Regenerative Medizin

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Die Hightech-Strategie für Deutschland
Regenerative Medizin
Selbstheilungskraft des Körpers verstehen und nutzen
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Herausgeber
Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat Gesundheitswirtschaft
11055 Berlin
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Schriftlich an Publikationsversand der Bundesregierung
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Internet: www.bmbf.de
Redaktion
biotechnologie.de, Berlin
Dr. Philipp Graf
Sandra Wirsching
Gestaltung
Sven Oliver Reblin
Druckerei
DruckVogt GmbH, Berlin
Bonn, Berlin 2013
Bildnachweise
Umschlag: TRM Leipzig/ Metronom GmbH, Leipzig, Franziska Frenzel
MHH Hannover, Axel Haverich (S. 2, S. 29); Universität des Saarlandes (S. 4); RTC, Peter Mark (S. 5.); BioTissue Technologies (S. 6);
Nissim Benvenisty (S.7); Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster ( S. 11); MDC, Heike Naumann (S. 12), Universität
Tübingen, Thomas Skutella (S. 9); Universität Würzburg, Jürgen Groll (S. 13); CRTD, Carsten Werner (S. 15, S. 17); CRTD, Katrin Boes
( S. 19, S. 20), CRTD, Elly Tanaka/Dunja Knapp (S. 21); RWTH Aachen, Stefan Jockenhövel (S. 16, S. 26); Max-Delbrück-Centrum für
molekulare Medizin (S. 21); Euroderm GmbH (S. 22, S. 23), TU Berlin, Gerd Lindner (S. 24); Fraunhofer IPA (S. 25); Pluristem (S. 28);
BCRT, Katrin Zeilinger (S. 30, S. 31, S. 32); Fraunhofer IGB, Heike Walles (S. 32); NMI Reutlingen, Martin Stelzle (S. 33); BCRT, Georg
Duda (S. 34); Tetec AG (S. 35); Biotissue Technologies GmbH (S. 36); Universität Lübeck, Holger Notbohm (S. 37); Matricel GmbH (S.
38, S. 39), Universität Bonn, Oliver Brüstle (S. 40); ZEBET, Manfred Liebsch (S. 42, S. 45); BCRT (S. 42, S. 46); pixelio.de, Rolf van Melis
(S. 43); Spherotec (S. 44); Fraunhofer FIT (S. 45)
Vorwort
Vorwort
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) begleitet die Entwicklungen in der
regenerativen Medizin bereits seit vielen Jahren
mit unterschiedlichen Fördermaßnahmen, die
wesentlich dazu beigetragen haben, die deutsche
Forschungs- und Unternehmenslandschaft und ihre
internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Auch deshalb ist Deutschland heute führend in der
regenerativen Medizin.
Die körpereigenen Kräfte nutzen, um Erkrankungen zu behandeln und zu heilen – das ist eines
der wichtigsten Ziele der regenerativen Medizin.
Bei Verletzungen der Haut, des Knorpels oder
Erkrankungen des Herzens haben regenerative
Verfahren bereits Eingang in die klinische Praxis
gefunden. Innovative Forschung verbessert so
schon heute nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch die Lebensqualität der
Menschen.
Der rasante wissenschaftliche Fortschritt zeigt
eindrucksvoll: Das Potenzial der regenerativen
Medizin ist noch längst nicht ausgeschöpft. Viele
Forschungseinrichtungen und Unternehmen
arbeiten daran, die Erkenntnisse aus dem Labor
noch besser für neue Therapien und Diagnostika
zu nutzen – beispielsweise für die Behandlung
altersbedingter Erkrankungen, die angesichts der
demografischen Entwicklung in Industrienationen
wie Deutschland eine immer größere Rolle spielen.
Regenerative Technologien eröffnen auch neue
Wege, um die Zahl von Tierversuchen zu reduzieren.
Eine wichtige Voraussetzung für Spitzenleistungen
ist die Vernetzung der zentralen Akteure. Deshalb
fördert das BMBF Translationszentren, in denen
die Kooperation von Wissenschaftlern, Klinikern
und Unternehmern besonders gefördert wird.
Mit gezielten Maßnahmen unterstützen wir auch
den innovativen Mittelstand in der regenerativen
Medizin bei der Umsetzung anspruchsvoller Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Zudem fördert
das BMBF den Dialog deutscher Forscherinnen
und Forscher mit ihren internationalen Kollegen,
zum Beispiel die bilaterale Kooperation mit dem
renommierten California Institute for Regenerative
Medicine (CIRM).
Die vorliegende Broschüre gibt auf vielfältige
Weise Einblicke in das faszinierende Forschungsfeld der regenerativen Medizin. Sie stellt aktuelle
Forschungsansätze und neue Entwicklungen in den
unterschiedlichen Anwendungsfeldern regenerativer Technologien vor. Informieren Sie sich über
die Chancen, die die regenerative Medizin nicht nur
Wissenschaft und Wirtschaft, sondern vor allem
Patientinnen und Patienten eröffnet.
Bundesministerin für Bildung und Forschung
InHalt
1
Inhalt
Regenerative Medizin im Überblick ................ 2
Die Leber im Labor nachbauen........................................ 32
Was ist Regenerative Medizin ? ....................................... 2
Mikrochip als Medikamententestsystem ................... 33
Mit Tissue Engineering zum Organersatz................... 5
Knochen und Knorpel:
Zum wachstum anregen
Stammzellen: zelluläre Multitalente .............. 7
......................................... 34
Knorpelbildung im Körper stimulieren ........................ 36
Embryonale Stammzellen - die Alleskönner .............. 7
Knochenheilung mit Stammzellen ................................ 37
Nützliche Gewebestammzellen ..................................... 8
Reprogrammieren als neuer Weg ................................. 9
Regenerationstechnologien:
Helfer für die Medizin ................................................ 13
nerven und Gehirn:
Regenerationspotenzial ausloten
.................. 38
Zellverluste bei Parkinson ersetzen .............................. 38
Künstliche Straßen für wachsende Nerven ............... 40
Bioreaktoren: Gewächshäuser für Gewebe ............... 16
Stammzellen im Gehirn gezielt nutzen ...................... 41
Hilfestellung für die Selbstheilung ................................ 17
Gezielt Erbanlagen reparieren ........................................ 18
Zebrafisch und Salamander:
Von Modellen lernen .................................................. 19
neue tests:
Gewebe als Ersatz zum tierversuch
.............. 42
Zellkulturtests mit Prüfsiegel .......................................... 42
Organe auf dem Mikrochip ............................................... 45
Zebrafische regenerieren Herz und Gehirn ............... 19
Heilungsprozesse beim Lurch verstehen .................... 21
translation:
Der schwierige weg in die Praxis ..................... 46
Haut: Kleine und große wunden heilen ...... 22
Kleine Unternehmen als Innovationsmotoren ........ 46
Wunden verschließen mit Ersatzgewebe ................... 22
Fünf Translationszentren bundesweit ......................... 47
Künstliche Hautproduktion im Akkord......................... 25
Klare Regeln für den europäischen Markt .................. 50
Herz: Schwache Pumpen ankurbeln ............... 26
Klinische Studien als große Herausforderung .......... 51
Herzmuskelzellen aus dem Labor .................................. 26
Fördermaßnahmen im Überblick
Stammzelltherapie bei Herzinfarkt ............................... 27
Glossar
Herzklappen wachsen im Bioreaktor............................ 28
weiterführende Publikationen des BMBF .. 57
Herzgewebe für die Wirkstoffforschung..................... 29
leber: Regenerationskraft ausnutzen
......... 30
Leberzellen aus Stammzellen gewinnen .................... 30
..................... 53
................................................................................... 54
2
REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK
Regenerative Medizin im Überblick
Viele Krankheiten lassen sich behandeln,
aber nicht heilen. Das gilt besonders für
altersbedingte leiden, bei denen oft Zellen
absterben und organfunktionen nachlassen.
Die Regenerative Medizin kann erkranktes
Gewebe wiederherstellen und funktionstüchtig machen. Dazu nutzt sie die Selbstheilungskräfte des Körpers. Ein großes Potenzial
für die Medizin des 21. Jahrhunderts.
Die Fähigkeit zur Regeneration ist lebensnotwendig. Unter Regeneration wird in der Biologie die
Fähigkeit eines Organismus verstanden, verloren
gegangene Körperteile und Körperfunktionen von
Grund auf zu ersetzen – um so möglichst den gesunden Originalzustand wiederherzustellen. Diese
Regenerationsfähigkeit besitzen prinzipiell alle Lebewesen – aber nur bis zu einem bestimmten Grad.
Die treibende Kraft dieser Selbstheilungsfähigkeit
geht von den Zellen aus, die die betroffenen Gewebe
und Organe aufbauen. Bei Menschen ist die Regenerationsfähigkeit gerade bei den Organen ausgeprägt, die in hohem Maße beansprucht werden:
Knochenmark, Leber, die obere Hautschicht oder
etwa die Darmschleimhaut werden ständig nachgebildet. Sogenannte Stammzellen sorgen in diesen
Geweben ein Leben lang für Nachschub an neuen
Zellen. In anderen menschlichen Organen ist dieses
Potenzial jedoch stark eingeschränkt, wie etwa im
Gehirn, im Herz und im Auge. Noch dazu bildet
der Körper bei größeren Wunden Narbengewebe.
So werden entstandene Defekte nur behelfsmäßig
repariert, aber nicht regeneriert.
W
Innerhalb der Biomedizin gehört die Regenerative
Medizin zu den Gebieten mit der stärksten Entwicklungsdynamik. Das spiegelt sich auch in den
verschiedenen Versuchen wider, dieses Medizinkonzept in Worte zu fassen. Forscher haben sich
bisher nicht auf eine offizielle Definition geeinigt.
Prinzipiell gilt jedoch: Die Regenerative Medizin ist
eine Heilkunst, die auf die Wiederherstellung funktionsgestörter Zellen, Gewebe oder Organe abzielt. Dies
geschieht entweder durch Anregung der körpereigenen Regenerations- und Reparaturprozesse oder aber
durch biologischen Ersatz in Form von lebenden Zellen
oder eigens im Labor gezüchteten Geweben. Das Ziel
Forscher in Hannover arbeiten daran, Herzgewebe künstlich herzustellen. Hier sind Herzmuskelzellen (grün mit blauem Zellkern) sowie
Kollagenfasern (orange) zu sehen.
ist immer gleich: Möglichst den gesunden und funktionalen Originalzustand eines betroffenen Gewebes
wiederherzustellen, anstatt es nur behelfsmäßig zu
ersetzen und zu reparieren. Heilen statt reparieren –
das ist das Motto der Regenerationsmedizin.
Lebende Zellen sind dabei das zentrale Werkzeug
der Regenerativen Medizin. Sie liefern das Baumaterial
für den angestrebten Organersatz und sie bewirken,
dass regenerative Prozesse im Körper in Gang gesetzt
werden. Auf diese Weise entstehen nicht nur Therapien, sondern auch neuartige Ansätze, um die Diagnostik von Krankheiten zu verbessern oder zellbasierte
Testsysteme, um die Wirkung von Medikamenten zu
prüfen. Als Forschungsdisziplin ist die Regenerative
Medizin in hohem Maße multidisziplinär, denn sie
verknüpft Ansätze der Zellbiologie, der Biotechnologie
und der Pharmakologie mit Medizintechnik und Materialwissenschaften. Mit diversen Förderinitiativen, die
all diese Forschungsdisziplinen adressieren, versucht
das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF), die dynamische Entwicklung auf diesem Feld
voranzutreiben: Seit den 1990er Jahren werden dabei
nicht nur akademische Forschungsprojekte, sondern
auch vielversprechende Projekte von Unternehmen
gezielt unterstützt.
REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK
Die Erforschung der Selbstheilungskräfte des
Körpers ist allerdings kein neues Phänomen. Schon
seit der Antike beschäftigt Mediziner dieses Thema.
Auch damals wollten sich die Ärzte diese Erkenntnisse für Therapien zunutze machen. Doch erst seit
dem 19. Jahrhundert, als die Zellen als Ursache für
Krankheiten in den Blick der Mediziner rückten,
begannen Forscher damit, die Prozesse der Regeneration tatsächlich zu entschlüsseln. Deutsche
Wissenschaftler gehörten dabei im frühen 20. Jahrhundert zu den Pionieren der Embryologie und Entwicklungsbiologie, die viel Grundlagenwissen für
die Regenerative Medizin zutage gefördert haben.
So untersuchen Entwicklungsbiologen die Mechanismen, die aus einer befruchteten Eizelle ein komplexes Lebewesen formen. Inzwischen ist bekannt,
dass der voll entwickelte menschliche Organismus
aus mehr als 200 verschiedenen Zelltypen besteht,
die in Geweben und Organen organisiert sind und
dort bestimmte Funktionen übernehmen. Obwohl
diese Zellen alle die gleiche genetische Ausstattung
besitzen, spezialisieren sie sich im Laufe ihrer Entwicklung und werden zu definierten Körperzellen.
3
Mit dem Siegeszug der Molekularbiologie in den
1970er Jahren begannen Genetiker und Zellbiologen damit, diesen auch als Differenzierung bezeichneten Prozess genauer zu untersuchen. Es zeigte
sich, dass in den spezialisierten Zellen des Körpers
eine deutlich geringere Zahl an Genen im Erbgut
aktiv ist als etwa in befruchteten Eizellen.
Lange Zeit gingen Forscher zudem davon aus,
dass die einmal erlangte Spezialisierung einer Zelle
ein unumkehrbares Schicksal ist. Diese Auffassung hat sich in den letzten Jahrzehnten durch
die rasanten Entwicklungen in der Molekularbiologie, der Genom- und Stammzellforschung, der
Fortpflanzungsmedizin sowie der Systembiologie
grundlegend geändert. So ermöglichte die in
vitro-Befruchtung – also die künstliche Befruchtung im Labor – bedeutende Untersuchungen zur
Embryonalentwicklung. Im Jahr 1998 gelang es
US-Forschern erstmals, menschliche embryonale
Stammzellen zu gewinnen. Mit diesen Zellen, die
sich nahezu unbegrenzt vermehren lassen und sich
in viele verschiedene Zelltypen entwickeln kön-
Forschungslandschaft Regenerative Medizin in Deutschland
Mit der Regenerativen Medizin beschäftigen
sich in Deutschland zahlreiche Forschergruppen, die über das ganze Land verteilt sind. Sie
decken ein weites Spektrum an Wissenschaftsgebieten ab, angefangen bei der Biomedizin, der
Biotechnologie, der Pharmakologie, der Medizintechnik und Materialwissenschaften.
Die Wissenschaftler arbeiten in Hochschulen
und Universitätskliniken, in Fachhochschulen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Forschungsorganisationen (MaxPlanck, Helmholtz, Leibniz, Fraunhofer).
Von besonderer Bedeutung für die Forschung
und Umsetzung regenerativer Therapien in die
klinische Praxis sind sogenannte Translationszentren, die in den vergangenen Jahren durch
öffentliche Förderinitiativen eingerichtet wurden
(vgl. S. 46 ff.). Solche Zentren gibt es mittlerweile in
Berlin, Leipzig, Rostock (BMBF), Dresden und Hannover (DFG). Wichtige Standorte der Stammzellforschung sind zudem Bonn, München,Würzburg,
Tübingen, Heidelberg und Münster.
Forschungsstandorte der Regenerativen Medizin in Deutschland.
4
REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK
nen, bekamen die Forscher eine Möglichkeit an die
Hand, in großen Mengen Zellen für die Grundlagenforschung zu gewinnen. Gleichzeitig entdeckten sie
auch immer mehr neue Möglichkeiten bei anderen
Stammzelltypen. So ist heute zunehmend ein Bild
entstanden, dass selbst spezialisierte Zellen keine
festgelegten Bausteine des Körpers sind, sondern
wandelbare Gebilde, deren Verhalten beeinflussbar
und umprogrammierbar ist. Die Stammzellforschung steht dabei in ganz besonderer Weise im
Blickfeld der Öffentlichkeit – nicht zuletzt aufgrund
ihrer ethischen Dimension, denn neue embryonale
Stammzell-Linien können nur durch die Zerstörung von Embryonen gewonnen werden. Aus
diesem Grund unterliegt die Stammzellforschung
im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern in
Deutschland vergleichsweise strengen Regeln, die
Wissenschaftler einhalten müssen. Das 1991 in Kraft
getretene Embryonenschutzgesetz verbietet die
verbrauchende Embryonenforschung einschließlich der Verwendung von Embryonen zur Herstellung von Stammzellen. Das Stammzellgesetz von
2002 (novelliert im Jahr 2008) erlaubt deutschen
Forschern nur unter strengen Voraussetzungen und
nach Genehmigung durch das Robert Koch-Institut,
embryonale Stammzellen aus dem Ausland zu
Forschungszwecken zu importieren und zu verwenden.
Von der Stammzelle zur therapie
Aufgrund ihrer vielseitigen Eigenschaften
erforschen Wissenschaftler seit Ende der 90er
Jahre das Potenzial von Stammzellen und ihren
Einsatz in der Regenerativen Medizin. Deutsche
Forscher werden dabei seit 1999 vom BMBF mit
diversen Förderinitiativen unterstützt. Ging
es dabei anfangs vor allem um Möglichkeiten
für den Ersatz einzelner Organfunktionen bei
verschiedenen volkswirtschaftlich relevanten
Erkrankungen wie Parkinson, Diabetes oder
Herzinfarkt, so liegt inzwischen ein Schwerpunkt auf Projekten, die nach ethisch unproblematischen Wegen für die Gewinnung von
vielseitigen Stammzellen für medizinische
Anwendungen suchen. Zwischen 2008 und 2013
werden diesbezüglich insgesamt 47 Vorhaben mit
15 Millionen Euro unterstützt. Hierbei erkunden
Forscher entweder das Entwicklungspotenzial
natürlich vorkommender Gewebestammzellen.
Oder sie entwickeln Verfahren, mit denen sich
Körperzellen künstlich in einen vielseitigen
Zustand zurückprogrammieren lassen. Um auf
der Basis dieser Erkenntnisse die Entwicklung
zellbasierter Therapien voranzutreiben, werden
zwischen 2005 und 2013 weitere Mittel in Höhe
von mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt.
Um die bislang in Deutschland aufgebauten
Strukturen der grundlagenorientierten und
angewandten Stammzellforschung sowohl
national wie auch international gebündelt
sichtbar zu machen und zu vertreten, soll 2012
ein „Deutsches Stammzellnetzwerk“ entstehen. Mithilfe einer solchen Dialogplattform
ist auch geplant, die Nachwuchsförderung zu
stärken und die rechtlichen sowie ethischen
Rahmenbedingungen in diesem Forschungsfeld
transparent darzustellen. Gleichzeitig soll die
Translation von Ergebnissen gezielt unerstützt
werden. Zum Start der Plattform stellt das BMBF
eine Anschubfinanzierung zur Verfügung.
Angefärbte Herzmuskelzellen in der Kulturschale: Künftig lassen
sich womöglich derartige Zellen aus Stammzellen gewinnen.
Mehr Informationen:
www.bmbf.de/de/1084.php
www.ptj.de/stammzellnetz
REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK
5
Neben der Forschung an embryonalen Stammzellen wurden in den letzten Jahrzehnten durch
staatliche Förderprogramme besonders die Forschungen zu alternativen Quellen von Stammzellen
intensiviert. Dadurch ist insbesondere in Deutschland im Bereich der adulten Stammzellforschung
eine große wissenschaftliche Expertise entstanden.
Die größte Herausforderung besteht nun darin, die
vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse in weiterführende Strategien für medizinische Forschung
und Anwendungen zu überführen (vgl. Kapitel
Stammzellen).
Mit tissue Engineering zum organersatz
Entscheidene Impulse für den Fortschritt in der
Regenerativen Medizin, insbesondere was die
Bereitstellung von Organen betrifft, kommen aber
nicht nur aus der Stammzellforschung, sondern
auch aus dem Bereich der Chirurgie. So gelang
Ärzten in Boston in den 1950er Jahren die erste
erfolgreiche Nierentransplantation. 1967 glückte
die erste Verpflanzung eines Herzens. Wenige
Jahre später meldeten Ärzte die erste erfolgreiche
Knochenmarktransplantation. Seit es Mediziner
schaffen, mit Medikamenten die Immunabwehr
zu unterdrücken und so eine Abstoßung körperfremder Organe zu verhindern, hat sich die
Transplantationsmedizin zu einem Eckpfeiler der
Hightech-Medizin entwickelt. Sie sichert heute das
Überleben vieler Patienten mit erkrankten oder
verletzten Organen. Doch Spenderorgane sind
knapp und können den stetig steigenden Bedarf
nicht decken. Allein in Deutschland werden zurzeit
schätzungsweise doppelt so viele Transplantationsorgane gebraucht wie zur Verfügung stehen. Die
Wartelisten sind lang, viele Patienten überleben
die Wartezeit nicht.
Auf der Suche nach Alternativen begannen Biotechnologen deshalb in den 1990er Jahren verstärkt
damit, lebendes Ersatzgewebe im Labor heranzuzüchten. Dies wird als sogenanntes Tissue Engineering bezeichnet, das heute als wichtiger Bereich
der Regenerativen Medizin gilt. Ein immer tieferes
Verständnis der Zellbiologie und die Verwendung
immer ausgeklügelter Gerüstmaterialien, auf denen mithilfe menschlicher Zellen neue Gewebe und
Organe heranwachsen können, haben hier inzwischen für bedeutende Fortschritte gesorgt, wenngleich das Organ auf Bestellung für jedermann noch
in ferner Zukunft liegt.
Frisch isolierte Stammzellen aus dem Knochenmark werden Patienten
nach einem Herzinfarkt in den betroffenen Herzmuskelbereich gespritzt. Dort sollen sie die Regeneration ankurbeln.
Die Potenziale der Regenerativen Medizin sind also
groß. Der Fokus auf die Regenerationsfähigkeiten
des Körpers könnte dabei helfen, viele drängende
Probleme der medizinischen Versorgung zu
lösen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird der
Regenerativen Medizin deshalb eine vielversprechende Zukunft prognostiziert, insbesondere für
Industrienationen wie Deutschland. So nehmen
mit dem demographischen Wandel auch hierzulande altersbedingte Krankheiten immer mehr zu:
Bestimmte Organfunktionen lassen nach und die
Zahl körperlicher Gebrechen steigt. Es sind Leiden
wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Alzheimer, aber auch
Nierenversagen, Diabetes sowie Gelenkverschleiß,
die zu den Volkskrankheiten in Deutschland gehören. Eine Heilung ist dabei selten in Sicht. Zumeist
müssen die Patienten für den Rest des Lebens Medikamente einnehmen. Doch diese können lediglich
Symptome lindern und den Krankheitsverlauf
verlangsamen. Oft sind mit der Einnahme auch
unerwünschte Nebenwirkungen verbunden. Die
Lebensqualität der Patienten bleibt deshalb meist
eingeschränkt. In schweren Fällen sind Prothesen
oder sogar Organtransplantationen die einzige
Alternative. Solche Eingriffe sind zudem mit hohen
Behandlungskosten verbunden.
Die Vision der Regenerativen Medizin ist es, die
medizinischen Probleme nicht nur symptomatisch
zu behandeln, sondern tatsächlich die Ursache zu
bekämpfen und zu heilen. Erste Fortschritte in den
6
REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK
Bereichen Haut (vgl. S. 22 ff.), Knochen (vgl. S. 34 ff.),
Herz (vgl. S. 26 ff.), Leber (vgl. S. 30 ff.) und Nerven
(vgl. S. 38 ff.) zeigen, dass die Wissenschaft für eine
Vielzahl von Krankheiten bereits an vielversprechenden Behandlungsstrategien arbeitet. Zugleich
steigt das Wissen über grundsätzliche Regenerationsprozesse in Modellorganismen wie Salamander
oder Zebrafisch (vgl. S. 19 ff.).
Die Forschung in Deutschland ist dabei sehr
breit aufgestellt – sei es in der Grundlagenforschung
oder der Anwendung regenerativer Therapien.
Mit international renommierten Wissenschaftlern
gehört Deutschland zu den weltweit führenden
Nationen im Bereich der Regenerativen Medizin.
Besondere Stärken gibt es traditionell im medizintechnischen Bereich, der Zellkulturtechnologie und
der Gewebezüchtung. In der Stammzellforschung
baut Deutschland auf jahrzehntelanger Expertise
in der Entwicklungsbiologie und bei Zelltherapien
auf. Dies spiegelt sich in einer hohen Dichte an
Forschungseinrichtungen und klinischen Zentren
wider. Darüber hinaus ist die Anwendungsorientierung der Forschng in den vergangenen Jahren
deutlich gestiegen. So wurden auf Initiative der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie
des BMBF interdisziplinäre Forschungszentren
gegründet, deren Ziel es ist, Ideen aus dem Labor
möglichst schnell für Patientinnen und Patienten
verfügbar zu machen (vgl. S. 46 ff.). Darüber hinaus
wird im Rahmen internationaler Kooperationen die
Zusammenarbeit deutscher Forscher mit Kollegen
aus dem Ausland gefördert. All dies wiederum wird
dazu führen, dass noch mehr Unternehmen Ansätze aus der Regenerativen Medizin aufgreifen. Um
für die Zukunft gewappnet zu sein, hat das BMBF
zudem langfristig angelegte Strategieprozesse in
den Bereichen Biotechnologie und Medizintechnik
initiiert, in denen die Regenerative Medizin auch
eine Rolle spielt (vgl. S. 53). Hier werden schon heute Forschungs- und Entwicklungsroadmaps für die
Zukunft erarbeitet.
