„Caudillismo“ und das Parteiensystem in Peru - Hanns-Seidel

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POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT
Projektland:
Peru
Datum:
07. Oktober 2014
„Caudillismo“ und das Parteiensystem in Peru
Die Kommunal- und Regionalwahlen vom 5. Oktober 2014 zeigen die aktuellen Schwächen
des peruanischen „Parteiensystems“ und die Überlegenheit des „Caudillismo“.
Der Pulverdampf des Wahlkampfes legt sich allmählich. Die Sieger strahlen um die Wette
und die Verlierer lecken sich die Wunden. Auch wenn noch nicht alle Stimmen ausgezählt
wurden, die Trends werden sich wohl am Ende bewahrheiten.
Doch worin genau besteht der „Trend“ bei diesen Wahlen?
Letztlich verdeutlicht diese Wahl nur etwas, was zuvor auch schon jedem halbwegs
politikinteressierten Peruaner klar war: Die „Parteien“ des Landes befinden sich in der
Krise und können sich nur dort behaupten, wo ihnen ein charismatischer „Führer“, ein
Caudillo, als Kandidat zur Verfügung steht. Ansonsten zersplittert sich das politische
Spektrum in eine nahezu unendlich anmutende Zahl lokaler und regionaler politischer
Bewegungen und Grüppchen, was das Regieren im Land nicht einfacher macht. Die
Peruaner lassen sich bei ihrer Wahlentscheidung kaum von „weißen Westen“ beeindrucken
(auch wenn man sich ansonsten tagein tagaus gerne über die korrupte Politkaste
beschwert), sondern optieren viel eher für den Kandidaten, dem sie am ehesten zutrauen,
ihre finanzielle Lage zu verbessern. Und das scheinen in vielerlei Hinsicht eben jene
Kandidaten zu sein, deren Westen einige graue Flecken aufweisen.
Doch die Parteien und politischen
Bewegungen im Land machen es
dem Wahlvolk auch nicht leicht:
Kaum eine Partei veröffentlicht
ein Wahlprogramm, die Slogans
sind meist plump und beliebig,
die Kandidaten werden im stillen
Kämmerlein bestimmt,
Absprachen und Mauscheleien,
bei denen es fast ausschließlich
um Postenschacherei geht, sind
an der Tagesordnung.
Der Sieger: Luis “Lucho” Castañeda (links im Bild) ist der
Transparenz, Verlässlichkeit und
neue alte Bürgermeister der peruanischen Hauptstadt. Foto:
Ehrlichkeit predigt die politische
Henning Senger
Klasse fast täglich, die Realität ist
jedoch weitaus „pragmatischer“. Mit moralischem Verhalten scheint man kaum Wahlen
gewinnen zu können.
Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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Ein alter Bekannter kehrt zurück: Luis „Lucho“ Castañeda gewinnt klar die
Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt
Die Hauptstadt Lima wird ab Januar 2015 wieder von einem der bekanntesten Gesichter
des Landes regiert werden: Luis Castañeda, bereits Oberbürgermeister von 2003 bis 2010
und gescheiterter Präsidentschaftskandidat im Jahr 2011, löst die glücklose Susana
Villerán ab, die bei ihrem Wiederwahlversuch mit kläglichen 10,5% der Stimmen vorlieb
nehmen musste.
Castañeda, ein geradezu exemplarischer Caudillo, der als Spitzenkandidat seiner Partei
„Solidaridad Nacional“ antrat, siegte unangefochten im ersten Wahlgang mit etwas mehr
als 50 Prozent der Stimmen. Die meisten
„Limeños“ hatten seine ersten beiden
Amtszeiten zwar nicht als die saubersten,
aber doch als sehr erfolgreiche in Erinnerung.
Auf Platz zwei landete abgeschlagen der
Kandidat der APRA-Partei, Enrique Cornejo,
mit knapp 17 Prozent der Stimmen. Letzterer
war die einzige Überraschung der ansonsten
recht eintönigen Oberbürgermeisterwahl.
