Faktoren zu
identifizieren, die eine solche Verarbeitung behindern oder fördern. Zentrale Therapiemethode ist die Konfrontation mit dem erlebten Trauma: Um eine Habituation
der Angstreaktion zu erreichen, soll sich der Betroffene den Erinnerungen wiederholt aussetzen. Gleichzeitig wird so die Vermeidung durchbrochen, die die Störung
bisher aufrechterhält. Zudem werden beim Wiedererleben des Traumas in sicherer
54
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Umgebung dem Traumagedächntis neue, sicherheitsbezogene Informationen hinzugefügt (siehe „1.5 Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung“).
Das Kognitive Modell der posttraumatischen Belastungsstörung von Ehlers und
Clark
Ehlers und Clark (2000) entwickelten ein kognitives Modell der PTSD. Es dient
zum einen dazu, zu erklären, wie sich nach einem traumatischen Erlebnis aus anfänglichen Belastungssymptomen eine chronische PTSD entwickelt. Zum anderen
bietet es einen Rahmen für eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der
PTSD.
Es wird postuliert, dass eine PTSD nur dann entsteht, wenn ein Individuum
ein traumatisches Erlebnis so verarbeitet, dass danach ein Gefühl ständiger hoher
Bedrohung entsteht. Die Autoren nennen zwei Hauptprozesse, die zu einem aktuellen Bedrohungsgefühl ohne tatsächliche Gefahr führen: 1) negative Bewertung
des Traumas oder der Folgeerkrankungen; 2) eine Störung des autobiografischen
Gedächtnisses im Zusammenhang mit dem traumatischen Erlebnis. Negative Bewertungen des Traumas können übergeneralisierende Ansichten sein, z. B. dass
man Unglück anzieht oder dass es notwendig ist, stets auf der Hut vor Gefahr zu
sein. Bezogen auf die Folgen eines traumatischen Erlebnisses kann ein Betroffener
beispielsweise befürchten, seine emotionale Abgestumpftheit sei nun für immer
präsent und würde es ihm unmöglich machen, je wieder eine erfüllende Beziehung eingehen zu können. Ein Risikofaktor für solche negativen Bewertungen ist
die „mental defeat“, das Gefühl, vollkommen hilflos zu sein, so dass man alle Versuche aufgibt, sein eigenes Leben zu beeinflussen und seine Identität zu wahren.
Die Störung des autobiografischen Gedächtnisses bei PTSD ist durch Folgendes gekennzeichnet: unzureichende Ausarbeitung und Einfügung der Erinnerungen an
das Trauma in das autobiografische Gedächtnis, was einerseits zu Schwierigkeiten beim Versuch führt, sich aktiv zu erinnern und das Erlebte in einen Kontext
zu bringen, andererseits ungewolltes Wiedererleben mit sich bringt. Darüber hinaus bestehen starke assoziative Verbindungen sowohl zwischen Reizen als auch
zwischen Reizen und Reaktionen, die mit dem Trauma in Zusammenhang stehen,
sowie eine niedrige Wahrnehmungsschwelle für traumarelevante Reize. Die Autoren unterscheiden zwischen zwei Verarbeitungsmechanismen des Gedächtnisses:
dem „conceptual processing“ (organisiert und bewertet Situationen und ordnet sie
in einen Kontext ein) und „data-driven processing“ (Fokus auf sensorischen Informationen). Ersteres fördert die Integration von Erlebtem in das autobiografische
55
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Gedächtnis, während zweiteres eher schwer abrufbare Erinnerungen mit unzureichender Einbettung in den Kontext mit sich bringt. Je mehr „data-driven processing“ auftritt, desto ausgeprägter wird die Störung des autobiografischen Gedächtnisses für das traumatische Erlebnis sein.
Ob sich nach einem Trauma das Gefühl andauernder Bedrohung entwickelt,
hängt mit der Art der Informationsverarbeitung im Gedächtnis zusammen, wird
darüber hinaus jedoch zudem von weiteren Faktoren beeinflusst. So spielen etwa
Charakteristika des Traumas und subjektive Wahrnehmung der Situation, frühere Erfahrungen und Überzeugungen wie auch Bewältigungsstrategien, die jemand
in einer belastenden Situation zur Verfügung hat, eine Rolle. Das Bedrohungsgefühl ist begleitet von Intrusionen und anderen Symptomen des Wiedererlebens,
Erregungs-, Angst- und anderen emotionalen Symptomen. Zudem treten eine Reihe kognitiver und Verhaltensstrategien auf, die kurzfristig die wahrgenommene
Bedrohung und den Stress reduzieren sollen, jedoch langfristig verhindern, dass
kognitive Veränderungen stattfinden, und die deshalb die Störung aufrecht erhalten.
Legt man dieses Modell einer PTSD zugrunde, ergeben sich folgende Bausteine für eine Behandlung: die Ausarbeitung des Traumagedächtnisses und dessen
Integration in den Kontext der anderen Lebenserfahrungen des Betroffenen, um
Symptome des Wiedererlebens zu reduzieren sowie die Modifikation problematischer Bewertungen des Traumas und / oder der Folgen, um das Gefühl einer andauernden Bedrohung zu beenden. Um diese therapeutischen Schritte überhaupt
einleiten zu können, ist es notwendig, die dysfunktionalen kognitiven und Verhaltensstrategien zu reduzieren, die eine Ausarbeitung des Traumagedächtnisses
verhindern, Symptome verstärken oder eine Neubewertung des Geschehenen blockieren. Lässt sich ein Betroffener auf eine Traumatherapie ein, ist das bereits der
erste Schritt zur Durchbrechung der Vermeidungsstrategien (siehe „1.5 Therapie
der posttraumatischen Belastungsstörung“).
Ehlers und Clark betrachten es als erstaunlich, dass die PTSD im DSM-IV
(American Psychiatric Association, 1996) den Angststörungen zugerechnet wird,
bei denen aus kognitiver Sicht üblicherweise Angst vor einer angenommenen bevorstehenden Bedrohung besteht. Dahingegen sei die Bedrohung im Zusammenhang mit einer PTSD ja bereits in der Vergangenheit passiert. Betrachtet man hingegen die Symptomatik aus der Sicht der ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation,
1991), in der die PTSD zu den Anpassungs- und nicht zu den Angststörungen zählt,
tritt diese Diskrepanz nicht auf. Anpassungsstörungen bei schwerer oder kontinuierlicher Belastung sind nach ICD-10 dadurch gekennzeichnet, dass sie erfolgreiche
56
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Bewältigungsmechanismen verhindern und deswegen zu einer Störung der sozialen Leistungsfähigkeit des Betroffenen führen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Modelle
Die drei beschriebenen PTSD-Modelle überschneiden sich in vielerlei Hinsicht (Brewin & Holmes, 2003). Alle Modelle gehen z. B. davon aus, dass im Falle einer PTSD
Veränderungen in den Gedächtnisstrukturen stattgefunden haben. Die TraumaErinnerungen unterscheiden sich von anderen Gedächtnisrepräsentationen, da sie
in anderer Art und Weise vom Gehirn verarbeitet wurden. Ebenso postulieren alle drei Modelle den Einfluss von Bewältigungsstrategien, Vorerfahrungen etc. auf
die Entwicklung einer PTSD nach dem Erleben eines Traumas. Unterschiede bestehen in den Annahmen darüber, wie das Traumagedächtnis beschaffen ist: Während sowohl Brewin et al. als auch Ehlers und Clark jeweils von zwei unterschiedlichen Gedächtnismechanismen ausgehen, die zwar unterschiedlich bezeichnet werden, sich jedoch inhaltlich weitgehend entsprechen („verbally accessive memory“
(VAM) bzw. „conceptual processing“ und „situational accessive memory“ (SAM)
bzw. „data-driven processing“), gehen Foa und Rothbaum lediglich von einer Angststruktur aus, die jedoch im Fall einer PTSD im Vergleich zum „Normalzustand“
pathologisch verändert ist.
Bezogen auf Therapieempfehlungen stimmen die Modelle dahingehend überein, dass Konfrontation mit den Trauma-Erinnerungen das Mittel der Wahl ist. Jedoch liefern sie verschiedene Begründungen dafür: Foa und Rothbaum nehmen
an, dass explizites Wiedererleben deshalb hilfreich ist, weil es die Integration der
Trauma-Erinnerungen in das übrige Gedächtnisnetzwerk ermöglicht und die Assoziationen zwischen den traumatischen Elementen untereinander und mit sonstigen Elementen nunmehr in gesundem Ausmaß gebildet werden. Ehlers und Clark
gehen hingegen davon aus, dass die Integration der Trauma-Erinnerungen in den
autobiografischen Kontext das Abrufen sensorischer und physiologischer Reaktionen auf Erinnerungsreize hemmt. Brewin et al. wiederum postulieren den Nutzen
der Konfrontation mit dem Trauma aufgrund der Neubildung von „verbally accessive memory“ (VAM), das die Reagibilität der Amygdala auf Erinnerungsreize
verhindert.
1.4.2
Psychische Störungen komorbid zu einer PTSD
Im Folgenden werden psychische Störungen (mit Ausnahme von Persönlichkeitsstörungen) aufgeführt, die häufig komorbid zu einer PTSD auftreten, sowie deren
57
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Komorbiditätsprävalenzen. Der Begriff „Komorbidität“ wird hier so verstanden,
dass mehrere Störungen gleichzeitig bei einer Person vorhanden sind, ohne dass
eine der Störungen notwendigerweise deutlich im Vordergrund steht oder Mutmaßungen über mögliche Zusammenhänge zwischen den Diagnosen getroffen werden. Sowohl nach dem Diagnosemanual DSM-IV (American Psychiatric Association, 1996) als auch nach ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation, 1991) soll zwar eine
Hauptdiagnose genannt werden, die sich nach dem Störungsbild mit der größten
aktuellen Bedeutung bzw. nach dem Konsultationsgrund richten soll. Jedoch wird
im DSM-IV eingeräumt, dass diese Einschätzung schwierig und mehr oder weniger willkürlich ist. Zudem konsultieren Patienten im Rahmen einer Studie die
Forscher meist nicht aus eigenem Leidensdruck heraus, sondern werden gezielt
angesprochen, und es spielen in diesem Kontext weniger die für den Patienten
im Vordergrund stehenden Beschwerden als vielmehr die wissenschaftliche Fragestellung eine Rolle (Kazdin, 2004). D. h. es existiert häufig kein Konsultationsgrund vergleichbar mit einem klinischen Setting im Alltag. Sollte in diesem Kapitel
in einer zitierten Studie eine Einschätzung hinsichtlich primärer und sekundärer
Diagnose vorgenommen worden sein, wird dies gesondert angeführt. Es werden
Studien angeführt, in denen alle Arten potenziell traumatischer Ereignisse erhoben und einbezogen wurden, d. h. die Ergebnisse spiegeln nicht nur die Raten bei
PTSD aufgrund von organisierter Gewalt wider. In vielen Studien mit Überlebenden organisierter Gewalt werden zwar sowohl der Anteil an PTSD als auch anderer
psychischer Störungen erhoben, jedoch wird häufig nicht deutlich gemacht, welche der Störungen einzeln oder komorbid bei einem Probanden auftreten, da eher
Gruppenvergleiche von z. B. Überlebenden und Kontrollpersonen im Vordergrund
stehen (z. B. Basoglu et al., 1997; Bichescu et al., 2005; Lopes Cardozo et al., 2000;
Maercker & Schützwohl, 1997).
Da die Methodik der angeführten Studien große Variation aufweist (z. B. hinsichtlich verwendeter Fragebögen, Diagnosemanual, Alter der Versuchspersonen,
Art der traumatischen Erlebnisse etc.), sind die Ergebnisse häufig nicht direkt miteinander vergleichbar bzw. geben nur ein ungefähres Bild der Realität wieder (Kunzke & Güls, 2003).
Die in diesem Abschnitt aufgeführten Störungsbilder sind in den beiden Diagnosemanualen ICD-10 und DSM-IV teilweise unterschiedlich klassifiziert oder
hinsichtlich der Symptome nicht exakt gleich definiert. Diese Unterschiede werden
jeweils kurz beschrieben. Die genannten psychischen Störungen könnten grundsätzlich auch einzeln – ohne Komorbidität mit PTSD – als Reaktion auf das Erleben organisierter Gewalt auftreten. Jedoch beinhalten die diagnostischen Kriterien
58
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
dieser Störungen (mit Ausnahme der andauernden Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung) keine Nennung eines konkreten Auslösers (Weltgesundheitsorganisation, 1991), so dass ein Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen lediglich vermutet werden kann. Perkonigg et al. (2000) untersuchten allerdings den
Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und psychischen Störungen
außer PTSD in der Allgemeinbevölkerung und fanden einen signifikanten, wenn
auch lediglich moderaten Zusammenhang für die meisten dieser Störungen. Auch
de Jong et al. (2003) fanden signifikant höhere Raten über alle untersuchten psychischen Störungen hinweg bei den Personen, die Gewalt im Rahmen von bewaffneten Auseinandersetzungen erlebt hatten.
Über alle Störungsbilder komorbid zur PTSD hinweg (eine oder mehrere zusätzliche Diagnosen) finden sich z. B. bei Kessler, Sonnega, Bromet, Hughes und
Nelson (1995) Lebenszeitprävalenzen von 88,3 % bei Männern und 79 % bei Frauen. Die PTSD-Diagnose wurde nach DSM-III-R gestellt, ebenfalls hinsichtlich Lebenszeitprävalenz erfasst und betrug 7,8 %. Aufgrund der Erfassung der Lebenszeitprävalenzen ist in dieser Studie die Definition von Komorbidität als dem gleichzeitigen Vorhandensein mehrerer psychischer Störungen in unbekanntem Ausmaß
nicht zutreffend. Mehr als drei komorbide Diagnosen bestehen in der Studie von
Kessler et al. (1995) bei 59 % der Männer und 43,6 % der Frauen. Perkonigg et al.
(2000) stellten bei 87,5 % der Befragten mit einer PTSD mindestens eine weitere
Diagnose fest, 77,5 % hatten zwei oder mehr Diagnosen (ebenso Erfassung der jeweiligen Lebenszeitprävalenzen). Bolton, O’Ryan, Udwin, Boyle und Yule (2000)
untersuchten Personen, die in ihrer Jugend ein Schiffsunglück überlebt hatten, und
stellten eine Komorbiditätsrate für PTSD und mindestens eine andere erhobene
psychische Störung für den Zeitraum seit dem Unglück (fünf bis acht Jahre) von
81,8 % fest, die Punktprävalenz zum Zeitpunkt der Untersuchung betrug noch 50 %
(zu diesem Zeitpunkt ohne Einbeziehung von spezifischen Phobien)1 .
Brady (1997) weist darauf hin, dass es beträchtliche Überlappungen zwischen
PTSD-Symptomen und denjenigen anderer psychischer Erkrankungen gibt (z. B. mit
Depression, Panikstörung oder generalisierter Angststörung). Dies kann die Diagnose einer PTSD erschweren. Es sollten stets spezifisch eventuelle PTSD-Symptome
erfragt werden.
1 Bolton et al. (2000) ließen die im DSM-IV vorgegebenen Ausschlusskriterien für die Diagnose
einer spezifischen Phobie und einer PTSD grundsätzlich außer Acht, diagnostizierten die Störung
jedoch zum letzten aufgeführten Zeitpunkt nicht mehr.
59
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Affektive Störungen
Die Störungen dieser Kategorie sind laut ICD-10 allgemein dadurch gekennzeichnet, dass die Stimmung verändert ist, meist zur Depression hin. Dies geht in der
Regel einher mit einem Wechsel des Aktivitätsniveaus (Weltgesundheitsorganisation, 1991). Das DSM-IV unterscheidet zwischen depressiven Störungen, bipolaren
Störungen, affektiven Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors
und substanzinduzierten affektiven Störungen (American Psychiatric Association,
1996). Bis auf die zwei letztgenannten sind die Störungsbilder in der ICD-10 in gleicher Weise aufgeführt, jene sind dort den Kapiteln „Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen“ sowie „Psychische und Verhaltensstörungen
durch psychotrope Substanzen“ zugeordnet.
Kessler et al. (1995) analysierten Daten aus dem National Comorbidity Survey,
einer Studie mit über 8000 Personen zur Erfassung von Prävalenz, Zusammenhängen und Folgen psychischer Störungen in den USA. Sie fanden einen Anteil an
komorbiden affektiven Störungen von insgesamt 81 % bei Männern (47,9 % Major Depressive Disorder, 21,4 % Dysthymia, 11,7 % Manie) und 77,5 % bei Frauen
(48,5 % Major Depressive Disorder, 23,3 % Dysthymia, 5,7 % Manie)2 . Es ergaben
sich Hinweise darauf, dass in der untersuchten Stichprobe die PTSD den affektiven Störungen eher vorausging als sekundär auftrat. Zu diesem Ergebnis kommen
auch Perkonigg et al. (2000). Hepp et al. (2006a) fanden in einer epidemiologischen
Studie in der Schweiz bei 90,9 % der Versuchspersonen, die unter subsyndromaler
PTSD litten, eine komorbide Major Depression. Suizidal waren zudem 45,5 % der
Patienten. Unter einer komorbiden bipolaren Störung litten 9,1 % der Befragten.
In anderen Untersuchungen fanden de Jong et al. (2003) nach bewaffneten
Konflikten in Algerien, Kambodscha, Äthiopien und Palästina 1-Jahres-Komorbiditätsraten von PTSD und einer affektiven Störung von 0 bis 1,9 % bei denjenigen,
die keine Gewalt im Rahmen von Kämpfen erlebt hatten, und 2,3 bis 11,5 % bei
denjenigen mit solchen Gewalterfahrungen (die Prozentzahlen sind auf die gesamte untersuchte Stichprobe bezogen, nicht nur auf diejenigen mit einer PTSD). Unter
gleichzeitiger PTSD, einer affektiven und einer Angststörung litten lediglich Personen mit Gewalterfahrungen aus dem bewaffneten Konflikt. Die Raten rangierten
von 1,0 bis 5,2 %. Aus derselben Untergruppe hatten 0,2 bis 2,5 % eine PTSD, eine
affektive und eine somatoforme Störung.
In einer Untersuchung von Schaal (2006) mit verwaisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ruanda, die den Genozid überlebt hatten, zeigte sich, dass
2 Beachte: Lebenszeitprävalenzen (nach DSM-IIII-R), d. h. Komorbidität bedeutet in der Studie von
Kessler et al. (1995) nicht unbedingt „gleichzeitiges Vorhandensein der psychischen Störungen“.
60
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
80 % derjenigen, die an einer PTSD erkrankt waren, zudem eine Major Depression
aufwiesen. Eine komorbide Dysthymia wurde bei 12,5 % der Befragten festgestellt,
72,5 % waren suizidal (in verschiedenen Ausprägungen). Bolton et al. (2000) fanden eine Komorbiditätsrate von 63,6 % für affektive Störungen bei Überlebenden
eines Schiffsunglücks (55,5 % Major Depression, 6,4 % Dysthymia, 2,8 % manische
Störungen) für den Zeitraum zwischen Unglück und Untersuchung (fünf bis acht
Jahre). Zum Untersuchungszeitpunkt fand sich eine Punktprävalenz von 18,4 %
(davon 13,2 % Major Depression, 0 % Dysthymia und 5,3 % manische Störungen).
Maercker et al. (2004) fanden in einer repräsentativen Stichprobe von Frauen in
29 % der PTSD-Erkrankten eine komorbide Major Depression. In der Gesamtstichprobe zeigte sich bei 3,0 % eine traumabezogene Major Depression. In einer Untersuchung von Mollica et al. (1999) mit bosnischen Flüchtlingen in Kroatien zeigte
sich bei den Probanden mit PTSD in 20,6 % zusätzlich eine depressive Erkrankung.
Angst- und Zwangsstörungen
Generalisierte Angststörung
Die Diagnosemanuale ICD-10 und DSM-IV geben ähnliche diagnostische Kriterien
für eine generalisierte Angststörung vor (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Bei dieser Störung steht eine generalisierte und
anhaltende Angst, die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt ist, im Vordergrund. Damit gehen verschiedene vegetative Anspannungs- und Übererregungssymptome einher. Im DSM-IV wird im Gegensatz zur ICD-10 betont, dass die auftretenden Sorgen für den Betroffenen schwer zu kontrollieren sind.
Das Diagnostizieren einer PTSD und einer komorbiden generalisierten Angststörung ist nach beiden Manualen nicht generell ausgeschlossen, wobei die ICD-10
weniger strenge Kriterien vorgibt. Vor allem nach den Kriterien des DSM-IV sollten
beide Diagnosen nur nach sorgfältiger Abwägung gleichzeitig gestellt werden, da
Symptome einer generalisierten Angststörung, die nur im Rahmen einer bestehenden anderen psychischen Störung (z. B. einer PTSD) auftreten, nicht zur zusätzlichen Diagnosestellung einer generalisierten Angststörung führen. Es gilt, präzise
abzuklären, worauf sich das Grübeln und die Sorgen beziehen, ob sie ausschließlich im Rahmen einer anderen Störung auftreten und ob diese Ängste exzessiv sind.
Für die im Folgenden zitierten Untersuchungsergebnisse ist nicht bekannt, inwiefern diese Abwägungen sorgfältig getroffen wurden.
Kessler et al. (1995) fanden Komorbiditätsraten der generalisierten Angststörung von 16,8 % bei Männern und 15 % bei Frauen mit PTSD in der Allgemein61
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
bevölkerung (siehe Fußnote 2 auf Seite 60). Sowohl für die generalisierte Angststörung als auch für die weiteren in dieser Studie untersuchten Angststörungen zeigte
sich, dass die PTSD einer dieser Störungen eher selten vorauszugehen schien. Dies
bestätigten Ergebnisse von Perkonigg et al. (2000), jedoch bildete die Agoraphobie
hier eine Ausnahme: Sie trat deutlich häufiger nach einer PTSD auf. Bolton et al.
(2000) stellten eine Punktprävalenz von generalisierter Angststörung komorbid zu
einer PTSD von 15,8 % bei Überlebenden eines Schiffsunglücks fest, das fünf bis
acht Jahre zurücklag.
Weitere Angststörungen
Angststörungen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene unangemessen
starke Angstsymptome verspürt, ohne dass eine konkrete Gefahr gegeben ist. Zudem ist die Vermeidung angstbesetzter Situationen oder Zustände oder das Durchstehen derselben mit Hilfsmitteln oder in Begleitung Teil der Problematik (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996).
Die komorbide Diagnose irgendeiner Angststörung mit PTSD trat bei de Jong
et al. (2003) mit 1-Jahres-Raten von 0 bis 1,9 % bei Personen ohne Gewalterfahrungen in bewaffneten Konflikten auf, bei denjenigen mit solchen Gewalterfahrungen
betrugen die Komorbiditätsraten 4,3 bis 13,5 % (untersucht wurden Algerier, Kambodschaner, Äthiopier und Palästinenser; die Prozentzahlen beziehen sich hier auf
die Gesamtstichprobe). Die Diagnosen PTSD, Angststörung und somatoforme Störung traten bei 0,4 bis 2,2 % derjenigen mit Gewalterfahrungen auf.
Die Diagnosen einer Panikstörung oder Agoraphobie sind nach ICD-10 und
DSM-IV dergestalt unterschiedlich gefasst, als ersteres Kriterien für eine „Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung“ oder auch eine isolierte Panikstörung vorsieht, während letzteres das Stellen der Diagnosen „Panikstörung mit oder ohne
Agoraphobie“ oder eine isolierte Agoraphobie ermöglicht. Die jeweiligen diagnostischen Kriterien entsprechen sich jedoch weitgehend. Eine Panikstörung, die komorbid zu einer PTSD besteht, zeigte bei Kessler et al. (1995) eine Auftretenshäufigkeit von 7,3 % bei Männern und 12,6 % bei Frauen – siehe Fußnote 2 auf Seite 60.
Eine komorbide Agoraphobie bestand in derselben Studie bei 16,1 % der Männer
und 22,4 % der Frauen. Hepp et al. (2006a) fanden eine Rate von 36,4 % komorbider
Agoraphobie bei Befragten mit subsyndromaler PTSD.
Die Kriterien für spezifische Phobien und soziale Phobie sind in beiden Diagnosemanualen weitgehend gleich gefasst. Eine Komorbidität von PTSD und spezifischer Phobie fanden Kessler et al. (1995) bei 31,4 % der Männer und 29 % der
62
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Frauen. Bolton et al. (2000) fanden eine Komorbiditätsrate von 35,5 % mit spezifischer Phobie und 8,2 % sozialer Phobie bei Überlebenden eines Schiffsunglücks
für den Zeitraum zwischen Unglück und Untersuchung (fünf bis acht Jahre). Zum
Zeitpunkt der Untersuchung lagen die Punktprävalenzen bei 21,1 % für spezifische
und 0 % für soziale Phobie, darüber hinaus bestand bei 13,2 % eine Panikstörung
komorbid zur PTSD. Bei 27,6 % der befragten Männer und 28,4 % der Frauen bestand eine soziale Phobie komorbid zur PTSD (Kessler et al., 1995) – siehe Fußnote 2 auf Seite 60. Bei einer Stichprobe von Versuchspersonen mit subsyndromaler
PTSD fanden Hepp et al. (2006a) einen Anteil von 36,4 % an komorbider sozialer
Phobie. Orsillo, Heimberg, Juster und Garrett (1996) fanden sehr hohe Raten (72 %)
komorbider sozialer Phobien bei Vietnamveteranen mit PTSD.
Zwangsstörung
Eine Zwangsstörung weist wiederkehrende Zwangsgedanken oder -handlungen
auf, die fast immer quälend sind und als sinnlos erlebt werden, während sie gleichzeitig als eigene Gedanken oder Impulse (nicht wie etwa im Falle eines Wahns)
wahrgenommen werden (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Die Betroffenen versuchen, den Gedanken oder Impulsen
zu widerstehen. Bei Zwangsstörungen werden in beiden Diagnosemanualen ICD10 und DSM-IV Ausprägungen eher hinsichtlich Zwangsgedanken oder eher hinsichtlich Zwangshandlungen unterschieden. Im DSM-IV ist jedoch deutlicher formuliert, dass die betroffene Person u. U. versucht, die Gedanken, Impulse etc. nicht
nur zu ignorieren, sondern durch andere Gedanken oder Handlungen zu neutralisieren.
Überlebende eines Schiffsunglücks wiesen im Zeitraum von fünf bis acht Jahren danach eine Zwangsstörungsrate von 5,5 % komorbid zu einer PTSD auf, zum
Nachuntersuchungszeitpunkt waren es 5,3 % (Bolton et al., 2000).
Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit
Die Diagnosemanuale DSM-IV und ICD-10 definieren Substanzabhängigkeit weitgehend gleich (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Hinsichtlich des Substanzmissbrauchs bzw. schädlichen Gebrauchs ist in
der ICD-10 das einzige diagnostische Kriterium eine durch den Konsum hervorgerufene körperliche oder psychische Gesundheitsschädigung, während das DSM-IV
stattdessen verschiedene negative Folgen des Konsums als Kriterien nennt.
63
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Kessler et al. (1995) fanden die komorbide Diagnose „Alkoholmissbrauch“
oder „-abhängigkeit“ bei 51,9 % der Männer und 27,9 % der Frauen. Komorbider
Drogenmissbrauch oder -abhängigkeit bestand bei 34,5 % der Männer und 26,9 %
der Frauen (siehe Fußnote 2 auf Seite 60). Bei einer Stichprobe von Versuchspersonen mit subsyndromaler PTSD stellten Hepp et al. (2006a) eine Rate von 9,1 %
an komorbidem Missbrauch oder Abhängigkeit von Benzodiazepinen fest. Bolton
et al. (2000) fanden eine Punktprävalenz von 2,6 % Substanzabhängigkeit bei Überlebenden eines Schiffsunglücks fünf bis acht Jahre danach. In einer Studie von Chilcoat und Breslau (1998) zeigte sich eine Komorbiditätsrate für Drogenmissbrauch
oder -abhängigkeit mit PTSD von 29,1 %.
Perkonigg et al. (2000) stellten fest, dass Störungen im Zusammenhang mit
Substanzkonsum zu einem hohen Prozentsatz nach einer PTSD auftraten. Auch
Chilcoat und Breslau (1998) fanden ein erhöhtes Risiko für eine dieser Störungen
nach einer PTSD, nicht aber nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses. Zudem stellte die vorher bereits bestehende Diagnose einer substanzbezogenen Störung kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer PTSD dar.
Somatoforme Störungen
Somatoforme Störungen zeichnen sich dadurch aus, dass körperliche Symptome
berichtet werden, ohne dass nach sorgfältiger Untersuchung eine organische Ursache gefunden werden kann. Zudem lassen sich Betroffene durch solche oftmals
wiederholten ärztlichen Negativbefunde nicht von einer Fortführung der Suche
nach medizinischen Erklärungen abbringen. Diesen Störungen ist im DSM-IV ein
eigenes Kapitel gewidmet, während sie in der ICD-10 mit den Angst-, Zwangs-,
Anpassungs- und Dissoziativen Störungen in die Kategorie „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ zusammengefasst wurden (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Beide Manuale sehen
die Diagnosen „Somatisierungsstörung“, „Hypochondrie / hypochondrische Störung“, „Undifferenzierte Somatisierungsstörung / Somatoforme Störung“ sowie
„(anhaltende somatoforme) Schmerzstörung“ vor. Für die Somatisierungsstörung
ist im DSM-IV genauer festgelegt, wie viele Symptome aus welchen Bereichen bestehen müssen. Bezogen auf die Schmerzstörung werden im DSM-IV die Unterkategorien „...in Verbindung mit psychischen Faktoren“ bzw. „...in Verbindung mit
sowohl psychischen Faktoren wie einem medizinischen Krankheitsfaktor“ oder
„...in Verbindung mit medizinischen Krankheitsfaktoren“ unterschieden, was in
der ICD-10 fehlt. Die weiteren genannten Störungen sind mit sehr ähnlichen Kri-
64
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
terien beschrieben. Im DSM-IV findet sich in der Kategorie der Somatoformen Störungen zusätzlich die Diagnose „Konversionsstörung“, welche in der ICD-10 unter
„Dissoziative Störungen“ klassifiziert ist. Die ICD-10 beschreibt darüber hinaus die
„somatoforme autonome Funktionsstörung“, die sich auf verschiedene Organsysteme beziehen kann. Die „Körperdysmorphe Störung“ ist im DSM-IV eine eigenständige Diagnose, während sie in der ICD-10 lediglich als zur hypochondrischen
Störung zugehöriger Begriff erwähnt wird.
Bei Personen, die Gewalt in bewaffneten Konflikten in verschiedenen Ländern
erlebt hatten, fanden de Jong et al. (2003) in der Gesamtstichprobe 1-Jahres-Raten
von komorbider PTSD und einer somatoformen Störung von 0,6 bis 4,0 % (zusätzliche affektive oder Angststörungen: siehe weiter oben in den entsprechenden Abschnitten dieses Kapitels). Tull, Gratz, Salters und Roemer (2004) fanden in einer
Befragung einer Stichprobe von Frauen, die potenziell traumatische Ereignisse erlebt hatten, eine starken Zusammenhang zwischen der Vermeidung von Gedanken,
Gefühlen oder Körperempfindungen, die mit dem Erlebnis zusammenhingen, und
Somatisierungssymptomen. In einer Untersuchung von Tagay, Herpertz, Langkafel
und Senf (2004) mit Patienten in einer psychosomatischen Klinik zeigte sich, dass
diejenige mit einer PTSD signifikant höhere Beschwerdescores in einem Fragebogen zu Somatisierungssymptomen aufwiesen als Personen, die potenziell traumatische Erlebnisse hatten, ohne eine PTSD entwickelt zu haben, und Personen ohne Traumaerfahrung. Vor allem neurologische und kardiopulmonale Beschwerden
standen im Vordergrund. Es berichteten 63 % der PTSD-Patienten von gedanklicher
Zentrierung auf Schmerzen und 91,3 % von Beeinträchtigungen im Alltagsleben
aufgrund der somatoformen Störungen.
Bei Perkonigg et al. (2000) zeigte sich, dass somatoforme Störungen zu einem
hohen Prozentsatz einer PTSD vorausgingen.
In einer Studie von Stein, Lang, Laffaye, Satz, Lenox und Dresselhaus (2004)
mit Frauen nach sexuellen Angriffen, in der allerdings keine PTSD-Diagnosen erhoben wurden, zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Gewalterlebnissen und somatischen Symptomen sowie Gesundheitsangst. Zudem wiesen
die betroffenen Frauen häufigere Krankheitstage sowie Arztbesuche auf.
Psychotische Störungen
Psychotische Störungen umfassen verschiedenste Symptome und Symptommuster und sind vor allem durch Denk- und Wahrnehmungsstörungen sowie veränderte Affektivität gekennzeichnet (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American
65
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Psychiatric Association, 1996). Die Beschreibung psychotischer Störungen in DSMIV und ICD-10 deckt sich weitgehend, auch wenn sie nicht immer gleich bezeichnet werden. Die Schizophrenie stellt die häufigste Störung dieser Gruppe dar. Die
ICD-10 nennt lediglich einige zusätzliche (Unter-)Kategorien. Im DSM-IV sind auf
einen medizinischen Krankheitsfaktor zurückzuführende oder substanzinduzierte
psychotische Störungen innerhalb des Kapitels „Schizophrenie und andere psychotische Störungen“ genannt, während sie in der ICD-10 unter den Kapiteln „Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen“ sowie „Psychische
und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ aufgeführt sind.
Butler, Mueser, Sprock und Braff (1996) untersuchten Vietnamveteranen mit
und ohne PTSD und fanden bei der Gruppe mit PTSD signifikant höhere psychotische Symptome als in der Vergleichsgruppe. Hinsichtlich der Negativsymptomatik stach lediglich eine ausgeprägte Anhedonie hervor, ansonsten wies die Gruppe
mit PTSD eine deutlich erhöhte Positivsymptomatik auf, ohne dass eine Störung
des formalen Denkens bestand. In einer Studie von David, Kutcher, Jackson und
Mellman (1999) hatten 40 % der befragten Kriegsveteranen mit PTSD im vorausgegangenen Halbjahr psychotische Symptome erlebt. Davon waren auditorische und
visuelle Halluzinationen am häufigsten, Wahnvorstellungen wies etwa ein Drittel
der Personen in dieser Untergruppe auf. Sautter, Brailey, Uddo, Hamilton, Beard
und Borges (1999) stellten in einer Untersuchung mit Kriegsveteranen eine Komorbiditätsrate psychotischer Störungen von 52 % zusätzlich zu einer PTSD fest. Spauwen, Krabbendam, Lieb, Wittchen und van Os (2006) fanden einen Zusammenhang
zwischen selbst berichteten traumatischen Erlebnissen und psychotischen Symptomen, v. a. nach dem Erleben starker Hilflosigkeit, Angst und Entsetzen.
Dissoziative Störungen
Dissoziative Störungen sind dadurch gekennzeichnet, dass es bei den betroffenen
Personen teilweise oder vollständig zu einer Fragmentierung von Bewusstsein,
Wahrnehmung, Kognitionen, Affekten, Verhalten, Identitätsbewusstsein und Gedächtnis kommt (Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Sie bilden im DSM-IV eine eigene Kategorie, während sie in der
ICD-10 wie unter „Somatoforme Störungen“ bereits erwähnt in das Kapitel „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ integriert sind. Beide Manuale beschreiben die Diagnosen „dissoziative Amnesie“ und „dissoziative Fugue“
in ähnlicher Weise. Auch die dissoziative Identitätsstörung / multiple Persönlichkeitsstörung wird ähnlich beschrieben, wobei nach DSM-IV eine Voraussetzung
66
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
für die Diagnosestellung ist, dass mindestens zwei der verschiedenen Identitäten
oder Persönlichkeitszustände wiederholt die Kontrolle über das Verhalten des Betroffenen übernehmen. Die Depersonalisierungsstörung ist im DSM-IV unter die
Kategorie der dissoziativen Störungen gefasst, während sie in der ICD-10 zu den
„anderen neurotischen Störungen“ gehört, immerhin im selben größeren Kapitel
wie die dissoziativen Störungen. Die ICD-10 sieht einige weitere dissoziative Störungen vor, die im DSM-V nicht vorkommen. Dissoziative Symptome spielen eine
wichtige Rolle bei dem noch nicht in das DSM aufgenommenen Störungsbild einer
„Disorder of Extreme Stress not otherwise specified“ (DESNOS) bzw. der „Komplexen PTSD“ (siehe nächster Abschnitt, „Andauernde Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung“).
In einer Studie von Zucker, Spinazzola, Blaustein und van der Kolk (2006) zum
Vergleich dissoziativer Symptomatik bei PTSD-Patienten mit oder ohne eine(r) zusätzliche(n) DESNOS zeigte sich, dass Patienten mit PTSD und DESNOS signifikant
höhere Dissoziationswerte (in den Bereichen „Absorption / Fantasie“ und „Depersonalisation / Derealisation“) aufwiesen. Kennedy, Clarke, Stopa, Bell, Rouse,
Ainsworth, Fearon und Waller (2004) entwickelten ein kognitives Modell der Dissoziation sowie einen Fragebogen (Wessex Dissociation Scale). In einer Studie mit
verschiedenen klinischen und nicht-klinischen Untergruppen fanden sie einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen PTSD und dissoziativen Symptomen. Dalenberg und Palesh (2004) untersuchten Zusammenhänge zwischen potenziell traumatischen Erlebnissen und dissoziativen Symptomen. Es zeigte sich, dass
Gewalterlebnisse, Kindesmissbrauch und / oder das Erleben eines furchteinflößenden Ereignisses dissoziative Symptome vorhersagten. Davidson, Kudler, Saunders
und Smith (1990) vermuten aufgrund von Untersuchungen mit Veteranen aus dem
2. Weltkrieg und dem Vietnamkrieg, dass dissoziative Symptome, die mit einer
PTSD assoziiert sind, im Laufe der Jahre zurückgehen, selbst wenn die PTSD noch
bestehen bleibt.
Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
Dieses Störungsbild ist lediglich in der ICD-10, nicht aber im DSM-IV vertreten
(Weltgesundheitsorganisation, 1991; American Psychiatric Association, 1996). Es
gibt jedoch Bestrebungen, eine ähnlich definierte Störung (Disorder of Extreme
Stress not otherwise specified – DESNOS, siehe vorheriger Absatz) in die nächste Ausgabe des DSM aufzunehmen (z. B. Pain, 2002). Es handelt sich in der ICD-10
um eine Persönlichkeitsveränderung, die nach außergewöhnlicher Belastung auf-
67
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
treten kann. Die Belastung muss so ausgeprägt sein, dass nicht alleine die Vulnerabilität der Person zu diesem Störungsbild geführt hat, ebenso wie bei einer PTSD.
Eine PTSD kann dem Störungsbild vorausgehen, dies muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein. Falls vorher eine PTSD bestanden hat, wird die andauernde Persönlichkeitsänderung als eine chronische, irreversible Auswirkung derselben betrachtet. Eine Diagnose erfordert das Vorliegen einer generellen feindseligen oder
misstrauischen Haltung, sozialen Rückzugs, eines Gefühls der Leere oder Hoffnungslosigkeit sowie der Entfremdung und einer chronischen Nervosität, als ob
eine ständige Bedrohung bestehen würde. Die Probleme müssen überdauernd sein
und zu Funktionsbeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen führen.
Fremdanamnestische Angaben sollen die Persönlichkeitsänderung bestätigen. Eine
andere psychische Störung außer einer PTSD darf dem Symptommuster nicht vorausgegangen sein. Die Symptome müssen mindestens zwei Jahre lang vorliegen.
Bislang ist das Konzept einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung in der ICD-10 nicht empirisch überprüft worden (Schreuder, 1999).
DESNOS wird lediglich als besondere Ausprägung einer PTSD betrachtet (Ford,
1999). Es kann für das in der ICD-10 vorhandene Störungsbild der andauernden
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nicht von einer tatsächlichen Komorbidität mit PTSD gesprochen werden – dies ist zwar in der ICD-10 nicht explizit
ausgeschlossen, jedoch geht aus der Beschreibung des Störungsbildes hervor, dass
es sich eher nach einer PTSD als parallel dazu entwickelt. Für die noch nicht in ein
Diagnosemanual aufgenommene DESNOS liegen bislang keine Ausschlusskriterien vor.
Es existieren verschiedene Untersuchungsergebnisse für das noch umstrittene
Konzept der DESNOS, beispielsweise fanden Zucker et al. (2006) bei 16,1 % der untersuchten PTSD-Patienten zusätzlich eine DESNOS (siehe auch weiter oben, „Dissoziative Störungen“). Ford (1999) stellte in einer Studie mit Kriegsveteranen, die
alle potenziell traumatische Ereignisse erlebt hatten, eine Komorbiditätsrate von
52 % DESNOS zusätzlich zur PTSD fest. In derselben Studie ergab sich zudem ein
Anteil von 26 % der Gesamtstichprobe, der die Kriterien für eine DESNOS, nicht
aber für eine PTSD aufwies. Insgesamt erfüllten 31 % der untersuchten Personen
die Kriterien für beide Diagnosen, 29 % hatten eine PTSD, 26 % eine DESNOS und
13 % keine der Diagnosen. Diejenigen Probanden, die die Kriterien für eine DESNOS erfüllten, wiesen eine höhere Rate früher Traumatisierungen auf.
68
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1.4.3
1
THEORIE
Weitere mögliche psychische Folgen organisierter Gewalt
Im Folgenden werden weitere psychische Störungen aufgeführt, die nach dem Erleben von organisierter Gewalt auftreten können und die nicht komorbid zu einer
PTSD diagnostiziert werden können. D. h. die aufgeführten Diagnosen und diejenige einer PTSD schließen sich aus.
Akute Belastungsreaktion
Die akute Belastungsreaktion setzt voraus, dass jemand eine außergewöhnliche
körperliche und / oder seelische Belastung (ICD-10, Weltgesundheitsorganisation,
1991) bzw. ein traumatisches Ereignis nach denselben Kriterien wie für eine PTSD
(DSM-IV, American Psychiatric Association, 1996) erlebt hat und anschließend mit
bestimmten Stress-Symptomen reagiert: Nach ICD-10 treten gemischte und wechselnde Symptome von Depression, Angst, Ärger oder Verzweiflung auf, körperlich
kommt es zu Panikattacken. Nach DSM-IV müssen für die Diagnosestellung dissoziative Symptome wie Betäubtsein oder Depersonalisierung sowie Symptome des
Wiedererlebens, der Vermeidung und der Übererregung sowie eine Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen des Betroffenen vorhanden sein. Der zeitliche Rahmen
ist in der ICD-10 nicht genau festgelegt, es ist lediglich angegeben, dass die Symptome meist innerhalb weniger Tage wieder abklängen. Im DSM-IV ist zur Diagnosestellung vorgegeben, dass die Störung mindestens zwei Tage und maximal
vier Wochen andauert und innerhalb von vier Wochen nach dem Erlebnis beginnt.
Die akute Belastungsreaktion zählt in der ICD-10 zu den Belastungs- und Anpassungsstörungen, während sie im DSM-IV den Angststörungen zugerechnet wird.
Seit 1994 ist die Störung im DSM-IV aufgenommen, während bereits die ICD-9 von
1976 (DIMDI, 2006) die Diagnose einer „Psychogenen Reaktion (akute Belastungsreaktion)“ enthielt.
Grieger, Fullerton, Ursano und Reeves (2003) untersuchten Krankenhausangestellte nach einer Angriffsserie von Scharfschützen in Washington, D. C., und stellten fest, dass 6 % der Befragten unter einer akuten Belastungsreaktion litten. Risikofaktoren für die Entwicklung dieser Störung waren weibliches Geschlecht, erhöhter Alkoholkonsum, komorbide Depression, geringeres Sicherheitsgefühl, stärkeres
Bedrohungsgefühl, stärker ausgeprägte peritraumatische Dissoziation und höhere
Aktivitätsabnahme. Bryant und Harvey (1998) fanden bei Personen, die nach einem
Verkehrsunfall ein leichtes Hirntrauma erlitten hatten, eine Rate akuter Belastungsreaktion von 13,9 %. In einer Studie von Kühn, Ehlert, Rumpf, Backhaus, Hohagen
und Broocks (2006) zeigten 6,9 % der untersuchten Unfallopfer eine akute Belas69
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
tungsreaktion. Bei 12,1 % war das Störungsbild subsyndromal vorhanden. Rundell
(2006) untersuchte militärisches Personal, das zu Friedenseinsätzen im Irak stationiert und aufgrund psychiatrischer Probleme aus dem Einsatzgebiet verlegt worden war. Von diesen Personen erfüllten 5,5 % die Kriterien für eine akute Belastungsreaktion.
Anpassungsstörung
Anpassungsstörungen sind dadurch charakterisiert, dass der Betroffene ängstliche
und / oder depressive Symptome zeigt, die mit einem belastenden Ereignis oder
auch länger andauernden belastenden Lebensumständen im Zusammenhang stehen. Nach der ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation, 1991) spielt die persönliche
Vulnerabilität zwar eine Rolle für die Entstehung der Störung, jedoch ist die Belastung der Hauptauslöser der Symptome. Nach DSM-IV (American Psychiatric Association, 1996) wird die Diagnose einer Anpassungsstörung dann gestellt, wenn der
Betroffene eine stärker ausgeprägte Reaktion auf die Belastung zeigt als zu erwarten gewesen wäre, sowie Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag bestehen. Zudem
dürfen nicht gleichzeitig die Kriterien einer anderen spezifischen Störung vorliegen.
In beiden Diagnosemanualen wird die Anpassungsstörung von einer Trauerreaktion abgegrenzt, und beide führen an, dass die Störung in der Regel nicht länger als sechs Monate anhält. Jedoch legt das DSM-IV fest, dass die Störung innerhalb von drei Monaten nach Auftreten der Belastung beginnt, während die Symptome nach ICD-10 in der Regel innerhalb eines Monats beginnen.
Kühn et al. (2006) untersuchten psychische Folgen bei Überlebenden von schweren Unfällen und fanden bei 1,7 % der Befragten eine Anpassungsstörung. Basoglu
et al. (1994) fanden bei 2 % einer Stichprobe von Folteropfern eine aktuelle Anpassungsstörung. Die Autoren gaben allerdings nicht an, ob die Ausschlusskriterien
beachtet wurden oder ob es zu Mehrfachdiagnosen mit PTSD oder einer anderen
spezifischen Störung kam. In einer Studie von Rundell (2006) mit Militärpersonal
im Irak wiesen 3 % der Versuchspersonen eine Anpassungsstörung auf.
70
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1.4.4
1
THEORIE
Besonderheiten bei Asylbewerbern und Flüchtlingen
Im Folgenden werden Besonderheiten bei Asylbewerbern und Flüchtlingen in westlichen Staaten bezogen auf Belastungen sowie psychische und körperliche Gesundheit aufgeführt.
Stressoren im Exil
Asylbewerber erleben häufig Belastungen im Exil, die einen Einfluss auf ihre psychische Gesundheit haben und v. a. bei denjenigen, die bereits zuvor traumatische
Ereignisse erlebt hatten, psychische Probleme hervorrufen oder verstärken können
(Silove & Steel, 1998) – siehe auch „1.3.3 Rechtliche Situation von Asylbewerbern
in Deutschland“.
Beispielsweise befragten Steel, Momartin, Bateman, Hafshejani, Silove, Everson, Roy, Dudley, Newman, Blick und Mares (2004) Asylbewerber in Australien
hinsichtlich belastender Erlebnisse, die diese in der Zeit in einem Auffanglager
gemacht hatten. Insgesamt erhoben sie 60 verschiedene Stressoren, von denen im
Folgenden einige Beispiele genannt werden. Alle Befragten nannten Langeweile,
Isolation, schlechtes Essen und das Beobachten anderer Personen, die sich selbst
verletzten oder sogar Suizidversuche unternahmen. Es gaben weiterhin 63 % an,
dass Verzögerungen im Asylprozess sie belasteten. Etwa die Hälfte beklagte mangelnde Möglichkeiten, Englisch zu lernen, rassistische Kommentare und Sorgen
bezüglich der zurückgelassenen Familie. Ungefähr ein Drittel der Personen war
dadurch belastet, dass sie nicht wieder nach Hause zurückkehren konnten. Zwar
sind die Belastungen der Asylbewerber sicherlich nicht in allen Staaten vergleichbar (z. B. existieren nicht überall Auffanglager vergleichbar mit denen in Australien), jedoch gelten viele der Stressoren länderübergreifend (z. B. Isolation, Sorge um
das Asylverfahren oder um Angehörige etc.).