Regenerationstechnologien: Der weg in die klinische Praxis
Die Regenerative Medizin ist ein dynamisches Forschungsgebiet, bei dem Spezialisten aus Biologie,
Chemie, Physik, Materialforschung, Geräte- und
Verfahrenstechnologie, Informatik, und Medizin
zusammenarbeiten. Eine wichtige Triebfeder
sind dabei mittelständische Biotechnologie- und
Medizintechnik-Unternehmen (KMU), die die
Anwendungsmöglichkeiten der Regenerationstechnologien für Therapien oder Diagnostika
ständig vorantreiben. Seit dem Jahr 2000 werden
Einige Biotechnologie-Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, Gewebe für verschiedenste Anwendungen zu züchten.
sie dabei vom BMBF unterstützt – insbesondere
bei risikoreichen Projekten im Bereich der Gewebeherstellung (Tissue Engineering). Bis 2007
hat das BMBF dabei insgesamt 43 Millionen Euro
investiert. Erste Anwendungen, etwa Produkte
für die Regeneration von Haut oder Knorpel, befinden sich bereits im klinischen Einsatz. Die Erfahrungen der ersten Jahre haben jedoch gezeigt,
dass noch zahlreiche Hürden zu meistern sind,
bis Regenerationstechnologien tatsächlich breit
eingesetzt werden. An klinische Studien sowie
die Zulassung werden in diesem Feld inzwischen
hohe Anforderungen gestellt. Deshalb fördert das
BMBF seit 2008 auch die Entwicklung neuer und
zuverlässiger Prüf- und Standardisierungsverfahren für Produkte der Regenerativen Medizin,
um gravierende Innovationshemmnisse aus dem
Weg zu räumen und den Nutzen regenerativer
Therapien künftig bewerten zu können. Insgesamt 15 Millionen Euro fließen dabei in Verbundprojekte von Wissenschaft und Wirtschaft.
Mehr Informationen:
www.ptj.de/regenerative-technologien
StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE
7
Stammzellen: zelluläre Multitalente
Stammzellen sind im Körper die treibenden
Kräfte für Entwicklung und Regeneration. Da
aus ihnen neue Zellen hervorgehen, sind sie
auch die zentrale Materialquelle für die
Regenerative Medizin. Je nach Herkunft sind
Stammzellen unterschiedlich vielseitig. In
Deutschland regelt ein striktes Stammzellgesetz die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Gewebestammzellen und
künstlich im labor gewonnene Stammzellen
sind in den Fokus der Forscher geraten.
Die „Familie“ der Stammzellen ist groß: Sie unterscheiden sich in ihrem Entwicklungsvermögen und
lassen sich auf verschiedenen Wegen gewinnen.
Einfach formuliert ist eine Stammzelle eine Zelle,
von der andere Zellen im Körper abstammen. Im
Vergleich zu hochspezialisierten Körperzellen sind
Stammzellen weniger stark auf eine bestimmte
Entwicklungsrichtung festgelegt. Durch Zellteilung
sind sie in der Lage, eine sich spezialisierende Tochterzelle und eine Stammzelle zu erzeugen, wodurch
sie sich selbst erhalten. Mithilfe von Stammzellen
wächst und erneuert sich der Organismus ein Leben
lang, Wunden und innere Schäden heilen aus eigener Kraft. Die Medizin versucht, die Heilkraft der
Stammzellen zu verstehen und gezielt therapeutisch
zu nutzen. Die Herkunft der Stammzellen ist dabei
entscheidend für eine mögliche Anwendung. Der
Stammzell-Typ entscheidet auch, wie Forscher mit
den Multitalenten umgehen dürfen.
Embryonale Stammzellen – die alleskönner
Aus einer befruchteten Eizelle gehen bis zum 8-ZellStadium Tochterzellen hervor, die totipotent sind.
Jede für sich hat das Entwicklungspotenzial, einen
kompletten Organismus aufzubauen. Etwa fünf Tage
nach der Befruchtung der Eizelle hat sich der Embryo
zu einem kugeligen Zellgebilde entwickelt, der
Blastozyste. Aus der inneren Zellmasse der Blastozyste lassen sich embryonale Stammzellen (ES-Zellen)
gewinnen. Sie gelten als zelluläre Alleskönner.
ES-Zellen sind pluripotent: Sie besitzen also grundsätzlich die Fähigkeit, noch alle Gewebe des menschlichen Körpers bilden zu können (mit Ausnahme des
Plazentagewebes). Aus ihnen kann sich kein vollständiger Organismus mehr entwickeln, wie das bei
totipotenten Zellen der Fall ist.
Humane embryonale Stammzellen unter dem Mikroskop.
Damit Wissenschaftler mit ES-Zellen arbeiten
können, werden sie in Kulturschalen übertragen, die
mit einer speziellen Nährlösung gefüllt sind. Hier
vermehren sie sich zu mehreren hundert Zellen, die
wiederum in neue Kulturschalen überführt werden,
so dass aus wenigen embryonalen Stammzellen
schließlich Abermillionen entstehen. Bei geeigneter
Stimulierung mit einem Cocktail aus Wachstumsfaktoren lassen sie sich in jeden erdenklichen der
200 menschlichen Zelltypen verwandeln. Somit sind
ES-Zellen eine schier unerschöpfliche Quelle, mit
deren Hilfe sich Gewebe im Labor nachzüchten lässt,
um verschiedenste Fragestellungen zu beantworten.
Diese Züchtung aber kontrolliert zu erreichen, ist für
Forscher immer noch eine große Herausforderung.
Umstritten sind menschliche ES-Zellen, da zur
Gewinnung neuer Stammzelllinien Embryonen zerstört werden müssen. Deshalb wird die Herstellung
und Verwendung von humanen ES-Zellen ethisch
kontrovers diskutiert. Verschiedene Länder auf der
Welt haben politisch und rechtlich unterschiedliche
Lösungen für den Umgang mit Embryonen und
Stammzellen gefunden. In Deutschland sorgt das
Embryonenschutzgesetz für einen strikten Schutz
des Embryos und verbietet das Herstellen menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken sowie die
verbrauchende Embryonenforschung einschließlich
der Herstellung von menschlichen ES-Zellen. Zusätzlich regelt das Stammzellgesetz den möglichen
Import und die Verwendung von menschlichen ESZellen aus dem Ausland. Solche ES-Zelllinien müssen
schon vor einem gesetzlich festgelegten Stichtag
gewonnen worden sein (1. Mai 2007). Darüber hinaus
dürfen sie nur für Forschungszwecke importiert und
8
verwandt werden, die hochrangig und auf anderem
Wege voraussichtlich nicht zu erreichen sind (siehe
Kasten rechts). Ebenso wie bei der Nutzung anderer
Zellen mit vergleichbarem Potenzial müssen die Forscher sicherstellen, dass die aus den menschlichen
ES-Zellen herangezüchteten Zellen sich im Körper
nicht plötzlich unkontrolliert vermehren. Aus den
ES-Zellen gewonnene Zelltypen können nach einer
Transplantation vom Empfänger als fremd erkannt
werden. In diesem Fall können, wie bei Transplantationen von Organen, gefährlichen Abstoßungsreaktionen auftreten. Wissenschaftler weltweit forschen
daher daran, diese potenziellen Immunreaktionen
zu beherrschen.
In den USA und in Großbritannien wurden bereits
erste klinische Studien mit aus ES-Zellen abgeleiteten
Präparaten gestartet. Das Biotechnologie-Unternehmen Advanced Cell Technology (ACT) erprobt hierbei
aus ES-Zellen entwickelte Pigmentepithelzellen, die
zur Behandlung einer Augenerkrankung eingesetzt
werden. Neben der klinischen Anwendung dienen
ES-Zellen heute schon als Basis für Krankheitsmodelle oder bei der Identifizierung und Suche neuer
Wirkstoffe.
N
Neben den ES-Zellen sind adulte Stammzellen oder
Gewebestammzellen die zweite große Gruppe an
Stammzellen. Sie sind in zahlreichen Geweben von
erwachsenen Menschen vorhanden und sitzen dort
in speziellen Nischen, um auf ihren Einsatz zu warten. Adulte Stammzellen sind die Reparaturreserve
des jeweiligen Gewebes. Sie sorgen für den nötigen
Zell-Nachschub, wenn im Gewebe Zellen absterben und ersetzt werden müssen. So treiben sie
die Erneuerung und die Wundheilung an. Adulte
Stammzellen sind allerdings in ihrem Entwicklungspotenzial eingeschränkt, sie gelten deshalb als
multipotent, weil ihre Abkömmlinge nur noch zu
wenigen Zelltypen heranreifen können.
Dank neuester Methoden haben Forscher inzwischen an immer mehr Stellen im Körper die vor Ort
zuständigen Gewebestammzellen entdeckt. Im Blut,
der Haut und im Darm sind sie besonders aktiv, da
diese Organe sich ständig erneuern. Doch auch in Orten, die nur bescheidene Regenerationsfähigkeiten
besitzen, wie im Gehirn, wurden Forscher bereits
fündig. Problem: Viele adulte Stammzellen sind nur
mit großem Aufwand zu gewinnen und ihre Zucht
StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE
Ein Gesetz für die Stammzellforschung
Nachdem US-Forscher 1998 erstmals
menschliche embryonale Stammzellen
(ES-Zellen) gewonnen hatten, setzte auch in
Deutschland eine bioethische Debatte ein.
Bei der Herstellung von ES-Zellen müssen
Embryonen zerstört werden, die bei künstlichen Befruchtungen übrig geblieben sind.
Das deutsche Embryonenschutzgesetz
stellt den Embryo unter strikten Schutz und
verbietet das Herstellen von Embryonen
zu Forschungszwecken sowie die verbrauchende Embryonenforschung. Um trotzdem
Forschung an menschlichen ES-Zellen zu
ermöglichen, gleichzeitig aber zu verhindern, dass von Deutschland aus ein Anreiz
ausgeht, im Ausland weiterhin Embryonen
zu zerstören, verabschiedete der Bundestag
im Jahr 2002 das „Gesetz zur Sicherstellung
des Embryonenschutzes im Zusammenhang
mit Einfuhr und Verwendung menschlicher
Stammzellen“. Demnach dürfen Forscher
nur unter strikten Auflagen ES-Zellen aus
dem Ausland einführen und verwenden.
Diese Stammzellen müssen aber vor einem
gesetzlich bestimmten Stichtag erzeugt worden sein. Um den Forschern die Möglichkeit
zu geben, für ihre im internationalen Rahmen stattfindenden Arbeiten auf zwischenzeitlich erheblich verbesserte und stabilere
Stammzelllinien zurückzugreifen, einigte
sich der Bundestag 2008 in einer Gesetzesnovelle darauf, den Stichtag vom 1. Januar 2002
auf den 1. Mai 2007 zu verlegen. Jede Einfuhr
und Verwendung menschlicher ES-Zellen in
Deutschland muss vom Robert-Koch Institut
(RKI) genehmigt werden. Zur Entscheidung
über einen Antrag holt das RKI eine Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für
die Stammzellenforschung (ZES) ein. Die ZES
prüft und bewertet, ob das Forschungsvorhaben die Voraussetzungen nach § 5 StZG
erfüllt und in diesem Sinne ethisch vertretbar ist. Bis Frühjahr 2012 hat das RKI auf diese
Weise seit Bestehen des Stammzellgesetzes
70 Projekte genehmigt. Insgesamt arbeiteten
54 Wissenschaftlergruppen zu diesem Zeitpunkt mit humanen ES-Zellen.
StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE
im Labor gestaltet sich oft schwierig. Die Vorteile:
Weil sie im erwachsenen Körper vorkommen, sind
sie nicht nur ethisch unproblematisch, sondern auch
einfacher für therapeutische Zwecke nutzbar. So
könnten adulte Stammzellen direkt vom Patienten
gewonnen und für eine Behandlung optimiert
werden. Ihr Einsatz führt auch nicht zu Abstoßungen
durch das Immunsystem. So arbeiten Forscher
derzeit unter anderem daran, adulte Stammzellen
bei der Behandlung von Herzinfarkt einzusetzen
– zum Beispiel an der Universität Frankfurt sowie
der Ludwig-Maximilians-Universität München. In
Rostock wurde darüber hinaus mit Unterstützung
des BMBF ein eigens darauf spezialisiertes Zentrum
eingerichtet (vgl. Kapitel Herz und Translation).
Eine besonders reiche und gut zugängliche
Quelle für adulte Stammzellen ist das Knochenmark.
Hier kommen unter anderen die Blutstammzellen
vor und die mesenchymalen Stammzellen, die Vorläuferzellen für Knorpel-, Fett- und Knochengewebe
darstellen. Gerade die mesenchymalen Stammzellen
haben in den vergangenen Jahren die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen: Innerhalb der
Gruppe der adulten Stammzellen scheinen sie besonders vielseitig zu sein und setzen in ihrer Umgebung
offenbar einen Cocktail an Wachstumsfaktoren
frei, der die Heilung verschiedener Gewebe anregen
kann.
Als weitere Quelle für adulte Stammzellen
kommt das Nabelschnurblut von Neugeborenen
in Frage. Hierin finden sich besonders junge, vermehrungsfähige Gewebestammzellen, die sich in
vergleichweise viele Körperzelltypen differenzieren
können. Sie haben die Fähigkeit, sich neben Blutzellen auch zu Nerven, Leber, Muskel, Knochen- oder Inselzellen zu entwickeln. Doch in jeder Nabelschnur
stecken nur etwa 50 Milliliter Blut, zu wenig für eine
spätere Therapie. In einem vom BMBF geförderten
Forschungsverbund suchen Wissenschaftler aus
Würzburg, Aachen und Hannover deshalb nach Rezepten, mit denen sich die Zahl der Stammzellen aus
dem Nabelschnurblut vervielfachen lässt.
Reprogrammieren als neuer weg
Weder embryonale noch adulte Stammzellen
haben Forscher bislang komplett zufriedengestellt.
Aus diesem Grund wird seit langem nach Alternativen gesucht – zum Beispiel, indem Zellen künstlich in eine Art embryonalen Alleskönnerzustand
9
Adulte Stammzellen in Kultur.
zurückversetzt werden. Diese „Reprogrammierung“
ist japanischen Forschern im Jahr 2006 erstmals gelungen. Sie wandelten ausgereifte Hautzellen von
Mäusen durch gentechnische Tricks so um, dass sie
sich wie embryonale Stammzellen verhielten. Das
künstlich erzeugte Ergebnis nannten sie induzierte
pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen). Die damaligen Experimente haben für einen Paukenschlag
in der Wissenschaft gesorgt. Denn das Rezept für
die Verwandlung ist fast zu einfach, um wahr zu
sein: Lediglich ein Cocktail aus den vier Genen
namens Oct4, Sox2, c-Myc und Klf4 wurde mithilfe
von Viren in die Körperzellen eingeschleust. Dies
reichte aus, um in den ausgereiften Zellen eigentlich stillgelegte Erbgutabschnitte zu aktivieren und
so das embryonale Genaktivitäts-Programm wieder
anzuschalten.
Im Jahr 2007 gelang den japanischen Forschern
dieselbe Verjüngungskur auch bei menschlichen
Hautzellen. Seither entwickelt sich die Reprogrammierungstechnik in rasantem Tempo weiter und
wird immer praxisfreundlicher und sicherer: Ein
deutsches Team um Hans Schöler vom Max-PlanckInstitut für molekulare Biomedizin in Münster hat
es geschafft, adulte Stammzellen von Mäusen und
Menschen nur mit einem Gen (Oct4) zu iPS-Zellen
umzuprogrammieren. Dann schafften es die Forscher, beim Einschleusen der Faktoren auf Viren
als Genfähre und andere gentechnische Methoden
zu verzichten. Offenbar reicht es aus, die Verjüngungsfaktoren in Form von Proteinen den Zellen
zu verabreichen, um sie zu reprogrammieren. Aus
diesem Grund nannten sie die verwandelten Zellen
protein-induzierte pluripotente Stammzellen (piPS).
…
Blastozyste
Inselzellen
Blutzellen
pluripotent
Herzmuskelzellen
innere
Zellmasse
Embryo
embryonale Stammzellen
Spermium
Eizelle
In vitro-Befruchtung
Wie Stammzellen gewonnen werden
PluripotenzFaktoren
Nervenzellen
Leberzellen
induzierte pluripotente Stammzellen
Körperzellen
(z. B. Haut)
Reprogrammieren
…
Knorpelzellen Bindegewebszellen
multipotent
adulte Stammzellen
Aufreinigung
der Stammzellen
Entnahme von
Stammzellen
(z. B. aus dem
Knochenmark)
Isolierung von
Gewebestammzellen
10
StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE
StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE
11
Nun tüfteln Stammzellforscher weltweit an weiteren Verfahren, um die Herstellung von iPS-Zellen
effizienter zu machen. Denn im Labor wird ungefähr
nur bei einem Prozent der behandelten Zellen eine
Reprogrammierung erreicht. Gleichzeitig wird
derzeit ausgiebig getestet, wie ähnlich sie in ihren Eigenschaften den natürlichen pluripotenten Stammzellen wirklich sind. Die Weiterentwicklung der
iPS-Technologien steht auch im Fokus des künftigen
Centrums für angewandte Regenerationstechnologien (CARE), das an das Münsteraner Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin angedockt sein soll.
Künstlich erzeugte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen)
ballen sich zu einer Kolonie zusammen.
Den iPS-Zellen wird ein hohes Potenzial zuerkannt, denn die Forschung an ihnen vermeidet den
Verbrauch menschlicher Embryonen zur Generierung neuer Stammzelllinien. Da die iPS-Zellen aus
winzigen Gewebeproben der Patienten selbst gewonnen werden können, werden aus ihnen hergestellte
Zellen bei einer späteren Therapie nicht vom Immunsystem als fremd erkannt. Neuere Studien haben im
Tierexperiment ergeben, dass auch von iPS-Zellen
abgeleitetes Gewebe in manchen Fällen Immunreaktionen hervorrufen kann, was Forscher vor allem
auf die Herstellungsmethoden zurückführen. Ein
weiteres Problem: Die verwendeten Körperzellen der
Patienten haben durch den Alterungsprozess bereits
Mutationen in ihrer Erbinformation angesammelt.
Europäisches Stammzellregister
Forscher, die in Deutschland an menschlichen
ES-Zellen forschen wollen, können diese gemäß dem Stammzellgesetz aus dem Ausland
importieren. In anderen EU-Ländern, wie Belgien, Spanien, Großbritannien und Schweden,
ist die ES-Zellgewinnung hingegen erlaubt.
Einmal hergestellt, lassen sich ES-Zellen nahezu beliebig lange in Form sogenannter Zelllinien aufbewahren und verschicken. Doch die
existierenden Linien unterscheiden sich erheblich in Alter und Qualität. Um Forschern einen
Überblick zu verschaffen, werden die Daten zu
Zelleigenschaften in Internet-Datenbanken
katalogisiert, eine davon ist das mit EU-Fördermitteln aufgebaute europäische Stammzellregister hESCreg, das vom Berlin-Brandenburg
Centrum für Regenerative Therapien (BCRT)
und einer Stammzell-Einrichtung in Barcelona
geführt wird. Hier sind mehr als 650 ES-Zelllinien verzeichnet. Forscher können so prüfen,
ob die verfügbaren Zellen zu ihren Experimenten und zu ihrer Gesetzeslage passen.
Mehr Informationen: www.hescreg.eu
Das Beispiel zeigt: Die alternativen Verfahren zur
Herstellung pluripotenter Stammzellen sind noch
junge Entwicklungen. Es besteht noch reichlich
Forschungsbedarf, um sie differenziert bewerten zu
können. Noch ist nicht klar, wie sicher diese Zellen bei einem möglichen therapeutischen Einsatz
wären und ob sie tatsächlich mit humanen ES-Zellen
vergleichbar sind. Um herauszufinden, welcher
Zelltyp sich als „Goldstandard“ für bestimmte Fragestellungen durchsetzen wird, verfolgen Forscher
weltweit verschiedene Ansätze und vergleichen sie
miteinander.
Gleichzeitig geht auch die Suche nach weiteren
Stammzellquellen im Körper voran. Ein Beispiel sind
amniotische Stammzellen, die sich in großer Zahl im
Fruchtwasser wiederfinden. Für ihre Gewinnung ist
weder die Arbeit mit Embryonen, noch eine Reprogrammierung notwendig. Ob diese Zellen jedoch
über ein vergleichbares Differenzierungspotenzial
wie ES- oder iPS-Zellen verfügen, ist noch unklar.
Eine neue Entwicklung aus den Stammzelllabors
ist die direkte Reprogrammierung. Hierbei ist es
gelungen, durch genetische und biochemische
Kommandos verschiedene Zelltypen ineinander
umzuwandeln, ohne den Umweg über Stammzellen zu gehen. So ist es bereits gelungen, Hautzellen
direkt in Nervenzellen umzuwandeln. Die Stammzellforschung bleibt ein hochdynamisches Feld der
biomedizinischen Forschung.
12
StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE
wie sich Stammzellen für die Medizin nutzen lassen
Stammzellen haben ein vielseitiges Potenzial
für die Medizin. Biomediziner wollen sie im
Labor gezielt zu einem speziellen Zelltyp oder
zu Geweben heranreifen lassen. Wenn diese Rezepturen ausreichend sicher sind, dann sehen
Experten drei Anwendungsbereiche:
Krankheitsmodelle in der Petrischale:
Krankheiten können besser erforscht werden,
da die betroffenen Zelltypen eines Patienten mihilfe von Stammzellen im Labor herangezüchtet
und beobachtet werden können. Forscher können so den Stoffwechsel und die Genaktivität in
kranken Zellen untersuchen und die molekularen Ursachen der Krankheiten besser verstehen. Vor allem schwierig zu erforschende Leiden
wie die Amyotrophe Lateralsklerose, Krebs oder
Schizophrenie werden so besser zugänglich.
wirkstoffsuche und arzneitests:
An aus Stammzellen gezüchteten Herz-, Leber- oder Nervenzellen lassen sich chemische
Substanzen und Medikamente auf Giftigkeit und
andere Nebenwirkungen in hoher Stückzahl
testen. So können Pharmahersteller schon früh
in der Medikamentenentwicklung aussagekräftigere Schlüsse ziehen und womöglich Tierversuche reduzieren. Eine Vision für die personalisierte Medizin: An nachgezüchteten Zellen eines
Patienten könnte man durch Tests ermitteln,
welche Therapie zu ihm am besten passt.
b) Adulte Stammzellen: Eine klinische Anwendung von adulten Stammzellen ist bei der
Behandlung von Leukämien bereits seit Jahrzehnten klinische Routine. Durch die Transplantation von immunologisch passenden Stammzellen eines Spenders kann das Blutbildungssystem
eines Krebskranken wieder neu aufgebaut
werden. Körpereigene Stammzellen aus dem
Knochenmark scheinen sich zudem – in krankes
Gewebe injiziert – für eine Therapie zu eignen,
indem sie vor Ort die körpereigene Regeneration ankurbeln. Eine weitere mögliche Anwendung: Forscher wollen Stammzellvorkommen
in erkrankten Organen durch Medikamente von
außen gezielt zur Teilung anregen, um so die
Regeneration zu fördern.
c) induzierte pluripotente Stammzellen: Noch ist
unklar, ob sich diese umprogrammierten Zellen
direkt für therapeutische Zwecke nutzen lassen. Vermutlich werden iPS-Zellen eher bei der
Wirkstoffsuche und für Arzneitests zum Einsatz
kommen.
Zelltherapie:
a) Embryonale Stammzellen: Bei Erkrankungen
wie Parkinson, Herzinfarkt oder Diabetes werden ganz bestimmte Zelltypen im Körper zerstört und können sich nicht von alleine regenerieren. Im Labor nachgezüchtete Zellen sollen in
die betroffenen Organe transplantiert werden,
um dort die verlorengegangene Funktion zu
ersetzen. Bisher sind auf ES-Zellen aufbauende
Zellersatztherapien vor allem an Tiermodellen
durchgeführt worden. Für den Einsatz beim
Menschen sind noch viele Sicherheits- und
Nutzenaspekte zu klären. Erste Patientenstudien mit ES-Zellpräparaten sind jedoch bereits
gestartet.
Aus Stammzellen wollen Forscher Beta-Zellen gewinnen, die in
der Bauchspeicheldrüse für die Produktion von Insulin sorgen.
REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn
13
Regenerationstechnologien: Helfer für die Medizin
Die Regenerative Medizin zielt darauf ab,
geschädigte Zellen, Gewebe oder organe im
Körper zu ersetzen oder zu erneuern, um sie
wieder funktionstüchtig zu machen. Diese
Verfahren bedienen sich lebender Zellen, die
im labor herangezüchtet werden müssen.
Dabei kommt ein vielseitiger Mix an Methoden aus der Zell- und Molekularbiologie
sowie den Ingenieurs- und Materialwissenschaften zum Einsatz, die unter dem oberbegriff Regenerationstechnologien zusammengefasst werden können.
Innerhalb der Regenerativen Medizin wollen
Wissenschaftler nicht nur verstehen, wie Selbstheilungsprozesse des Körpers funktionieren. Sie wollen
dieses Wissen auch gezielt anwenden, um erkrankte oder verletzte Zellen, Gewebe oder Organe zu
heilen, teilweise wieder herzustellen oder ihre
Regeneration zu unterstützen. Mit diesem Ansatz
verbinden Ärzte nicht nur die Hoffnung, aufwendige Organtransplantationen, rein technische
Lösungen wie Prothesen oder etwa lebenslange Medikamententherapien zu vermeiden. Bisher nicht
behandelbare Erkrankungen oder Verletzungen
sollen – so die Hoffnung – auch aus eigener Kraft
geheilt werden.
Aus Polymeren lassen sich feine Fäden spinnen, die mit lebenden
Zellen besiedelt werden können.
