3 Zahlen

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Ausschweifung: Funktionen als Mengen von Paaren
3
3.1
Zahlen
Natürliche Zahlen und Induktion
Natürliche Zahlen kann man auf viele verschiedene Weisen darstellen. Darstellungen
für die ’ fünf’ sind beispielsweise
• V bei den alten Römern
• IIIII bei den S teinzeitmenschen
• 5 bei uns
• 1 01 im Computer und
• 1 1 bei den (an jedem Fuß) zweizehigen Faultieren. Denn jede Zivilisation stellt
schließlich die Gesamtzahl der Zehen plus eins als ’ Zehen + 1 = 1 0 + 1 = 1 1
dar. Wenn S ie noch lachen, haben S ie mich nicht verstanden (Che Guevara, der
hübsche Unglücksrabe).
Mit natürlichen Zahlen, kann man viele schöne S achen machen, insbesondere: Zählen, Addieren und Multiplizieren. Rechenregeln über Addition und Multiplikation sind
• die Kommutativgesetze
a+b
a· b
=
=
b+a
b· a
d. h. es ist egal, was bei einer Addition bzw. Multiplikation der linke oder der
rechte Operand ist. Ganz im Gegensatz beispielsweise zur S ubtraktion wo 3 −
2 = 1 gilt, aber das Ergebnis der S ubtraktion 2 − 3 nicht einmal innerhalb der
natürlichen Zahlen liegt.
• die Assoziativgesetze
( a + b) + c
( a · b) · c
=
=
a + ( b + c)
a · ( b · c)
d. h. es ist egal, ob man eine S umme oder ein Produkt von links nach rechts oder
von rechts nach links ausrechnet. Auch das ist beispielsweise bei der S ubtraktion
anders: 1 − ( 1 − 1 ) = 1 wohingegen ( 1 − 1 ) − 1 nicht einmal innerhalb der
natürlichen Zahlen liegt. Man wendet das Assoziativ stillschweigend an, wenn
man in S ummen die Klammern weglässt: Ausdrücke wie a + b + c + d und
a · b · c · d kann man in jeder beliebigen Reihenfolge auswerten. Das Ergebnis ist
immer das Gleiche. Im Gegensatz zu a − b − c − d und a/ b/ c/ d, was man von
links nach rechts auswerten muss.
14
• das Distributivgesetz
a · ( b + c) = a · b + a · c
Das Gesetzt erlaubt das ’ Ausmultiplizieren’ von Klammern:
2 · ( 3 + 4) = 2 · 3 + 2 · 4
Es erlaubt auch, gemeinsame Faktoren von S ummen ’ vor die Klammer zu ziehen’ :
2 · 3 + 2 · 4 = 2 · ( 3 + 4)
Weil man verabredet hat, dass Punktrechnung vor S trichrechnung geht, ist die
rechte S eite des Distributivgesetzes übrigens eine Abkürzung für ( a · b) + ( a · c)
wie wir das gewohnt sind. Will man hingegen a · ( b + a) · c rechnen, so muss
man Klammern setzen.
• Nützliches über Konstanten
a+0
a· 1
=
=
0+a=a
1·a=a
Wir über ein bisschen Rechnen, indem wir zeigen, dass man das Distributivgesetz
auch von rechts anwenden kann, d. h.
( a + b) · c = a · c + b · c
(3 )
Beweis:
( a + b) · c
=
=
=
c · ( a + b) ( Kommutativgesetz für · )
c · a + c · b ( Distibutivgesetz )
a · c + b · c ( ( Kommutativgesetz für · )
Wir verabreden x 2 als Abkürzung für x · x und können mit diesen Gesetzen schon
bekannte Gleichungen ableiten, z. B.
( a + b) 2 = a 2 + 2 · a · b + b 2
Im Beweis werden Assoziativgesetze stillschweigend angewendet.
