maryam im islam

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Der nachfolgende, interessante Text im Sinne einer Sommerlektüre. Er zeigt auf, welch scheinbar grosse Bedeutung Maria im Koran
u n d O r i e n t hat.
Maryam im Kora1n
(c) Osservatore romano, Di. 2. Mai 2017 - Von Prof. Dr. Lejla Demiri, Lehrstuhl für Islamische
Glaubenslehre am Zentrum für Islamische Theologie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Der Koran ehrt Maria mit dem Titel siddiqa, »wahrheitsliebende Frau«, womit auf ihre
Aufrichtigkeit als wahre Gläubige und rechtschaffene Frau verwiesen wird. In der islamischen
Tradition stellt Sidq, die Wahrheitstreue oder -liebe, einen sehr hohen Grad der Heiligkeit und gar
eines der Unterscheidungsmerkmale des Prophetentums dar. Es ist also kein Wunder, dass Maria bei
einer ganzen Reihe mittelalterlicher muslimischer Theologen de facto als eine wahre Prophetin
Gottes galt. Unter diesen Kommentatoren stachen die andalusischen Gelehrten Al-Qurtubi und Ibn
Hazm hervor, aber auch Ibn Hadschar al-' Asqalän'i aus Palästina, eine der renommiertesten
Gestalten des islamischen Mittelalters .. Gleichwohl war die überwiegende Mehrheit der Theologen
stets der Ansicht, dass sie keine wirkliche Prophetin, sondern eine heilige Frau (waliyya) gewesen
sei, eine enge »Freundin« Gottes. Im Koran wird sie dafür gepriesen, die Worte ihres Herrn und
seiner Schrift bezeugt zu haben (Sure 66, 12). Jhr unerschütterliches Gottvertrauen und ihre
bedingungslose Unterwerfung unter seinen Willen und seine Entscheidungen gelten in der
»Unterwerfung
bzw. spielhaft,
»völlige da der Hingabe Name an der Gott«.
islamischen
Frömmigkeit unter Gott« als bei
ist so viel bemerkenswert, bedeutet wie dass im Arabischen ebenso wie siddiqa auch
Religion Es selbst
sadiq/a, »Freund«, die Wortwurzel s-d-q aufweist, was darauf hindeutet, dass die Aufrichtigkeit als
wahrer Katalysator des Bandes der Freundschaft dient. Maria hält nicht nur die Wahrheit hoch,
sondern verdient dank ihrer aufrichtigen Beziehung und treuen Ergebenheit zum Henn auch seine
Die dritte
Sure des Koran ist mit Al Irnran überschrieben, also »Die Sippe Imrans«,
Freundschaft.
eng;e
nach dem Namen von Marias Vater. In diesem Kapitel kommt Maria erstmals im
Koran-Text vor. Der Bericht über Marias Kindheit beginnt mit Jmrans Frau, die betet
und Gott verspricht, dass das Kind, das sie in ihrem Leib trägt, ihm geweiht werden
wird (Sure 3,35). Nach der Geburt des kleinen Mädchens gibt sie ihm den Namen Maryam und
bittet Gott im Gebet darum, das Kind und seine Nachkommen vor Satan zu beschützen (Sure 3,36).
Der Koran berichtet weiter, dass der !Herr Maria »gnädig an[nahm] und sie in schöner Weise [ ...]