Tamilische Asylbewerber in Australien (Silove & Steel, 1998) gaben an, unter
einer Reihe von Stressoren aus allen Bereichen zu leiden (z. B. Schwierigkeiten, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, eingeschränkte Möglichkeiten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, Trennung von der Familie, Verständigungsprobleme,
Armut etc.). Die häufigsten Stressoren, die kambodschanische Flüchtlinge für die
Anfangszeit in den USA nannten, waren mangelnde Englischkenntnisse (77 %), Gedanken an zurückgelassene Familienmitglieder (63 %). Für das Jahr vor der Befragung wurden Zukunftsängste (27 %) und Gesundheitssorgen (26 %) als häufigste
Belastungen angegeben (Blair, 2000). Die Befragten lebten seit durchschnittlich 8,1
Jahren in den USA.
71
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Wenk-Ansohn (2007) zählt über die bereits genannten Faktoren eine Reihe
von Stressoren auf, denen Asylbewerber in Deutschland ausgesetzt sein können:
fehlende Zukunftsperspektiven, Inaktivität, ungewollte Abhängigkeit vom Sozialstaat, degradierende und unverständliche bürokratische Vorgänge, Massenunterkünfte, eingeschränkte Reiseerlaubnis sowie in manchen Fällen fremdenfeindliche
Übergriffe.
Posttraumatische Belastungsstörung
Die Frage, ob das PTSD-Konzept auf verschiedene (Flüchtlings-)Kulturen übertragbar ist (Friedman & Jaranson, 1994; Nicholl & Thompson, 2004) oder ob es
sich um ein rein westliches Phänomen handelt, das anderen Kulturen nicht „übergestülpt“ werden darf (Summerfield, 1999), haben verschiedene Forscher untersucht: Sack, Seeley und Clarke (1997) führten beispielsweise eine Studie zur Faktorenstruktur posttraumatischer Reaktionen bei kambodschanischen Jugendlichen
durch, die mit ihren Familien in die USA geflüchtet waren, im Vergleich zu entsprechenden westlichen Stichproben durch. Es fanden sich in der kambodschanischen
Stichprobe die Faktoren „Erregung“, „Vermeidung“, „Intrusionen“ und „Emotionale Taubheit“. Diese Struktur wurde auch in den westlichen Stichproben gefunden. Die Autoren sind der Ansicht, dass das PTSD-Konzept als Folge traumatischer
(Kriegs-)Erlebnisse über Sprach- und kulturelle Barrieren hinweg Gültigkeit zu haben scheint.
In einer weiteren Studie von Terheggen et al. (2001) mit tibetanischen Flüchtlingen in Indien zeigten über die Hälfte der Befragten Intrusions- und Vermeidungssymptome, die meisten hatten chronische gesundheitliche Probleme. Diejenigen mit höheren Intrusions- und Vermeidungswerten berichteten auch von stärker ausgeprägtem Stress. Zudem fanden die Untersucher den oben beschriebenen
Dosis-Effekt, d. h. höhere Belastung bei höherer Anzahl verschiedenartiger traumatischer Erlebnisse (siehe auch „1.4.1 Risikofaktoren für die Entwicklung einer
PTSD“). Die Autoren folgern, dass westliche Konzepte von Stress und Traumatisierung sehr hilfreich sind und entsprechende Reaktionen auf traumatische Erlebnisse
auch in der untersuchten asiatischen Stichprobe gefunden werden konnten. Jedoch
weisen sie auf die Notwendigkeit hin, sich mit den jeweiligen kulturellen Sichtweisen hinsichtlich Symptomen etc. vertraut zu machen, um sicherzugehen, dass in
einem diagnostischen Interview das erhoben wird, das man erfragen möchte.
72
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Prävalenz
Zur Prävalenz von PTSD bei Flüchtlingen und Asylbewerbern in westlichen Ländern liegen in unterschiedlichen Studien Raten von knapp 10 % bis über 90 % vor,
je nachdem, ob die untersuchten Personen Gewalt oder Ähnliches erlebt hatten
bzw. ob es sich um Ergebnisse aus repräsentativen Stichproben von Flüchtlingen
oder um speziellere Untergruppen handelte.
Zu Befunden anhand repräsentativer Populationen von Flüchtlingen und Asylbewerbern finden sich folgende Studien: Fazel, Wheeler und Danesh (2005) analysierten 20 Studien zur Prävalenz verschiedener psychischer Erkrankungen in allgemeinen Flüchtlingspopulationen in westlichen Ländern. Sie fanden eine mittlere
PTSD-Rate von 9 % in den Untersuchungen, in denen größere Stichproben (nur
asiatische Flüchtlinge, die meist in den USA lebten) interviewt worden waren, und
bis zu 31 % unter Berücksichtigung der anderen untersuchten Stichproben mit größerer Streuung der Herkunfts- und Exilländer (Miller, Elbert & Rockstroh, 2005).
Blair (2000) befragte kambodschanische Flüchtlinge in den USA und fand eine
PTSD-Rate von 45 %.
In Deutschland untersuchte Gäbel (2004), wie groß der Anteil vor kurzem eingereister Flüchtlinge mit PTSD war. Es stellte sich heraus, dass 40 % der befragten
Erwachsenen in den Erstunterkünften unter einer PTSD litten. Dies umfasste sowohl Personen, die organisierte Gewalt erlebt hatten, als auch diejenigen mit anderen traumatischen Erlebnissen in der Vergangenheit.
In verschiedenen Studien von Silove und Steel (1998) in Australien zeigte sich,
dass Asylbewerber und als Flüchtlinge anerkannte Personen deutlich höhere Raten an Angst, Depression und PTSD aufwiesen als Einwanderer und v. a. die Allgemeinbevölkerung. Besonders gefährdet waren diejenigen Asylbewerber, die in einem Auffanglager lebten. In diesen Studien wurden teilweise repräsentative Stichproben, teilweise ausgewählte Gruppen untersucht.
Zu den nicht-repräsentativen Stichproben zählen meist solche, die in Behandlungszentren rekrutiert wurden oder bei denen keine kompletten Personenverzeichnisse für eine Zufallsauswahl erhältlich waren. Moisander und Edston (2003)
befragten in Schweden Flüchtlinge, die in ihren verschiedenen Herkunftsländern
im Rahmen von Haft, Zwangsarbeit oder -prostitution gefoltert worden waren.
Die Befragten waren aus Bangladesch, Peru, Syrien, Uganda, der Türkei und dem
Iran nach Schweden geflohen. Die PTSD-Raten variierten von 68,8 % in der syrischen Gruppe bis hin zu 91,7 % unter den Iranern. Verglichen mit Prävalenzzahlen zu PTSD in der westlichen Allgemeinbevölkerung, ist dies ein sehr hoher
73
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Anteil (siehe „1.4.1 Prävalenz von traumatischen Lebensereignissen und PTSD in
der westlichen Allgemeinbevölkerung“). Gotthardt (2007) fand in einer Stichprobe von Asylbewerbern in einer psychologischen Ambulanz für Flüchtlinge eine
PTSD-Rate von 86 %. Momartin, Silove, Maniavasagar und Steel (2003) untersuchten bosnische Flüchtlinge mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis in Australien und
fanden ein PTSD-Rate von 63 %. Davon wies der größte Teil einen extremen oder
hohen Schweregrad auf. Die höchste PTSD-Rate fand sich in einer Untergruppe jener Flüchtlinge, die in einem Konzentrationslager gewesen waren. In einer schwedischen Studie von Ferrada-Noli, Asberg, Ormstad, Lundin und Sundbom (1998a)
mit Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern, die schwere Gewalt erlebt hatten,
zeigte sich eine Rate von PTSD als Erstdiagnose bei 83 %. Keller, Lhewa, Rosenfeld, Sachs, Aladjem, Cohen, Smith und Porterfield (2006) untersuchten Flüchtlinge
und Folterüberlebende in einem Behandlungszentrum für Folteropfer in den USA.
Die Stichprobe ist nicht repräsentativ, da die Probanden sich selbst an das Zentrum wandten, um Hilfe zu erhalten. Sie stammten aus diversen Herkunftsländern
verschiedener Kontinente und hatten alle organisierte Gewalt erlebt. Die Autoren
fanden eine PTSD-Rate von 45,7 %.
Risikofaktoren
Betrachtet man Befunde zu Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTSD (z. B. Brewin et al., 2000a), so wird deutlich, dass Asylbewerber und v. a. Flüchtlinge, die
organisierte Gewalt erlebt haben, oft viele der Faktoren aufweisen und somit eine
Risikogruppe für PTSD darstellen:
Wie unter „1.4.1 Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTSD“ angeführt,
zählt u. a. Stress nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses zu den Risikofaktoren für eine PTSD (Brewin et al., 2000a). Die weiter oben angeführten Stressoren im Exil, denen Asylbewerber häufig ausgesetzt sind, können das Risiko, z. B. an
einer PTSD zu erkranken, erhöhen oder eine Besserung der Symptome verhindern
(Silove & Steel, 1998). Der hohe Anteil an Isolationsgefühlen (siehe oben) zeigt
einen anderen Risikofaktor auf, den der mangelnden sozialen Unterstützung nach
dem Trauma. Sourander (2003) stellte fest, dass Asylbewerber in Finnland am meisten unter Angst vor einer Abschiebung und der Trennung von Familienmitgliedern
litten. Auch eine belastende und angstbehaftete Flucht nach traumatischen Erlebnissen kann unter die Kategorie „Stress nach dem Trauma“ fallen und das Risiko
für eine PTSD erhöhen (Holtz, 1998), ebenso der Verlust der Heimat und der bisherigen Lebensstrukturen (Baker, 1992).
74
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Weitere Risikofaktoren, die für viele Flüchtlinge zum Tragen kommen, sind
der Dosis-Effekt und der Schweregrad traumatischer Erlebnisse – ein großer Anteil
an Flüchtlingen, die organisierte Gewalt erlebt haben, berichtet von mehreren verschiedenen traumatischen Ereignissen in der Vorgeschichte (z. B. Gotthardt, 2007;
Silove & Steel, 1998; Blair, 2000; Momartin, Silove, Manicavasagar & Steel, 2002).
Ebenso haben Asylbewerber öfter eine geringe Bildung (z. B. Birck, 2004: etwa 14 %
der Versuchspersonen hatten maximal die Grundschule besucht; Gotthardt, 2007:
durchschnittlich sieben Jahre Bildung) und v. a. zu Beginn des Asylverfahrens (in
Deutschland) gezwungenermaßen einen niedrigen sozioökonomischen Status (siehe „1.3.3 Regelungen zur Lebenssituation von Flüchtlingen“). In Norwegen zählten
Immigranten aus nicht-westlichen Ländern im Vergleich zu denjenigen aus westlichen Ländern zu einem hohen Anteil zu Geringverdienern und Arbeitslosen (Dalgard & Thapa, 2007). Diese Gegebenheiten stellen weitere Risikofaktoren für die
Entwicklung einer PTSD dar (Brewin et al., 2000a).
In der unter „1.4.4 Besonderheiten bei Asylbewerbern und Flüchtlingen“ angeführten Studie von Keller et al. (2006) wurde die Schwere der PTSD-Symptomatik
durch erlebte Todesdrohungen vorhergesagt. Auch Vergewaltigung und Foltererfahrungen in der Familie beeinflussten die PTSD-Schwere. Jüngere Probanden
wiesen eine höhere Symptomschwere auf, ebenso Christen und Muslime im Vergleich zu Buddhisten. Frauen wiesen generell eine höhere psychische Symptomatik
auf (bezüglich PTSD, aber auch Depressions- und Angstsymptomen). Probanden
aus Asien präsentierten den geringsten PTSD-Schweregrad, Probanden aus Südamerika den höchsten.
PTSD und das Asylverfahren
Leidet eine Person unter einer PTSD, kann dies verschiedene Auswirkungen auf
ihr Asylverfahren haben: Herlihy, Scragg und Turner (2002) stellten beispielsweise
fest, dass eine stärker ausgeprägte PTSD-Symptomatik mit einer höheren Anzahl
an Diskrepanzen in der Schilderung ihrer Verfolgung im Heimatland einherging
– Diskrepanzen in der Schilderung führen im Asylverfahren jedoch häufig dazu,
dass die Glaubwürdigkeit des Betreffenden in Frage gestellt wird. Auch mit längerer Zeit zwischen zwei Befragungen kam es zu vermehrten Diskrepanzen. Im
Laufe eines Asylverfahrens liegen oft lange Intervalle zwischen den Anhörungen.
Weber (1998) untersuchte den Umgang mit Folteropfern in der Asylanhörung und
die Bewertung ihrer Foltererlebnisse bei Gericht in Deutschland. Es zeigte sich,
dass nur in 35 % der untersuchten Fälle in der Anhörung nach dem Gesundheits-
75
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
zustand des Asylbewerbers und danach, ob er sich gesundheitlich zur Anhörung
in der Lage fühle, gefragt worden war. Lediglich die Hälfte der Flüchtlinge wurde
bei Hinweisen auf potenziell traumatische Erlebnisse genauer danach befragt. Das
heißt, dass entscheidende Informationen vor Gericht nicht oder unzureichend Beachtung fanden. Lehmann (2007) führte eine retrospektive Studie zum Einfluss des
Asylstatus’ auf eine posttraumatische Belastungsstörung bei Flüchtlingen durch.
Es zeigte sich, dass eine Veränderung eines unsicheren Asylstatus’ hin zu einem
sicheren keine Veränderung der PTSD-Symptomatik mit sich brachte. Jedoch verbesserten sich mit der Statusänderung sowohl depressive als auch somatoforme
Symptome signifikant. Im Gegensatz zu diesen Befunden stellten Davis und Davis (2006) in einer prospektiven Studie mit Flüchtlingen in Kanada fest, dass die
offizielle Anerkennung als Konventionsflüchtling einen Einfluss auf die Schwere
der PTSD-Symptomatik und generalisierten Stress hatte. Eine positive Gerichtsentscheidung ging mit einem Symptomrückgang von PTSD und Stress einher. Eine
Ablehnung hingegen führte zu einer Aufrechterhaltung der psychischen Probleme. Die unterschiedlichen Befunde lassen sich möglicherweise dadurch erklären,
dass in der Untersuchung von Lehmann (2007) keiner der Probanden den Status
eines Konventionsflüchtlings erlangte, der mit besonders hoher Sicherheit einhergeht. Wie unter „1.3.3 Rechtliche Situation von Asylbewerbern in Deutschland“ angeführt, kann die Diagnose einer PTSD ein Abschiebehindernis darstellen (Zenker,
2006).
In der oben angeführten Studie von Keller et al. (2006) zeigte sich entsprechend der Befunde von Davis und Davis (2006), dass Probanden mit anerkanntem
Asylstatus eine signifikant geringere PTSD-Symptomatik aufwiesen.
Weitere psychische Störungen
Es werden hier Ergebnisse zu weiteren psychischen Störungen bei Asylbewerbern
und Flüchtlingen angeführt, die z. T. Komorbidität mit PTSD aufzeigen, meist jedoch Störungsraten ohne Berücksichtigung möglicher Komorbidität darstellen. Sollte in einer hier angeführten Studie explizit die Komorbidität von anderen Störungen mit PTSD erhoben worden sein, wird dies gesondert angegeben.
Raten von Depression bei Asylbewerbern und Flüchtlingen schwanken je nach
untersuchter Stichprobe zwischen 33 und 86 %, weitere Störungen liegen bei etwa 3
bis 30 % der Probanden vor (hier nicht unterschieden nach Komorbidität zu PTSD
oder zu anderen Störungen oder keiner Komorbidität).
76
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
Gotthardt (2007) fand in einer Stichprobe von Asylbewerbern vor einer Behandlung bei 70 % sowohl eine PTSD als auch eine komorbide Depression. Suizidpläne und -versuche in der Vorgeschichte bestanden bei 56 %. Es wiesen 3,8 % eine
Panikstörung ohne Agoraphobie auf. Eine Panikstörung mit Agoraphobie bestand
bei 7,7 % der Probanden, eine Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte sowie eine soziale Phobie bei jeweils 3,8 %. Niemand zeigte eine Zwangsstörung.
Bei 20 % wurde eine generalisierte Angststörung festgestellt, Raten von Substanzmissbrauch lagen bei 3,8 %. Steel et al. (2004) untersuchten Asylbewerber in einem
Auffanglager, das diese nicht verlassen durften, und stellten in der befragten Stichprobe bei jedem Erwachsenen eine Major Depression und komorbid bei 86 % eine PTSD fest. Diese Raten waren dreimal so hoch wie vor der Inhaftierung. Blair
(2000) fand unter Flüchtlingen aus Kambodscha in den USA eine Depressionsrate von 51 %. Asylbewerber in Australien wiesen Depressionsraten von 33 % und
Angstsymptomraten von 23 % auf (Silove & Steel, 1998). Ferrada-Noli et al. (1998a)
fanden bei 46 % einer Untergruppe von Flüchtlingen mit PTSD eine komorbide
Störung aus dem depressiven Spektrum. Darüber hinaus wiesen 29 % komorbide Angststörungen auf. In der Gesamtstichprobe berichteten 50 % der Befragten
von suizidalem Verhalten (Suizidgedanken, -pläne oder -versuche), innerhalb der
PTSD-Gruppe waren es 57 %. Ferrada-Noli, Asberg und Ormstad (1998b) stellten
einen Zusammenhang zwischen bestimmten hauptsächlich bei einer Person angewandten Foltermethoden und späteren ähnlichen Suizidphantasien, -plänen oder
Methoden bei Suizidversuchen fest, z. B. hatten diejenigen suizidalen Befragten,
die mit Wasser gefoltert worden waren, besonders häufig Gedanken an einen Tod
durch Ertrinken. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass es andere Faktoren
geben könnte, die einen größeren Einfluss auf Suizidgedanken etc. haben könnten
als die früheren Foltermethoden. Keller et al. (2006) – siehe weiter oben – fanden in
einer Stichprobe von Überlebenden organisierter Gewalt eine Rate klinisch relevanter Depressionssymptome von 84,5 % und eine Angstsymptom-Rate von 81,1 %.
Körperliche Beschwerden
Asylbewerber und Flüchtlinge haben häufig mit einer Reihe körperlicher Symptome zu kämpfen: So berichteten beispielsweise Folterüberlebende aus sechs verschiedenen Ländern, die nun in Schweden lebten, von zahlreichen chronischen körperlichen Problemen seit der Folter (Moisander & Edston, 2003): Nahezu 50 % der
Befragten litten unter chronischen Kopfschmerzen, 43,1 % unter Gelenkschmerzen
und fast 42 % unter Rückenschmerzen; nahezu 30 % berichteten von überdauern-
77
1.4
Psychische Folgen organisierter Gewalt
1
THEORIE
den gastrointestinalen Beschwerden. Silove und Steel (1998) fanden bei über 20 %
von Asylbewerbern in Australien verschiedene physische Beschwerden (z. B. Kopfoder weitere Schmerzen, Schlafprobleme, Verdauungsbeschwerden etc.). Junod Perron und Hudelson (2006) stellten bei Asylbewerbern aus der Balkanregion, die jetzt
in der Schweiz lebten, in 77 % der Fälle Kopfschmerzen fest, 46 % litten unter Müdigkeit und 65 % unter Knochen- und Gelenkschmerzen. Es zeigte sich, dass die
Befragten ihre Beschwerden auf traumatische Erlebnisse vor der Flucht zurückführten, das Fortbestehen der Symptome brachten sie teilweise mit ihren momentanen schwierigen Lebensumständen und ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus in
Verbindung.
Arztbesuche und Medikamenteneinnahme
Asylbewerber mit PTSD und einem unsicheren Aufenthaltsstatus nahmen nach einer Studie von Gotthardt (2007) häufig Behandlungen in Anspruch: Bei mindestens
einem Arzt waren 89 % der Befragten in Behandlung, bei einem Psychotherapeuten über 70 %. Lediglich 16 % waren überhaupt nicht in Behandlung. Über 80 %
nahmen Medikamente ein, meist Psychopharmaka. Fast ein Drittel der untersuchten Frauen nahm täglich bis zu fünf verschiedene Präparate ein, und über 50 %
der Gesamtstichprobe nahmen Antidepressiva. Silove und Steel (1998) berichten,
dass es für Asylbewerber in Australien oft schwierig ist, ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung zu erhalten. Drozdek, Noor, Lutt und Foy (2003) stellten
in einer niederländischen Studie fest, dass Asylbewerber mit PTSD im Vergleich
zu denjenigen ohne PTSD deutlich häufiger zum Arzt gingen. Munro, Freeman
und Law (2004) untersuchten, wie gut es niedergelassenen Allgemeinärzten und
Psychiatern gelang, eine PTSD anhand von Fallgeschichten zu erkennen und eine
adäquate Behandlung einzuleiten. Es zeigten sich einige Lücken in der Diagnostik
und in den Behandlungsvorschlägen. Im Gespräch mit einem realen Patienten wäre
die Diagnosestellung je nach Offenheit des Betroffenen noch schwieriger. Bedenkt
man, dass Flüchtlinge und Asylbewerber häufig nur unzureichend die Sprache ihres Exillandes beherrschen (Blöchliger, Tanner, Hatz & Junghanss, 1997) und oft
kein Dolmetscher zur Verfügung steht (Salman & Collatz, 1999), ist anzunehmen,
dass eine PTSD in diesem Kontext wohl noch seltener erkannt wird. Laut Brucks
(2004) tragen sowohl der Stress bedingt durch die Migration selbst als auch das
deutsche Gesundheitswesen, in dem ein Flüchtling häufig keine adäquate Behandlung erhält, zur Chronifizierung von Krankheiten bei.
78
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Eine PTSD klingt oft nicht spontan wieder ab: So fanden z. B. Perkonigg, Pfister,
Stein, Höfler, Lieb, Maercker und Wittchen (2005) in der westlichen Allgemeinbevölkerung bei unbehandelten Betroffenen nach mehreren Jahren noch eine PTSDRate von nahezu 50 %, Kessler et al. (1995) stellten fest, dass etwa ein Drittel der
Befragten nach vielen Jahren noch eine PTSD hatte, obwohl sie teilweise in Behandlung gewesen waren. Schaal (2006) fand bei unbehandelten ruandischen Jugendlichen nach sechs Monaten noch eine PTSD-Rate von 96,3 %. Zahlreiche Behandlungsstudien mit verschiedenen Stichproben, die eine Wartelistenbedingung
eingeschlossen hatten, zeigten auf, dass eine PTSD-Symptomatik selten ohne Behandlung signifikant zurückgeht (z.B. Keane, Fairbank, Caddell & Zimering, 1989;
Brom, Kleber & Defares, 1989; Resick, Nishith, Weaver, Astin & Feuer, 2002; Foa,
Rothbaum, Riggs & Murdock, 1991; Foa, Dancu, Hembree, Jaycox, Meadows &
Street, 1999; Foa, Hembree, Cahill, Rauch, Riggs, Feeny & Yadin, 2005; Ruf, Schauer, Neuner, Schauer, Elbert & Catani, 2007). Eine PTSD verläuft also in vielen Fällen
chronisch, unter Umständen bis hin zu Jahrzehnten nach dem auslösenden Ereignis bzw. dem ersten Auftreten von Symptomen (z. B. Bichescu et al., 2005; Maercker & Schützwohl, 1997). Vor allem diejenigen, die unter einer solchen chronischen PTSD leiden, suchen nach Behandlungsmöglichkeiten (Ehlers & Clark, 2000).
Es existiert eine Reihe hauptsächlich psychotherapeutischer Behandlungsformen,
die – soweit systematisch untersucht – im Allgemeinen häufig zu signifikanten
Symptomverbesserungen führen (Sherman, 1998). Ein neues Feld stellt die Therapie über das Internet dar (Lange, van de Ven & Schrieken, 2003). Zudem gibt es
Ansätze z. T. ergänzender medikamentöser Therapien, vor allem mit antidepressiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRIs), deren Wirksamkeit am besten
untersucht und hinreichend belegt ist (Cooper, Carty & Creamer, 2005; Foa et al.,
2000), sowie Verfahren zur Krisenintervention und verschiedene gruppentherapeutische Angebote (Solomon & Johnson, 2002). Darüber hinaus existiert eine Vielzahl
von alternativen Allein- oder Ergänzungsbehandlungen: z. B. Akupunktur (Ulett,
1996) oder die nach ähnlichen Prinzipien vorgehende „Thought Field Therapy“
(Folkes, 2002), Massage und verschiedene „Energie-Behandlungen“ wie Reiki (Collinge, Wentworth & Sabo, 2005), Kunsttherapie (Bowers, 1992) usw. Die Effektivität
dieser Behandlungen wurde bisher nur vereinzelt oder gar nicht in wissenschaftlichen Studien überprüft – insgesamt finden sich zahlreiche Einzelfallstudien zu
den einzelnen Behandlungsformen, in denen Aussagen über die jeweilige Wirksamkeit getroffen werden, jedoch werden seltener kontrollierte klinische Studien
79
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
dazu durchgeführt (Solomon & Johnson, 2002). Im Folgenden wird ausschließlich
auf die hauptsächlich zur Anwendung kommenden einzel-psychotherapeutischen
Verfahren unter Berücksichtigung der dazu vorliegenden klinischen Wirksamkeitsstudien genauer eingegangen. Therapiestudien mit Flüchtlingen und Asylbewerbern in westlichen Ländern werden gesondert und nicht nach Therapiemethoden
getrennt am Ende des Kapitels angeführt.
1.5.1
Kontroverse Therapieansätze – Exposition unabdingbar oder potenziell
gefährlich?
Angesichts der Vielzahl an psychotherapeutischen Interventionen bei PTSD scheint
es sinnvoll, eine grobe Einteilung z. B. anhand der jeweiligen Vorgehensweisen vorzunehmen. Eine solche mögliche Einteilung ist folgende: Einerseits finden sich Expositionsverfahren, d. h. solche, die eine Konfrontation des Patienten mit seinen
Ängsten beinhalten und in denen zumeist die traumatischen Erfahrungen Thema
der Behandlung sind. Andererseits existieren Verfahren, in denen der Schwerpunkt
z. B. auf Stabilisierung, Veränderung der Kognitionen, Stress- oder allgemeiner Problembewältigung liegt; diese enthalten entweder keine Expositionsbausteine, oder
diese kommen nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Einsatz. Manche Ansätze kombinieren obligatorische Exposition und z. B. kognitive Arbeit. Jedoch gibt
es jeweils Verfechter eines der beiden gegensätzlichen Prinzipien, und es besteht
bislang Uneinigkeit darüber, welche therapeutische Vorgehensweise die beste ist
(McFarlane & Yehuda, 2000). Beispielsweise werden Ansätze, die Exposition enthalten, von manchen Experten als schädlich eingeschätzt, wohingegen ihre Wirksamkeit andererseits am besten erforscht ist und sie in Richtlinien empfohlen werden (siehe nächster Abschnitt, „1.5.2 Therapieverfahren mit Expositon als festem
Bestandteil“). Im Folgenden werden verschiedene Verfahren aus unterschiedlichen
psychotherapeutischen Richtungen beschrieben sowie der jeweilige Forschungsstand dazu dargestellt.
Es ist anzumerken, dass allgemein Kontroversen zwischen Therapieforschung
und praktischer klinischer Tätigkeit bestehen: Niedergelassene Behandler wenden
häufig nicht die Therapieverfahren an, die empirisch am besten abgesichert sind,
sondern arbeiten anhand ihrer eigenen praktischen Erfahrungen, da sie die Ergebnisse aus der Forschung als zu praxisfern betrachten (z. B. Goldfried, Borkovec,
Clarkin, Johnson & Parry, 1999; Herbert, 2003; Crits-Christoph, Wilson & Hollon,
2005). D. h. Klienten erhalten aus verschiedenen Gründen nicht regelhaft psycho-
80
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
therapeutische Behandlungen, deren Evidenz wissenschaftlich abgesichert wurde
und die als empfohlene Standardverfahren gelten (Herbert, 2003).
1.5.2
Therapieverfahren mit Exposition als festem Bestandteil
Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind Behandlungsansätze der PTSD
aus dem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Spektrum am erfolgreichsten und somit die Methoden der Wahl (z. B. Richtlinien des National Institute of Clinical Excellence – NICE, England, National Collaboration Center for Mental Health, 2005;
Foa et al., 2000). Diese Verfahren sind am besten und ausführlichsten wissenschaftlich untersucht worden (Solomon & Johnson, 2002). Irgendeine Form von Exposition ist meist ein Bestandteil von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungen
(Ehlers & Clark, 2000). In der Exposition wird der Patient in sensu oder in vivo und
mit unterschiedlichen Vorgehensweisen mit angstauslösenden Reizen konfrontiert;
dabei soll der konditionierten Angstreaktion auf diese Reize entgegengewirkt werden (Lyons & Keane, 1989; Foa & Meadows, 1997). Bei PTSD-Patienten bedeutet
das z. B. eine Konfrontation mit der traumatischen Situation in der Erinnerung,
mit angstauslösenden Körperempfindungen, vermiedenen Situationen im Alltag,
u. U. sogar mit dem Ort des Geschehens (Robertson, Humphreys & Ray, 2004; Foa
et al., 1999). Die verschiedenen im Folgenden genauer beschriebenen Expositionstechniken variieren hinsichtlich der Dimension (in vivo oder in sensu), Dauer und
Intensität der Konfrontation (Foa & Meadows, 1997).
Eines der ersten Expositionsverfahren war die Systematische Desensibilisierung, die in den 50er Jahren von Wolpe entwickelt wurde (Foa & Meadows, 1997).
In der Systematischen Desensibilisierung erlernt der Patient zunächst Entspannungstechniken, dann findet eine abgestufte Exposition bezüglich vermiedener Stimuli statt, der Schwierigkeitsgrad wird dabei gesteigert. Mit Hilfe der Entspannung, die mit der Angstreaktion unvereinbar ist, soll die Angstreaktion gehemmt
werden (Sherman, 1998). Der Stand der Forschung zur Wirksamkeit des Verfahrens
bei PTSD werden am Ende des Abschnitts unter „Sonstige Studien zu kognitivverhaltenstherapeutischen Behandlungen mit Exposition“ angeführt.
Ein weiteres frühes Expositionsverfahren war die „Implosive Therapie“ (eher
als „Flooding“ bekannt), die in den 60er Jahren zur Behandlung von Angstsymptomen entwickelt wurde (Hogan, 1968). Es wurde davon ausgegangen, dass nach
einem ängstigenden Erlebnis alle Reize, die in der Situation präsent waren, später
Angst auslösen können. Der Betroffene lernt, diese aufsteigende Angst durch eine Reihe von Abwehrmechanismen wie z. B. Vermeidungsverhalten zu reduzieren.
81
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Um diese Abwehrmechanismen zu „verlernen“ bzw. zu löschen, muss das Trauma
in einem sicheren Umfeld, d. h. ohne dass negative Konsequenzen erfolgen, wieder durchlebt werden. Dabei werden Szenen imaginiert, die dem früheren Trauma
oder sonstigen angstmachenden Situationen ähneln. Die Anwendung implosiver
Techniken ist jedoch nicht auf die Behandlung von Angst nach traumatischen Ereignissen beschränkt, sondern ist bei allen Arten von Konflikten anwendbar (Zurückweisungen, frühere Erniedrigungen oder Entbehrungen, Aggressionen etc.).
Lyons und Keane (1989) beschreiben ein modifiziertes Prinzip der Implosiven Therapie bei PTSD-Patienten, das Expositions- und Entspannungsbausteine enthält.
Keane et al. (1989) führten mit dieser modifizierten Variante eine randomisierte
kontrollierte Wirksamkeitsstudie mit 14 bis 16 Sitzungen implosiver Therapie bei
24 Vietnamveteranen durch, die infolge ihrer Kriegserlebnisse eine PTSD entwickelt hatten: Es zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen der Therapie- und
einer Wartelistengruppe in der PTSD-Symptomatik. Vor allem verbesserten sich bei
den Patienten die intrusiven Symptome, Angst und Depression, wohingegen sich
emotionale Taubheit und die Vermeidung sozialer Situationen nicht veränderten.
Obwohl in zahlreichen Studien die Effektivität von Expositionsverfahren belegt wurde (siehe weiter unten), profitieren nicht alle PTSD-Patienten davon: Ehlers, Clark, Dunmore, Jaycox, Meadows und Foa (1998) fanden heraus, dass z. B. bestimmte kognitive Unterschiede zwischen Probanden den gewünschten Erfolg einer Expositionstherapie schmälern können. Vergewaltigungsopfer, die sich während der Tat vollkommen hilflos fühlten und sich selbst aufgaben („mental defeat“)
erzielten deutlich geringere Therapieerfolge als diejenigen, die unabhängig von tatsächlicher Hilflosigkeit weiterhin Handlungspläne im Kopf hatten („mental planning“). Auch Erfahrungen nach dem Trauma beeinflussten den Behandlungserfolg:
Diejenigen, die eher negative Erfahrungen mit anderen Personen gemacht und sich
vollkommen entfremdet von allen und dauerhaft verändert gefühlt hatten, erreichten geringere Besserung in der Behandlung als diejenigen, die sich eher sozial unterstützt gefühlt oder das Trauma als isoliertes Ereignis interpretiert hatten. Weitere Prädiktoren für Behandlungserfolg – sofern die jeweilige Studie entsprechende
Analysen enthält – werden weiter unten aufgeführt.
Scott und Stradling (1997) sind der Ansicht, dass Expositionsverfahren nicht
für alle Patienten die Methoden der Wahl sind: Sie berichten von zwei Studien, in
denen die Compliance von PTSD-Patienten gegenüber Expositions-Hausaufgaben
untersucht wurde. Es zeigte sich, dass die Compliance bei höherer PTSD-Symptomatik niedriger war und die Patienten insgesamt wenig Bereitschaft zeigten, die
Hausaufgaben durchzuführen. Es ist jedoch fraglich, inwieweit die Beurteilung der
82
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Compliance allein anhand der Mitarbeit bei therapeutischen Hausaufgaben aussagekräftig ist – es sollte beachtet werden, dass beispielsweise Angst die Mitwirkung
des Patienten an therapeutischen Hausaufgaben hemmen kann (Kanfer, Reinecker
& Schmelzer, 2000).
Pitman, Altman, Greenwald, Longpre, Macklin, Poiré und Steketee (1991) vermuten, dass Exposition nicht so gut gegen begleitende Gefühle wie Traurigkeit,
Scham, Schuld oder Wut hilft wie gegen Angst. Sie führen sechs Fallbeschreibungen zu Komplikationen bei Flooding mit Vietnamveteranen an: Alle Patienten in
den Fallbeschreibungen hatten entweder früher mindestens eine weitere psychische Störung komorbid zur PTSD gehabt oder hatten dies aktuell auch noch. Jedoch
ist nicht anzunehmen, dass Flooding als spezifische Intervention für Angst alle anderen psychischen Probleme ebenfalls positiv beeinflusst. Zudem wird Exposition
in der Regel (zumindest außerhalb von Therapieforschung) nicht isoliert von weiteren therapeutischen Interventionen stattfinden (wie in der Flooding-Studie der
Fall).
Summerfield (2005) kritisiert die Empfehlung in den NICE-Guidelines (National Collaboration Center for Mental Health, 2005), Expositionsverfahren bei PTSD
einzusetzen. Er ist der Ansicht, dass der Fokus auf die Vergangenheit und die erlebten Belastungen sowie die Kranken- und Opferrolle die Befindlichkeit von Patienten eher verschlechtert und ihnen rehabilitative Maßnahmen mehr nützen würden.
Cognitive Processing Therapy (CPT)
Die „Cognitive Processing Therapy“ wurde Anfang der 90er Jahre von Resick und
Schnicke (1992) zur Behandlung von PTSD bei Opfern sexueller Gewalt entwickelt
und enthält zum einen Bausteine kognitiver Therapie und zum anderen Exposition
mittels Aufschreibens und Vorlesens des traumatischen Erlebnisses. Die Elemente
kognitiver Therapie fokussieren auf verzerrte und übergeneralisierte Annahmen
über sich selbst, das Trauma und die Welt im Allgemeinen. Diese Annahmen werden mithilfe von sokratischem Dialog und dem Führen von Tagebüchern in Frage
gestellt und durch angemessenere ersetzt, diese werden dann auch im Alltag getestet. Die Symptome werden auf die verzerrten Bewertungen der traumatischen
Situation, Konflikte zwischen früheren Annahmen und den neuen Informationen
durch das Trauma-Erleben, negative und mit eigenen Denkweisen unvereinbare
Denkschemata von anderen oder die Unfähigkeit, das Erlebte überhaupt irgendeinem existierenden Erlebensschema zuzuordnen, zurückgeführt. Die Autoren gehen davon aus, dass die Exposition zwar bereits mit bisherigen Annahmen un-
83
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
vereinbare neue Erfahrungen bietet, dass dadurch jedoch möglicherweise lediglich die Angstreaktion verändert wird. Da jedoch verschiedene weitere emotionale
Reaktionen außer der Angst bestehen können, die eine Besserung der Symptomatik behindern könnten, sind die genannten kognitiven Techniken zur Veränderung
dieser Reaktionen in die Behandlung integriert.
Nach einer vielversprechenden, jedoch methodisch mangelhaften Studie mit
CPT als Gruppentherapie (Resick & Schnicke, 1992) führten Resick et al. (2002)
eine randomisierte kontrollierte Studie mit über 150 Patientinnen zum Vergleich
von CPT mit Prolonged Exposure (PE) durch. Es wurden jeweils dreizehn Sitzungen durchgeführt. Zusätzlich gab es eine so genannte „minimal attention“Wartelisten-Bedingung. In den beiden Behandlungsgruppen kam es zu signifikanten Symptomverbesserungen über die Zeit, die Wartelisten-Gruppe zeigte hingegen keine Veränderung der Symptomatik. Die Unterschiede zwischen den Ergebnissen in der CPT- und PE-Gruppe waren nicht signifikant. Von denen, die die
Behandlung vollständig durchliefen, erfüllten in der CPT-Gruppe nach der Behandlung und zu den 3- und 9-Monats-Nachuntersuchungszeitpunkten nur noch
jeweils 19,5 %, 16,2 % bzw. 19,2 % und in der PE-Gruppe lediglich jeweils 16,2 %,
29,7 % und 15,4 % die Kriterien für eine PTSD. Auch hinsichtlich depressiver Symptome erzielten beide Behandlungsgruppen signifikante Verbesserungen. Bezüglich Schuldgefühlen und -gedanken erreichten beide Gruppen eine signifikante
Verbesserung, jedoch erwies sich CPT hier in bestimmten Bereichen als erfolgreicher (bezüglich der Skalen „rückblickender Verzerrung“ und „Fehlen von Rechtfertigung“). Es brachen insgesamt über 20 % die Behandlung ab: 26,8 % in der CPTGruppe, in der PE-Gruppe waren es 27,3 %, in der Wartelisten-Gruppe 14,9 %. Diese
Versuchspersonen unterschieden sich jedoch hinsichtlich PTSD und Depression in
der ersten Untersuchung nicht von den anderen.
Prolonged Exposure (PE)
Die „Prolonged Exposure“ (PE) wurde von Foa und Kollegen vor dem Hintergrund
der „Emotional processing theory“ für die Arbeit mit Vergewaltigungsopfern entwickelt (Foa et al., 1991). Exposition findet dabei einerseits in sensu statt: Das traumatische Erlebnis wird in der Vorstellung noch einmal möglichst intensiv durchlebt
und dabei im Präsens nacherzählt, dies soll mindestens 45 Minuten in Anspruch
nehmen. Die Sitzungen werden aufgenommen, und die Patientin soll die Bänder
täglich zuhause anhören. Zusätzlich sollen die Patientinnen zwischen den Sitzungen in vivo Exposition durchführen, indem sie objektiv ungefährliche Situationen
84
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
aufsuchen, die ihnen Angst machten oder die sie bisher vermieden hatten. Durch
die Exposition soll eine Angstreduktion bezüglich der trauma-assoziierten Reize
durch Habituation erreicht werden, zudem soll die Erfahrung gemacht werden,
dass die Angstreaktion auch ohne Vermeidung oder Flucht nicht unendlich andauert. Gleichzeitig wird durch die absichtliche Konfrontation die negative Verstärkung unterbrochen, bei der die Angst längerfristig durch Vermeidung oder Flucht
aufrecht erhalten bleibt. Durch das Wiedererleben in einem sicheren und unterstützenden Therapierahmen werden der Erinnerung an das Trauma neue, mit Sicherheit assoziierte Informationen hinzugefügt. Auch eine differenziertere Betrachtung
des traumatischen Erlebnisses (z. B. als einzelnes Ereignis und nicht als Beweis dafür, dass das Leben an sich gefährlich ist) soll durch die wiederholte Beschäftigung
damit erreicht werden. Zudem lernt der Betroffene, dass er die PTSD-Symptome
aushalten kann, ohne die Kontrolle zu verlieren, und kann dadurch lernen, sie realistischer einzuschätzen. Auch weitere negative Bewertungen, die mit dem traumatischen Erlebnis in Zusammenhang stehen, können durch die wiederholte Exposition verändert werden (Foa & Rothbaum, 1998).
Mehrere Studien belegen die Wirksamkeit der postulierten Therapiemechanismen der Prolonged Exposure (Brewin & Holmes, 2003): Foa et al. (1991) führten
beispielsweise eine Studie mit 45 Vergewaltigungsopfern durch, die in der Folge
an einer PTSD erkrankt waren. Die Patientinnen wurden einer von vier Bedingungen zugeteilt (Warteliste, Prolonged Exposure, Stress-Impfungs-Training – SIT –
oder unterstützende Beratung). Es zeigte sich zu den verschiedenen Nachuntersuchungszeitpunkten, dass in allen vier Bedingungen die Symptomatik reduziert
worden war – allerdings reduzierte sich in der Beratungs- und Wartelistenbedingung lediglich die Übererregungssymptomatik. Jedoch war unmittelbar nach der
Behandlung die Symptomatik in der SIT-Gruppe signifikant stärker reduziert als
in der Wartelisten- und Beratungsbedingung. Drei Monate nach Ende der Therapie zeigte sich die Prolonged Exposure als am wirkungsvollsten (jedoch keine signifikanten Unterschiede). Die Symptomverbesserungen bei PE und SIT bezogen
sich auf alle drei Symptombereiche der PTSD. Die ebenfalls erhobene Depressionsund Angstsymptomatik wurde in allen vier Gruppen signifikant reduziert, was
die Autoren allgemein auf den therapeutischen Kontakt zurückführen. In der PEGruppe brachen 28,6 % die Behandlung ab, in der SIT-Gruppe 17,6 % und in der
Beratungs-Gruppe 21,4 %. Die Therapieabbrecherinnen unterschieden sich dahingehend signifikant von den anderen Teilnehmerinnen, dass sie geringerqualifizierte Arbeitsplätze innehatten, weniger verdienten und höhere Symptome im „Rape
Aftermath Symptom Test“ (RAST) aufwiesen.
85
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
In einer weiteren Untersuchung von Foa et al. (1999) wurden wiederum PE
und SIT miteinander verglichen, eine dritte Behandlungsbedingung stellte jedoch
zusätzlich die Kombination aus beiden Verfahren dar (wurde ebenfalls bereits weiter oben beschrieben, siehe „Prolonged Exposure“). Zudem gab es eine WartelistenKontrollgruppe. Es brachen 8 % der Probandinnen in der PE-Gruppe die Behandlung ab, in der SIT-Gruppe und der PE-SIT-Gruppe waren es je 27 %, in der Warteliste keiner der Teilnehmerinnen. Es bestand ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Therapieabbrüchen. Es zeigte sich eine signifikante und über die Zeit
stabile Symptomreduktion in allen drei Behandlungsgruppen hinsichtlich PTSD
(alle Symptomgruppen), Depression und weiteren Angstsymptomen (letzteres nur
in der Gruppe der Personen, die die Therapie zu Ende führten), in der SIT-Gruppe
erfüllten 42 % der Patientinnen nach der Behandlung die Kriterien für eine PTSD
nicht mehr (PE: 60 %, PE + SIT: 40 %). In der „Intent to treat“-Gruppe erreichte PE
einen jedoch stärkeren Symptomrückgang als SIT und PE-SIT. Entgegen der Annahme der Untersucher stellte sich die kombinierte Behandlung aus PE und SIT
nicht als erfolgreicher heraus als die jeweiligen Verfahren alleine.
In einer zusätzlichen Studie von Foa et al. (2005) wurde PE mit und ohne kognitive Umstrukturierung miteinander verglichen (in vivo und imaginativ), zudem
gab es eine Wartelistengruppe. Beide Behandlungsbedingungen reduzierten die
PTSD- und Depressionssymptomatik der teilnehmenden Frauen nach Gewalterfahrungen signifikant und nachhaltig im Vergleich zur Wartelisten-Kontrollgruppe,
und es gab keine Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen. Das Funktionsniveau hinsichtlich sozialer Variablen stieg in beiden Behandlungsgruppen signifikant bei denjenigen Frauen, die die Therapie zu Ende führten. Die Behandlungen wurden teilweise von Experten in kognitiver Verhaltenstherapie in akademischem Setting durchgeführt, teilweise von Beratern mit geringer Erfahrung in
kognitiver Verhaltenstherapie in kommunalen Anlaufstellen für Vergewaltigungsopfer. Es zeigte sich, dass die Therapieergebnisse der beiden Behandlergruppen
sich nicht unterschieden. In der PE-Gruppe brachen 34,2 % der Teilnehmerinnen
die Behandlung ab, in der Gruppe mit PE und kognitiver Umstrukturierung waren
es 40,5 %, in der Wartelistengruppe 3,8 %.
Eine Studie von Resick et al. (2002) zum Vergleich von „Cognitive Processing
Therapy“ mit „Prolonged Exposure“ wurde bereits im oben stehenden Abschnitt
„Cognitive Processing Therapy (CPT)“ beschrieben. Die PTSD-Symptomatik der
Versuchspersonen (sowohl in der CPT- als auch der PE-Gruppe) nahm über die
Zeit signifikant ab.
86
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Eine Untersuchung von van Minnen, Arntz und Keijsers (2002) hatte Prädiktoren für Therapieergebnisse und -abbrüche bei PE zum Thema. Auch in dieser
Studie zeigte sich PE als erfolgreich in der Symptomreduktion der PTSD, ebenso hinsichtlich Depressivitäts- und weiteren Angstsymptomen. Es stellte sich hinsichtlich Prädiktoren des Therapieergebnisses heraus, dass in beiden untersuchten
Gruppen höhere Symptomwerte vor der Therapie höhere Werte zu den Nachuntersuchungszeitpunkten voraussagten. Alle weiteren untersuchten Faktoren wie
z. B. Persönlichkeitszüge, demografische Variablen oder Charakteristika des Traumas wiesen keinen Zusammenhang mit dem Behandlungserfolg auf. Es brachen
insgesamt 28 % der Teilnehmer die Behandlung ab. Prädiktoren für den Therapieabbruch waren männliches Geschlecht bzw. Alkoholkonsum, was sich in dieser
Stichprobe jedoch nicht getrennt voneinander betrachten ließ. Zudem ging Benzodiazepineinnahme mit einer geringeren Abbrecherrate, jedoch auch eher geringerem Therapieerfolg einher.
In einer weiteren Studie untersuchten van Minnen und Foa (2006), inwieweit
eine bestimmte Dauer einer Expositionssitzung notwendig ist, um die PTSD-Symptomatik erfolgreich zu reduzieren. Es zeigte sich, dass es für den Therapieerfolg
hinsichtlich PTSD-, Depressions-, Angstsymptomatik und Funktionsniveau keinen
Unterschied machte, ob die Exposition in sensu 30 oder 60 Minuten dauerte. Die
Probanden mit 60-minütiger Exposition habituierten zwar eher innerhalb einer Sitzung, dies hatte jedoch keinen Einfluss auf den Gesamterfolg der Behandlung.
In einer Studie von Rauch, Foa, Furr und Filipp (2004) zeigte sich, dass die
Einschätzung der subjektiven Angststärke im Laufe der Behandlung mit PE oder
PE mit kognitiver Umstrukturierung bei Vergewaltigungsopfern mit dem späteren
Therapieerfolg zusammenhing: Je stärker die Angst über die Sitzungen hinweg abnahm, desto größer war die Symptomreduktion nach der Behandlung. Entgegen
der Annahmen der Autoren gab es keinen Zusammenhang zwischen der Intensität
des imaginativen Wiedererlebens in der Exposition und dem Therapieerfolg.