( a + b) 2
=
=
=
( a + b) · ( a + b) ( Definition von x 2 )
( a + b) · a + ( a + b) · b ( Distributivgesetz)
a · a + b · a + a · b + b · b wegen (3 )
=
=
=
=
a · a + a · b + a · b + b · b) ( Komm. von · )
a · a + 1 · a · b + 1 · a · b + b · b) ( Konstanten)
( a · a + ( 1 + 1 ) · ( a · b) + b · b) ( Distributivgesetz
( a 2 a + 2 · ( a · b) + b 2 ( Definition von x 2 )
15
S o detailliert kann man in der Mathematik begründen, was man tut. Hier stellen
sich natürlich sofort weitere Fragen: i) wie begründet man 1 +1 = 2 oder 2 + 2 = 4
? ii) Wie begründet man Gesetze wie Beispielsweise das Kommutativgesetz für die
Addition iii) warum funktioniert das Verfahren, mit dem wir in der Grundschule die
Addition langer Zahlen gelernt haben? Fragen über Fragen, spannend und für die S tatistik entbehrlich. Wir beantworten dennoch. Und zwar weil wir dabei lernen, wie man
so genannte Induktionsbeweise führt.
3.2
Induktion
Induktion braucht man in der Mathematik, insbesondere in der S tatistik. Es geht überhaupt nicht ohne sie. Man kann so tun als ob man sie nicht benutzt; man kann sogar so
schusselig sein, dass man gar nicht merkt, dass man es stillschweigend tut. Induktion
ist wie eine schwere Waffe im Videospiel: hat man sie nicht, kriegt man mit den lächerlichsten Gegnern oft die größten S chwierigkeiten. Ist sie einmal erobert, hält man auf
die gleichen Gegner nur kurz drauf und - bang bang - pustet sie weg. Ohne Induktion
ist man in der Mathematik schlimmer dran als mit Pickeln in der Disco. Besser gleich
nach Hause gehen.
Wozu ist Induktion gut? In einem Wort: sie formalisiert ’ . . .’ Ganz genau: ’ Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen’ . Wir schreiben ’ . . .’ immer dann, wenn wir vom Leser
erwarten, dass er sich auf Grund von dem, was wir ihm schon gesagt haben, den Rest
denken kann. Das kann zu Missverständnissen führen, denn wer weiß schon, wie sein
Mitmensch denkt? Überdies hängt das, was der Mitmensch sich sich als Fortsetzung
von bereits vorhandenem denken kann sehr stark davon ab, was er weiß.
Intelligenztests Wir betrachten zur Erläuterung die folgenden ’ Intelligenztests’ , die
alle in Form von Folgen f1 , f2 , f3 , . . . gestellt sind. Um die Folgen fortsetzen zu können, muss man errate, nach welchem Gesetz für jedes n das Folgenglied fn gebildet
wurd.
1 . ω, ψ, χ, . . .
2. 1 , 2 , 3, 1 0, 1 1 , 1 2 , 1 3, 2 0, . . .
3 . I, II, III, IIII, . . .
4. 1 , 3, 6, 1 0, 1 5 , . . .
5. 1 , 2 , 6, 2 4, 1 2 0, . . .
6. 1 , 3, 1 2 , 2 2 , . . .
S chauen wir uns die Lösungen an:
1 . : Das Griechische Alphabet beginnt mit α, β, γ, δ, . . . . und endet mit . . . ρ, σ, τ, �, φ, χ, ψ, ω.
Diese Aufgabe ist also ebenso leicht wie z, y, x, . . . WENN man das Griechische
Alphabet vorwärts und rückwärts kann.
16
2. Hinweis: 1 , 2 , 3, 4, 5 , 6, 7, 8, 9, 1 0, 1 1 , 1 2 , 1 3, 1 4, 1 5 , 1 6, 1 7, 1 8, 1 9, 2 0 . . . setzen
1 0-Zeher wie wir fort mit 2 1 , 2 2 , 2 3, 2 4, 2 5 , 2 6, 2 7, 2 8, 2 9, 30 . . . . Die Folge der
Aufgabe stammt von einem zählenden zweizehigen Faultier (mit insgesamt 4
Zehen an den Füßen) und wird daher wie folgt fortgesetzt: 2 1 , 2 2 , 2 3, 30, . . .
3 . Zählen in der S teinzeit. Es geht weiter mit IIIII, IIIIII, IIIIIII, . . . und
zwar egal wie viele Zehen man hat. Das ist fast zu schön um wahr zu sein (gleichwohl kann man sich dabei leicht verschreiben).
