Schwindel

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Fotos: Mauritius Images/Cultura; W&B/Wolf Heider-Sawall
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Die Ursachen sind häuf
Unklar: Wenn
sich alles dreht,
kann das ganz
unterschiedliche
Ursachen haben
22 Apotheken Umschau
B 07/12
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ie Frau wagte nicht mehr, sich
hinzulegen. Sie schlief sogar
aufrecht, um weitere Attacken
zu verhindern. Heftiger Drehschwindel ereilte sie, wenn sie ihre Lage veränderte, sich ins Bett legte oder auf
die Seite drehte. „Ich wollte der Patientin den Auslöser abtrainieren und lagerte sie deshalb einige Male im Bett
hin und her“, erinnert sich Professor
Thomas Brandt. Am nächsten Tag war
die Frau beschwerdefrei. Einen derart schnellen und vollständigen Erfolg hatte der Mediziner nicht erwartet. „Da bin ich ins Nachdenken gekommen.“
Der Fall ereignete sich vor mehr als
30 Jahren. Brandt stand damals am
Anfang seiner Karriere und stieß auf
das Krankheitsbild des „benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels“. Daran litt die Patientin: eine Irritation des
Innenohrs durch kleine Kristalle, die
in den Bogengängen des Labyrinths
schwimmen (siehe Tabelle Seite 25).
Das Lagerungsmanöver, mit dem Thomas Brandt damals die kleinen Steinchen aus dem Innenohr gekippt hatte,
wird heute – weiter modifiziert – von
Medizinern standardmäßig zur Therapie des Problems angewandt. Doch
nach wie vor tauchen bei Schwindel
viele Fragen auf, wie Thomas Brandt
ausführt: „Seltene oder komplizierte
Formen werden oft nicht erkannt,
denn das Problem gerät zwischen die
ärztlichen Stühle.“
Schwindel ist ein Phänomen mit vielen möglichen Ursachen: Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr kann gestört sein oder auch die Nerven, die
seine Informationen leiten und verarbeiten. Manche Medikamente lösen
Schwindel aus, oder die Psyche verliert
den Halt. Dementsprechend beschäftigen sich unterschiedliche Fachdisziplinen mit dem Symptom: Hals-NasenOhren-Ärzte, Neurologen, Internisten,
Psychosomatiker. „Manchmal überschneiden oder ergänzen sich ver-
schiedene Gründe aber auch“, berichtet Brandt. „Dann braucht man Ärzte,
die das ganze Spektrum überblicken.“
Eine solche Institution, namentlich
das Deutsche Schwindelzentrum, leitet
der Neurologe seit einigen Jahren am
Münchner Universitätsklinikum Großhadern. Patientin Marina Wambach E
„Komplizierte Formen
von Schwindel werden
oft nicht erkannt“
Professor Thomas Brandt,
Uniklinikum München-Großhadern
Hightech:
Aufwendige
Geräte zum
Testen des
Gleichgewichts
Apotheken Umschau 23
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voraus“, führt Helmchen aus. „Hat beispielsweise ein Lagerungsschwindel
bestanden, bleibt die Verunsicherung
bei Lagewechsel, auch wenn das Problem im Innenohr gar nicht mehr vorliegt.“ Eine derartige fehlerhafte Konditionierung lasse sich mit
Krankengymnastik und Verhaltenstraining meist gut behandeln.
Extradreh als Folge
Fotos: W&B/Wolf Heider-Sawall
kommt seit einigen Monaten hierher,
denn ihre Beschwerden haben sich als
ziemlich knifflig erwiesen. „Vor drei
Jahren erlitt ich einen Hörsturz“, erzählt die 51-jährige Zahnarzthelferin.
„Erst spürte ich nur ein Druckgefühl
auf dem rechten Ohr, und dann drehte
sich alles wie verrückt.“ Die Ärzte in
Regensburg stellten Morbus Menière
fest, eine relativ häufige Ursache für
plötzlichen Schwindel. Die Erkrankung
macht sich typischerweise bemerkbar
durch einseitigen Hörverlust und Ohrgeräusch sowie einen Schwindel, der
sich zur gesunden Seite hin orientiert.
Die genaue Ursache ist unbekannt. Eine Druckänderung der Innenohrflüssigkeit spielt offenbar eine Rolle.
Marina Wambach erhielt ein Medikament, das normalerweise gut gegen die
Anfälle hilft. Dennoch quälte sie der
Schwindel immer wieder aufs Neue.
Die Ärzte zweifelten an der Diagnose
und schickten die Patientin nach Großhadern zu Thomas Brandt. Er suchte
weiter und fand einen möglichen zusätzlichen Grund für die Beschwerden:
Migräne.
Gut jedes zehnte Schwindelleiden sei
auf Migräne zurückzuführen, erklärt
Experte Brandt. Daran werde aber häufig nicht gedacht, vor allem, wenn das
Leitsymptom – der Kopfschmerz –
fehle. „Die meisten verbinden mit der
Erkrankung vor allem Kopfschmerzen,
doch kann dieser bei einer Attacke
auch mal fehlen.“ Gerade bei Kindern
sei diese Konstellation keine Seltenheit.
Orientierung im Raum:
Auch durch optische
Eindrücke wird der
Lagesinn beeinflusst
Laufband: Eine Kamera erfasst das
Gangbild von Marina Wambach. So lassen
sich Hinweise auf die Störung finden
wig-Holstein, Campus Lübeck. Durch
eine sorgfältige Anamnese lasse sich
die Ursache des Leidens schon ziemlich gut eingrenzen. Störungen des
Gleichgewichtsorgans führen meist zu
sehr heftigem, gerichtetem Schwindel.