Wichtigstes Werkzeug der Regenerativen Medizin
sind lebende Zellen, die für den Einsatz in einer
Therapie noch mit Wirkstoffen oder Biomaterialien
kombiniert werden. Die Zellen werden entweder selbst innerhalb des Körpers zur Erneuerung
angeregt oder aber im Labor zu Ersatzgewebe
herangezüchtet. Für die Entwicklung dieser neuartigen Behandlungsstrategien arbeiten Forscher
aus den verschiedensten Wissenschaftszweigen
zusammen – von der Biomedizin, der Biomaterialforschung, den Ingenieurswissenschaften bis hin zu
einzelnen Disziplinen in der Chirurgie.
Zu den Regenerationstechnologien werden vier
wichtige Bereiche gezählt :
• Gewebeherstellung (tissue Engineering)
• Zelltherapie
• anregung körpereigener Regeneration
(induzierte autoregeneration)
• Gentherapie
Für die Regenerative Medizin ist das Heranzüchten
von einzelnen Zellen und Zellverbänden im Labor
von zentraler Bedeutung. Sie können einerseits als
Ersatzgewebe eingesetzt werden, andererseits aber
auch als Modell dienen, um die Funktionsweise
von Organen besser zu verstehen. Darüber hinaus
eignet sich im Labor erstelltes Gewebe auch für Medikamententests, um Nebenwirkungen im Modell
zu erforschen (vgl. Kapitel Neue Tests), oder für die
Suche nach neuen Wirkstoffen in der Medizin. Die
künstliche Herstellung von Geweben in der Kulturschale wird Tissue Engineering genannt. Dieses
auch als in vitro -Gewebezüchtung bezeichnete
Feld ist ein noch junges Forschungsgebiet. Erst 1975
gelang es Forschern, menschliche Hautzellen im
Labor künstlich zu vermehren. Seitdem macht die
Disziplin große Fortschritte. Heute wird versucht,
möglichst dreidimensionale, organähnliche Gebilde aus verschiedenen Gewebetypen nachzuahmen.
Für einige einfach aufgebaute Ersatzgewebe wie die
Oberhaut, Knochen und Knorpel hat die aufwendige Gewebetechnik bereits erste klinische Verfahren hervorgebracht. Doch das Züchten von Zellen
und ihre Kultivierung im Labor ist ausgesprochen
schwierig und technisch anspruchsvoll. Dafür müs-
14
REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn
tissue Engineering – wie Gewebe im labor gezüchtet wird
1. Biopsie,
Zellisolierung
entnommene
Zellen
2. Zellvermehrung
Patient
4. Implantation
Trägerstruktur
3. Besiedelung
und Wachstum
im Bioreaktor
sen unterschiedliche Experten aus Lebenswissenschaften, Material- und Ingenieurswissenschaften
zusammenarbeiten.
So genannte biologisch-künstliche (bioartifizielle)
Gewebe oder Organe werden in drei Schritten hergestellt (siehe Grafik oben): Zellen eines bestimmten
Typs werden zunächst gewonnen und vermehrt. Im
Labor werden sie auf speziellen Gerüstmaterialien
angesiedelt. In Kultursystemen, den sogenannten
Bioreaktoren, werden die Zellen versorgt und zu
Gewebeverbänden herangezüchtet, bis sie als funktionstüchtiges Transplantat wieder in den Patienten
zurückverpflanzt werden können.
Die Gewinnung von Zellmaterial ist beim Tissue
Engineering der entscheidende Ausgangspunkt. In
der Regel werden organspezifische Zellen verwendet, die vom Patienten selbst stammen. Diese – auch
autolog genannten – Zellen liefern letztlich Transplantate, die vom Körper nicht abgestoßen werden.
Stammen die Zellen von anderen Menschen- wie
etwa bei embryonalen Stammzellen, spricht man
von allogenen Zellen. Zellen von Tieren, die für
Menschen verwendet werden, nennen sich xenogene
Transplantate. Hierzu gibt es inzwischen auch ein
eigenes Forschungsgebiet – die Xenotransplantation.
Geeignetes Zellmaterial für Gewebetechnologen zu finden, ist nicht so einfach. So gestaltet sich
zum Beispiel die Verwendung von ausgereiften
Gewebezellen meist schwierig: Sie sind oft nur mit
hohem Aufwand zu gewinnen, noch dazu haben
sie ihre Teilungsfähigkeit weitgehend verloren und
lassen sich deshalb in der Petrischale nur langsam
vermehren. Die Hoffnung der Zellingenieure richtet
sich daher vor allem auf Stammzellen als Quelle, da
sich diese in verschiedene andere Zelltypen verwandeln lassen (vgl. Kapitel Stammzellen). Trotz erfolgsversprechender Ansätze gibt es hier allerdings
noch etliche Probleme zu lösen. Denn Stammzellen,
egal in welcher Vielseitigkeit sie vorliegen, müssen
mit geeigneten Rezepturen zuverlässig und vollständig in einen gewünschten Zelltyp verwandelt
REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn
werden, ohne ein unstetes oder gar gefährliches
Eigenleben zu entwickeln.
Entscheidend für den Gewebezüchtungserfolg
ist auch das eingesetzte Trägermaterial. Siedelnde
Zellen benötigen den Kontakt zu einer solchen
Struktur, um tatsächlich wachsen zu können. Im
Körper übernimmt diese Rolle als Trägerstruktur die
sogenannte extrazelluläre Matrix, ein komplexes
Netzwerk aus Eiweißen und Kohlenhydraten. Die
extrazelluläre Matrix enthält wichtige Biomoleküle
und Anhaftungsstellen, die dafür sorgen, dass sich
Zellen richtig entwickeln. Bioingenieure und Werk-
15
stoffwissenschaftler wollen dieses natürliche Vorbild
im Labor so gut wie möglich nachahmen: Dazu werden
Trägermaterialien verwendet, die natürlichen (auch
tierischen) oder synthetischen Ursprungs sind. Zum
Einsatz kommen Hydrogele, Kollagene, mineralische
Substanzen wie Calciumphosphate oder Keramiken
wie Aluminiumoxid. In manchen Fällen formen diese
Materialien poröse Strukturen, mit zahlreichen Hohlräumen wie bei einem Schwamm. Zellen fühlen sich in
solchen Nischen und Höhlen besonders wohl. Als Trägermaterial werden auch Gewebe von Schweinen und
Rindern benutzt. Mit einer Waschlösung werden die
tierischen Zellen komplett aus einem Organ entfernt,
Biomaterialien: Maßgeschneiderte werkstoffe für die Regenerative Medizin
Für nahezu alle Techniken der Regenerativen
Medizin werden Biomaterialien benötigt.
Darunter werden synthetische Hightech-Werkstoffe verstanden, die in Kontakt mit lebendem
Körpergewebe kommen. Meist sind sie mit biologisch aktiven Molekülen beladen, damit sie von
Zellen und Geweben nicht abgestoßen werden
und sich möglichst gut in den Körper einpassen.
Biomaterialien dienen in der Gewebezüchtung
als Trägergerüst (Matrix), auf denen sich Zellen
ansiedeln können. Außerdem werden sie für
biologisch abbaubare Implantate eingesetzt, die
zum Beispiel bei Knochendefekten vorübergehend als Lückenfüller und Wachstumsleitschiene dienen. Auch bei der gezielten Verabreichung
von Medikamenten und Wirkstoffen (Drug
Delivery) im menschlichen Körper kommen
Biomaterialien zum Einsatz. Hier tüfteln Materialwissenschaftler an intelligenten Wirkstoffdepots. Künstliche Kapseln sollen empfindliche
Signaleiweiße in den Körper transportieren, sich
dann vor Ort öffnen und so die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren.
Forscher um Andreas Lendlein vom Teltower
Zentrum für Biomaterialentwicklung des
Helmholtz-Zentrums Geesthacht setzen
zum Beispiel auf Polymere als Ausgangsstoff
für ihre Entwicklungen, die als sogenannte
Formgedächtnis-Kunststoffe dienen. Auf einen
Wärme- oder Lichtreiz hin ändern diese intelligenten Polymere ihre dreidimensionale Gestalt.
Polymere haben Materialeigenschaften, die sich für
Anwendungen in der Regenerativen Medizin nutzen lassen.
Sie können sich also quasi per Knopfdruck
verformen und setzen dann Wirkstoffe je nach
Bedarf frei. Wichtig beim Design der neuartigen Kunststoffe: Um für den späteren Einsatz
in einem Gewebe maßgeschneidert zu sein,
müssen oftmals die Oberflächen der Polymere
verändert werden – zum Beispiel zur Verankerung biologisch aktiver Moleküle. So haben die
Teltower Forscher Materialien hergestellt, auf
denen hornhautbildende Zellen (Keratinozyten)
gut wachsen, die bindegewebsbildenden Fibroblasten jedoch nicht.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Translationszentren in der Regenerativen Medizin“:
„Berlin-Brandenburg Center for Regenerative
Therapies“
Partner: Helmholtz-Zentrum Geesthacht,
Zentrum für Biomaterialentwicklung, Teltow
16
REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn
übrig bleibt nur noch die tote Gerüstsubstanz der extrazellulären Matrix. Auch aus menschlichen Geweben
gewinnen Biomediziner solche Trägerstrukturen, um
sie für die Herstellung biologisch-künstlicher Implantate zum Beispiel mit Blutgefäßzellen zu besiedeln (vgl.
Kapitel Herz). Materialwissenschaftler beschichten oder
tränken die Trägersubstanzen noch zusätzlich mit Biomolekülen oder Wachstumsfaktoren, um den darauf
siedelnden Zellen so gut wie möglich eine natürliche
und reizvolle Umgebung vorzugaukeln.
Bioreaktoren: Gewächshäuser für Gewebe
Damit die Zellen unter optimalen Bedingungen in
einer Nährlösung gedeihen können, werden sie in
sogenannten Bioreaktoren herangezüchtet. Das sind
Behälter, die mit komplizierter Elektrotechnik für
die Steuerung und Datenanalyse ausgestattet sind.
Für ihre Entwicklung ist die Expertise von Ingenieuren und Materialwissenschaftlern gefragt. Die
Hightech-Bioreaktoren stellen sicher, dass die nötige
Temperatur, der pH-Wert und die Versorgung mit
Nährstoffen und Sauerstoff gegeben sind. So wird
eine kontrollierte und reproduzierbare Züchtung
möglich. Einige Kultursysteme bieten außerdem
noch die Möglichkeit, auf die Zellen während des
Wachstums chemischen oder mechanischen Stress
auszuüben. Mechanischer Stress in Form von Zugund Druckbelastung führt beispielweise dazu, dass
sich Knochenmarkstammzellen zu Knochengewebe
hin ausbilden. Bei der Züchtung von biokünstlichen
Herzklappen stellt das Anlegen pulsierender Stöße
wie bei einem Krafttraining die Ausbildung funktionstüchtiger Gewebe sicher, so dass die Klappen
auch nach der Implantation in den Patienten den im
Körper vorherrschenden Belastungen gewachsen
sind. Für eine Vielzahl von Geweben oder Organen
entwickeln Bioingenieure derzeit Prototypen und
Modelle. Es geht ihnen darum, möglichst dreidimensionale Gewebekulturen zu konstrurieren, die wie in
der Natur aufgebaut sind. Dadurch entsteht allerdings die große Herausforderung, ausreichende Versorgung der lebenden Kunstorgane mit Blutgefäßen
und einem Blutstrom zu erreichen (vgl. S. 30 ff.).
Neben der Gewebezüchtung geht es in der
Regenerativen Medizin oft darum, eine Therapie zu
entwickeln, die auf lebenden Zellen basiert. Diese
werden dabei wie eine Art Arzneimittel verwendet
und in die geschädigten Körpergewebe gespritzt.
Dort sollen sie sich möglichst in den benötigten Zelltyp entwickeln und sich integrieren, um letztlich
Forscher in Aachen entwickeln Bioreaktoren, mit deren Hilfe im
Labor gezüchtete Herzklappen auf ihren Einsatz im Körper getrimmt
werden.
die verlorengegangene Funktion wiederherzustellen oder die Regeneration anzukurbeln.
Zumindest eine Form der Zellersatztherapie ist
mittlerweile zu einem erfolgreichen Routineverfahren in der Medizin geworden: Die Transplantation von Blutstammzellen aus dem Knochenmark.
Akute Leukämien zählen zu den aggressivsten aller
Krebsleiden. Oft kann den Betroffenen nur mit einer
intensiven Chemo- und Strahlentherapie geholfen
werden. Dabei werden unweigerlich das blutbildende System und das Immunsystem zerstört. Als
Ersatz werden dem Patienten gesunde Blutstammzellen übertragen, sie siedeln sich selbstständig
im Knochenmark wieder an und bauen ein völlig
neues Blutbildungssystem auf, ebenso ein neues
Immunsystem. Die Stammzellen kommen meist
von einer fremden Person, die in ihren immunologischen Gewebemerkmalen möglichst gut mit dem
Erkrankten übereinstimmen muss. Die Abhängigkeit von einem passenden Spender ist neben den Risiken auch die wichtigste Hürde bei dieser Therapie.
Um die Suche zu erleichtern, haben verschiedene
Institutionen in Deutschland sogenannte Stammzellspenderregister aufgebaut, in denen die Gewebemerkmale zehntausender Spender erfasst sind.
Bei Zellersatztherapien für andere Organe und
Gewebe stecken die Biomediziner noch in frühen
Stadien der klinischen Forschung. In Frage für eine
Zelltherapie kommen geschädigte Organe mit
geringen Selbstheilungsfähigkeiten und wenigen
vorhandenen Zelltypen wie etwa das Herz, das
Gehirn oder Knorpel (vgl. die jeweiligen Kapitel
REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn
17
in dieser Broschüre). Adulte Stammzellen aus dem
Knochenmark scheinen einen anderen, vielversprechenden therapeutischen Effekt zu haben: In
herzinfarktgeschädigtes Gewebe injiziert, setzen
sie vorübergehend einen Cocktail an Wachstumsfaktoren frei, der offenbar die Regeneration und die
Durchblutung anregen kann (vgl. S. 26ff.).
tiert werden. Für die Regeneration von Nervenfasern werden zum Beispiel sogenannte Leitschienen
erprobt (vgl. Kapitel Nerven). Sie sollen als Lotsen
dafür sorgen, dass durchtrennte Nervenbahnen im
Körper wieder zueinander finden und miteinander
verwachsen. Nach mehreren Monaten werden die
Materialien vom Körper abgebaut.
Hilfestellung für die Selbstheilung
Die nähere Erforschung und das bessere Verständnis von Stammzellvorkommen im Körper hat
auch zu neuen Strategien für eine regenerative
Therapie geführt, die einmal komplett ohne chirurgischen Eingriff auskommen könnte. Die Vision
ist es, zum Beispiel neurale Stammzellen im Gehirn
durch Medikamente ganz gezielt anzuregen, so
dass sie sich verstärkt teilen und neues Gewebe
hervorbringen. So könnten damit vielleicht Parkinson-Patienten in ihren Gehirnen selbst für den
Nachschub an Dopamin-produzierenden Nerven-
Ein weiterer Ansatz verbirgt sich hinter dem Prinzip
Hilfe zur Selbsthilfe. Fachleute sprechen hierbei von
„induzierter Autoregeneration“. Durch bestimmte
medikamentöse oder medizintechnische Verfahren
sollen im Körper Heilungs- und Erneuerungsprozesse angeregt und unterstützt werden. Dazu können biologisch abbaubare Trägermaterialien, die
mit bestimmten Wachstums- und Lockstoffen beladen werden, in die geschädigten Gewebe implan-
Künstlich nachgebaut: Ein Zuhause für Stammzellen
Stammzellen halten sich im Körper in sogenannten Nischen auf. Hier sind sie in eine Umgebung
eingebettet, die ihnen Halt gibt und verschiedene
Signale an die Stammzelle sendet. So wird gewährleistet, dass die Zellen ihre Stammzelleigenschaften behalten. Verlassen die Zellen die Nische,
so beginnen sie sich zu spezialisieren.
Um Stammzellen noch besser im Labor kultivieren
und steuern zu können, tüfteln Forscher daran,
die Wachstumsbedingungen zu verbessern. Ein
Ziel ist es dabei, die Stammzellnischen des Körpers
so gut wie möglich nachzuahmen. Forscher um
Materialwissenschaftler wollen die mechanischen und biochemischen Eigenschaften von Stammzellnischen nachahmen.
Carsten Werner vom Centrum for Regenerative
Therapies (CRTD) in Dresden versuchen mithilfe
von Polymermaterialien, die Stammzellnische
von sogenannten mesenchymalen Stammzellen, die im Knochenmark vorkommen, im Labor
nachzubauen. Dazu werden Silikongerüste mit
winzigen Vertiefungen hergestellt. Die Oberfläche der Vertiefungen wird mit bestimmten Polymeren und Wachstumsfaktoren beschichtet, die
die natürliche Umgebung einer Stammzelle im
Körper besonders lebensecht nachbilden sollen.
Die Vertiefungen sind so klein, dass jeweils nur
eine einzelne Stammzelle hineinpasst und diese
die Nischenwände direkt berührt. So können die
Forscher nicht nur die Stammzellentwicklung
in der künstlichen Nische genau studieren und
beeinflussen. Die Forscher um Werner hoffen, mit
der neuen Kulturmethode Spenderstammzellen
im Labor vermehren zu können.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Zellbasierte,
regenerative Medizin“:
„Materialien zur Isolation, Expansion und Differenzierung mesenchymaler Stromazellen“ (2009-2012)
Partner: Zentrum für Regnerative Therapien Dresden (CRTD)
18
REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn
wie eine Gentherapie abläuft
1. Entnahme der
Stammzellen
Genfähre
(Virus)
Stammzelle mit
defektem Gen
2. Einschleusen des
intakten Gens
4. Infusion der
gentherapeutisch
veränderten
Stammzellen
3. Zelle mit dem
korrigierten Gen
zellen sorgen, an denen es ihnen mangelt. Forscher
versuchen auch mithilfe bestimmter Signalmoleküle, Stammzellen aus dem Knochenmark über
das Blut in bestimmte Organe zu locken, wie etwa
Herzen, die durch einen Infarkt geschädigt wurden.
Solche Lockstoffe werden zum Beispiel in geeignete
Biomaterialien verpackt und gezielt freigesetzt.
Gezielt Erbanlagen reparieren
Als eine völlig andere Regenerationstechnologie gilt
die Gentherapie, die wie eine Art Gen-Ersatztherapie
funktioniert. Sie zielt darauf ab, defekte Erbanlagen
in Körperzellen eines Erkrankten mithilfe von gentechnischen Methoden wieder zu reparieren. Dazu
wird in betroffenen Zellen eine gesunde Version des
fehlerhaften Gens einschleust (siehe Grafik oben). Die
Einsatzgebiete für eine Gentherapie liegen vorrangig in der Behandlung von Erbkrankheiten, die auf
Defekten in einzelnen Genen beruhen, oder etwa
bei Krebs, wo kranke Zellen gezielt zerstört werden sollen. Knackpunkt bei der Gentherapie ist die
richtige Auswahl und Entwicklung der sogenannten
Genfähre, mit dem der gesunde Erbgutabschnitt in
die Zelle eingebracht werden kann. Die wirkungsvollsten Erbmaterial-Einschleuser sind Viren, die
diesen Mechanismus sonst dazu brauchen, um ihr
Genom im Körper zu verteilen. Die sogenannten
Retroviren laden ihre genetische Fracht besonders
effektiv in Zellen ab, die sich gerade teilen. Deshalb
sind Stammzellen ein wichtiges Ziel für Gentherapeuten, denn diese sind besonders teilungsfreudig.
Noch dazu geben Stammzellen ihre genetischen
Veränderungen an ihre Nachfahren weiter. Während in den Anfängen der Gentherapie-Forschung
die Euphorie zunächst sehr groß war, hat sich inzwischen herausgestellt, dass die Verfahren doch sehr
kompliziert und risikobehaftet sind. Besonders in
den 1990er Jahren gab es einige harte Rückschläge
bei der Behandlung von Patienten mit Gentherapien,
die in einigen Fällen sogar zum Tod geführt haben.
Doch die Forschung hat in den letzten Jahren wieder
einige Schritte nach vorne gemacht. So wurden zum
Beispiel neue Genfähren entwickelt, von denen deutlich weniger Gesundheitsrisiken ausgehen. Auch
deutsche Forscher in Heidelberg, Frankfurt, Ulm,
Berlin und München sind sehr aktiv daran beteiligt,
die Gentherapie voranzutreiben. Im Visier haben
die Wissenschaftler zum Beispiel Immundefekte.
Diese könnten gezielt in Stammzellen, die aus dem
Knochenmark entnommen und entsprechend modifiziert wurden, korrigiert werden.
Ob Tissue Engineering, Biomaterialien, Zelltherapie oder Gentherapie – in der Erforschung von Regenerationstechnologien nimmt Deutschland eine
Spitzenposition ein. Aus diesem Grund konnten
bereits vielversprechende Behandlungsstrategien
für vielfältige Anwendungsfelder wie Haut, Herz,
Leber, Knochen oder Nerven entwickelt werden.
Allerdings bedarf es vielfach noch einer klinischen
Prüfung, ob die Erkenntnisse aus dem Labor tatsächlich in die klinische Praxis übertragen werden
können. Diese Translation ist in der Regenerativen
Medizin eine besondere Herausforderung (vgl. S.
46ff.). Eine Anwendung, die vermutlich früher routinemäßig zum Einsatz kommt, sind Testsysteme,
die auf der Basis von gezüchteten Zellen etabliert
werden (vgl. S. 42ff.).
Eines gilt allerdings für alle Anwendungen: Ein
wichtiger Innovationsmotor für die Regenerative
Medizin sind kleine und mittlere BiotechnologieUnternehmen, die – oftmals unterstützt vom BMBF
– Ergebnisse aus den Forschungseinrichtungen in
Produkte für den Markt entwickeln.
ZEBRaFIScH unD SalaManDER: Von MoDEllEn lERnEn
19
Zebrafisch und Salamander: Von Modellen lernen
ob Plattwurm, Zebrafisch oder Salamander –
viele tiere haben erstaunliche Selbstheilungskräfte. Ihnen wachsen abgetrennte
Köpfe oder Schwänze zügig wieder nach,
Verletzungen im Gehirn heilen von selbst.
Forscher wollen von diesen Fähigkeiten
lernen, wie die Regeneration bei organen im
Detail abläuft. Für Stammzellforscher wiederum sind Experimente an Mäusen unverzichtbar – als Modell für Vorgänge im Menschen.
Um den Grundlagen der Regeneration auf die Spur
zu kommen, ist es wichtig, ihre natürlichen Abläufe
im Detail zu verstehen. Welche Mechanismen laufen
bei der Erneuerung von Geweben und Organen ab,
welche Eiweiße und Gene spielen eine Rolle? Wie
ist das Regenerationsprogramm aufeinander abgestimmt? Woher wissen die Zellen, wie sie sich wo
entwickeln sollen? Für solche Fragestellungen haben
sich Entwicklungsbiologen einige Lebewesen mit
erstaunlichen Regenerationsfähigkeiten ausgesucht.
Diese Modellorganismen können nicht nur Verletzungen aus eigener Kraft gut und schnell reparieren.
Gleichzeitig kann man mit ihnen in großer Zahl
experimentieren, genetische Studien durchführen,
und ihre nachwachsenden Gewebe lassen sich genau
unter dem Mikroskop beobachten. Letztlich wollen
die Grundlagenforscher durch Studien an Modelltieren auch besser verstehen, wie man Regenerationsvorgänge beim Menschen auslösen, begünstigen und
Entwicklungsbiologen nutzen Zebrafische sehr gern als Modelltiere.
Sie sind in der Lage, Verletzungen im Gehirn zu regenerieren .
steuern kann – vor allem in Organen wie dem Gehirn
und dem Herzen.
Zu den in der Forschung genutzten Modelltieren
gehören unter anderem Organismen, die leicht
zu übersehen sind: Plattwürmer (Planarien). Sie
werden nur wenige Millimeter bis Zentimeter groß,
leben im Meer und in Flüssen. Doch die Winzlinge
besitzen herausragende Regenerationsfähigkeiten:
Abgetrennte Köpfe oder Schwänze wachsen zügig
wieder nach, und aus einem amputierten Körperteil
geht selbst ein vollständiger, lebensfähiger Plattwurm hervor. Kein Wunder: Selbst in erwachsenen
Tieren sind nahezu 30 Prozent der Zellen Stammzellen. Diese Neoblasten sind ähnlich wandlungsfähig wie embryonale Stammzellen und können
ein Wurmleben lang die verschiedensten Zelltypen
hervorbringen. Deswegen haben die Planarien
mittlerweile ihren festen Platz in den Labors der
Regenerationsforscher gefunden. Mithilfe des Modellorganismus Schmidtea mediterranea studieren
Entwicklungsbiologen die molekularen Eigenschaften der Plattwurmstammzellen und fahnden nach Faktoren, die die Regeneration bei den
Würmern in Gang setzen. Viele der Planariengene
ähneln denen des Menschen. Die Forscher erhoffen
sich deshalb auch Erkenntnisse über die humane
Stammzellbiologie.
Zebrafische regenerieren Herz und Gehirn
Zu den beliebtesten Modelltieren unter Forschern
gehört der Zebrafisch. Was den Zebrabärbling
Danio rerio als Wirbeltier zum idealen Forschungsobjekt macht: Der Fisch ist als frischgeschlüpfter
Embryo durchsichtig. Zellstrukturen und -bewegungen lassen sich in der frühen Entwicklungsphase deshalb direkt unter dem Mikroskop betrachten.