Cornejo war zwar offiziell der Kandidat von
APRA1, jedoch pfiffen es die Spatzen von den
Dächern, dass der „Führer“ der APRA-Partei
(und somit ein weiteres CaudilloSchwergewicht von nationalem Rang), ExPräsident Alan Garcia (1985-90 und 200611), im Hintergrund seinen Freund Castañeda
unterstützte. Doch der Technokrat und
ehemalige Transportminister Cornejo schaffte
es, mit einer sachorientierten Kampagne
Die abgewählte Bürgermeisterin Susana
sowie einem gelungen Auftritt bei einer der
Villerán trat mit dem Slogan „sí se atreve“ (in
TV-Debatten der Kandidaten, besonders in der
etwa: „die traut sich was“) an. Angesichts ihrer
miserablen Umfragewerte und
Mittelschicht zu punkten. Ihm gelang es am
Erfolgsaussichten war der Wahlspruch
besten, diejenigen Wähler einzufangen, die
unbeabsichtigt doppeldeutig. Foto: Henning
zwar gegen die äußerst unpopuläre
Senger
Amtsinhaberin Villerán stimmen wollten, aber
eben auch nicht für den unter Korruptionsverdacht stehenden Castañeda.
Stellvertreterkriege
In Deutschland werden Landtagswahlen – und manchmal sogar Kommunalwahlen – gerne
als „Stimmungstest“ für die nächsten Bundestagswahlen bezeichnet oder zumindest so
interpretiert.
In Peru wäre so etwas nur schwer möglich. Allenfalls mag man aus den Ergebnissen so
etwas wie „Stellvertreterkriege“ herauslesen: Wie eben schon angedeutet, unterstützte
(inoffiziell) Alan Garcia den Kandidaten Castañeda. Ein anderer Ex-Präsident, Alejandro
Toledo (er regierte von 2001 - 2006), hatte, sogar offiziell, die Amtsinhaberin Susana
Villerán unterstützt. Auch wenn das Ergebnis eindeutig für die Castañeda-Seite ausfiel, so
gelang es Toledo durch sein Bündnis mit Villerán immerhin, ein paar seiner Kandidaten in
den neuen Stadtrat zu bringen. Ein eigener Kandidat von Toledos Partei „Peru Posible“
hätte das vermutlich nicht vermocht, weil Toledo und seine Partei gerade ein hartnäckiges
Stimmungstief durchmachen. Das ist vor allem auf mehrere derzeit köchelnde Skandale von
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APRA = Alianza Popular Revolucionaria Americana
Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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ihm und seiner Partei zurückzuführen. Mögen die Peruaner vielleicht ein oder zwei
„Skandälchen“ verzeihen, Toledo und Peru Posible scheinen es derzeit diesbezüglich etwas
zu übertreiben.
Susana Villerán, die 2010 als Kandidatin der Partei „Fuerza Social“ gewählt wurde,
kandidierte 2014 auf dem Ticket einer bis dato völlig unbekannten Stadteilpartei namens
„Diálogo Vecinal“. Warum der Wechsel? Fuerza Social war in der Zwischenzeit in einem
größeren Linksbündnis aufgegangen; ieses Bündnis „erdreistete“ sich doch tatsächlich, bei
der Bestimmung ihres Bürgermeisterkandidaten und der Stadtratsliste auf einem
demokratischen Vorwahlverfahren zu bestehen. Da suchte sich die Oberbürgermeisterin
lieber ein anderes „Vehikel“.
Mit sich und der Wahl sehr zufrieden wird nach Castañeda vor allem Alana Garcia sein: Sein
(nicht ganz so geheimer) Verbündeter Castañeda hat die Wahl haushoch gewonnen und
schon klargestellt, dass er 2016 nicht für eine Präsidentschaftskandidatur zur Verfügung
stehen werde. Und nun die Gretchenfrage: Wen könnte Castañeda dann im Gegenzug bei
einer Präsidentschaftswahl unterstützen…?
Darüber hinaus hat sich auch der „offizielle“ APRA-Kandidat überraschend gut verkauft. Da
fällt es dann kaum ins Gewicht, dass APRA keinen einzigen der 43 Bezirke der Hauptstadt
gewinnen konnte. Auch nicht, dass die letzte Hochburg auf regionaler Ebene, das
Departement La Libertad im Norden (historische Wiege des Aprismus), für die Partei
verloren ging.
Noch ein weiteres politisches Schwergewicht mischte lediglich indirekt bei den
Kommunalwahlen mit: Pedro Pablo Kuczynski, ehemaliger Wirtschaftsminister, ehemaliger
Premierminister und Drittplatzierter bei den letzten Präsidentschaftswahlen von 2011.