Im Laufe einer Behandlung mit PE veränderten sich in einer Studie von Foa,
Molnar und Cashman (1995) die Erzählungen des traumatischen Erlebnisses (länger, detailreicher, mehr Handlungsbeschreibungen und Dialoge), was mit einer
Verminderung depressiver Symptome einherging. Zudem bestand ein Zusammenhang zwischen der Abnahme fragmentierter Erzählungselemente und der Reduktion der Symptomatik. In einer weiteren Untersuchung zeigen sich zudem Veränderungen von negativen Gedanken über sich selbst und die Welt sowie Selbstvorwürfen (Foa & Rauch, 2004). In der letztgenannten Studie machte es keinen Unter-
87
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
schied, ob PE oder PE mit zusätzlicher kognitiver Umstrukturierung durchgeführt
wurde.
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
EMDR wurde 1989 erstmals von Shapiro als Behandlung bei PTSD beschrieben (damals noch „EMD“; Shapiro, 1999). Es handelte sich um ein Verfahren mit imaginativer Exposition und gleichzeitigen sakkadischen Augenbewegungen. Das Verfahren wurde seither weiterentwickelt und enthält psychodynamische, verhaltenstherapeutische, kognitive, körperorientierte und systemische Behandlungsbausteine
(Shapiro, Vogelmann-Sine & Sine, 1994). EMDR ist in acht Phasen unterteilt und
wird wiederum als ein Baustein einer umfassenden Traumatherapie eingesetzt.
Die Methode sollte erst nach erfolgreichem Aufbau einer therapeutischen Beziehung, Abklärung möglichen sekundären Krankheitsgewinns und ausreichender
Stabilisierung des Patienten angewendet werden (Shapiro et al., 1994). Ein zentrales Element ist die bilaterale Stimulation des Klienten (mittels sakkadischer Augenbewegungen, die dadurch hervorgerufen werden, dass der Klient horizontalen Fingerbewegungen des Therapeuten folgt, oder auch Tönen oder abwechselnden Bewegungen der linken und rechten Hand etc.), während er sich gleichzeitig
auf die Situation konzentrieren soll, die seiner psychischen Problematik zugrunde
liegt (Erinnerungen an Traumata, später jedoch auch aktuelle Problemsituationen;
Shapiro, 1996). Die Exposition ist jeweils nur wenige Minuten lang und findet in
Form von freien Assoziationen anstelle einer konkreten Erinnerung an eine Situation statt (Shapiro, 1999). Kritiker stellen in Frage, inwieweit die bilaterale Stimulation zusätzlich zur Exposition von Nutzen ist (z. B. Robertson et al., 2004). Shapiro (1996) vertritt jedoch die Ansicht, dass jedenfalls nicht reine Exposition für
den Effekt von EMDR verantwortlich sein kann, da ein erheblich höherer Expositionsanteil in einer Studie von Richards, Lovell und Marks (1994) zu geringeren
Therapieerfolgen geführt hatte als EMDR in entsprechenden anderen Studien. Es
ist fraglich, inwieweit diese Schlussfolgerung anhand des Vergleichs von (wenigen)
Studien, die in keinerlei Zusammenhang stehen, gerechtfertigt ist. Andererseits betont Shapiro, dass alle Komponenten von EMDR in gleichem Maße wichtig für
den Therapieerfolg seien und der Schwerpunkt keineswegs auf der bilateralen Stimulation liege (im Gegensatz zu ursprünglichen Beschreibungen des Verfahrens;
Shapiro et al., 1994). Der Beitrag der bilateralen Stimulation müsse weiter erforscht
werden, und möglicherweise könne der Fokus auf jegliches nicht-emotionale Geschehen zum Therapieerfolg beitragen. Es sei denkbar, dass EMDR aufgrund sei-
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1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
ner Komplexität auch ohne die bilaterale Stimulation erfolgreich wäre (Shapiro,
1999). Dem Verfahren liegt das Modell des „Accelerated Information Processing
(AIP)“ zugrunde: Shapiro et al. (1994) gehen davon aus, dass die Informationsverarbeitung im Gehirn normalerweise auch bei kleineren Störungen reibungslos
stattfindet, dieser Prozess jedoch nicht mehr funktioniert, wenn größere Störungen
wie das Erleben traumatischer Ereignisse vorkommen. EMDR soll diesen an sich
vorhandenen Verarbeitungs- und damit einen Selbstheilungsprozess anstoßen. Es
wird angenommen, dass dabei die Erinnerungen an Traumata wieder mit Kontextinformationen verbunden werden. Nebeneffekte dieses Vorgangs sind eine Desensibilisierung des Klienten gegenüber angstauslösenden Reizen sowie kognitive
Umstrukturierung. Der Betroffene soll durch EMDR neue Bewältigungsstrategien
lernen. Die Effekte der bilateralen Stimulation habe Shapiro nur zufällig (und auch
nicht als Erste) und entsprechend nicht theoriegeleitet entdeckt. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass bei den Klienten die Hemmung unangenehmer Gedanken und
das Auftreten anderer Gedankeninhalte mit sakkadischen Augenbewegungen einhergingen. Die Intensität der begleitenden Emotionen werde verringert (Shapiro,
1999).
Es existiert eine Reihe von Studien zur Effektivität von EMDR, die Hinweise darauf geben, dass das Verfahren zur Behandlung von PTSD effektiv ist (siehe z. B. Devilly & Spence, 1999; Lee, Gavriel, Drummond, Richards & Greenwald,
2002; Rothbaum, Astin & Marsteller, 2005). Dies wiederum heißt jedoch lediglich,
dass bisher signifikant größere Effekte erzielt wurden als ohne Behandlung, was
beinahe bei jeder beliebigen Behandlung der Fall ist (Herbert, 2003). EMDR bleibt
bislang umstritten, was damit zusammenhängt, dass verschiedene Aspekte in der
Literatur zu EMDR unklar bleiben (Perkins & Rouanzoin, 2002): So existiere etwa
derzeit noch kein empirisch validiertes Modell, das die Behandlungseffekte erklären könne. Es ist auch noch ungeklärt, was die einzelnen Therapiebausteine zum
Behandlungserfolg beitragen und inwieweit sich EMDR überhaupt von anderen
Therapieformen mit Exposition unterscheidet – weitere Studien sind also erforderlich (Robertson et al., 2004; Neuner, 2003).
Narrative Expositionstherapie (NET)
Die „Narrative Expositionstherapie“ (NET) ist ein standardisierter Kurzzeit-Ansatz,
der von Forschern der Universität Konstanz und der Nichtregierungsorganisation
„vivo international“ entwickelt wurde (Neuner, Schauer, Roth & Elbert, 2002; Neuner, Schauer, Karunakara, Klaschik, Robert & Elbert, 2004b; Schauer et al., 2005).
89
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Das Prinzip der NET setzt sich aus dem Vorgehen der Testimony-Methode (Cienfuegos & Monelli, 1983) sowie der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methode
der Exposition in sensu zusammen. NET wurde speziell zur Behandlung von PTSD
in Folge von organisierter Gewalt entwickelt und zunächst in Krisengebieten nichtwestlicher Länder angewendet. Einerseits soll durch die Exposition eine Reduktion der konditionierten Angstsymptome erzielt werden, andererseits soll die chronologische Erfassung und Niederschrift der Lebensgeschichte des Patienten mit
besonderem Fokus auf den traumatischen Erlebnissen das oftmals fragmentierte
oder inkonsistente autobiografische Gedächtnis wieder herstellen. Das detaillierte Erheben der traumatischen Erlebnisse umfasst eine genaue Beschreibung der
jeweiligen Situation auf allen Ebenen des menschlichen Erlebens (kognitiv, emotional, motorisch, physiologisch) sowie eine Einbettung in den autobiografischen
Kontext. Es wird angenommen, dass die Gedächtniselemente für das sensorische
und emotionale Erleben („hot memory“, gespeichert in einem neuronalen „Furchtnetzwerk“) und für die autobiografischen, „sachlichen“ Informationen („cold memory“) für traumatische Situationen aufgrund veränderter Gedächtnisprozesse anders als bei sonstigen Lebensereignissen nicht miteinander verknüpft sind (vergleiche auch „1.4.1 Modelle der posttraumatischen Belastungsstörung“). Durch das beschriebene Vorgehen in der NET sollen diese Elemente für die jeweilige Situation
wieder zusammengefügt werden. Die Lebensgeschichte („Narration“) des Betroffenen wird vom Therapeuten immer wieder vorgelesen und laufend ergänzt. Zum
Abschluss der NET erhält der Patient ein von allen Beteiligten unterschriebenes Exemplar der Narration seiner persönlichen Geschichte. Dieses Dokument kann auch
für Menschenrechtsarbeit oder vor Gericht verwendet werden.
Ein Element, das ursprünglich nur für die Arbeit mit Kindern (KIDNET; Onyut,
Neuner, Schauer, Ertl, Odenwald, Schauer & Elbert, 2005) entwickelt wurde, ist die
so genannte „lifeline“: Um einen plastischen chronologischen Überblick über die
Lebensereignisse des Patienten zu bekommen, wird ein Seil auf den Boden gelegt,
das den Verlauf des Lebens symbolisiert. Für die Zukunft bleibt ein Stück des Seils
noch aufgerollt. Der Proband wird nun gebeten, aus einer Sammlung verschieden
großer (Stoff-)Blumen und Steine diejenigen auszuwählen, die seinen Lebensereignissen entsprechen – die Blumen stehen dabei für positive, die Steine für negative
Erlebnisse. Auch bei Erwachsenen zeigt sich die „lifeline“ als hilfreiche Methode,
um zunächst einen Überblick über das Leben zu erhalten.
Es existieren bislang folgende Studien zur Wirksamkeit der NET unter verschiedenen Bedingungen:
90
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Neuner et al. (2004b) verglichen in einer Stichprobe von 43 sudanesischen
Flüchtlingen in einem Flüchtlingscamp in Uganda zwei verschiedene Therapiebedingungen in einer randomisierten kontrollierten Studie miteinander: NET und
unterstützende Beratung. Zusätzlich gab es eine dritte Gruppe von Teilnehmern,
die lediglich die für alle Bedingungen vorgesehene Psychoedukation erhielten. In
den beiden Therapie-Bedingungen fanden nach der Psychoedukation drei weitere Therapiesitzungen statt. Die Versuchspersonen wurden den verschiedenen Bedingungen zufällig zugeteilt. Es zeigte sich, dass sich die PTSD-Rate in der NETGruppe signifikant verringerte: Lediglich 29 % der Patienten aus der NET-Gruppe
erfüllten ein Jahr nach der Therapie noch die Kriterien für eine PTSD, versus 79 %
bzw. 80 % in der Beratungs- bzw. Psychoedukationsgruppe. Es gab nur wenige der
zufällig ausgewählten Patienten, die nicht an der jeweiligen Behandlung teilnahmen oder sie abbrachen: Ein Patient aus der NET-Gruppe begann die Therapie gar
nicht erst, zwei Patienten in der Gruppe mit unterstützender Beratung brachen die
Behandlung ab. Die zusätzlich erhobenen Depressions- und Angstwerte sowie die
allgemeine psychische Befindlichkeit verbesserten sich in keiner der Bedingungen
signifikant.
Eine weitere Studie von Gotthardt (2007) zum Vergleich von NET mit Standardbehandlung wird weiter hinten unter „1.5.4 Therapie der PTSD bei Asylbewerbern und Flüchtlingen“, aufgeführt.
Bichescu (2006) führte eine randomisierte kontrollierte Therapiestudie zum
Vergleich von NET und Psychoedukation mit ehemaligen politischen Gefangenen
in Rumänien durch. Die Gefangenschaft lag im Schnitt über 40 Jahre zurück. Neben
PTSD wurden depressive Symptome erhoben. Je neun Probanden erhielten fünf
Sitzungen NET oder eine Sitzung Psychoedukation. Drei der Probanden aus der
NET- und zwei aus der Psychoedukationsgruppe erhielten zusätzlich psychosoziale Betreuung in einem lokalen Zentrum für Opfer politischer Gewalt. Es zeigte
sich sechs Monate nach der Behandlung eine signifikante Symptomreduktion hinsichtlich PTSD (in den Bereichen Vermeidung und Übererregung) und Depression
in der NET-Gruppe, die Gruppe mit Psychoedukation wies keine signifikanten Veränderungen auf. Zum Zeitpunkt der Halbjahres-Nachuntersuchung hatten in der
NET-Gruppe noch vier der neun Probanden eine PTSD, in der Gruppe mit Psychoedukation waren es acht von neun. Keiner der Patienten brach die Teilnahme
an der Studie vorzeitig ab. Unklar ist, inwiefern die unterschiedliche Sitzungsanzahl in den beiden Bedingungen das Ergebnis beeinflusst haben könnte.
Auch bei Kindern wurde die NET mit minimaler Abwandlung (KIDNET) durchgeführt: Onyut et al. (2005) behandelten im Rahmen einer Pilotstudie sechs somali91
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
sche Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren in einem Flüchtlingscamp in Uganda mit
vier bis sechs NET-Sitzungen. Es zeigte sich neun Monate nach der Therapie ein signifikanter Symptomrückgang. Vier der sechs Patienten erfüllten die Kriterien für
eine PTSD nicht mehr, die zwei weiteren hatten grenzwertige PTSD-Symptome.
Zudem zeigte sich, dass die depressive Symptomatik, die zu Beginn bei vier der
sechs Kinder gefunden worden war, zu den Nachuntersuchungszeitpunkten bei
keinem der Patienten mehr klinisch relevant war. Es kam zu keinem Therapieabbruch.
Eine randomisierte kontrollierte Studie zur KIDNET wurde mit Flüchtlingskindern in Deutschland durchgeführt (Ruf et al., 2007). Es wurden zwölf Kinder
mit KIDNET behandelt, während 13 in einer Wartelistenbedingung waren. Es fanden im Schnitt acht Therapiesitzungen statt. In der Nachuntersuchung sechs Monate nach dem Erstinterview zeigte sich in der KIDNET-Gruppe eine signifikante
Reduktion der PTSD-Symptomatik, während die Kinder in der Wartelistenbedingung keine Veränderung der Symptomatik aufwiesen. In der Behandlungsgruppe
erfüllten 75 % der Kinder die Kriterien einer PTSD nicht mehr.
In einer randomisierten kontrollierten Studie von Schaal (2006) wurden 26 an
PTSD erkrankte jugendliche Überlebende des Genozids in Ruanda mit NET (n = 12)
oder Interpersoneller Therapie (IPT3 ; n = 14) behandelt. Die NET-Bedingung bestand aus insgesamt vier Einzelsitzungen: drei Sitzungen, in denen die traumatischen Lebensereignisse thematisiert wurden, sowie eine Sitzung IPT. In der IPTBedingung wurden zunächst individuell die vorliegenden Schwierigkeiten erfasst
und einem von vier Problembereichen zugeordnet, danach fanden vier Gruppensitzungen statt. Keiner der behandelten Jugendlichen brach die Therapie ab, es erschienen auch alle zu den Nachuntersuchungen. Jedoch wurden zwei Jugendliche
der NET-Bedingung, die zwischen Therapieende und Nachuntersuchungen erneut
potenziell traumatische Erlebnisse gehabt hatten, gesondert betrachtet bzw. teilweise aus den Analysen ausgeschlossen (siehe weiter unten). Es zeigte sich zum
ersten Nachuntersuchungszeitpunkt drei Monate nach Ende der Therapie, dass sowohl in der NET- als auch in der IPT-Bedingung kein signifikanter Rückgang der
Fallzahl von PTSD-Diagnosen sowie kein signifikanter Unterschied zwischen den
Behandlungsgruppen aufgetreten war. Zum Zeitpunkt der Sechs-Monats-Nachuntersuchung wiesen die Teilnehmer der NET-Bedingung jedoch signifikant weniger PTSD-Diagnosen auf und unterschieden sich darin auch signifikant von den
Teilnehmern der IPT-Bedingung: In der NET-Gruppe erfüllten noch 25 % die Diagnosekriterien, in der IPT-Gruppe hingegen 71,4 %. Betrachtet man Veränderun3 ursprünglich
zur Behandlung von depressiven Erkrankungen entwickelt
92
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
gen in der Symptomschwere, zeigt sich für die NET-Bedingung, dass sich die Gesamtschwere sowie einzeln betrachtet die Intrusions- und Vermeidungssymptome, die Häufigkeits- und die Intensitätswerte über die Zeit signifikant verringerten. In der IPT-Bedingung verringerte sich lediglich der Vermeidungswert signifikant über die Zeit, dieser Effekt blieb jedoch nicht stabil bis zur Sechs-MonatsNachuntersuchung.
Der Ausschluss der beiden o. g. Jugendlichen, die in der NET-Bedingung waren, führte dazu, dass einige der Symptomwerte (Intrusionen, Erregung und Intensität) in der NET-Gruppe noch stärker reduziert waren. Die beiden Jugendlichen
wiesen zur Drei-Monats-Nachuntersuchung jeweils noch eine PTSD-Diagnose auf,
zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung jedoch nicht mehr. Es zeigte sich, dass Jugendliche aus von Kindern geführten Haushalten im Gegensatz zu denjenigen in
Waisenhäusern langfristig keine signifikanten Veränderungen ihrer Symptomatik
aufwiesen. Dies war unabhängig von der Therapiebedingung der Fall.
Weitere Studien zur KIDNET in mit Flüchtlingskindern in Uganda sowie mit
Schulkindern auf Sri Lanka werden in Kürze veröffentlicht (Neuner et al., in preparation).
Cognitive Therapy (CT)
Ehlers, Clark, Hackmann, McManus und Fennell (2005) entwickelten auf der Basis
ihres kognitiven Modells der PTSD (siehe „1.4.1 Das Kognitive Modell der PTSD“)
die „Cognitive Therapy“ (CT) für PTSD. Drei Bestandteile charakterisieren diesen
Behandlungsansatz: Zum einen sollen die exzessiven negativen Bewertungen des
Traumas und dessen Folgen modifiziert werden. Des Weiteren soll eine Reduktion
der Intrusionssymptomatik mithilfe von Exposition erreicht werden. Die Exposition findet durch Aufschreiben der Trauma-Erinnerung, imaginiertes Wiedererleben
oder Aufsuchen des Ortes des traumatischen Erlebnisses statt. Die dritte Komponente zielt darauf ab, kognitive und verhaltensbezogene Vermeidungsstrategien
abzulegen. Der Anteil und die Zielsetzung der Exposition sind unterschiedlich zu
anderen Verfahren wie z. B. der „Prolonged Exposure“: Die Exposition dient in der
CT nicht zur Habituation bezüglich der traumatischen Erinnerungen, sondern zur
Erhebung der schlimmsten Trauma-Momente („hot spots“) und der Ausarbeitung
einer Trauma-Erzählung. Die „hot spots“ werden mittels kognitiver Umstrukturierung bearbeitet. Es findet in der CT deutlich weniger Exposition statt als in anderen
konfrontativen Behandlungsansätzen.
93
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
In einer randomisierten kontrollierten Therapiestudie, in der CT mit einer Wartelistengruppe verglichen wurde (Ehlers et al., 2005), zeigte sich eine hochsignifikante Verringerung der Gesamtsymptomatik in der CT-Gruppe im Vergleich zur
Warteliste, in der es keine signifikanten Veränderungen gab. Es wurden PTSD, daraus resultierende Funktionsbeeinträchtigungen, Depression und Angst erhoben.
Über 70 % der Patienten in der CT-Gruppe erfüllten zum 3-Monats-Nachuntersuchungszeitpunkt die Kriterien für eine PTSD nicht mehr. Es stellte sich heraus, dass
größerer Behandlungserfolg mit niedrigerem Bildungs- und sozioökonomischem
Status einherging. Zudem wiesen die Patienten, die ihre Bewertungen des Traumas stärker verändert hatten, geringere Symptomwerte nach der Therapie auf. Es
zeigte sich eine sehr geringe Abbrecherrate: Über eine Pilotstudie und die genannte Studie hinweg brachen lediglich 3 % der Probanden die Behandlung ab. Ehlers,
Clark, Hackmann, McManus, Fennell, Herbert und Mayou hatten bereits 2003 eine randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von CT durchgeführt, allerdings mit Probanden, bei denen das traumatische Erlebnis (Verkehrsunfall) erst
wenige Wochen zurücklag. Es gab nach einer Selbstbeobachtungsphase von drei
Wochen folgende Behandlungsbedingungen: CT, ein Selbsthilfebuch und wiederholte Sitzungen zur Feststellung der Befindlichkeit des Patienten. Die Patienten in
der CT-Gruppe wiesen im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen eine signifikant stärkere Symptomreduktion auf. Die Symptomatik der Patienten der Selbsthilfebedingung und der Bedingung mit wiederholten Sitzungen unterschied sich
nicht.
Weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen mit Exposition
Maercker, Zöllner, Menning, Rabe und Karl (2006) führten eine Studie mit einem
modifizierten, bereits als wirksam erwiesenen kognitiv-verhaltenstherapeutischen
Programm für PTSD von Blanchard, Hickling, Devineni, Veazey, Galovski, Mundy,
Malta und Buckley (2003) mit zusätzlichen Bausteinen imaginativen Wiedererlebens, posttraumatischer Weiterentwicklung etc. durch4 . Die Behandlungsgruppe
wurde mit einer Wartelistengruppe verglichen. Die Therapien wurden mit Überlebenden von Verkehrsunfällen durchgeführt, die jedoch zum Teil lediglich unter subsyndromaler PTSD litten. Das Behandlungsprogramm enthielt verschiedene Varianten von Exposition sowie Bausteine kognitiver Arbeit. Die Patienten der
Behandlungsgruppe erreichten eine signifikante Symptomreduktion in Bezug auf
PTSD und Depression im Vergleich zur Wartelistengruppe.
4 Eine randomisierte kontrollierte Studie von Blanchard et al. (2003) ist unter 1.5.3, „Therapieverfahren ohne bzw. mit fakultativem Expositionsanteil“ beschrieben.
94
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Kubany, Owens, McCaig, Hill, Iannce-Spencer und Tremayne (2004) führten
ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Programm für Frauen durch, die von ihren Partnern misshandelt worden waren („Cognitive Trauma Therapy for Battered
Women“, CTT-BW). Es enthält folgende Bausteine: Psychoedukation, Stressmanagement, Gespräche über das Trauma sowie Exposition zwischen den Sitzungen,
Erfassen und Korrigieren irrationaler Schuld-Gedanken sowie Reduktion negativer Selbstgespräche. Darüber hinaus werden verschiedene Strategien zur Selbstbehauptung, Kommunikation und Identifikation potenzieller Täter vermittelt. In
einer randomisierten kontrollierten Studie wurde den Teilnehmerinnen entweder
unmittelbar oder verzögert CTT-BW angeboten. Es brachen insgesamt 20 % die
Teilnahme an der Studie ab. Die Abbrecherinnen waren jünger, weniger gut ausgebildet, depressiver und hatten mehr Schamgefühle und geringeres Selbstwertgefühl als diejenigen, die die Therapie bis zum Ende durchführten. Die Patientinnen
erhielten durchschnittlich etwa neun Sitzungen. Es zeigte sich, dass die Probandinnen in beiden Gruppen hochsignifikante Verbesserungen hinsichtlich PTSD, Stress,
Depression, Schuldgefühlen und -gedanken, Scham sowie Selbstwertgefühl aufwiesen. Insgesamt erfüllten 87 % der Teilnehmerinnen nach der Therapie die Kriterien für eine PTSD nicht mehr.
Igreja, Kleijn, Schreuder, van Dijk und Verschuur (2004) führten in zwei Dörfern in Mosambik eine Studie zur Wirksamkeit der Testimony-Methode bei Kriegsüberlebenden durch. Es wurden alle von PTSD betroffenen Bewohner eingeschlossen und nach dem Zufallsprinzip in die Therapie- oder Kontrollgruppe eingeteilt.
Zudem wurde auch die Gruppe der Personen ohne PTSD-Diagnose untersucht. Es
zeigte sich zur Nachuntersuchung eine signifikante Symptomreduktion sowohl in
der Behandlungs- als auch in der Kontrollgruppe. Es ließ sich also nicht folgern,
dass die Verbesserung der Symptomatik auf die therapeutische Intervention zurückzuführen war. Die Autoren führen die Ergebnisse auf Kommunikation und
Interaktion innerhalb der Dorfgemeinschaft zurück, die möglicherweise durch die
Intervention ausgelöst worden war und die Kontrolle der Therapiestudie erschwerte. Ein anderer Einflussfaktor könnte die Tatsache gewesen sein, dass lediglich eine
einzige Therapiesitzung durchgeführt wurde.
Eine Variante der Systematischen Desensibilisierung, die so genannte TraumaDesensibilisierung, wurde in einer Studie von Brom et al. (1989) mit psychodynamischer Therapie, Hypnotherapie und einer Wartelisten-Kontrollgruppe bei PTSD
verglichen. In der Studie wurde PTSD-Diagnose nach DSM-III gestellt, allerdings
lediglich anhand von Selbstbeurteilungsfragebögen, die die Patienten ausfüllten.
Insgesamt brachen 11 % der Patienten über alle Therapiebedingungen hinweg die
95
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Behandlung ab. Sie unterschieden sich nicht von den Nicht-Abbrechern. Alle drei
Behandlungsbedingungen führten zu ähnlichen signifikanten Symptomverbesserungen im Vergleich zur Kontrollgruppe, in der keine Veränderungen stattfanden.
In der Trauma-Desensibilisierungs- und in der Hypnotherapie-Gruppe verringerten sich die Intrusionssymptome in größerem Ausmaß als in der psychodynamischen Therapie-Bedingung, letztere hatte jedoch einen stärkeren positiven Einfluss
auf die Vermeidungssymptome. In allen drei Therapiebedingungen wurden zur
Überraschung der Autoren auch Persönlichkeitsmaße positiv verändert: Die Probanden berichteten von höherer Stressresistenz, höherem Selbstwertgefühl und geringerer Ängstlichkeit. Bei etwa 60 % der behandelten Patienten konnte eine klinisch relevante Symptomverbesserung festgestellt werden (26 % in der Kontrollgruppe). Da es ansonsten lediglich unkontrollierte weitere Studien zur systematischen Desensibilisierung gibt, ist die Wirksamkeit des Verfahrens bislang nicht
ausreichend erwiesen (Foa et al., 2000).
1.5.3
Therapieverfahren ohne bzw. mit fakultativem Expositionsanteil
In diesem Abschnitt werden diejenigen Therapieverfahren bei PTSD aufgeführt,
die keine Expositionstechniken enthalten oder bei denen diese lediglich unter bestimmten Umständen zum Einsatz kommen.
Verfahren, die sowohl stützende Elemente als auch obligatorische Expositionsbausteine in derselben Behandlung enthalten, wurden unter „1.5.2 Therapieverfahren mit Exposition als festem Bestandteil“ aufgeführt. In den Richtlinien des National Institute for Clinical Excellence (NICE, National Collaboration Center for Mental Health, 2005) wird aufgrund mangelnder Evidenz der jeweiligen Wirksamkeit
davon abgeraten, einem an PTSD erkrankten Patienten eine nicht-konfrontative Behandlung wie unterstützende oder nondirektive Therapie, Hypnotherapie, psychodynamische oder systemische Therapie anzubieten.
Gotthardt (2007) erhob bei 14 Behandlern Informationen zu Therapietechniken, die in deutschen Psychotherapiepraxen zur Behandlung von PTSD eingesetzt
wurden. Es zeigte sich, dass die befragten Therapeuten hauptsächlich ressourcenorientierte stabilisierende Techniken verwendeten, den Patienten Problemlösestrategien beibrachten und Entspannungs-, kreative und kognitive Techniken einsetzten. Abgesehen davon, dass ein Teil der Therapeuten zu diesem Zeitpunkt an einer
Studie zu narrativer Expositionstherapie teilnahm und dieses Verfahren daher zu
diesem Zeitpunkt zu 60 % verwendeten (NET; siehe „1.5.4 Therapie der PTSD bei
Flüchtlingen und Asylbewerbern“), kamen traumafokussierte Verfahren lediglich
96
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
in 21 % (Therapeuten mit Standardbehandlung) bis 31 % (NET-Therapeuten) der
Zeit zum Einsatz.
Stress-Impfungs-Training (SIT)
Das „Stress-Impfungs-Training“ (SIT) wurde in den 70er Jahren von Meichenbaum
entwickelt und ist ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches halbstrukturiertes Therapieprogramm zur Verbesserung der Stressverarbeitung des Klienten (Foa et al.,
1999). Ursprünglich wurde es für Angstpatienten entwickelt und bei einer Reihe
verschiedener psychischer Störungen angewandt. Veronen und Kilpatrick (1983)
passten das SIT für Vergewaltigungsopfer an und führten zwei unkontrollierte Studien durch, jedoch wurde noch keine PTSD-Diagnostik vorgenommen. Foa et al.
(1991) entwickelten das Therapieprogramm von Veronen und Kilpatrick weiter
und führten zwei randomisierte kontrollierte Studien durch (siehe weiter unten).
Das Stress-Impfungs-Training enthält eine Reihe von Angstbewältigungsstrategien auf verschiedenen Ebenen menschlichen Erlebens (körperlich, kognitiv und
verhaltensbezogen). Die Patienten sollen lernen, ihre Angstreaktion frühzeitig durch
den Einsatz der gelernten Strategien zu unterbrechen. Das SIT umfasst Entspannungs- und Atemübungen, Gedankenstopp, kognitive Umstrukturierung, geleiteten Selbst-Dialog, verdecktes Modeling sowie Rollenspiele. Der Patient soll die jeweiligen Techniken zwischen den Sitzungen zuhause üben (Foa et al., 1999).
In einer Studie von Foa et al. (1991) mit Vergewaltigungsopfern (wurde bereits weiter oben beschrieben, siehe „1.5.2 Prolonged Exposure (PE)“) zeigte sich
das SIT unmittelbar nach der Behandlung signifikant erfolgreicher in der Symptomreduktion hinsichtlich aller Symptomgruppen der PTSD als die Wartelistenund Beratungsbedingung. Zwischen der Symptomreduktion von SIT und der einer
vierten Bedingung – Prolonged Exposure – bestand kein signifikanter Unterschied.
Die Hälfte der Patientinnen wies nach der Therapie keine PTSD-Diagnose mehr
auf, zum Nachuntersuchungszeitpunkt waren es 55 %. Die Therapieabbruch-Rate
lag bei SIT mit 17,6 % niedriger als in der PE-Gruppe (28,6 %) und der BeratungsGruppe (21,4 %).
In einer weiteren Untersuchung von Foa et al. (1999) wurden wiederum PE
und SIT miteinander verglichen, eine dritte Behandlungsbedingung stellte zusätzlich die Kombination aus beiden Verfahren dar. Zudem gab es eine WartelistenKontrollgruppe. Es zeigte sich eine signifikante und über die Zeit stabile Symptomreduktion in allen drei Behandlungsgruppen hinsichtlich PTSD, Depression und
weiteren Angstsymptomen (letzteres nur in der Gruppe der Personen, die die The-
97
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
rapie zu Ende führten). Es brachen in der SIT-Gruppe 27 % der Probandinnen die
Behandlung ab (PE: 8 %, PE-SIT: 27 %).
In den beiden beschriebenen Studien von Foa et al. (1991) sowie Foa et al.
(1999) wurde das SIT strikt ohne Expositionsanteile durchgeführt, um es klar von
der Vergleichsgruppe mit Prolonged Exposure trennen zu können. Jedoch enthält
die ursprüngliche Version von Veronen und Kilpatrick (1983) einen geringen Anteil an Exposition: Die Patientinnen sollten sich als Hausaufgabe u. a. schrittweise
in Form von praktischen Übungen mit ihren traumabezogenen Ängsten konfrontieren.
Robertson et al. (2004) merken an, dass die Ergebnisse zwar für die Wirksamkeit von SIT sprechen, jedoch nicht verallgemeinerbar sind, da bisher lediglich
weibliche Vergewaltigungsopfer untersucht wurden. Er schlägt vor, SIT auch an
anderen Stichproben auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen.
Weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen ohne Exposition
Marks, Lovell, Noshirvani, Livanou und Thrasher (1998) führten eine randomisierte kontrollierte Studie zum Vergleich von reiner kognitiver Umstrukturierung mit
reiner Exposition bzw. einer Kombination beider Verfahren durch. Eine vierte Bedingung bildete eine Entspannungsintervention. Es nahmen 87 Patienten mit verschiedenen Traumata und chronischer PTSD an der Studie teil, zehn davon brachen die Behandlung vorzeitig ab (keine signifikanten Unterschiede in den Abbrecherraten zwischen den Therapiebedingungen. Abbrecher hatten bereits mehr
psychologische Behandlungen gehabt und hatten etwas höhere Werte in der „Clinician Administered PTSD Scale“ (CAPS) als Nicht-Abbrecher). In allen drei Gruppen außer der Entspannungsbedingung nahm die Symptomatik hochsignifikant
ab, auch die Patienten in der Entspannungsgruppe erreichten in den meisten erhobenen Symptomwerten signifikante Verbesserungen. Zum ersten Nachuntersuchungszeitpunkt erfüllten noch 35 % in der Gruppe mit reiner kognitiver Umstrukturierung die Kriterien für eine PTSD nach CAPS, in der reinen Expositionsgruppe
waren es 25 %, in der gemischten 37 % und in der Entspannungsgruppe 45 % (gefragt wurde hier nach der vergangenen Woche; keine signifikanten Gruppenunterschiede). Unklar ist jedoch die Angabe der Autoren, dass zum Prä-Test 93 % (anstatt
der erwarteten 100 %) der Probanden die diagnostischen Kriterien einer PTSD erfüllten – möglicherweise ergibt sich die Diskrepanz daraus, dass für die Diagnosestellung das Structured Clinical Interview for DSM-III-R, für die Einschätzung wie
oben jedoch der Fragebogen CAPS herangezogen wurden. Die Ergebnisse blieben
98
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
bis zur letzten Nachuntersuchung nach sechs Monaten erhalten. Die Kombination
von kognitiver Umstrukturierung und Exposition brachte keine besseren Ergebnisse mit sich als die jeweiligen Verfahren alleine.
Tarrier, Pilgrim, Sommerfield, Faragher, Reynolds, Graham und Barrowclough
(1999a) verglichen in einer randomisierten kontrollierten Studie Cognitive Therapy ohne Exposition mit Imaginal Exposure. Die 72 Patienten hatten verschiedene
Arten von Traumata erlebt. Es zeigte sich, dass beide Therapieformen zu signifikanten Symptomverbesserungen bis hin zur Nachuntersuchung sechs Monate
nach der Therapie führten und die jeweiligen Therapieerfolge sich nicht voneinander unterschieden. In jeder Bedingung wies ungefähr die Hälfte der Probanden
zu beiden Nachuntersuchungszeitpunkten keine PTSD-Diagnose mehr auf. In der
IE-Gruppe zeigten signifikant mehr Patienten eine Symptomverschlechterung zwischen den Erhebungen vor und nach der Therapie, die sich jedoch bei der späteren
Nachuntersuchung nicht mehr zeigte. Die vorübergehende Symptomverschlechterung führte also nicht zu einem geringeren Therapieerfolg. Diejenigen Patienten
mit Symptomverschlechterung neigten eher dazu, Sitzungen ausfallen zu lassen,
glaubten weniger an die Wirksamkeit des Verfahrens und wurden vom Behandler
als weniger motiviert eingeschätzt. Es brachen insgesamt 13 % der Patienten die
Therapie vorzeitig ab (sechs Personen in der IE-Gruppe, vier in der CT-Gruppe).
Zu einer weiteren Nachuntersuchung zwölf Monate nach der Behandlung konnten 87 % der Patienten erneut untersucht werden. Die Behandlungseffekte beider
Therapiegruppen waren stabil geblieben. Es erfüllten noch 39 % der Teilnehmer
die Kriterien für eine PTSD (Tarrier, Sommerfield, Pilgrim & Humphreys, 1999b).
Unterstützende Beratung oder Therapie
Unterstützende Beratung oder Therapie wurde oft als Kontrollbedingung in Therapiestudien angeboten und zeigte sich meist lediglich überlegen gegenüber keiner
Behandlung: Blanchard et al. (2003) führten eine randomisierte kontrollierte Studie
zum Vergleich von kognitiver Verhaltenstherapie mit expliziten Expositionsanteilen, unterstützender Therapie und einer Wartelistenbedingung durch (siehe auch
„1.5.2 Weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen mit Exposition“).
Die Patienten hatten nach einem Verkehrsunfall eine chronische PTSD entwickelt.
In der unterstützenden Therapie wurde neben Psychoedukation zunächst die Lebensgeschichte des Patienten mit besonderem Fokus darauf erhoben, wie der Betroffene mit früheren Traumata und Verlusten umgegangen war. Dies wurde in
einer unterstützenden und fürsorglichen Art und Weise erfragt. Die weiteren Sit-
99
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
zungen waren für beliebige Themen reserviert, die der Patient gerne besprechen
wollte. Er wurde vor allem nach seinen Gedanken und Gefühlen gefragt, und es
wurde wenig aktiv eingegriffen. Themen, die mit Autofahren oder mit Therapiebausteinen zu tun hatten, wie sie in der Bedingung mit kognitiver Verhaltenstherapie vorkamen, wurden nicht aktiv unterstützt. Stattdessen sollte der Patient selbst
entscheiden, ob er sich dem widmen wollte.
Es zeigte sich, dass in der Gruppe mit kognitiver Verhaltenstherapie eine signifikant größere Symptomreduktion stattfand als in den beiden anderen Gruppen. Jedoch reduzierten sich die Symptomwerte in der Gruppe mit unterstützender Therapie wiederum signifikant stärker als in der Wartelistenbedingung. Letzteres zeigte sich nicht mehr, wenn man die Therapieabbrecher mit einbezog. In der
Bedingung mit unterstützender Therapie erzielten 47,6 % eine Symptomverbesserung (d. h. von PTSD zu Sub-PTSD oder von Sub-PTSD zu keiner Diagnose mehr).
In der Gruppe mit kognitiver Verhaltenstherapie hatte sich bei 76,2 % der Patienten
die Symptomatik verbessert, in der Wartelistengruppe bei 23,8 %. Auch auf komorbide Störungen (Depression, generalisierte Angststörung) hatte die kognitive Verhaltenstherapie signifikant positiveren Einfluss als die anderen Bedingungen. Es
brachen 20 % der Patienten die Behandlung ab (zehn aus der Gruppe mit kognitiver
Verhaltenstherapie, neun aus der Gruppe mit unterstützender Therapie und einer
aus der Wartelisten-Bedingung), meist nach der ersten Sitzung. Nach einem Jahr
wurden 90 % der Teilnehmer erneut untersucht, und die Ergebnisse entsprachen
denjenigen zum Zeitpunkt der 3-Monats-Nachuntersuchung (Blanchard, Hickling,
Malta, Freidenberg, Canna, Kuhn, Sykes & Galovski, 2004). Zwei Jahre nach Ende der Therapie wurden noch 75 % der ursprünglichen Stichprobe nachuntersucht.
Die Unterschiede in der Gesamtsymptomatik zwischen den beiden Behandlungsgruppen waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr signifikant, hinsichtlich der PTSDSymptome bestand lediglich ein Trend hin zu geringeren Symptomwerten für die
Gruppe mit kognitiver Verhaltenstherapie.
Foa et al. (1991) führten eine Studie mit 45 Vergewaltigungsopfern durch, die in
der Folge an einer PTSD erkrankt waren (ausführlicher bereits unter „1.5.2 Prolonged Exposure (PE)“ beschrieben). Die Patientinnen wurden einer von vier Bedingungen zugeteilt (Warteliste, Prolonged Exposure, Stress-Impfungs-Training oder
unterstützende Beratung). In der Beratungs- und auch der Wartelistenbedingung
wurde lediglich die Übererregungssymptomatik reduziert. Ein positiver Einfluss
auf die Depressions- und Angstsymptomatik zeigte sich in allen Gruppen, also
auch in der Beratungs-Bedingung. In dieser Gruppe brachen 21,4 % der Teilnehmerinnen die Therapie vorzeitig ab.
100
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Wie bereits unter „1.5.2 Narrative Expositionstherapie (NET)“ beschrieben,
verglichen Neuner et al. (2004b) in einer Stichprobe von 43 sudanesischen Flüchtlingen in einem Flüchtlingscamp in Uganda zwei verschiedene Therapiebedingungen in einer randomisierten kontrollierten Studie miteinander: NET und unterstützende Beratung (zusätzlich zu einer Psychoedukations-Gruppe). Es zeigte sich,
dass ein Jahr nach der Therapie noch 79 % der Patienten aus der Beratungs-Gruppe an einer PTSD litten (versus 29 % in der NET-Gruppe). Zwei Patienten in der
Beratungs-Gruppe brachen die Therapie vorzeitig ab.
In einer Studie von Bryant, Moulds, Guthrie, Dang und Nixon (2003) stellte
sich heraus, dass unterstützende Beratung im Gegensatz zu reiner imaginativer
Exposition (IE) und IE kombiniert mit kognitiver Umstrukturierung zu keinen Veränderungen der PTSD-Symptomatik führte.
Psychodynamische Therapieverfahren
Es existieren hauptsächlich Einzelfallstudien zu psychodynamischen Ansätzen bei
PTSD (Robertson et al., 2004). Obwohl die Wirksamkeit dieser Verfahren für das
Störungsbild bislang nicht hinreichend belegt ist und sogar in manchen Richtlinien
von deren Einsatz abgeraten wird (siehe weiter oben, NICE-Guidelines, National
Collaboration Center for Mental Health, 2005), wurden und werden diese Behandlungsansätze häufig eingesetzt (z. B. Kinzie & Fleck, 1987; Birck, 2001; Gotthardt,
2007). Robertson et al. (2004) weisen darauf hin, dass diese Interventionen möglicherweise methodisch schwieriger zu erfassen sind als manualisierte Verfahren,
d. h. es ist nicht auszuschließen, dass auch psychodynamische Ansätze effektiv sein
könnten.
Brom et al. (1989) führten wie unter „1.5.2 Weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen mit Exposition“ beschrieben einen Vergleich von psychodynamischer Therapie, Hypnotherapie, Trauma-Desensibilisierung und einer
Wartelisten-Kontrollgruppe bei PTSD durch. Alle drei Behandlungsbedingungen
führten zu ähnlichen Symptomverbesserungen im Vergleich zur Kontrollgruppe,
in der keine signifikanten Veränderungen stattfanden.
In Deutschland entwickelten Reddemann und Sachsse (1999) die „Traumazentrierte imaginative Therapie“, später „Psychodynamische imaginative Traumatherapie“ (PITT) (Reddemann, 2003). Die psychodynamische imaginative Traumatherapie ist ein integrativer ressourcenorientierter Behandlungsansatz, in dem die Patienten Fähigkeiten zu Stress-, Selbstmanagement und Selbstberuhigung erlernen
oder ausbauen und somit die Kontrolle über ihre Befindlichkeit zurückgewinnen
101
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
sollen. Die PITT wird hier zu den stabilisierenden Maßnahmen gezählt, obwohl sie
unter Umständen auch Expositionsanteile enthält. Jedoch findet Exposition nicht
regelhaft statt, sondern ausschließlich dann, wenn die Patienten zuvor ausreichend
stabilisiert werden konnten. Für viele Patienten beschränkt sich die Traumaarbeit
also auf die Stabilisierungsphase, in der mithilfe von Imaginationsübungen positive Orte oder Figuren („innerer sicherer Ort“, „innere hilfreiche Wesen“ etc.) als
Gegengewicht zu den erlebten negativen Erfahrungen etabliert werden sollen.
Auf diese Phase folgt (ggf.) die Phase der traumazentrierten Arbeit. Diese ist
in folgende Unterphasen gegliedert: „Geplantes und gezieltes Aufsuchen der Traumen“, „gesteuertes Begegnen mittels bewusst herbeigeführter Dissoziation / Assoziation“, „Abreaktion“, „innerer Trost“. Exposition findet in der PITT lediglich
mithilfe von Distanzierungstechniken statt (z. B. „Bildschirmtechnik“, „innerer Beobachter“, auch EMDR). So sollen die Fähigkeit zur Dissoziation als therapeutische
Technik eingesetzt und die emotionale Belastung gering gehalten werden. Ziel der
Exposition ist (in diesem Punkt entsprechend anderer therapeutischer Schulen) die
Integration von Gedanken, Gefühlen und Körpererfahrungen. Auch werden die
Unterschiede zwischen der damaligen traumatischen Situation und der Gegenwart
betont. Jedoch sollte Traumaarbeit „so wenig traumatisierend wie möglich sein“,
und Reddemann empfiehlt allen in dem Bereich Tätigen, ihre Interventionstechniken daraufhin zu überprüfen. Exposition wird als kontraindiziert betrachtet, wenn
bei einem Patienten die Stabilisierungstechniken der 1. Phase nicht ausreichend
etabliert sind, wenn seine äußeren Lebensumstände instabil sind und v. a. wenn
noch Kontakt zu einem Täter besteht. Laut Reddemann ist „das Erleiden unerträglicher Affekte über lange Zeit [ist] weder dienlich noch notwendig“, (Reddemann
& Sachsse, 1999, „Traumazentrierte imaginative Therapie“, Sexueller Mißbrauch,
Mißhandlung, Vernachlässigung. P. Joraschky. Stuttgart, New York, Schattauer, Seite 388). Es werden jedoch keine Wirksamkeitsstudien angeführt, die diese Aussage stützen, bzw. Studien, die die „Dienlichkeit“ von (längerer) Exposition in sensu bereits gezeigt haben (siehe „1.5.2 Therapieverfahren mit Exposition als festem
Bestandteil“), werden nicht erwähnt. Es zeigt sich in der Schilderung von Fallgeschichten, dass die Exposition auch ggf. vorzeitig abgebrochen wurde, falls sich
währenddessen herausstellte, dass der Patient nach Einschätzung der Therapeutin
noch nicht stabil genug dafür war (d. h. dass er in der Sitzung dissoziierte). Nach
verhaltenstherapeutischer Theorie wird die Angst somit aufrecht erhalten, da die
korrigierende Erfahrung der Angstreduktion nach einer gewissen Zeit nicht gemacht werden konnte (z. B. Schneider & Margraf, 1998). Die letzte Phase der PITT
102
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
ist die des Trauerns und der Neuorientierung. Das Programm wird von Reddemann und Kollegen im stationären bzw. teilstationären Setting angewandt.
Das PITT wurde in einer naturalistischen Behandlungsstudie von Sachsse, Vogel und Leichsenring (2006) mit einer Standard-Behandlung verglichen und für
signifikant hilfreicher befunden, auch blieben die Verbesserungen über die Zeit
hinweg stabil. Allerdings wurden Patienten mit komplexer PTSD und BorderlinePersönlichkeitsstörung untersucht, also einer speziellen Population, die sich von
denjenigen in den anderen angeführten Studien unterscheidet. Aus diesen Gründen und aufgrund einiger methodischer Einschränkungen (keine randomisierte
kontrollierte Studie; soweit nachvollziehbar, basierte ein Großteil der Diagnoseerhebungen bis zur Ein-Jahres-Nachuntersuchung nur auf Selbstbeurteilungsfragebögen der Patienten) sind die Ergebnisse nicht mit denen anderer angeführter
Studien vergleichbar und werden hier nicht näher beschrieben.
Hypnose und Entspannungsverfahren
Es existieren nur wenige kontrollierte Studien bzw. eher Einzelfallstudien zu Hypnose (z. B. Pantesco, 2005) und Entspannungsverfahren bei PTSD (Foa et al., 2000),
weitere Studien sind notwendig (Robertson et al., 2004).
Brom et al. (1989) verglichen – wie unter „1.5.2 Weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen mit Exposition“ bereits beschrieben – psychodynamische Therapie, Hypnotherapie, Trauma-Desensibilisierung und eine WartelistenKontrollgruppe bei PTSD miteinander. Alle drei Behandlungsbedingungen führten zu ähnlichen Symptomverbesserungen im Vergleich zur Kontrollgruppe, in
der keine signifikanten Veränderungen stattfanden. Die Hypnotherapie hatte besonders großen positiven Einfluss auf die Intrusionssymptome. Bei etwa 60 % der
behandelten Patienten in allen aktiven Behandlungsbedingungen konnte eine klinisch relevante Symptomverbesserung festgestellt werden (26 % in der Kontrollgruppe). Es ist zu beachten, dass die Symptomatik lediglich von den Patienten
selbst eingeschätzt wurde.