heranwachsen« ließ und dass sie in der Zeit, als sie in der Obhut des Zacharias im Tempel
aufwuchs, auf Gottes Gunst zurückzuführende Wunder erlebte (Sure 3,37). Der zweite Teil der
Marienerzählung berichtet über die Verkündigung: Engel informieren sie darüber, dass Gott sie
auserwählt, geläutert und vor den Frauen der Welt erwählt habe (Sure 3,42). Dann wird sie von den
Engeln angeleitet, vor dem HeITn andächtig gehorsam zu sein, sich vor ihm niederzuwerfen und
sich »mit den Sich-Beugenden zu beugen« (Sure 3,43). Sie erhält die freudige Nachricht von einem
Kind, das sowohl in dieser als auch in der kommenden Welt hochangesehen sein werde, »einer von
denen, die Gott nahestehen, [ ... ] und der einer der Rechtschaffenen sein wird« (Sure 3,45-46). Sie
ist überTascht, zu vernehmen, dass si,e ein Kind gebären werde, obwohl sie nie von einem Mann
berührt worden war, aber die Antworlt Gottes sei klar und deutlich: »Allah schafft ebenso, was Er
will; wenn Er etwas beschlossen hat, spricht Er nur zu ihm: >Sei!< und es ist« (Sure 3,47).
Die Marienerzählung im Koran wirdl mit anderer Betonung in Sure19 wiederholt, die nach ihr
benannt ist und die de facto die einzige Sure des Korans ist, die mit dem Namen einer Frau
überschrieben ist. Überdies ist Maria die einzige Frau, die im Koran namentlich erwähnt wird. Es
gibt zahlreiche Frauengestalten, deren Geschichten in der heiligen Schrift der Muslime vorkommen
(so beispielsweise die Frauen von Adaim, Abraham, Lot und Mohammed, die Mutter und Schwester
Mose, die Frau des Pharao, die Königin von Saba und viele andere), aber keine von ihnen wird
beim Namen genannt. Maria ist die einzige Ausnahme. Interessanterweise kommt ihr Name im
Koran vierunddreißig Mal vor, öfter als im Neuen Testament.
In diesem Kapitel taucht die Verkündi;gungsgeschichte zum zweiten Mal auf, diesmal aber mit einer
ergreifenden Schilderung der Schmerzen und des Leidens, die Maria während des einsam in der
Wildnis durchlebten Geburtsvorgangs auf sich nehmen musste, wie auch der gesellschaftlich
peinlichen Lage, in der sie sich wiederfindet, als sie mit dem Kind im Arm zu ihrer Familie
zurückkehrt (Sure 19,16-29). Die Geschichte ihrer Niederkunft ist herzzerreißend und überaus
detailliert: die junge Mutter, die sich von ihrer Familie abgesondert hat, erlebt die Geburtswehen in
völliger Einsamkeit an einem verlassenen Ort. In ihrer Verzweiflung ruft sie an einem bestimmten
Punkt aus: »O wäre ich doch zuvor gestorben und wäre ganz und gar vergessen!« (Sure 19,23).
Aber gute Nachrichten sind bereits unterwegs, insofern Gott ihr sofort und auf wunderbare Weise
Nahrung und Wasser zukommen lässt, um sie in ihrer Not zu trösten (Sure 19,24-26). Das Kind, das
sie zur Welt gebracht hat, ist von Gott ausersehen, ein Zeichen bzw. Wunder (aya) für die
Menschheit und göttliche Barmherzigkeit zu sein (Sure 19,21). All die göttlichen Segnungen, die ihr
von Kindesbeinen an zuteil geworden sind, finden ihre Krönung im großen Wunder, ein Kind –
Jesus –, auszutragen, einen von Gottes heiligen Propheten. Das scheint der ultimative Ausdruck von
Gottes Macht und Willen zu sein, insofern er ohne die Mitwirkung eines menschlichen Vaters ein
Kind zu zeugen vermag, als implizite Herausforderung an die von Männern dominierte
patriarchalische Kultur. Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass Maria in der muslimischen
Frömmigkeit als ein Symbol der Fruchtbarkeit, der mütterlichen Liebe und Weiblichkeit gilt. Daher
wird die Sure über Maryam oft gerade von Frauen rezitiert, um Unfruchtbarkeit zu heilen,
Linderung bei Schwangerschaftsproblemen zu suchen, die Schmerzen der Wehen zu lindern und das
Kind und die junge Mutter zu segnen.