4. Die Folge ist 1 , 1 + 2 , 1 + 2 + 3, 1 + 2 + 3 + 4, 1 + 2 + 3 + 4 + 5 , . . . , was man aber
nur erkennt, wenn man addieren kann. Zum Folgenglied fn kommt man, indem
man zum vorherigen Folgenglied fn− 1 die Zahl n addiert:
fn = fn− 1 + n
Es geht also weiter mit f6 = f5 + 6 = 2 1 und f7 = f6 + 7 = 2 8.
5. Für die nächste Aufgabe muss man sogar multiplizieren können. Die Folge ist
1 , 1 · 2 , 1 · 2 · 3, 1 · 2 · 4, 1 · 2 · 3 · 4 · 5 . Mithin ist fn = fn− 1 · n und es geht weiter
mit f6 = f5 · 6 = 72 0 un f7 = f6 · 7 = 5 040.
6. das ist natürlich nur Aufgabe 4 für zweizehige Faultiere.
Zur Hölle mit überflüssigen Intelligenztests. Klar Denken, was wir in der Mathematik ja anstreben, ist schwer genug ohne sie. Wir vermeiden die drei Pünktchen wo
wir können. Zur Lösung von Aufgabe 1 braucht man nur Faktenwissen und überhaupt
keine Intelligenz. Eine vollständige Liste des Griechische Alphabets kann man ohne
alle Pünktchen hinschreiben. Wir übergehen vorläufig Aufgaben 2 und 6, weil sie noch
zu schwierig sind. Wir übergehen weiterhin Aufgabe 3 , weil man dort die Pünktchen
nicht wirklich weg bekommt, und wenden uns Aufgaben 4 und 5 zu.
Induktive Definitionen Bei den Lösungen der Aufgaben 4 und 5 haben wir eine sehr
mächtige Technik zum Definieren von Folgen bzw von Funktionen kennen gelernt.
Man definiert f( 1 ) und man definiert, wie man f( n) aus f( n − 1 ) konstruiert. Eine
solche S o etwas nennt man eine induktive Definition. In Beispiel 4:
�
1
falls n = 1
f( n) =
f( n − 1 ) + n sonst
Zur Erinnerung mit Pünktchen
f( n) = 1 + . . . + n
Die berühmte Gausssumme 5 , die Gauss in der S chule für n = 1 00 als S trafarbeit
ausrechnen sollte. Wir haben bei der Lösung des Intelligenztest so gerechnet, wie das
der Lehrer geplant hatte. Weil das für n = 1 00 nicht lustig ist (war auch nicht so
5 Neue
Rechtschreibung
17
gemeint, es war ja eine S trafarbeit) rechnen wir jetzt gleich für beliebiges n wie Gauss
das tat (und mit Pünktchen)
2 · f( n)
=
=
=
1 + 2 + . . . + n + n + (n − 1) + . . . + 1
( 1 + n) + ( 2 + ( n − 1 ) ) + . . . + ( n + 1 )
(n + 1) · n
und schließen
f( n) = ( n + 1 ) · n/ 2
Insbesondere gab Gauss nach wenigen Minuten die Antwort
f( 1 00) = 1 01 · 1 00/ 2 = 5 05 0
und die von unserem Intelligenztest schon bekannten Lösungen Lösungen des Intelligenztests
f( 6)
f( 7)
=
=
7 · 6/ 2 = 2 1
8 · 7/ 2 = 2 8
kommen auch wieder raus. Das ist einerseits beruhigend, war aber andererseits, da wir
uns nicht verrechnet haben, auch nicht anders zu erwarten.
Im Beispiel 5 konnten wir die Lösung des Intelligenztests ebenfalls durch eine induktive Definition angeben:
�
1
falls n = 1
f( n) =
n · f( n − 1 ) sonst
oder mit Pünktchen
f( n) = 1 · 2 · . . . · n
Diese Funktion hat ebenfalls einen bekannten Namen: statt f( n) schreibt man üblicherweise n! - gesprochen n-Fakultät; wer weiß warum?
In der Mathematik muss man häufig die Glieder fi von Folgen bis zu einem gewissen n aufsummieren. Man verabredet deshalb die S chreibweisen
n
�
fi = f1 + . . . + fn
i= 1
n
�
- gesprochen: S umme der fi von i = 1 bis n sowie
fi = f1 · . . . fn
i= 1
- gesprochen: Produkt der fi von i = 1 bis n.