Außerdem ist der Zebrafisch leicht auf engem Raum
zu züchten und gut für genetische Experimente
geeignet. In gentechnisch veränderten Fischen können Forscher beispielweise bestimmte Zelltypen mit
einem grün leuchtenden Eiweiß markieren und so
deren Entwicklung genau verfolgen. Auch der Zebrabärbling besitzt beeindruckende Selbstheilungskräfte. So sind die Tiere in der Lage, Verletzungen
im Gehirn zu regenerieren. Dabei erlangen die
Fische schon wenige Monate durch Selbstreparatur
von Hirngewebe wieder alle Funktionen, die durch
die Verletzung verlorengegangen sind. Der Schlüssel zu dieser Regenerationsfähigkeit sind offenbar
neuronale Stammzellen, die im Fischgehirn verteilt
20
ZEBRaFIScH unD SalaManDER: Von MoDEllEn lERnEn
sind, und die sich bei Bedarf dann in die passende
Nervenzelle verwandeln können. Forscher vom
Biotech-Zentrum der Technischen Universität
Dresden interessieren sich dafür, wie dieses neuronale Ersatzteillager im Fischgehirn erhalten wird.
Das Wissen über diese Vorgänge ist besonders für
Alternsforscher interessant. Denn Säugetiere und
der Mensch haben die Fähigkeit zur Regeneration
von Nervenzellen in der Evolution nahezu komplett
verloren. Der Vergleich mit den Fischen könnte
also helfen zu verstehen, wie sich diese Fähigkeit
vielleicht einst künstlich bei Menschen stimulieren lässt. Die Selbstheilungskräfte des Zebrafischs
beschränken sich aber nicht auf das Gehirn. Auch
abgetrennte Teile des Herzmuskels oder der Flossen
wachsen einfach wieder nach. Forscher vermuten,
dass die Wundheilung beim Fisch etwas anders
verläuft als beim Menschen. Das nach Verletzungen
entstandene Narbengewebe, bei Menschen Hemmschuh für eine weitere Regeneration, wird offenbar
bei den Fischen wieder abgebaut und durch die jeweils passenden Zelltypen ersetzt. Forscher wollen
mithilfe von Zebrafisch-Mutanten herausfinden,
welche Faktoren diese besondere Wundheilung bei
den Fischen steuern.
wie verlorene Salamanderbeine nachwachsen
Im Labor von Elly Tanaka tummeln sich in kleinen Wassertanks hunderte Axolotl. Die Lurche
werden ausgewachsen bis zu 30 Zentimeter groß.
Die Forscherin ist schon seit vielen Jahren der
erstaunlichen Selbstheilungskraft dieser mexikanischen Salamander auf der Spur. Ihre Forschungen wurden mit dem BioFuture-Preis des
BMBF unterstützt. Am Zentrum für Regenerative
Therapien in Dresden (CRTD) ist sie Professorin
für „Tiermodelle der Regeneration“. Die Entwicklungsbiologin sucht nach Genen und Eiweißen,
mit deren Hilfe die Tiere verlorene Gliedmaßen
und verletztes Rückenmark so perfekt nachbilden können. Dazu hat sie ganz besondere Axolotl
gezüchtet: Die meisten Lurche sind Albinos, in
deren nahezu durchsichtigem Gewebe man die
wundersamen Umbauprozesse genau betrachten
kann. Andere Tiere sind gentechnisch verändert,
sie tragen in bestimmten Zelltypen ein grünes
Leuchtprotein (GFP). Mithilfe dieser Markierungen sind die Forscher in der Lage, das Schicksal einzelner Zellen beim Nachwachsen genau
zu verfolgen. Auf diese Weise hat Elly Tanaka mit
ihrem Dresdner Forscherteam ein Geheimnis der
Regeneration gelüftet: Lange dachte man, dass
sich an Amputionsstellen beim Axolotl ein Zellklumpen aus pluripotenten Stammzellen bildet,
die sich je nach Bedarf zu dem benötigten Zelltyp
spezialisieren und so das neue Glied aufbauen.
Die Analysen an den leuchtenden Salamandern
zeigten jedoch: Die Wundheilungszone besteht
aus einem Gemisch verschiedener Vorläufer-
Der Axolotl ist das Wappentier der Regenerationsbiologie.
Verlorene Gliedmaßen wachsen bei diesem Schwanzlurch völlig
intakt nach.
zellen, die bereits sehr eingeschränkt in ihrem
Entwicklungsvermögen sind. Für Tanaka ist das
ein Hinweis darauf, dass man Zellen gar nicht bis
in ihren Alleskönner-Zustand zurückversetzen
muss, um eine Ersatz-Extremität wachsen zu lassen. Die Zellen im Regenerationswunder Axolotl
verhalten sich offenbar gar nicht so unterschiedlich zu denen von Säugetieren.
Projekt im BMBF-Wettbewerb BioFuture:
„Identifizierung von Faktoren, die die Geweberegenerierung initiieren“ (2004-2008);
Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats ERC: „RegenerateAcross“ (2012-2016)
ZEBRaFIScH unD SalaManDER: Von MoDEllEn lERnEn
Die Azteken nannten den ungewöhnlichen Ureinwohner Mexikos „Wassermonster“. Der Axolotl ist
ein Salamander, der wie eine Art geschlechtsreife
Kaulquappe mit Beinchen und Kiemen ein Leben
lang unter Wasser lebt. Gleichzeitig ist der Axolotl
(Ambystoma mexicanum) auch so etwas wie das
Wappentier der Regenerationsbiologie. Schneidet
man dem Axolotl ein Beinchen oder Teile seines
Schwanzes ab, wächst das Körperteil in wenigen
Wochen bis auf die ursprüngliche Größe nach.
Dabei wird das verlorene Glied aus Nerven-, Skelettund Muskelgewebe wieder voll funktionstüchtig
wieder hergestellt. Besser kann das kein anderes
Wirbeltier. Auch Teile des Herzens, des Gehirns und
des Rückenmarks werden ersetzt – und das selbst
bei erwachsenen Tieren.
21
Plattwürmer besitzen ganz besondere Regenerationskräfte:
abgetrennte Köpfe wachsen sehr schnell wieder nach.
Heilungsprozesse beim lurch verstehen
Grundlagenforscher weltweit versuchen, diese
Prozesse aufzuklären (vgl. Kasten S. 20). Motiviert
werden ihre Experimente von der Hoffnung, dass
die beteiligten Moleküle und Gene auch beim Menschen noch vorhanden sind, und durch bestimmte
Methoden wieder aktiviert werden können. Aber
noch rätseln die Forscher: Wieso bildet der Axolotl
bei der Wundheilung kein Narbengewebe? Wie
werden spezialisierte Zellen in einen verjüngten
Zustand zurückversetzt, so dass sie sich wieder
teilen? Auch Molche sind mittlerweile zu beliebten
Modellorganismen für Herzforscher avanciert.
So sehen nachwachsende Gliedmaßen des Axolotl unter dem Stereomikroskop aus. Bestimmte Zelltypen wurden mit Farbstoffen markiert.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Herzund Lungenforschung in Bad Nauheim haben beim
grünlichen Wassermolch die narbenfreie Wundheilung von verletztem Herzmuskelgewebe im Visier.
Mäuse zählen wie der Mensch zu den Säugetieren. Sie sind für Forscher die wichtigsten Modellorganismen in der Biomedizin. An den Nagern lassen
sich fast alle auch für den Menschen relevanten
Entwicklungsschritte untersuchen. Besonders für
Stammzellforscher sind Mäuse wichtige Studienobjekte, denn aus den frühen Embryonen der Tiere
können Reproduktionsmediziner die embryonalen
Stammzellen gewinnen. Sämtliche wichtigen Erkenntnisse der Stammzellbiologie beim Menschen
wurden erst durch vorangegangene Experimente
an Labormäusen erzielt.
Da sich Mäuse gentechnisch leicht verändern
lassen, eignen sie sich für die Genomforschung
sowie die immunologische Forschung und werden
für die Entwicklung von Medikamenten eingesetzt.
In München wurde dazu auf dem Gelände des dortigen Helmholtz-Zentrums mit Unterstützung des
BMBF die Deutsche Mausklinik aufgebaut, die die
Erforschung von Krankheiten erleichtern soll. Wissenschaftler untersuchen hier sogenannte Mausmutanten, bei denen bestimmte Gene abgeschaltet
sind. Mit modernsten Messgeräten erheben die
Forscher für jeden Nager hunderte von Testwerten
und prüfen, wie sich genetische Anlagen auf die
Tiere auswirken. Viele, allerdings nicht sämtliche
Erkenntnisse aus der Mäusemedizin sind auf den
Menschen übertragbar.
22
Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn
Haut: Kleine und große Wunden heilen
Die Haut ist das größte und regenerationsfreudigste organ des menschlichen Körpers.
Da sie relativ einfach aufgebaut ist, wird
Haut schon seit Jahren erfolgreich in der
Zellkultur herangezüchtet – zum Einsatz bei
transplantationen von Verbrennungsopfern
oder bei schwer heilenden wunden. Die
Haut aus dem labor wird aber auch immer
wichtiger für die Kosmetikindustrie und die
arzneiforschung. Denn auf kleinen Hautschnipseln lassen sich neue Substanzen auf
ihre Verträglichkeit und Giftigkeit testen.
Die menschliche Haut ist nicht nur das größte Organ des Menschen, sondern als Grenze und Kontaktstelle zur Außenwelt auch eines der wichtigsten.
Deshalb muss sie sich auch regenerieren können.
Die Haut nutzt sich ständig ab: Pro Minute verliert
ein Mensch etwa 40 000 Hautzellen, die komplette
Hautoberfläche wird im Durchschnitt alle zwei
Wochen ausgetauscht. Der Nachschub wird dabei
durch adulte Stammzellen gesichert. Sie sorgen ein
Leben lang für neue Hautzellen. Noch deutlicher
wird die Regenerationsfähigkeit der Haut bei einer
Verletzung. Bis zu einer kritischen Größe ist der
menschliche Körper nämlich in der Lage, Wunden
zu verschließen und verlorengegangene Hautpartien inklusive deren Funktion zu ersetzen.
So sieht der Querschnitt der menschlichen Haut unter dem Mikroskop
aus. Gut zu sehen sind die verschiedenen Schichten, die sich übereinander stapeln.
Von der Struktur her ist die Haut relativ klar aufgebaut: Sie besteht aus mehreren Zellschichten, die
wie Mauersteine übereinander gestapelt sind. Die
zwei obersten Hautschichten, die Oberhaut (Epidermis) und die Lederhaut (Dermis), sind nicht mit Blutgefäßen versorgt. Weiter nach innen folgt die Unterhaut,
ein gut durchblutetes Bindegewebe mit Fetteinlagerungen, Haarwurzeln und Schweißdrüsen.
Dank dieses vergleichweise einfachen Schichtenaufbaus der Haut ist die Züchtung von Gewebe im
Labor in den vergangenen Jahren zum bisher erfolgreichsten Anwendungsgebiet des „Tissue Engineering“ geworden. So war die Haut das erste lebende
Gewebe, das aus menschlichen Zellen rekonstruiert
werden konnte. Das geschah in der 1980er Jahren,
damals ging es vor allem um ästhetische Korrekturen
für einen Einsatz in der plastischen Chirurgie. Heute
hat im Labor nachgebaute und nachgezüchtete Haut
zwei bedeutende Anwendungsfelder: In der Medizin
ist sie oft die letzte Rettung für Patienten mit schweren
Verbrennungen oder chronischen Wunden. In der
Kosmetikindustrie wiederum werden die Hautpartien
aus der Kulturschale dafür verwendet, neue Substanzen zu testen.
wunden verschließen mit Ersatzgewebe
Für Menschen mit Verbrennungen oder Verätzungen ist eine Transplantation von Ersatzhaut die
letzte Rettung. Nur so können Wunden geschlossen und damit gefährliche Entzündungen und
Flüssigkeitsverlust vermieden werden. Bei kleinen
Wunden können Mediziner dabei auf Eigenhaut
des jeweiligen Patienten setzen, die von anderen
Körperteilen entnommen wird. Für größere oder
chronische Wunden ist diese Vorgehensweise
jedoch nicht praktikabel. Erst seit einigen Jahren
kann auch diesen Patienten geholfen werden: Für
sie wird künstliche Haut im Labor produziert.
Um die menschliche Haut möglichst originalgetreu nachzubauen, mussten die Wissenschaftler
lange Zeit in mehreren Schritten vorgehen. Aus
menschlicher Haut, die dem Patienten entnommen
wurde oder die bei Operationen angefallen ist,
isolierten sie zwei unterschiedliche Zelltypen: Die
dermalen Fibroblasten (Unterhaut) und die hornbildenden Zellen, die Keratinozyten. Zunächst wurden
die Fibroblasten in eine Proteinlösung eingebettet.
Darauf wurden die Keratinozyten ausgesät. Nach
drei Wochen hatte sich aus ihnen dann die Ober-
Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn
haut gebildet. Der große Vorteil dieses Modells ist
zugleich auch seine große Schwäche. Es basiert auf
ausgebildeten Hautzellen, die in der Kulturschale
das tun, was sie am besten können: Haut bilden.
Allerdings wird für dieses Verfahren als Keimquelle
immer eine Biopsieprobe benötigt. Das kann – etwa
bei Patienten mit großflächigen Verbrennungen
– ein Problem sein. Außerdem dauert es ziemlich
lange, bis das Ganze wächst. Denn ausdifferenzierte
Zellen teilen sich in einem eher behäbigen Turnus.
Forscher aus mehreren Arbeitsgruppen und Biotechnlogie-Unternehmen haben sich deshalb einer
anderen Zellquelle zugewandt: Ihnen genügen we-
23
nige Haare, um beinahe beliebig viel neue Haut entstehen zu lassen. Was hat nun aber die Haut mit den
Haaren zu tun? Was zunächst erstaunlich klingt,
fußt auf einer Beobachtung, die Mediziner schon
vor längerem gemacht haben: Ist die Haut verletzt,
wandern adulte Stammzellen aus den Haaren um
die Verletzung herum zur Wunde, um bei der Regeneration der Haut zu helfen. Stammzellen aus dem
Haar sind also in der Lage, Haut zu bilden – und das
nicht nur im Körper, sondern auch im Reagenzglas.
Im Vergleich zum früheren Verfahren bietet dieser
Weg mehrere Vorteile. Abgesehen davon, dass
ein Haar leichter ausgerissen ist als ein Stück Haut
Künstliche Haut aus dem labor für Patienten mit chronischen wunden
Für die Biotechnologen des Leipziger Unternehmens Euroderm sind einige Dutzend ausgezupfte Haare ein wertvoller Rohstoff. Denn an
der Haarwurzel sitzen adulte Stammzellen,
die besonders teilungsfreudig sind, und die
in wenigen Wochen in der Kulturschale eine
Ersatzhaut hervorbringen können. Davon
profitieren vor allem Patienten mit chronischen
Wunden, denen bislang aufwändig und auf
schmerzhafte Weise Eigenhaut transplantiert
werden musste. Die Verfahren der „Haut aus
Kopfhaaren“ hat Euroderm zusammen mit
dem Fraunhofer-Institut für Immunologie und
Zellforschung (IZI) in Leipzig und mithilfe einer
BMBF-Förderung zur Marktreife entwickelt. Die
Hautstammzellen aus der Haarwurzelscheide
werden zwei bis drei Wochen in der Zellkultur
vermehrt. Mit einem einfachen Trick geben die
Forscher dann den Zellen das Signal für die Hautbildung: Sie reduzieren die Nährflüssigkeit so
weit, dass die Oberseiten der Zellen nicht mehr
bedeckt sind und so mit der Umgebungsluft in
Kontakt kommen. Durch den erhöhten Druck,
den die Luft auf die Zelloberflächen ausübt,
reifen sie zu Oberhautzellen aus. Die Forscher
züchten auf diese Weise viele kleine Hautstücke,
die für jeden Patienten individuell hergestellt
werden und aneinandergelegt eine Fläche von
10 bis 100 Quadratzentimetern ergeben. Die
gezüchtete Epidermis ist zwar kein vollwertiger
Ersatz, denn ihr fehlen noch Pigmente und Talgund Schweißdrüsen. Für die Patienten ist sie den-
An der Wurzel eines Haares befinden sich Stammzellen, die eine
wertvolle Quelle für die Hautproduktion darstellen.
noch ein Fortschritt. Nach dem Anwachsen der
verpflanzten Hautstückchen entstehen relativ
weiche Narben, und in mehr als 60 Prozent der
verpflanzten Fälle wird eine komplette Heilung
der chronischen Wunden erreicht. Ob gesetzliche Krankenkassen die Kosten der Behandlung
übernehmen, ist in Deutschland von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative
„Tissue Engineering“:
„Gewinnung, Kultur und Transplantation follikulärer epidermaler Stammzellen für die Rekonstruktion menschlicher Haut“ (2005 bis 2009)
Partner: Euroderm GmbH
24
Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn
herausgeschnitten, teilen sich adulte Stammzellen
auch viel schneller als ausdifferenzierte Hautzellen.
Das heißt: Es dauert nicht so lange, bis eine künstliche Hautpartie herangezüchtet ist.
Ob mit Haaren oder Hautzellen als Quelle – die
künstliche Haut aus dem Labor wird inzwischen
seit vielen Jahren für medizinische Behandlungen
von spezialisierten Unternehmen angeboten.
In Deutschland sind es vornehmlich kleine und
mittlere Biotechnologie-Unternehmen. Ihre Technologien unterscheiden sich jeweils im Herstellungsverfahren sowie in der Art und Weise, wie die
entstandene Kunsthaut auf Wunden aufgebracht
wird. Während das Unternehmen Euroderm als
Quelle Stammzellen aus den Haarwurzeln verwendet ( vgl. Kasten S. 23), hat die Firma Biotissue die
„Haut aus der Tube“ entwickelt. Bei dieser Methode
werden körpereigene Oberhautzellen in der Kultur
vermehrt und dann zusammen mit Fibrin, einem biologischen Gewebekleber, auf die verletzte Region
aufgetragen.
Aber nicht nur Mediziner haben Bedarf. Von der
Haut aus der Fabrik träumen auch Pharmakologen
und Chemiker schon lange – für den Einsatz als
Testmodelle in der Forschung oder der Industrie. Bereits seit Jahren sind bestimmte Hautgewebe kommerziell erhältlich. Dazu gehören meist Modelle der
Oberhaut (Epidermis). Sie müssen nicht über Blutgefäße versorgt werden und lassen sich verhältnismäßig leicht im Labor herstellen und züchten. Derzeit
ist die Herstellung solcher Hautmodelle aber noch
langwierig, denn sie basiert auf Manufaktur und
Vom Hautmodell zur Haut mit Haaren
Um aus Haarstammzellen Hautzellen zu entwickeln, gibt es mehrere Lösungen. Ein Konsortium
von Wissenschaftlern aus Berlin, Lübeck, und
München hat dabei ein ganz eigenes Verfahren
entwickelt. Das Berliner Unternehmen Probiogen, das sich auf die Kultivierung von Zellen
spezialisiert hat, steuerte dabei einen speziellen
Bioreaktor bei, der das Hautmodell ständig mit
Nährlösung versorgt und die Verhältnisse im
Körper simuliert. Den Berliner Forschern fiel in
dem Verbund die Aufgabe zu, die Stammzellen
aus dem Haar zu isolieren, zu vermehren und
schließlich sicherzustellen, dass sie ihre vielseitigen Eigenschaften bei alledem nicht verlieren.
Um künstliche Haut mit Haaren auszustatten, müssen auch
sogenannte Haarfolikel im Labor herangezüchtet werden.
Mit ihrem Hautmodell wollen die Forscher
künftig noch einen Schritt weitergehen: Sie soll
mit Haaren ausgestattet werden. Dies wiederum wäre insbesondere für Kosmetikhersteller
interessant, aber auch kahlköpfigen Menschen
könnte eine solch behaarte Kunsthaut einmal
helfen. Für die „Haut mit Haaren“ greifen die
Berliner Forscher als Startpunkt erst einmal
auf ausgezupfte Kopfhaare zurück. Zunächst
gewinnen sie aus einer Region an der Wurzel,
dem Haarfolikel, unterschiedliche Typen von
adulten Stammzellen. Mit ihrer Hilfe gelingt es,
eine zweilagige Oberhaut zu züchten. Ziel der
Wissenschaflter ist es nun, auch einen künstlichen Haarfolikel daraus herzustellen. Bislang
sind sie noch etwas kleiner und dünner als ihre
natürlichen Vorbilder. Langfristig sollen die
gezüchteten Follikel auch noch mit Blutgefäßen verbunden werden, um sie über Tage und
Wochen hinweg am Leben zu erhalten.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative
„Zellbasierte, regenerative Medizin“:
„Reparatur von Hautdefekten durch Verwendung
autologer Haarfolikel-Stammzellen“ (2005 bis 2009)
Partner: TU Berlin, Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Max-Planck-Institut für Biochemie,
Probiogen AG
Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn
25
ist damit teuer. Forscher der Fraunhofer-Institute
für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen, für
Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) und
für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA)
in Stuttgart sowie das Fraunhofer IZi in Leipzig haben eine vollautomatischen Produktionsanlage für
3D-Hautmodelle entwickelt. 2011 ging die Gewebefabrik in Betrieb. Pro Monat sollen in der Stuttgarter
„Tissue Factory“ bis zu 5.000 daumennagelgroße
Hautstückchen vom Stapel gehen.
Aufgebaut sind die gezüchteten Hautmodelle
aus zwei Schichten: In einer gelartigen KollagenMatrix werden Bindegewebszellen (Fibroblasten)
eingebracht. Auf diese Matrix werden dann Keratinozyten aufgepfropft. Dieses Zell-Sandwich wird
dann über mehrere Wochen mit Kontakt zur Luft
kultiviert. Das führt dazu, dass die Keratinozyten
fast wie in ihrer natürlichen Umgebung im menschlichen Körper ausreifen. Sie bilden hierbei eine
Epidermis aus, sogar mit Hornschicht. Eine solche
Hornhaut ist eine entscheidende Eigenschaft, um
die nachgebaute Haut so menschenähnlich wie
möglich zu machen. Denn die Hornschicht erfüllt eine wichtige Barriere-Funktion. Künstliche
Hautmodelle mit Hornhaut können deshalb noch
zuverlässiger Auskunft geben, wie ein zu testender Wirkstoff in die Tiefen der Haut vordringt. Die
Hoffnung der Fraunhofer-Forscher ist, dass ihr
Fabrikorgan dank der automatisierten Herstellung
die Vorraussetzungen schafft, endlich die ausreichende Reproduzierbarkeit und Verlässlichkeit bei
der Gewebezüchtung zu erreichen.
Künstliche Hautproduktion im akkord
Die Hautfabrik funktioniert dabei Schritt für Schritt:
Kleine Hautstücke werden sterilisiert und per
Robotergreifarm in die Anlage transportiert. Der
Automat zerkleinert die gewonnenen Hautproben
und sortiert die Zellen in verschiedenene Typen auf.
Zunächst werden die zwei gewünschten Zelltypen
noch vermehrt, bevor die Anlage sie automatisch
wieder zusammenschichtet. Gelagert in einem körperwarmen und feuchten Brutschrank verbinden
sich die beiden Zellschichten in etwa drei Wochen.
Die entstehenden Hautstücke sind einen Quadratzentimeter groß. Im letzten Schritt verpackt der
Automat die Kunsthaut für den Versand.
Auch wenn schon sehr lebensechte Oberhautmodelle existieren, die Haut als Ganzes wiederher-
Die vollautomatische Hautfabrik am Fraunhofer IPA arbeitet im
Akkord und kann bis zu 5000 Hautmodelle im Monat herstellen.
zustellen, bleibt eine große Herausforderung für die
Gewebezüchter. Denn es gilt nicht nur, die grobe Architektur nachzubilden. Für eine lebensnahe Version
müssen die Forscher auch Haarbälge, Schweißdrüsen
und Nervenendigungen mit einbeziehen. Um größere Hautwunden, zum Beispiel bei Verbrennungen,
mit gezüchteten Transplantaten zu ersetzen,
arbeiten Stuttgarter Fraunhofer-Forscher nun auch
an einem komplexeren Voll-Hautmodell: Dieses soll
künftig auch von Blutgefäßen durchzogen sein.
Wichtig für die Kosmetikbranche und für die
pharmazeutische Industrie ist es, dass sie die im Labor gezüchteten Hautmodelle verlässlich einsetzen
können, um mit ihnen Substanzen auf ihre Verträglichkeit zu testen. Seit 2008 ist nach unabhängiger
Prüfung durch die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum
Tierversuch am Bundesinstitut für Risikoforschung
(ZEBET) mehrere Hautmodelle EU-weit zugelassen
worden, die in Hautreizungstests eingesetzt werden.
Eine Weiterentwicklung ist zudem als Modell für
die Augenhornhaut geeignet und kann deshalb den
umstrittenen Draize-Test an lebenden Kaninchen
ersetzen. Bei diesem Test wird untersucht, wie stark
chemische Substanzen die Augen reizen. Damit
sind wichtige methodische Fortschritte erreicht,
die Tierversuche ersetzen können (vgl. S. 42ff.). Mit
diesen Entwicklungen haben Unternehmen nun
Möglichkeiten an der Hand, den Bestimmungen der
neuen EU-Chemikalienverordnung REACH sowie
der EU-Richtlinie zum Schutz der für Versuche und
andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten
Tiere nachzukommen.
26
HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln
Herz: Schwache Pumpen ankurbeln
Das Herz verrichtet als Pumporgan ein leben
lang Schwerstarbeit. Infarkte oder Herzklappenfehler legen das Herz stellenweise lahm
und schwächen es so dauerhaft. Denn die
Selbstheilungskräfte des Herzmuskels sind nur
sehr begrenzt. Regenerationsmediziner wollen
die geschädigten Herzen trotzdem wieder
reparieren: Ihr Repertoire reicht von mitwachsenden Herzklappen über Stammzelltherapien
bis hin zu raffinierten lockstoffen.