Außer im Koran wird Maria auch in der zweiten Schriftquelle des Islam, die unter dem Namen
Hadith (»Überlieferung«) bekannt ist, ein hoher geistlicher Rang zugebilligt. In einem dem
Propheten zugeschriebenen Ausspruch wird Maria als eine jener vier Frauen der Welt bezeichnet,
die zur geistlichen Vollkommenheit gelangt seien, die anderen drei seien Chadidscha (die Ehefrau
des Propheten), Fatima (die Tochter des Propheten) und Asia (die unterdrückte Frau des Pharaos aus
dem Exodus), von denen jede für einen spezifischen Typus eines heiligmäßigen Frauenlebens steht.
Eine weitere prophetische Tradition bezeichnet Fatima als »die bedeutendste Herrin (sayyida) des
Volks des Paradieses, Maria ausgenommen«. Es gibt auch einen (von dem Historiker al-Azraqi
überlieferten) Bericht, der den Respekt beschreibt, den der Prophet und die frühe muslimische
Gemeinde Maria entgegenbrachten, als er berichtet, wie der Prophet während der Eroberung
Mekkas durch die Muslime befohlen habe, alle Götzenbilder und Bilder zu zerstören, mit der
einzigen Ausnahme einer Darstellung der Jungfrau Maria und des Jesuskindes, die sich seit
vorislamischer Zeit im Inneren der Kaaba befand.
Maria figuriert in den grundlegenden Schriften, der Theologie, der Spiritualität und der
Volksfrömmigkeit des Islam also als ein überaus hochgeschätztes weibliches Musterbild. Im
Gegensatz zum Christentum betrachtet sie der Islam allerdings nicht als Theotòkos, als
»Gottesgebärerin«, als Muttergottes. Sie wird verehrt als wahrhaftige Dienerin Gottes, als Mutter
Jesu, des Messias, dessen Gerechtigkeit und Prophetentum gleichfalls bestätigt werden. Jedes Mal,
wenn der Name Jesu im Koran vorkommt, wird er vom Namen seiner Mutter begleitet, so dass er
als »Jesus, Sohn der Maria« bezeichnet wird. Weiter stellen wir fest, dass sich die Verkündigungsund die Geburtsgeschichte mehr um Maria und ihre Qualen zu drehen scheinen als um Jesus. Sie
steht im Mittelpunkt der Erzählung des Koran. In ähnlicher Weise wurde auch die wundersame
Geburt Jesu als Wunder betrachtet, das nicht nur Jesus betraf, sondern gleichermaßen auch Maria.
De facto galt das den mittelalterlichen Theologen, die in Maria eine Prophetin sahen, als Beweis
ihres Prophetentums. Maria und Jesus wird die Vollbringung von Wundern zugeschrieben, sie
galten aber allein schon durch ihr Leben auch als Zeichen Gottes. So beschreibt der Koran sowohl
Maria als auch Jesus als Zeichen bzw. Wunder (aya) Gottes (Sure 21,91; 23,50), die die
Schöpfungsmacht Gottes und seine Hoheit widerspiegelten.
Um den Menschencharakter Jesu und dessen Eigenschaft als Gottesknecht hervorzuheben, taucht in
muslimischen theologischen Schriften oft eine Gegenüberstellung Jesu mit Adam auf, die auf einen
Vers des Koran (Sure 3,59) zurückgeht, wo wir erfahren, dass Jesus »vor Gott gleich Adam [ist]: Er
erschuf ihn aus Erde, alsdann sprach Er zu ihm: ›Sei!‹, und da war er.« Eine ganze Reihe
mittelalterlicher Theologen (al-Dschāhiz, al-Bāqillānī, al-Qurṭubī, Ibn Taimīya, at-Tūfī und Ibn
Qaiyim al-Dschauzīya) vergleichen die Erschaffung Jesu auch mit jener der Eva. Diese Trias aus
Adam, Eva und Jesus wird weiterentwickelt in eine Typologie aus vier Typen menschlicher
Schöpfung. Da ist zunächst einmal Adam, der weder Vater noch Mutter hatte, und dann der Rest der
Menschheit, der sein Leben Eltern verdankt. Hiervon sind nur zwei Menschen ausgenommen: Eva,
die nur aus einem Mann geschaffen wurde, und Jesus, der nur von einer Frau abstammt. Bei diesem
Schöpfungsmodell stehen Adam und Maria auf demselben Niveau. Adam dient als Grundlage für
die Erschaffung Evas, wogegen Maria die Basis für die Erschaffung Jesu darstellt. Auch zwischen
Maria und Mohammed wurden im Hinblick auf ihre Aufnahmebereitschaft dem Wort Gottes
gegenüber theologische Parallelen gezogen. Die Jungfräulichkeit Marias wird manchmal mit
Mohammeds Analphabetismus verglichen, da sie eben ihrer Reinheit wegen zu Mittlern des
göttlichen Wortes wurden.