Die gleichen Definitionen induktiv, d. h. ohne Pünktchen:
18
�
n
�
fi =
�
i= 1
sowie
n
�
fi =
i= 1
f1
� n− 1
fn + i = 1 fi
f1
� n− 1
fn · i = 1 fi
fallsi = 1
(4)
fallsi = 1
Offenbar ist
n! = Π ni= 1 i
Für endlichen Menge und für Funktionen p : A → R, die Elemente der Menge in
Zahlen abbildet, will man oft die S umme aller p( a) mit a ∈ A bilden. Dazu nummeriert
man die Elemente der Menge durch
A = { a1 , . . . , an }
�
n
�
und summiert die Elemente der Folge p( a 1 ) , . . . p( a n ) . In Formeln
p( a) =
a∈ A
p( a i )
i= 1
In welcher Reihenfolge man die Elemente der Menge durchnummeriert und aufsummiert ist wegen der Kommutativität der Addition egal. Ebenso definiert man
�
n
�
p( a) =
a∈ A
p( a i )
i= 1
Vier Axiome von Peano Ganz ohne sich irgendwann drei Pünktchen vorzustellen
geht es nicht. Das liegt daran, dass wir Menschen zutiefst endlich sind wohingegen die
natürlichen Zahlen zutiefst unendlich sind. Auch in einem langen, ausgefüllten Mathematikerinnenleben werden wir nur endlich viele von ihnen konkret zu Gesicht bekommen. Die unendlich vielen anderen müssen wir uns vorstellen . . . . und über sie mit
einer Theorie, die man Mathematik nennt, spekulieren. Das muss man mit der größten Vorsicht tun, denn eine Zivilisation von endlichen Wesen, die über das Unendliche
spekuliert, ist wie eine Zivilisation von Maulwürfen, die optische Geräte baut.
Wie wir schon mit Freude zur Kenntnis genommen haben, stellen sich die Menschen die natürlichen Zahlen zumindest in S teinzeitdarstellung alle gleich vor
N = { I, II, III, IIII, IIIII, IIIIII, . . . }
Basierend auf dieser Vorstellung ist man sich - jetzt ohne Pünktchen - über folgendes einig:
1 . I ist eine natürliche Zahl. Wer hätte das gedacht.
19
2. Zu jeder natürlichen Zahl x kann man I dazu zählen. Das Ergebnis nennen wir
den Nachfolger von x und bezeichnen es mit N( x) .
3 . Man kommt durch Zählen nicht zur Zahl I zurück
∀x : N( x) �= I
4. Verschiedene Zahlen haben verschiedene Nachfolger:
x �= y → N( x) �= N( y)
Man kommt also beim Zählen auch nie bei Zahlen an, bei denen man schon
vorher durch Zählen angekommen ist.
∀x : N( x) �= I
Jedes mal, wenn man um I weiter zählt, kommt man also zu einer neuen Zahl. Damit hat
man - ohne Pünktchen - das Unendliche in 4 endlichen Aussagen gebracht. Aufbruch
der Maulwürfe zum Licht und der S terblichen in die Unendlichkeit. Das waren die
ersten vier der berühmten Peano’ schen Axiome.
Induktionsbeweise Die Mutter aller Induktionsbeweise handelt wie nicht anders zu
erwarten von Vätern und S öhnen. Wir setzen ohne weitere Diskussion zwei Dinge
voraus:
• Adam war ein Idiot
• ist der Vater ein Idiot, dann auch der S ohn
Wir wollen zeigen, dass alle Männer Idioten sind.
Zunächst definieren wir induktiv Mengen Mn von Männern. M0 besteht nur aus
Adam. Für n ≥ 1 besteht Mn aus den S öhnen der Männer aus Menge Mn− 1 . Wir
bemerken am Rand, dass man Induktive Definitionen auch bei 0 oder jeder beliebigen
anderen Zahl beginnen lassen kann. Da jeder Mann in Väterlicher Linie nach irgendeiner Anzahl von Generationen Adam als seinen Vorfahr hat, liegt jeder Mann in einer
der Mengen Mn . Es genügt also, für alle n die folgenden Behauptung, die wir mit I( n)
bezeichnen zu zeigen: alle Männer in Mn sind Idioten.