Ein schwaches Herz wieder fit zu bekommen, das
bleibt für Mediziner eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Erkrankungen der Herz- und
Blutgefäße sind die häufigste Todesursache in den
Industrieländern der westlichen Welt. Allein 300 000
Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen
Herzinfarkt, 60 000 sterben an diesem plötzlichen
Durchblutungskollaps in den Herzkranzgefäßen. Bei
einem Infarkt sterben die unterversorgten Gewebebereiche ab und der Herzmuskel hört an dieser
Stelle auf zu schlagen. Bisher versuchen Ärzte das
geschwächte Pumporgan dann mit Medikamenten
in seiner Funktion zu stabilisieren. Um die Durchblutung des unbeschädigten Teils des Herzens zu sichern, werden in vielen Fällen Ersatzadern (Bypässe)
rund um das Herz verlegt. Obwohl diese Maßnahmen
zu einer deutlichen Verbesserung führen können: Sie
Diese Herzklappe ist in einem Bioreaktor herangewachsen.
Sie besteht aus körpereigenem Zellmaterial des Patienten.
beseitigen die Erkrankung nicht dauerhaft, und die
Patienten leiden meist an den chronischen Folgen.
Um die entstandenen Schäden am Herzmuskel
wirklich zu heilen, hilft bislang nur eine Transplantation des Organs, mit allen damit verbundenen
Risiken. Biomediziner versuchen daher, die Selbstheilungskräfte der geschwächten Pumpe wieder
anzukurbeln. Doch die Regenerationsfähigkeit des
Herzens ist bei Menschen stark eingeschränkt. Zwar
haben Forscher vor kurzem Stammzellen oder Vorläuferzellen innerhalb des menschlichen Herzmuskels aufgespürt. Sie sind allerdings sehr selten und
können von sich aus die zerstörten Muskelpartien
nicht angemessen nachbilden. Regenerative Therapien am Herz stützen sich deshalb auf zwei Strategien: Gezüchtete Herzmuskelzellen aus dem Labor
sollen als Aufbauhilfe dienen, injizierte Stammzellen
sollen die geschwächten Zonen wiederbeleben. Für
größere „Ersatzteile“ liefert die Disziplin des Tissue
Engineering unter anderem mitwachsende Herzklappen. Die Zucht eines kompletten menschlichen
Herzens in der Kultur bleibt bislang Utopie.
Herzmuskelzellen aus dem labor
Da nach einem Herzinfarkt vor allem ein einziger
Zelltyp betroffen ist, die Herzmuskelzelle, gilt das Herz
grundsätzlich als geeignetes Organ, um die einmal
zerstörten Zellen durch die Transplantation neuer Zellen zu ersetzen. Forscher in Deutschland nutzen verschiedene Strategien, um für diesen Zweck geeignete
Herzmuskelzellen im Labor heranreifen zu lassen.
Arbeitsgruppen um Jürgen Hescheler an der Universität Köln und Wolfgang-Michael Franz von der
Universität München experimentieren dazu mit embryonalen Stammzellen von Mäusen und Menschen,
die in der Kulturschale durch Zugabe eines Cocktails
von Wachstumsfaktoren zu Kardiomyozyten ausreifen. Versuche mit Nagern hatten bereits gezeigt, was
passiert, wenn man die so hergestellten Vorläuferzellen in lädierte Mäuseherzen spritzt: Die Ersatzzellen
nisteten sich im Herz ein, bauten an der Infarktnarbe
Muskelmasse auf und die Schlagkraft des geschädigten Herzens besserte sich messbar. Die Spenderzellhaufen zuckten aber bisweilen nicht synchron mit den
anderen Herzmuskelzellen, ein möglicher Auslöser
für Herzrhythmusstörungen. Weiterhin bleibt immer
ein – wenn auch geringes – Risiko, dass die Spenderzellen zu gefährlichen Tumoren wuchern oder aber
aufgrund ihrer fremden Herkunft vom Immunsystem
abgestoßen werden. Neue Hoffnungsträger für eine
HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln
27
Stammzellen ins Herz gespritzt: Die Rostocker PERFEct Studie
Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich Forscher damit, Herzinfarkttherapien mit Stammzellen zu testen. So hat die am Klinikum der Universität Frankfurt durchgeführte REPAIR-AMI-Studie
gezeigt, dass Herzpatienten von der Gabe körpereigener Stammzellen in die betroffene Herzregion
profitieren können. Auch Herzmediziner um
Gustav Steinhoff von der Klinik für Herzchirurgie
der Universität Rostock testen derzeit einen ähnlichen Weg. Am Rostocker Referenz- und Translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie
(RTC) haben sie ein Verfahren entwickelt, bei
dem körpereigene Stammzellen eines Patienten
zur Therapie von Herzkrankheiten zum Einsatz
kommen. Dazu wird bei einem Herzpatienten
kurz vor der Operation aus dem Knochenmark
eine bestimmte Gruppe adulter Stammzellen, die
sogenannten CD133+-Zellen, isoliert. Im Verlauf
einer Bypass-OP werden diese Zellen nun gezielt
in den Herzmuskel gespritzt – und zwar in das
Randgebiet des infarktgeschädigten Gewebes.
Mit dem patentierten Verfahren haben die
Rostocker bereits mehr als 140 Patienten behandelt. Die ersten Ergebnisse sind ermutigend: Im
Vergleich zu Patienten ohne Stammzellbehand-
Herzinfarkttherapie bilden vielseitige Stammzellen,
die aus Körperzellen künstlich zurückprogrammiert
werden. In einem BMBF-Verbundprojekt untersuchen
Kölner Forscher das Potenzial dieser so genannten
iPS-Zellen zur Behandlung des Herzinfarktes. Bei Mäusen ist es hier bereits gelungen, aus den künstlichen
Stammzellen Herzmuskelzellen heranzuzüchten.
Mit einer ähnlichen Strategie erforscht ein Team um
Ulrich Martin von der Medizinischen Hochschule Hannover das Potenzial von adulten Stammzellen aus dem
Nabelschnurblut von Neugeborenen. Erst kürzlich
schafften es die Forscher, diese jungen menschlichen
Zellen zu den noch vielseitigeren iPS-Zellen zurückzuverwandeln, um daraus in einem nächsten Schritt
zuckende Herzmuskelzellen herzustellen. Auch wenn
sich immer neue Quellen für Herzmuskelzellen aus
dem Labor auftun – bis ein solcher Gewebeersatz zuverlässig bei Menschen eingesetzt werden kann, sind
noch viele Jahre Grundlagenforschung nötig.
lung habe sich die Pumpleistung des Herzens
im Schnitt um zehn Prozent erhöht, erläutert
Steinhoff. Zudem erwies sich die Therapie bislang
als sicher: „Wie auch im Tierversuch haben wir bei
den Patienten keine Nebenwirkungen der Therapie beobachtet“, so Steinhoff. Ende 2009 haben
die Mediziner eine groß angelegte Phase III-Studie gestartet, in der bis zu 142 Patienten behandelt
werden sollen. Diese Studie läuft doppelblind und
placebokontrolliert ab, und ist damit die entscheidene Stufe für eine mögliche Zulassung der
Therapie. Neben dem RTC sind noch das Deutsche
Herzzentrum in Berlin und die Medizinische
Hochschule in Hannover beteiligt. Die Studie wird
vom Land Mecklenburg-Vorpommern und vom
BMBF unterstützt. Der Abschluss ist für 2012 geplant. Sollte die PERFECT- Studie dann einen klaren
Nutzen der Stammzelltherapie nach Herzinfarkt
belegen, so wäre der Weg frei für die Zulassung
der Stammzellbehandlung.
Projekt in der BMBF-Förderiniative
„Translationszentren in der Regenerativen
Medizin“:
Referenz- und Translationszentrum für kardiale
Stammzelltherapie (RTC), Universität Rostock
Stammzelltherapie bei Herzinfarkt
Eine andere Form der Stammzelltherapie bei Herzinfarkt hat bereits den Sprung in die Klinik geschafft:
Die Injektion von körpereigenen adulten Stammzellen. Eine breit angelegte Zulassungsstudie zu
dieser Stammzelltherapie bei Herzinfarkt ist 2009
in Rostock, Berlin und Hannover gestartet (siehe
Kasten). Bei dieser Behandlung werden bei einer
Herz-Operation Stammzellen aus dem Knochenmark
des Patienten gezielt in den Randbereich des gelähmten Herzmuskels gespritzt. Die bisherigen Ergebnisse
einer solchen Behandlung überraschten die Forscher:
Zwar blieb der eigentlich erhoffte Zellersatz im
Herzgewebe weitgehend aus. Trotzdem ging es den
behandelten Patienten besser, ihr Herz pumpte kraftvoller. Offenbar kurbeln die verabreichten adulten
Stammzellen die körpereigenen Reparaturmechanismen wieder an: Sie geben zahlreiche Botenstoffe und
28
HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln
Wachstumsfaktoren in das Gewebe in ihrer Umgebung ab. Die Heilkraft der Stammzellen besteht also
vermutlich darin, dass sie wie kleine, lebende Apotheken funktionieren. Die bisherigen klinischen Erfahrungen zu adulten Stammzellen bei der Therapie von
Herzerkrankungen zeigten, dass ihr Einsatz relativ
unbedenklich für den Patienten ist. Ob die Zellkuren
per Spritze auch langfristig zu keinerlei gesundheitlichen Schäden führen, müssen die weiteren Studien
aber erst noch belegen.
Einen anderen Weg untersuchen derzeit Wissenschaftler in Tübingen und München: Ihr Ziel ist
es, möglichst ohne einen chirurgischen Eingriff,
dafür mithilfe biochemischer Tricks, die Regenerationskräfte im Herz wieder anzuregen. Dazu wollen
die Forscher adulte Stammzellen vermehrt aus dem
Blut in die geschwächten Herzregionen locken,
damit sie dort gezielt andocken und Reparaturarbeiten in Gang setzen. Für diesen Zweck verabreichten die Forscher Mäusen bestimmte Lockstoffe,
die nicht nur die körpereigene Stammzellen aus
dem Blut ins kranke Herz lotsen, sondern sie auch
dazu bringen, sich genau an das definierte Zielgewebe anzulagern. In München wird dieser Ansatz
mittlerweile auch an Patienten getestet.
Herzklappen wachsen im Bioreaktor
Herzklappen sind lebenswichtige Ventile, die dafür
sorgen, dass beim gerichteten Pumpen des Blutes
nichts davon in die Herzkammern zurückfließt.
Herzklappenfehler können angeboren sein, oder sie
entstehen durch Infektionen bzw. durch Verschleiß
mit zunehmendem Alter. Sie führen meist zu einer
lebensbedrohlichen Schwächung. Bisher stehen
Herzchirurgen für die unvermeidlichen Eingriffe
entweder biologische Herzklappen von Schweinen und Rindern oder aber mechanische Klappen
zu Verfügung. Kleine Patienten müssen bis zu
sechsmal operiert werden, da die herkömmlichen
biologischen Klappen zu klein werden und verkalken. Mechanische Klappen wiederum sind nicht
geeignet, weil die Träger eines solchen Kunststoffventils blutverdünnende Mittel einnehmen müssen. Stefan Jockenhövel züchtet an der Technischen
Körperfremde Stammzellen aus dem Mutterkuchen lassen Blutgefäße sprießen
Nicht nur im Herzmuskel sind Durchblutungsstörungen ein ernstes Problem. In Beinen entstehen
Gefäßverschlüsse zumeist bei älteren Patienten,
oft in Folge einer Diabeteserkrankung und aber
bei starken Rauchern. In fortgeschrittenen
Stadien ist oft eine Amputation unvermeidlich.
Regenerationsmediziner vom Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapien
(BCRT) versuchen, mithilfe von Stammzellen
die Durchblutung in den Beinen ihrer Patienten
wieder anzukurbeln. In einer klinischen Studie
Mit Stammzellen aus der Plazenta wollen Berliner Forscher
Gefäßinfarkte behandeln.
erproben die Mediziner dazu einen neuen Weg:
Sie setzen auf körperfremde Stammzellen, die
aus dem Mutterkuchen (Plazenta) gewonnen
wurden. Die Zellpräparate liefert das israelische
Biotechnologie-Unternehmen Pluristem. Es hat
ein Verfahren entwickelt, mit dem sich aus dem
Mutterkuchen von jungen Müttern mesenchymale Stammzellen gewinnen und vermehren
lassen. Den heilsamen Effekt von PlazentaStammzellen nach Gefäßinfarkten haben die
Forscher aus Berlin bereits in Tierversuchen
belegt. Injizierten sie Nagern die PlazentaStammzellen in den Beinmuskel, so sprossen in
der Nähe des unterversorgten Gewebes winzige
Blutgefäße aus. Erste Studien bei Testanwendungen an Patienten zeigten bereits ermutigende Ergebnisse der Stammzelltherapie.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Translationszentren in der Regenerativen Medizin“:
Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative
Therapien (BCRT)
HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln
Hochschule Aachen Herzklappen, die ausschließlich aus körpereigenem Gewebe bestehen und
mitwachsen. Die Forscher entnehmen von einem
Patienten Zellen aus einem Blutgefäß oder aus der
Nabelschnur und lassen diese in einer Art Gussform
aus dem Stützprotein Fibrin wachsen, welches aus
dem Blut des Herzkranken gewonnen wird. Nach
und nach verdrängen die Zellen ihr Stützkorsett,
bis das Ersatzteil nach vier bis sechs Wochen fertig
ist. In einem Bioreaktor werden die biologischen
Ersatzklappen dann einem Leistungstest unterzogen. Vor allem Kinder mit angeborenen Herzklappenfehlern sollen von der Entwicklung profitieren,
denn das Gewebe aus dem Labor wächst im Körper mit. Die Forscher haben ihre mitwachsenden
Zucht-Herzklappen bereits erfolgreich an Schafen
getestet. Axel Haverich und seine Mitarbeiter an
der Medizinischen Hochschule in Hannover setzen
ebenfalls auf Herzklappen, die aus körpereigenen
Zellen gezüchtet werden. Dazu wird zunächst eine
menschliche Herzklappe aus einem Spenderorgan
von allen Zellen befreit, sodass nur ihr äußeres
Gerüst erhalten bleibt. Dieses Gerüst (Matrix) wird
dann mit Zellen besiedelt, die aus dem Blut des
Empfängers gewonnen und vermehrt wurden.
Innerhalb weniger Wochen entsteht so im Bioreaktor eine quasi natürliche Herzklappe, die keinerlei
Abstoßungsreaktionen hervorruft und nach der
Implantation mitwächst.
Herzgewebe für die wirkstoffforschung
Als eine der wichtigsten und greifbarsten Anwendungen für im Labor herangezüchtete Herzzellen
gilt die Wirkstoff-Forschung. Gerade für Pharmafirmen sind frühzeitige Tests bei der Entwicklung
von neuen Herzmedikamenten wichtig, um neue
Substanzen auf ihre Wirkung und ihre Nebenwirkungen zu überprüfen. Derzeit greifen Pharmakologen für ihre Tests noch vorwiegend auf tierische
Gewebe und Organe zurück. Doch die Biochemie
und die Pumpleistung eines Mäuseherzens lässt sich
nur sehr eingeschränkt auf den Menschen übertragen. Unter dem Dach eines vom BMBF geförderten
Verbundprojekts haben Forscher aus Lübeck, Köln,
Frankfurt und Reutlingen untersucht, wie sich
menschliches Herzgewebe im Labor kultivieren
lässt, damit man es für zuverlässige Wirkstofftests
in der Pharmaindustrie einsetzen kann. Während
manche Forschergruppen dabei auf Herzschnitte
aus Geweberesten, die bei Operationen angefallen
sind, gesetzt haben, züchteten Kölner Forscher
29
Bioartifizielles Herzgewebe besteht aus Herzmuskelzellen (grün)
und Kollagenfasern (rot gefärbt).
aus embryonalen Stammzellen Herzmuskelzellen
heran. Bei der Prozedur entstehen Zellklumpen,
die sich wie funktionstüchtiges Herzmuskelgewebe
verhalten und sich im Gleichtakt zusammenziehen
können. Solche zuckenden Mikro-Organe kann man
sogar auf kleine Chips mit Mini-Elektroden anbringen, um charakeristische Herzströme abzuleiten.
Letztlich sollen die Herzmodelle künftig helfen, die
Zahl der Tierversuche zu verringern und die Medikamentenentwicklung schneller, günstiger und vor
allem sicherer zu machen. Mithilfe von Zelllinien,
die durch künstlich reprogrammierte Körperzellen von Herzkranken hergestellt wurden, sollen
außerdem Herzleiden besser im Labor untersucht
werden können, um künftig Medikamente maßzuschneidern.
Trotz der Erfolge bei Stammzelltherapien und
Gewebeherstellung: Der Traum der Mediziner,
ein komplettes Herz in der Retorte zu schaffen,
wird wohl noch lange unerreicht bleiben. Immerhin wurde bei Mäusen bereits gezeigt, dass man
ein schlagendes Herz durch Dezellularisierung
und nachträgliche Besiedlung mit Endothel- und
Herzmuskelzellen biokünstlich wieder herstellen
kann. Die aufwendigen Techniken der Gewebeherstellung werden aber sicherlich nicht den Bedarf
an Spenderorganen decken können. Eine weitere
mögliche Quelle für Spenderherzen: Schweine. Um
Abstoßungen solcher tierischen Organe durch das
menschliche Immunsystem zu vermeiden, züchten
Nutztiergenetiker bereits gentechnisch veränderte Schweine, die immunologisch verträglichere
Organe bilden. Solche Tiere könnten auch künftig
Gerüste für mitwachsende Herzklappen liefern.
30
lEBER: REGEnERatIonSKRaFt auSnutZEn
Leber: Regenerationskraft ausnutzen
Kein inneres organ kann sich so gut regenerieren wie die leber. Deshalb eignet sich das
Stoffwechselzentrum des Körpers auch für
lebendorganspenden. Doch transplantationsorgane sind knapp. Forscher wollen
daher leberzellen aus Stammzellen heranzüchten. auch körperfremde leberzellen
werden bereits für den Einsatz in der Zelltherapie erprobt. Gewebeingenieure tüfteln an
der biokünstlichen leber, einem dreidimensionalen Medikamenten-testsystem mit
Blutgefäßen.
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan des Körpers und der Hauptort für den Umbau und Abbau von
Fremdstoffen. Sie entgiftet den Körper, ist am Hormonhaushalt und der Immunabwehr beteiligt und
stellt zahlreiche Substanzen her. Ohne dieses „Zentrallabor“ könnte ein Mensch nur wenige Stunden
überleben. Zuständig für die vielen Um- und Abbauprozesse sind die hochspezialisierten Leberzellen, die
Hepatozyten.
Über die außergewöhnliche Regenerationskraft der Leber waren sich schon die alten Griechen
bewusst. Sinnbild ist Prometheus, der der Sage
nach zur Strafe an einen Fels gekettet, täglich
von Raubvögeln heimgesucht wird, die an seiner
ständig nachwachsenden Leber fressen. Tatsächlich
zeigt sich die Leber sehr regenerationsfreudig: So
Menschliche Lebervorläuferzellen in der Zellkulturschale .
ist es möglich, für Lebendspenden einen der beiden
Leberlappen zu transplantieren. Beim Spender
wächst die Leber in der Folge wieder zur ursprünglichen Größe heran. Dem Empfänger reicht der
eingepflanzte Leberlappen aus, um eine funktionstüchtige Leber zu bilden. Bei akutem Leberversagen
muss jedoch meist eine komplette Leber verpflanzt
werden. Die Zahl solcher verfügbaren Spenderorgane ist allerdings knapp bemessen, es gibt lange
Wartelisten. Deshalb suchen Biomediziner nach anderen Behandlungsmöglichkeiten, mit denen sich –
gerade in lebensbedrohlichen Krisen – die Funktion
der Leber überbrücken lässt. Solche Unterstützungshilfen könnten entweder einzelne Leberzellen
sein, die in das entgleiste Organ gespritzt werden.
Denkbar ist auch der Einsatz von biokünstlichen
Lebersystemen, die wie ein Dialysegerät für die
vorübergehende Entgiftung an den Blutkreislauf
angeschlossen werden.
leberzellen aus Stammzellen gewinnen
Da Spenderorgane rar sind, besteht immerzu ein
Engpass an Leberzellen (Hepatozyten), die für Therapien oder aber für Medikamententests verwendet
werden können. Zusätzliches Problem: In der Kultur
lassen sich gesunde Leberzellen nur sehr schwer
vermehren und züchten. Regenerationsforscher
suchen deshalb nach neuen Wegen, mit denen sich
Hepatozyten gewinnen lassen. Hoffnungsträger als
Quelle sind auch hier Stammzellen. Forscher in Berlin und Köln experimentieren hierzu mit humanen
embryonalen Stammzellen. Diese lassen sich zwar
sehr gut vermehren, aber die Forscher arbeiten
noch an einem geeigneten Rezept, um diese in voll
funktionstüchtige Leberzellen zu verwandeln. Auch
Pharma-Unternehmen verfolgen diesen Weg. Sie
haben dabei vor allem den Einsatz solcher Zellen in
Toxizitätstests im Sinn.
Eine Alternative bieten Gewebestammzellen
aus der Leber selbst. Problematisch ist hierbei, dass
diese adulten Stammzellen wiederum sehr schwierig im Labor zu vermehren sind. Gleichwohl wären
sie eine geeignete Quelle für Zelltherapien, da
sie sogar vom Patienten selbst gewonnen werden
können, und so gefährliche Abstoßungsreaktionen
verhindert werden können. Forscher des Translationszentrums für Regenerative Medizin (TRM) in
Leipzig und Halle greifen auf menschliche mesenchymale Stammzellen aus dem Blut zurück, um
sie zu Leberzellen umzuwandeln. Im Tiermodell
lEBER: REGEnERatIonSKRaFt auSnutZEn
erlangen sie mittlerweile typische Funktionen
von Hepatozyten. Nun sollen diese Leberzellen zur
Therapie genetischer Lebererkrankungen in einer
ersten klinischen Studie getestet werden.
Die Leber und ihr häufigster Zelltyp, die Hepatozyte, zeichnen sich durch ihre besonders große
Funktionsvielfalt aus. Keine andere Körperzelle
produziert derart viele Eiweiße, kaum eine Zelle
meistert so viele unterschiedliche Stoffwechselprozesse auf einmal. Das auf Initiative des BMBF im Jahr
2004 gegründete Kompetenznetzwerk HepatoSys
und dessen Weiterführung, das „Netzwerk Virtuelle
31
Leber“, haben sich zum Ziel gesetzt, die komplexen und dynamischen Vorgänge in der Leberzelle
und des gesamten Organs mit einem systembiologischen Ansatz zu studieren. Es geht zunächst
darum, alle wichtigen physiologischen Vorgänge
zu erfassen und zu messen. Mit den Daten werden
mathematische Modelle entwickelt, mit deren Hilfe
man zum Beispiel die Wirkung von Medikamenten
im Computer simulieren kann. Wissenschaftler im
Netzwerk Virtuelle Leber, dem seit 2010 bundesweit
70 Forschungsgruppen angehören, haben auch die
Regenerationsfähigkeit der Leberzellen im Visier.
Offenbar wird sie durch das Zusammenspiel ver-
leber-Bioreaktoren: Künstliche Überbrückungshilfe für den notfall
Schon seit 1987 werden an der Berliner Charité
Leberzell-Bioreaktoren für die Anwendung in der
Klinik entwickelt. Die von Medizinern um Katrin
Zeilinger geplanten biokünstlichen Lebern
sollen dereinst – von außen angeschlossen an den
Körperkreislauf – als Unterstützungshilfe dienen,
wenn eine Leber ihren Dienst versagt. Die Bioreaktoren basieren dabei auf feinen Röhrchen,
sogenannten Hohlfaserkapillaren, die eng miteinander verwoben sind und mit einem Gemisch
aus lebenden Leberzellen besiedelt werden.
Als Zellquelle dienen nicht-transplantierbare
Spenderorgane. Für einen im Notfall außerhalb
des Körpers einsetzbaren Bioreaktor benötigen
die Forscher etwa 600 Gramm Leberzellen, also
etwa ein Drittel der Masse einer Erwachsenenleber. Die Bioreaktorsysteme sind unterschiedlich
groß und können sowohl am Patienten als auch
im kleinen Maßstab für Wirkstofftests im Labor
eingesetzt werden. Die natürliche Umgebung der
Leberzellen soll im Bioreaktor so gut wie möglich
nachgeahmt werden. So gewährleisten die Kapillarbündel der porösen Hohlfasermembranen
eine kontrollierte Nährstoffversorgung, eine
Entsorgung von Abbauprodukten sowie den
Gasaustausch. Gefährliche Abwehrreaktionen
sind offenbar problemlos, da nur das Blutplasma
mit den auf der Membran siedelnden Zellen in
Berührung kommt. Bisher wurden die Berliner
Leberzellbioreaktoren in Pilotstudien erfolgreich
getestet. In einem nächsten Schritt sollen Studien
mit einer größeren Patientenanzahl folgen. Größ-
Der Berliner Bioreaktor besteht aus fein verwebten Hohlfasern,
die mit Leberzellen besiedelt werden.
tes Manko bleibt die ausreichende Verfügbarkeit
von Leberzellen. Da Spenderorgane nur begrenzt
genutzt werden können, experimentieren die
Charité-Forscher derzeit auch mit adulten Leberstammzellen sowie embryonalen Stammzellen,
die in der Zellkultur zu ausgereiften Leberzellen
umgewandelt werden sollen. Im Rahmen des
EU-Projektes „d-LIVER“ werden die Bioreaktoren
ab Herbst 2011 für ihren Einsatz als klinisches
Leberunterstützungssystem erprobt.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Innovation in der Medikamentenentwicklung“:
„HepaTox: Nutzung von Leberzellbioreaktoren für
Arzneimittelstudien“ (2008 bis 2011)
Koordination: Charité-Universitätsmedizin
32
lEBER: REGEnERatIonSKRaFt auSnutZEn
schiedener Signalstoffe ermöglicht, die die Leberzellen zur Vermehrung anregen und diesen Prozess
auch wieder stoppen, wenn sich die Lebermasse
zu ihrer ursprünglichen Größe zurückgebildet hat.