PPK, wie er meist genannt wird, hat – nachdem er bei den letzten Wahlen noch als Kandidat
eines Parteienbündnisses angetreten war – vor kurzem, wie es sich für einen Caudillo
gehört, seine eigene Partei gegründet: „Perú Más“. Doch Peru+ (so die Kurzform) befindet
Pedro Pablo Kuczynski (rechts), garantiert hier dem Kandidaten Alexander von Ehren seine Unterstützung
für die Kandidatur zum Bezirksbürgermeister von Miraflores. Von Ehren trat an für Perú Patria Segura
(PPS), doch wer genau hinsieht, der kann auf der blauen Trainingsjacke des Kandidaten auch das Symbol
der Partei Kuczynskis, Peru+, erkennen. Gereicht hat die Unterstützung nicht, wiedergewählt wurde Jorge
Muñoz von „Somos Perú“. Foto: Henning Senger
sich noch im Aufbau und vielleicht wollte „PPK“ auch nicht das Risiko eingehen, sein
Partei-Produkt bei einem schlechten Ergebnis mit einem Negativ-Image behaftet zu sehen,
weshalb er mit der Partei des ehemaligen Fujimori-Anhängers Renzo Reggiardo, Perú Patria
Segura (PPS), eine Vereinbarung schloss: Auf dem Ticket der PPS kandidierten bei den
jetzigen Wahlen nicht nur die Anhänger Reggiardos, sondern auch viele Anhänger von
Kuczynski. Perú+ und PPK als Parteiführer machten im Gegenzug Wahlkampf für den PPS.
Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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Das Ergebnis ist eher durchwachsen: Bis zu drei Bezirksbürgermeister scheinen möglich,
der Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters, Salvador Heresi (ein Kuczynski-Mann),
erreichte mit etwas mehr als sechs Prozent den vierten Platz.
Die unsägliche Tradition der politischen Pakte
Wie weiter oben bereits angedeutet, haben „politische Pakte“ zu Wahlzeiten in Peru eine
lange Tradition. Sowohl die Parteien beziehungsweise Bewegungen als auch die
Kandidaten versuchen dadurch ihre Erfolgsaussichten zu maximieren. Man muss die
deutsche Vorstellung, dass Parteien ihre Kandidaten bestimmen und dann ins Rennen
schicken, beiseiteschieben. In Peru ist es vielmehr ein Markt: Parteien suchen auf dem
„politischen Markt“ einen (aussichtsreichen) Kandidaten. Politiker, die an einer Kandidatur
interessiert sind, suchen eine nützliche Plattform (Partei, Bewegung oder Wahlbündnis) für
ihre Kandidatur. Es ist – insbesondere auf kommunaler, aber auch auf regionaler Ebene –
keine Seltenheit, dass ein und derselbe Kandidat (selbst wenn er zur Wiederwahl antritt)
auf ein anderes „Ticket“ setzt als bei der letzten Wahl. Ein Beispiel: Luis Fernando Bueno
Quino wurde bisher sechs Mal in seinem Amt als Bezirksbürgermeister von Chosica
bestätigt. Das allein ist schon rekordverdächtig. Doch ihm gelang es auch, bei seinen sieben
Kandidaturen nacheinander auf die Hilfe von fünf Parteien zurückzugreifen: dreimal trat er
für die Partei „Acción Popular“ an, je einmal dann für „Somos Perú“, „Unidad Nacional“,
„Cambio Radical“ und jüngst für „Solidaridad Nacional“.
Man fragt sich, was dabei für die Parteien herausspringt? Im Grunde ist es recht einfach:
Eine Partei (und dessen Führer/Caudillo) muss seine Parteisoldaten „versorgen“, sonst
laufen sie ihm irgendwann davon. Um eine Gefolgschaft versorgen zu können, braucht man
Pöstchen und Ämter. Man muss also Wahlen gewinnen, um dann Pöstchen und Ämter
verteilen zu können. Da der jeweilige Caudillo nicht bei jeder x-beliebigen Wahl selber
antreten kann und will, braucht er geeignete Kandidaten. Umgekehrt gibt es genügend
lokale „Caudillos“, die zwar bekannt und auch beliebt sind, denen es aber an einer eigenen
Partei mangelt. Was liegt also näher, als sich zusammenzutun? Der (lokale oder regionale)
Kandidat bringt sich und seine Erfolgsaussichten sowie eine gewisse Anzahl eigener
Anhänger mit in die Verhandlungen ein, der „Partei-Caudillo“ stellt die Partei sowie einen
Teil der Finanzierung bereit und möchte natürlich auch seine Anhänger versorgt wissen.