Dank ihrer Abkehr von der Welt, ihrer Hingabe an das Gebet, ihrer bedingungslosen Annahme des
göttlichen Ratschlusses und ihrer selbstlosen Erfüllung des göttlichen Willens ist Maria seit jeher
Objekt der Bewunderung und Inspirationsquelle für die muslimischen Mystiker, die in ihr ein
nachahmenswertes geistiges Vorbild gefunden haben. Marias Absonderung von ihrer Familie (Sure
19,16) wurde als spirituelle Absage an die weltlichen Freuden und Zerstreuungen interpretiert, als
Voraussetzung dafür, dass ihr Herz die göttliche Inspiration empfangen konnte. Sowohl Marias
Erfahrung der Geburtswehen als auch die gesellschaftliche Demütigung werden von den Sufis, den
Derwischen, als Sinnbild des Leidens interpretiert, das der Gottsucher auf dem Weg der geistlichen
Läuterung erduldet. Das Herz muss von aller Inanspruchnahme durch weltliche Dinge befreit und
geläutert werden, um die göttlichen Attribute der Schönheit und Erhabenheit widerspiegeln zu
können. Es war gerade diese Faszination durch den spirituellen Weg Marias, die Rumi dazu
veranlasste, die berühmten Worte auszusprechen: »Maria stürzte erst dann auf den Baum zu, als ihre
Geburtswehen einsetzten […]. Der Körper ist wie Maria. Ein jeder von uns trägt einen Jesus in sich,
aber solange diese Schmerzen nicht bei uns einsetzen, wird unser Jesus nicht geboren werden.
Wenn diese Wehen niemals einsetzen, dann wird Jesus wieder auf demselben verborgenen Weg, auf
dem er gekommen ist, an seinen Herkunftsort zurückkehren und uns untröstlich und ohne an ihm
Teil zu haben zurücklassen.«
Die muslimische Frömmigkeit ist auch weiterhin tief beseelt von der marianischen Spiritualität,
Demut und Selbstlosigkeit. Es ist also keine Überraschung, dass sich dieser Tage der iranische Film
Maryam-e moqaddas, »Die heilige Maria«, bei den Muslimen weltweit großer Beliebtheit erfreut.
Maria bleibt auch weiterhin eine Quelle der Inspiration, und zwar keineswegs nur in gelehrten
Abhandlungen, sondern auch in der Dichtung und populären Prosa. Eine dieser Veröffentlichungen
(Patrick Ali Pahlavi, La Fille d’Imran, 1991) präsentiert beispielsweise eine Art von »BefreiungsMariologie«, wobei er die These vertritt, dass Maria aufgrund ihrer Unabhängigkeit, Stärke und
Spiritualität eigentlich als die »Prophetin des dritten Millenniums« betrachtet werden sollte. Dank
ihrer aufrichtigen Ergebenheit gegenüber Gott und ihres unablässigen Gebets bleibt Maria für die
Anhänger des Islam ein lebendiges geistiges Vorbild.
Von Prof. Dr. Lejla Demiri, Lehrstuhl für Islamische Glaubenslehre am Zentrum für Islamische
Theologie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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