Marks et al. (1998) – siehe weiter oben, „Kognitiv-verhaltenstherapeutische
Interventionen ohne Exposition“ – fanden in einer randomisierten kontrollierten
Studie zum Vergleich von reiner kognitiver Umstrukturierung mit reiner Exposition bzw. einer Kombination von beiden Verfahren mit einer Kontrollbedingung
in Form einer Entspannungsintervention, dass letztere in den meisten erhobenen
Symptomwerten zu signifikanten Verbesserungen führte. Jedoch brachten die anderen Behandlungsbedingungen deutlich größere Verbesserungen mit sich. Zum
103
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
ersten Nachuntersuchungszeitpunkt erfüllten noch 45 % in der Entspannungsgruppe die Kriterien für eine PTSD, die Ergebnisse blieben bis zur letzten Nachuntersuchung nach sechs Monaten erhalten.
Carlson, Chemtob, Rusnak, Hedlund und Muraoka (1998) verglichen EMDR
und biofeedback-unterstützte Entspannung miteinander, zusätzlich gab es eine Kontrollgruppe, die Standardbehandlung erhielt. Die Probanden waren Kriegsveteranen, die an einer PTSD litten. Zusätzlich wurden Informationen zu Depression,
Angst und Persönlichkeitseigenschaften sowie psychophysiologische Daten erhoben. Generell führte lediglich die EMDR-Bedingung zu deutlichen Verbesserungen
in allen erhobenen Symptombereichen. Nach der „Clinician Administered PTSD
Scale“ (CAPS) hatten sieben der neun Probanden in der Entspannungs-Gruppe
zum ersten Nachuntersuchungszeitpunkt immer noch eine PTSD, die zwei übrigen
verfehlten die Diagnose nur knapp (EMDR-Gruppe: Sieben von neun Probanden
erfüllten die Kriterien nicht mehr).
1.5.4
Therapie der PTSD bei Asylbewerbern und Flüchtlingen
Im Folgenden werden Befunde zur Behandlung von PTSD bei Asylbewerbern und
Flüchtlingen in westlichen Staaten aufgeführt. Es existieren nur wenige randomisierte kontrollierte Studien zu dieser Thematik (Hinton, Chhean, Pich, Safren, Hofmann & Pollack, 2005). Da es insgesamt kaum Studien zur PTSD-Behandlung bei
Flüchtlingen gibt, werden hier auch Studien zu gruppentherapeutischen Angeboten mit angeführt.
Bezüglich der Behandlungsempfehlungen in den NICE-Guidelines (National
Collaboration Center for Mental Health, 2005) merken Hopkins, Seltzer und Avigaad (2005) an, dass diese für die Arbeit mit Flüchtlingen nur begrenzt anwendbar
seien. Sie plädieren für eine Behandlung, die den Gesamtkontext in höherem Maße
berücksichtigt und nicht lediglich auf die Psychopathologie des Betroffenen fokussiert.
Studien aus den USA
Otto, Hinton, Korbly, Chea, Ba, Gershuny und Pollack (2003) verglichen kognitive
Verhaltenstherapie und gleichzeitige Behandlung mit einem selektiven SerotoninWiederaufnahme-Hemmer (SSRI) mit reiner SSRI-Gabe in einer Stichprobe kambodschanischer Flüchtlinge. Es nahmen fünf Patientinnen (keine männlichen Probanden) pro Bedingung an dieser Pilotstudie teil. Sie litten unter PTSD und hatten
von einer vorausgegangenen psychopharmakologischen Behandlung nicht profi104
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
tiert (Benzodiazepin und ein anderer SSRI als in der Studie verwendet). Im Verlauf der Studie wurde die Benzodiazepin-Gabe konstant gehalten, und die Teilnehmerinnen erhielten nun einen anderen SSRI (Sertralin). Die kognitive Verhaltenstherapie fand im Rahmen von zehn Gruppensitzungen statt, und es wurden
sowohl Psychoedukation und Exposition (bezüglich Trauma und Körpersensationen) durchgeführt als auch Angstmanagement-Strategien vermittelt. Die Kombination von Pharmako- und Psychotherapie zeigte deutlich größere positive Effekte als
die rein medikamentöse Behandlung, während derer sich die PTSD-Symptomatik
nicht verbesserte. Über Therapieabbrüche wird nichts berichtet.
In einer weiteren Pilotstudie behandelten Hinton, Pham, Tran, Safren, Otto
und Pollack (2004) kambodschanische und vietnamesische Flüchtlinge (je zur Hälfte Männer und Frauen) mit einer kulturell angepassten Form von kognitiver Verhaltenstherapie. Die Patienten galten als therapieresistent, da sie trotz mindestens
eines Jahres laufender Pharmakotherapie und unterstützender Psychotherapie immer noch an einer PTSD litten. Es wurden zwei Gruppen mit je sechs Teilnehmern
gebildet. Die erste erhielt unmittelbar eine Behandlung, die zweite erst nach einer Wartezeit. Die meisten litten zusätzlich zur PTSD an Panikattacken. Die Behandlung fand in Einzelsitzungen statt und enthielt Bausteine zu Angstmanagement, Exposition hinsichtlich Körperempfindungen, kognitiver und körperorientierter Arbeit. In der Behandlungsgruppe zeigte sich eine signifikante Symptomreduktion im Vergleich zur Wartelistengruppe. Alle Therapien wurden von demselben Behandler durchgeführt, was die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Es wird nichts über Therapieabbrüche berichtet.
Hinton et al. (2005) führten zudem eine randomisierte kontrollierte Studie mit
40 kambodschanischen Flüchtlingen durch. Die als therapieresistent (wie oben)
eingeschätzten Patienten litten unter PTSD, generalisierter Angststörung und Panikattacken und wurden in Einzelsitzungen mit einer kulturell angepassten Form
von kognitiver Verhaltenstherapie mit Elementen zur Panik-Kontrolle behandelt.
Eine zeitlich verzögerte Therapiegruppe stellte die Kontrollbedingung dar. Vier der
ausgewählten Patienten begannen die Therapie gar nicht erst, niemand brach eine
laufende Therapie vorzeitig ab. Parallel wurden die medikamentösen Behandlungen (SSRI und Benzodiazepin) und die unterstützenden Psychotherapien fortgesetzt. Die Therapiebausteine entsprechen denjenigen der oben aufgeführten Studie von Hinton et al. (2004), ergänzt um Exposition bezüglich Erinnerungen an
traumatische Erlebnisse und einem Baustein zum Training von kognitiver Flexibilität (metakognitive Fähigkeit zur Verringerung psychischer Störungen). Wiederum wurden alle Therapien vom selben Behandler durchgeführt. In der Gruppe, die
105
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
unmittelbar mit der Behandlung begonnen hatte, zeigte sich eine signifikante Symptomreduktion in allen erhobenen Bereichen im Vergleich zur verzögerten Therapiegruppe vor deren Behandlung. Es erfüllten 60 % die Kriterien für eine PTSD
nicht mehr, in der verzögerten Bedingung hatten alle noch eine PTSD. Die großen
Effekte (Cohens d zwischen 2.17 und 3.78) der Behandlung sind umso bemerkenswerter, als die Patienten zuvor als therapieresistent eingestuft wurden. Nachdem
die verzögerte Gruppe ebenfalls eine Therapie erhalten hatte, zeigten sich keine
Unterschiede zur unmittelbaren Behandlungsgruppe.
Snodgrass, Yamamoto, Frederick, Ton-That, Foy, Chan, Wu, Hahn, Shinh, Nguyen, de Jonge und Fairbanks (1993) beschreiben eine Pilotstudie mit vietnamesischen
Flüchtlingen, die als Kinder aus Vietnam geflohen waren und nun an einer Universität studierten. Es wurde im Rahmen eines Kurses eine kulturell angepasste Version des Stress-Impfungs-Trainings (SIT) durchgeführt. Der Kurs wurde etwa 50 vietnamesischen Studenten angeboten, es entschieden sich jedoch nur elf für eine Teilnahme. Eine Kontrollgruppe wurde dadurch gebildet, dass jeder der Kursteilnehmer einen Freund oder Bekannten bat, ebenfalls die Fragebögen auszufüllen, die
die Teilnehmer auch ausfüllten. Die Kontrollgruppe umfasste schließlich sechs Personen, die SIT-Gruppe am Ende nur noch acht Personen. Die PTSD-Symptomatik
und die Einschätzung der Kursteilnehmer hinsichtlich ihrer Fähigkeit, mit anderen
Menschen Beziehungen einzugehen, verbesserten sich signifikant, während sich
bei den Kontrollpersonen keine Veränderungen zeigten. Die Pilotstudie weist einige methodische Mängel auf: Die Rekrutierung der Kontrollgruppe lässt im Unklaren, ob die beiden Gruppen tatsächlich vergleichbar sind, es wurden lediglich
Selbstauskunfts-Fragebögen verwendet, und die Stichprobe war klein und nicht
repräsentativ. Zudem merken die Autoren an, dass möglicherweise eine kulturspezifische Form sozialer Erwünschtheit (Unterwürfigkeit gegenüber Autoritätspersonen) die Ergebnisse verzerrt haben könnte.
Weine, Kulenovic, Pavkovic und Gibbons (1998) führten eine unkontrollierte
Pilotstudie zur Testimony-Psychotherapie mit 20 bosnischen Flüchtlingen durch.
In der Testimony-Psychotherapie erzählt der Überlebende seine Lebensgeschichte mit Fokus auf die traumatischen Erlebnisse. Die Geschichte wird dokumentiert
und eventuell anderen zur Verfügung gestellt (vergleiche „1.5.2 Narrative Expositionstherapie (NET)“, jedoch hat die Testimony-Methode keinen verhaltenstherapeutischen Hintergrund). Die Probanden hatten organisierte Gewalt („ethnische
Säuberung“) erlebt und litten an einer PTSD, darüber hinaus wurden Befunde zu
Depression, traumatischen Ereignissen, Funktionsniveau und früheren psychiatrischen Erkrankungen erhoben. Die Behandlung führte zu signifikanten Verbesse106
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
rungen in allen Symptombereichen. Drei Personen lehnten ein Behandlungsangebot ab, während der laufenden Therapien kam es zu keinem Abbruch.
Europäische Studien
Drozdek (1997) führte in den Niederlanden eine Therapiestudie mit 120 männlichen Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina durch, die in Konzentrationslagern
gewesen waren. Die Behandlung begann drei Monate nachdem die Flüchtlinge
die Lager verlassen hatten. Auch Probanden, die die Kriterien einer PTSD nicht
erfüllten, wurden in die Studie mit aufgenommen. Es wurde entweder GruppenPsychotherapie, eine Kombination aus Gruppentherapie und medikamentöser Behandlung (mit Anxiolytika und trizyklischen Antidepressiva) oder alleinige medikamentöse Behandlung durchgeführt. Die Psychotherapie fand in Phasen statt:
Zunächst wurde auf Stabilisierung und Identifikation von Intrusionsauslösern fokussiert. In der zweiten Phase wurden die individuellen Traumaerlebnisse berichtet mit dem Ziel der Integration traumatischer Erinnerung und Gefühle. In der
letzten Phase wurden die Grundüberzeugungen der Teilnehmer thematisiert sowie Aspekte von Migration und dem Leben im Exil besprochen. Der Ansatz war
realitätsorientiert und psychodynamisch, eine genauere rückblickende Beschreibung der Behandlung und der Gruppenprozesse geben Drozdek, Zan und Turkovic (1998) in einem gesonderten Artikel. Von der Gruppe derjeniger mit PTSD
verweigerten 25 % die Teilnahme an einer Behandlung. Die Zuteilung zu den Therapiebedingungen fand nicht nach dem Zufallsprinzip statt. Nach der Behandlung
wurden nicht alle Teilnehmer, sondern lediglich zufällig ausgewählte 50 Probanden über alle Gruppen hinweg nachuntersucht. Es zeigte sich, dass über alle Behandlungsformen hinweg 73 % der Patienten mit anfänglicher PTSD die Kriterien
erfüllten, während der Rückgang der PTSD-Rate in der Gruppe der Behandlungsverweigerer nur 10 % betrug. Drei Jahre später wurden dieselben Personen erneut
untersucht. Zu diesem Zeitpunkt wiesen 83 % der anfänglich mit PTSD diagnostizierten Patienten wiederum eine PTSD auf. In der Gruppe der Therapieverweigerer hatten jedoch lediglich noch 60 % eine PTSD. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen. Es ist nicht angegeben, ob
die Behandlungs- und Verweigerungsgruppen sich signifikant voneinander unterschieden. Es zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Bestehen
einer PTSD und des selbst eingeschätzten psychischen Wohlbefindens der Probanden.
107
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Paunovic und Öst (2001) führten eine randomisierte kontrollierte Studie mit
20 Flüchtlingen in Schweden durch, in der sie kognitive Verhaltenstherapie (Cognitive Behavioural Therapy, CBT) und Expositionstherapie miteinander verglichen. Das CBT-Protokoll beinhaltete sowohl Exposition als auch kognitive Therapie und Atemtraining. In der Expositionsbedingung wurden die Patienten in gestufter Vorgehensweise mit traumatischen Erinnerungen konfrontiert, zudem fand
später auch in vivo Exposition mit vermiedenen Situationen statt. Die Behandlung
fand in Form von Einzelsitzungen statt. Es wurden nur Flüchtlinge in die Studie
aufgenommen, die eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für Schweden hatten
und ausreichend Schwedisch sprachen, so dass ohne Übersetzer gearbeitet werden
konnte. Zudem wurden besonders belastete Flüchtlinge nach der Erstdiagnostik
ausgeschlossen. Medikamentöse Behandlung sollte über die Zeitdauer der Studie
hinweg konstant gehalten werden, jedoch reduzierten die Probanden ihre Medikation um insgesamt 50 %, zur Halbjahres-Nachuntersuchung waren es 58 %. Beide
Behandlungsformen zeigten sich sehr effektiv in der Reduktion aller erhobenen
Symptome: PTSD (Symptomreduktion durch CBT: 53 %, durch Exposition: 48 %)
Depression (CBT: 57 %, Exposition: 54 %) und generalisierte Angst (CBT: 50 %, Exposition: 49 %). Auch die Lebensqualität und die kognitiven Schemata der Patienten veränderten sich signifikant zum Positiven hin. Zwischen den beiden Behandlungsbedingungen zeigten sich keine Unterschiede in den Ergebnissen. Es werden
keine Angaben zu den Herkunftsländern der Probanden gemacht. Vier Patienten
wurden im Verlauf aus der Studie ausgeschlossen (einer in der Expositions-, drei
in der CBT-Gruppe): Drei von ihnen hatten mehrere aufeinander folgende Sitzungen nicht wahrgenommen, einer (aus CBT) hatte sich gegenüber dem Therapeuten
aggressiv verhalten. Diese Probanden hatten ein höheres Bildungsniveau und positivere kognitivere Schemata als die anderen Probanden, ansonsten bestanden keine
signifikanten Unterschiede zwischen ihnen und den Übrigen.
Basoglu, Ekblad, Bäärnhielm und Livanou (2004) führten eine Einzelfallstudie mit einem kurdischen Asylbewerber in Schweden durch. Der Patient erhielt
14 Sitzungen kognitiver Verhaltenstherapie mit Exposition in vivo bezüglich vermiedener Alltagssituationen, kognitive Interventionen bezogen sich lediglich auf
Psychoedukation und Finden eines individuellen Störungsmodells. Die PTSD-, Depressions- und Angstsymptomatik des Patienten verringerte sich signifikant. Die
Autoren vermuten anhand der Ergebnisse, dass kognitive Verhaltenstherapie trotz
der zusätzlichen Stressoren für Asylbewerber hilfreich sein kann. Lehmann (2007)
fand hingegen in einer Untersuchung der psychischen Befindlichkeit von Asylbewerbern in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsstatus, dass diejenigen Probanden,
108
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
die irgendeine Form von ambulanter Psychotherapie erhalten hatten, keine signifikanten Verbesserungen ihrer PTSD-Symptomatik aufwiesen. Paradoxerweise hatte
sich im Beobachtungszeitraum die Symptomatik derjenigen Patienten signifikant
verbessert, die nicht in Behandlung gewesen waren, was möglicherweise auf geringeren subjektiven Leidensdruck dieser Personen zurückzuführen war. Es ist anzumerken, dass die Informationen zur Psychotherapie in der Stichprobe von Lehmann nur unsystematisch erhoben wurden, es wurde lediglich nach Teilnahme an
Psychotherapie gefragt. Viele Probanden verfügten über schlechte Deutschkenntnisse und gaben an, dass die Therapien ohne ausreichende Übersetzung stattfanden, was sich vermutlich negativ auf den Behandlungserfolg auswirkte.
Birck (2001) beschreibt eine unkontrollierte Behandlungsstudie mit 30 Patienten des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin. Ursprünglich waren 57 Patienten in der Stichprobe, d. h. 47 % brachen die Teilnahme an der Studie ab, hauptsächlich aufgrund von Rückführungen in die Herkunftsländer der Patienten. Die
meisten der übrigen 30 Patienten waren Folteropfer und Asylbewerber, den größten Teil stellten Kurden aus der Türkei. Von diesen Patienten hatten 27 eine PTSD.
Die Behandlung dauerte im Schnitt knapp zwei Jahre. Der größte Teil der Patienten (25) erhielt psychodynamische Therapie, zwei erhielten systemische Therapie,
zwei Gestalt- und ein Patient kognitive Verhaltenstherapie. Die diagnostische Erfassung der Symptomatik nach Beendigung der Therapien war sehr lückenhaft.
Zum Nachuntersuchungszeitpunkt zwei Jahre nach Beginn der Behandlung zeigte sich, dass sich intrusive Symptome verringert hatten, nicht jedoch Symptome
der Vermeidung und der Übererregung. Mehr als die Hälfte der Patienten erfüllte noch die Kriterien für eine PTSD. Dennoch waren die meisten Teilnehmer (27)
völlig oder teilweise zufrieden mit der Psychotherapie. Viele Patienten hatten seit
Ende der Therapie weitere Stressoren erlebt und führten das Gleichbleiben oder die
Verschlimmerung von Symptomen darauf zurück. Der Asylstatus stand in keinem
Zusammenhang mit der PTSD-Symptomatik.
In einer weiteren explorativen Studie verglich Birck (2004) Patienten, die lediglich zu diagnostischen Untersuchungen gekommen waren, um eine klinische
Stellungnahme zu erhalten, mit denjenigen, die im Behandlungszentrum für Folteropfer durchschnittlich zehn Monate lang Psychotherapie und ebenfalls Stellungnahmen erhalten hatten. Die Einteilung in die beiden Gruppen wurde nicht zufällig, sondern entsprechend dem Anliegen des Patienten vorgenommen, jedoch
gab es für eine Therapie lange Wartelisten, was manche Interessierte abgeschreckt
hatte. Von den 21 Patienten in der Therapie-Bedingung erhielten zehn tiefenpsychologische Gruppentherapie, fünf Psychodrama, sechs hatten Einzeltherapie (fünf
109
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
Personen tiefenpsychologisch, eine systemisch). Drei Probanden erhielten zusätzlich Musiktherapie. Sowohl in der Behandlungs- als auch in der StellungnahmeBedingung zeigten sich keine Veränderungen der Symptomatik hinsichtlich PTSD,
Depression, Angst und somatoformen Beschwerden. Ein möglicher Einflussfaktor
ist die Bedeutung der PTSD-Diagnose für das Asylverfahren: Hat jemand eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der PTSD als Abschiebehindernis, könnte einem Patienten die Abschiebung drohen, wenn die PTSD wegfällt. Birck räumt auch ein,
dass die Wahl von hauptsächlich psychodynamischen und Gruppenbehandlungen
möglicherweise suboptimal war.
Eine weitere Therapiestudie wurde in Ulm von Schwarz-Langer, Deighton,
Jerg-Bretzke, Weisker und Traue (2006) durchgeführt. Sie behandelten 13 PTSDPatienten mit Psychopharmaka und Psychotherapie (Phasen: „Sicherheit“, „Selbstkontrolle“, „Erinnerung und Trauer“, „Reintegration“). In der Erinnerungsphase
wurde in begrenztem Maße, das der Patient selbst bestimmen sollte, Exposition
durchgeführt. Jedoch wurde auch die Vermeidung als Strategie zum Schutz vor
Intrusionen interpretiert und unterstützt (so auch bei Kinzie & Fleck, 1987), so
dass die Exposition möglicherweise nicht optimal wirken konnte (z. B. Schneider &
Margraf, 1998). Zudem erhielten die Patienten Unterstützung bei Schwierigkeiten
in ihrem Asylantragsverfahren. Es gab keine Kontrollgruppe. Die PTSD-Diagnose
wurde lediglich mithilfe eines Selbstauskunftsfragebogens gestellt. Weitere methodische Schwächen sind die stark variierende Anzahl an Therapiestunden pro Patient (16 bis 70) sowie die Auswertung des Therapieerfolgs lediglich anhand von
Veränderungen in den Therapieprotokollen sowie mittels post hoc-Interviews mit
den Patienten. Es ist fraglich, inwieweit sich die rückblickende Veränderungseinschätzung durch die Patienten in halbstrukturierten klinischen Interviews mit validen Instrumenten in gleicher Weise abbilden würde. Zumindest weichen beispielsweise bei Birck (2001), wie weiter oben beschrieben, die Zufriedenheit der Patienten mit dem Therapieerfolg (hier allerdings nicht symptomspezifisch erfragt)
und die erhobenen klinischen Veränderungsmaße stark voneinander ab. Anhand
der in der Studie vorgenommenen Evaluationen kommen die Autoren zu dem
Schluss, dass die Behandlung positiven Einfluss auf die Schlafqualität sowie auf
die Intrusions- und Übererregungssymptomatik hatte. Die meisten Patienten gaben
überdies höhere Zufriedenheit, Vertrauen, Selbstbewusstsein und weniger Schmerzen, Schmerzmedikation und Arztbesuche an. Zudem berichteten sie von positiven
Effekten der antidepressiven Medikation. Allerdings bekamen manche Patienten
zusätzlich Benzodiazepine – teilweise nach Bedarf – oder Neuroleptika. Aufgrund
110
1.5
Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung
1
THEORIE
der vielen methodischen Einschränkungen ist die Aussagekraft der Studie als gering einzuschätzen.
In einer Studie von Gotthardt (2007) in der Psychologischen Forschungs- und
Modellambulanz der Universität Konstanz wurde die „Narrative Expositionstherapie“ (NET) mit Standardbehandlung bei schwertraumatisierten Asylbewerbern
mit unsicherem Aufenthaltsstatus verglichen. Die „Standardbehandlung“ fand außerhalb der Ambulanz für Flüchtlinge statt und konnte sowohl Psychotherapie
oder Pharmakotherapie als auch gar keine Behandlung bedeuten. Auch die Teilnehmer in der NET-Gruppe hatten meist zusätzliche medikamentöse und / oder
psychotherapeutische Behandlung im Untersuchungszeitraum erhalten. Pro Behandlungsbedingung nahmen 16 Patienten an der Studie teil. In der NET-Gruppe
fielen bis zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung zwei Patienten (12,5 %) für nachfolgende Analysen weg, einer erhielt zusätzliche Behandlung nach Beendigung
der NET, ein weiterer verweigerte die Teilnahme. In der Gruppe mit Standardbehandlung kam es in diesem Zeitraum nicht zu Abbrüchen der Teilnahme an
der Studie. Nach zwei Jahren konnten zehn Patienten (62,5 %) aus der Gruppe
mit Standardbehandlung und zwölf (75,5 %) aus der NET-Gruppe erneut befragt
werden. Die übrigen konnten nicht mehr aufgefunden werden oder hatten externe Gründe, nicht an der Nachuntersuchung teilzunehmen. Es zeigte sich, dass
die Teilnehmer der NET-Bedingung nach sechs Monaten eine signifikant geringere
PTSD-Symptomatik aufwiesen als diejenigen mit Standardbehandlung. Die Patienten in der NET-Bedingung zeigten diese Verbesserung auch noch zwei Jahre später.
Zu diesem Zeitpunkt fand sich auch in der Gruppe mit Standardbehandlung eine
deutliche Symptomreduktion, so dass sich die Ergebnisse nicht mehr von denen in
der NET-Gruppe unterschieden. In der Bedingung mit Standardbehandlung hatten verglichen mit denen der NET-Gruppe viele der Patienten im Laufe des Untersuchungszeitraums einen sicheren Aufenthaltsstatus erlangt, so dass fraglich ist,
inwieweit die Verbesserungen in der psychischen Befindlichkeit möglicherweise
darauf zurückzuführen waren. In beiden Bedingungen erfüllten die meisten Patienten zu beiden Nachuntersuchungszeitpunkten noch die Kriterien für eine PTSD
(kein signifikanter Gruppenunterschied). Komorbide Symptome (Depression, Suizidalität und Angst) veränderten sich bei den meisten Teilnehmern nicht signifikant. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ, da sie sich hauptsächlich aus Kurden
zusammensetzte und es sich zudem um Patienten handelte, die in der Psychologischen Ambulanz für Flüchtlinge vorstellig wurden. Jedoch lehnte nur einer der
ausgewählten Patienten, der die Eingangskriterien für die Studie erfüllte, das Angebot einer NET ab.
111
1.6
Zusammenfassung und Fragestellungen
1
THEORIE
In einer weiteren Studie von Gotthardt (2007) wurde das NET-Prozedere an
niedergelassene Therapeuten weitervermittelt. Diese sollten NET als einen Baustein in der Behandlung von Asylbewerbern mit PTSD einsetzen. Es zeigte sich
– allerdings nur mit einer kleinen Stichprobe – dass die Probanden, die zusätzlich
zur sonstigen Behandlung NET erhielten, eine signifikant stärkere Symptomreduktion bezüglich der PTSD aufwiesen als diejenigen, die ausschließlich die reguläre
Behandlung erhielten.
1.6
Zusammenfassung und Fragestellungen
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es zwar eine große Anzahl von Flüchtlingen in westlichen Ländern gibt, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, jedoch bislang kaum kontrollierte Studien zu geeigneten Therapieverfahren für diese Patientengruppe vorliegen. Aus den wenigen bisherigen Befunden
geht hervor, dass kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungen zur Reduktion der PTSD-Symptomatik bei Flüchtlingen geeignet scheinen, während zu anderen Therapieformen keine kontrollierten Studien vorliegen. In Deutschland gibt
es bislang keine Studie zu PTSD bei Flüchtlingen, in der verschiedene systematisch angewandte Therapieverfahren miteinander verglichen wurden. In der unter „1.5.4 Therapie der PTSD bei Asylbewerbern und Flüchtlingen“ beschriebenen
Studie von Paunovic und Öst (2001) aus Schweden wurden zwar zwei kognitivverhaltenstherapeutische Behandlungen systematisch miteinander verglichen, jedoch wurde zum einen in beiden Bedingungen Exposition durchgeführt – bislang
existiert keine Studie mit Flüchtlingen zum Vergleich von evidenzbasierten Verfahren mit und ohne Exposition. Zum anderen wurden in der Studie von Paunovic
und Öst lediglich Probanden ausgewählt, die einen sicheren Aufenthaltsstatus innehatten, die Sprache des Exillandes sprachen und nicht allzu schwer belastet waren. Für Flüchtlinge in westlichen Ländern, auf die diese Faktoren nicht zutreffen,
liegt bislang keine der Autorin bekannte randomisierte kontrollierte Studie zum
Vergleich zweier standardisierter Therapieverfahren vor.
In der im Folgenden beschriebenen randomisierten kontrollierten Studie sollen die Anwendbarkeit und Wirksamkeit von „Narrativer Expositionstherapie“
(NET) und „Stress-Impfungs-Training“ (SIT) bei Personen, die in Deutschland leben, organisierte Gewalt erlebt haben und in der Folge an einer PTSD leiden, untersucht und verglichen werden. Die Stichprobe umfasst größtenteils Asylbewerber, die aufgrund von Gewalterlebnissen aus ihren Herkunftsländern geflüchtet
sind, einen kleinen Teil stellen ehemalige DDR-Bürger mit Erlebnissen organisier-
112
1.6
Zusammenfassung und Fragestellungen
1
THEORIE
ter Gewalt dar. Die meisten Probanden haben keinen sicheren Aufenthaltsstatus
in Deutschland und sprechen nicht ausreichend Deutsch, um ohne Dolmetscher
eine Therapie durchzuführen. Es kommen in der Studie zwei kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren zur Anwendung, die sich in Untersuchungen mit anderem Klientel bzw. anderen Fragestellungen bereits als hilfreich zur Reduktion von
PTSD-Symptomatik erwiesen hatten. Zudem sind die beiden Verfahren so ausgewählt, dass sie hinsichtlich Exposition eindeutig voneinander abgrenzbar sind:
Der Hauptbestandteil von NET ist Exposition, während die hier verwendete Version des SIT keine Expositionsbausteine enthält. Darüber hinaus wird in der NETBedingung ausschließlich die Vergangenheit mit dem Ziel thematisiert, dass die
Verarbeitung traumatischer Lebensereignisse sich anschließend positiv auf die psychische Befindlichkeit und das Funktionsniveau des Betroffenen in der Gegenwart
auswirkt. In der SIT-Bedingung liegt der Fokus hingegen ausschließlich auf der
Gegenwart und der Bewältigung der aktuellen Angstsymptome – die Beeinträchtigungen, die ihre Ursache in vergangenen Erlebnissen haben, sollen im SIT reduziert werden, ohne dass eine Konfrontation mit der Vergangenheit notwendig ist.
Vor dem Hintergrund der bislang bekannten und weiter oben dargestellten
Forschungsergebnisse wird angenommen, dass sowohl NET als auch SIT zu einer signifikanten Reduktion der PTSD-Symptomatik führen. In den NET-Studien,
in denen kurz nach Ende der Behandlungen Nachuntersuchungen vorgenommen
wurden (Neuner et al., 2004b; Onyut et al., 2005; Schaal, 2006) zeigten sich signifikante Therapieeffekte erst zu späteren Untersuchungszeitpunkten. Daher wird
mit einer Symptomreduktion in der NET-Gruppe erst zum Zeitpunkt der SechsMonats-Nachuntersuchung gerechnet. In den bisherigen Studien zum SIT (Foa et al.,
1991 & Foa et al., 1999) zeigten sich bezüglich des Zeitpunktes, zu dem die PTSDSymptomatik nach einem SIT verringert war, gemischte Befunde: Bei einer Intentto-treat-Analyse brachte SIT keine sofortige Reduktion der PTSD-Symptomatik mit
sich, in zwei Completer-Analysen jedoch schon. In einer dieser Completer-Analysen
zeigte sich SIT unmittelbar nach Therapieende gegenüber zweien von drei Vergleichsbehandlungen überlegen. Es wird in der hier beschriebenen Studie angenommen, dass SIT bereits zum ersten Nachuntersuchungszeitpunkt zu einem signifikanten Rückgang der PTSD-Symptomatik führt. Da die Probanden vermutlich
stark belastet sind, wird nicht mit einem vollständigen Rückgang der PTSD-Symptomatik bis hin zum vollständigen Wegfall der PTSD-Diagnosen gerechnet. Es
wird erwartet, dass eine größere Anzahl verschiedener traumatischer Erlebnisse
mit stärkerer PTSD-Symptomatik einhergeht. Weiterhin wird angenommen, dass
113
1.6
Zusammenfassung und Fragestellungen
1
THEORIE
diejenigen Patienten mit einer komorbiden depressiven Störung nach einem SIT
deutlich reduzierte Depressionswerte aufweisen. Anhand der bisherigen gemischten Befunde lassen sich hier keine spezifischen Annahmen über den Zeitpunkt eines solchen Effekts treffen.
Darüber hinaus ist von Interesse, wie sich die NET auf eine depressive Symptomatik auswirkt (bislang existieren gemischte Befunde), und wie groß der Anteil
derjenigen Patienten ist, die nach der Behandlung nicht mehr die Kriterien für eine
PTSD oder für eine depressive Störung erfüllen. Auch ein möglicher Zusammenhang zwischen Depressivitätsgrad und der Anzahl erlebter Gewalterfahrungen ist
von Interesse. Der Einfluss von NET und SIT auf die einzelnen Symptombereiche
der PTSD soll betrachtet werden: Dies schließt sowohl die Bereiche der Intrusionen,
Vermeidungs- und Übererregungssymptome als auch die Funktionsbeeinträchtigung und die Begleitsymptome ein. Es soll zudem ein potenzieller Zusammenhang zwischen der Depressions- und der PTSD-Symptomschwere – auch bezogen
auf einzelne Symptombereiche der PTSD – analysiert werden. Schließlich sind auch
potenzielle Veränderungen sonstiger komorbider Störungen sowie der Suizidalität
durch NET und SIT von Interesse. Abschließend soll untersucht werden, welche
der im Folgenden angeführten Faktoren im Zusammenhang mit der Symptomschwere hinsichtlich PTSD und Depressivität stehen: Alter, Geschlecht, Bildung,
Jahre in Deutschland, Erwerbstätigkeit, Partnerschaft, Kinder, frühere psychische
Erkrankung, externe Psychotherapie und Anzahl verschiedener Medikamententypen.
114
2
2
METHODEN
Methoden
2.1
Setting
Die Studie zum Vergleich von „Stress-Impfungs-Training“ (SIT) und „Narrativer
Expositionstherapie“ (NET) bei posttraumatischer Belastungsstörung in Folge von
organisierter Gewalt fand in der Psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge der Universität Konstanz statt. Sie wurde im Zeitraum von
2004 bis 2007 durchgeführt. Die Ambulanz wurde im Jahr 2003 gegründet und ist
auf die wissenschaftliche und klinische Untersuchung und Behandlung traumatisierter Flüchtlinge spezialisiert. Sie entstand auf Initiative der Nichtregierungsorganisation vivo international in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Neuropsychologie der Universität Konstanz. Die Räumlichkeiten der Ambulanz befinden sich in einem Gebäude der Universität auf dem Gelände des Zentrums für Psychiatrie Reichenau. Die
Forschungs- und Modellambulanz wird vom Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF)
gefördert. Die Ethik-Kommission der Universität Konstanz meldete keine Bedenken gegen die Durchführung der Studie an.
Sowohl die Diagnostik-Termine als auch die Therapiesitzungen fanden ambulant in den Räumen der Psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für
Flüchtlinge statt (in einem Fall wurde die Hälfte der Therapiesitzungen auswärts
abgehalten). Die Therapiesitzungen wurden bis auf wenige Ausnahmen mit einer
Videokamera aufgenommen, nachdem das Einverständnis des Klienten eingeholt
worden war.
2.2
2.2.1
Versuchspersonen
Rekrutierung der Versuchspersonen
Die Rekrutierung der Klienten erfolgte teilweise aus der Datenbank der Klienten,
die bereits in der Psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge im Rahmen von anderen Studien bzw. Begutachtungen untersucht wurden
(etwas mehr als ein Drittel der Stichprobe). Die meisten anderen Klienten wurden
von Sozialbetreuern oder anderen Behandlern erstmals in der Ambulanz angemeldet. Eine Klientin und ein Klient hatten sich selbst hier angemeldet, nachdem sie
z. B. in Beratungsstellen für Flüchtlinge von Behandlungsmöglichkeiten in der Ambulanz gehört hatten.
115
2.2
Versuchspersonen
2.2.2
2
METHODEN
Ausschluss- und Aufnahmekriterien
Folgende Ausschlusskriterien bestanden für die Teilnahme an der Studie: Drogen-,
Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit, mangelnde Bündnisfähigkeit bzgl. Suizidalität, Schizophrenie oder stationäre psychiatrische Behandlung während der
Teilnahme an der Therapiestudie außer im hiesigen Zentrum für Psychiatrie Reichenau. Schwangerschaft war ein weiteres Ausschlusskriterium.
Klienten, die in die Studie aufgenommen wurden, mussten folgende Voraussetzungen erfüllen: Der Proband hat organisierte Gewalt erlebt und ist in der Folge
an einer aktuell bestehenden PTSD erkrankt. Zudem zeigte er sich durch Unterzeichnen einer Einverständniserklärung damit einverstanden, nach dem Zufallsprinzip in die NET- oder SIT-Behandlungsgruppe eingeteilt zu werden. Die Klienten erhielten keine materielle Entschädigung für die Teilnahme an der Studie. In
Einzelfällen wurden bei Bedarf psychodiagnostische Befunde erstellt.
Grundsätzlich wurden im Umgang mit Klienten die „Regeln zur Betreuung
und zum Schutz von Personen, die im Rahmen der Zielsetzungen der Ambulanz
für Flüchtlinge und Folteropfer an der Universität Konstanz diagnostisch untersucht werden“ (Rockstroh & Elbert, 2003, siehe Seite 221 im Anhang) eingehalten.
Dies galt sowohl für alle diagnostischen als auch für alle therapeutischen Sitzungen. Die genannten Regeln spiegelten sich auch in den Einverständiserklärungen
wider, die jeder Proband sowohl vor den diagnostischen Sitzungen, vor der Magnetenzephalographie-Messung (siehe „2.6.2 Die Magnetenzephalographie-Messung
(MEG)“) als auch vor Beginn der jeweiligen Therapie nach ausführlicher Information unterschrieb.
2.2.3
Beschreibung der Stichprobe
Im Folgenden werden die soziodemografischen Daten der Probanden aus dem ersten diagnostischen Interview angeführt. Zudem wird angegeben, ob sich die Teilnehmer der NET- und SIT-Bedingung hinsichtlich dieser Daten signifikant voneinander unterschieden. Dazu wurden für alle Variablen, je nachdem, ob eine Normalverteilung vorlag oder nicht, t-Tests oder Chi-Quadrat-Tests durchgeführt (bei
letzteren wurden bei einer der erwarteten Häufigkeiten < 5 die Ergebnisse des Exakten Tests nach Fisher berücksichtigt). Eine Ausnahme bilden die Daten in Tabelle 1, in der z. B. Alter, Bildung etc., aufgelistet sind; hier wurden verschiedene
Testverfahren verwendet, die jeweils gesondert angegeben sind. Es handelte sich
stets um zweiseitige Testungen mit dem Signifikanzniveau α = .05. Bei Mehrfach-
116
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
Vergleichen wurde in den Fällen, in denen signifikante Effekte mit p < .05 auftraten,
eine Bonferroni-Holm-Korrektur des Signifikanzniveaus durchgeführt.
Die Herkunftsländer der Probanden sind in Abbildung 1 aufgeführt. Die Probanden wurden nach Geschlecht und Herkunft paarweise eingeteilt und per Zufall
der NET- oder SIT-Gruppe zugeordnet, siehe „2.5 Ablauf der Therapiestudie“. Die
beiden Behandlungsgruppen unterschieden sich also nicht hinsichtlich Herkunftsländern5 und Geschlechterverteilung (zu letzterem siehe auch Tabelle 1).
Die ethnischen Zugehörigkeiten waren folgendermaßen verteilt (n):
Kurdisch (11), Algerisch (4), Albanisch (2), Deutsch (2), Bassa (1), Amharisch (1),
Roma (1), Kroatisch (1), Polisario (1), Bosnisch (1), Bafang (1), Bafut (1) und Afrikanisch (1).
Ehem. DDR
7.1%
Balkan
17.9%
39.3%
Türkei
35.7%
Afrika
Abbildung 1: Herkunft der Probanden
Afrika (n): Algerien (4), Äthiopien (1), Kamerun (2), Liberia (1), Sierra Leone (1), Marokko (1)
Balkan (n): Bosnien-Herzegowina (1), Kosovo (1), Kroatien (1), (Süd-)Serbien (2)
Die Interviews und Behandlungen wurden mit den Patienten in folgenden
Sprachen durchgeführt (n): Türkisch (9), Deutsch (6), Englisch (3), Arabisch (3),
Französisch (2), Kurdisch (2), Albanisch (1), Serbokroatisch (1) und Amharisch (1).
Zwei der Deutsch sprechenden Patienten stammten aus der ehemaligen DDR, drei
weitere stammten aus der Balkan-Region. Der sechste Deutsch sprechende Patient
stammte aus Algerien und lebte bereits seit elf Jahren in Deutschland. Hinsichtlich
dessen, ob die Patienten Deutsch sprachen und ob ein Dolmetscher benötigt wurde, unterschieden sich die beiden Therapiegruppen nicht (Exakter Test nach Fisher:
p > .05).
5 bezogen
auf die gröbere Einteilung der Herkunftsregionen wie in Abbildung 1 ersichtlich.
117
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
Tabelle 1: Beschreibung der Stichprobe
Gesamt
NET
SIT
(N = 28)
(n = 15)
(n = 13)
Vergleich
NET – SIT
Median
Range
Median
Range
Median
Range
Alter in Jahren
33,5
17-55
35
21-55
28
17-44
n.s.a
Bildung in Jahren:
Schule
Ausbildung
9,5
0
0-15
0-14
0-4
8
0
2-15
0-4
10
0
n.s.a
n.s.a
M
SD
M
SD
M
SD
5,5
6,03
6,27
7,59
4,62
3,6
Jahre in Dtl.*
(1-30)
(1-30)
0-3
n.s.b
(1-15)
n
%
n
%
n
%
16
12
57,1
42,9
8
5
61,5
38,5
8
7
53,3
46,7
n.s.c
n.s.c
20
71,4
9
69,2
11
73,3
n.s.d
7
7
25
25
2
4
15,4
30,8
5
3
33,3
20
n.s.d
n.s.d
Krankenhausaufenthalte
(j/n)
17
60,7
8
61,5
9
60
n.s.c
derzeit Arbeit
8
28,6
5
38,5
3
20
n.s.d
Geschlecht:
männlich
weiblich
derzeit extern in
Psychotherapie
Sympt. vor Trauma:
psychisch
körperlich
* entspricht „Jahren in der BRD“ für Probanden aus der ehemaligen DDR
a U-Test
nach Mann & Whitney
für unabhängige Stichproben
c Chi-Quadrat-Test
b t-Test
d Exakter
Test nach Fisher
118
2.2
Versuchspersonen
geschieden
4% 7%
ledig
2
Partner (unverh.)
verwitwet
2 Kinder
3 Kinder
18%
4%
METHODEN
18%
3%
35%
1 Kind
5 Kinder
18%
50%
43%
verheiratet
keine Kinder
Abbildung 2: Familienstand der Probanden und Anzahl Kinder
Häufigkeitsangaben zu Familienstand und Anzahl der Kinder der Teilnehmer
sind in Abbildung 2 dargestellt. Die Probanden in der NET- und SIT-Gruppe unterschieden sich hinsichtlich dieser Variablen nicht signifikant; aufgrund der geringen
Personenzahl für die einzelnen Unterkategorien wurden die Variablen dichotomisiert („Kinder: Ja / Nein“ und „Partnerschaft / alleinstehend“).
Abbildung 3 zeigt die Häufigkeit verschiedener Aufenthalts- bzw. Asylstatus
der Probanden zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik. Es lebten zu dem Zeitpunkt
60,7 % der Teilnehmer in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, die übrigen in Mietwohnungen. Zwischen den beiden Behandlungsgruppen bestanden
bezüglich der Wohnsituation und des Aufenthaltsstatus’ keine signifikanten Unterschiede. Die Variable „Asylstatus“ wurde für diese Berechnung dichotomisiert und
in „sicheren“ vs. „unsicheren Status“ aufgeteilt (als „sicher“ wurden diejenigen Patienten eingestuft, die die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, sowie diejenigen
mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, als „unsicher“ wurden diejenigen Patienten klassifiziert, die sich im Erst- oder Folgeverfahren befanden bzw. geduldet
oder von Abschiebung bedroht waren). Einen unsicheren Aufenthaltsstatus hatten
bei der Erstdiagnostik 89,3 %, die übrigen 10,7 % hatten einen sicheren Aufenthaltsstatus (N = 28). Zum Zeitpunkt sechs Monate nach Therapieende wurden diese Informationen erneut erhoben: Es hatten nun 66,7 % einen unsicheren Aufenthaltsstatus, 23,8 % einen sicheren Status, und bei 9,6 % wurden die Angaben nicht erhoben.
Da zu diesem Untersuchungszeitpunkt von insgesamt befragten 22 Patienten bei
dreien die Angaben zum Asylstatus fehlten, werden hier die validen Prozentangaben angeführt. Im Exakten Test nach Fisher zeigte sich, dass sich das Verhältnis von
sicherem und unsicherem Aufenthaltsstatus über die Zeit nicht signifikant verändert hatte, weder in der Gesamtstichprobe noch in der NET- bzw. SIT-Gruppe (p >
119
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
.05). Gleiches gilt für die Wohnsituation sechs Monate nach Therapieende im Vergleich zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik. Auch für diese Analyse fehlten jedoch die
Angaben von einem Patienten aus der NET- sowie einem aus der SIT-Bedingung.
Beide wurden unter besonderen Bedingungen mit einem verkürzten Fragebogenset nachuntersucht (dieses entspricht dem Set für die Vier-Wochen- und Ein-JahresNachuntersuchung, siehe 2.6 und auch „2.5 Ablauf der Therapiestudie“).
dt. Staatsbürger
befr.
Aufenthaltserlaubnis
7.1%
3.6%
Erstverfahren
10.7%
78.6%
Folgeverfahren
Abbildung 3: Aufenthalts-/Asylstatus der Probanden
Die Medikamenteneinnahme der Probanden zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung ist in Tabelle 2 aufgeführt. Die beiden Behandlungsgruppen unterschieden
sich nicht signifikant hinsichtlich der Medikation. Es nahmen 14 % der Probanden
keinerlei Medikamente ein. Zum Zeitpunkt sechs Monate nach Therapieende zeigte sich keine signifikante Veränderung der Medikamenteneinnahme im Vergleich
zur ersten Untersuchung (Korrektur des Signifikanzniveaus nach Bonferroni-Holm
auf α = .005; Exakter Test nach Fisher: p > .005). Es fehlen auch hier Angaben von je
einem Patienten aus der NET- und SIT-Gruppe, siehe vorheriger Absatz. Ansonsten
zeigte sich dasselbe Muster wie zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik. Es nahmen insgesamt 11 % der Patienten keinerlei Medikamente ein, dieser Anteil unterscheidet
sich nicht signifikant von demjenigen zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik (Exakter
Test nach Fisher: p > .05).
Es wurde zudem die Gesamtanzahl verschiedener Medikamententypen berechnet, die die Patienten zum jeweiligen Untersuchungszeitraum einnahmen. Es
wurden bei der ersten Untersuchung in der Gesamtstichprobe im Schnitt 1,96 verschiedene Arten von Medikamenten eingenommen (SD = 1,40; Minimum 0, Ma120
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
ximum 5). Zum Zeitpunkt der Sechs-Monats-Nachuntersuchung waren es durchschnittlich 1,60 Präparattypen (SD = .94; Minimum 0, Maximum 4). Zwischen den
beiden Zeitpunkten veränderte sich die Anzahl von Medikamententypen in der
Gesamtstichprobe nicht signifikant (t-Test: t (47) = 0,085; p > .05). In der NETGruppe wurden vor der Behandlung im Schnitt 2,27 Präparattypen eingenommen
(SD = 1,28; Minimum 0, Maximum 4). Sechs Monate nach Therapieende waren es
1,45 (SD = .934; Minimum 0, Maximum 3). Die SIT-Patienten nahmen zur Erstdiagnostik durchschnittlich 1,62 verschiedene Präparattypen ein (SD = 1,50; Minimum
0, Maximum 5), zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung waren es 1,78 (SD = .97;
Minimum 1, Maximum 4). Zu keinem der beiden Zeitpunkte unterschieden sich
die NET- und SIT-Gruppen signifikant hinsichtlich der Anzahl verschiedener Medikamententypen (Erstdiagnostik, t-Test: t (26) = -1,239; p > .05; Sechs-MonatsNachuntersuchung, t-Test: t (18) = 0,756; p > .05). Auch innerhalb der beiden Behandlungsgruppen veränderte sich die Anzahl der Medikamententypen nicht signifikant über die Zeit (NET, t-Test: t (25) = -0,217; p > .05; SIT, t-Test: t (21) = 0,404;
p > .05).
Die Probanden berichteten anhand der Liste zur Erfassung traumatischer Erlebnisse im PTSD-Fragebogen CAPS von 9,71 (4 - 18) verschiedenen Arten traumatischer Erlebnisse. In der NET-Gruppe waren es im Mittel 10 (5 - 18), in der SITGruppe 9,38 (4 - 14) verschiedene Erlebnis-Typen. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen (Bonferroni-HolmKorrektur des Signifikanzniveaus: α = .0028; t-Test: t (26) = -0,496; p > .0028). Zu
Erfahrungen organisierter Gewalt befragt, berichteten über 70 % der Probanden,
einmal oder mehrfach in Haft gewesen zu sein. Weitere Beispiele organisierter Gewalt waren das Miterleben von gewaltsamen Hausdurchsuchungen (über 70 %),
von Verletzungen oder Tötung anderer Personen (über 70 %), der Anblick von Verstümmelungen oder Leichen (über 60 %) sowie das Erleben von kollektiven Bestrafungsaktionen (über 50 %) und bewaffneten Kampfhandlungen (über 40 %).
