Parkinson: Von der Nase durch den Magen ins Gehirn?

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Parkinson: Von der Nase durch den Magen ins Gehirn?
20. September 2013 – Ein neues Modell zur Entstehung der Parkinson-Krankheit sorgt weltweit
für Aufsehen: „Wir haben Belege dafür gefunden, dass Insektengifte, wenn sie eingeatmet und
geschluckt werden, im Nervensystem des Magens zur Freisetzung des Parkinson-Proteins AlphaSynuklein führen“, berichtet Professor Dr. Heinz Reichmann, Direktor der Klinik für Neurologie an
der Technischen Universität Dresden. Ablagerungen des Alpha-Synukleins spielen eine
Schlüsselrolle beim Krankheitsprozess: „Es klettert vom Magen über den Vagusnerv ins Gehirn
und führt zu der chronischen Krankheit. Im Mausmodell ist es uns gelungen, dies zu verhindern,
indem wir gezielt bestimmte Nerven durchtrennt haben“, erklärte der Kongresspräsident der
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) heute auf einer Pressekonferenz
in Dresden.
Hinweise, dass Pestizide zumindest für einen Teil der Parkinson-Erkrankungen verantwortlich sind,
gibt es zwar schon seit Jahrzehnten. Erst kürzlich aber ist es Francisco Pan-Montojo im Labor von
Professor Richard Funk am Anatomischen Institut der Universität Dresden gemeinsam mit Professor
Heinz Reichmann und dessen Mitarbeitern gelungen, die Zusammenhänge auf molekularer Ebene
sichtbar zu machen und die fatale Kettenreaktion zu unterbrechen.
Bei dem Leiden spielen sowohl genetische Faktoren als auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Sie wirken
womöglich jahrzehntelang, bevor bei den Patienten die Krankheit diagnostiziert wird – die meisten
sind dann über 60 Jahre alt. Gebraucht werden Informationen darüber, welche Wege und
insbesondere welche Verbindungen bestehen zwischen einer Pestizid-Exposition und dem
Absterben bestimmter Nervenzellen, forderte deshalb unlängst die US-amerikanische
Epidemiologin Freya Kamel in der Zeitschrift Science.
Dazu haben die Dresdner Wissenschaftler einen erheblichen Beitrag geleistet. Unter anderem dank
der Vorarbeiten des Ulmer Neuroanatomen Heiko Braak wussten sie bereits, dass Parkinsontypische Ablagerungen schon frühzeitig im enterischen Nervensystem zu finden sind, das Magen
und Darm durchzieht, sowie im Riechkolben des Gehirns. Diese Ablagerungen (Lewy-Körper und
Lewy-Neuriten) bestehen hauptsächlich aus Alpha-Synuklein und breiten sich stufenweise
allmählich im zentralen Nervensystem aus.
Operationen an Mäusen
Das Forscherteam stellte nun die Hypothese auf, dass die lokale Wirkung von Umweltgiften auf das
Nervensystem in Magen und Darm zu den Ablagerungen führt und die Ausbreitung ins zentrale
Nervensystem durch benachbarte Nerven anstößt. Zum Nachweis operierten sie in ihrem
Mausmodell mehrere Tiere und entfernten dabei entweder eine Faser des Vagusnervs, die in den
Bauchraum zieht (Truncus vagalis anterior), oder den zum sympathischen Nervensystem gehörigen
Nervus mesentericus inferior. Als man den Tieren anschließend das Insektengift Rotenon ins Futter
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 20. September 2013
gab, zeigte sich, dass die operierten Tiere nach drei bis vier Monaten bei einer speziellen
Balanceübung deutlich besser abschnitten als eine nicht operierte Kontrollgruppe, die ebenfalls
Rotenon ausgesetzt war. Sie konnten ihre Muskelkontrolle durch den Eingriff länger bewahren. Auf
den Darm wirkte das Rotenon trotz der entfernten Nervenäste: Hier war die Beweglichkeit bei
operierten und nicht operierten Mäusen nach vier Monaten gleichermaßen verlangsamt – ein
Phänomen, das man auch bei menschlichen Parkinson-Patienten beobachten kann.
Langstreckenläufer Alpha-Synuklein
Anhand von Gewebeschnitten der geopferten Versuchstiere und mithilfe einer speziellen Software
zur Bildanalyse konnten die Dresdner Wissenschaftler die Menge von Alpha-Synuklein und dessen
Ansammlung über verschiedene Stationen im Detail verfolgen. Das Eiweiß erwies sich dabei als
„Langstreckenläufer“. Erst wird es durch Rotenon aus den Nerven im Bauchraum freigesetzt. Dann
kann das Eiweiß von den Fortsätzen benachbarter Nervenzellen aufgenommen und über
vergleichsweise weite Strecken zum Zellkörper transportiert werden, wo es sich ansammelt. Die
nächsten Stationen sind offenbar das Rückenmark, der Nervenkern DMV am „Eingang“ zum Gehirn
und die Substantia nigra, deren Neurone eine Schlüsselrolle bei der Planung und Auslösung von
Bewegungen spielen.
„Die Ergebnisse stützen nicht nur die Hypothese, dass die Parkinson-Krankheit vom Magen aus über
den Vagusnerv ins Gehirn klettert“, so Reichmann. Die Experimente der Dresdner Neurologen
zeigen auch, dass eine Durchtrennung des Vagusnervs den Tod Dopamin bildender Nervenzellen in
der Substantia nigra verhindern kann. Solch ein Vorgehen sei allerdings nicht ohne weiteres auf
menschliche Parkinson-Patienten zu übertragen, dämpft der Kongresspräsident verfrühte
Hoffnungen auf eine neuartige Therapie. „Wir haben jedoch eine Tür aufgestoßen und verfügen
nun über ein Modell, das viele Fragen beantworten könnte und darüber hinaus gut geeignet ist, um
neue Wirkstoffe zu testen.“
Quellen
 Pan-Montojo F, et al: Environmental toxins trigger PD-like progression via increased alphasynucleinrelease from enteric neurons in mice. Sci Rep. 2012;2:898.
 Kamel F.: Epidemiology. Paths from Pesticides to Parkinson´s. Science 2013; 341:722
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Prof. Dr. med. Heinz Reichmann
Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie
Klinikum Carl Gustav Carus Dresden
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Fax: +49 (0)351 458 43 65
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Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 20. September 2013
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