Man einigt sich also über potentielle Postenverteilung und die Zusammensetzung der
Wahlliste – und fertig ist der „politische Pakt“. Da es bei den peruanischen Parteien und
Bewegungen (mit einigen wenigen Ausnahmen) kaum um die Durchsetzung von Ideologien
und/oder Programmen geht, spielen diese bei den „Paktverhandlungen“ auch
allerhöchstens eine untergeordnete Rolle, weshalb auch der Versuch, die in Peru
existierenden politischen Parteien und Bewegungen in einem Links-rechts-Schema zu
verorten, eigentlich obsolet ist. Im Prinzip ist (fast) alles relativ.
Schwierige Zeiten für die peruanischen Christsozialen
Für die ehemalige „Lima-Partei“ PPC, die Partido Popular Cristiano, wurde die Wahl des
Stadtoberhauptes und des Stadtrates zum Debakel: Ihr Kandidat, Jaime Zea, erreichte
gerade einmal 2,3 Prozent der Stimmen (die Kandidatin von 2010, Lourdes Flores, hatte
vor vier Jahren 35 Prozent, und damit den zweiten Platz erreicht). Im Stadtrat von Lima
stellte die PPC bisher dank einer Nachwahl die stärkste Fraktion mit 17 von 39 gewählten
Vertretern. Nach der jetzigen Wahl entsendet die Partei nur noch einen Vertreter in den
Consejo Municipal.
Auch in den 49 Stadtbezirken von Lima und Callao musste die PPC Niederlagen hinnehmen:
Von bisher 13 Bezirksbürgermeistern bleiben den Christsozialen noch acht; 19 stellt die
Partei des Wahlsiegers Castañeda, Solidaridad Nacional. Die Wahlen in den Bezirken sind
aber auch zugleich der Hoffnungsschimmer für die PPC, denn vor vier Jahren – als 13
Bezirksrathäuser gewonnen wurden – trat die PPC noch in einer Wahlallianz unter anderen
Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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mit der Castañeda-Partei an. Insofern ist der Wahlsieg in den acht Bezirken diesmal
tatsächlich auf eine „Eigenleistung“ der Partei zurückzuführen.
Die Partei steckt allerdings in einer echten Zwickmühle: Die PPC definiert sich selbst als
eine Programm-Partei und sieht sich geradezu als Gegenentwurf zu den „CaudilloWahlvereinen“, die nur zu Wahlzeiten aktiv werden und ansonsten ein Schattendasein
fristen. Die PPC praktiziert und lebt innerparteiliche Demokratie, manchmal sogar „bis an
die Schmerzgrenze“ (so drückte es einmal die zweimalige Präsidentschaftskandidatin
Lourdes Flores aus). Doch das gesamte politische System des Landes ist eigentlich auf das
„Caudillo-Konzept“ zugeschnitten. Das fängt beim Präsidialsystem auf nationaler Ebene an
und endet bei den Bürgermeisterwahlen, wo dem siegreichen Kandidaten automatisch eine
Mehrheit im Stadt- oder Gemeinderat für dessen Liste garantiert wird. Im Moment fehlt der
PPC die große nationale Führerfigur. Ohne ein Zugpferd, ohne einen zweifelsfrei
identifizierbaren „líder“ (Anführer) ist es sehr schwer, im politischen Peru eine Rolle zu
spielen.
Bei den Regionalwahlen bestätigt sich die Parteienkrise
„Somos Perú“, „Perú Patria Segura”, “Peru+”, “Vamos Perú”, “APRA”, “PPC”, “Acción
Popular”, “Solidaridad Nacional”, “Alianza para el Progreso”, “Perú Posible”, “Fuerza
Popular”, “Restauración Nacional”: Alle sind Parteien, die für sich einen landesweiten,
nationalen Anspruch erheben. Fast alle stellen auch tatsächlich einen oder mehrere
Abgeordnete im nationalen Kongress. Dadurch unterscheiden sie sich nominell auch von
den regionalen und kommunalen „politischen Bewegungen“. Diese beschränken sich auf
die Arbeit in einem bestimmten Gebiet oder einer Region – und verfügen nur in
Ausnahmefällen über eigene
Repräsentanten im Kongress.