Von Foltererfahrungen berichteten 76 % der Probanden. Die am häufigsten genannten Misshandlungsmethoden waren Schläge oder Tritte auf den Körper, Beleidigungen durch Polizeibeamte o. ä., sowie Todesdrohungen und Schläge auf den
Kopf. Eine Auflistung aller Foltermethoden, die die Probanden angaben, findet sich
in Tabelle 3, geordnet nach ihrer Auftretenshäufigkeit. In Tabelle 4 sind die Foltermethoden für die Probanden der NET- und SIT-Gruppen getrennt angegeben. Sie
sind in derselben Reihenfolge aufgeführt wie in der Tabelle für die Gesamtstichprobe. Einige Probanden nannten zusätzlich zu den in der Tabelle aufgeführten spezielle Foltermethoden oder belastende Erlebnisse während der Inhaftierung, die sie
121
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
erlebt hatten und die nicht im Fragebogen vorkommen. Dazu gehörten unter anderem Bedrohung durch Schäferhunde, Ziehen der Zehennägel, Teilnahme an einem
Hungerstreik und Verbrennungen, die dem Betroffenen durch Mithäftlinge zugefügt worden waren. Knapp 40 % der Probanden gaben an, heute noch sichtbare
Narben oder andere Zeichen von Verletzungen zu haben, die von den Folterungen
herrührten.
Tabelle 2: Medikamenteneinnahme bei Erstuntersuchung
Gesamt
NET
SIT
Vergleich
NET – SIT
Schmerzmittel
53,6 %
66,7 %
30,8 %
n.s.a
Antidepressiva
42,9 %
53,3 %
23,1 %
n.s.a
Schlafmittel
35,7 %
33,3 %
30,8 %
n.s.b
Neuroleptika
32,1 %
20 %
38,5 %
n.s.b
Magenpräparate
10,7 %
20 %
–
n.s.b
Benzodiazepine
7,1 %
6,7 %
7,7 %
n.s.b
Antimanika
3,6 %
6,7 %
–
n.s.b
Blutdruckpräparate
3,6 %
–
7,7 %
n.s.b
sonstiges
21,4 %
20 %
23,1 %
n.s.b
a Chi-Quadrat-Test
b Exakter Test nach Fisher
Die Probanden der SIT- und NET-Bedingungen unterschieden sich bezüglich
aller erfragten Foltermethoden nicht signifikant in der Erlebnishäufigkeit (Bonferroni-Holm-Korrektur des Signifikanzniveaus: α = .0016; Exakter Test nach Fisher:
p > .0016).
Die Foltererlebnisse und sonstigen Erfahrungen organisierter Gewalt wurden
mithilfe des „vivo Haft-, Kriegs- und Folterereignisfragebogen“ (siehe „2.6.1 Fragebögen“) erfasst. Die Probanden der Gesamtstichprobe gaben an, im Mittel 25,26
122
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
Tabelle 3: Foltermethoden nach Häufigkeit (Gesamtstichprobe)
Foltermethode
Schläge oder Tritte auf Körper
Beleidigungen durch Polizei o. ä.
Todesdrohung
Schläge oder Tritte auf den Kopf
erzwungene Nacktheit
Androhung weiterer Folter
Drohung gegen die Familie
Mitanhören von Folter anderer
mehrere Stunden gefesselt sein
zuwenig zu essen bekommen
Ziehen an Haaren / Koteletten
Verbinden der Augen
Isolation über mehrere Tage
Androhung von Vergewaltigung
Würgen / am Atmen hindern
Anfassen der Genitalien
Schläge oder Tritte der Genitalien
zuwenig zu trinken bekommen
Verhinderung der Körperhygiene
extreme Hitze oder Kälte
Schläge auf die Fußsohlen
Quetschen der Genitalien
in schmerzhafter Position stehen
Vorenthalten ärztlicher Hilfe
Scheinhinrichtungen
Verhindern des Schlafs
kleine oder überfüllte Zelle
Verhindern des Toilettengangs
Mitansehen von Folter anderer
abwechselnd Grobheit & Milde
Vergewaltigung
Elektroschocks
an Seil oder Kette aufhängen
Untertauchen in Flüssigkeit
Abspritzen mit kaltem Wasser
gezwungen, andere zu foltern
ja
nein
keine
Angabe*
85,7 %
82,1 %
78,6 %
78,6 %
67,9 %
64,3 %
60,7 %
60,7 %
57,1 %
57,1 %
57,1 %
53,6 %
53,6 %
50,0 %
50,0 %
50,0 %
50,0 %
50,0 %
50,0 %
46,4 %
42,9 %
42,9 %
42,9 %
42,9 %
42,9 %
39,3 %
35,7 %
35,7 %
35,7 %
28,6 %
25,0 %
21,4 %
21,4 %
14,3 %
14,3 %
10,7 %
3,6 %
3,6 %
10,7 %
10,7 %
21,4 %
21,4 %
28,6 %
25,0 %
28,6 %
28,6 %
21,4 %
32,1 %
32,1 %
35,7 %
35,7 %
39,3 %
35,7 %
35,7 %
35,7 %
35,7 %
46,4 %
42,9 %
42,9 %
42,9 %
42,9 %
46,4 %
50,0 %
50,0 %
50,0 %
57,1 %
64,3 %
64,3 %
64,3 %
67,9 %
71,4 %
85,7 %
10,7 %
14,3 %
10,7 %
10,7 %
10,7 %
14,3 %
10,7 %
14,3 %
10,7 %
14,3 %
21,4 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
10,7 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
17,9 %
10,7 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
14,3 %
10,7 %
14,3 %
14,3 %
17,9 %
14,3 %
14,3 %
* entweder nicht in Haft gewesen, so dass der größte Teil der Symptomcheckliste gar nicht abgefragt wurde,
Abbruch der Fragen nach Foltererfahrungen aufgrund zu hoher Belastung des Probanden oder einzelne fehlende
Angaben
123
2.2
Versuchspersonen
2
METHODEN
Tabelle 4: Foltermethoden für NET und SIT getrennt
Foltermethode
NET
ja
%
nein
Schläge oder Tritte auf Körper
Beleidigungen durch Polizei o. ä.
Todesdrohung
Schläge oder Tritte auf den Kopf
erzwungene Nacktheit
Androhung weiterer Folter
Drohung gegen die Familie
Mitanhören von Folter anderer
mehrere Stunden gefesselt sein
zuwenig zu essen bekommen
Ziehen an Haaren / Koteletten
Verbinden der Augen
Isolation über mehrere Tage
Androhung von Vergewaltigung
Würgen / am Atmen hindern
Anfassen der Genitalien
Schläge oder Tritte der Genitalien
zuwenig zu trinken bekommen
Verhinderung der Körperhygiene
extreme Hitze oder Kälte
Schläge auf die Fußsohlen
Quetschen der Genitalien
in schmerzhafter Position stehen
Vorenthalten ärztlicher Hilfe
Scheinhinrichtungen
Verhindern des Schlafs
kleine oder überfüllte Zelle
Verhindern des Toilettengangs
Mitansehen von Folter anderer
abwechselnd Grobheit & Milde
Vergewaltigung
Elektroschocks
an Seil oder Kette aufhängen
Untertauchen in Flüssigkeit
Abspritzen mit kaltem Wasser
gezwungen, andere zu foltern
80,0
80,0
66,7
73,3
46,7
60,0
53,3
46,7
53,3
46,7
46,7
60,0
53,3
40,0
40,0
33,3
40,0
40,0
53,3
46,7
40,0
33,3
40,0
40,0
33,3
26,7
26,7
46,7
13,3
26,7
20,0
20,0
13,3
13,3
13,3
–
6,7
6,7
20
13,3
40,0
26,7
33,3
40,0
33,3
40,0
26,7
26,7
33,3
46,7
46,7
53,3
40,0
46,7
33,3
33,3
46,7
53,3
46,6
46,7
53,3
60,0
60,0
40,0
73,3
60,0
66,7
66,7
73,3
73,3
73,3
86,7
keine
Angabe*
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
26,7
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
20,0
13,3
13,3
20,0
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
13,3
SIT
ja
%
nein
92,3
84,6
92,3
84,6
92,3
69,2
69,2
76,9
61,5
69,2
69,2
46,2
53,8
61,5
61,5
69,2
61,5
61,5
46,2
46,2
46,2
53,8
46,2
46,2
53,8
53,8
46,2
23,1
61,5
30,8
30,8
23,1
30,8
15,4
15,4
–
–
–
–
7,7
–
15,4
23,1
7,7
23,1
15,4
15,4
38,5
30,8
23,1
23,1
23,1
30,8
23,1
38,5
38,5
46,2
30,8
38,5
38,5
30,8
30,8
38,5
61,5
23,1
53,8
61,5
61,5
53,8
61,5
69,2
84,6
keine
Angabe*
7,7
15,4
7,7
7,7
7,7
15,4
7,7
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
7,7
7,7
15,4
15,4
15,4
7,7
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
15,4
7,7
15,4
15,4
23,1
15,4
15,4
* entweder nicht in Haft gewesen, so dass der größte Teil der Symptomcheckliste gar nicht abgefragt wurde,
Abbruch der Fragen nach Foltererfahrungen aufgrund zu hoher Belastung des Probanden oder einzelne fehlende
Angaben
124
2.3
Therapeuten
2
METHODEN
verschiedene solche Erfahrungen gemacht zu haben (SD = 9,99; Minimum 8, Maximum 40). Allerdings lagen zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik von fünf Probanden keine vollständigen Angaben im Fragebogen vor, so dass sich die berichteten
Werte auf die Aussagen der restlichen 23 Probanden beziehen. Betrachtet man die
NET- und SIT-Gruppe getrennt, so zeigt sich, dass die Teilnehmer der SIT-Gruppe
(n = 12) im Durchschnitt 28,58 Erlebnistypen berichteten (SD = 9,46; Minimum 9,
Maximum 40), während es in der NET-Gruppe (n = 11) durchschnittlich 21,64 waren (SD = 9,67; Minimum 8, Maximum 33). Die Probanden der beiden Therapiegruppen unterschieden sich nicht signifikant in der Anzahl der Gewalterlebnisse
(t-Test: t (21) = 1,74; p > .05).
2.3
Therapeuten
Die Therapiesitzungen wurden von geschulten Therapeuten der Psychologischen
Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge der Universität Konstanz durchgeführt. Es fand eine Team-Supervision statt, in der die einzelnen Behandlungsfälle
diskutiert werden konnten. Sowohl die NET als auch das SIT wurden meistens zu
zweit durchgeführt, wobei der zweite Therapeut in manchen Fällen eher die Rolle
eines Co-Therapeuten innehatte. In anderen Fällen teilten sich beide Behandler die
Verantwortung für die Therapie auf. In jedem Fall war ein geschulter Traumatherapeut mit abgeschlossener Hochschulausbildung, zumeist Diplom-Psychologe, involviert. In der Regel führte derjenige Therapeut, der die Behandlung eines Klienten übernehmen sollte, auch die Erstdiagnostik durch. Alle Behandler, die nicht
ausschließlich eine Co-Therapeuten-Rolle innehatten, waren sowohl in NET- als
auch in SIT-Behandlungen involviert, um einen Therapeuteneffekt zu vermeiden
– jeder von ihnen war im Mittel an 1,5 NET- und SIT-Behandlungen beteiligt. Als
„reine“ Co-Therapeuten bzw. Hospitanten fungierten gelegentlich auch Studenten
der Psychologie im Rahmen eines Traumatherapie-Trainings.
2.4
Dolmetscher
Die Dolmetscher waren zumeist Personen, bei denen die jeweilige Fremdsprache
die Muttersprache war und die selbst nach Deutschland eingewandert waren. Es
handelte sich bei den meisten nicht um staatlich geprüfte Dolmetscher. Sie wurden
zu Beginn ihrer Tätigkeit ausführlich über die Anforderungen, Inhalte und Belastungen der Tätigkeit in der Psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für
Flüchtlinge informiert. Außerdem unterschrieben sie Schweigepflichterklärungen.
Die Dolmetscher hatten im Anschluss an diagnostische oder Therapiesitzungen die
125
2.5
Ablauf der Therapiestudie
2
METHODEN
Möglichkeit, mit dem Untersuchungsleiter bzw. Therapeuten zu sprechen, wenn
sie das wünschten. Sie erhielten ein Honorar für ihre Dolmetschertätigkeit.
2.5
Ablauf der Therapiestudie
Die Probanden, die für die Teilnahme an der Therapiestudie angemeldet worden
waren, wurden einander paarweise nach Geschlecht, Herkunftsland (eindeutig zugeordnet für die kurdischen Teilnehmer aus der Türkei, gröber eingeteilt bei denjenigen aus der Balkanregion und aus Afrika) und ähnlichem Alter zugeordnet. Für
jedes Patientenpaar wurde mithilfe einer Münze ausgelost, wer von beiden in die
NET- und in die SIT-Bedingung eingeteilt wurde. Da sich erst mit der Erstuntersuchung zeigte, ob ein Proband die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Studie
erfüllte, wurden die Paare teilweise neu gebildet, wenn eine Versuchsperson von
der Teilnahme ausgeschlossen worden war.
Im Verlauf der Studie stellte sich bei einer Zwischenanalyse heraus, dass die
Probanden in der NET-Bedingung per Zufall tendenziell eine höhere Ausgangssymptomatik aufwiesen als diejenigen in der SIT-Bedingung. Der Unterschied war
zwar zu diesem Zeitpunkt nicht signifikant, jedoch hätte er bei weiteren NETPatienten mit stärkerer oder SIT-Patienten mit schwächerer PTSD-Symptomatik Signifikanz erreichen können. Um dies zu verhindern, wurde bei den jeweils letzten
zwei männlichen und weiblichen Versuchspersonen für die SIT-Gruppe darauf geachtet, dass sie im Fragebogen „Clinician Administered PTSD Scale“ (CAPS, siehe
„2.6.1 Fragebögen“) einen Gesamtwert von mindestens 90 aufwiesen.
Innerhalb von vier Wochen nach der Erstdiagnostik wurde mit der jeweiligen Behandlung begonnen. Sollte dies ausnahmsweise nicht möglich gewesen sein,
wurde vor Therapiebeginn erneut geprüft, ob immer noch eine PTSD-Symptomatik
vorlag.
Zur Erfassung des Therapieerfolgs waren vier Wochen, sechs Monate und ein
Jahr nach Therapieende zu Nachuntersuchungen geplant. Die erste Nachuntersuchung fand jedoch durchschnittlich fünf Wochen nach Beendigung der Behandlung statt. Die Halbjahres-Nachuntersuchung fand wie geplant im Schnitt sechs
Monate, die Jahresuntersuchung zwölf Monate nach Therapieende statt. Diese Untersuchungen wurden jeweils von einem Mitarbeiter durchgeführt, der den zu befragenden Patienten zuvor noch nicht untersucht oder behandelt hatte. Da sowohl
die Behandlungen als auch die Nachuntersuchungen von Mitarbeitern innerhalb
der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie vorgenommen wurden, waren die Nachuntersucher in der Regel nicht unwissend gegenüber der Therapiebedingung des
126
2.5
Ablauf der Therapiestudie
2
METHODEN
Ablauf der Studie: Patientenzahlen
N = 28
NET
Aufnahme
in die
Studie
n = 15
h n.
ruc
Abb
SIT
n = 13
zg.
1 Sit
2
13
uch
abbr
rapie
The
1
THERAPIE
13
The
12
-------------------Therapieende
1
abbr
uch
2
11
kein
.
ch-U
Na
e 1.
kein
1
rapie
e Na
11
4-WochenNachuntersuchung
ch-U
.
1
10
1
nur
1. N
a
ch-U
.
1
12
6-Monats-Nachuntersuchung
10
U.
ach-
nur
N
.+2.
3
1
nur
7
------1*
1-Jahres-Nachuntersuchung
1.+2
. Na
4
------3*
* 1-Jahres-Nachuntersuchung steht noch aus
Abbildung 4: Flussdiagramm Therapiestudie
127
ch-U
.
2
2.5
Ablauf der Therapiestudie
2
METHODEN
Patienten. Zu Beginn jeder Untersuchung wurde der Patient über das Vorgehen
aufgeklärt und unterzeichnete eine Einverständniserklärung.
Es erfüllten 28 Personen die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Therapiestudie (siehe Abbildung 4). Davon begannen 15 eine NET und 13 ein SIT. Bei
zwei NET-Patientinnen konnte die Behandlung bereits nach der ersten bzw. zweiten Therapiesitzung nicht fortgeführt werden, da sie aufgrund akuter Suizidalität in stationäre psychiatrische Behandlung kamen. Zwei Patienten aus der SITBedingung brachen die laufende Therapie nach fünf bzw. acht Sitzungen ab (sie
nahmen die Sitzungen nicht mehr regelmäßig wahr und zeigten eine sinkende
Therapiemotivation), eine Patientin aus der NET-Bedingung nach vier Sitzungen
(u. a. aufgrund von Schwierigkeiten im Asylverfahren, die sie zwangen, vorübergehend unterzutauchen). Von demjenigen der SIT-Patienten, der acht Sitzungen erhalten hatte, liegt dennoch eine Sechs-Monats-Nachuntersuchung mit verkürztem
Untersuchungsset vor6 . Es wurden also bei zwölf NET- und elf SIT-Patienten die
Behandlungen zu Ende durchgeführt. Die Gesamtrate an Abbrüchen während der
Therapie beträgt 17,9 %, für die NET-Gruppe 20 % und die SIT-Gruppe 15,4 % (kein
signifikanter Unterschied zwischen der NET- und der SIT-Bedingung). Hinsichtlich aller bereits unter 2.2.3 („Beschreibung der Stichprobe“) aufgeführten soziodemografischen Variablen unterschieden die Abbrecher sich nicht signifikant von
den übrigen Patienten. Auch bezüglich Foltererfahrungen gab es keine signifikanten Unterschiede (Bonferroni-Holm-Korrektur des Signifikanzniveaus: α = .0016;
Exakter Test nach Fisher: p < .0016).
Von denjenigen, die die Therapie zu Ende geführt hatten, konnte bei einer
Patientin aus der SIT-Bedingung keine der Nachuntersuchungen vorgenommen
werden, da sie vorher in ihr Herkunftsland Serbien abgeschoben worden war. Ein
weiterer Patient, der eine NET erhalten hatte, reiste im Anschluss an die Therapie freiwillig in sein Herkunftsland Türkei zurück. Von ihm konnte keine VierWochen-Nachuntersuchung erhoben werden. Er wurde jedoch zur Sechs-MonatsNachuntersuchung von einem unserer Mitarbeiter in der Türkei aufgesucht und
interviewt, allerdings mit verkürztem Untersuchungsset (siehe Fußnote auf dieser
Seite).
Von einem Patienten aus der SIT-Gruppe wurde lediglich die Vier-WochenNachuntersuchung durchgeführt: Er kam im Anschluss ins Gefängnis.
Fünf Patienten beendeten ihre Teilnahme an der Studie nach der Sechs-MonatsNachuntersuchung. Von ihnen liegen also lediglich die Daten aus den ersten bei6 Es
wurde hier lediglich die PTSD- und Depressivitätssymptomatik erhoben, weitere Angaben
z. B. zu Medikamenten oder komorbiden Erkrankungen liegen nicht vor.
128
2.6
Diagnostische Untersuchungen
2
METHODEN
den Nachuntersuchungen vor. Es handelte sich um einen Patienten und eine Patientin aus der SIT-Bedingung sowie zwei Patientinnen aus der NET-Bedingung.
Dem männlichen SIT-Patienten wurde im Anschluss an die Sechs-Monats-Nachuntersuchung aufgrund seiner unveränderten psychischen Verfassung und seines
hohen Leidensdrucks eine NET angeboten – das Angebot einer weiteren Behandlung wurde allen Personen, die zum Zeitpunkt sechs Monate nach Ende der Therapie eine unverändert hohe PTSD-Symptomatik sowie hohen Leidensdruck aufwiesen, gemacht. Sie sollten jeweils die Therapieform erhalten, an der sie zuvor
noch nicht teilgenommen hatten. Dieses Angebot wurde bis zum Zeitpunkt der
Datenanalyse drei Patienten gemacht, einer davon nahm es an (wie oben berichtet). Daten aus der Ein-Jahres-Nachuntersuchung dieses Klienten wurden für die
Analysen nicht mehr berücksichtigt, da eventuelle Veränderungen nicht mehr eindeutig dem Einfluss von NET oder SIT zuordenbar gewesen wären. Die übrigen
genannten Patientinnen gaben andere Gründen dafür an, dass sie nicht an der EinJahres-Nachuntersuchung teilnahmen (z. B. wegen Zeitmangels bzw. fehlender Gelegenheit, für das Interview Urlaub zu bekommen).
Mit elf Patienten konnten bis zum Zeitpunkt der Datenauswertung alle drei
Nachuntersuchungen planmäßig durchgeführt werden (sieben aus der NET- und
vier aus der SIT-Bedingung). Bei weiteren vier Patienten wurden bis zum Zeitpunkt
der Datenanalyse die Vier-Wochen- und die Sechs-Monats-Nachuntersuchungen
durchgeführt, die Ein-Jahres-Nachuntersuchung steht noch aus.
2.6
Diagnostische Untersuchungen
Die Erst-Diagnostik wurde in der Regel von demjenigen Mitarbeiter durchgeführt,
der später die Behandlung durchführte, sofern beim jeweiligen Probanden die Aufnahmekriterien erfüllt waren. Bei Bedarf wurde ein Dolmetscher einbestellt, der in
der Regel auch für eine nachfolgende Therapie zur Verfügung stand. Zu Beginn der
Untersuchung wurde der Patient über das Vorgehen aufgeklärt und unterzeichnete
eine Einverständniserklärung. Am Ende der Erst-Diagnostik wurde mit dem Patienten besprochen, ob er die Eingangsvoraussetzungen für die Aufnahme in die
Therapiestudie erfüllte. Falls ja, wurde er über das Prozedere der Studie aufgeklärt
und gefragt, ob er Interesse an einer Teilnahme habe. Wenn die Aufnahmekriterien
nicht erfüllt waren, wurden ggf. gemeinsam mit der ehrenamtlichen Begleitperson weitere Behandlungsoptionen z. B. bei niedergelassenen Psychotherapeuten
geplant oder besprochen, ob bestehende Behandlungen ausreichend erschienen.
129
2.6
Diagnostische Untersuchungen
2
METHODEN
Das Prozedere der Erstdiagnostik entsprach dem der Halbjahresnachuntersuchung. Zu den Zeitpunkten vier Wochen und ein Jahr nach Ende der Therapie
wurde eine verkürzte Variante des Interview durchgeführt, d. h. das ScreeningInstrument M.I.N.I. wurde nicht angewendet, und es fand darüber hinaus keine
Magnetenzephalographie-Messung statt (siehe „2.6.2 Die MagnetenzephalographieMessung (MEG)“).
Im Folgenden werden die verwendeten Fragebögen kurz beschrieben.
2.6.1
Fragebögen
Zur Erfassung der soziodemografischen Daten wurde ein Fragebogen verwendet,
der für das typische Klientel der Psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge entwickelt wurde. Es wurden neben Namen und Anschrift
der Patienten deren Alter, Wohnsituation (Flüchtlingswohnheim oder Mietwohnung), Herkunftsland und Geburtsort, Familienstand und Anzahl der Kinder, Ausbildungszeiten, Zeitpunkt der Einwanderung nach Deutschland und der aktuelle Asylstatus erfragt. Weiterhin erfasst der Fragebogen Medikamenteneinnahme,
Teilnahme an Psychotherapie sowie psychische und körperliche Probleme vor und
nach dem Trauma sowie psychische Auffälligkeiten in der Herkunftsfamilie und
Krankenhausaufenthalte des Probanden.
Zur Diagnosestellung und Einschätzung des Schweregrades der PTSD wurde
die deutsche Version der „Clinician Administered PTSD Scale“ (CAPS) von Blake, Weathers, Nagy, Kaloupek, Klauminzer, Charney, Keane und Buckley (1995)
angewendet (nicht validierte deutsche Version: Karl, 2000). Die CAPS ist ein halbstrukturiertes Interview und erfasst Häufigkeit und Schwere von PTSD- und Begleitsymptomen wahlweise in der letzten Woche oder den letzten vier Wochen,
auch eine Lebenszeit-Diagnose ist möglich. In einer Liste traumatischer Erfahrungen werden standardmäßig 17 verschiedene Erlebnis-Typen abgefragt. Eine zusätzliche Kategorie, in der speziell nach Foltererlebnissen gefragt wird, wurde für
die hier befragte Klientel ergänzt, so dass die Liste nun 18 Erlebnistypen umfasst.
Es wird für jedes Symptom sowohl eine Häufigkeits- als auch eine SchweregradEinschätzung von je 0 bis 4 vergeben. Der höchstmögliche Summenwert ist 136.
Das von den Autoren ursprünglich vorgeschlagene Beurteilungskriterium eines
Symptoms als klinisch relevant fordert eine Symptomhäufigkeit von mindestens 1
und einen Schweregrad von mindestens 2 (Weathers, Ruscio & Keane, 1999). Dieses
Beurteilungsmuster wurde bezogen auf die letzten vier Wochen auch in der vorliegenden Arbeit eingesetzt. Die Diagnose einer PTSD wurde anhand der Vorgaben
130
2.6
Diagnostische Untersuchungen
2
METHODEN
im DSM-IV (American Psychiatric Association, 1996) dann gestellt, wenn zusätzlich zum Vorliegen mindestens eines objektiv und subjektiv traumatischen Erlebnisses (Kriterium A) mindestens ein Symptom aus dem Bereich „Intrusionen“ (Kriterium B), mindestens drei Symptome aus dem Bereich „Vermeidung“ (Kriterium
C) und mindestens zwei Symptome aus dem Bereich „Übererregung“ (Kriterium
D) klinisch signifikant waren und der Patient von Funktionsbeeinträchtigungen
aufgrund der Symptomatik berichtete (Kriterium F). Hinsichtlich der Gütekriterien
(Interrater- und Retest-Reliabilität, interne Konsistenz, Validität) wurde die CAPS
durchgehend als zuverlässiges Instrument zur Erfassung der PTSD-Symptomatik
in verschiedenen Traumapopulationen beurteilt (Blake et al., 1995).
Für detaillierte Informationen über das Erleben organisierter Gewalt zusätzlich zur Ereignisliste im Fragebogen CAPS wurde der „vivo Haft-, Kriegs- und
Folterereignisfragebogen“ (?) eingesetzt. Zu verschiedenen Untersuchungszeitpunkten eingesetzt, zeigte er bezüglich der Liste von Foltererlebnissen bei Gotthardt
(2007) eine Retest-Reliabilität von rtt = .808 (p < .001).
Zur Erfassung des Ausmaßes depressiver Symptome wurde die „Hamilton
Depression Scale“ (HAM-D, Hamilton, 1960 und 1967) eingesetzt. Mithilfe der HAMD beurteilt der Kliniker anhand von Informationen des Patienten im Interview
den Schweregrad von Depressions- und komorbiden Angstsymptomen. Hamilton macht keine Angaben zur Auswertung z. B. hinsichtlich milder, mittelschwerer
oder schwerer depressiver Symptome, jedoch verwenden manche Kliniker Richtwerte zur Einschätzung, denen vermutlich eine empirische Basis fehlt (z. B. Deutsche Zentrale für biologische Information, oJ http://www.biologie.de/biowiki/
HAMD, o. J.: 15 bis 18 Punkte = milde bis mittelschwere Depression, > 25 Punkte = schwere Depression).
Das „Mini International Neuropsychiatric Interview“ (M.I.N.I.) von Sheehan,
Lecrubier, Sheehan, Amorim, Janavs, Weiller, Hergueta, Baker und Dunbar (1998)
wurde zur Erfassung möglicher weiterer vorliegender psychischer Störungen sowie zur Einschätzung der Suizidalität verwendet. Das M.I.N.I. ist ein kurzes, strukturiertes Screening-Instrument, mithilfe dessen das Vorhandensein einer Störung7 ,
nicht jedoch ihre Ausprägung festgestellt werden kann. Hinsichtlich der Gütekriterien für Fragebögen erreichte das M.I.N.I. durchgehend positive Beurteilungen
(Sheehan et al., 1998).
7 Das M.I.N.I. erlaubt die Diagnosestellung folgender psychischer Störungen: Major Depression, Dysthymia, Suizidalität, Manie, Panikstörung, Agoraphobie, soziale und spezifische Phobien,
Zwangsstörung, generalisierte Angststörung, Alkohol- oder Drogenmissbrauch bzw. -abhängigkeit,
psychotische Störungen, Essstörungen sowie antisoziale Persönlichkeitsstörung.
131
2.7
Durchführung der Narrativen Expositionstherapie
2.6.2
2
METHODEN
Die Magnetenzephalographie-Messung (MEG)
Zusätzlich zum diagnostischen Interview wurde bei den meisten Probanden8 zum
Erstuntersuchungszeitpunkt und zur Halbjahres-Nachuntersuchung eine Messung
der magnetischen Gehirnaktivität mittels eines Ganz-Kopf-Neuromagnetometers
(MAGNESTM 2500 WH, 4D Neuroimaging, San Diego, USA) vorgenommen. Dabei wurde zunächst die Hirnaktivität während fünf Minuten unter Ruhebedingungen abgeleitet mit dem Ziel der Identifikation eventueller funktioneller Gehirnanomalien durch fokale langsame Wellen (ASWAM – Abnormal Slow Wave Mapping). Dieses Verfahren ermöglicht die Diskrimination zwischen Patientengruppen
mit psychiatrischen Diagnosen wie z. B. PTSD und Kontrollprobanden durch die
Identifikation gruppenspezifischer Foci von Delta- und Thetaaktivität (Wienbruch,
2007; Kolassa, Wienbruch, Neuner, Schauer, Ruf, Odenwald & Elbert, submitted
2007). Im Anschluss daran wurde affektives Material, das hinsichtlich der emotionalen Valenz abgestuft war (Bilder aus dem International Affective Picture System,
IAPS), zur Messung der individuellen neurophysiologischen Antwort dargeboten.
Während der MEG-Untersuchung wurden die Herzfrequenz mittels EKG und die
Augenbewegungen mittels EOG aufgezeichnet.
Die Ergebnisse dieser Magnetenzephalographie-Messungen sind in dieser Arbeit nicht dargestellt. Deshalb wird an dieser Stelle auf eine ausführlichere Beschreibung verzichtet.
2.7
Durchführung der Narrativen Expositionstherapie (NET)
Das allgemeine Prinzip der Narrativen Expositionstherapie (NET) ist unter 1.5.2
aufgeführt. In der hier beschriebenen Studie waren zehn Therapiesitzungen à ungefähr 90 Minuten vorgesehen. Die Sitzungsdauer wurde nicht systematisch aufgezeichnet. Jedoch zeigte sich anhand der Videoaufnahmen, dass eine NET-Sitzung
meist 90 Minuten oder länger dauerte. In Einzelfällen ergab sich die Notwendigkeit, einen Klienten auch über die zehn Sitzungen hinaus noch zu weiteren Terminen einzubestellen. Im Durchschnitt erhielten diejenigen NET-Klienten, die an der
kompletten Therapie teilnahmen, 10,75 Sitzungen (SD = 1,215). Hierbei unterschieden sie sich nicht von den SIT-Klienten. Als ideal wurde eine wöchentliche oder
14-tägige Sitzungsfrequenz angesehen. Die NET-Sitzungen fanden durchschnittlich im Abstand von 9,82 Tagen statt (SD = 3,55; Min 4, Max 16). Auch diesbezüglich bestanden keine Unterschiede zwischen der SIT- und NET-Bedingung. Die
8 Gründe für den Wegfall der MEG-Messung bzw. für die Beschränkung auf die ASWA-Messung
waren z. B. zu hohe Belastung des Patienten, Zeitmangel etc.
132
2.8
Durchführung des Stress-Impfungs-Trainings
2
METHODEN
erste Sitzung beinhaltete eine ausführliche Psychoedukation über die Symptomatik
einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie über die geplante Therapie. Dem
Klienten wurde die Einverständniserklärung für die Teilnahme an der Narrativen
Expositionstherapie ausgehändigt bzw. vorgelesen und Fragen dazu beantwortet.
Im Anschluss wurde anhand der „lifeline“ (siehe Seite 90) die Lebensgeschichte
des Klienten veranschaulicht, und es wurden gemeinsam so genannte „hot spots“
(Ereignisse oder Elemente von Ereignissen, die den Klienten am meisten belasten)
identifiziert, auf die ein besonderer Fokus in der Therapie gelegt werden sollte. In
den weiteren Sitzungen wurde detailliert die Lebensgeschichte durchgesprochen.
Dabei wurde explizit und besonders ausführlich bei den traumatischen Ereignissen
verweilt. Dies wurde solange wiederholt, bis der Klient dabei keine Angstreaktion
mehr zeigte. Die Geschichte wurde im Laufe der Therapie aufgeschrieben, so dass
am Ende die Narration des Lebens des Klienten vorlag. Diese wurde in der letzten
Sitzung von allen Beteiligten (Klient, Dolmetscher, Therapeut, ggf. Co-Therapeut)
unterzeichnet und dem Klienten ausgehändigt. Es wurde betont, dass der Patient
nun selbst entscheiden könne, was er mit dem Dokument tun wolle.
2.8
Durchführung des Stress-Impfungs-Trainings (SIT)
Das allgemeine Prinzip des Stress-Impfungs-Trainings ist unter 1.5.3 aufgeführt.
Es waren in der hier beschriebenen Studie ebenso wie in der NET-Bedingung zehn
Therapiesitzungen à ungefähr 90 Minuten vorgesehen. Es zeigte sich anhand der
Videoaufnahmen, dass eine SIT-Sitzung meist nicht länger als 90 Minuten dauerte.
In Einzelfällen ergab sich auch in der SIT-Gruppe die Notwendigkeit, einen Klienten auch über die zehn Sitzungen hinaus noch zu weiteren Terminen einzubestellen. Im Durchschnitt erhielten diejenigen SIT-Klienten, die bis zum Ende an der
Therapie teilnahmen, 10,36 Sitzungen (SD = 0,809). Wie unter 2.7 bereits angeführt,
bestand diesbezüglich kein Unterschied zur NET-Bedingung. Als ideal wurde auch
für das SIT eine wöchentliche oder 14-tägige Sitzungsfrequenz angesehen. Durchschnittlich erhielten die SIT-Klienten im Abstand von 9,89 Tagen eine Therapiesitzung (SD = 3,28; Min 4, Max 17), ebenfalls nicht verschieden vom Sitzungsabstand
in der NET-Bedingung. In der ersten Sitzung fand eine ausführliche Psychoedukation über die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie
über die geplante Therapie statt. Dem Klienten wurde die Einverständniserklärung
für die Teilnahme am Stress-Impfungs-Training ausgehändigt bzw. vorgelesen und
Fragen dazu beantwortet. Im Anschluss daran berichtete der Klient zunächst frei
über derzeitig relevante Probleme. Dann wurden aktuelle traumabezogene Stresso-
133
2.9
Datenanalyse
2
METHODEN
ren sowie Alltagsstressoren erfragt. Auch Ressourcen des Klienten wurden erfasst.
In den weiteren Sitzungen wurden verschiedene Angst- bzw. Stressbewältigungsstrategien eingeführt. Auf körperlicher Ebene wurden dem Klienten Atemtraining
(Bauchatmung, Betonung der Wichtigkeit des langsamen Ausatmens) und Progressive Muskelentspannung beigebracht. Auf kognitiver Ebene wurde die Technik des Gedankenstopps vermittelt, die es dem Klienten ermöglichen sollte, Grübeln zu unterbrechen. Des Weiteren wurde Kognitive Umstrukturierung eingesetzt, d. h. der Patient sollte lernen, schwierige und ängstigende Situationen aus
einer anderen Perspektive zu betrachten und den Realitätsgehalt seiner Befürchtungen kritisch zu überprüfen. Im Geleiteten Selbstdialog wurden ermutigende
und hilfreiche Sätze erarbeitet, die der Klient auf selbst gewählte Postkarten mit
schönen Motiven schrieb und zuhause immer wieder lesen sollte. Auf der Ebene
des Verhaltens wurden Rollenspiele und Verdecktes Modeling (d. h. Imaginieren
der erfolgreichen Bewältigung einer potenziell schwierigen Situation) eingesetzt.
Die letzten Sitzungen waren zur Wiederholung der Bewältigungsstrategien nach
Bedarf des Klienten vorgesehen.
2.9
Datenanalyse
Die statistischen Analysen wurden mithilfe des Statistikprogramms SPSS® 11.04
für Mac OS X oder JMPTM 5.0.1.2 für Mac OS X durchgeführt.
Alle Variablen wurden hinsichtlich ihrer Verteilung überprüft. In Abhängigkeit von der Verteilung und der jeweiligen Skalierung der Variablen wurden entweder parametrische oder nonparametrische Verfahren angewendet bzw. Produktmomentkorrelationen oder Rangkorrelationen berechnet.
Unterschiede zwischen dichotomen Variablen wurden mit Hilfe von Chi-Quadrat-Vierfeldertafeln überprüft. Erwies sich eine der erwarteten Häufigkeiten als <
5, so wurde das Ergebnis des Exakten Tests nach Fisher berichtet.
Generell wurde ein Signifikanzniveau von α = .05 angelegt. Bei Mehrfach-Vergleichen wurde in den Fällen, in denen signifikante Effekte mit p < .05 auftraten,
eine Bonferroni-Holm-Korrektur des Signifikanzniveaus durchgeführt.
Alle Daten, die zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Nachuntersuchung erhoben worden waren, werden zwar dargestellt, nicht in die Analysen einbezogen, da die
Stichprobengröße zum Zeitpunkt der Datenauswertung noch zu gering war.
Um die Veränderungen des PTSD- und Depressivitätsschweregrades über die
Zeit und diesbezügliche Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsbedingungen zu untersuchen, wurden für die intervallskalierten abhängigen Variablen
134
2.9
Datenanalyse
2
METHODEN
gemischte Modelle berechnet. Die Patientenkennnummer ging als zufälliger Effekt in die Analysen ein. Feste Faktoren waren die Therapiebedingung (NET oder
SIT) sowie der Untersuchungszeitpunkt (Erstdiagnostik bis Sechs-Monats-Nachuntersuchung). Als Post-hoc-Test wurde der Tukey-Test verwendet. Darüber hinaus wurden zur Überprüfung der Untersuchungshypothesen geplante Kontraste
berechnet, sofern sich nicht bereits im Tukey-Test ohnehin die erwarteten Effekte zeigten. Es wurde eine „Intent to treat“-Analyse gerechnet, bei der sowohl die
Daten aller 28 Patienten zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik einbezogen wurden –
unabhängig davon, ob sie die Therapie abgebrochen oder zu einem späteren Zeitpunkt aus der Studie ausgeschieden waren – als auch die Nachuntersuchungsdaten
derjenigen Patienten, die die Behandlung abgebrochen hatten. Dies war lediglich
bei einem Patienten aus der SIT-Bedingung der Fall, der nach acht Sitzungen aus
der Behandlung ausschied. Es liegen bei diesem Patienten Daten aus der Erstdiagnostik sowie aus einer Untersuchung sechs Monate nach Therapieabbruch vor.
In der Depressivitätsskala HAM-D fehlten in manchen Fällen einzelne Werte
innerhalb einer Erhebung. Waren es nicht mehr als drei pro Versuchsperson und
Zeitpunkt, wurde diese anhand des Mittelwertes der übrigen 19 bis 21 Werte geschätzt. Bei mehr als drei fehlenden Werten wurde die Erhebung aus den Analysen
ausgeschlossen. Dies war lediglich bei einer Patientin in der Erstuntersuchung sowie bei einer weiteren Patientin in der Vier-Wochen-Nachuntersuchung der Fall.
Für signifikante Therapieeffekte sowie für die Ergebnisse zu den gerichteten
Hypothesen wurde die Effektstärke nach Cohen (d) berechnet.
135
3
3
ERGEBNISSE
Ergebnisse
3.1
Zusammenhänge verschiedener Faktoren mit dem PTSD- und dem
Depressivitäts-Schweregrad
Es wurden mögliche Zusammenhänge von PTSD- und Depressivitäts-Schweregrad
zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung mit verschiedenen Faktoren (z. B. einige soziodemografische Variablen) betrachtet. Dafür wurden Korrelationen zwischen den
Ergebnissen der Fragebögen CAPS und HAM-D und den jeweiligen Faktoren berechnet.
3.1.1
Zusammenhänge verschiedener Faktoren mit dem CAPS-Score
Es wurde erwartet, dass eine größere Anzahl verschiedener traumatischer Erlebnisse mit stärkerer PTSD-Symptomatik einhergeht. Dies zeigte sich in der untersuchten Stichprobe jedoch nicht: Es ergab sich für den Gesamtschweregrad im Fragebogen CAPS zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik kein signifikanter Zusammenhang
mit der Anzahl an verschiedenen Typen belastender Lebensereignisse (r = .102;
p > .05). Auch zwischen der Anzahl der Gewalterlebnisse im „vivo Haft-, Kriegsund Folterereignisfragebogen“ und dem PTSD-Schweregrad im CAPS zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang (r = -.196;
p > .05).
Zudem wurde explorativ betrachtet, inwieweit der PTSD-Schweregrad in der
CAPS zum ersten Untersuchungszeitpunkt mit folgenden Faktoren im Zusammenhang stand: Alter, Geschlecht, Bildung, Jahre in Deutschland, Erwerbstätigkeit, Partnerschaft, Kinder, Therapie mit oder ohne Dolmetscher, frühere psychische Erkrankung, externe Psychotherapie und Anzahl verschiedener Medikamententypen. Außer einem schwachen negativen Zusammenhang zwischen dem Gesamtscore in der CAPS zum ersten Untersuchungszeitpunkt und dem Faktor „Kinder ja
/ nein“ (rs = -.47; p < .05) ergaben sich keine weiteren signifikanten Korrelationen.
3.1.2
Zusammenhang verschiedener Faktoren mit dem HAM-D-Score
Es wurde explorativ untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Depressivitäts-Schweregrad in der HAM-D zum ersten Untersuchungszeitpunkt und
der Anzahl erlebter Gewalterfahrungen gab. Es zeigten sich keine signifikanten
Zusammenhänge zwischen der Depressivität und der Erfahrungs-Anzahl in der
CAPS (r = .070; p > .05) oder im „vivo Haft-, Kriegs- und Folterereignisfragebogen“
(r = .-162; p > .05).
137
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
Zudem wurde betrachtet, inwieweit Zusammenhänge der Depressivität mit
folgenden Faktoren bestanden: Alter, Geschlecht, Bildung, Jahre in Deutschland,
Erwerbstätigkeit, Partnerschaft, Kinder, Therapie mit oder ohne Dolmetscher, frühere psychische Erkrankung, externe Psychotherapie und Anzahl verschiedener
Medikamententypen. Es wurden keinerlei signifikante Zusammenhänge gefunden.
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3.2.1
Verzögerter Beginn und Chronizität
Von einem der 28 Patienten, die zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik in die Studie aufgenommen wurden, fehlten die Angaben zu Beginn und Dauer der PTSDSymptomatik. Daher werden im Folgenden die validen Prozentwerte angegeben.
Lediglich bei 14,8 % der Probanden hatte die PTSD verzögert eingesetzt (Beginn
der Symptomatik frühestens ein halbes Jahr nach dem traumatischen Erlebnis). Bei
96,3 % der Probanden bestand die PTSD länger als drei Monate, hatte also einen
chronischen Verlauf.
3.2.2
Häufigkeit der Diagnose
Entsprechend der Eingangsvoraussetzungen wiesen alle 28 Patienten zu Beginn
der Behandlung die Diagnose einer PTSD auf. Zum Zeitpunkt der Vier-WochenNachuntersuchung wiesen noch 90 % der Patienten in der Gesamtstichprobe eine
PTSD-Diagnose auf (von n = 21, ohne die Therapieabbrecher und diejenigen, bei
denen aus anderen Gründen keine Nachuntersuchung durchgeführt werden konnte). Sechs Monate nach Therapieende waren es noch 82 % (von n = 22) – zu Patientenzahlen siehe auch „2.5 Ablauf der Therapiestudie“. Ein Jahr nach Therapieende
wiesen 54 % (von n = 11) eine PTSD auf.
Betrachtet man die Häufigkeit der PTSD-Diagnose unter Ausschluss der Therapieabbrecher nach Behandlungsgruppen getrennt, zeigt sich, dass noch 82 % der
Patienten in der NET-Gruppe zum Zeitpunkt vier Wochen nach der Behandlung
eine PTSD aufwiesen (von n = 11). Sechs Monate nach der Behandlung waren es
83 % (von n = 12). Bei der Ein-Jahres-Nachuntersuchung litten noch vier von sieben Patienten an einer PTSD (aufgrund der geringen Probandenzahl wird auf eine
Prozentangabe verzichtet). In der SIT-Gruppe lag die PTSD-Rate vier Wochen nach
der Therapie immer noch bei 100 % (von n = 10), sechs Monate nach Therapieende bei 80 % (von n = 10). Zur Ein-Jahres-Nachuntersuchung wiesen noch zwei von
vier Patienten eine PTSD auf. Die Häufigkeitsangaben für eine PTSD-Diagnose in
138
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
Häufigkeit PTSD-Diagnose
100
100%
100%
3
ERGEBNISSE
100%
83%
82%
80%
NET
70
SIT
40
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 5: Häufigkeit PTSD-Diagnose über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
beiden Therapiegruppen von der Erstuntersuchung bis zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung sind in Abbildung 5 grafisch dargestellt.
Die Unterschiede in der PTSD-Häufigkeit zwischen der NET- und der SITGruppe zu den verschiedenen Zeitpunkten sind nicht signifikant (Exakter Test nach
Fisher: p > .05).
Die Reduktion der Auftretenshäufigkeit der PTSD-Diagnose erreichte für die
Gesamtgruppe Signifikanz. Die Häufigkeit nahm zwischen den folgenden Untersuchungszeitpunkten signifikant ab:
• zwischen Erstdiagnostik und Sechs-Monats-Nachuntersuchung (Exakter Test
nach Fisher: p < .05)
• zwischen der Vier-Wochen- und Ein-Jahres-Nachuntersuchung (Exakter Test
nach Fisher: p < .05)
• sowie zwischen Erstdiagnostik und Ein-Jahres-Nachuntersuchung (Exakter
Test nach Fisher: p = .001).
Für die NET- und SIT-Gruppen wurden getrennte Analysen für mögliche Unterschiede in der PTSD-Häufigkeit über die Zeit berechnet. Dabei wurden die Daten
139
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Nachuntersuchung aufgrund zu geringer Stichprobengröße nicht berücksichtigt. Weder innerhalb der NET- noch der SIT-Gruppe
zeigte sich ein signifikanter Rückgang der Häufigkeit einer PTSD (Exakter Test
nach Fisher: p > .05).
Es ist anzumerken, dass bei einem Patienten aus der NET-Bedingung zum
Zeitpunkt sechs Monate nach Therapieende keine PTSD mehr festgestellt werden
konnte, jedoch wies er ein Jahr nach Therapieende erneut die Symptomatik einer
PTSD auf. Ein weiterer Patient aus der NET-Gruppe zeigte vier Wochen und ein
Jahr nach Therapieende keine PTSD, jedoch vorübergehend zum Sechs-MonatsZeitpunkt. Die übrigen Patienten, die die Kriterien für eine PTSD-Diagnose zum
Zeitpunkt ein Jahr nach Ende der Therapie nicht mehr erfüllten, wiesen keine derartigen Schwankungen auf. Sie hatten entweder bereits ab der Vier-Wochen-Nachuntersuchung keine PTSD mehr (n = 1, NET), ab der Sechs-Monats-Nachuntersuchung (n = 2, jeweils SIT) oder zur Ein-Jahres-Nachuntersuchung (n = 1, NET).