Fangen wir an: I( 0) : einziger Mann in M0 ist Adam. Der ist nach Voraussetzung 1
ein Idiot. Damit ist I( 0) bewiesen.
I( 1 ) : Jeder Mann m in M1 hat einen Vater v in M0 . Wir haben bereits I( 1 ) gezeigt.
Deshalb ist bereits bewiesen, dass v ein Idiot ist. Aus Voraussetzung 2 folgt, dass m
ein Idiot ist. Damit ist I( 1 ) bewiesen.
I( 2 ) : Jeder Mann m in M2 hat einen Vater v in M1 . Wir haben bereits I( 2 ) gezeigt.
Deshalb ist bereits bewiesen, dass v ein Idiot ist. Aus Voraussetzung 2 folgt, dass m
ein Idiot ist. Damit ist I( 2 ) bewiesen.
usw. , Pünktchen Pünktchen Pünktchen
20
Es ist klar, dass wir bei genügender Geduld für jedes endliche n, etwa n = 1 02 497
einen endlichen Beweis für Behauptung I( n) geben könnten. Aber wie kommen wir
zu der Aussage: I( n) gilt für alle n, was ja unendlich viele sind?
Hierzu benutzt man ein Beweisprinzip, das als das fünfte Peano-Axiom bekannt
ist. Eine Aussage I( n) gilt schon dann für alle n als bewiesen, wenn man zeigen kann,
dass es für jedes endliche n einen Beweis für Aussage I( n) gibt. Beachte: ich muss
den Beweis nicht angeben. Es genügt zu zeigen, dass es ihn gibt. Aber wie zeigt man
sowas?
Man verfährt in 2 S chritten:
1 . man zeigt I( 0) . Das nennt man den Induktionsanfang. Genau wie oben. Der
Beweis für ein konkretes kleines n.
2. man zeigt für beliebiges n, dass man einen Beweis für I( n − 1 ) zu einem Beweis von I( n) verlängern kann. Hierzu zeigt man für beliebiges n Aussage I( n)
beweisen kann, wenn man Aussage I( n − 1 ) als Voraussetzung benutzen darf;
oder in der S prache der Logik ausgedrückt, dass
I( n − 1 ) → I( n)
gilt. Diesen zweiten S chritt nennt man den Induktionsschritt. Im Induktionsschritt heißt die Aussage I( n − 1 ) , die Induktionsvoraussetzung.
Aussage I( n) heißt die Induktionsbehauptung bzw. die Induktionshypothese
In unserem Beispiel ist der Induktionsschritt
I( n − 1 ) → I( n) : Jeder Mann m in Mn hat einen Vater v in Mn− 1 . Wir dürfen
I( n − 1 ) als Voraussetzung benutzen. Aus I( n − 1 ) folgt, dass v ein Idiot ist. Aus
Voraussetzung 2 folgt, dass m ein Idiot ist. Damit ist I( n) bewiesen.
In logische Formeln ausgedrückt sieht das fünfte Peano-Axiom übrigens ungefähr
so aus: für alle Aussagen I( n) gilt
( I( 0) ∧ ( ∀n ∈ N : I( n − 1 ) → I( n) ) ) → ∀n ∈ N 0 : I( n)
S tatt Vätern und S öhnen nun mit Gausssummen: wir zeigen, diesmal durch Induktion und ohne alle Pünktchen für alle n ∈ N die folgende Aussage
Σ ni= 1 i = n · ( n + 1 ) / 2
Induktionsanfang I( 1 )
Σ 1i = 1 i = 1 = 1 · ( 1 + 1 ) / 2
21
n
�
n−
�1
S timmt. Beim Induktionsschritt I( n − 1 ) → I( n) wird gerechnet:
i
=
n+
i= 1
i
(wegen Definition 4)
i= 1
=
=
=
=
=
((n − 1) + 1) · (n − 1)
2
2·n
n · (n − 1)
+
2
2
2 · n + n · (n − 1))
2
n · (2 + (n − 1))
2
n · (n + 1)
2
n+
(Induktionsvoraussetzung)
Die Rechenregeln für Bruchrechnung werden wir weiter unten nochmal wiederholen. S tatt von I( n − 1 ) auf I( n) schließt man im Induktionsschritt sehr oft auch von
I( n) auf I( n + 1 ) . Und man kann Induktionsbeweise natürlich auch bei 1 anfangen.