Ein Überschuss an Wachstumsfaktoren kann zu
entzündlichen Prozessen und Narbenbildung bis
hin zu Erkrankungen wie Fibrose oder Leberkrebs
führen. Ein mathematisches Modell der wichtigen
Signalwege wollen Forscher zum Beispiel nutzen,
um zu verstehen, wie die Kommunikation bei der
Entstehung von Leberkrebs entgleist.
Statt bei einem Leberversagen ganze Organe
zu verpflanzen, testen Forscher und Unternehmen
derzeit aber auch einen Therapieansatz, bei dem
lebende Spenderleber-Zellen gleichsam als Medikament eingesetzt werden sollen. Das BiotechnologieUnternehmen Cytonet in Weinheim stützt sich
bei seinem Ansatz zum Beispiel auf Zellen, die aus
fremden Spenderlebern gewonnen werden, die sich
nicht für Transplantationen eignen. Die lebenden
Zellen werden im Labor aufbereitet und können
auch in Stickstoff tiefgefroren und aufbewahrt
werden. Bei Patienten mit einer lebensbedrohlichen Leberschädigung werden die Zellen über
die Pfortader in das Organ gespült und siedeln sich
hier an. Die Hoffnung der Biomediziner ist, dass die
Ersatzzellen dort direkt ihre Arbeit aufnehmen und
die geschwächte Leber in ihrer Funktion solange
unterstützen, bis sie sich regeneriert hat und die
Entgiftungsaufgaben wieder selbst übernehmen
Ein von Fraunhofer-Forschern entworfener Leberbioreaktor wird
vom PC gesteuert und erlaubt die Kultivierung von Gewebe, das mit
funktionstüchtigen Blutgefäßen durchsetzt ist.
kann. Offenbar zeigt die Leber nur geringe Abwehrreaktionen gegenüber körperfremden Zellen.
Zunächst muss die unterstützende Leberzellkur
aber in klinischen Studien auf Sicherheit und
Wirksamkeit getestet werden. Derzeit überprüft
das Unternehmen im Rahmen des BMBF-Spitzenclusters BioRN den Effekt der Leberzell-Behandlung bei
Neugeborenen mit einem angeborenen Harnstoffzyklusdefekt.
Die leber im labor nachbauen
Leberzellen (Hepatozyten) sind sehr komplex aufgebaut, denn sie
übernehmen wie Biofabriken eine Vielzahl an Stoffwechselreaktionen.
Die Leber ist ein Organ mit komplexen Funktionen,
ihre dreidimensionale Struktur folgt jedoch einem
relativ klaren Grundschema. Millionen Leberzellen ordnen sich um winzige, verästelte Blutgefäße
herum zu sogenannten Leberläppchen an. Forscher
wollen sich diesen Aufbau zunutze machen, um mit
dem Verfahren des Tissue Engineering eine künstliche aber voll funktionstüchtige Leber im Labor
nachzubauen. Dazu konstruieren Zellingenieure
verschiedener Forschungsinstitutionen in Deutschland sogenannte Bioreaktoren. Alle Modelle dieser
Leberersatzgeräte funktionieren im Prinzip gleich:
Eine Pumpe presst Blut durch hauchdünne Röhrchen, die mit Leberzellen umkleidet sind. Eine
Hoffnung ist, mit solchen Kunstlebern bei Patienten
mit akutem Leberversagen die Funktion des entgleisten Organs außerhalb des Körpers für mehrere
lEBER: REGEnERatIonSKRaFt auSnutZEn
Tage zu überbrücken, bis eine Lebertransplantation möglich ist. Ein weiteres Anwendungsziel: Die
Organsysteme sollen im Labor als Modelle für die
Grundlagenforschung und für Wirkstofftests zur
Verfügung stehen.
Im Körper können sich Leberzellen häufig teilen
und regenerieren -– doch im Labor sind sie nur
schwierig zu züchten. Sie teilen sich in der Zellkulturschale kaum noch und verlieren bereits nach
wenigen Tagen die meisten ihrer Funktionen. Die
Gewebeforschung der letzten Jahre hat gezeigt:
Man muss die Leberzellen mit anderen Körperzellen
zusammenbringen, um mit solchen dreidimensionalen Co-Kulturen die natürliche Umgebung so
gut wie möglich nachzuahmen. Das gelingt bei
Leberzellen, wenn man sie gemeinsam mit Blutgefäßwandzellen (Endothelzellen) hält. Dieses Wissen
ermöglichte auch einen entscheidenden Schritt in
Richtung eines ganzen biokünstlichen Organs.
Denn die ausreichende Nährstoffversorgung von
Zellgewebe ist die große Hürde bei der künstlichen
Schaffung komplexer Organe in der Zellkultur.
Ein feines Netzwerk von Blutgefäßen verbindet im
Körper die Zellen mit dem Blutkreislauf und sorgt
für den Gas- und Nährstoffaustausch im Gewebe. Da
sich diese feingliedrige Versorgung künstlich nur
schwer nachahmen lässt, führt das meist schnell
dazu, das die künstlichen Organe im Reagenzglas
absterben.
Johanna Schanz und Heike Walles vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB ) in Stuttgart sind bei der Entwicklung
eines organähnlichen Lebermodells mit funktionsfähigen Blutgefäßen bereits einige wichtige
Schritte vorangekommen. Das Besondere: Die
Bioingenieure entfernen zunächst von einem Stück
Schweinedünndarm sämtliche tierischen Zellen.
Die übriggebliebene Gerüststruktur behält aber
noch das „Skelett“ der Blutgefäße bei. Diese Form
wird sowohl mit Leberzellen als auch mit Gefäßwandzellen besiedelt. Die Endothelzellen dienen
als Barriere zwischen Blut und Gewebe. Das entstandene Blutgefäßsystem gewährleistet dabei die optimale Versorgung der Zellen mit Nährstoffen und
Sauerstoff sowie den Abtransport von Toxinen und
Abbauprodukten. Das Lebermodell der Stuttgarter
Forscher muss in einem speziellen Bioreaktor kultiviert werden. Über Schläuche wird wie bei einem
Blutkreislauf Nährlösung durch die Bioreaktor
gepumpt. Ein Computer steuert den Druck und die
33
Fließgeschwindigkeit des Nährmediums, um den
Blutfluss möglichst naturgetreu zu simulieren. Das
dynamische System erlaubt es nun, Lebergewebe
über mehrere Wochen zu kultivieren. Und tatsächlich: Die Zellen arbeiten im Lebermodell ähnlich
wie im Körper. Sie entgiften, bauen Medikamente
ab und Eiweiße auf. Damit haben die Gewebespezialisten in Stuttgart ein Testsystem geschaffen,
mit dem Arzneien überprüft und die Anzahl von
Tierversuchen verringert werden könnte.
Mikrochip als Medikamententestsystem
Ein weiteres Testsystem mit dreidimensionalen Leberzellkulturen, allerdings im Mikrometer-Maßstab,
haben Forscher um Martin Stelzle vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI)
an der Universität Tübingen im Rahmen des vom
BMBF geförderten Verbundprojekts „HepaChip“
entwickelt. Das System basiert auf einem Mikrofluidik-Chip, in dem Leberzellen und die Endothelzellen gemeinsam kultiviert werden. Mithilfe von
elektrischen Feldern haben die Forscher die beiden
Zelltypen in einer gefäßartigen Struktur angeordnet. Die 3D-Anordnung kommt der natürlichen
Situation in der Leber recht nahe. Die Lebermikrochips können über mehrere Tage mit Nährmedium
gespült und mit pharmakologischen Substanzen
getestet werden. Derzeit untersuchen die Forscher
die Zuverlässigkeit ihres Tests. Da sich das System
automatisieren lässt, ist der HepaChip aus Sicht der
Wissenschaftler gerade für die Pharmaindustrie
interessant, etwa wenn es um große Testreihen oder
Langzeitexperimente geht.
Forscher aus Reutlingen haben einen Leberchip im Mikromaßstab
entwickelt, mit dem sich Arzneien testen lassen.
34
KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn
Knochen und Knorpel: Zum Wachstum anregen
Knochen kann sich bei kleineren Verletzungen selbst regenerieren, Knorpel lässt
sich gut im labor vermehren. Das nachzüchten dieser Gewebe spielt deshalb eine
wichtige Rolle für die Regenerative Medizin
und hat bereits Einzug in die klinische Praxis
gehalten. Doch noch sind die anwendungen
auf lokale Schäden begrenzt. Im trend:
Stammzellen als Heilungshelfer und Bio-Implantate, die vorübergehend die Knochenbildung vor ort ankurbeln.
Fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet
an einer Arthrose, also einer fortschreitenden Verschleißerkrankung an mindestens einem Gelenk.
Bisher wird eine Arthrose mithilfe von Schmerzmitteln gelindert, bei Handlungsbedarf werden
Prothesen eingesetzt. Eine regenerative Therapie
zielt hingegen darauf ab, die abgenutzten Knorpelstellen auf biotechnologischem Wege wieder
aufzubauen. Ähnliches gilt für Knochendefekte,
wie sie durch Verletzungen, Tumorerkrankungen
oder Knochenschwund (Osteoporose) entstehen.
Auch für den Oberkiefer, zum Beispiel zum Eingliedern von Zahnimplantaten, wollen Chirurgen den
Knochen möglichst vollständig und stabil wiederherstellen.
Forscher aus Berlin arbeiten daran, die Knochenheilung zu verstehen
und gezielt mithilfe von Stammzellen anzuregen. Hier ist Knochengewebe zu sehen, das sich im Stadium der Verknöcherung befindet.
Knochen haftet das Image der Dauerhaftigkeit an.
Doch auch das menschliche Skelett wird ständig
umgebaut und runderneuert. Nur 6 bis 12 Monate
dauert der Austausch der Knochenzellen im Körper.
Am ständigen Umbau der Knochen sind verschiedene Zelltypen beteiligt: Osteoklasten bauen alte
Knochensubstanz ab. Ihre Gegenspieler, die Osteoblasten, bauen neue mineralische Substanz aus
Kalzium und Phosphat auf. Nach einer Verletzung
treten die sogenannten mesenchymalen Stammzellen im Knochenmark in Aktion. Dank dieser vielseitigen Bindegewebsreparaturzellen können Knochen
selbst Brüche erstaunlich gut meistern. Es bildet sich
an einer Bruchstelle eine Knochennarbe, die Vorläuferzellen aus dem Knochenmark beginnen sich
zu teilen und entwickeln sich zu knochenbildenden
Osteoblasten. Die Osteoblasten produzieren Bindegewebsfasern und sorgen für die Einlagerung von
Mineralsalzen. Wachsen jetzt noch Blutgefäße in die
Knochenhaut ein, so ist der Knochen wieder verheilt.
Knorpel hingegen besitzt im Körper nur geringe
Regenerationsfähigkeiten. Gerade in den Gelenken
nutzt sich der Knorpel daher ab, er wird spröde und
anfällig für Verletzungen, wie etwa der Meniskus
oder die Bandscheiben. Da Knorpel aber nur aus
einem einzigem Zelltyp besteht, den Chondrozyten,
eignet sich Knorpel für die Gewebenachzüchtung
im Labor. Gerade bei Knochen und Knorpel ist die
Kunst der Gewebeherstellung, das Tissue Engineering,
schon vergleichsweise weit entwickelt. Einige Anwendungen werden entweder in klinischen Studien
getestet oder bereits in der Praxis genutzt. Gerade hier
zeigt sich die neue Ausrichtung der Medizin weg von
der Reparatur mit Prothesen hin zur Regeneration mit
Zellgewebekonstrukten.
Schon lange wird aber auch an Materialien
geforscht, die sich als künstlicher Knochenersatz möglichst verträglich in die defekte Stelle einfügen und die
den vielfältigen mechanischen Belastungen standhalten. Der Trend geht hin zum sogenannten
biomimetischen Konzept: Also künstliches Gewebe
oder Materialen so herzustellen, dass sie die natürlichen Strukturen so gut wie möglich nachahmen.
Solche Biokonstrukte sollen sich nicht nur besser und
schonender in das umgebende Gewebe eingliedern.
Im Idealfall sollen diese Implantate vorübergehend
durch Freisetzen von Wachstumsfaktoren die körpereigenen Regenerationskräfte zusätzlich ankurbeln.
Dazu nutzen die Forscher verschiedene Mixturen aus
Biomaterialien, Signalmolekülen und Zellen.
KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn
Knorpel galt lange Zeit als nicht heilbares Gewebe,
der künstliche Gelenkersatz mit Prothesen blieb die
einzige Wahl für die Ärzte. Erst seit Mitte der 1990er
Jahre wurde eine Technik entwickelt, um lokale
Knorpeldefekte, wie sie nach Verletzungen entstehen, mithilfe von biokünstlichen Transplantaten zu
kurieren, die aus Knorpelzellen der Patienten herangezüchtet werden. Pro Jahr werden in Deutsch-
35
land mittlerweile etwa 2.000 Betroffene mit einer
solchen Autologen Chrondrozyten-Transplantation
(ACT) behandelt. Einem Patienten werden dazu aus
dem Knie winzige Knorpelproben entnommen, aus
denen die Chondrozyten isoliert werden. Während
die Zellen im Körper recht träge sind, lassen sie sich
in der Kulturschale sehr einfach vermehren. Auf
einer Stützunterlage können sie innerhalb weni-
wie gut ist der Gewebeersatz: Knorpelhersteller prüfen die Qualität ihrer Produkte
Bis der im Labor gezüchtete Gewebeersatz in der
Praxis breiten Einzug halten wird, gilt es noch
einige Hürden zu nehmen: Es braucht überzeugende Nachweise für Wirksamkeit und Nutzen
solcher Behandlungen, zudem sollen sie auch
aus gesundheitsökonomischer Sicht effizient
sein. Doch solche Nachweise sind für die neuartigen, individuellen Therapien meist schwer zu
führen, da oft noch keine anerkannten Qualitätsanzeiger etabliert sind. Die neuen Richtlinien der Europäischen Arzneimittelagentur
EMA fordern für eine Zulassung von Arzneiprodukten aus menschlichen Zellen umfangreiche
Verträglichkeitstests und eine Prüfung der
mechanischen Eigenschaften eines Kunstgewebes – und zwar vor, während und nach der
Transplantation. Gerade bei Knorpelzellimplantaten ist die biomechanische Belastbarkeit
einer der Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche
Behandlung. Außerdem gibt es großen Bedarf
an Biomarkern, also molekularen oder biochemischen Anhaltspunkten, die Ärzten Aussagen
über die Reinheit und die Wirkung der Knorpelprodukte erlauben.
Hier setzt ein strategischer Dachverbund
mit dem Kürzel„NET-B“ an. NET-B umfasst vier
Knorpelersatzforschungsprojekte von sieben
Forschungseinrichtungen und sieben Unternehmen. Der Verbund wird bis 2012 vom BMBF mit
10 Millionen Euro unterstützt. Ein vom Hersteller
Endolab koordiniertes Teilprojekt hat zum Ziel,
die Belastbarkeit und die biomechanischen Eigenschaften von Knorpelzelltransplantaten im
Labor und im Tiermodell zu testen. Weitere Teilprojekte der Knorpelhersteller Biotissue Technologies und Tetec AG umfassen klinische Studien,
Diese künstliche Knorpelgewebe kann wieder in ein krankes Knie
eingesetzt werden. Wie sicher und wie belastbar der Knorpelersatz ist, wird in verschiedenen Projekten geprüft.
in denen der Einsatz von Knorpelersatzgewebe
am Patienten getestet wird. Ein viertes Teilprojekt hat die Überführung von Knorpelzellprodukten in die medizinische Praxis im Visier. So
soll ein Prüflabor eingerichtet werden, in dem
sich alle nötigen Tests durchführen lassen, die
für die Zulassung regenerativer Medizinprodukte notwendig sind. Die Forscher erhoffen
sich Erkenntnisse darüber, wie man die Lebensdauer und die Einsatzbereiche von BiotechKnorpel vergrößern kann.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Regenerationstechnologien“:
„Strategischer Dachverbund NET-B-Qualitätsmanagement für die regenerative Knorpeltherapie“
(2009 bis 2012)
Partner: u. a. NMI Technologietranfer GmbH,
Tetec AG, Biotissue Technologies GmbH, Endolab
GmbH
36
KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn
ger Wochen zu neuem Gewebe herangezüchtet
werden. Mit solchem Knorpelgewebe können aber
bislang nur kleine lokale Defekte passgenau ausgebessert werden. Noch nicht geeignet ist das Verfahren für die hunderttausende Patienten, die unter
Gelenkverschleiß, zum Beispiel am Knie, leiden.
Doch daran wird in mehreren BMBF-Verbundprojekten geforscht (siehe Kasten S. 35): Die Reutlinger Biotech-Firma Tetec AG und das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der
Universität Tübingen (NMI) konnten zeigen, dass
sich selbst aus einem maroden Gelenk mit einer
Arthrose noch vermehrungsfähige Chondrozyten
gewinnen und züchten lassen. Alternativ lassen
sich die benötigten Knorpelzellen auch aus mesenchymalen Stammzellen aus dem Knochenmark
gewinnen, indem man sie in der Petrischale zu
knorpelartigen Zellen umwandelt. Noch tüfteln Zellingenieure weltweit an der geeigneten Rezeptur,
mit der sich die Stammzellen zuverlässig zu purem
Gelenkknorpel heranreifen lassen. Von sich aus
entwickeln sich die Stammzellen in der Kulturschale nämlich eher zu Wundheilknorpel, der etwas
andere Eigenschaften besitzt.
Knorpelproduktion im Körper stimulieren
Einen völlig neuen Ansatz für die Herstellung von
neuem Knorpel erforschen Gewebe-Ingenieure um
Prasad Shastri an der Albert-Ludwigs-Universität in
Freiburg. Die Forscher wollen den Körper selbst gezielt dazu anregen, Gelenkknorpel in ausreichender
Menge herzustellen. Dazu spritzen sie ein gelartiges
Biomaterial unter die Knochenhaut des Schienbeins. Das Gel löst an dieser Stelle offenbar einen
Sauerstoffmangel aus, der die Zellen dazu drängt,
sich in Knorpelgewebe zu verwandeln. Die Forscher
nennen dieses Vorgehen in vivo-Tissue engineering. Der Körper wird hier selbst zum lebendigen
Bioreaktor. Den neu entstandenen Knorpel haben
die Forscher herausoperiert und bei Kaninchen in
defekte Gelenke hineinverpflanzt. Hier fügte sich
das Ersatzgewebe gut ein und verkalkte auch nach
neun Monaten nicht. Das neue in vivo-Verfahren
soll bald auch in ersten klinischen Patientenstudien
erprobt werden. Sollte sich die Methode als sicher
und zuverlässig erweisen, wäre dies vielleicht eine
interessante Option für die Behandlung von größeren Gelenkknorpelschäden. Darüber hinaus wird
an der Behandlung von Bandscheibenvorfällen
geforscht. Bandscheiben sind die Stoßdämpfer der
So sehen Knorpelzellen in der Zellkulturschale aus. Sie können im
Labor recht gut herangezüchtet werden.
Wirbelsäule. Sie sind wie scheibenförmige Kissen
von einem knorpeligen Außenring umfasst und mit
einer gelartigen Knorpelmasse gefüllt. Bei einem
Bandscheibenvorfall quillt das Gel aus den spröde
gewordenen Bandscheiben heraus und quetscht
dabei Nerven ein, was zu Lähmungserscheinungen
führt. Die gängige Behandlungsmethode ist eine
Operation, bei der das ausgetretene Bandscheibenzellen-Gel entfernt wird. Da die Bandscheibe sich
nicht selbst regenerieren kann, wird die verbliebene Knorpelmasse dabei also dünner und sie ist
weiterem Verschleiß ausgesetzt.
Mehrere Biotech-Unternehmen und klinische
Forschergruppen haben mittlerweile Verfahren
entwickelt, um die Bandscheiben nach einer Operation wieder biologisch aufzubauen. Die Zucht
von Bandscheibenknorpelmasse ähnelt der Technik
beim Gelenkknorpel: Den Patienten werden nach
einem Bandscheibenvorfall zunächst kleine Mengen Bandscheibengewebe entnommen, die Zellen
in Kultur aufbereitet und vermehrt. Die Teltower
Biotech-Firma Co.don AG hat sich auf die Nachzucht
von patienteneigenen Bandscheibenzellen spezialisiert. Einige Monate nach der Entnahme werden die
gezüchteten Ersatzzellen in Form eines Gels wieder
in die kranke Bandscheibe gespritzt – wie bei einem
Nachfüllpack. Dadurch soll die weitere Abnutzung
der Bandscheibe verhindert werden. Die Behandlungsmethode ist bereits seit mehreren Jahren auf
dem Markt, ihr Nutzen wird derzeit in klinischen
Studien überprüft. Erste vorliegende Ergebnisse
sind vielversprechend: Im Vergleich zu anderen
Behandlungsmethoden führte die Zelltherapie zu
Verbesserungen.
KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn
Knochenheilung mit Stammzellen
Komplexe Knochenbrüche lassen sich nicht einfach durch Kleben oder mit Nägeln reparieren,
die notwendige Heilung muss der Knochen selbst
erledigen. Doch mit zunehmendem Alter lassen die
Regenerationskräfte im Knochen nach. Forscher an
mehreren deutschen Universitätskliniken suchen
deshalb nach Methoden, um die Knochenheilung
auch bei alten Menschen zu beschleunigen. Forscher
vom Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative
Therapien (BCRT) analysieren dazu im Detail, wie
die Knochenheilung in der Natur abläuft. Offenbar
gehen während des Alterns wichtige Wachstumsfaktoren verloren. Eine vielversprechende Therapie
ist der Einsatz von Stammzellen aus dem Knochen-
37
mark. Diese können die Mediziner während einer
Operation vom Patienten gewinnen und anreichern.
In die Knochenbruchstelle können die Stammzellen
dann schon während des Eingriffs oder aber nach
mehrwöchiger Züchtung im Labor gespritzt werden.
Die Stammzellen setzen offenbar am Knochenspalt
einen Cocktail von Wachstumsfaktoren und anderen Stoffen frei, der die Heilungsprozesse und das
Einwachsen von Blutgefäßen fördert. Ein Problem,
das die Biomediziner jedoch beschäftigt: Die adulten
mesenchymalen Stammzellen der Senioren sind mit
ihrem Besitzer mitgealtert und eignen sich nur noch
eingeschränkt für die Regeneration. In Dresden, Berlin und Würzburg wird deshalb daran geforscht, wie
die Stammzellen älterer Menschen im Labor wieder
für die Knochenheilung fit gemacht werden können.
Biokünstlicher Knochenersatz – mit Rohstoffen aus dem Meer
Wenn Material für einen biologischen Knochenersatz gebraucht wird, so wird dies bislang
beim Patienten selbst an einer Körperstelle
entnommen und dann verpflanzt. Eine weniger
belastende Alternative wäre biotechnologisch
gezüchteter Knochen. Damit Knochenzellen
erfolgreich im Labor zu einem Gewebe werden
können, müssen sie auf einem dreidimensionalen Gerüst aus Biomaterialien wachsen. Das
können Alginate, Kollagene, HydroxylapatitKristalle oder Keramiken wie Calciumphosphat
sein. Die körperverträglichen Materialen weisen
meist feine Poren auf, die wie ein Klettergerüst
Dieses Trägergerüst ist aus marinem Kollagen aufgebaut.
Es kann mit Knochen- oder Knorpelzellen besiedelt werden.
für die Zellen wirken. In einem Bioreaktor werden die Implantate mit Stammzellen besiedelt,
die zuvor aus dem Knochenmark des Patienten
gewonnen wurden. Zusätzlich werden die
Oberflächen der Gerüste mit Wachstumsfaktoren beschichtet. Das entstandene Implantat soll
im Körper wie eine Leitschiene auf die Umgebung wirken: Im umliegenden Gewebe wird
die Regeneration angeregt, und die Knochenmasse wächst nach und nach in das Implantat
ein, während die Leitstruktur nach einiger Zeit
abgebaut wird. In einem vom BMBF geförderten
Projekt testen Forscher aus Dresden, Freiberg
und Lübeck Kollagene aus Meereslebewesen
auf ihre Eignung als verträgliches und vielseitiges Gerüstmaterial. Für die Herstellung von
Knochen gewinnen die Forscher Kollagen vom
Typ-I aus Fischhäuten, für die Knorpelzucht mit
dem Kollagen Typ-II nutzen sie marine Quallen.
Durch die Kombination dieser Materialien wollen die Zellingenieure Verbundteile aus Knorpelknochen produzieren.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative
„Zellbasierte regenerative Medzin“:
„Regeneration mit zellspezifischen Matrices
(RECEM)“ (2009-2012)
Partner: TU Dresden, Universität Lübeck, Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen
38
nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn
Nerven und Gehirn: Regenerationspotenzial ausloten
Schlaganfälle oder neurodegenerative
leiden sind deswegen so folgenschwer, weil
das zerstörte Gehirngewebe kaum zur
Regeneration fähig ist. Spenderzellen aus
dem labor sollen helfen, die zerstörten
Regionen wieder zu ersetzen. Forscher
wollen Stammzellen im Gehirn besser verstehen und sie gezielt zur Vermehrung anregen.
Darüber hinaus sollen biokünstliche Materialien bei lähmungen dazu beitragen, dass
nervenfasern wieder wachsen. Reprogrammierte Patienten-Zellen sollen künftig für die
Erforschung und Behandlung eine Schlüsselrolle spielen.
Schwannsche Zellen sind wichtige Stützzellen im Nervensystem.
Deshalb sind sie für die Regenerative Medizin bedeutsam.