3.2.3
Veränderung des Symptom-Scores im Fragebogen CAPS
Die Mittelwerte, Standardabweichungen sowie die Minimal- und Maximalwerte
im Fragebogen CAPS sind für beide Therapiegruppen zu den Zeitpunkten vor der
Therapie, vier Wochen sowie sechs Monate nach Therapieende in Tabelle 5 angegeben. Es werden jeweils der Gesamtmittelwert sowie die Mittelwerte innerhalb
der drei Symptomgruppen „Intrusionen“, „Vermeidungs-“ sowie „Übererregungssymptome“ angegeben. Für den Zeitpunkt ein Jahr nach Therapieende werden die
Werte gesondert angegeben, da sie aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht
in die Analysen mit aufgenommen werden. In der NET-Gruppe betrug der mittlere
CAPS-Score ein Jahr nach Therapieende M = 64,29 (SD = 25,86), in der SIT-Gruppe
M = 63 (SD = 36,98).
Es ist anzumerken, dass bei einem Patienten zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung ein einzelner Wert in der CAPS fehlte (die Schweregradeinschätzung des
Gefühls, von anderen isoliert und entfremdet zu sein). Dieser Wert wurde anhand
des Mittelwerts der übrigen CAPS-Werte in dieser Untersuchung geschätzt.
Um Unterschiede im CAPS-Summenscore zwischen der NET- und der SIT-Bedingung und zwischen den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten sowie Wechselwirkungen von Therapiebedingung und Zeitpunkt zu betrachten, wurde ein gemischtes Modell für den CAPS-Score über die Zeit (ohne die Ein-Jahres-Nachuntersuchung) und für beide Therapiebedingungen berechnet.
140
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
Tabelle 5: CAPS-Scores über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
Erstdiagn.
(N = 28)
4 Wochen
(n = 21)
6 Monate
(n = 22)
Mittelwert
Standardabweichung
Minimum –
Maximum
NET (n = 15)
96,47
15,89
52 – 117
Intrusionen
Vermeidung
Übererregung
29,33
37,40
29,73
4,90
8,81
4,15
17 – 36
14 – 48
21 – 36
SIT (n = 13)
85,15
12,95
61 – 105
Intrusionen
Vermeidung
Übererregung
26,92
31,08
27,15
4,92
7,38
4,90
20 – 37
20 – 40
18 – 34
NET (n = 11)
76,73
26,19
33 – 111
Intrusionen
Vermeidung
Übererregung
25,64
27,27
23,82
8,13
10,28
9,40
13 – 36
11 – 41
9 – 36
SIT (n = 10)
82,60
18,80
46 – 113
Intrusionen
Vermeidung
Übererregung
27,40
29,70
25,50
8,29
8,21
6,43
14 – 39
18 – 43
13 – 31
NET (n = 12)
72,33
18,10
41 – 100
Intrusionen
Vermeidung
Übererregung
27,00
24,67
20,83
5,83
9,09
7,72
18 – 37
6 – 37
12 – 35
SIT (n = 10)
82,70
26,16
39 – 115
Intrusionen
Vermeidung
Übererregung
24,30
31,80
26,60
9,29
12,30
6,57
10 – 34
11 – 49
17 – 34
141
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
100
96.47
Gesamtscore CAPS
85.15
82.7
82.6
76.73
72.33
70
NET
SIT
40
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 6: CAPS-Scores über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
Es zeigte sich kein signifikanter Haupteffekt für den Faktor „Therapiebedingung“ (F (1; 26) = 0,051; p > .05). Für den Faktor „Zeitpunkt“ ergab sich ein signifikanter Haupteffekt (F (2; 39) = 4,638; p < .05). Im post hoc ausgeführten Tukey-Test
wurde deutlich, dass die signifikante Veränderung über die Zeit zwischen der Erstdiagnostik und der Sechs-Monats-Nachuntersuchung auftrat (q = 2,436; p < .05).
Zudem zeigte sich eine signifikante Interaktion für die Therapiebedingung über
die Zeit (F (2; 39) = 3,269; p < .05). Im Tukey-Test wurde ersichtlich, dass sich
der CAPS-Summenscore in der NET-Bedingung zwischen dem Zeitpunkt der Erstdiagnostik und dem Zeitpunkt sechs Monate nach Therapieende signifikant verringerte (q = 2,996; p < .05). Die Effektstärke betrug d = 1,42. Dies entsprach der
Hypothese, dass NET keine unmittelbare, sondern eine zeitlich verzögerte Wirkung auf die PTSD-Symptomatik zeigen würde. Für SIT wurde erwartet, dass es
zu einer unmittelbaren Reduktion der PTSD-Schwere führen sollte. Um dies zu
überprüfen, wurde eine Kontrastanalyse vorgenommen. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen dem CAPS-Score bei der Erstdiagnostik und der
Vier-Wochen-Nachuntersuchung in der SIT-Bedingung (F (1; 39) = 0,083; p > .05).
Die Effektstärke betrug d = 0,16. Zur Überprüfung der allgemeineren Hypothese, dass SIT zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer signifikanten Reduktion des Sym142
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
ptomscores in der CAPS führen würde, wurde zusätzlich eine Kontrastanalyse
für die CAPS-Veränderung zwischen der Erstdiagnostik und der Sechs-MonatsNachuntersuchung innerhalb der SIT-Gruppe berechnet. Es ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen den CAPS-Scores zu diesen beiden Untersuchungszeitpunkten (F (1; 39) = 0,084; p > .05), hier betrug die Effektstärke d = 0,12.
Eine grafische Darstellung der Veränderungen im CAPS-Score in beiden Gruppen findet sich in Abbildung 6.
Für die Symptomgruppen „Intrusionen“, „Vermeidungs-“ und „Übererregungssymptome“ wurden jeweils gemischte Modelle entsprechend demjenigen für den
Gesamtschweregrad in der CAPS berechnet. Eine grafische Darstellung der Schweregradentwicklung über die Zeit findet sich in Abbildung 7.
Für die Intrusionssymptome ergaben sich keinerlei signifikante Effekte: Weder zwischen den beiden Behandlungsbedingungen (F (1; 26) = 0,349; p > .05) noch
über die Zeitpunkte hinweg (F (2; 39) = 1,236; p > .05) oder hinsichtlich der Wechselwirkung von Therapiebedingung und Zeit (F (2; 39) = 1,078; p > .05).
Für die Symptomgruppe „Vermeidung“ zeigte sich bei der Berechnung des gemischten Modells kein signifikanter Unterschied zwischen den Vermeidungssymptomwerten in der NET- und SIT-Bedingung (F (1; 26) = 0,004; p > .05). Für den Faktor „Zeit“ ergab sich ein signifikanter Haupteffekt (F (2; 39) = 4,934; p < .05). Im post
hoc ausgeführten Tukey-Test wurde deutlich, dass die signifikante Veränderung
über die Zeit zwischen der Erstdiagnostik und der Vier-Wochen-Nachuntersuchung
sowie der Sechs-Monats-Nachuntersuchung auftrat (q = 2,436; p < .05). Die Effektstärken betrugen d = 1,06 für die Veränderung zwischen Erstdiagnostik und VierWochen-Nachuntersuchung sowie d = 1,42 zwischen Erstdiagnostik und SechsMonats-Nachuntersuchung. Zudem zeigte sich eine signifikante Interaktion für die
Therapiebedingung über die Zeit (F (2; 39) = 4,759; p < .05). Im Tukey-Test wurde
ersichtlich, dass signifikante Unterschiede des Vermeidungs-Summenscores in der
NET-Bedingung zwischen der Erstdiagnostik und der Vier-Wochen-Nachuntersuchung bzw. der Sechs-Monats-Nachuntersuchung bestanden (q = 2,996; p < .05).
Die Berechnung eines gemischten Modells für die Symptome der Übererregung zeigte keinen signifikanten Effekt für die Therapiebedingung (F (1; 26) = 0,935;
p > .05). Es ergab sich jedoch ein signifikanter Haupteffekt für den Faktor „Zeitpunkt“ (F (2; 39) = 4,120; p < .05). Im post hoc ausgeführten Tukey-Test zeigte sich,
dass der Effekt zwischen dem Zeitpunkt der Erstdiagnostik und der Sechs-MonatsNachuntersuchung auftrat (q = 2,436; p < .05). Die Effektstärke betrug d = 0,08.
Zudem wurde die Interaktion zwischen Therapiebedingung und Zeitpunkt signifikant (F (2; 39) = 3,544; p < .05). Der post hoc ausgeführte Tukey-Test machte deut143
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
INTRUSIONEN
Summenscore Intrusionen
40
29.3
26.9
25.6
27.4
27
24.3
20
NET
SIT
0
Erstdiagnostik 4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
VERMEIDUNGSSYMPTOME
Summenscore Vermeidung
40
37.4
31.1
31.8
29.7
27.3
NET
24.7
20
SIT
0
Erstdiagnostik 4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
ÜBERERREGUNGSSYMPTOME
Summenscore Übererregung
40
29.7
27.2
27.3
26.6
25.5
20
NET
20.8
SIT
0
Erstdiagnostik 4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 7: CAPS-Scores der einzelnen Symptomgruppen über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
144
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
lich, dass der Effekt in der NET-Gruppe zwischen dem Zeitpunkt der Erstdiagnostik und der Sechs-Monats-Nachuntersuchung auftrat (q = 2,996; p < .05). Hier betrug die Effektstärke d = 1,43.
3.2.4
Funktionsbeeinträchtigung durch die PTSD-Symptomatik
Die Einschätzung der Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der PTSD-Symptomatik im Fragebogen CAPS kann auf einer Skala von 0 („keine Beeinträchtigung“)
bis 4 („extreme Beeinträchtigung“) vorgenommen werden. Zur Analyse der Funktionsbeeinträchtigung der Probanden wurde der Mittelwert aus den CAPS-Items
„Subjektiver Stress / Belastung“, „Beeinträchtigung der sozialen Beziehungen“ sowie „Beeinträchtigungen des Berufslebens“ gebildet. Für letzteres Item fehlten bei
vielen Probanden die Angaben, da sie zum Untersuchungszeitpunkt nicht in einem Arbeitsverhältnis standen: Zu den Zeitpunkten der Erstdiagnostik sowie zur
Vier-Wochen-Nachuntersuchung traf dies für über 50 % der Patienten zu, zum Zeitpunkt der Sechs-Monats-Nachuntersuchung für über 40 %. Jedoch wurde überprüft, ob sich die Mittelwerte der Funktionsbeeinträchtigung mit und ohne Einbeziehung der vorhandenen Angaben zu beruflichen Beeinträchtigungen signifikant
unterschieden. Dies war über alle Zeitpunkte und die beiden Therapiebedingungen hinweg nicht der Fall (jeweils t-Tests für gepaarte Stichproben, p > .05). Daher
wurden auch die Daten zu „Beeinträchtigungen des Berufslebens“ mit in den Gesamtmittelwert einbezogen. Ein Überblick über die Mittelwerte in den Angaben
zu Funktionsbeeinträchtigungen findet sich in Tabelle 6. Die Daten zum Zeitpunkt
der Ein-Jahres-Nachuntersuchung wurden aufgrund zu geringer Stichprobengröße
nicht mit in die Analyse aufgenommen. Der Mittelwert der Funktionsbeeinträchtigung zu diesem Untersuchungszeitpunkt betrug in der NET-Gruppe M = 2,21
(SD = .91), in der SIT-Gruppe M = 1,96 (SD = 1,28). Eine grafische Darstellung der
Mittelwerte für die Zeitpunkte der Erstdiagnostik bis zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung findet sich in Abbildung 8.
Um Unterschiede der Funktionsbeeinträchtigung zwischen der NET- und der
SIT-Bedingung und zwischen den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten sowie Wechselwirkungen von Therapiebedingung und Zeitpunkt zu betrachten, wurde ein gemischtes Modell für den Gesamtmittelwert der Funktionsbeeinträchtigung über die Zeit (ohne die Ein-Jahres-Nachuntersuchung) und für beide Therapiebedingungen berechnet.
Es zeigte sich kein signifikanter Effekt für den Faktor „Therapiebedingung“
(F (1; 26) = 0,057; p > .05). Für den Faktor „Zeitpunkt“ ergab sich ein signifikanter
145
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
Tabelle 6: Funktionsbeeinträchtigung CAPS über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
Subjektiver
Stress
Soziale
Berufsleben
Beziehungen
M (SD)
M (SD)
M (SD)
(Min – Max)
(Min – Max)
(Min – Max)
3,13 (.64)
2,93 (.70)
2,14 (.90)
(2 – 4)
(1 – 4)
(1 – 3)
3,38 (.65)
3,08 (.86)
2,5 (1,05)
(2 – 4)
(2 – 4)
(1 – 4)
3,0 (.82)
2,40 (.97)
.50 (.71)
(2 – 4)
(1 – 4)
(0 – 1)
3,20 (.79)
2,50 (1,08)
2,43 (1,27)
(2 – 4)
(0 – 4)
(0 – 4)
2,64 (.81)a
2,08 (1,08)
1,17 (1,17)
(1 – 4)
(0 – 3)
(0 – 3)
2,90 (.88)
2,60 (1,08)
3,0 (.82)
(2 – 4)
(1 – 4)
(2 – 4)
Mittelwert
Funktionsbeeinträchtigung
M (SD)
Erstdiagnostik
NET
SIT
2,93 (.57)
3,10 (.63)
4 Wochen
NET
SIT
2,60 (.94)
2,67 (.79)
6 Monate
NET
SIT
a hier fehlen Werte von einem Patienten
146
2,13 (.73)
2,73 (.76)
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
Mittelwert Funktionsbeeinträchtigung
3.5
3.1
2.93
2.6
2.73
2.67
2.13
NET
1.75
SIT
0
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 8: Funktionsbeeinträchtigung CAPS
Haupteffekt (F (2; 38) = 4,13; p < .05). Im post hoc ausgeführten Tukey-Test zeigte
sich, dass es zwischen den Zeitpunkten der Erstdiagnostik und der Sechs-MonatsNachuntersuchung zu einer signifikanten Veränderung des Gesamtmittelwerts der
Funktionsbeeinträchtigung kam (q = 2,44; p < .05). Die Interaktion zwischen Therapiebedingung und Zeitpunkt war nicht signifikant (F (2; 38) = 0,93; p > .05).
3.2.5
Begleitsymptome im Fragebogen CAPS
In Tabelle 7 sind die Mittelwerte, Standardabweichungen sowie Minimal- und Maximalwerte der Summenscores für Begleitsymptome im Fragebogen CAPS für die
Zeitpunkte der Erstdiagnostik sowie der Vier-Wochen- und Sechs-Monats-Nachuntersuchung aufgeführt. Die Werte zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Nachuntersuchung gehen aufgrund geringer Stichprobengröße nicht in die Analysen mit ein.
Für die NET-Gruppe betrug der Mittelwert der Begleitsymptome M = 6,43 (SD = 3,82),
für die SIT-Gruppe M = 10,25 (SD = 8,46).
Zur Analyse von Unterschieden im Summenwert der Begleitsymptomatik zwischen der NET- und der SIT-Bedingung und zwischen den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten sowie Wechselwirkungen von Therapiebedingung und Zeitpunkt wurde ein gemischtes Modell für den Begleitsymptom-Gesamtscore über die
147
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
Tabelle 7: Begleitsymptome CAPS über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
Mittelwert
Standardabweichung
Minimum
–
Maximum
NET
11,40
6,98
2 – 24
Schuldgefühle (n = 15)
Dissoziation (n = 15)
5,27
6,13
2,99
6,26
0 – 10
0 – 18
SIT
8,92
5,68
0 –22
Schuldgefühle (n = 13)
Dissoziation (n = 12)a
3,46
5,17
3,87
3,99
0 – 12
0 – 12
NET
5,10
3,54
0 – 11
Schuldgefühle (n = 10)a
Dissoziation (n = 10)a
3,90
1,20
3,04
2,90
0–8
0–9
SIT
12,70
8,96
5 – 31
Schuldgefühle (n = 10)
Dissoziation (n = 10)
6,10
6,60
4,84
5,04
0 – 16
0 – 15
NET
7,45
6,88
0 – 23
Schuldgefühle (n = 11)a
Dissoziation (n = 12)
3,73
4,08
3,74
4,93
0 – 10
0 – 16
SIT
9,33
5,22
0 – 16
Schuldgefühle (n = 10)
Dissoziation (n = 9)a
6,30
2,33
4,74
2,78
0 – 14
0–8
Erstdiagn.
4 Wochen
6 Monate
a hier
fehlen Angaben von jeweils einem Patienten
148
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
Zeit (ohne die Ein-Jahres-Nachuntersuchung) und für beide Therapiebedingungen
berechnet. Es ergaben sich keinerlei signifikante Effekte, weder zwischen den beiden Behandlungsbedingungen (F (1; 25) = 0,154; p > .05) noch über die Zeitpunkte
hinweg (F (2; 32) = 0,789; p > .05) oder hinsichtlich der Wechselwirkung von Therapiebedingung und Zeit (F (2; 32) = 0,669; p > .05).
15
Score Begleitsymptome CAPS
12.7
11.4
9.33
8.92
NET
7.5
7.45
SIT
5.1
0
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 9: Begleitsymptome CAPS über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
Zudem wurden für die Begleitsymptom-Untergruppen „Schuldgefühle“ und
„Dissoziationssymptome“ getrennte gemischte Modelle berechnet.
Die Berechnung des Modells für die Schuldgefühle führte zu keinerlei signifikanten Effekten (Faktor „Therapiebedingung“: F (1; 26) = 0,445; p > .05; Faktor
„Zeitpunkt“: F (2; 37) = 0,271; p > .05; Interaktion „Therapiebedingung“ und „Zeitpunkt“: F (2; 37) = 0,788; p > .05). Auch für die Dissoziationssymptome ergaben sich
keine signifikanten Effekte (Faktor „Therapiebedingung“: F (1; 26) = 0,105; p > .05;
Faktor „Zeitpunkt“: F (2; 36) = 1,763; p > .05; Interaktion „Therapiebedingung“ und
„Zeitpunkt“: F (2; 36) = 2,155; p > .05).
Eine grafische Darstellung der Veränderungen im Begleitsymptom-Score in
beiden Gruppen findet sich in Abbildung 9. Für die Untergruppen „Schuldgefühle“ und „Dissoziationssymptome“ sind die Scores in Abbildung 10 dargestellt.
149
3.2
Posttraumatische Belastungsstörung
3
ERGEBNISSE
SCHULDGEFÜHLE
7
6.3
Score Schuldgefühle CAPS
6.1
5.27
NET
3.9
3.5
3.73
3.46
SIT
0
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
DISSOZIATIONSSYMPTOME
Score Dissoziationssymptome CAPS
7
6.6
6.13
5.17
NET
4.08
3.5
SIT
2.33
1.2
0
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 10: Schuldgefühle und Dissoziationssymptome CAPS über die Zeit in beiden
Gruppen
150
3.3
Affektive Störungen
3.3
Affektive Störungen
3
ERGEBNISSE
In diesem Kapitel werden die Befunde hinsichtlich affektiver Störungen angeführt.
Weitere psychische Störungen, die ebenfalls in der Stichprobe auftraten, sind unter
„3.5 Weitere komorbide Störungen“ abgehandelt. Ein grafischer Gesamtüberblick
über alle Störungen, die komorbid zur PTSD auftraten, findet sich in den Abbildungen 15 und 16.
Häufigkeit Depressions-Diagnose
100
85%
78%
73%
NET
60
56%
SIT
20
Erstdiagnostik
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 11: Häufigkeit Depressionsdiagnose über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
3.3.1
Häufigkeit von Depression, Dysthymia und manischer Störung
Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung wiesen 82 % der Patienten in der Gesamtstichprobe (N = 28) nach dem Fragebogen M.I.N.I. eine komorbide depressive Störung auf. Alle übrigen Patienten erfüllten die diagnostischen Kriterien für eine dysthyme Störung. Also litten zu Beginn der Studie alle Teilnehmer an einer affektiven
Störung. Keiner der Patienten berichtete zu irgendeinem Untersuchungszeitpunkt
von manischen Symptomen aktuell oder in der Vergangenheit. Schließt man diejenigen Patienten aus, die später die laufende Therapie abbrachen, findet sich eine
Rate komorbider Depression von 78 % und eine Dysthymia-Rate von 22 % (n = 23).
151
3.3
Affektive Störungen
3
ERGEBNISSE
Zum Zeitpunkt der Sechs-Monats-Nachuntersuchung betrug die Depressionsrate
für diejenigen, die die Therapie bis zum Ende durchgeführt hatten, noch 65 %, keiner der Patienten wies die Diagnose einer Dysthymia auf (n = 22).
Betrachtet man die Depressions- und Dysthymia-Rate nach Behandlungsgruppen getrennt, zeigt sich folgendes Bild (für depressive Störung siehe Abbildung
11): In der NET-Gruppe wiesen 82 % vor der Therapie eine Depression auf, die
Dysthymia-Rate vor der Behandlung betrug demnach 18 % (n = 15). Zur SechsMonats-Nachuntersuchung litten in der NET-Gruppe noch 73 % an einer Depression (n = 12). In der SIT-Gruppe waren vor der Behandlung 78 % depressiv (also
hatten zu diesem Zeitpunkt 22 % eine dysthyme Störung; n = 13), sechs Monate
nach Therapieende wiesen noch 56 % eine depressive Störung auf (n = 10).
Die Depressions- und Dysthymia-Raten in der NET- und der SIT-Gruppe unterschieden sich zu keinem Zeitpunkt signifikant. Für die Erstdiagnostik galt das
unabhängig von Einbeziehung oder Ausschluss der späteren Therapieabbrecher
(Exakter Test nach Fisher: p > .05).
Die Reduktion der Häufigkeit der Diagnosen einer Depression oder Dysthymia war weder für die Gesamtgruppe noch innerhalb der beiden Behandlungsgruppen signifikant (Exakter Test nach Fisher: p > .05).
Alle vier Probanden, die zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung die Kriterien
einer PTSD nicht mehr erfüllten, hatten zu Beginn die Diagnose einer komorbiden
depressiven Episode erhalten. Drei von ihnen wiesen zum Zeitpunkt sechs Monate
nach der Therapie keine Depression mehr auf.
3.3.2
Veränderung des Symptom-Scores in der HAM-D
Die Mittelwerte, Standardabweichungen sowie die Minimal- und Maximalwerte
im Fragebogen HAM-D sind für beide Therapiegruppen zu den Zeitpunkten vor
der Therapie, vier Wochen sowie sechs Monate nach Therapieende in Tabelle 8
angegeben. Für den Zeitpunkt ein Jahr nach Therapieende werden die Werte gesondert aufgeführt, da sie aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht in die
Analysen mit aufgenommen werden. Zu diesem Untersuchungszeitpunkt betrug
der mittlere HAM-D-Score in der NET-Gruppe M = 22,29 (SD = 10,52) und in der
SIT-Gruppe M = 20 (SD = 13,29).
Zur Betrachtung möglicher Unterschiede im HAM-D-Summenscore zwischen
der NET- und der SIT-Bedingung und zwischen den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten sowie Wechselwirkungen von Therapiebedingung und Zeitpunkt wur-
152
3.3
Affektive Störungen
3
ERGEBNISSE
Tabelle 8: HAM-D-Scores über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
Erstdiagn.
(n = 27)a
4 Wochen
(n = 20) a
6 Monate
(n = 22)
Mittelwert
Standardabweichung
Minimum –
Maximum
NET (n = 14)a
29,64
6,73
11 – 38
SIT (n = 13)
26,54
8,59
10 – 38
NET (n = 10)a
24,70
8,13
12 – 36
SIT (n = 10)
28,10
9,93
13 – 42
NET (n = 12)
20,25
7,52
7 – 30
SIT (n = 10)
25,60
10,21
6 – 38
a hier
fehlen Angaben von jeweils einem Patienten
36
29.64
28.1
Gesamtscore HAM-D
26.54
25.6
24.7
20.25
18
NET
SIT
0
Erstdiagnostik
4 Wochen
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 12: HAM-D-Scores über die Zeit in beiden Behandlungsgruppen
153
3.3
Affektive Störungen
3
ERGEBNISSE
de ein gemischtes Modell für den HAM-D-Score über die Zeit (ohne die Ein-JahresNachuntersuchung) und für beide Therapiebedingungen berechnet.
Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Symptomwerten
in der NET- und SIT-Bedingung (F (1; 25) = 0,707; p > .05). Für den Faktor „Zeitpunkt“ erreichte der Effekt ebenfalls keine Signifikanz mit einem p-Wert von .08
(F (2; 38) = 2,506; p > .05). Auch die Wechselwirkung von Therapiebedingung und
Zeit war nicht signifikant (F (2; 39) = 1,962; p > .05). Um die Annahme zu überprüfen, dass die Depressivität in der SIT-Gruppe signifikant verringert werden würde, wurden geplante Kontraste für Effekte zwischen der Erstdiagnostik und sowohl der Vier-Wochen- als auch der Sechs-Monats-Nachuntersuchung in der SITGruppe berechnet. Es zeigte sich kein signifikanter Effekt (Erstdiagnostik – 4 WoTabelle 9: Suizidrisiko nach M.I.N.I.
Erstdiagnostik
Gesamtstichprobe
% von N = 28
(NET n, SIT n)
Erstdiagnostik
ohne
Therapieabbrecher
% von n = 23
6-MonatsNachuntersuchung
% von n = 20a
(NET n, SIT n)
(NET n, SIT n)
kein Risiko
geringes Risiko
mittleres Risiko
hohes Risiko
10,7 % (3)
13,0 % (3)
20 % (4)
(NET 1, SIT 2)
(NET 1, SIT 2)
(NET 3, SIT 1)
28,6 % (8)
30,4 % (7)
40 % (8)
(NET 3, SIT 5)
(NET 3, SIT 4)
(NET 3, SIT 4)
21,4 % (6)
17,4 % (4)
35 % (7)
(NET 4, SIT 2)
(NET 3, SIT 1)
(NET 1, SIT 2)
39,3 % (11)
39,1 % (9)
5 % (1)
(NET 7, SIT 4)
(NET 5, SIT 4)
(NET 1, SIT 0)
a hier fehlen Angaben von zwei Patienten (ein NET-, ein SIT-Patient), bei denen zu
diesem Zeitpunkt lediglich CAPS und HAM-D durchgeführt wurden
chen: F (1; 38) = 0,287; p > .05; Erstdiagnostik – 6 Monate: F (1; 38) = 0,073; p > .05).
Die Effektstärke für die Veränderung zwischen Erstdiagnostik und Vier-Wochen-
154
3.3
Affektive Störungen
3
ERGEBNISSE
Nachuntersuchung betrug d = -0,17, zwischen Erstdiagnostik und Sechs-MonatsNachuntersuchung d = 0,10.
Eine grafische Darstellung der Veränderungen im HAM-D-Score in beiden
Gruppen findet sich in Abbildung 12.
3.3.3
Suizidalität
Die Einschätzung des Suizidrisikos der Probanden wurde nach der Einstufung des
Fragebogens M.I.N.I. vorgenommen (siehe Tabelle 9). In dieser standardisierten
Weise wurde die Suizidalität vor der Behandlung und sechs Monate nach der Behandlung erfasst.
Beim Vergleich der beiden Therapiebedingungen zeigten sich unabhängig vom
Ein- oder Ausschluss derjenigen Probanden, die die laufenden Therapien abgebrochen hatten, jeweils keine Unterschiede hinsichtlich der Höhe des Suizidrisikos zu
den beiden Zeitpunkten (Exakter Test nach Fisher: p > .05).
In der Gesamtstichprobe veränderte sich die Variable „hohes Suizidrisiko“
zwischen den Zeitpunkten signifikant (Exakter Test nach Fisher: p < .01). Für die
anderen Stufen des Suizidrisikos zeigte sich in der Gesamtgruppe keine signifikante Veränderung über die Zeit hinweg. Diese Befunde traten unabhängig davon auf,
ob die Therapieabbrecher in die Analysen einbezogen wurden oder nicht.
Bei getrennter Betrachtung der beiden Therapiebedingungen ohne Ausschluss
der Abbrecher ergab sich in der NET-Gruppe für die Variable „hohes Suizidrisiko“ eine signifikante Veränderung zwischen Erstdiagnostik und Sechs-MonatsNachuntersuchung (Exakter Test nach Fisher: p < .05). In der SIT-Gruppe zeigte
sich diesbezüglich ein Trend (Exakter Test nach Fisher: p = .09). Bezüglich der weiteren Stufen des Suizidrisikos lagen innerhalb der beiden Therapiegruppen jeweils
keine signifikanten Veränderungen vor (Exakter Test nach Fisher: p > .05).
Wurden die Therapieabbrecher ausgeschlossen, zeigte sich sowohl innerhalb
der NET- als auch der SIT-Gruppe ein Trend bezüglich der Auftretenshäufigkeit
von hohem Suizidrisiko (Exakter Test nach Fisher; NET: p = .09; SIT: p = .07). Es brachen zwei Patientinnen in der NET-Bedingung die Behandlung nach einer bzw. zwei
Sitzungen aufgrund hoher und akuter Suizidalität ab.
Eine grafische Darstellung der Veränderungen in der Rate hohen Suizidrisikos
findet sich in Abbildung 13.
155
3.3
Affektive Störungen
3
ERGEBNISSE
% Probanden mit hohem Suizidrisiko
Hohes Suizidrisiko Gesamtstichprobe
60
39%
Gesamte
Gruppe
30
0
5%
Erstdiagnostik
6 Monate
% Probanden mit hohem Suizidrisiko
Untersuchungszeitpunkt
Hohes Suizidrisiko NET - SIT (inkl.
Abbrecher)
60
47%
NET
30
31%
SIT
9%
0
Erstdiagnostik
6 Monate
% Probanden mit hohem Suizidrisiko
Untersuchungszeitpunkt
Hohes Suizidrisiko NET - SIT (ohne
Abbrecher)
60
42%
30
NET
36%
SIT
9%
0
Erstdiagnostik
6 Monate
Untersuchungszeitpunkt
Abbildung 13: Rate hohen Suizidrisikos zur Erstdiagnostik und der Sechs-MonatsNachuntersuchung (beachte: Zum zweiten Zeitpunkt fehlen Angaben von je einem Patienten aus der NET- und der SIT-Gruppe)
156
3.4
Zusammenhang PTSD und Depressivität
3
ERGEBNISSE
3.4
Zusammenhang zwischen posttraumatischer Belastungsstörung und
Depressivität
In Tabelle 10 werden die Zusammenhänge zwischen dem Schweregrad der PTSD
und demjenigen der Depressivität zu den einzelnen Untersuchungszeitpunkten
für die Gesamtstichprobe sowie getrennt für die beiden Behandlungsgruppen aufgeführt. Da die Normalverteilung der jeweiligen Summenwerte zu jedem Zeitpunkt und über die beiden Therapiegruppen hinweg gegeben ist, werden ProduktMoment-Korrelationen nach Pearson (r) angegeben.
In Abbildung 14 werden die Zusammenhänge zwischen den CAPS- und HAMD-Scores für die Gesamtstichprobe zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt grafisch dargestellt.
Betrachtet man den Zusammenhang zwischen den Veränderungsscores in der
CAPS und der HAM-D zwischen der Erstdiagnostik und der Sechs-Monats-Nachuntersuchung für die 22 Patienten von denen zu beiden Zeitpunkten Daten vorliegen, so findet sich für die Gesamtstichprobe ein Pearson-Korrelationskoeffizient
von r = .71; p < .01. In der NET-Gruppe zeigt sich ein Korrelationskoeffizient von
r = .70; p < .05 (n = 12), in der SIT-Gruppe von r = .67, p < .05 (n = 10).
Tabelle 10: Korrelationen CAPS- und HAM-D-Scores
Erstdiagn.
4 Wochen
6 Monate
1 Jahr
Gesamtstichprobe
NET-Gruppe
SIT-Gruppe
r = .64**
r = .59*
r = .69**
(n = 27)
(n = 14)
(n = 13)
r = .80**
r = .80**
r = .84**
(n = 20)
(n = 10)
(n = 10)
r = .72**
r = .52, n. s.
r = .80**
(n = 22)
(n = 11)
(n = 9)
r = .92**
–
–
(n = 11)
* p < .05
** p < .01
157
3.5
Weitere komorbide Störungen
3
3.5
Weitere komorbide Störungen
ERGEBNISSE
Es wurden mithilfe des M.I.N.I. folgende weitere Störungen neben PTSD und den
affektiven Störungen, die bereits unter „3.3 Affektive Störungen“ angeführt wurden, erhoben: Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, Agoraphobie ohne vorherige Panikstörung, soziale Phobie, Zwangsstörung, Alkohol- und sonstiger Substanzmissbrauch, psychotische Störung aktuell oder in der Vorgeschichte, Anorexia Nervosa, Bulimia Nervosa und generalisierte Angststörung. Die Raten dieser
Störungsbilder zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik sowie zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung sind in Tabelle 11 aufgeführt. Ein grafischer Gesamtüberblick über
alle Krankheitsbilder inklusive affektiver Störungen, die in der Stichprobe komorbid zur PTSD auftraten, findet sich in den Abbildungen 15 und 16.
Erstdiagnostik (n = 27)
4-Wochen-Nachuntersuchung (n = 20)
50
Schweregrad HAM-D
Schweregrad HAM-D
50
25
0
0
60
25
0
120
0
Schweregrad CAPS
6-Monats-Nachuntersuchung (n = 22)
50
Schweregrad HAM-D
Schweregrad HAM-D
120
1-Jahres-Nachuntersuchung (n = 11)
50
25
0
60
Schweregrad CAPS
0
60
25
0
120
Schweregrad CAPS
0
60
120
Schweregrad CAPS
Abbildung 14: Zusammenhang CAPS- und HAM-D-Scores Gesamtstichprobe
3.5.1
Weitere psychische Störungen zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung
In der Gesamtstichprobe wiesen vor der Behandlung insgesamt 53,6 % der Probanden zusätzlich zur PTSD und der affektiven Störung mindestens eine weitere
158
3.5
Weitere komorbide Störungen
3
ERGEBNISSE
psychische Störung auf. Von diesen Probanden litten wiederum 53,3 % an einer zusätzlichen Störung, 46,7 % an zwei weiteren Störungen9 .
Betrachtet man beide Therapiegruppen getrennt, zeigt sich folgendes Bild: In
der SIT-Gruppe wiesen 46,2 % zusätzlich zur PTSD und der affektiven Störung weitere komorbide Störungen auf. Davon litt je die Hälfte unter einer bzw. zwei zusätzlichen psychischen Störungen. In der NET-Gruppe litten insgesamt 60 % an mindestens einer weiteren komorbiden Störung neben PTSD und affektiver Störung.
Davon wiesen wiederum 55,5 % der Probanden eine und 44,5 % zwei zusätzliche
psychische Störungsbilder auf.
Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der NET- und der
SIT-Gruppe hinsichtlich der Anzahl weiterer komorbider Störungen (Exakter Test
nach Fisher: p > .05).
3.5.2
Weitere psychische Störungen zum Zeitpunkt der Sechs-Monats-Nachuntersuchung
Sechs Monate nach Therapieende wiesen in der Gesamtstichprobe (n = 16) 10 25 %
eine weitere psychische Störung zusätzlich zu einer PTSD oder affektiven Störung
auf. Keiner der Probanden litt unter mehreren komorbiden Störungen. Eine Übersicht über die Auftretenshäufigkeit der Störungsbilder findet sich in Tabelle 11.
In den beiden Behandlungsgruppen zeigte sich folgendes Bild: Von den Patienten in der SIT-Gruppe (n = 7) zeigten noch 28,6 % (n = 2), in der NET-Gruppe
(n = 9) noch 22,2 % (n = 2) eine weitere psychische Störung über PTSD und affektive Störungen hinaus. Bei diesen vier Patienten lag zu diesem Zeitpunkt sowohl eine PTSD als auch eine Major Depression vor. Daher geben die Daten die
tatsächliche Rate von Komorbidität (i. S. v. gleichzeitigem Vorhandensein mehrerer psychischer Störungen) mit PTSD wieder. Einer dieser Patienten aus der SITGruppe hatte zu Beginn unter einer Dysthymia gelitten und erhielt zur SechsMonats-Nachuntersuchung aber die Diagnose einer Major Depression. Die übrigen drei hatten auch bereits zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung unter einer Major Depression gelitten. Bei einem der genannten Patienten wurde sechs Monate
nach Ende der Therapie die Diagnose einer sozialen Phobie gestellt, die er zu Beginn noch nicht erhalten hatte. Die übrigen drei Patienten hatten zum Zeitpunkt
9 Es fehlen von zwei Patienten folgende Informationen: Bei einer Patientin aus der NET-Gruppe
fehlt die Angabe zu Bulimia Nervosa, bei einem Patienten aus der SIT-Gruppe die Angabe zu sozialer
Phobie (siehe auch Tabelle 11 auf Seite 160).
10 eigentlich n =22, jedoch lagen bei vier Patienten nur lückenhafte und von zweien überhaupt keine
Angaben zu komorbiden Störungen vor; die Werte dieser Patienten werden daher für die Analysen
nicht berücksichtigt.
159
3.5
Weitere komorbide Störungen
3
ERGEBNISSE
Tabelle 11: Störungen komorbid zur PTSD (ohne affektive Störungen)
Erst-Diagnostik
Gesamtstichprobe
% von N = 28
Panikstörung
ohne Agoraphobie
Panikstörung
mit Agoraphobie
Agoraphobie ohne
vorher. Panikstörung
Soziale Phobie
Zwangsstörung
Alkoholmissbrauch
Substanzmissbrauch
Erst-Diagnostik
ohne Therapie-
6-MonatsNachunter-
abbrecher
suchung
% von n = 23
% von n = 16b
7,1 % (2)
8,7 % (2)
6,3 % (1)
(NET 0, SIT 2)
(NET 0, SIT 2)
(NET 0, SIT 1)
21,4 % (6)
21,7 % (5)
6,3 % (1)
(NET 4, SIT 2)
(NET 3, SIT 2)
(NET 0, SIT 1)
3,6 % (1)
4,3 % (1)
–
(NET 1, SIT 0)
(NET 1, SIT 0)
7,4 % (2)a
9,1 % (2)a
6,3 % (1)
(NET 1, SIT 1)
(NET 1, SIT 1)
(NET 1, SIT 0)
10,7 % (3)
8,7 % (2)
–
(NET 2, SIT 1)
(NET 1, SIT 1)
7,1 % (2)
8,7 % (2)
6,3 % (1)
(NET 1, SIT 1)
(NET 1, SIT 1)
(NET 0, SIT 1)
–
3,6 % (1)
4,3 % (1)
(NET 0, SIT 1)
(NET 0, SIT 1)
3,6 % (1)
4,3 % (1)
(NET 0, SIT 1)
(NET 0, SIT 1)
Psychotische Störung
3,6 % (1)
4,3 % (1)
6,3 % (1)
in der Vorgeschichte
(NET 1, SIT 0)
(NET 1, SIT 0)
(NET 0, SIT 1)
Anorexia Nervosa
–
–
–
Bulimia Nervosa
–a
–a
–
–
Psychotische Störung
aktuell
Generalisierte
3,6 % (1)
4,3 % (1)
Angststörung
(NET 1, SIT 0)
(NET 1, SIT 0)
–
a hier fehlten Angaben von je einem Patienten aus der NET- und SIT-Gruppe; es werden die validen
Prozentwerte angegeben
b bei
vier Probanden sind die Angaben zu komorbiden Störungen lückenhaft und werden deshalb
hier nicht berücksichtigt, bei zwei weiteren Patienten wurde wie oben angeführt lediglich eine verkürzte Interviewform ohne Erhebung komorbider Störungen durchgeführt
160
3.5
Weitere komorbide Störungen
3
ERGEBNISSE
Komorbidität Erstdiagnostik (N = 28)
% Störung komorbid zur PTSD
100
82%
50
21.4%
18%
7.1%
0
3.6%
DEPR. DYSTH. PAN.
PAN. AG. O.
O. AG. M. AG. PAN.
7.4%
10.7%
SOZ. ZWANG
PH.
7.1%
ALK.
3.6% 3.6% 3.6% 3.6%
SUBST. PSY.
AKT.
PSY.
VORG.
GEN.
AN.
Komorbide Störungen
Komorbidität Erstdiagnostik ohne Abbrecher (n = 23)
% Störung komorbid zur PTSD
100
78%
50
22%
21.7%
9.1% 8.7% 8.7%
8.7%
4.3%
0
DEPR. DYSTH. PAN.
PAN. AG. O.
O. AG. M. AG. PAN.
4.3% 4.3% 4.3% 4.3%
SOZ. ZWANG
PH.
ALK.
SUBST. PSY.
AKT.
PSY.
VORG.
GEN.
AN.
Komorbide Störungen
DEPR.
=
Major Depression
DYSTH.
=
Dysthymia
PAN. O. AG.
=
Panikstörung ohne Agoraphobie
PAN. M. AG.
=
Panikstörung mit Agoraphobie
AG. O. PAN.
=
Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte
SOZ. PH.
=
Soziale Phobie
ZWANG
=
Zwangsstörung
ALK.
=
Alkoholmissbrauch
SUBST.
=
Substanzmissbrauch
PSY. AKT.
=
Psychotische Störung aktuell
PSY. VOR.
=
Psychotische Störung in der Vorgeschichte
GEN. AN.
=
Generalisierte Angststörung
Abbildung 15: Raten von Störungen komorbid zur PTSD (Erstdiagnostik)
161
Weitere komorbide Störungen
3
ERGEBNISSE
Komorbidität 6-Monats-Nachuntersuchung (n = 16)
100
% Störung komorbid zur PTSD
3.5
65%
50
6.3%
0
DEPR.
PAN. O.
AG.
6.3%
6.3%
PAN. M. SOZ. PH.
AG.
6.3%
6.3%
ALK.
PSY.
VORG.
Komorbide Störungen
DEPR.
=
Major Depression
PAN. O. AG.
=
Panikstörung ohne Agoraphobie
PAN. M. AG.
=
Panikstörung mit Agoraphobie
SOZ. PH.
=
Soziale Phobie
ALK.
=
Alkoholmissbrauch
PSY. VOR.
=
Psychotische Störung in der Vorgeschichte
Abbildung 16: Raten von Störungen komorbid zur PTSD (6-Monats-Nachunters.)
162
3.6
Therapieabbrecher
3
ERGEBNISSE
der Erstdiagnostik bereits dieselben Diagnosen erhalten wie bei der Sechs-MonatsNachuntersuchung.
Es lag auch zum Zeitpunkt sechs Monate nach Therapieende kein signifikanter
Unterschied zwischen der NET- und SIT-Gruppe hinsichtlich der Anzahl weiterer
komorbider Störungen vor (Exakter Test nach Fisher: p > .05).
Diese Reduktion der Anzahl weiterer komorbider Störungen zwischen der
Erstdiagnostik und der Sechs-Monats-Nachuntersuchung ist weder für die Gesamtstichprobe noch innerhalb der beiden Behandlungsbedingungen signifikant (Exakter Test nach Fisher: p > .05).
3.6
Therapieabbrecher
Die fünf Probanden, die die laufenden Behandlungen abgebrochen hatten, unterschieden sich hinsichtlich des Schweregrades ihrer PTSD- und Depressivitätssymptomatik vor der Therapie nicht signifikant von den übrigen Teilnehmern ihrer
jeweiligen Therapiebedingung. Auch bezüglich der Anzahl komorbider Störungen
und der Ausprägung der Suizidalität ergaben sich keine signifikanten Unterschiede (jeweils U-Test nach Mann und Whitney: p > .05).
163
4
4
DISKUSSION
Diskussion
Es wurde eine randomisierte kontrollierte Vergleichsstudie zweier Therapieverfahren zur Behandlung von PTSD nach organisierter Gewalt durchgeführt. Die Stichprobe umfasste größtenteils Asylbewerber, die aufgrund von Gewalterlebnissen
aus ihren Herkunftsländern geflüchtet waren. Sie erhielten entweder eine Behandlung mittels „Narrativer Expositionstherapie“ (NET) oder mit „Stress-ImpfungsTraining“ (SIT). Standardisierte diagnostische Interviews wurden vor der Behandlung sowie vier Wochen, sechs Monate und ein Jahr nach Therapieende durchgeführt. Es interessierte vor allem die Auswirkung beider Behandlungen auf die
PTSD-Symptomatik inklusive der Funktionsbeeinträchtigung sowie Begleitsymptomen (Schuldgefühle und Dissoziationssymptome). Zusätzlich wurden Behandlungseinflüsse auf affektive sowie weitere komorbide Störungen und das Ausmaß
der Depressivität erhoben.
4.1
Zusammenhänge verschiedener Faktoren mit dem PTSD- und dem
Depressivitäts-Schweregrad
4.1.1
Zusammenhänge verschiedener Faktoren mit dem CAPS-Score
Es wurde erwartet, dass eine größere Anzahl verschiedener traumatischer Erlebnisse mit stärkerer PTSD-Symptomatik einhergehen würde. Dies zeigte sich in der
untersuchten Stichprobe nicht. Dieser Befund ist jedoch dadurch erklärbar, dass alle Probanden an einer PTSD litten und die Varianz der Anzahl erlebter Traumata
gering war. Die Untersuchungen, in denen der sogenannte Dosis-Effekt gefunden
worden war, waren Prävalenzstudien, in denen auch Personen ohne PTSD eingeschlossen waren (Neuner et al., 2004a; Eytan et al., 2004).
Zudem war der Zusammenhang zwischen der PTSD-Symptomatik und einem
sicheren oder unsicheren Asylstatus von Interesse. Hier zeigte sich weder zum
Zeitpunkt der Erstdiagnostik noch sechs Monate nach Therapieende ein Zusammenhang. Die Studienergebnisse machen jedoch deutlich, dass eine Expositionsbehandlung trotz eines unsicheren Aufenthaltsstatus’ zu einem signifikanten Rückgang der PTSD-Symptomatik führen kann. Auch Drozdek (1997) weist darauf hin,
dass in einer unsicheren Lebenssituation der Rahmen einer Therapie Sicherheit vermitteln kann, und dass eine Behandlung erfolgreich verlaufen kann, auch wenn das
Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Es wurde darüber hinaus explorativ betrachtet, inwieweit der PTSD-Schweregrad in der CAPS zum ersten Untersuchungszeitpunkt mit folgenden Faktoren in
165
4.1
Zusammenhang versch. Faktoren mit PTSD und Depressivität
4 DISKUSSION
Zusammenhang stand: Alter, Geschlecht, Bildung, Jahre in Deutschland, Erwerbstätigkeit, Partnerschaft, Kinder, frühere psychische Erkrankung, externe Psychotherapie und Anzahl verschiedener Medikamententypen. Es zeigte sich lediglich
ein schwacher negativer Zusammenhang zwischen dem Gesamtscore in der CAPS
zur Erstdiagnostik und dem Faktor „Kinder ja / nein“ (rs = -.47; p < .05). Möglicherweise schützen die Verantwortung für die Kinder und die emotionale Bindung im
Sinne positiver sozialer Unterstützung vor der Entwicklung einer extremen PTSDSymptomatik. Andererseits ist auch denkbar, dass bei Patienten mit ausgeprägterer PTSD-Symptomatik die Wahrscheinlichkeit einer Familiengründung z. B. aufgrund von Hoffnungslosigkeit gegenüber der Zukunft, Funktionsbeeinträchtigungen oder emotionaler Taubheit geringer ist als bei weniger schwer Erkrankten. Um
diese Zusammenhänge genauer zu erklären, müsste betrachtet werden, ob die Probanden bereits vor ihren Gewalterfahrungen Kinder hatten oder diese erst später
bekamen. Das Alter der Kinder ist jedoch in der hier beschriebenen Studie nicht
erhoben worden. Ebenso wenig wurden die Probanden systematisch nach ihrer
Zukunftsplanung z. B. hinsichtlich familiärer Themen oder diesbezüglicher Veränderungen in Folge der Therapie befragt.
Der fehlende Zusammenhang zwischen PTSD-Symptomatik und externer Psychotherapie zusätzlich zur Teilnahme an der Studie findet sich auch bei Blanchard
et al. (2004): In deren Studie brachte eine zusätzliche Behandlung – in diesem Fall
im Anschluss an die Teilnahme an einer Therapiestudie – keine weitere Symptomreduktion hinsichtlich des CAPS-Scores mit sich. Auch Lehmann (2007) fand keinen positiven Einfluss von ambulanter Psychotherapie auf die PTSD-Symptomatik
von Asylbewerbern in Deutschland. Gotthardt (2007) stellte in einer Untersuchung
zur Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern in Deutschland fest, dass sich etwa 75 % der untersuchten Personen in ambulanter Psychotherapie befanden. Dennoch wies die Stichprobe eine PTSD-Rate von 86,5 % und eine Depressionsrate von
65 % auf. Gotthardt (2007) warf angesichts dieser Befunde die Frage auf, ob gerade eine PTSD möglicherweise häufig nicht korrekt diagnostiziert wird (siehe auch
Munro et al., 2004, „1.4.4 Besonderheiten bei Asylbewerbern und Flüchtlingen“),
oder ob keine geeigneten Behandlungsmethoden zum Einsatz kamen.