Dann beweist man natürlich nichts über I( 0) . S o ist auch die - beinahe wirkliche Originalversion des 5. Peanoaxioms formuliert:
( I( 1 ) ∧ ( ∀n ∈ N : I( n) → I( n + 1 ) ) ) → ∀n ∈ N 0 : I( n)
Natürlich kann man auch induktive Definitionen machen, indem man definiert, wie
man f( n + 1 ) aus f( n) berechnet. Dann braucht man allerdings 2 Gleichungen.
Die Fakultätsfunktion könnte man also auch definieren als
1!
(n + 1)!
=
=
1
( n + 1 ) · n!
Jetzt siehst Du, liebe Leserin, warum ich die andere S chreibweise bevorzuge: bei
Induktion von n − 1 nach n hat man meistens weniger S chreibarbeit als bei Induktion von n nach n + 1 . Das vermeidet, dass ich mir an der Tafel einen Tennisarm hole
und macht schneller. Ein bisschen zwar nur, aber i) wurden schon viele Rennen dadurch gewonnen, dass einer ein bisschen schneller war als alle anderen und ii) sagt der
berühmte Rally-Fahrer Walter Röhrl: ’ Lenke so wenig wie möglich’ .
Merke: das konsequente Vermeiden überflüssiger Bewegung ist eine DER Quellen
von aberwitziger Geschwindigkeit. Lenke nach Möglichkeit Autos durch Kurven ohne
den geringsten Ruckler. Vermeide nach Möglichkeit beim Denken auch den geringsten
Umweg.
3.3
Ausschweifung: Beweise für Rechenregeln
Es muss für S tatistikerinnen wirklich nicht sein; aber wie so vieles was nicht wirklich
sein muss, ist es einfach schön. Präzisieren wir, weil S chönheit subjektiv ist: ich finde
22
es wunderschön, und Du kannst es ja überlesen. Es sei denn Du willst wissen, warum
die Addition kommutativ ist und warum 2 + 2 = 4 ist (nicht, warum 2 + 1 = 3 ist, das
ist banal).
Also, liebe Mitmenschen und Blondinen: wir stellen uns ganz dumm. Das ist schwerer als meint. Wir kennen die natürlichen Zahlen nur in der steinzeitlichen Form, wo es
keine Null gibt6 . Wir nur können zählen - mit Hilfe der Nachfolgerfunktion N. Und wir
können Induktionsbeweise führen. Leider haben die Zeichen + , − und 0 für uns noch
keine Bedeutung, was hinwiederum die bisherigen Formulierungen 5. Peano-Axioms
sinnlos macht. In der letzten genannten Version sind ’ 0’ und ’ -’ abwesend, und ’ +’ wird
nur in � n + 1 � benutzt; das ist Zählen und kann durch N( n) ersetzt werden:
Das liefert die wirkliche Originalversion
( I( 1 ) ∧ ( ∀n ∈ N : I( n) → I( N( n) ) ) ) → ∀n ∈ N 0 : I( n)
wobei wir noch die Abkürzung
I=1
benutzt haben. Als nächstes definieren wir die Addition und Multiplikation mit
Pünktchen:
x+y
x∗y
=
=
x + 1 + . . . + 1 ( y − mal)
x + . . . + x ( y − mal)
Genieße es: du siehst die Definitionen von Addition und S ubtraktion. Die Definition
der Addition induktiv ohne Pünktchen:
�
x+1
falls y = 1
x+y=
( x + ( y − 1 ) ) + 1 falls y �= 1
Da wir S teinzeit spielen und nicht rückwärts zählen können, müssen wir x + ( y + 1 )
mit Hilfe von x + y definieren. Wir brauchen jetzt zwei Gleichungen (die S teinzeit war
langsam):
x+1
x + (y + 1)
=
=
x + 1 (merkwürdig)
( x + y) + 1
Die erste Gleichung ist offensichtlich nutzlos. Irgendwas stimmt nicht. Wir haben
uns nicht erfolgreich genug dumm gestellt und vergessen, dass wir die Bedeutung von
’ +’ erst definieren wollen. Das Benutzen von x + 1 auf der linken S eite der ersten
Gleichung ist ok, denn das wolen wir definieren. Als definierende Größe benutzen wir
besser etwas, was wir bereits kennen:
6 S triche, die nicht vorhanden sind, sind ein zu kompliziertes Konzept für S teinzeitmenschen und heute
noch für gewisse Juristen [ Keller/Paul]
23
x + 1 = N( x)
(5)
In der zweiten Gleichung ersetzen wir ebenfalls den Gebrauch y + 1 und ( x + y) + 1
durch N( y) und N( x + y) .