Der demographische Wandel bringt es mit sich:
Immer mehr Menschen werden immer älter, damit
steigt auch die Zahl neurodegenerativer Erkrankungen wie etwa Alzheimer oder Parkinson. Bei
diesen schleichenden, bislang unheilbaren Leiden kommt es zu massivem Nervenzellsterben
im Gehirn, was zu Bewegungsstörungen und
geistigen Beeinträchtigungen führt. Nach Ansicht
von Gesundheitsforschern werden bis 2040 die
neurodegenerativen Leiden nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und noch vor Krebs die zweithäufigste
Todesursache sein.
Einmal abgestorben, so dachten Wissenschaftler bis vor wenigen Jahren, sind Nervenzellen für
immer verloren. Auch Verletzungen des Rückenmarks galten lange Zeit als unheilbar. Doch aktuelle
Fortschritte in der Neuro- und Stammzellbiologie
machen Hoffnung: Sie zeigen nicht nur das mögliche Potenzial von Zellersatzbehandlungen. Es
gibt offenbar auch einige Regionen im Gehirn, in
denen Stammzellen sitzen, die dafür sorgen, dass
ein Leben lang neue Nervenzellen gebildet werden.
Dieser Fund hat den Blick auf das Gehirn verändert
und eröffnet Regenerationsmedizinern auch völlig
neue Therapieansätze.
Zellverluste bei Parkinson ersetzen
Morbus Parkinson gehört zu den häufigsten neurodegenerativen Leiden, etwa 300.000 Menschen sind
in Deutschland betroffen. Bei Parkinson-Patienten
stirbt insbesondere eine bestimmte Gruppe von
Nervenzellen im Mittelhirn ab, die den Botenstoff
Dopamin herstellt. Durch den Dopaminmangel treten das typische Muskelzittern und Lähmungen auf,
die zur vollständigen Bewegungslosigkeit führen
können. Medikamente oder aber Verfahren wie die
tiefe Hirnstimulation mittels eingepflanzter Elektroden werden heute allenfalls zur Linderung der
Symptome eingesetzt, sie können das Fortschreiten
der Erkrankung aber nicht stoppen.
Da nur ein Zelltyp, die Dopamin-produzierenden Nervenzellen, betroffen ist, gilt Parkinson
als Kandidat für eine Zellersatztherapie. Bereits
seit mehr als 20 Jahren testen Neuroforscher, ob ins
Gehirn transplantierte Ersatzzellen die Funktion
des Dopamin-Produzenten übernehmen können.
Für diese Eingriffe verwenden Mediziner vor allem
Stammzellen, die von abgetriebenen Föten gewonnen werden. In klinischen Studien zeigte ein Teil der
Patienten nach dieser Behandlung spürbare Verbesserungen. Allerdings belegt die bisherige Studienlage den Nutzen der Therapie noch nicht klar
genug. Eine große internationale klinische Transplantationsstudie im Rahmen einer EU-Förderung
unter Beteiligung von Freiburger Forschern testet
derzeit die Sicherheit und Effektivität einer technisch verfeinerten Form dieser Therapie. Langfristig
möchten die Mediziner aber weg von den fetalen
Stammzellen. Andere Quellen für dopaminerge
Nervenzellen könnten embryonale Stammzellen
sein. Hier testen deutsche Forscher, wie die Arbeits-
nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn
gruppe von Oliver Brüstle an der Universität Bonn,
mit welchen Rezepten sich die Stammzellen im
Reagenzglas zuverlässig und sicher zu dopaminergen Nervenzellen züchten lassen. Im Tierversuch
funktioniert die Zelltherapie bereits. Allerdings ist
die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen ethisch wie immunologisch ebenfalls problematisch. Deshalb erfahren die neuen Möglichkeiten
zur künstlichen Reprogrammierung von Körperzellen (vgl. S. 7ff.) derzeit große Aufmerksamkeit.
39
Da sich mit dieser Technik aus Körperzellen eines
Patienten neuronale Ersatzzellen züchten lassen,
könnte dieser Methode künftig eine Schlüsselrolle
zukommen. Letztlich befinden sich aber all diese
Ansätze noch in einer experimentellen Phase.
Während Parkinson eine schleichende Erkrankung ist, trifft ein Schlaganfall viele Betroffene aus
heiterem Himmel. Hier kommt es zu einer Durchblutungsstörung im Gehirn, in der Folge sterben
Durchtrennte nervenfasern mit leitschienen wieder zusammenführen
Werden bei einer schweren Verletzung Nervenstränge durchtrennt, so treten häufig
Lähmungen und andere Behinderungen auf.
Nervenfasern können im Körper zwar wieder
auswachsen, doch oft fehlt ihnen über längere
Strecken die Orientierung und sie sprießen
verloren umher. Chirurgen entnehmen deshalb
meist einen einigermaßen entbehrlichen Nerv
aus dem Bein des Patienten, um die durchtrennten Nervenstränge mit diesem Ersatzteil
zu überbrücken, so dass sie wieder zusammenfinden. Doch diese körpereigenen Transplantate sind nur sehr begrenzt verfügbar, noch
dazu kann es bei solchen Eingriffen zu Nebenwirkungen kommen. Mediziner um Ahmet
Bozkurt vom Universitätsklinikum der Rheinisch-Technischen Hochschule (RWTH) Aachen
entwickeln zusammen mit der BiotechnologieFirma Matricel in Herzogenrath sogenannte
In ein Kollagen-Gel werden Kanäle hineingefräst. Durch diese
Leitstrukturen können sich Nervenfasern hindurchtasten.
biokünstliche Nervenleitschienen. Nach einem
patentierten Verfahren werden in ein KollagenGel mittels wachsender Eiskristalle feinste
Hohlräume gefräst. Die entstandenen inneren
Leitröhrchen werden anschließend mit patienteneigenen Schwann-Zellen – den natürlichen
Hüll-und Stützzellen im Nerven – besiedelt.
Diese Zellen lagern sich an und locken durch
abgesonderte Wachstumsfaktoren die wachsenden Nervenfasern an. Danach umschließen sie
die einsprießenden Axone wie ein Strumpf und
formen die sogenannte Myelinschicht. Die bisherigen Studien haben gezeigt, dass die SchwannZellen als Lotsen offenbar der Schlüssel für eine
erfolgreiche künstliche Nervenleitscheine sind.
Die Forscher haben ihre „Biohybride“ im Tierversuch getestet. Dazu werden die Brücken-Konstrukte in Ratten mit durchtrennten Beinnerven
implantiert. Nach mehreren Wochen zeigte
sich, dass ein effektives Aussprossen der Nervenfasern in die Leitstruktur erfolgt und dass
die regenerierenden Nervenfasern den Muskel
auch tatsächlich erreichen und zum Zusammenziehen anregen können. Nun soll die Strategie
klinisch bei Patienten erprobt werden.
Projekt in den BMBF-Förderinitiativen
„BioChancePlus“ und „KMU-innovativ“:
„Rekonstruktion peripherer Nervendefekte durch
schwannzellbesiedelte Kollagenmatrices mit definierter Röhrenstruktur“ (2008 bis 2010), „Klinische
Interventionsstrategie zur überbrückenden Behandlung akuter und chronischer peripherer Nervendefekte bei Patienten“ (2011-2014)
Partner: Matricel GmbH
40
unterversorgte oder durch Blutergüsse gequetschte
Hirnregionen ab. Gleich mehrere Nervenzelltypen
sind von diesem Untergang betroffen. Die Folge
sind Lähmungen und geistige Beeinträchtigungen.
Regenerative Therapien zielen beim Schlaganfall
weniger auf den Ersatz der untergegangenen
Zellen ab. Stattdessen sollen eingepflanzte Stammzellen die Selbstreparatur-Mechanismen im Gehirn
ankurbeln. Solche Ansätze befinden sich aber
noch in einer frühen experimentellen Testphase:
Neurochirurgen des International Neuroscience
Institute (INI) in Hannover erproben derzeit in einer
klinischen Pilotstudie eine Stammzelltherapie nach
dem „Teebeutelkonzept“ : Dabei wird Schlaganfallpatienten ein kleiner Behälter mit gentechnisch
veränderten Stammzellen aus dem Knochenmark
in das Gehirn eingesetzt. Wie eine kleine Arzneimittelfabrik sondern die Stammzellen wachstumsfördernde und entzündungshemmende Eiweiße
ab. Da die körperfremden Stammzellen mit einem
Alginat umkapselt sind, werden sie vom Immunsystem des Patienten nicht abgestoßen. Nach zwei
Wochen wird der Stammzellbeutel bei einer FolgeOperation wieder entfernt. Erste Ergebnisse aus
der Pilotstudie stimmen die Forscher optimistisch,
dass die im Tierversuch belegte Wirkung auch beim
Menschen so eintreten könnte.
Stammzellen reifen in der Kulturschale zu den verschiedenen Komponenten des Nervensystems aus, hier zum Beispiel zu Oligodendrozyten.
nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn
Das Nervensystem eines Erwachsenen bringt zwar
nur im geringen Umfang neue Zellen hervor,
allerdings können die Fortsätze der Nervenzellen
(die Axone) wachsen. Die manchmal meterlangen Ausläufer leiten wie Kupferkabel elektrische
Signale von den Zellen des Rückenmarks hin zu den
Muskeln. Wird eine Nervenfaser durchtrennt, so
schiebt die betroffene Nervenzelle einen beweglichen Wachstumskegel vor, der sich täglich einen
Millimeter weiter in die Umgebung vortastet und
das abgetrennte Pendant des Nervenstrangs wieder
zu fassen versucht. Meist gelingt dieser Anschluss
aber nicht mehr, weil die Lücke zu groß ist oder wucherndes Narbengewebe den Weg versperrt.
Künstliche Straßen für wachsende nerven
Chirurgen helfen bislang dem gerichteten Wachstum auf die Sprünge, indem sie einen Nervenstrang
an anderer Stelle des Körpers entnehmen und als
Lückenfüller einbauen. Künstliche Nervenleitschienen sollen diese Behandlung ersetzen (siehe Kasten
S. 39). Neben den Aachener Forschern testen auch
Wissenschaftler vom Naturwissenschaftlichen
und Medizinischen Institut (NMI) in Reutlingen
diesen Ansatz. Deren biokünstliche Implantate
sollen den Aufbau eines Nervenstrangs so gut wie
möglich nachahmen: Sie bestehen aus KollagenHohlröhren, die mit einem Geflecht aus feinsten
Polymerfilamenten gefüllt sind und sich nach einer
bestimmten Zeit abbauen. Diese Strukturen werden
zusätzlich mit patienteneigenen Schwann-Zellen
besiedelt, damit die Nervenfasern angelockt werden. Zugesetzte Wachstumsfaktoren sollen zudem
Blutgefäße sprießen lassen, um die Nährstoffversorgung des nachwachsenden Nervenstrangs zu
gewährleisten.
Wissenschaftler würden Nervenleitschienen
gerne auch bei Rückenmarksverletzungen einsetzen, doch die Situation ist hier ungleich schwieriger: Bei einer Querschnittslähmung, wie sie
weltweit 30 000 Patienten pro Jahr erleiden, kommt
es zur Quetschung von Nervensträngen im Rückenmark. Die Folge: An der verletzten Stelle bilden sich
Narben, die die aussprossenden Nervenfortsätze
nicht passieren können. Hinzu haben Forscher
entdeckt, dass im Rückenmark wie auch im Gehirn
bei Verletzungen körpereigene Eiweiße freigesetzt
werden, die die Regeneration hemmen und die
Axone in ihrem Wachstum bremsen. Könnte man
solche Hemmstoffe gezielt blockieren, so die Idee,
nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn
dann müssten Nervenschäden wieder heilen. Tübinger Forscher versuchen deshalb, ihren Nervenleitschienen einen Hemmstoffblocker zuzusetzen.
Züricher Forscher um Martin Schwab haben eine
Antikörpertherapie entwickelt, die die molekularen
Bremsklötze aushebeln kann. Einen anderen Ansatz
wählt das biopharmazeutische Unternehmen SCT
Spinal Cord Therapeutics GmbH aus Düsseldorf.
Es testet derzeit ein Medikament, das gezielt die
Narbenbildung nach einer Rückenmarksverletzung
unterbindet.
Stammzellen im Gehirn gezielt nutzen
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Neurowissenschaften in den letzten Jahren brachte ein Dogma
ins Wanken. Noch bis vor wenigen Jahren galt es als
unumstößlich: Einmal abgestorbene Nervenzellen
sind verloren und können beim Erwachsenen nicht
von selbst ersetzt werden. Doch dann entdeckten
Forscher zwei Regionen im Gehirn, in denen auch
beim Menschen zeitlebens neue Nervenzellen gebildet werden. Diese Areale sind der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus und der Riechkolben.
Hier sitzen neuronale Stammzellen, die sich teilen
und neue Nervenzellen hervorbringen und sich anschließend in das Netzwerk des Gehirns integrieren
können. Diese sogenannte adulte Neurogenese hilft
also dabei, das erwachsene Gehirn zu regenerieren.
Die Entwicklungsbiologin Magdalena Götz
vom Helmholtz-Zentrum in München ist seit vielen
Jahren den Geheimnissen der Neubildung von Nervenzellen im erwachsenen Gehirn auf der Spur. So
konnte die Forscherin zeigen, dass sich sogenannte
Gliazellen, denen lange Zeit bloß eine Stütz- und
Ernährungsfunktion im Gehirn zugeschrieben
wurde, in bestimmten Fällen teilen können und
dabei Nervenzellen hervorbringen. Gliazellen sind
also die neuronalen Stammzellen des Gehirns. Für
ihre Forschungen wurde Götz im Jahr 2007 mit dem
renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet. Gliazellen befinden sich zwar überall im Gehirn, doch
in den meisten Regionen haben sie die Fähigkeit
verloren, Neuronen zu bilden. Bei Mäusen hat das
Forscherteam um Götz jedoch beobachtet, dass die
Gliazellen nach Verletzungen im Gehirn wieder damit beginnen, sich zu teilen und zu Stammzellen zu
werden. Die Münchner Forscher suchen nun nach
speziellen Regulatormolekülen, mit denen sich die
Neurogenese möglichst in allen Teilen des Gehirns
stimulieren lässt.
41
Neurowissenschaftler haben beobachtet, dass
gerade bei neurodegenerativen Erkrankungen
die Neubildung von Nervenzellen gestört ist. Sie
erhoffen sich durch die Erforschung dieses Prozesses bei Erwachsenen deshalb nicht nur ein
besseres Verständnis über die Entstehung dieser
Krankheiten. Die Hoffnung ist es, den krankhaften
Prozessen entgegenzuwirken, indem man die Neubildung von Nervenzellen gezielt fördert. Eine von
einigen Forscher verfolgte Strategie käme sogar
ohne einen chirurgischen Eingriff aus: Hierbei soll
die Neurogenese im Gehirn mithilfe bestimmter
Wirkstoffe gezielt von außen angekurbelt werden.
Die Neurobiologen suchen so etwas wie einen
Dünger für die Hirnzellen. Solch ein Startsignal für
das Nachwachsen von Nervenzellen könnte auch
durch körperliche und geistige Aktivität ausgelöst
werden. Dieser Hypothese gehen Forscher um
Gerd Kempermann vom Forschungszentrum für
Regenerative Therapien in Dresden (CRTD) nach.
Um die Neurogenese im Hippocampus zu untersuchen, lassen sie Mäuse ein forderndes Training
absolvieren. Dann testen sie, wann und wie neurale
Stammzellen im Gehirn aktiv werden – und zwar im
Vergleich zu Mäusen ohne Bewegung.
Auch wenn ein möglicher Einsatz von neuralen
Stammzellen in der klinischen Praxis noch lange erprobt werden muss: für die Erforschung von neurodegenerativen Erkrankungen können diese Zellen
schon heute wertvolle Dienste leisten. Für Leiden
wie Parkinson, Alzheimer oder Multiple Sklerose
gibt es zwar Tiermodelle, sie spiegeln den Verlauf
der schleichenden Erkrankungen aber nur sehr
unzureichend wider. Durch die neuen Techniken
der Zellreprogrammierung haben sich jedoch ganz
neue Möglichkeiten aufgetan. Wandelt man die
künstlich erzeugten Stammzellen im Labor zu Nervenzellen um, so kann man diese Gewebe nutzen,
um potenzielle Wirkstoffe und Krankheitsmechanismen daran zu untersuchen.
42
nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH
Neue Tests: Gewebe als Ersatz zum Tierversuch
um Medikamente und chemikalien auf
nebenwirkungen zu testen, sind tierversuche bislang unverzichtbar. Doch sie liefern
mitunter keine hinreichend zuverlässigen
Ergebnisse. Künstlich gezüchtete menschliche Gewebe oder organe sollen belastende
tierexperimente reduzieren helfen und
gleichzeitig die arzneitests sicherer und
aussagekräftiger machen.
Um die Sicherheit von Chemikalien, Kosmetika,
Pflanzenschutzmitteln und Arzneimitteln für den
Verbraucher zu gewährleisten, müssen die Inhaltsstoffe auf unerwünschte Wirkungen getestet
werden, bevor es eine Zulassung für den Markt gibt.
Bislang werden solche Tests vor allem auf der Basis
von Tierversuchen durchgeführt. Nach Angaben
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) wurden
2010 in Deutschland rund 2,9 Millionen Wirbeltiere
für Tierversuche und andere wissenschaftliche
Zwecke eingesetzt. Die Tendenz ist in den letzten
Jahren wieder ansteigend, was unter anderem am
verstärkten Einsatz transgener Tiere in der biomedizinischen Grundlagenforschung liegt. Die Erforschung oder Entwicklung von Produkten, Geräten
oder Verfahren für Human-, Zahn- oder Veterinärmedizin sind ebenfalls mit für die steigenden Zahlen verantwortlich. Neue EU-Verordnungen, wie
etwa die Chemikalien-Richtlinie REACH, werden
den Bedarf nach Ansicht von Experten noch weiter
drastisch ansteigen lassen (vgl. Kasten S. 43).
Dennoch gibt es Regelungen, um derartige Tests
mit Tieren bestmöglich zu vermeiden. Wo immer
es zuverlässige und zugelassene Alternativen für
Tests gibt, müssen sie anstelle der Tierversuche
angewendet werden. Das wird auch in der neuen
Tierversuchsrichtlinie der EU betont, die im September 2010 verabschiedet wurde. Das BMBF unterstützt mit der Förderinitiative „Ersatzmethoden
zum Tierversuch“ seit vielen Jahren die Suche nach
derartigen Test-Alternativen. In den vergangenen
30 Jahren sind mehr als 120 Millionen Euro in 400
Forschungsprojekte geflossen.
Heute sind weltweit rund 40 Testmethoden im
Sinne des 3R-Konzepts (s. u.) als behördlich anerkannte Prüfmethoden auf dem Markt. Als Alternative eignen sich neben Computersimulationen vor
allem Zellkulturen aus dem Labor. Ziel ist es, die
Funktion von menschlichen Organen wie der Haut
oder der Leber möglichst naturgetreu in Form von
komplexen dreidimensionalen Zell- und Gewebekulturen nachzuahmen und damit die Tests zuverlässiger und aussagekräftiger zu machen.
Zellkulturtests mit Prüfsiegel
Wissenschaftlich überprüft werden Alternativen
zum Tierversuch bei der Zentralstelle zur Erfassung
und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET). Sie ist eine staatliche
Forschungseinrichtung, die am Bundesinstitut für
Risikobewertung (BfR) in Berlin angesiedelt ist und
legt bei der Prüfung das 3R-Konzept zugrunde.
Darunter sind alle wissenschaftlichen Methoden zu
verstehen, die mindestens eine der drei Anforderungen erfüllen:
• durch die anwendung der Methode werden tierversuche ersetzt (Replacement)
• die Zahl der Versuchstiere wird reduziert
(Reduction)
• das leiden und die Schmerzen der Versuchstiere werden vermindert (Refinement)
Mithilfe von künstlichen menschlichen Hautmodellen lassen sich
Substanzen auf unerwünschte Nebenwirkungen testen.
nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH
Schwerpunkt der ZEBET-Arbeit ist die Bewertung der alternativen Tests. Tierversuchsfreie
Prüfmethoden werden auf ihre Tauglichkeit als
akzeptables und zuverlässiges Verfahren hin überprüft. Ist ein neuer Test akzeptiert, muss noch die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) zustimmen. Erst wenn
die OECD als internationale Organisation eine
alternative Prüfmethode in Form einer Richtlinie
anerkennt, ist sichergestellt, dass „validierte“
43
Testverfahren auch in gesetzlich vorgeschriebenen
Studien eingesetzt und von zuständigen Behörden
weltweit anerkannt werden.
Neben ihrer Prüfungsarbeit forschen die
Wissenschaftler am ZEBET aber auch an eigenen
Alternativen. Eines der Projekte dreht sich darum,
dass Embryonen im Mutterleib besonders empfindlich auf Arzneistoffe und Industriechemikalien
reagieren. Seit dem Contergan-Skandal muss des-
Eu-Richtlinie REacH: tausende alt-chemikalien auf dem Prüfstand
Hinter dem Kürzel REACH verbirgt sich die
2007 in Kraft getretene EU-Chemikalienverordnung „Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals“. Sie sieht vor, dass rund
30.000 Chemikalien, die vor 1981 auf den Markt
gekommen sind, nachträglich auf ihre Giftigkeit
geprüft werden sollen. Bis 2019 wird dies voraussichtlich einen enormen Anstieg an Tierversuchen nach sich ziehen. Allerdings schreibt die
REACH-Verordnung auch ausdrücklich die Verwendung und die Suche nach alternativen Testmethoden vor. Neben den damit verbundenen
ethischen Bedenken sind die herkömmlichen
Tierversuche enorm teuer und zeitaufwendig.
Die durch REACH entstehenden Zusatzkosten
werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt.
Der Bedarf an verlässlichen Alternativmethoden
ist also groß. Einen weiteren Impuls zu alternativen Methoden aus dem Zelllabor liefert die 7.
Kosmetik-Richtlinie. Sie verbietet seit dem 11.
März 2009 den Gebrauch von Versuchstieren für
Haut-Irritationstests mit Kosmetikprodukten. An
Tieren getestete Kosmetikinhaltsstoffe werden
also nicht mehr in Europa zugelassen und können nicht mehr vertrieben werden. Stattdessen
soll an künstlichem Hautersatz getestet werden.
Zudem gilt auch ein Vermarktungsverbot für
alle Hygieneartikel aus dem nichteuropäischen
Ausland, für deren Prüfung Tests mit Tieren
durchgeführt wurden. Die Regelung erhöht den
Druck auf die Kosmetikhersteller, nach Alternativen zu suchen. Hautreizungen, die Hautdurchdringung und die Auswirkung von Licht auf die
Giftigkeit kosmetischer Inhaltsstoffe lassen sich
mithilfe von Zellkulturen schon jetzt zum Teil zu-
Die Chemikalienverordnung REACH erhöht den Druck auf
Unternehmen, nach Alternativen zum Tierversuch zu suchen.
verlässiger testen als durch Tierversuche. So können für Verträglichkeitsprüfungen an Haut und
Auge mittlerweile rekonstruierte Hautmodelle
anstatt Kaninchenaugen verwendet werden.
Trotz solcher Erfolge gibt es noch jede Menge
zu tun. Die EU-Kommission hat deshalb 2009
gemeinsam mit der europäischen Kosmetikindustrie ein neues Förderprogramm aufgelegt, für
das 50 Millionen Euro für Forschungsvorhaben
zur Verfügung stehen. Auch das BMBF fördert
die Entwicklung von Ersatzmethoden im Tierversuch – in einem weltweit einmaligen Umfang.
Innerhalb der vergangenen 30 Jahre sind mit
bislang rund 120 Millionen Euro insgesamt 400
Forschungsprojekte finanziert worden. Dies wird
auch in Zukunft weiter fortgesetzt.
Mehr Informationen:
www.ptj.de/alternativmethoden-tier
44
nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH
halb jedes Medikament vor der Zulassung darauf
geprüft werden, ob es Embryonen schädigen kann.
Zwar lassen sich die Versuche mit schwangeren
Tieren nicht vollständig ersetzen, am ZEBET werden
jedoch vielversprechende Alternativen entwickelt,
die Hinweise liefern sollen, ob bestimmte Wirkstoffe die Entwicklung des Nervensystems von
Embryonen im Mutterleib beeinträchtigen können.
Die sogenannte Entwicklungsneurotoxizität
gehört zu den schwerwiegendsten Nebenwirkungen, die eine Chemikalie oder ein Arzneimittel
auslösen kann. Die Prüfung erfolgt traditionell im
Tierversuch, zumeist an Ratten. Für den Test an nur
einer Substanz sind bisher bis zu 140 Muttertiere
und 1.000 Jungtiere nötig, zugleich sind die Versuche extrem zeit- und kostenintensiv. Aus Sicht der
ZEBET-Forscher bieten embryonale Stammzellen
von Mäusen, die im Labor beliebig vermehrt werden können, eine gute Alternative. Die Idee: In der
Zellkultur reifen die Stammzellen zu bestimmten
Nervenzellen aus und werden dabei mit den zu
prüfenden Stoffen behandelt. So zeigt sich, ob die
Substanzen die Entwicklung der Nervenzellen schädigen. Die Forscher lassen aus den Stammzellen der
Maus auch Herzmuskelzellen heranwachsen, die
in der Petrischale regelmäßig schlagen. Stören die
Substanzen die Ausbildung oder die Funktion dieser
Mini-Herzgewebe, dann wird Alarm ausgelöst. Die
ZEBET-Stammzelltests können damit für eine direkte Schädigung eines Embryogewebes Aussagen
liefern.
Ein Testsystem, das auf humanen embryonale
Stammzellen basiert, haben Forscher um Thomas
Eschenhagen entwickelt. Die Hamburger Forscher
differenzieren die humanen Zellen im Labor zu
herzmuskelähnlichem Gewebe, das sich besonders
flexibel in Wirkstofftests einsetzen lässt. Neben
derartigen Zellkulturtests gibt es auch Forschungs-
Krebsforschung in 3D: tumorkugeln für bessere wirkstofftests
Wirkstoffe für Krebstherapien werden herkömmlicherweise an Zellkulturen getestet, in
denen Krebszellen in einer Schicht am Boden
der Petrischale wachsen. Das spiegelt die
natürliche Situation aber nur unzureichend
wider, schließlich wuchern Tumore im Körper
dreidimensional. Herkömmliche Wirkstofftests
liefern deshalb wenig aussagekräftige Hinweise
über die tatsächliche Schlagkraft einer Substanz.