Generell ist in der hier beschriebenen Studie jedoch auch denkbar, dass kaum
Zusammenhänge zwischen dem PTSD-Schweregrad und anderen Faktoren gefunden wurde, weil die untersuchte Stichprobe insgesamt eine relativ hohe und homogene Symptomatik aufwies. In einer Studie mit Probanden, deren CAPS-Scores
stärker variieren, ließen sich möglicherweise deutlichere Befunde über entsprechende Zusammenhänge aufzeigen.
166
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4.1.2
4
DISKUSSION
Zusammenhang verschiedener Faktoren mit dem HAM-D-Score
Es wurde explorativ untersucht, inwieweit Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß der Depressivität und folgenden Faktoren bestanden: Anzahl traumatischer
Erlebnisse, Alter, Geschlecht, Bildung, Jahre in Deutschland, Erwerbstätigkeit, Partnerschaft, Kinder, frühere psychische Erkrankung, externe Psychotherapie und Anzahl verschiedener Medikamententypen. Es wurden keinerlei signifikante Zusammenhänge gefunden.
Es ist zu vermuten, dass sich in der hier untersuchten Stichprobe – ebenso wie
für die PTSD-Symptomatik im vorigen Abschnitt beschrieben – aufgrund der allgemein hohen und homogenen Belastung hinsichtlich der depressiven Symptomatik
keine Zusammenhänge zeigten. Eine Untersuchung mit Patienten, deren Depressivitätsgrade stärker streuen, wäre hier möglicherweise aussagekräftiger.
4.2
4.2.1
Posttraumatische Belastungsstörung
Häufigkeit der Diagnose
Bezüglich der Häufigkeit der PTSD-Diagnose wurde erwartet, dass es nach der Behandlung nicht zu einem vollständigen Rückgang kommen würde. Dies zeigte sich
entsprechend der Annahme in der hier beschriebenen Studie: Zum Untersuchungszeitpunkt vier Wochen nach der Therapie wiesen noch 82 % der NET-Patienten und
nach wie vor 100 % der SIT-Patienten eine PTSD-Diagnose auf (n = 21, ohne die
Therapieabbrecher und diejenigen, bei denen aus anderen Gründen keine Nachuntersuchung durchgeführt werden konnte). Sechs Monate nach Therapieende waren
es noch 83 % in der NET- und 80 % in der SIT-Gruppe (n = 22), ein Jahr danach 54 %
(n = 11). Die Reduktion der PTSD-Häufigkeit war damit stärker als bei Gotthardt
(2007) in einer vergleichbaren Stichprobe zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung –
es wiesen dort über die Behandlungsbedingungen hinweg noch 94 % eine PTSD
auf. Zur Zwei-Jahres-Nachuntersuchung waren es jedoch ebenfalls etwa 80 % (Prozentangaben beziehen sich auf die jeweilige untersuchte Gruppe ohne Abbrecher).
In einer Studie von Drozdek (1997) mit bosnischen Flüchtlingen erfüllte hingegen
ein deutlich größerer Anteil zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung die Kriterien einer PTSD nicht mehr: Lediglich 27 % litten zu diesem Zeitpunkt noch unter einer
PTSD, jedoch stieg die PTSD-Rate im Laufe der nächsten drei Jahre wiederum auf
83 % an. In anderen randomisierten kontrollierten Studien mit Expositionstherapie
bei Flüchtlingen zeigten sich bereits unmittelbar nach der Behandlung ein Rückgang der PTSD-Rate auf etwa 50 %, diese blieb zu späteren Nachuntersuchungszeitpunkten stabil (Hinton et al., 2005; Paunovic & Öst, 2001).
167
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
In der hier beschriebenen Studie ist für die Gesamtstichprobe der Rückgang
der PTSD-Häufigkeit signifikant, zur Ein-Jahres-Nachuntersuchung sogar hochsignifikant. D. h. die Probanden profitierten insgesamt von der Behandlung. Jedoch
lässt sich die Reduktion der Diagnosehäufigkeit nicht einer der beiden spezifischen
Behandlungsformen zuordnen. Dies ist aus Befunden anderer Studien zur PTSDTherapie erklärbar, die besagen, dass irgendeine Form von Behandlung effektiver
ist als keine Behandlung (z. B. Keane et al., 1989; Brom et al., 1989; Resick et al.,
2002; Foa et al., 1991, 1999 & 2005; Ruf et al., 2007; Ehlers et al., 2005; Blanchard
et al., 2003). Der signifikante Rückgang der PTSD-Rate über beide Therapiebedingungen hinweg trat erst zur Sechs-Monats-Nachuntersuchung auf. In weiteren
NET-Studien wurde meist ein verzögerter Therapieerfolg berichtet, dort allerdings
auf die Symptomschwere, nicht auf die PTSD-Rate bezogen. Zudem trat diese verzögerte Symptomreduktion in jenen Studien spezifisch für NET und nicht für die
jeweilige Gesamtgruppe auf (Neuner et al., 2004b; Onyut et al., 2005; Schaal, 2006).
Entgegen dieser Befunde führten verschiedene Expositionsverfahren bei Flüchtlingen in anderen Studien zu unmittelbaren Effekten (Paunovic & Öst, 2001 – auch
dort bezogen auf den Schweregrad; Hinton et al., 2005: Rückgang der PTSD-Rate
auf 40 %). Für das SIT zeigte sich bei Foa et al. (1991) ein unmittelbarer, signifikanter
Rückgang der PTSD-Rate auf 50 %, zur Nachuntersuchung nach etwa drei Monaten
waren es 45 %. In einer weiteren Studie kam es zu einer ebenfalls unmittelbar nach
der Behandlung auftretenden Reduktion auf 58 % in einer Intent-to-treat-Analyse
und auf 42 % bei Probandinnen, die die Therapie zuende brachten (Foa et al., 1999).
Dies steht im Gegensatz zu den hier dargestellten Befunden, in denen es zu keinem
Zeitpunkt zu einer signifkanten Reduktion der PTSD-Häufigkeit in der SIT-Gruppe
kam. Es handelte sich in den Studien von Foa et al. (1991) und Foa et al. (1999) jedoch im Vergleich zur hier untersuchten Stichprobe jeweils um mutmaßlich geringer belastete Personen (siehe auch „4.2.2 Veränderungen des Symptom-Scores im
Fragebogen CAPS“).
Es ist zu beachten, dass die Betrachtung der Häufigkeit der Diagnose zur Beurteilung des Therapieerfolgs weniger aussagekräftig ist als die Analyse von Veränderungen in den Symptom-Scores: Probanden mit einem hohen Ausgangswert
können durchaus eine signifikante Reduktion ihrer Symptomatik erreichen, dabei
aber gleichzeitig noch einen Grad von Symptomhäufigkeit und -schwere aufweisen, mit dem die Kriterien für eine PTSD erfüllt bleiben.
In der hier beschriebenen Studie war dies der Fall: Die immer noch hohe PTSDRate in der hier untersuchten Stichprobe hängt mit den hohen Ausgangswerten im
Fragebogen CAPS zusammen (M = 91,21, SD = 15,44; Minimum 52, Maximum 117;
168
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
maximal möglicher Wert ist 136), siehe auch nächster Abschnitt, „4.2.2 Veränderung des Symptom-Scores im Fragebogen CAPS“. In Stichproben von Flüchtlingen
in westlichen Ländern sind CAPS-Summenwerte in dieser Höhe keine Seltenheit,
es finden sich Mittelwerte von 75 bis 98 (Paunovic & Öst, 2001; Gotthardt, 2007;
Hinton et al., 2005). Im Vergleich dazu wiesen Überlebende von Ziviltraumata,
z. B. Verkehrsunfällen, mittlere CAPS-Summenwerte von 64 bis 74 auf (Hickling
& Blanchard, 1997; Blanchard et al., 2004; Resick et al., 2002; Bryant et al., 2003).
4.2.2
Veränderung des Symptom-Scores im Fragebogen CAPS
Im vorherigen Abschnitt wurde die Veränderung der PTSD-Auftretenshäufigkeit
diskutiert. Im Folgenden wird hingegen auf die Veränderung des PTSD-Schweregrades eingegangen. Es wurde angenommen, dass sowohl NET als auch SIT zu
einer signifikanten Reduktion der PTSD-Symptomatik führen würden. Eine signifikante Symptomverringerung zeigte sich im Verlauf der Studie sowohl für die Gesamtstichprobe als auch für die NET-Bedingung, entgegen der Erwartungen jedoch
nicht für die SIT-Bedingung.
In der Gesamtgruppe trat dieser Effekt zwischen Erstdiagnostik und SechsMonats-Nachuntersuchung auf. Für die NET-Gruppe wurde eine signifikante Verringerung der PTSD-Symptomatik nicht bereits zur Vier-Wochen-, sondern erst zur
Sechs-Monats-Nachuntersuchung erwartet. Dies zeigte sich in den vorliegenden
Daten und stimmte mit den Ergebnissen bisheriger Studien zur NET überein (Neuner et al., 2004b; Onyut et al., 2005; Schaal, 2006). Die Effektstärke von d = 1,42 für
die Symptomreduktion zwischen der Erstdiagnostik und der Sechs-Monats-Nachuntersuchung in der NET-Gruppe entspricht derjenigen der Wirkung von Prolonged Exposure (PE) in einer Studie von Foa et al. (1999) sowie von NET bei Neuner
et al. (2004b) und Gotthardt (2007) für spätere Nachuntersuchungszeitpunkte. Verglichen mit Angaben aus einer Meta-Analyse von van Etten und Taylor (1998), in
der über verschiedenste Trauma-Stichproben hinweg die Effektstärken gemittelt
wurden, zeigte sich der hier gefundene NET-Effekt etwas geringer als die mittlere Effektstärke für verhaltenstherapeutische Verfahren (d = 1,89). Es ging jedoch
lediglich eine Studie zu PTSD bei Folteropfern in diese Analyse ein, so dass die
untersuchten Stichproben größtenteils nicht mit der hier behandelten Gruppe verglichen werden können.
Möglicherweise wurde hier aufgrund der geringen Stichprobengröße bei Anwendung von Cohens d die Effektstärke überschätzt (Foa et al., 2000) – eine andere Methode der Effektstärkenberechnung wie z. B. Hedges g anstelle von Cohens
169
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
d wäre eventuell für die hier untersuchte Stichprobe angemessener gewesen. Es
wurde sich hier dennoch für das vielfach verwendete Cohens d entschieden, um
möglichst vergleichbare Studienergebnisse zu erreichen. Abgesehen davon handelte es sich bei der hier untersuchten Stichprobe um eine sehr heterogene Gruppe mit
großer Varianz z. B. hinsichtlich der traumatischen Erlebnisse, der Herkunftsländer
etc., so dass es hier im Gegenteil eher zu einer Unterschätzung der Effektstärke gekommen sein könnte.
Für die SIT-Gruppe wurde mit einer unmittelbaren Reduktion der PTSD-Symptomatik gerechnet. Jedoch ergab sich weder für den Zeitpunkt vier Wochen noch
sechs Monate nach Therapieende ein signifikanter Rückgang der Symptomatik. Die
Annahmen wurden anhand von Ergebnissen aus Studien von Foa et al. (1991) und
Foa et al. (1999) getroffen. Dass entsprechende Befunde in der hier beschriebenen
Studie nicht gefunden werden konnten, kann damit zusammenhängen, dass Foa
und Kollegen Vergewaltigungsopfer in den USA behandelten, während die hier
untersuchten Probanden verschiedene Traumata über einen längeren Zeitraum hinweg erlebt hatten, die teilweise von erheblicher Schwere waren. Ob die Probanden
in den Studien von Foa und Kollegen jedoch tatsächlich weniger schwer belastet
waren, lässt sich nicht direkt vergleichen, da der PTSD-Schweregrad nicht wie hier
mit dem Fragebogen CAPS erhoben wurde. Foa et al. (1991; 1999) verglichen das
SIT ebenfalls mit einer Form von Expositionstherapie, Prolonged Exposure (PE).
Es zeigte sich in diesen Studien, dass beide Therapieverfahren hilfreich zur Symptomreduktion der PTSD waren. Jedoch folgerten die Forscher aus den Ergebnissen, dass PE eher zu einer dauerhaften Veränderung des Traumagedächtnisses
führt, während SIT kurzfristige Erleichterung bringt und v. a. dann nicht mehr wirken kann, wenn die Patienten die Techniken nicht mehr anwenden. Kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsprogramme wie das Stress-Impfungs-Training
enthalten zumeist therapeutische Hausaufgaben, d. h. im Falle von SIT das Üben
der erlernten Techniken im alltäglichen Umfeld. Dies dient zur Festigung des Gelernten sowie der Sicherstellung, dass die Methoden tatsächlich in den Alltag übertragbar sind.
In der hier beschriebenen Studie wurde nicht durchgehend systematisch erhoben, inwieweit die Patienten in der SIT-Gruppe die Übungen zuhause anwendeten. Einige SIT-Patienten gaben jedoch an, zwar an die Übungen gedacht, sie
jedoch nicht umgesetzt zu haben. Andere berichteten, dass sie sich in den entsprechenden Stresssituationen gar nicht an die Übungen aus dem SIT erinnert hatten.
Es sei auch vorgekommen, dass sie die entsprechenden Techniken zuhause angewendet hatten, ohne einen unmittelbaren stressreduzierenden Effekt zu bemerken
170
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
(vor allem bei starker Belastung). Es ist anzunehmen, dass darunter einige waren,
die die Übungen lediglich einmal oder zumindest nur selten ausprobiert hatten,
so dass sich der gewünschte Effekt noch gar nicht hätte einstellen können. Der Eindruck „das hilft mir nichts“ könnte in einem solchen Fall rasch dazu geführt haben,
dass die Betroffenen es erst recht nicht mehr versuchten. Es ist anzunehmen, dass
eher weniger geübt wurde als im Idealfall, so dass sich das Wirkpotenzial des SIT
möglicherweise nicht optimal entfalten konnte. Die Mehrzahl der Probanden lebte
während des Studienverlaufs in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber. Es
ist sehr wahrscheinlich, dass auch die räumliche Begrenztheit in den Unterkünften
und somit fehlende Rückzugsmöglichkeiten (isoplan consult, 2005) dazu beitrugen,
dass die SIT-Patienten die gelernten Techniken kaum zuhause übten. Solomon und
Johnson (2002) schlagen zur Lösung des Problems mangelnder Übe-Bereitschaft
vor, das SIT um Bausteine zu erweitern, die zur Rückfallprophylaxe bzw. Beibehaltung des Gelernten beitragen sollen.
Möglicherweise trug auch das geringere Bildungsniveau der Probanden in der
hier beschriebenen Studie im Vergleich zu den Patientinnen bei Foa et al. (1991)
und Foa et al. (1999) zum Ausbleiben eines Therapieeffektes in der SIT-Gruppe bei.
Es bleibt unklar, inwieweit z. B. die Konzepte der Einteilung menschlichen Erlebens in „Gedanken“, „Gefühle“ und „Verhalten“ den Probanden in dieser Studie in
gleichem Maße eingängig waren wie denjenigen in den Studien von Foa und Kollegen. Es entstand gelegentlich der Eindruck, dass SIT-Patienten lieber unstrukturiert
über alltägliche Probleme o. ä. gesprochen hätten als dem festgelegten Sitzungsprotokoll zu folgen.
Zudem weisen Flüchtlinge im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufig spezielle Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTSD auf: eine hohe Dosis traumatischer Erlebnisse, Stressoren nach dem Trauma (Flucht, räumlich und rechtlich
eingeschränkte Lebenssituation im Exilland) etc. Silove und Steel (1998) führen an,
dass Stressoren nach der Flucht traumabezogene psychische Probleme noch verstärken. Kinzie und Fleck (1987) berichten, dass bei kambodschanischen Flüchtlingen im Exil in den USA bei erneutem Stress die Intrusionssymptomatik wieder
aufflammte. Dieses Phänomen – bezogen auf die gesamte PTSD-Symptomatik –
wird auch von Birck (2001) berichtet.
Bei den Probanden in der hier beschriebenen Studie wurde zwar die Reaktion auf aktuelle Stressoren nicht systematisch erfasst, jedoch berichteten die meisten beispielsweise nach Erhalt eines Briefs von der Ausländerbehörde (unabhängig vom Inhalt des Schreibens) von einer deutlichen Verschlechterung ihres Befindens. Möglicherweise begünstigen diese Faktoren nicht nur die Ausbildung einer
171
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
PTSD, sondern erschweren darüber hinaus auch die Reduktion der Symptomatik. Bezüglich dieser möglichen Stressoren im Exilland unterschieden sich NETund SIT-Probanden allerdings nicht signifikant. Jedoch hatten die Patienten in der
NET-Gruppe trotz dieser Risikofaktoren eine signifikante Symptomverbesserung
erreicht, die in der SIT-Gruppe ausblieb. Es lässt sich also nicht der Schluss ziehen,
dass die genannten Faktoren eine Symptomreduktion generell verhindern. Basoglu
(1993) merkt an, dass Ergebnisse von Studien mit Flüchtlingen im Exil schwierig zu
interpretieren sind, da diese Personen auch durch das Verlassen ihres Heimatlandes und den damit verbundenen Stressoren und Veränderungen psychisch beeinträchtigt sein könnten. Diese Effekte ließen sich nicht von Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund früherer Traumatisierungen trennen.
Es wurde in der hier dargestellten Untersuchung auch der Einfluss von NET
und SIT auf die einzelnen Symptombereiche der PTSD betrachtet. In den Intrusionssymptomen zeigte sich insgesamt keine Veränderung, während in der NETGruppe eine signifikante Reduktion der Vermeidungs- und Übererregungssymptomatik zwischen der Erstdiagnostik und sowohl der Vier-Wochen- als auch der
Sechs-Monats-Nachuntersuchung auftrat. In anderen randomisierten kontrollierten Studie zu Expositionsverfahren bei PTSD zeigte sich stets auch eine signifikante
Reduktion der Intrusionssymptome (Foa et al., 1991; Gotthardt, 2007; Schaal, 2006;
Bichescu, 2006; Maercker et al., 2006; Igreja et al., 2004). Wie weiter oben erwähnt,
berichteten Kinzie und Fleck (1987) von einem Wiederaufflammen von Intrusionen
bei Flüchtlingen, die erneuten aktuellen Stressoren ausgesetzt waren. Möglicherweise fanden solche Vorgänge auch in der hier untersuchten Stichprobe im Zuge
laufender Asylverfahren und belastender Lebensumstände im Flüchtlingswohnheim statt. Die Effektstärken für die Reduktion der Vermeidungs- und Übererregungssymptomatik entsprachen denjenigen, die auch Maercker et al. (2006) fanden. Sie waren etwas höher als diejenigen bei Gotthardt (2007) in einer Intent-toTreat-Analyse für die Vermeidungssymptome und etwas niedriger für die Übererregungs-Reduktion.
Eine generelle Schwierigkeit in der NET stellt die Vermeidung sowohl von
Seiten des Patienten als auch des Therapeuten dar (Schauer et al., 2005). Bei den
Teilnehmern in der hier beschriebenen Studie äußerte sie sich teilweise in Zweifeln gegenüber der Notwendigkeit und Wirksamkeit der Exposition. Um Therapieabbrüchen vorzubeugen und die Compliance der Probanden aufrecht zu erhalten,
wurde nach Bedarf wiederholt Psychoedukation über die Wirkmechanismen der
Behandlung angeboten. In zwei Fällen erwähnten Patienten in der anfänglichen
„lifeline“-Übung besonders belastende Erlebnisse, weigerten sich jedoch in Laufe
172
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
der Therapie, genauer darüber zu sprechen. Die Stichprobe dieser NET-Probanden,
bei denen bekannt ist, dass sie ihre belastendsten Erlebnisse nicht detailliert berichtet hatten, war zu klein, um sie mit den anderen Teilnehmern in der NET-Gruppe
statistisch vergleichen zu können. Jedoch ist zu vermuten, dass es bei diesen Patienten nicht zu einer Habituation bezüglich dieser schlimmsten Erfahrungen kommen
konnte. Belaise, Fava und Marks (2005) vermuten allerdings anhand von Ergebnissen einer Pilotstudie, dass Exposition hinsichtlich des Haupt-Traumas möglicherweise nicht notwendig für eine Symptomreduktion ist, sondern dass eine Konfrontation hinsichtlich der mit dem Trauma verbundenen Reize ausreicht. Sie hatten
jedoch lediglich drei Patienten mit dieser Methode behandelt und weisen selbst
darauf hin, dass die dargestellten Befunde mit Vorsicht zu interpretieren sind – eine
kontrollierte Studie fehlt bislang. Generell ist angesichts der Therapieeffekte für die
NET-Gruppe davon auszugehen, dass die NET-Probanden die Vermeidung, über
ihre Erlebnisse zu sprechen, mit therapeutischer Unterstützung in ausreichendem
Maße überwinden konnten.
Bei einer Expositionsbehandlung werden die Symptome anfangs oft erwartungsgemäß stärker, da eine seit langem vermiedene Konfrontation mit den Erinnerungen nun aktiv stattfindet, siehe auch Basoglu et al. (2004) und Tarrier et al.
(1999a). In der hier beschriebenen Studie wurde ein möglicher Symptomanstieg
im Zuge der NET-Behandlung in der laufenden Therapie nicht systematisch erhoben, jedoch berichteten die Patienten, dass sie teilweise häufiger Alpträume oder
Intrusionen im Wachzustand hatten. Diese Phänomene riefen bei den Teilnehmern
gelegentlich Zweifel daran hervor, ob es tatsächlich hilfreich sei, über die Vergangenheit zu sprechen. In solchen Fällen wurde wiederholt Psychoedukation über
die Wirkmechanismen der Behandlung und insbesondere eine Erklärung für den
vorübergehenden Symptomanstieg angeboten. Es bleibt offen, inwieweit die drei
Therapieabbrüche in der NET-Bedingung möglicherweise auf einen anfänglichen
Symptomanstieg zurückzuführen waren. Vier Wochen nach Beendigung der NETBehandlung zeigte sich kein signifikanter Symptomanstieg.
Möglicherweise wäre die Behandlung mit NET noch effektiver in der Symptomreduktion der PTSD gewesen, wenn neben dem detaillierten Bericht des Erlebten weitere Formen von Exposition, wie z. B. das Aufschreiben der Erinnerungen an das Trauma durch den Patienten selbst, oder das Aufsuchen des Orts, an
dem das Trauma passiert ist, stattgefunden hätten. Ehlers et al. (2005) führten beispielsweise eine Studie zu Cognitive Therapy mit den genannten Expositionsformen durch. Es zeigten sich Effektstärken über d = 2,0 für Veränderungen im Fragebogen CAPS. Allerdings ist anzumerken, dass die Stichprobe bei Ehlers et al. (2005)
173
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
aus Probanden mit gemischten Traumata und mittlerer Symptomschwere bestand
und kaum mit der hier behandelten Personengruppe zu vergleichen ist.
Ein umfassenderes Expositionsspektrum wäre zudem mit den Probanden der
hier beschriebenen Studie kaum möglich gewesen. Zum einen wären die meisten
Klienten beispielsweise nicht in der Lage gewesen, ihre Geschichte auf Deutsch
niederzuschreiben, da sie zu geringe Deutschkenntnisse hatten – selbst in ihrer eigenen Sprache wären einige dazu nicht fähig gewesen. Zum anderen hatten die
meisten Traumata in den Herkunftsländern der Patienten stattgefunden, in die sie
nicht zurückkehren konnten oder wollten. Teilweise hätte die Rückkehr – abgesehen von organisatorischen und rechtlichen Schwierigkeiten – eine tatsächliche
erneute Gefahr mit sich bringen können. Zudem hatten die meisten Patienten eine
Vielzahl traumatischer Ereignisse erlebt, so dass unklar gewesen wäre, auf welche
Orte man sich hätte konzentrieren sollen. Jedoch ist bemerkenswert, dass die NET
auch ohne weitere Expositionsformen zu einer signifikanten Reduktion der PTSDSymptomatik führte. Dies zeigt, dass Traumatherapie mit Exposition auch mit vergleichsweise geringem organisatorischen Aufwand möglich und effektiv ist. Für
den Einsatz in Krisengebieten müssen Therapieverfahren pragmatisch und unaufwändig sein. Die NET wurde als Kurzzeittherapie für diesen Zweck entwickelt und
entspricht den Anforderungen in hohem Maße.
In anderen randomisierten kontrollierten Studien mit Flüchtlingen in westlichen Ländern wurden bislang lediglich Expositionsverfahren systematisch untersucht (Hinton et al., 2005; Paunovic & Öst, 2001; Gotthardt, 2007). Es ist also noch
unklar, ob kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungskonzepte ohne Exposition wie das SIT in vergleichbaren Settings zu ähnlichen Ergebnissen wie den hier
beschriebenen führen würden.
Trotz der bedeutsamen Symptomreduktion in der NET-Gruppe in der hier beschriebenen Studie ist zu beachten, dass sich die Symptomwerte in den beiden Therapiebedingungen zu keinem Untersuchungszeitpunkt signifikant unterschieden.
Es kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass es den Probanden der NETBedingung besser ging als denjenigen in der SIT-Bedingung.
4.2.3
Funktionsbeeinträchtigung
Hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung kam es für die Gesamtstichprobe zu
einer signifikanten Reduktion über die Zeit. Diese Veränderung zeigte sich zwischen der Erstdiagnostik und der Sechs-Monats-Nachuntersuchung. Bei getrennter Betrachtung der beiden Behandlungsgruppen trat diese Reduktion jedoch we-
174
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
der für NET noch für SIT auf. Offenbar fand eine allgemeine Verringerung der
Funktionsbeeinträchtigung im Zuge der therapeutischen Behandlungen statt, ohne dass dieser Effekt auf eines der spezifischen Therapieverfahren zurückgeführt
werden kann. Dieser Befund spiegelt möglicherweise ebenso wie bei der Reduktion
der PTSD-Rate in der Gesamtstichprobe Erkenntnisse anderer Studien zur PTSDBehandlung wider, die zeigen konnten, dass irgendeine Form von Therapie effektiver ist als keine Therapie (z. B. Keane et al., 1989; Brom et al., 1989; Resick et al.,
2002; Foa et al., 1991, 1999 & 2005; Ruf et al., 2007; Ehlers et al., 2005; Blanchard
et al., 2003).
Soweit der Autorin bekannt ist, wurde in keiner anderen Studie zu PTSD die
Funktionsbeeinträchtigung im Fragebogen CAPS in quantifizierter Form berichtet
und analysiert. Wenn sie überhaupt betrachtet wurden, wurden sie mit anderen
Instrumenten gemessen oder ausschließlich qualitativ benannt (z. B. Basoglu et al.,
2004; Bichescu, 2006; Weine et al., 1998; Resick et al., 2002; Kubany et al., 2004).
Lediglich bei Tarrier et al. (1999b) wurde in einer Vergleichsstudie zu imaginativer Exposition und kognitiver Therapie bei Probanden mit verschiedenen TraumaArten das soziale Funktionieren in der CAPS berichtet. Die Veränderung des sozialen Funktionsniveaus zur Ein-Jahres-Nachuntersuchung erreichte in beiden Therapiegruppen ebenso wie hier beschrieben keine Signifikanz. Darüber hinaus können
keine Vergleiche mit anderen Ergebnissen auf quantitativer Ebene vorgenommen
werden. Da unklar ist, ob in den Studien, in denen keine Aussagen über das Funktionsniveau der Probanden gemacht wurde (z. B. Paunovic & Öst, 2001; Hinton
et al., 2005), keine diesbezügliche Verbesserung stattfand oder die Informationen
gar nicht erst erhoben oder analysiert wurden, ist auch ein Vergleich auf qualitativer Ebene wenig sinnvoll. Es lässt sich immerhin feststellen, dass in einigen Studien zur Therapie von PTSD eine Verbesserung des Funktionsniveaus berichtet wird
(z B. Weine et al., 1998; Tarrier et al., 1999a; Resick et al., 2002; Kubany et al., 2004;
Foa et al., 1999 & 2005; Ehlers et al., 2005). Die meisten dieser Studien untersuchten jedoch Probanden nach zivilen Traumata, die möglicherweise generell geringer
belastet waren als die hier untersuchten Überlebenden organisierter Gewalt (zur
Studie von Foa, 1999: siehe auch „4.2.2 Veränderungen des Symptomscores im Fragebogen CAPS“).
4.2.4
Begleitsymptome
Es wurden die Gesamtscores der Begleitsymptome aus dem Fragebogen CAPS
sowie die Scores der Symptom-Untergruppen „Schuldgefühle“ und „Dissoziati-
175
4.2
Posttraumatische Belastungsstörung
4
DISKUSSION
onssymptome“ betrachtet. In den Analysen zeigten sich keine Veränderungen der
Begleitsymptomatik über die Zeit. Auch zwischen den beiden Therapiegruppen
bestanden zu keinem Untersuchungszeitpunkt signifikante Unterschiede in den
dissoziativen Symptomen. Möglicherweise handelt es sich bei Schuldgefühlen um
Symptome, die mit Depressivität im Zusammenhang stehen – letztere hatte sich
in der hier beschriebenen Studie über die Zeit hinweg nicht signifikant verändert.
Dies könnte erklären, weshalb auch keine Veränderung der Schuldgefühle auftrat.
Dissoziative Symptome könnten mit dem Auftreten von Flashbacks, die zur Symptomgruppe der Intrusionen gehören, in Zusammenhang stehen. Wie weiter oben
angeführt, zeigte sich in der untersuchten Stichprobe keine signifikante Veränderung der Intrusionssymptomatik, was eventuell das Ausbleiben einer Veränderung
der Dissoziationssymptome erklären könnte. Möglicherweise sind jedoch generell
sowohl Schuldgefühle als auch dissoziative Symptome besonders persistent.
In anderen Studien zu PTSD, in denen der Fragebogen CAPS eingesetzt wurde, wurden bislang nach dem Kenntnisstand der Autorin keine Analysen zu den
Begleitsymptomen vorgestellt (z. B. Paunovic & Öst, 2001; Hinton et al., 2005) – zu
dissoziativen Symptomen wurden insgesamt keine Befunde in Behandlungsstudien zur PTSD gefunden. Schuldgefühle wurden in zwei anderen Studien erhoben:
Resick et al. (2002) erfassten in einer Therapiestudie mit Vergewaltigungsopfern
das Ausmaß traumabezogener Schuldgefühle mit dem Trauma-Related Guilt Inventory. Es zeigte sich, dass sowohl mittels Prolonged Exposure als auch durch Cognitive Processing Therapy eine signifikant stärkere Reduktion des globalen Schuldempfindens erreicht wurde als in der Wartelisten-Kontrollgruppe. Die Probandinnen wiesen jedoch geringere Werte im CAPS-Gesamtscore auf als die Teilnehmer der hier beschriebenen Studie, so dass vermutet werden kann, dass sie insgesamt etwas weniger belastet waren. Möglicherweise erleichtert dies eine Verringerung der Gesamtsymptomatik inklusive der Schuldgefühle. Auch bei Kubany et al.
(2004) verringerten sich die traumabezogenen globalen Schuldgefühle bei Frauen mit PTSD infolge häuslicher Gewalt nach einer kognitiven Therapie signifikant
(hier ebenfalls erhoben mit dem Trauma-Related Guilt Inventory). Ebenso wie bei
Resick et al. (2002) zeigten diese Patientinnen vor der Behandlung geringere CAPSWerte als die in der hier beschriebenen Studie gefundenen, so dass wiederum auf
eine geringere Gesamtbelastung geschlossen werden kann.
176
4.3
Depression
4.3
Depression
4.3.1
4
DISKUSSION
Häufigkeit der Diagnose
Die Rate einer Major Depression komorbid zur PTSD war in der hier dargestellten
Studie zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung mit 82 % sehr hoch. Entsprechende
Komorbiditätsraten bei Flüchtlingen und Asylbewerbern lagen in anderen Studien
zwischen 46 und 86 % (Steel et al., 2004; Ferrada-Noli et al., 1998a; Gotthardt, 2007;
Blair, 2000). Die übrigen Patienten wiesen bei der Erstdiagnostik eine dysthyme
Störung auf, also litten alle Probanden zu Beginn unter einer affektiven Störung.
Dies zeigt, dass die Stichprobe über die PTSD hinaus sehr belastet war.
Sechs Monate nach Therapieende erfüllten noch 65 % der Therapieteilnehmer
die Diagnose einer depressiven Störung. Diese Rate war im Vergleich zu denjenigen in anderen Untersuchungen mit Flüchtlingen nach wie vor hoch, zumal die
Reduktion über die Zeit nicht signifikant war. Niemand wies zu diesem Zeitpunkt
mehr die Diagnose einer Dysthymia auf. Auch Gotthardt (2007) fand in zwei verschiedenen Therapiestudien mit vergleichbaren Stichproben keinen signifikanten
Rückgang in der Rate affektiver Störungen.
Schaal (2006) fand bei Jugendlichen in Ruanda nach einer NET einen Rückgang
in der Depressionsrate von 66,7 auf 50 %. Diese Reduktion erreichte jedoch ebenfalls keine Signifikanz. In einer Pilotstudie von Onyut et al. (2005) hatten hingegen
die vier Patienten (von n = 6), die vor der Behandlung mit NET eine Depression aufwiesen, zur Nachuntersuchung keine depressive Störung mehr. Bei Neuner et al.
(2004b) wurde in einer weiteren NET-Studie die Rate depressiver Störungen nicht
erhoben, sondern lediglich der Grad der Depressivität (siehe „4.3.2 Veränderung
des Symptom-Scores in der HAM-D“).
Gleiches gilt für die kontrollierten Studien zum SIT (Foa et al., 1991 & 1999) – es
wurde ebenfalls nur der Schweregrad der Depressivität erfasst. Es lassen sich also
bezüglich der Depressionsraten keine Vergleiche zu den hier erhobenen Befunden
in der SIT-Gruppe ziehen.
Wie bei der PTSD ist es auch für die Beurteilung des Einflusses einer Behandlung auf eine Depression aussagekräftiger, die Veränderung des Schweregrades zu
betrachten als die Veränderung in der Auftretenshäufigkeit der Diagnose. Es ist
möglich, dass jemand eine signifikante Symptomreduktion aufweist, jedoch gleichzeitig nach wie vor die Kriterien für eine depressive Störung erfüllt. Die Veränderung des Ausmaßes der Depressivität wird im folgenden Abschnitt diskutiert.
177
4.3
Depression
4.3.2
4
DISKUSSION
Veränderung des Symptom-Scores in der HAM-D
Es wurde angenommen, dass Patienten nach einem SIT deutlich reduzierte Depressionswerte aufweisen würden. Im Gegensatz zur NET enthält das SIT verschiedene Elemente, die auch zur Behandlung depressiver Symptome eingesetzt werden (z. B. kognitives Umstrukturieren, geleiteter Selbstdialog, Rollenspiele). Diese wurden in der hier beschriebenen Studie entsprechend dem Manual von Foa
auf Inhalte angewendet, die sich auf die PTSD bezogen. Jedoch bestehen viele
Überschneidungen zwischen PTSD- und Depressionssymptomen, so dass in der
hier beschriebenen Studie beispielsweise Themen wie Schuldgefühle oder sozialer
Rückzug durchaus in einem SIT behandelt werden konnten. Entsprechend wäre
ein positiver Einfluss des SIT auf den Grad der Depressivität zu erwarten gewesen. Dies zeigte sich jedoch nicht: Es kam zu keiner signifikanten Veränderung des
Depressivitätsscores über die Zeit. In Studien von Foa et al. (1991) und Foa et al.
(1999) führte SIT zu einem bedeutsamen Rückgang der Depressionssymptomatik.
Wie in den Abschnitten zur PTSD bereits ausgeführt, waren die Probandinnen in
diesen Studien mutmaßlich insgesamt weniger belastet als die Teilnehmer an der
in dieser Arbeit beschriebenen Studie. Hier rührte die Belastung der Teilnehmer zu
einem großen Teil von ihrem zumeist unsicheren Aufenthaltsstatus und den damit
verbundenen Stressoren wie etwa fehlende Arbeitsmöglichkeit etc. her (siehe auch
weiter unten).
Auch innerhalb der NET-Gruppe trat keine signifikante Veränderung der Depressivität auf. Dies deckt sich teilweise mit Befunden aus anderen Studien, in denen NET untersucht wurde (Neuner et al., 2004b; Gotthardt, 2007). Im Verlauf der
genannten Studien waren die Probanden ebenso wie in der hier beschriebenen Untersuchung jeweils akuten Stressoren ausgesetzt (Unterversorgung mit Nahrungsmitteln bei Neuner et al., 2004b, zumeist unsicherer Aufenthaltsstatus in Deutschland bei Gotthardt, 2007). In den Studien zur NET von Schaal (2006) und Bichescu
(2006) zeigte sich jedoch ein signifikanter Rückgang der Depressionsschwere. Die
bei Bichescu (2006) untersuchten Probanden waren keinen vergleichbaren akuten
Stressoren ausgesetzt. Hingegen lebten die untersuchten Jugendlichen in Ruanda
durchaus unter belastenden Umständen (z. B. unregelmäßiges Einkommen, Leben
in Haushalten ohne Erwachsene etc.) und zeigten dennoch eine signifikante Verbesserung in ihrer depressiven Symptomatik. Bezüglich weiterer Expositionsverfahren bei Flüchtlingen mit PTSD fanden sich signifikante Therapieerfolge hinsichtlich
der Depression: In einer Studie von Hinton et al. (2005) nahm bei kambodschanischen Flüchtlingen nach einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung mit
178
4.3
Depression
4
DISKUSSION
Exposition der Stress im Zusammenhang mit depressiven Symptomen (erhoben
mit der Symptom Checklist-90-R) signifikant ab. Paunovic und Öst (2001) fanden
in einer Studie mit zwei verschiedenen Expositionsverfahren bei nicht allzu schwer
belasteten Flüchtlingen in Schweden einen starken Rückgang in der Depressivität.
Es ist zu beachten, dass NET eine spezifische Traumabehandlung ist, in der
andere psychische Probleme nicht explizit aufgegriffen werden. In den aufgeführten Studien stellte Exposition häufig lediglich einen Teil des Behandlungskonzeptes dar. Es ist denkbar, dass diese weiteren Therapiebausteine einen positiven Einfluss auf eine depressive Symptomatik hatten. Entsprechende Effekte sind in einer
NET aufgrund der hohen Spezifität mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Es bleibt jedoch generell unklar, ob das Ausmaß der Depressivität zwischen den
Teilnehmern der verschiedenen Studien vergleichbar war. Möglicherweise waren
die hier untersuchten Teilnehmer hinsichtlich depressiver Symptome insgesamt
schwerer belastet als diejenigen in anderen Studien. Zumindest in der Studie von
Paunovic und Öst (2001) wurden lediglich Probanden einbezogen, die geringen
Belastungen ausgesetzt waren.
Der zumeist unsichere Aufenthaltsstatus könnte in hohem Ausmaß zur Aufrechterhaltung des Depressivitätsgrades beigetragen haben. Lehmann (2007) fand
in einer vergleichbaren Stichprobe von 45 Asylbewerbern in Deutschland, dass
die Depressivität im Zusammenhang mit der Erlangung eines sicheren Aufenthaltsstatus’ signifikant abnahm. In der hier dargestellten Studie wurde zwar kein
Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Depressionssymptomatik und dem
Asylstatus beobachtet, jedoch hatte sich letzterer im Verlauf auch nicht signifikant
verändert. Lediglich drei Probandinnen, die zunächst einen unsicheren Aufenthaltsstatus innehatten, hatten am Ende der Studie einen sicheren Status erlangt.
Die Unsicherheit während des laufenden Asylprozesses stellt eine akute und andauernde Belastung dar (Wenk-Ansohn, 2007). Wie unter „1.3.3 Rechtliche Situation von Asylbewerbern in Deutschland“ ausgeführt, bringt ein unsicherer Aufenthaltsstatus nicht nur die Angst vor einer Abschiebung mit sich, sondern zudem
erhebliche Einschränkungen im Alltagsleben (oftmals fehlende Arbeitserlaubnis,
beengte Wohnverhältnisse, geringer finanzieller Spielraum etc.). Zusammen mit
migrationsbedingten Stressoren wie Verlust der Heimat, sprachliche Schwierigkeiten sowie in manchen Fällen Trennung von Angehörigen erhöhen diese Umstände das Risiko, an einer depressiven Störung zu erkranken, in besonderem Maße. Beispielsweise fanden Stankunas, Kalediene, Starkuviene und Kapustinskiene (2006) einen Zusammenhang von Arbeitslosigkeit (v. a. länger andauernder),
geringerer Bildung und niedrigerem Einkommen mit depressiven Erkrankungen.
179
4.3
Depression
4
DISKUSSION
Dalgard und Thapa (2007) stellten fest, dass Immigranten aus nicht-westlichen
Ländern in Norwegen ein deutlich höheres Stressniveau aufwiesen als Norweger
oder Immigranten aus westlichen Ländern. Es ist anzunehmen, dass diese Faktoren nicht nur die Entstehung psychischer Störungen begünstigen, sondern darüber
hinaus eine Besserung der Symptomatik im Rahmen einer Therapie erschweren.
Die Einschränkungen in der Lebenssituation von Asylbewerbern in Deutschland
lassen sich im Licht der Theorie der „gelernten Hilflosigkeit“ von Seligman und
Kollegen betrachten (z.B. Seligman & Altenor, 1980; Miller & Seligman, 1976). Die
Forscher stellten fest, dass fehlende Einflussmöglichkeiten auf eine bedrohliche Situation zu depressiven Symptomen führen sowie diese aufrecht erhalten. Dies zeigt
sich auf motivationaler, kognitiver und emotionaler Ebene: Personen, die die Erfahrung fehlender Kontrolle über eine aversive Situation machen, suchen weniger
Lösungsmöglichkeiten, es fällt ihnen schwerer, auf positive Veränderungen der Situation zu reagieren, und sie erleben Angst und depressive Gefühle. Asylbewerber, die auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, zu dem sie nach der ersten
Anhörung meist kaum Beiträge leisten können, und deren finanzielle, sprachliche,
soziale, arbeits- sowie freizeitbezogene Spielräume extrem eingeschränkt sind, erleben ausgeprägte Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Das Risiko, an einer Depression
zu erkranken, ist in einer solchen Lebenssituation sehr hoch. Die erzwungene Passivität verhindert die Suche nach Lösungsmöglichkeiten, beeinträchtigt das Selbstvertrauen und führt bei längerer Dauer des Asylverfahrens zu einer Aufrechterhaltung der depressiven Symptomatik (Wenk-Ansohn, 2007).
Es ist zu beachten, dass die Verwendung des Fragebogens HAM-D zur Erfassung der Depressivität möglicherweise nicht ideal war. Bagby, Ryder, Schuller
und Marshall (2004) kritisieren die Gütekriterien der mittlerweile seit über 40 Jahren verwendeten HAM-D und zweifeln an, dass der Fragebogen ein gutes Messinstrument für den Depressionsschweregrad sei. Bei der Konzeption der hier beschriebenen Studie bestand jedoch die Notwendigkeit, ein FremdeinschätzungsInstrument auszuwählen, da die Probanden zumeist nicht ausreichend Deutsch
sprechen und lesen konnten. Zwar sind einige Selbstauskunfts-Fragebögen in verschiedenen Sprachen erhältlich, jedoch gibt es kein Instrument, das in allen in dieser Studie auftretenden Sprachen vorhanden gewesen wäre. Aus diesem Grund fiel
die Wahl auf die HAM-D, obwohl sie nicht als optimal geeignetes Depressionsmaß
angesehen wurde.
180
4.3
Depression
4.3.3
4
DISKUSSION
Suizidalität
Die Ausprägung der Suizidalität wurde mit dem Fragebogen M.I.N.I. erhoben. Es
fanden sich diesbezüglich zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung folgende Befunde:
Insgesamt waren fast 90 % der Probanden in unterschiedlichem Ausmaß suizidal.
Dies ist ein extrem hoher Prozentsatz. Die meisten Probanden (fast 40 %) wiesen
eine hohe Suizidalität auf, bei 21 % lag ein mittleres, bei knapp 29 % ein geringes
Suizidrisiko vor. In einer Studie von Gotthardt (2007) wiesen deutlich weniger Probanden suizidale Tendenzen auf (56 %). Auch in einer Untersuchung von Schaal
(2006) waren von Jugendlichen, die den Genozid in Ruanda überlebt hatten, weniger als 40 % suizidal.
Das Ausmaß der Suizidalität änderte sich im Verlauf der Studie lediglich bezogen auf die Rate derjeniger Patienten, die zu Beginn ein hohes Suizidrisiko aufwiesen. In der Gesamtstichprobe nahm der Anteil der Teilnehmer mit hohem Suizidrisiko signifikant ab. Dies war auch der Fall, wenn die Therapieabbrecher aus
der Analyse ausgeschlossen wurden, obwohl zwei Patientinnen mit hohem Suizidrisiko die Teilnahme an der Behandlung abbrachen.
Innerhalb der NET-Gruppe verringerte sich bei Einschluss der Therapieabbrecher die Rate der Patienten mit hohem Suizidrisiko signifikant. Schloss man jedoch
diejenigen aus, die die Behandlungen nicht bis zum Ende durchführten, zeigte sich
für die NET-Probanden lediglich ein abnehmender Trend bezüglich des Anteils
der hochsuizidalen Patienten. Dies hängt damit zusammen, dass die beiden oben
genannten Patientinnen mit hohem Suizidrisiko, die aus der Behandlung ausgestiegen waren, zur NET-Gruppe gehörten (siehe auch „4.6 Therapieabbrecher“).
Es bleibt unklar, ob diese Patientinnen generell zu belastet waren, um an einer regelmäßigen ambulanten Therapie teilzunehmen. Möglicherweise hätten sie ebenso
eine Behandlung mit SIT vorzeitig beendet.
In der SIT-Gruppe lag die Verringerung des hohen Suizidrisikos sowohl bei
Ein- als auch bei Ausschluss der Therapieabbrecher im Bereich von Trends.
Die Befunde zeigen, dass eine Behandlung generell einen positiven Einfluss
auf Patienten hatte, die zu Beginn ein hohes Suizidrisiko aufwiesen. Der insgesamt sehr ausgeprägten Suizidalität wurde somit immerhin die Spitze genommen.
Der Ausschluss der Therapieabbrecher spielte hierbei für die Gesamtstichprobe
keine Rolle, jedoch für die Analyse des hohen Suizidrisikos in der NET-Gruppe.
Es brachen zwar zwei NET-Patientinnen aufgrund hoher Suizidalität die laufende Behandlung ab. Jedoch lassen sich aufgrund der geringen Teilnehmerzahl keine
genaueren Analysen der Abbruchgründe in beiden Therapiebedingungen vorneh-
181
4.4
Zusammenhang PTSD – Depressivität
4
DISKUSSION
men. Die Gesamtgruppe der Behandlungsabbrecher unterschied sich hinsichtlich
der Suizidalität jedenfalls nicht von den Nicht-Abbrechern.
Inwieweit die beiden Behandlungsformen positive Auswirkungen auf ein hohes Suizidrisiko hatten, lässt sich lediglich unter Ausschluss der Therapieabbrecher
analysieren. Unter dieser Bedingung zeigten sowohl NET als auch SIT Tendenzen
zur Reduktion des hohen Risikos. Man kann anhand dieser Befunde also nicht den
Schluss ziehen, dass eine der beiden Therapiebedingungen geeigneter wäre, um
eine Abnahme der Rate hoher Suizidalität zu erzielen. Würde man eine größere Stichprobe untersuchen, könnten möglicherweise verschiedene Untergruppen
von Therapieabbrechern identifiziert und potenzielle Zusammenhänge mit spezifischen Therapiebedingungen betrachtet werden.
Hinsichtlich aller Abstufungen von Suizidalität zeigten sich zu keinem Untersuchungszeitpunkt Unterschiede zwischen der NET- und der SIT-Gruppe. Daraus
lässt sich folgern, dass eine Expositionsbehandlung nicht notwendigerweise eine
höhere Suizidalität nach sich zieht als eine Behandlung ohne Expositionsanteile.
Bei Gotthardt (2007) zeigte sich in einer Stichprobe von Asylbewerbern, die
in Deutschland lebten, ein signifikanter Rückgang der Suizidalität in der Gesamtstichprobe, zusätzlich war der Rückgang in der NET-Behandlungsgruppe signifikant stärker als in der Standardbehandlungs-Gruppe. In einer Studie von Schaal
(2006) führten hingegen weder NET noch Interpersonelle Psychotherapie (IPT) zu
signifikanten Veränderungen der Suizidalität.