x + N( y) = N( x + y)
(6)
Willkommen in der S teinzeit. Die Addition ist frisch erfunden. Wir wissen über sie
nichts als die beiden Gleichungen (5) und (6). Jetzt leiten wir das Assoziativgesetz und
das Kommutativgesetz her. Wir beginnen mit einem S pezialfall eines S pezialfalls des
Assoziativgesetzes.
Lemma 1 Für alle x gilt
(x + 1) + 1 = x + (1 + 1)
Beweis:
(x + 1) + 1
=
=
=
N( x + 1 ) wegen (5)
x + N( 1 ) wegen (6)
x + ( 1 + 1 ) wegen (5)
�
Das letzte Zeichen, das Du eben gelesen hast ist ein Zeichen für Behinderte. Es
bedeutet, dass der Beweis jetzt fertig ist. Früher schrieb man oft q. e. d. Das ist eine
Abkürzung für das Lateinische ’ quod erat demonstrandum’ (Deutsch: was zu beweisen
war). Ich lasse es weg, zumindest wenn ich alleiniger Autor eines Buchs oder Artikels
bin. Ich möchte, dass meine Leserin selbst kontrolliert, ob sie von den Argumenten, die
sie gehört haben, überzeugt sind. Kann sie das, weiß sie selbst, wann der Beweis fertig
ist und braucht weder q. e. d noch � . Kann sie es nicht, trainiere ich sie bloß wie einen
Pavlov’ schen Hund beim Anblick dieser Zeichen glücklich lächelnd das Denken einzustellen. Das mag ein bezaubernder Anblick sein, öffnet aber hinterlistigen Menschen
(die gibt es) Tür und Tor, meine Leserin hinter Licht zu führen, indem sie mit diesen
Zeichen vor ihrer Nase herumwedeln.
Lemma 2 Für alle x, y gilt
( x + y) + 1 = x + ( y + 1 )
Beweis durch Induktion über y. Der Induktionsanfang y = 1 ist durch Lemma 1
gezeigt.
Induktionsschritt: y → N( y)
( x + N( y) ) + 1
=
=
=
=
=
N( x + y) + 1 wegen (6)
N( N( x + y) ) wegen (5)
N( x + N( y) ) wegen (6)
x + ( N( N( y) ) wegen (6)
x + ( N( y) + 1 ) wegen (5)
24
Irgendetwas war merkwürdig. Genau, wir haben einen Induktionsbeweis geführt
ohne die Induktionsvoraussetzung anzuwenden. Formal ist alles in bester Ordnung.
Wir haben I( y) → I( N( y) ) gezeigt, indem wir einfach I( N( y) ) direkt gezeigt haben. Wir sehen dass das fünfte Peano-Axiom uns zwei Beweistechniken liefert: i)die
bekannten Induktionsbeweise und ii) Beweis durch die zwei Fälle i) die Variable, die
uns interessiert ist 1 ii) die Variable, die uns interessiert hat die Form N( y) . Das ist
eine Aussage über die S truktur der natürlichen Zahlen: natürliche Zahlen sind 1 oder
Nachfolger von irgendwas. Wir kommen zum Assoziativgesetz, welches jetzt richtig
durch Induktion bewiesen wird.
Lemma 3 Für alle x, y, z gilt
( x + y) + z = x + ( y + z)
Beweis durch Induktion über z. Der Induktionsanfang y = 1 ist durch Lemma 2
gezeigt.