Betrachtet man die jüngsten
Wahlergebnisse, kann man allerdings
auch zu dem Schluss kommen, dass
die „Parteien“ eigentlich
Augenwischerei betreiben. In
Wirklichkeit sind auch die
„nationalen Parteien“ nicht viel mehr
als regionale Wahlvereine, die
entweder nur in Lima entscheidend
reüssieren oder vielleicht in zwei,
drei Regionen, die geographisch
nahe beieinanderliegen.
Am 5. Oktober 2014 wurde nicht nur
in Lima, sondern im ganzen Land,
das heißt. in 24 Provinzen sowie in
der Hafenstadt Callao gewählt. Alle
Mandate auf kommunaler und
regionaler Ebene wurden neu
vergeben.
Auf kommunaler Ebene herrscht ein
einfaches Mehrheitswahlrecht: Der
Kandidat mit den meisten Stimmen wird Bürgermeister und seine Liste erhält automatisch
im Stadtrat eine Mehrheit. Bei regionalen Wahlen (also der Wahl der
„Regionalpräsidenten“) gilt zwar auch das Mehrheitsprinzip, jedoch mit einer
Einschränkung: Erreicht der erstplatzierte Kandidat nicht mindestens 30 Prozent der
Stimmen, kommt es zu einer Stichwahl gegen den Zweitplatzierten.
Ob es geholfen hat? Wie in den meisten
lateinamerikanischen Ländern gilt an Wahltagen in Peru
ein Ausschank- und Verkaufsverbot für alkoholische
Getränke. In der Umgangssprache wird diese Regelung
„Ley seca“ genannt: das „trockene Gesetz“. Foto: Henning
Senger
Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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Die Wahlergebnisse außerhalb Limas lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass es
„nationale“ Parteien schon längst nicht mehr gibt:
Lediglich in sechs der 25 regionalen Urnengänge können sich die Kandidaten einer
nationalen Partei, das heißt, einer Partei mit nationalem Wirkungsanspruch, ernsthaft
Chancen auf einen Sieg ausrechnen oder haben bereits im ersten Wahlgang gewonnen. In
19 Regionen haben Kandidaten, die für ein regionales Wahlbündnis oder eine regional
verankerte politische Bewegung antreten, die Nase vorn. Nur in sieben Provinzen konnte
ein neuer Regionalpräsident bereits im ersten Wahlgang bestimmt werden. Das heißt im
Umkehrschluss, dass in 18 Regionen des Landes kein Kandidat mehr als 30 Prozent der
Stimmen auf sich vereinigen konnte und daher nun die zwei Bestplatzierten in einer
Stichwahl gegeneinander antreten müssen.
Die „Partei“ Alianza para el Progreso (ebenfalls eine Partei mit nationalem Anspruch,
eigentlich ein Familienunternehmen) konnte sich bereits im ersten Wahlgang zwei
Regionen sichern: Lambayeque und La Libertad. Übrigens sind die beiden
Spitzenkandidaten Brüder: César Acuña gewann in La Libertad, sein Bruder Humberto in
Lambayeque (und ein drittes Geschwister sitzt im Kongress). In Ayacucho wird der
Kandidat der Partei wohl in die Stichwahl einziehen.
Einem weiteren Familienunternehmen, der Partei Fuerza Popular (gesteuert vom
Familienclan Fujimori), gelang es immerhin, drei ihrer Kandidaten in den Provinzen Ica,
Pasco und San Martín in eine Stichwahl einziehen zu lassen. Man muss sich vor Augen
halten, dass es sich bei „Fuerza Popular“ (den Fujimoristas) um die zweitstärkste politische
Kraft im nationalen Kongress handelt (knapp hinter der Regierungspartei Partido
Nacionalista).
Und lediglich in San Martín kommt es wahrscheinlich zu einer Stichwahl zwischen
Kandidaten zweier nationaler Parteien: Victor Noriega vom Fujimorismo wird
voraussichtlich gegen den APRA-Kandidaten Pedro Bogarín antreten.
Auch die Fujimori-Partei „Fuerza Popular“ konnte bei den Wahlen nicht überzeugen. Das
lag nicht zuletzt daran, dass es ihr an überzeugenden und bekannten Kandidaten mangelte.