In den bisherigen kontrollierten Studien zum SIT von Foa et al. (1991) und Foa
et al. (1999) wurde Suizidalität nicht erhoben. Daher kann kein Vergleich hinsichtlich der Einflüsse von SIT auf diesen Symptombereich gezogen werden.
4.4
Zusammenhang zwischen dem Schweregrad von posttraumatischer
Belastungsstörung und Depressivität
Es zeigte sich ein sehr starker Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der
PTSD und der Depressivität zu allen Zeitpunkten und über alle Probanden hinweg.
Dies ist hauptsächlich dadurch zu erklären, dass die Depressivitätsskala HAM-D
ein Fremdeinschätzungs-Instrument und so konzipiert ist, dass der Untersucher
die erhobenen und beobachteten Informationen aus dem diagnostischen Interview
mit einfließen lässt. In der hier beschriebenen Studie wurde die Symptomeinschätzung nach der Durchführung des PTSD-Fragebogens CAPS vom Interviewer vorgenommen. Die Angaben aus der CAPS wurden für viele Items der HAM-D übernommen. Jedoch werden in der HAM-D einige im vorangegangenen Interview
182
4.5
Weitere komorbide Störungen
4
DISKUSSION
noch nicht abgefragte Bereiche beurteilt. Zudem geht der klinische Eindruck des
Patientenverhaltens in die Bewertung mit ein. D. h. die hohe Übereinstimmung ist
nicht allein durch die Übertragung der in der CAPS bereits erhobenen Informationen in die HAM-D zu erklären. Vielmehr spiegeln die Befunde auch die hohe
Komorbidität zwischen posttraumatischer und depressiver Symptomatik wider.
4.5
Weitere komorbide Störungen
Es wurden mithilfe des Fragebogens M.I.N.I. folgende weitere Störungen neben
PTSD und affektiven Störungen erhoben: Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, Agoraphobie ohne vorherige Panikstörung, soziale Phobie, Zwangsstörung,
Alkohol- und sonstiger Substanzmissbrauch, psychotische Störung aktuell oder in
der Vorgeschichte, Anorexia Nervosa, Bulimia Nervosa und generalisierte Angststörung. In der untersuchten Stichprobe traten keine Fälle von Anorexia Nervosa
oder Bulimia Nervosa auf, so dass im Folgenden lediglich auf die weiteren genannten Störungen eingegangen wird.
Es ist zu beachten, dass sich die folgenden Angaben zu komorbiden Störungsbildern auf geringe Fallzahlen beziehen und damit starken Zufallsschwankungen
unterliegen können. Die gefundenen Häufigkeitswerte sind daher nicht sehr verlässlich. Es lässt sich also kein direkter Vergleich zu den angeführten Häufigkeitsbefunden aus weiteren Studien ziehen.
4.5.1
Häufigkeit von Angst- und Zwangsstörungen
Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung wurden in der Gesamtstichprobe bei 7,1 %
der Probanden eine Panikstörung ohne Agoraphobie festgestellt, bei 21,4 % eine
Panikstörung mit Agoraphobie (Gesamtrate an Panikstörungen: 14,25 %) und bei
3,6 % eine Agoraphobie ohne vorausgegangene Panikstörung. Gotthardt (2007) fand
in einer Untersuchung mit einer vergleichbaren Stichprobe von Asylbewerbern eine Rate von Panikstörung ohne Agoraphobie von 3,8 % sowie eine Panikstörung
mit Agoraphobie bei 7,7 % der Probanden. In einer Studie zur Komorbidität bei
PTSD in der Allgemeinbevölkerung fanden Kessler et al. (1995) eine allgemeine
Panikstörungs-Rate von knapp 10 %. Diese liegt etwas niedriger als die hier gefundene Gesamtrate von Panikstörungen, zumal Kessler und Kollegen auch Angaben
zur Lebenszeitprävalenz einbezogen hatten (siehe auch Fußnote 2 auf Seite 60).
Die Rate komorbider Agoraphobie lag bei Kessler et al. (1995) bei etwa 19 % und
war deutlich höher als die hier gefundene Prävalenz (wiederum sei jedoch auf die
Einbeziehung von Angaben zur Lebenszeitprävalenz bei Kessler et al. hingewie183
4.5
Weitere komorbide Störungen
4
DISKUSSION
sen). Auch bei Hepp et al. (2006a) lag die Rate von Agoraphobie komorbid zu einer
subsyndromalen PTSD mit 36,4 % um ein Vielfaches höher als in der hier beschriebenen Studie. Es liegen auch zur Agoraphobie bisher keine Daten zur Prävalenz in
Flüchtlingspopulationen vor.
Eine komorbide soziale Phobie wurde zum Zeitpunkt der Erstdiagnostik bei
7,4 % der Probanden diagnostiziert. Bolton et al. (2000) fanden eine Rate bei Überlebenden eines Schiffsunglücks von 8,2 %. Bei Gotthardt (2007) lag die Rate sozialer
Phobie bei Asylbewerbern mit PTSD bei 3,8 %. In Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung lagen die Komorbiditätszahlen jedoch um einiges höher (28 %
bei Kessler et al., 1995 – siehe Fußnote 2 auf Seite 60; 36,4 % bei Hepp et al. (2006a)
in einer Stichprobe mit subsyndromaler PTSD). Orsillo et al. (1996) diagnostizierten
bei Vietnam-Veteranen eine sehr hohe Rate komorbider sozialer Phobie von 72 %.
Bei Ferrada-Noli et al. (1998a) findet sich in einer Untersuchung mit Flüchtlingen eine allgemeine Rate komorbider Angststörungen von 29 %.
Eine Zwangsstörung wurde in der hier beschriebenen Stichprobe bei 10,7 %
der Befragten gefunden. Bei Gotthardt (2007) zeigte keiner der untersuchten Asylbewerber dieses Störungsbild komorbid zur PTSD. Bolton et al. (2000) fanden Raten komorbider Zwangsstörungen von etwa 5 % bei Überlebenden eines Schiffsunglücks.
Es lag bei 3,6 % der Befragten eine generalisierte Angststörung vor. Bei Gotthardt (2007) waren es 20 % sowie 15,9 % bei Kessler et al. (1995) – siehe hierzu
jedoch wiederum Fußnote 2 auf Seite 60. Die geringe Rate generalisierter Angststörungen in dieser Studie ist möglicherweise folgendermaßen zu erklären: Symptome einer solchen Störung waren bei vielen Probanden vorhanden. Jedoch kann
die Diagnose nur dann vergeben werden, wenn das Grübeln und die Sorgen exzessiv sind bzw. durch eine andere vorliegende psychische Störung besser erklärt
werden. Da sich die meisten Probanden in einem laufenden Asylverfahren mit unklarem Ausgang und drohender Abschiebegefahr befanden, wurden die auf diese
reale Unsicherheit bezogenen Sorgen nicht als exzessiv eingestuft. Zudem wurden
Grübeleien, die im Rahmen der PTSD oder einer affektiven Erkrankung auftraten,
nicht als Symptome einer generalisierten Angststörung betrachtet. Es bleibt unklar,
ob entsprechende Abwägungen in den Studien von Gotthardt (2007) und Kessler
et al. (1995) vorgenommen wurden.
184
4.5
Weitere komorbide Störungen
4.5.2
4
DISKUSSION
Häufigkeit von Substanzmissbrauch
In der hier beschriebenen Studie wiesen 7,1 % der Probanden zum Zeitpunkt der
Erstuntersuchung die Diagnose „Alkoholmissbrauch“ und 3,6 % die Diagnose „Substanzmissbrauch“ auf. Gotthardt (2007) fand in einer Stichprobe von Asylbewerbern mit PTSD eine Rate von Substanzmissbrauch bei 3,8 % der Probanden. Bei
Überlebenden eines Schiffsunglücks zeigte sich in einer Untersuchung von Bolton
et al. (2000) eine Substanzabhängigkeits-Rate von 2,6 %. In der Allgemeinbevölkerung wurden deutlich höhere Raten von Alkohol- und Substanzmissbrauch bzw. abhängigkeit komorbid zu einer PTSD zwischen 29 und 40 % gefunden (Chilcoat
& Breslau, 1998; Kessler et al., 1995 – beachte hierzu Fußnote 2 auf Seite 60). In
der Allgemeinbevölkerung fanden Hepp et al. (2006a) bei 9 % der Befragten Missbrauch oder Abhängigkeit von Benzodiazepinen komorbid zu einer subsyndromalen PTSD.
Die relativ geringe Rate an Alkohol- oder Drogenmissbrauch in der hier vorgestellten Studie kann einerseits darin begründet liegen, dass viele Probanden Muslime waren und angaben, aus religiösen Gründen weder Alkohol noch sonstige
Substanzen zu konsumieren. Zum anderen nahmen 86 % der Teilnehmer ohnehin
bereits Medikamente ein – zumeist Psychopharmaka und Schmerzmittel. Möglicherweise reduzierte dies die Wahrscheinlichkeit, zusätzlich Alkohol oder Drogen
einzunehmen.
4.5.3
Häufigkeit psychotischer Störungen
Zu psychotischen Störungen bei Flüchtlingen mit PTSD liegen bislang keine Untersuchungen vor. In der hier beschriebenen Studie wurde die Diagnose einer aktuellen psychotischen Störung in 3,6 % der Fälle vergeben, ebenso häufig wurde eine
psychotische Störung in der Vorgeschichte diagnostiziert (in letzterem Fall handelt
es sich also nicht um eine Komorbiditätsangabe im Sinne von gleichzeitigem Vorhandensein der Störung und einer PTSD).
In Studien mit Kriegsveteranen fanden sich deutlich höhere Prävalenzzahlen
von 40 % bis 50 % (David et al., 1999; Sautter et al., 1999). Es ist jedoch anzumerken, dass für die hier vorgestellte Studie das Bestehen einer Schizophrenie ein Ausschlusskriterium darstellte und es sich um eine kleine Stichprobe handelte, was die
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer psychotischen Störung verringerte. Es
zeigten zwar einige Probanden einzelne psychotische Symptome, jedoch nicht in
einem Ausmaß, das die Diagnose einer psychotischen Störung gerechtfertigt hätte.
185
4.6
Therapieabbrecher
4.5.4
4
DISKUSSION
Veränderung der Raten weiterer komorbider Störungen im Verlauf der
Studie
Es war von Interesse, wie sich NET und SIT auf die Raten komorbider Störungen auswirken würden. Es stellte sich heraus, dass weder in der Gesamtstichprobe
noch in den beiden Behandlungsgruppen getrennt betrachtet signifikante Veränderungen der Komorbiditätsraten auftraten.
Auch Gotthardt (2007) fand keine signifikante Veränderung komorbider Erkrankungen in einer Studie mit Asylbewerbern, unabhängig davon, ob die Probanden zusätzlich zur Standardbehandlung mit NET behandelt worden waren oder
nicht.
Bei Neuner et al. (2004b) veränderten sich die Raten komorbider Erkrankungen bei sudanesischen Flüchtlingen in Uganda nach einer Behandlung mit NET,
unterstützender Beratung und Psychoedukation ebenfalls nicht signifikant. Die Befunde spiegeln die Spezifität von NET als traumafokussiertes Therapieverfahren
wider. Zur Reduktion komorbider Störungen scheinen ergänzende Therapiebausteine notwendig zu sein.
Hinsichtlich des Einflusses von SIT auf psychische Störungen komorbid zu
PTSD liegen bislang kaum Befunde vor. Es existiert lediglich der Entwurf eines
spezifischen Therapieprogramms für PTSD und komorbiden Substanzmissbrauch,
das u. a. SIT beinhaltete (Triffleman, Carroll & Kellogg, 1999). Jedoch ist hierzu noch
keine Behandlungsstudie veröffentlicht worden. SIT wurde nicht nur zur PTSDBehandlung, sondern auch bei einem breiten Spektrum verschiedener Indikationen
eingesetzt. Es sind der Autorin jedoch auch unabhängig vom Kontext der Komorbidität mit PTSD keine Studien zum Einfluss von SIT auf die hier erhobenen weiteren
psychischen Störungen bekannt.
4.6
Therapieabbrecher
Die Rate von Abbrüchen der laufenden Therapien lag bei insgesamt 17,9 % (15,4 %
in der SIT- und 20 % in der NET-Bedingung). Im Vergleich mit anderen Therapiestudien bei PTSD liegen diese Abbruchquoten eher niedriger, in jedem Fall jedoch
in einem üblichen Rahmen (z. B. Resick et al., 2002; Foa et al., 1991, 1999 und 2005;
van Minnen et al.; Ehlers et al., 2005). Bei Gotthardt (2007) brachen in einer Studie
mit vergleichbaren Stichproben zum Vergleich von NET und externer Standardbehandlung 12,5 % der NET-Patienten und niemand aus der Vergleichgruppe die
Teilnahme ab. Zur Nachuntersuchung zwei Jahre später fielen aus der Gruppe der
Patienten mit Standardbehandlung knapp 40 % der Probanden weg, in der NET186
4.6
Therapieabbrecher
4
DISKUSSION
Bedingung waren es etwa 25 %. In einer weiteren Studie zum Vergleich von „Standardbehandlung“ mit „Standardbehandlung ergänzt durch NET“ lagen die Abbruchquoten bei etwa 40 % (Gotthardt, 2007). Die Abbruchrate bei NET in der hier
beschriebenen Studie liegt höher im Vergleich zu anderen Studien, in denen NET
in Uganda und Rumänien untersucht wurde (Neuner et al., 2004b; Bichescu, 2006;
Onyut et al., 2005). Allerdings wurden in diesen Studien jeweils lediglich vier bis
sechs Therapiesitzungen durchgeführt, was einen Therapieabbruch unwahrscheinlicher gemacht haben dürfte. Zudem ist das gesamte Setting der hier beschriebenen
Untersuchung kaum mit den genannten Therapiestudien vergleichbar.
Bei anderen Studien mit Flüchtlingen in westlichen Ländern lagen die Abbruchraten zwischen 0 und 47 %, wobei die verschiedensten Gründe für die Abbrüche vorlagen (z. B. Abschiebung ins Herkunftsland) oder aber gar keine genaueren
Begründungen angegeben wurden. In der vorliegenden Studie ist bemerkenswert,
dass sich die Abbruchraten für NET und SIT nicht signifikant unterschieden. Beide
Verfahren wurden also in gleichem Maße von den Probanden akzeptiert. Dieses Ergebnis ist konsistent mit Befunden von Hembree, Foa, Dorfan, Street, Kowalski und
Tu (2003), die die Abbrecherraten bei Exposition, Cognitive Therapy, SIT und EMDR verglichen und herausfanden, dass es bei Expositionsverfahren nicht zu häufigeren Abbrüchen kommt als bei den anderen Verfahren. Jedoch unterschieden
sich in der hier beschriebenen Studie die Abbrecher der beiden Behandlungsbedingungen hinsichtlich der Gründe für den Abbruch: Zwei von drei Probandinnen
brachen die NET-Behandlung ab, weil sie akut suizidal waren und in stationäre
psychiatrische Behandlung kamen, wohingegen die beiden Abbrecher in der SITBedingung die Therapie aus anderen Gründen abbrachen. Letztere Gründe sind
nicht genauer bekannt – außer der Tatsache, dass die beiden Patienten nicht in stationäre Behandlung kamen, bleibt unklar, inwieweit sich ihre Situation überhaupt
von denen der anderen Abbrecher unterschied. Möglicherweise fiel es den beiden
bereits vor Beginn der Behandlung ausgeprägt suizidalen Patientinnen in der NETBedingung schwer, einen möglichen anfänglichen Symptomanstieg zu tolerieren,
der bei Exposition zu erwarten ist (Tarrier et al., 1999a, siehe auch „1.5.3 Weitere
kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen ohne Exposition“).
Es ist allerdings nicht bekannt, ob es bei den beiden Patientinnen tatsächlich
zu einem Symptomanstieg kam. Zudem bedeutete ausgeprägte Suizidalität in der
Studie nicht generell, dass die Behandlung oder insbesondere eine NET nicht bis
zum Ende durchgeführt werden konnte: Es gab keinen Unterschied zwischen Abbrechern und Nicht-Abbrechern hinsichtlich der Suizidalität. Die beiden genannten Patientinnen waren zwar jeweils bereits in der Vorgeschichte in stationärer Be187
4.7
Einschränkungen der Studie
4
DISKUSSION
handlung gewesen, es hatte sich jedoch kein Unterschied zwischen Therapieabbrechern und den übrigen Probanden hinsichtlich vorheriger stationärer Aufenthalte
gezeigt. Somit bleibt unklar, ob und inwieweit sie sich von den anderen Abbrechern
und den übrigen Probanden unterschieden, die die Behandlung zu Ende geführt
hatten.
Schnyder (2005) fordert, dass weitere Studien zu unterschiedlichen Behandlungsformen der PTSD durchgeführt werden sollen, um Patienten verschiedene
Therapiemöglichkeiten anbieten zu können und auf diese Weise die Abbruchraten
zu senken sowie die Effektivität der Behandlungen zu steigern.
4.7
Einschränkungen der Studie
4.7.1
Länge der Therapiesitzungen in den beiden Bedingungen
Die Länge der einzelnen Therapiesitzungen wurde nicht systematisch gemessen.
Anhand der Videoaufnahmen wurde jedoch deutlich, dass eine SIT-Sitzung üblicherweise kürzer und eine typische NET-Sitzung länger als 90 Minuten dauerte. Es lässt sich also nicht ausschließen, dass die umfangreichere therapeutische
Zuwendung in der NET-Gruppe zur signifikanten PTSD-Reduktion in dieser Behandlungsbedingung geführt hatte. Allerdings untersuchten van Minnen und Foa
(2006), inwiefern sich die Sitzungslänge einer Expositionsbehandlung auf den Therapieerfolg hinsichtlich der PTSD-Symptomatik auswirkte. Es zeigte sich, dass es
keinen Unterschied machte, ob die Sitzung 30 oder 60 Minuten dauerte – beide Varianten führten zu vergleichbarer Symptomreduktion. Es ließe sich also der Schluss
ziehen, dass auch bei kürzeren NET-Sitzungen ähnliche Therapieerfolge erzielt worden wären. Unklar bleibt, inwieweit eine Verlängerung der SIT-Sitzungen zu einem
positiveren Therapieergebnis geführt hätten. Die Inhalte jeder Sitzung waren genau vorgegeben. Diese waren innerhalb von eineinhalb Stunden sehr gut zu vermitteln. Darüber hinaus hätte man lediglich mehr Zeit zum Üben der erlernten
Techniken einräumen können. Es ist möglich, dass dies den Therapieerfolg hätte
erhöhen können – vor allem hinsichtlich geringer Compliance gegenüber der Anwendung der Übungen im häuslichen Umfeld.
Foa et al. (1991) und Foa et al. (1999) hielten in zwei Studien zum Vergleich
von Prolonged Exposure (PE), Stress-Impfungs-Training und unterstützender Beratung bzw. einer Kombination aus PE und SIT die Sitzungsdauer über alle Bedingungen hinweg konstant. In beiden Studien erwiesen sich sowohl PE als auch SIT
als erfolgreich in der Reduktion der PTSD-Symptomatik. Es ist denkbar, dass in
188
4.7
Einschränkungen der Studie
4
DISKUSSION
der hier beschriebenen Untersuchung bei konstanter Sitzungslänge in beiden Therapiegruppen vergleichbare Ergebnisse erzielt worden wären.
Turner, Valtierra, Talken, Miller und DeAnda (1996) verglichen zwei Patientengruppen, die dieselbe Anzahl an psychotherapeutischen Sitzungen durchliefen.
Jedoch dauerten diese entweder 30 oder 50 Minuten. Es zeigte sich, dass die kürzeren Sitzungen zu ebenso guten Verbesserungen in Hinblick auf Symptomverbesserungen und Zufriedenheit der Probanden führten wie die länger andauernden.
Es handelte sich dabei allerdings um eher gering belastete Studenten. Die Autoren
ziehen den Schluss, dass die Therapie an sich einen deutlich größeren Einfluss auf
die Symptomatik hatte als die Sitzungsdauer.
In der in dieser Arbeit beschriebenen Studie lassen sich die Faktoren „Sitzungslänge“ und „Therapiebedingung“ nicht getrennt voneinander betrachten. Es
ist jedoch denkbar, dass auch hier die Behandlung an sich eine größere Rolle spielte als die Sitzungsdauer. Auch in einer Studie von Barkham, Connell, Miles, Stiles,
Margison und Mellor-Clark (2006) zeigte sich, dass es für eine erfolgreiche Psychotherapie nicht notwendigerweise einer bestimmten (Mindest-)Behandlungsdauer
bedarf (hier allerdings in Anzahl der Sitzungen gemessen), bzw. dass der Bedarf
an Psychotherapie bis zum Erreichen einer zufrieden stellenden Verbesserung individuell sehr unterschiedlich ist.
4.7.2
Stichprobengröße
Die untersuchte Stichprobe weist nur eine geringe Größe auf. Dies liegt nicht an einem Mangel an Flüchtlingen in Deutschland, die organisierte Gewalt erlebt haben
und in der Folge an einer PTSD leiden. Studien zeigen, dass ca. 40 % der Flüchtlinge bei ihrer Erstanhörung eine PTSD aufweisen (Gäbel, 2004). Allerdings kamen in
den letzten Jahren wie unter „1.3.2 Zahlen zu Flüchtlingen in Deutschland“ immer
weniger Asylsuchende nach Deutschland, was sich auch in den Neuanmeldungen in der Psychologischen Ambulanz für Flüchtlinge der Universität Konstanz
bemerkbar macht. Diese Studie war jedoch aus Gründen mangelnder Personalkapazität angesichts des Aufwandes für jede einzelne Behandlung inklusive der
vier Termine für die psychodiagnostischen Untersuchungen bis zu einem Jahr nach
Therapieende nicht in größerem Rahmen durchführbar. Jedoch hat sie Pioniercharakter und sollte idealerweise mit einer größeren Probandenzahl wiederholt werden.
189
4.7
Einschränkungen der Studie
4.7.3
4
DISKUSSION
Unwissenheit der Interviewer in den Nachuntersuchungen gegenüber der
Therapiebedingung
Da alle Behandlungen und diagnostische Interviews von Mitarbeitern der Psychologischen Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge durchgeführt wurden
und häufig ein Austausch über die laufenden Therapien im Sinne einer Intervision
stattfand, waren die Interviewer in den Nachuntersuchungen oft nicht unwissend
(„blind“) gegenüber der Therapiebedingung, in die ein Patient eingeteilt worden
war. Jedoch wurde darauf geachtet, dass jede Nachuntersuchung von einem Mitarbeiter durchgeführt wurde, der zuvor noch keinen Kontakt zu dem jeweiligen
Patienten gehabt hatte. Blanchard et al. (2003) hatten zwar in einer Behandlungsstudie eine entgegengesetzte Strategie eingesetzt: Es wurde dort pro Patient derselbe
Untersucher für alle Diagnostiksitzungen hinzugezogen, um Rating-Unterschiede
im einzelnen Fall auszuschließen. Die Interviewer waren in der Studie von Blanchard et al. (2003) blind gegenüber der Behandlungsbedingung und unabhängig
von den Therapeuten. Diese Strategie hätte in der hier beschriebenen Studie jedoch
nicht zum Einsatz kommen können, da es zumeist organisatorisch nicht möglich
gewesen wäre, die Interviewer in Unwissenheit gegenüber den Bedingungen sowie unabhängig vom Ambulanzbetrieb zu belassen. Insofern schien in diesem Fall
das Vorgehen, die jeweiligen Interviewer zumindest „blind gegenüber dem Patienten“ bzw. dessen vorausgegangener Befindlichkeit zu halten, eine angemessene
Alternative zu sein.
4.7.4
Arbeit mit Dolmetschern
Bei fast 80 % der Teilnehmer der Therapiestudie fanden die Gespräche mit Hilfe von trainierten Dolmetschern statt. Inwieweit diese Form der Kommunikation
möglicherweise öfter zu einer fehlerhaften Verständigung führte oder die Anwesenheit einer weiteren Person in der Therapie den Behandlungserfolg beeinflusst
haben könnte, bleibt unklar.
Abdallah-Steinkopff (1999) nennt eine Reihe von möglichen Schwierigkeiten,
die in der Zusammenarbeit mit Dolmetschern bei der Behandlung von Flüchtlingen mit PTSD auftreten können: Beispielsweise kann es zu Konflikten aufgrund
politischer, ethnischer oder religiöser Differenzen kommen, ein Dolmetscher kann
in einen Loyalitätskonflikt geraten, wenn der Patient ihn bittet, dem Therapeuten
manche Dinge nicht zu sagen, oder sich weigern, bestimmte tabuisierte Themen zu
übersetzen. Derartige Probleme wurden in der hier beschriebenen Studie jedoch
nicht berichtet.
190
4.7
Einschränkungen der Studie
4
DISKUSSION
Green, Ngo-Metzger, Legedza, Massagli, Phillips und Iezzoni (2005) fanden
heraus, dass asiatische Patienten mit geringen Englischkenntnissen in den USA in
der allgemeinen Gesundheitsversorgung offener waren, wenn der Behandler ihrer
eigenen Sprache mächtig war, als wenn mit Übersetzern gearbeitet wurde. Es konnte lediglich mit einer kleinen Gruppe von Patienten ohne Dolmetscher gearbeitet
werden, so dass keine systematischen Vergleiche zwischen diesen Probanden und
denjenigen durchgeführt werden konnten, bei denen Dolmetscher dabei gewesen
waren. In der Studie von Green et al. (2005) waren die Patienten bei Hinzuziehen eines Dolmetschers zufriedener mit der Gesundheitsversorgung, je höher sie
die Qualität der Übersetzung einschätzten. In der hier beschriebenen Studie wurde
die Zufriedenheit der Probanden mit der Arbeit der Dolmetscher nicht erfasst. Die
Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Dolmetscher wurde jedoch von keinem der
Patienten verweigert.
Karliner, Jacobs, Chen und Mutho (2007) führten eine Metaanalyse zur Qualität der Gesundheitsfürsorge für Patienten mit unzureichenden Englischkenntnissen in den USA mithilfe von professionellen Dolmetschern versus untrainierten Übersetzern (z. B. Familienmitgliedern) durch. Es zeigte sich, dass Übersetzungen durch professionelle Dolmetscher mit einer Verbesserung der Versorgungsqualität einhergingen: Es traten insgesamt weniger Kommunikationsfehler auf als
beim Einsatz von untrainierten Übersetzern, und die Patienten verstanden besser, was die Behandler ihnen vermitteln wollten. In einer der analysierten Studien
führten psychiatrische Interviews mit professionellen Dolmetschern zu denselben
Einschätzungen hinsichtlich der psychischen Gesundheit sowie der Familiengeschichte wie Interviews durch Behandler, die dieselbe Sprache wie die Patienten
sprachen. Zudem zeigten sich zumindest in medizinischen Studien bessere Gesundungserfolge. Die Patienten selbst waren mit Kommunikation und Versorgung zufriedener.
Gotthardt (2007) merkt an, dass es nicht nur von Nachteil sein müsse, in Anwesenheit einer weiteren Person über traumatische Erlebnisse zu sprechen: Es könne dem Betroffenen ebenso gut zu der Erkenntnis verhelfen, dass das Anhören
belastender Geschichten nicht nur von Therapeuten, sondern auch von anderen
Personen ertragen werden kann. Dies könnte wiederum dabei helfen, das Schweigen zu durchbrechen, mit dem traumatisierte Menschen abgesehen von der eigenen Vermeidung oftmals ihr Umfeld vor dem vermeintlich unerträglichen Wissen
über das Erlebte schützen wollen. Abgesehen davon ist das Arbeiten mit Dolmetschern oftmals die einzige Möglichkeit, um Asylbewerbern mit unzureichenden
Deutschkenntnissen überhaupt eine Psychotherapie anbieten zu können. Es wäre
191
4.8
Stärken der Studie
4
DISKUSSION
aus ethischen Gesichtspunkten heraus nicht vertretbar, diesen Personen keine Behandlung anzubieten, nur weil eine Übersetzung möglicherweise einen Therapieerfolg schmälern könnte. Zudem ermöglichen Dolmetscher nicht nur eine sprachliche Verständigung, sondern sind auch Kulturmittler (Abdallah-Steinkopff, 1999)
und können so zum besseren Verständnis etwa kulturspezifischer Erklärungen von
Symptomen verhelfen.
4.8
4.8.1
Stärken der Studie
Vergleich zweier aktiver Behandlungsverfahren
Mit der hier dargestellten randomisierten kontrollierten Studie wurde erstmals ein
Vergleich zweier aktiver psychotherapeutischer Behandlungsmethoden bei Asylbewerbern und Flüchtlingen mit PTSD im deutschsprachigen Raum durchgeführt.
Bislang wurde ansonsten lediglich von Gotthardt (2007) untersucht, welchen Einfluss eine spezifische Traumabehandlung (Narrative Expositionstherapie) im Vergleich zu irgendeiner Standardbehandlung auf die PTSD-Symptomatik von Flüchtlingen hatte. Gotthardt analysierte zudem anhand einer kleinen Stichprobe, inwieweit NET in die übliche Behandlung durch niedergelassene Therapeuten integriert
werden konnte sowie den Therapieerfolg beeinflusste. Weitere Studien im deutschsprachigen Raum sind unkontrolliert und wenig aussagekräftig (Birck, 2001; Birck,
2004; Schwarz-Langer et al., 2006).
4.8.2
Abgrenzung der Verfahren hinsichtlich Exposition
Die einzige kontrollierte Studie zum Vergleich zweier aktiver PTSD-Behandlungsverfahren bei Flüchtlingen in westlichen Ländern wurde von Paunovic und Öst
(2001) in Schweden durchgeführt. Hier wurden jedoch zwei Therapiemethoden
gewählt, die jeweils Expositionsbausteine enthielten. Nach dem Kenntnisstand der
Autorin handelt es sich bei der hier beschriebenen Studie um die erste überhaupt,
in der Therapieverfahren bei Flüchtlingen mit PTSD solchermaßen ausgewählt wurden, dass sie hinsichtlich Exposition und Vergangenheits- bzw. Gegenwartsbezug
eindeutig voneinander abgrenzbar waren.
4.8.3
Einbeziehung einer stark belasteten Stichprobe
Die hier untersuchte Stichprobe umfasste größtenteils schwer belastete Asylbewerber in unklaren und unsicheren Lebenssituationen. Die meisten sprachen nicht ausreichend Deutsch, so dass mit Dolmetschern gearbeitet wurde. Mit vergleichbaren
192
4.9
Ausblick
4
DISKUSSION
Populationen wurden bisher in westlichen Ländern kaum Studien durchgeführt.
Beispielsweise schlossen Paunovic und Öst (2001) Probanden mit diesen Charakteristika aus ihrer Therapiestudie aus. Soweit der Autorin bekannt ist, lagen hierzu
bislang zumindest keinerlei Ergebnisse aus randomisierten kontrollierten Therapiestudien vor. Eine Ausnahme stellt die Studie von Gotthardt (2007) dar.
4.8.4
Durchführbarkeit und Erfolg von Exposition
Die in dieser Arbeit dargestellte Studie zeigt auf, dass Expositionsverfahren wie
NET auch mit Asylbewerbern und Flüchtlingen durchführbar und erfolgreich sind,
obwohl diese zumeist eine hohe PTSD-Symptomatik, mangelnde Deutschkenntnisse und einen unsicheren Asylstatus aufwiesen. Hingegen führte die Behandlung mit Stress-Impfungs-Training nicht zu einer bedeutsamen Symptomreduktion. Möglicherweise waren die Probanden zu schwer erkrankt, um mithilfe von
Techniken zur Stressreduktion, die ein hohes Engagement erfordern, eine Verbesserung der Symptomatik zu erreichen. Vermutlich trug die mangelnde Anwendung
der erlernten Übungen im Alltag zum Ausbleiben eines Therapieerfolgs bei, ohne
die ein solches Behandlungsprogramm seine Wirkung kaum ausreichend entfalten
kann. Auch kulturelle und bildungsbezogenen Aspekte könnten eine Symptomreduktion in der SIT-Gruppe erschwert haben.
4.9
Ausblick
Die in dieser Arbeit dargestellte Studie leistet einen Beitrag zur Auswahl geeigneter Therapiemethoden für Flüchtlinge in westlichen Ländern, die nach dem Erleben
organisierter Gewalt eine PTSD entwickelt haben. Es wurden erstmals zwei aktive,
zuvor bereits für wirksam befundene Behandlungsverfahren miteinander verglichen. Insbesondere die Abgrenzbarkeit der beiden Therapiemethoden in Hinblick
auf Exposition stellt eine Neuerung auf dem Gebiet der Behandlungsstudien mit
traumatisierten Flüchtlingen dar.
Die wichtigste unmittelbar anstehende Weiterführung dieser Studie besteht in
der Einbeziehung der Daten aus den Ein-Jahres-Nachuntersuchungen. Es lagen
zum Zeitpunkt der Datenauswertung die Befunde von sieben Patienten aus der
NET- und vier Patienten aus der SIT-Bedingung vor. Sollten die noch ausstehenden
Ein-Jahres-Nachuntersuchungen planmäßig durchgeführt werden können, werden
für diesen Zeitpunkt insgesamt Daten von acht NET- und sieben SIT-Patienten
vorliegen. Zum einen interessiert, ob der positive Therapieeffekt der NET über
193
4.9
Ausblick
4
DISKUSSION
die Zeit stabil bleibt. Zum anderen soll betrachtet werden, ob sich in der PTSDSymptomatik der SIT-Probanden weiterhin keine signifikante Veränderung ergibt.
Idealerweise sollte die Studie mit einer größeren Stichprobe wiederholt werden. Es gilt v. a. den potenziellen therapeutische Nutzen von SIT weiter zu untersuchen, denn die Effektivität von Expositionsbehandlungen auch bei Flüchtlingen und Asylbewerbern ist bereits in mehreren Studien aufgezeigt worden. In
einer Replikationsstudie sollte die Sitzungslänge in den verschiedenen Therapiebedingungen konstant gehalten werden, um mögliche Therapieeffekte aufgrund
längerer Behandlungszeiten in einer Bedingung ausschließen zu können. Möglicherweise könnte es sinnvoll sein, zu diesem Zweck die Dauer der SIT- denen der
NET-Sitzungen anzupassen und die zusätzliche Zeit im SIT für weitere Übungen
zu nutzen. Dies könnte einen Ausgleich zur geringen Compliance gegenüber der
häuslichen Anwendung der erlernten Techniken darstellen. Interviewer sollten zu
den Nachuntersuchungszeitpunkten blind gegenüber der therapeutischen Bedingung des jeweiligen Probanden sein. Wie in der hier beschriebenen Studie sollten
professionelle Dolmetscher eingesetzt werden, um eine hohe Qualität der Behandlung zu gewährleisten.
Die verwendeten Fragebögen wurden sorgfältig ausgewählt, um den Gegebenheiten der Studie bestmöglich zu entsprechen und eine hohe Güte der erhobenen Daten zu erreichen. Jedoch kann eine Therapie zu positiven Veränderungen der Lebensqualität führen, die anhand dieser oder ähnlicher Fragebögen nicht
adäquat erfasst werden können: So war beispielsweise eine Probandin vor der Behandlung mit SIT nicht in der Lage, ohne ihren Ehemann im Supermarkt einzukaufen. Im Anschluss an das SIT gelang es ihr wieder, alleine einkaufen zu gehen, und
somit ihren Handlungsspielraum sowie ihre Selbstständigkeit erheblich zu erweitern. Eine weitere Probandin, die sich vor der Behandlung durch NET lediglich zu
den notwendigsten Besorgungen aus dem Haus begeben hatte, baute sich nach der
Therapie wieder ein vielfältiges soziales Netzwerk auf. Ein anderer NET-Patient
entschied sich im Anschluss an die Behandlung für eine freiwillige Rückkehr in
sein Herkunftsland Türkei, obwohl er dort zuvor Folter erlebt hatte. Diese Veränderungen bilden sich höchstens indirekt in den psychodiagnostischen Instrumenten ab, etwa in den Angaben zur Funktionsbeeinträchtigung. Jedoch ist denkbar,
dass diese Verbesserungen für den einzelnen Probanden eine deutlich entscheidendere Erleichterung der Belastung darstellen als die mittels Fragebögen messbare
Symptomreduktion. Es wäre wünschenswert, auch diese eher inhaltlichen Veränderungen nach einer Behandlung in zukünftigen Studien einzubeziehen, um den
Therapieerfolg auf verschiedenen Ebenen zu bewerten.
194
4.9
Ausblick
4
DISKUSSION
Schnyder (2005) argumentiert, dass Forschung hinsichtlich der Notwendigkeit von Exposition für eine erfolgreiche Behandlung der PTSD erst begonnen hat
und sich möglicherweise Therapiemethoden ohne Exposition ebenfalls als effektiv erweisen könnten. Die hier dargestellten Befunde tragen zur Klärung dieser
Frage bei. Abgesehen von der geringen Stichprobengröße und der Tatsache, dass
noch nicht alle Daten aus den Ein-Jahres-Nachuntersuchungen vorlagen oder in
die Analysen aufgenommen wurden, weisen die Ergebnisse nicht darauf hin, dass
ein expositionsfreies Verfahren wie das SIT zur Symptomreduktion bei Flüchtlingen mit PTSD zu empfehlen ist. Es konnte im Gegenteil erneut gezeigt werden,
dass Expositionsverfahren zur Behandlung einer PTSD hilfreich sind – sogar in einer Stichprobe von stark belasteten Asylbewerbern und Flüchtlingen in unsicheren
und unklaren Lebenssituationen. Angesichts dieser Befunde stellt sich einmal mehr
die Frage, weshalb die Behandlungsrichtlinien etwa in England (NICE-Guidelines,
National Collaboration Center for Mental Health, 2005) den Einsatz von Expositionsverfahren empfehlen und sogar von anderen Therapieverfahren abraten, während etwa in den deutschen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF, 2006) ohne Anführung entsprechender Evidenzbelege eine nicht näher definierte „Stabilität“ vor Beginn einer dosierten Rekonfrontation mit dem Trauma gefordert sowie vor „zu frühem
oder alleinigem Einsatz konfrontierender traumatherapeutischer Verfahren“ gewarnt wird (Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF, 2006, http://leitlinien.net/, eingesehen am
16.11.2007). Um nach dem derzeitigen Forschungsstand die Empfehlung des Einsatzes nicht-konfrontativer Verfahren zu rechtfertigen, müssten – wie auch Schnyder (2005) fordert – zunächst kontrollierte Studien durchgeführt werden, die die
Effektivität und Notwendigkeit dieser Behandlungsmethoden belegen.
Die bisherige Bilanz von psychotherapeutischer Behandlung bei Flüchtlingen
und Asylbewerbern mit PTSD in Deutschland fällt jedenfalls ernüchternd aus: Beispielsweise stellten Gotthardt (2007) und Lehmann (2007) jeweils fest, dass Asylbewerber oft ambulante Psychotherapie erhielten, jedoch trotzdem eine hohe PTSDSymptomatik aufwiesen. Es bleibt allerdings unklar, ob sich die Symptomatik der
untersuchten Personen zwar im Rahmen dieser psychotherapeutischen Behandlungen reduziert hat, aber die PTSD-Kriterien immer noch erfüllt waren, wie es
auch in kontrollierten Therapiestudien häufig der Fall ist. Jedoch wiesen die jeweiligen Probanden in den Studien sehr hohe Symptomwerte auf, was bedeuten würde, dass sie vor Beginn der ambulanten Psychotherapie unter noch ausgeprägterer,
extremer Symptomatik gelitten hätten. Eventuell wurde auch in manchen Fällen
195
4.9
Ausblick
4
DISKUSSION
eine PTSD nicht erkannt und daher nicht adäquat behandelt. Ein Problem besteht
unzweifelhaft darin, dass es kaum Möglichkeiten gibt, in ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen in Deutschland einen professionellen Dolmetscher hinzuzuziehen. Gotthardt (2007) untersuchte, welche Behandlungsverfahren in ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen von PTSD eingesetzt werden. Es
zeigte sich, dass in der Regel ressourcenorientiert bzw. stabilisierend gearbeitet
wird – für die Wirksamkeit dieser psychodynamischen Verfahren zur Behandlung
einer PTSD existieren allerdings bislang keine wissenschaftlichen Belege. Die therapeutische Vorgehensweise, deren Effektivität hingegen vielfach gezeigt wurde –
Exposition – wurde von Behandlern, die ihre Standardvorgehen beschrieben, lediglich in 21 % der Zeit eingesetzt. In der Studie von Gotthardt (2007) konnte zudem gezeigt werden, dass die Ergänzung der Standardbehandlung durch Exposition den Therapieerfolg erhöhte. Auch Herbert (2003) merkt an, dass Patienten oft
nicht diejenigen Behandlungsformen erhalten, deren Wirksamkeit am besten wissenschaftlich belegt wurde.
Es ist davon auszugehen, dass die Bilanz der Behandlungen von Flüchtlingen
und Asylbewerbern mit PTSD in Deutschland positiver ausfallen würde, wenn der
Einsatz evidenzbasierter Verfahren einen größeren Anteil in der Therapie einnähme. Hierzu könnte eine Ausrichtung von Behandlungsleitlinien an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur erfolgreichen Therapie einer PTSD entscheidend beitragen.
196
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220
ANHANG
Anhang
Regeln zur Betreuung und zum Schutz von Personen, die im Rahmen der Zielsetzungen der Ambulanz für Flüchtlinge und Folteropfer an der Universität Konstanz diagnostisch untersucht werden.
Die Mitarbeiter der Ambulanz und der Abteilung Klinische Psychologie und Neuropsychologie verpflichten sich mit ihrer Unterschrift, diese Regeln zur Kenntnis
zu nehmen und einzuhalten. Der Schutz der untersuchten Person beinhaltet umfassende Aufklärung über Ziele, Vorgehensweise und mögliche Belastungen der
Untersuchung, die Aufmerksamkeit für den psychischen Zustand während der
Untersuchung und die Sicherung gegebenenfalls erforderlicher Nachbetreuung.
Diese Regeln zur Wahrung des Patientenschutzes dienen dazu, mögliche Krisen, die durch die Untersuchung in Gang gesetzt werden könnten, aufzufangen.
Die Untersuchung selbst ist so gestaltet, dass Krisen soweit möglich vermieden
werden Die Zielsetzung korrekter Diagnostik insbesondere aber die Erstellung rechtlich tragfähiger Gutachten impliziert jedoch notwendigerweise die Konfrontation
mit Erinnerungen, die viele Klienten bislang vermieden und zu vermeiden versuchten. Im Einzelfall ist zwischen der momentanen Belastung eines Patienten und
den möglicherweise lebensbedrohenden Konsequenzen eines Gutachtens, das nicht
hinreichend detailliert und widerspruchsfrei ist, sorgfältig abzuwägen. Wir wissen
aus den Berichten der Klienten, dass sie Krisen und belastende Zustände unabhängig von unserer Untersuchung immer wieder erleben, ein Zustand der Belastetheit ist daher nicht das Produkt oder die Konsequenz der Untersuchung, kann
jedoch durch die Problem-Konfrontation mitunter ausgelöst werden. Wir verstehen
Patientenschutz daher nicht als Sicherung, dass der Klient (hier sind ebenso Klientinnen gemeint) sich während der gesamten Untersuchung wohl, unbeeinträchtigt und
unbelastet fühlt, sondern als Sicherung der lückenlosen Betreuung und therapeutischen Hilfe im Falle einer emotionalen Belastung und Krise.
Vor Beginn der Untersuchung:
• Bei der Terminbekanntgabe erhält der Klient über die Person, die ihn zur Untersuchung angemeldet hat, eine schriftliche Einladung zur Untersuchung.
221
ANHANG
Die anmeldende Person wird gebeten sicherzustellen, dass der Klient die Informationen verstanden hat.
• Befindet sich der Klient in ambulanter Therapie und ist der Name des Therapeuten aus dem Anmeldeformular bekannt, so wird dieser telefonisch über
den Untersuchungstermin informiert; es wird seine Einschätzung bezüglich
des derzeitigen psychischen Zustandes des Klienten erfragt.
• Am Untersuchungstag wird der Klient vor Beginn der diagnostischen Untersuchung im Detail über das in der Einladung beschriebene Prozedere der
Untersuchung informiert. Dabei wird auf Ziele, Dauer, Inhalt und Vorgehensweise der diagnostischen Untersuchung eingegangen. Der Klient unterzeichnet – gegebenenfalls nach Übersetzung – die schriftlich vorliegende Einverständniserklärung.
• Die Aufklärung umfasst den Hinweis auf die jederzeit bestehende Möglichkeit, die Untersuchung abzubrechen.
• Übersetzer und sonstige anwesende Personen werden über die Schweigepflicht aufgeklärt und unterschreiben Schweigepflichterklärungen.
Während der Untersuchung:
1. Das psychodiagnostische Gespräch:
• Die die Untersuchung durchführenden Mitarbeiter vergewissern sich nach
den einzelnen Untersuchungsphasen über Zustand, Belastungserleben, Wohlbefinden des Klienten.
• Ein verantwortlicher Projektleiter oder Supervisor ist im Haus bzw. telefonisch erreichbar und wird im Falle einer Krise hinzugezogen; die Exploration
möglicher traumatischer Ereignisse erfolgt in Form eines standardisierten Interviews. Um die emotionale Belastung des Klienten in der Untersuchungssituation möglichst gering zu halten, wird er durch Fragen des Interviewers
in der Schilderung der Erlebnisse geleitet und nicht aufgefordert, die traumatischen Erlebnisse frei zu schildern. Eine ausführliche, auch emotionale
Exploration ist der Therapie vorbehalten.
• Der Untersucher bietet regelmäßig Pausen an bzw. legt Pausen ein, wenn der
Klient es wünscht.
222
ANHANG
• Bei Anzeichen internistischer oder neurologischer Auffälligkeiten wird umgehend der verantwortliche Stationsarzt (Station 33 befindet sich ein Stockwerk über Ambulanz und Untersuchungsräumen) hinzugezogen. Im Falle
dessen Abwesenheit ist ein 2. Stationsarzt erreichbar oder der Arzt vom Dienst
im ZPR zu rufen.
• Äußert der Klient den Wunsch, die Untersuchung abzubrechen, wird dem
unmittelbar stattgegeben und der psychische Zustand abgeklärt.
2. Die neurophysiologische Untersuchung:
• Vor der MEG-Untersuchung findet eine ausführliche Aufklärung über die
Untersuchung statt. Der Klient wird darauf hingewiesen, welche Teile der
MEG-Untersuchung in das Gutachten einfließen können und welche zunächst
wissenschaftlichen Zwecken dienen. Der Klient wird darüber aufgeklärt, dass
eine Gutachtenerstellung unabhängig von der Teilnahme an der MEG-Untersuchung erfolgen kann.
• Während der Untersuchung befindet sich auf Wunsch des Patienten ein ausgebildeter Mitarbeiter gemeinsam mit dem Patienten im Messraum. Es besteht zu jeder Zeit Sicht- und Sprachkontakt. Bei Anzeichen einer psychischen
Krise wird ein erfahrener Psychologe, bei internistischen oder neurologischen
Auffälligkeiten ein Arzt verständigt (siehe oben).
• Auf Wunsch des Patienten wird die Untersuchung abgebrochen.
• Im Anschluss an die MEG-Untersuchung erfolgt eine genaue Exploration des
Befindens und Erlebens des Patienten während der Untersuchung.
Nach der Untersuchung:
• Oberstes Ziel ist es, eine lückenlose Betreuung sicher zu stellen.
• Der Klient wird darüber informiert, dass bei Verschlechterung des Zustandes
nach der Untersuchung einer der Mitarbeiter jederzeit telefonisch erreichbar
ist und kontaktiert werden kann.
• Der Untersucher vergewissert sich über den psychischen Zustand, das Wohlbefinden des Klienten, bevor dieser die Ambulanz verlässt.
• Im Falle unklaren Zustands wird – in Absprache mit dem Klienten – der betreuende Hausarzt oder Therapeut informiert.
223
ANHANG
• In Absprache mit dem Klienten wird ein Kurzprotokoll der Untersuchung
dem betreuenden Hausarzt/Therapeuten zugeschickt bzw. es wird telefonisch mit den Betreffenden Kontakt aufgenommen.
Die beiden letzten Punkte setzen die schriftliche Schweigepflichtentbindung durch
den Klienten voraus!
224
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