Induktionsschritt: z → N( z)
( x + y) + N( z)
=
=
=
=
N( ( x + y) + z) wegen (6)
N( x + ( y + z) ) (Induktionsvoraussetzung)
x + N( y + z) wegen (6)
x + ( y + N( z) ) wegen (6)
Als nächstes zeigen wir einen S pezialfall des Kommutativgesetzes:
Lemma 4 Für alle x gilt:
x+1 = 1 +x
Beweis durch Induktion über x. Der Induktionsanfang ist trivial
1+1 =1+1
x → N( x) :
N( x) + 1
=
=
=
N( x + 1 ) wegen (5)
N( 1 + x) (Induktionsvoraussetzung)
1 + N( x) wegen (5)
Damit können wir das Kommutativgesetz der Addition beweisen.
Lemma 5 Für alle x, y gilt
x+y= y+x
25
Beweis durch Induktion über y. Der Induktionsanfang ist durch Lemma 4 bewiesen.
Induktionsschritt y → N( y) :
x + N( y)
=
=
=
=
=
N( x + y) wegen (6)
N( y + x) (Induktionsvoraussetzung)
( y + x) + 1 wegen (5)
y + ( x + 1 ) wegen Lemma 3
y + ( 1 + x) (Induktionsvoraussetzung)
=
=
( y + 1 ) + x wegen Lemma 3
N( y) + x wegen (6)
Zur Behandlung der Multiplikation muss man sie zuerst in S teinzeitform definieren
x· 1 = x
(7)
x · N( y) = x · y + x
(8 )
Dann leitet man auf ganz analoge Weise die Assoziativität und Kommutativität der
Multiplikation her
( x · y) · z = x · ( y · z)
(9)
x· y= y· x
(1 0)
Danach bekommt man das Distributiv mit einem einzigen weiteren Induktionsbeweis:
Lemma 6 Für alle x, y, z gilt
( x + y) · z = x · z + y · z
Beweis durch Induktion über z. Für den Induktionsanfang z = 1 benutzt man nur
(7)
( x + y) · 1
=
=
x+y
x· 1 +y· 1
Induktionsschritt z → N( z) :
( x + y) · N( z)
=
=
=
( x + y) · z + ( x + y) wegen (6)
( x · z + y · z) + ( x + y) (Induktionsvoraussetzung)
x · z + ( y · z + ( x + y) ) wegen Lemma 3
=
=
=
=
=
x · z + ( ( y · z + x) + y) ) wegen Lemma 3
x · z + ( ( x + y · z) + y) ) wegen Lemma 5
x · z + ( x + ( y · z + y) ) ) wegen Lemma 3
( x · z + x) + ( y · z + y) ) ) wegen Lemma 3
x · N( z) + y · N( z) wegen (6)
26
Oh, ich vergaß zu erklären, warum 2 + 1 = 3 und 2 + 2 = 4 gilt. Dazu muss man
zunächst verstehen, dass die Ziffern 1 , . . . , 9 sowie die Ziffernfolge 1 0 Abkürzungen
sind.
ist Abkürzung für
1
I
2
1 +1
3
2+1
4
3 +1
5
4+1
6
5+1
7
6+1
8
7+1
9
8 +1
10
9+1
Also ist 2+1 = 3 nichts weiter als die Definition von 3 . Wohingegen 2+2=4 mit
Hilfe des Assoziativgesetzes bewiesen wird:
2+2
4
4.1
=
=
=
=
2 + (1 + 1)
(2 + 1) + 1
3+1
4
Ganze Zahlen und Rationale Zahlen
Der Rand des Nichts
Die Differenz a− b zweier natürlicher Zahlen kann innerhalb der natürlichen Zahlen nur
gebildet werden, wenn a > b gilt. Die Differenz a − a ist etwas wirklich radikal neues:
die Anzahl lebendiger Hühner nachdem man von a lebendigen Hühnern a geschlachtet
hat. Keines. Man braucht eine Zahl um etwas zu zählen, was da sein könnte aber nicht
da ist. Ein Gefäß für das Nichts. Das gibt es natürlich: es ist der Rand eines Lochs. Die
neu zu erfindende Zahl wird deshalb auch als Rand eines runden Lochs dargestellt
a− a= 0
gesprochen Null. Wirkungslos beim Addieren
0+a= a+0= a
Beim Multiplizieren ein schwarzes Loch, das sowohl rechts als auch links von sich
alles in sich hineinzieht
0· a= a· 0= 0
Die Menge der natürlichen Zahlen einschließlich der Null wird mit N 0 bezeichnet:
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