Die Partei wird – ähnlich wie bei Alianza para el Progreso – als Familienunternehmen
geführt. Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori (19902000), ist die bisher unumstrittene Führerin der Partei. Ihr Bruder Kenji vertritt die Familie
im Kongress und beaufsichtigt die Fraktion. Der Führungszirkel der Partei riegelt sich
hermetisch ab, innerparteiliche Demokratie ist ein Fremdwort (das trifft allerdings auf so
gut wie alle Parteien mit Ausnahme der PPC und linker Splitterparteien zu), Kandidaturen
werden meist im Hinterzimmer verhandelt, und die Führungsclique um die Familie Fujimori
verhindert bisher bewusst jeden Versuch, der Partei etwas mehr Struktur und Organisation
zu verleihen. Das bringt natürlich den Nachteil mit sich, dass es kaum Netzwerke gibt, um
flächendeckend geeignete Kandidaten identifizieren zu können. Fuerza Popular hat das
Hauptaugenmerk allerdings auch auf die Präsidentschaftswahlen 2016 gelegt, und maß
den Regional- und Kommunalwahlen keine große Bedeutung zu.
„Roba, pero hace obras“ – Er stiehlt, aber tut wenigstens was
In allen anderen Regionen außer den oben genannten spielen die nationalen Parteien kaum
eine Rolle. Ebenfalls bedenklich ist, dass zwei bereits in Untersuchungshaft sitzende
Politiker sowie vier weitere wegen Korruption, Misswirtschaft oder Veruntreuung
angeklagte Kandidaten in eine Stichwahl einziehen, beziehungsweise die Wahl in der
ersten Runde für sich entscheiden konnten. Einer davon ist Gregorio Santos, der
entmachtete bisherige Regionalpräsident der Region Cajamarca. Er sitzt wegen
Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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Korruptionsdelikten in Untersuchungshaft. Nichtsdestotrotz gewann er die Wahlen in seiner
Provinz mit über 40 Prozent der Stimmen. Santos, der populär wurde, als er erkannte, dass
Widerstand gegen ein großes Minenprojekt in seiner Region seine politische Karriere
voranbringen könnte, stilisiert sich bisher äußerst erfolgreich zum Opfer einer
Verschwörung multinationaler Bergbaufirmen. Und wenn man bedenkt, was andere
Politiker auf dem Kerbholz haben und dafür aber nicht in Untersuchungshaft wanderten,
dann kann man zumindest davon ausgehen, dass bestimmte einflussreiche Stellen die
Korruptionsvorwürfe genutzt haben, um ihn (vermeintlich) aus dem Verkehr ziehen zu
können. Sein Amt wird wahrscheinlich nicht er, sondern lediglich sein Vizekandidat
antreten können.
Die „lediglich“ der Korruption verdächtigen Kandidaten wurden wohl frei nach dem Motto
„roba, pero hace obras“ gewählt. Man weiß zwar, dass der Kandidat korrupt ist, hält ihn
aber trotzdem (oder gerade deswegen?) für am besten geeignet, das Amt auszufüllen.
Nicht mehr bei den Wahlen antreten durfte der vor einem halben Jahr verhaftete damalige
Regionalpräsident von Áncash, César Álvarez. Ihm werden (natürlich) Korruptionsdelikte
vorgeworfen, seine Absetzung erfolgte aber aufgrund seiner Verwicklung in einen
Auftragsmord (!) an einem politischen Konkurrenten. Gute Aussichten auf dessen Nachfolge
hat Waldo Ríos. Ihm werden sehr gute Beziehungen zu Álvarez nachgesagt. Darüber hinaus
gelangte Ríos im Jahr 2000 zu zweifelhaftem Ruhm, als er als damaliger
Kongressabgeordneter der Korruption überführt werden konnte (er war einer der
„Hauptdarsteller“ in den sogenannten Vladivideos, Videoaufzeichnungen, die den
damaligen Geheimdienstchef von Präsident Fujimori bei Schmiergeldzahlungen an
Abgeordnete, Unternehmer und Medienvertreter zeigen).
Epilog:
Wer sich im Übrigen überhaupt nicht in die Wahlen eingemischt hat, war der amtierende
Präsident Ollanta Humala. Warum auch? Seine Partei (Partido Nacionalista, stärkste Kraft
im nationalen Parlament) hat keinen einzigen Kandidaten zur Wahl aufgestellt. Nicht in
Lima, nicht in den Provinzen. Nirgendwo.
Auch das sagt schon eine Menge über das Parteiensystem im Land aus.
Henning Senger
Der Autor ist Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Lima, Peru
IMPRESSUM
Erstellt: 07.10.2014
Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2014
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Vorsitzender: Prof. Dr. Ursula Männle
Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf
Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit
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Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014
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