Sind die Beschwerden neurologischer
Natur, werden sie normalerweise von
Lähmungen, Seh- oder Koordinationsstörungen begleitet (siehe auch Tabelle
unten rechts).
Diffuser, also ungerichteter Schwindel kann anhaltend oder attackenartig
bei Kreislaufstörungen auftreten. Oft
Schwindel und seine häufigsten Ursachen
Hinter den Symptomen können verschiedene Erkrankungen mit unterschiedlichen Begleitphänomenen stecken
Anteil
Eindeutiges Drehgefühl
Verschleiert wird das „Allerweltssymptom“ aber nicht nur durch so komplexe Ursachen, sondern schon durch
den Sprachgebrauch. Viele Menschen,
die über „Schwindel“ klagen, erleben
ein unklares Gefühl der Unsicherheit.
„Echter“ Schwindel – also eine Störung
des Gleichgewichtssinns – geht allerdings fast immer mit einem eindeutigen Drehgefühl und einer klaren Fallrichtung einher.
„Bei der Befragung des Patienten
muss der Arzt darauf sehr genau eingehen“, sagt Professor Christoph Helmchen vom Universitätsklinikum Schles24 Apotheken Umschau
stecken aber auch psychische Ursachen dahinter, so wie beim „phobischen Attackenschwindel“. Dabei
kommt es plötzlich in angstbesetzten
Situationen zu Gang- und Standunsicherheit. „Häufig geht einer solchen
Störung ein organischer Schwindel
Doch auch rein körperliche Ursachen
können einander bedingen und sich
abwechseln. So tritt nach einem Ausfall des Gleichgewichtsorgans, etwa
durch eine Neuritis vestibularis (siehe
unten), nicht selten zusätzlich ein Lagerungsschwindel auf.
Ein Schicksal, das vermutlich auch
Heinz Karl aus München ereilt hat.
Den 74-Jährigen plagte schon länger
das ungute Gefühl, ständig zu schwanken. Vor einigen Monaten kam plötzlich nach dem Aufstehen ein heftiges
Drehen hinzu. Ärzte der Großhaderner
Ambulanz entwirrten die komplexe
Symptomatik: Sie stellten einen paroxysmalen Lagerungsschwindel fest,
der durch einen beidseitigen Labyrinthausfall kompliziert wurde. „Die
genauen Hintergründe solcher Verbindungen kennen wir noch nicht“, sagt
Thomas Brandt. „Aber auch bei Menière-Patienten tritt Lagerungsschwindel häufiger auf.“
Diesen zumindest ist Heinz Karl
schon wieder los, wie er erzählt: „Nach
ein paar Lagerungs-Übungen war das
weg.“ Nun soll eine Untersuchung seiner Rückenmarkflüssigkeit klären, ob
möglicherweise eine Virusentzündung
die Ursache für das noch bestehende
Problem ist.
„Komplizierte Fälle lassen sich in
einer Spezialambulanz vermutlich
schneller klären“, meint Christoph
Helmchen. Er betont aber, dass dies
nicht am hohen technischen Aufwand
liege, sondern am klinischen Wissen
und vor allem am Zeitfaktor: „Wir
haben die Möglichkeit, uns den Beschwerden des Patienten genau zu
widmen. Das ist entscheidend, um
dem Schwindel auf die Spur zu kommen.“ Je besser das gelingt, umso weniger apparativer Aufwand muss betrieben werden.
Dr. Christian Guht
Name
Ursache
Schwindelart
Auftreten
Begleitsymptome
Therapie
18 %
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
Reizung des Gleichgewichtsorgans durch Kristalle in der
Innenohrflüssigkeit
Drehschwindel
Plötzlich bei Lageveränderung
Augenzucken (Nystagmus)
Lagerungstraining
15 %
Phobischer
Attackenschwindel
Psychologische
Fehlkonditionierung
Subjektive Gangund Standunsicherheit
Plötzlich in
bestimmten,
angstbesetzten
Situationen
Keine
Psychotherapie
13 %
Zentraler
neurologischer
Schwindel
Tumor, Blutung oder Infarkt
in Hirnstamm oder Kleinhirn.
Multiple Sklerose, Epilepsie
Dreh- oder Schwankschwindel
Je nach Grundleiden dauerhaft
oder anfallsweise
Dauerhaftes Augenzucken (Nystagmus) oder andere neurologische Zeichen wie Doppelbilder, Lähmungen
oder Koordinationsstörungen
Behandlung der
Grunderkrankung
Migräne
Anfallsleiden
Schwankschwindel
Attackenartig
Sehstörungen, Kopfschmerzen,
evt. weitere neurologische Ausfälle
Behandlung
der Migräne
Morbus
Menière
Vermutlich handelt es sich
um Druckstörungen der
Innenohrflüssigkeit
Drehschwindel,
Erbrechen
Anfallsartig
über Stunden
Einseitige Taubheit, Tinnitus
Mittel gegen Übelkeit,
Betahistin
Neuritis
vestibularis
Ausfall/Entzündung der
Gleichgewichtsnerven,
vermutlich erregerbedingt
Heftiger Drehschwindel
mit Fallneigung, Übelkeit
und Erbrechen
Anhaltend
über Tage
Augenzucken (Nystagmus)
Mittel gegen Übelkeit,
Kortison
11 %
10 %
Alles im Blick: Bei der Prüfung des Gleichgewichtsorgans, wie hier bei Heinz Karl, wird
auch das Zucken der Augen registriert, da beide Organe miteinander kommunizieren
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8%
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