Unterstützt vom BMBF hat das 2006 von Barbara
Mayer und Ilona Funke gegründete Münchner
An kugeligen Mikrotumoren lassen sich zuverlässigere Aussagen
gewinnen, wie wirksam Medikamente Krebszellen bekämpfen.
Biotechnologie-Unternehmen Spherotec ein
Verfahren entwickelt, bei dem sich Krebszellen in
der Petrischale zu kleinen Kugeln organisieren,
die sogenannten Sphäroide. Solche Sphäroide
imitieren die Natur eines Tumors deutlich besser
als bisherige Zellkulturen. Mit diesem Verfahren
lässt sich rasch und unkompliziert an Hunderten
von Mikrotumoren gleichzeitig testen, ob eine
neue Substanz auch tatsächlich in das Tumorgewebe eindringt und dort seine Wirkung entfaltet.
Das Sphäroidmodell ist auf zahlreiche Tumorarten anwendbar. Das Unternehmen hat einen Test
entwickelt, mit dessen Hilfe man für einen Patienten vorab testen kann, welche Krebstherapie
individuell am effektivsten wirkt. Das Diagnostikverfahren wird bereits bei Patienten mit einer
fortgeschrittenen Krebserkrankung eingesetzt
und aktuell in klinischen Studien erprobt.
Projekt in der BMBF-Förderinitiative „MedSys“:
„Systembiologie-basiertes Verfahren für die Entwicklung von präklinischen Leitstrukturen unter
Benutzung eines in-vivo-nahen Sphäroid-Testsystems – Spher4Sys“ (2010-2013)
Partner: Spherotec GmbH
nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH
bemühungen, organähnliche Gewebekulturen
für Testzwecke voranzutreiben. Große Fortschritte
sind dabei bereits bei künstlichen Hautmodellen
erzielt worden. So sind mittlerweile eine ganze
Reihe menschlicher Hautmodelle auf dem Markt
erhältlich, von denen bisher von der OECD vier für
die Prüfung ätzender Eigenschaften und drei für die
Prüfung reizender Eigenschaften anerkannt worden sind. Alle diese Hautmodelle werden in Kunststoffplatten mit kleinen Kämmerchen geliefert,
jedes Kämmerchen enthält Kunststoffmembran
am Boden und darauf etwa einen Quadratzentimeter gezüchtete Vollhaut oder Oberhaut (Epidermis). Für Tests auf Hautreaktionen verabreichen
Wissenschaftler den zu testenden Stoff auf die
verhornte Oberhaut des Modells und behandeln
es anschließend das gesamte Gewebe mit einem
gelben Farbstoff, der sich in Gegenwart von lebenden Zellen blau färbt. So lässt sich unmittelbar
erkennen, in welchem Maße die Zellen des Gewebes
durch die Testsubstanz gestört wurde. Unabhängige Prüfungen haben gezeigt, dass der Test für den
Menschen genauere Vorhersagen liefert als etwa
die herkömmlichen Hautverträglichkeitstests an
geschorenen Kaninchen.
organe auf dem Mikrochip
Trotz dieser Erfolge sind Forscher in den Zelllabors
auch weiterhin damit beschäftigt, organähnliche
Gewebekulturen immer weiter zu verbessern und
die natürliche Situation bei Menschen immer besser
zu simulieren. Darüber hinaus werden für die künstliche „Haut von der Stange“ vollautomatische Produktionsanlagen entwickelt (siehe Kapitel Haut),
denn die Industrie wünscht sich für Arzneitests und
für die Suche nach neuen Wirkstoffen vor allem Or-
An Elektroden des Fraunhofer-FIT-Mikrofluidikchips sind Herzmuskelzellen angewachsen. Mit diesem System lassen sich Arzneien testen.
45
Embryonale Stammzellen entwickeln sich mit der passenden Rezeptur
zu Zellen des Nervensystems (Astrozyten). An ihnen lässt sich überprüfen, ob Stoffe schädlich für die Gehirnentwicklung sind.
ganmodelle, die in großer Stückzahl eingesetzt und
auch bei Bedarf lange Zeit gelagert werden können.
Dreidimensionale Gewebekulturen sind derzeit
aber nicht nur für die Haut, sondern für nahezu alle
menschlichen Organe in Arbeit. Insbesondere für
Stoffwechselorgane wie die Leber und Niere sind die
Forscher schon bedeutende Schritte vorangekommen. Eine zentrale Herausforderung ist dabei die
gemeinsame Kultur verschiedener Zelltypen und die
gleichmäßige Nährstoff- und Sauerstoffversorgung
der Gewebeverbände in den Bioreaktoren (siehe
Kapitel Leber).
Ein Trend geht hin zur Miniaturisierung von Zellkulturen. Biotechnologen um Roland Lauster und
Uwe Marx von der Technischen Universität Berlin
entwickeln zum Beispiel einen Multi-Organ-Bioreaktor im Chipformat. Hierzu züchten sie in winzigen Kammern verschiedenartige Zellverbände im
Mikromaßstab heran. Die winzigen Organe bestehen aus wenigen Zelltypen, die aber für sich bereits
eine funktionelle Einheit bilden. Den Forschern ist
es bereits gelungen, mehrere Organmodelle auf
einem solchen Mikrochip miteinander zu kombinieren. Versorgt werden die Kammern durch ein
Mikrofluidiksystem. Nach und nach sollen andere
Organsysteme den Chip ergänzen, das Fernziel der
Forscher ist es, möglichst den gesamten menschlichen Organismus als modulare Ansammlung
von Zellmodellen auf einen Mikrochip zu packen.
Die Multi-Organ-Chips wollen die Forscher zur
Marktreife bringen, um daran Wirkstoffe zu testen.
Diesen Kommerzialisierungsansatz fördert das
BMBF im Rahmen der Gründungsoffensive GO-Bio
mit knapp 3 Millionen Euro.
46
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
Translation: Der schwierige Weg in die Praxis
Der weg vom labor in die Klinik ist in der
Regenerativen Medizin eine besonders
große Herausforderung, denn die therapien
werden auf den einzelnen Patienten zugeschnitten. translationszentren helfen dabei,
die Entwicklung von Regenerationstechnologien von der Forschung zur Marktreife
voranzutreiben. neben mehreren Dutzend
spezialisierten unternehmen sind sie die
Motoren der Regenerativen Medizin in
Deutschland.
Die Regenerative Medizin ist noch eine sehr junge
Forschungsdisziplin, weshalb die meisten Akteure
darauf konzentriert sind, die wissenschaftliche
Basis für künftige Therapien zu legen. Seit Mitte
der 2000er Jahre hat dabei ein spürbarer Aufwind
eingesetzt: Nicht zuletzt durch einen Technologiesprung, etwa bei Stammzellen und Biomaterialien,
sowie verstärkten finanziellen Impulsen der öffentlichen Forschungsförderorganisationen. Während
viele Behandlungsansätze noch im Entwicklungsstadium stecken, kommen einige Anwendungen in
der Regenerativen Medizin bereits heute Patienten
zugute – beispielsweise als Gewebeersatz für Haut
oder Knieknorpel.
Dennoch ist die Translation, also die Umsetzung
von erfolgversprechenden Forschungsergebnissen
in gut anwendbare klinische Produkte und Verfahren, in der Regenerativen Medizin eine besonders
komplexe Angelegenheit. Nicht zuletzt aus diesem
Grund ist die Anzahl an Produkten der Regenerativen
Medizin noch vergleichsweise gering. Das Problem:
Behandlungsformen wie Zelltherapien oder Gewebekonstrukte sind in der Regel auf den einzelnen
Patienten ausgerichtet. Das macht jede Behandlung
einzigartig und erfordert den Einsatz von viel Zeit,
Personal und Hightech. Zudem gilt: Gleiche Zellen
von verschiedenen Personen verhalten sich nicht
immer gleich, Empfänger reagieren manchmal auf
das gleiche Produkt unterschiedlich. Das erschwert
die Beurteilung des Nutzens einer Behandlung.
Außerdem sind die Zulassungs- und Prüfverfahren
für die komplexen Produkte zeitaufwendig und
teuer: Schließlich enthalten Präparate oft einen Mix
aus lebenden Zellen, biologisch aktiven Wirkstoffen
und nicht-biologischen Materialien. Sie alle müssen
für sich auf ihre Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen hin überprüft werden.
Kleine unternehmen als Innovationsmotoren
Nicht zuletzt aufgrund dieser Herausforderungen
ist die Unternehmenslandschaft in Deutschland
bis heute recht überschaubar. Das war auch das Ergebnis einer Bestandsaufnahme, die die Unternehmensberatung Capgemini im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im
Jahr 2006 durchgeführt hat. Demnach gibt es mehr
als 60 Unternehmen in Deutschland, die auf die
Regenerative Medizin spezialisiert sind. Die meisten
sind jedoch klein und erzielen vergleichsweise geringe Umsätze. Das Gros der Unternehmen verteilt
sich auf die Branchen Medizintechnik (60 Prozent)
und Biotechnologie (40 Prozent). Noch sehr gering,
aber ansteigend ist der Anteil an Pharmaunternehmen, die im Gebiet der Regenerativen Medizin
tätig sind (3 Prozent). Traditionell gibt es in Deutschland bedeutende Expertisen im Bereich Tissue
Engineering und Zellkultur-Technologien. Bei den
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten dominieren Ansätze für Knochen- und Knorpelersatz, für
Hautersatz und für Herz- und Lebererkrankungen.
Auch wenn es bislang nur wenige spezialisierte
Firmen im Bereich der Regenerativen Medizin gibt,
wird der Markt hoch eingeschätzt. Die CapgeminiStudie spricht von rund einer Milliarde Euro pro
Jahr, die allein für das Gebiet Herz in Deutschland
erwirtschaftet werden könnten, bei Hautersatzprodukten und Zelltherapien bei Leber haben die
Autoren das unmittelbare Marktpotenzial auf 150
Millionen Euro geschätzt. Weltweit wurden allein
2008 mit gezüchteten Geweben knapp 1,5 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Die Studie zeigte aber
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
auch: Deutschland nimmt in der Forschung im
internationalen Vergleich eine Spitzenposition ein.
Zentren der Technologieentwicklung sind vor allem
öffentliche Forschungseinrichtungen wie Hochschulen und Universitätskliniken, aus denen die meisten
kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) als
Ausgründungen entstanden sind.
47
sogenannte Translationszentren für Regenerative Medizin geschaffen werden. Sowohl das BMBF als auch
die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) griffen
dies auf und begannen – mit Unterstützung durch
die jeweiligen Bundesländer – mit dem Aufbau solcher Zentren. Folgende Standorte werden mit mehr
als 70 Millionen Euro vom BMBF gefördert:
Fünf translationsstandorte bundesweit
Hemmnisse wurden in der damaligen Studie insbesondere bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen der Regenerationstechnolgien in Produkte
und Therapien gesehen. Weiterer Handlungsbedarf
wurde bei der Erstattungspraxis durch die Krankenkassen und den geltenden Zulassungsverfahren für
medizinische Produkte sowie den Anforderungen an
klinische Studien identifiziert. Die Studie empfahl, die
interdisziplinäre Zusammenarbeit voranzutreiben
und Akteure aus Kliniken, Biotechnologie-Unternehmen und Behörden besser zu vernetzen. Dazu sollten
• Berlin-Brandenburg centrum für Regenerative therapien (BcRt), seit 2006
• translationszentrum für Regenerative
therapien (tRM) in leipzig, seit 2006
• Referenz-und translationszentrum für
kardiale Stammzelltherapie (Rtc) in
Rostock, seit 2008
translationszentrum für Regenerative Medizin (tRM) leipzig
Seit Ende 2006 gibt es das Translationszentrum
für Regenerative Medizin (TRM) in Leipzig, das
gemeinsam durch das BMBF, das Land Sachsen
und die Universität Leipzig gefördert wird.
Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten hier zusammen, um neue diagnostische und therapeutische Konzepte für die Regenerative Medizin
zu entwickeln und zielgerichtet in die klinische
Praxis zu überführen. Forschungspartner des
TRM Leipzig sind neben den Universitäten
Leipzig und Halle-Wittenberg, dem Leipziger
Universitätsklinikum und dem Herzzentrum
Leipzig das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie
und Immunologie, das Fraunhofer-Institut für
Werkstoffmechanik sowie das Leibniz-Institut
für Oberflächenmodifizierung und eine Reihe
von Biotech-Unternehmen. Inhaltlich beschäftigt sich das Zentrum mit folgenden Bereichen:
Tissue Engineering und Materialwissenschaft,
Zelltherapien für Reparatur und Ersatz, Regulatormoleküle und Verabreichungssysteme,
Bildgebung und Modellierung von Regeneration. Damit werden schwerpunktmäßig alle
Bereiche von der (Stammzell)-Forschung, über
das Bioengineering bis hin zur klinischen Anwendung adressiert. Darüber hinaus werden die
Forscher von drei Serviceeinheiten beim Qualitätsmanagement, der Bildverabeitung und der
Mikrochirurgie unterstützt. Um den Translationsprozess zügig und effizient zu gestalten,
wurde ein Meilenstein-Konzept (Drei-Tore-System) entwickelt, das den Entwicklungsprozess
aller Forschergruppen des TRM strukturiert.
Dazu wurde ein professionelles TranslationsManagement geschaffen.
Mehr Informationen: www.trm.uni-leipzig.de
48
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
Die DFG fördert zwei Forschungszentren:
• center for Regenerative therapies Dresden
(cRtD), seit 2006
• Exzellenzcluster „From Regenerative Biology to Reconstructive therapy“ (REBIRtH)
an der Medizinischen Hochschule Hannover,
seit 2006
Die Translationszentren bündeln die Kompetenzen
aus akademischen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen und haben sich zu wichtigen
Motoren in der Entwicklung regenerativer Therapien
entwickelt. Alle Zentren kooperieren eng mit den
jeweiligen Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen. So ist es möglich, neue Therapien über
verhältnismäßig kurze Wege in Patientenstudien zu
testen. Gleichzeitig wurden in den Zentren eigene
Abteilungen geschaffen, die sich um die Bewertung,
die Entwicklung und die Kommerzialisierung von regenerativen Therapien kümmern. Die Zentren sollen
so zu Keimzellen für Firmenausgründungen und zu
Partnern für innovationsstarke Unternehmen werden.
Ziel ist es, den breiten Einsatz neuer Therapien nachhaltig und in gesundheitsökonomisch sinnvollem
Umfang voranzutreiben. Das BMBF unterstützt neben
den Translationszentren bundesweit noch weitere
Netzwerke und Standorte, die die Regenerative Medizin in die Anwendung bringen wollen. Dazu zählen:
Berlin-Brandenburg centrum für Regenerative therapien (BcRt)
Das Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) ist ein gemeinsames Forschungszentrum der Charité-Universitätsmedizin und der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher
Forschungszentren. Es wurde 2006 gegründet
und ist in einem eigenen Bau des Virchow-Klinikums auf dem Charité-Campus untergebracht.
Hier arbeiten 26 neu eingerichtete Forschergruppen, davon 12 Junior-Gruppen. Neben der
Charité- Universitätsmedizin sind am Zentrum
insbesondere das Max-Delbrück-Centrum für
molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch und
das Helmholtz-Zentrum Geesthacht in Teltow beteiligt. Hinzu kommen Partner aus zahlreichen
Forschungseinrichtungen und Hochschulen
in Berlin und Brandenburg, das Pharmaunternehmen Bayer Healthcare sowie eine Reihe von
Biotechnologie-Unternehmen. Finanziell wird
das BCRT vom BMBF, von den Ländern Berlin und
Brandenburg, der Charité und der Helmholtz-
Gemeinschaft getragen. Im BCRT konzentrieren
sich die Forscher auf anwendungsorientierte
Projekte in vier medizinischen Bereichen: das
Immunsystem, das kardiovaskuläre System, das
Nervensystem und das Muskel-Skelett-System des
menschlichen Körpers. Bei ihrer Arbeit werden
die Forscher von Plattformen zur biomedizinischen Grundlagenforschung, den Bioingenieurwissenschaften, Biomaterialwissenschaften
und den Translationstechnologien unterstützt.
Für die Ausbildung von Nachwuchsforschern
wurde im Rahmen der Exzellenzinitative die
Graduiertenschule „Berlin Brandenburg School
for Regenerative Medicines“ aufgebaut, die ein
dreijähriges Doktoranden-Programm anbietet.
Um die Translation von Forschungsergebnissen in
die klinische Praxis voranzutreiben, werden am
BCRT neue therapeutische Konzepte in besonders frühen Phasen auf ihre Markttauglichkeit
hin überprüft. Dazu wurden im BCRT eigene
Abteilungen geschaffen, die sich um die klinische
Entwicklung und die Kommerzialisierung neuer
regenerativer Therapien kümmern. Am BCRT ist
das Europäische Stammzellregister hESCreg angesiedelt, das von der Europäischen Kommission
finanziert wird (vgl. S. 11).
Mehr Informationen: www.b-crt.de
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
– die Gesundheitsregion „REGiNA“ (Regenerative
Medizin in der Neckar-Alb Region) ging 2009 als
Gewinner des BMBF-Wettbewerbs „Gesundheitsregionen der Zukunft“ hervor und wird bis 213
mit 7,5 Millionen Euro gefördert. REGiNA bündelt
16 Teilprojekte und 30 Partner aus Forschung,
Referenz- und translationszentrum
für kardiale Stammzelltherapie (Rtc)
Am Referenz-und Translationszentrum für
kardiale Stammzelltherapie (RTC) in Rostock
werden neue Behandlungsmethoden mit
Stammzellen für Herzkrankheiten erforscht
und angewandt. Das RTC wurde im Herbst
2008 ausgehend von der Klinik für Herzchirurgie der Universität Rostock gegründet.
Finanziell wird das RTC vom BMBF, vom Land
Mecklenburg-Vorpommern und von der
Industrie unterstützt. Das Ziel der Forscher ist
es, mithilfe patienteneigener Stammzellen
eine langfristige Heilung des geschädigten
Herzens möglich zu machen. Im Jahr 2009
startete das RTC eine multizentrische klinische Studie der Phase III, die für die Zulassung der in Rostock entwickelten kardialen
Stammzelltherapie entscheidend sein wird.
Das RTC begleitet den komplexen Prozess von
der Grundlagenforschung und frühen Entwicklung bis hin zur Zulassung und Anwendung von adulten Stammzellen als standardisierte und qualitätsgesicherte Therapie. Die
am Zentrum entwickelten Verfahren sollen
zukünftig für weitere Projekte auf dem Gebiet
der Stammzellforschung als Referenz dienen.
Zu den weiteren Aufgaben des RTC gehört es,
die Zulassung der Therapie vorzubereiten,
Fragen der Erstattung zu klären, zukünftige
Anwender zu schulen sowie Ärzte, Patienten
und die Öffentlichkeit zu informieren.
Mehr Informationen:
www.cardiac-stemcell-therapy.com
49
Klinik und regionalen Unternehmen, um regenerationsmedizinische Produkte und Behandlungsmethoden zu erforschen und pilotartig in
die Gesundheitsversorgung einzuführen. (Mehr
Informationen: www.info-rm.de)
– die HI-STEM gGmbH, die 2008 mit Mitteln der privaten Dietmar-Hopp-Stiftung und des Deutschen
Krebsforschungszentrums DKFZ in Heidelberg gegründet wurde. HI-STEM bündelt die Aktivitäten
von Heidelberger Kliniken und Forschungseinrichtungen zur Erforschung von Krebsstammzellen. HI-STEM ist ein zentraler Partner des Spitzenclusters „Zellbasierte und Molekulare Medizin“
in der Biotech-Region Rhein-Neckar (BioRN), der
2008 den mit 40 Millionen Euro dotierten Spitzencluster- Wettbewerb des BMBF gewonnen hat.
HI-STEM erhält aus diesem Topf rund 6 Millionen
Euro. (Mehr Informationen: www.hi-stem.de).
– das Centrum für Angewandte Regenerative Entwicklungstechnologien, kurz CARE. Dieses neue
Institut entsteht auf Initiative des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster und
hat die Nutzung der Reprogrammierungstechnologien zum Ziel. Aufbauend auf iPS-Zellen soll ein
Untersuchungssystem in der Kulturschale entwickelt werden, an dem Wirkstoffkandidaten untersucht und Verträglichkeitstests durchgeführt
werden können. CARE soll durch eine Anschubfinanzierung vom Land Nordrhein-Westfalen und
vom Bund unterstützt werden.
Um die Umsetzung regenerativer Therapien
voranzutreiben, soll auch die internationale
Zusammenarbeit der jeweiligen weltweit führenden Experten und Translationszentren gefördert
werden. Dazu hat das BMBF bilaterale Abkommen
mit Forschungsfördereinrichtungen in den USA im
Bereich der Regenerativen Medizin geschlossen.
Seit Oktober 2009 existiert ein Memorandum of
Understanding mit dem California Institute for
Regenerative Medicine (CIRM), der größten Fördereinrichtung für Stammzellstudien weltweit. Die
Vereinbarung ermöglicht die Teilnahme deutscher
Forscher oder Forschungseinrichtungen an Ausschreibungen des CIRM im Rahmen amerikanischdeutscher Kooperationen. (vgl. Kasten S. 50)
Bevor regenerative Verfahren und Produkte aus
dem Labor erfolgreich im Markt genutzt werden
können, müssen sie durch Zulassungsbehörden
50
genehmigt werden. Die Zulassung der auf neuen
Forschungsergebnissen basierenden regenerativen Therapien ist ohnehin schon komplex. Bis vor
wenigen Jahren wurde sie zusätzlich durch einen
regulatorischen Flickenteppich erschwert: In jedem
EU-Land galten unterschiedliche Bestimmungen
für die Zulassung. Im Jahr 2007 verständigte sich die
Europäische Union auf ein harmonisiertes Zulassungsverfahren, um die europaweite Vermarktung
von Produkten der Regenerativen Medizin zu
erleichtern. Seit Januar 2009 gelten diese einheitlichen Voraussetzungen für die Zulassung von Arzneimitteln für neuartige Therapien. Sie sind in der
EU-Verordnung 1394/2007/EG über die „Advanced
Therapy Medicinal Products“ (ATMP) zusammengefasst. Zur Arzneimittelgruppe der „Neuartigen
Therapien“ gehören demnach alle Produkte, die
lebende Zellen oder Gewebe enthalten. Dazu zählen
Zelltherapien (Zelltherapeutika), Produkte für den
Einsatz in Gentherapien (Gentherapeutika) und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte (Tissue
Engineering Products).
Klare Regeln für den europäischen Markt
Die ATMP-Verordnung beschreibt die besonderen
Voraussetzungen, die die Hersteller von diesen
Präparaten zusätzlich zu den bestehenden Anforderungen für konventionelle Arzneimittel erfüllen
müssen. Unter anderem muss der Herstellungsprozess gesondert beschrieben werden. Weiterhin
werden von den Herstellern Nachuntersuchungen
an behandelten Patienten gefordert, die die
Sicherheit und Wirksamkeit der ATMPs prüfen.
Darüber hinaus muss die Rückverfolgbarkeit aller
Ausgangsstoffe für die Herstellung der Produkte
gewährleistet sein. Generell werden ATMPs künftig
zentral von der Europäischen Arzneimittelagentur
(EMA) in London bewertet. Dafür wurde ein beratender Ausschuss für neuartige Therapien gegründet (Committee for Advanced Therapies, CAT), der
von einem Vertreter aus Deutschland geleitet wird.
Diese Expertenrunde berät das Entscheidungsgremium der EMA, das Commitee for Medical Products
for Human Use, bei der Zulassung der „neuartigen
Therapien“. Im Zuge der 15. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) wurden die Inhalte der neuen
EU-Verordnung im Sommer 2009 auch in Deutschland umgesetzt. Durch die Einstufung von ATMP als
Arzneimittel wurden zwar klare Regeln und Qualitätsstandards in der EU und dazu ein neuer, vergrößerter Markt für die Wettbewerber geschaffen.
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
Deutsch-Kalifornische Zusammenarbeit
In einem Forschungsfeld wie der Regenerativen Medizin ist der Austausch mit Kollegen
auf der ganzen Welt ganz besonders wichtig.
Vor diesem Hintergrund hat das BMBF im Jahr
2009 ein „Memorandum of Understanding“
mit dem California Institute for Regenerative
Medicine (CIRM) unterzeichnet, einer der
größten und renommiertesten Stammzellfördereinrichtung der Welt. Diese Vereinbarung ermöglicht es deutschen Forschern,
sich gemeinsam mit kalifornischen Kollegen
an Ausschreibungen des CIRM im Bereich
der Regenerativen Medizin zu beteiligen.
Umgekehrt ist es amerikanischen Forschern
und Forschungseinrichtungen möglich, an
deutschen Forschungsvorhaben im Rahmen
deutsch-amerikanischer Kooperationen
teilzunehmen. Ziel ist es, Methoden und
Verfahren weiterzuentwickeln, diese wissenschaftlich zu bewerten und dadurch das
therapeutische Potenzial neuartiger Behandlungsmethoden vermehrt auszuschöpfen.
Seit 2010 sind bereits sieben zukunftsweisende
transatlantische Forschungskooperationen
bestätigt worden. Das entspricht einem BMBFFördervolumen von sieben Millionen Euro.
Mehr Informationen: www.ptj.de/bmbf-cirm
Doch kommen auf die spezialisierten Unternehmen
neue Herausforderungen zu. Von Anfang an sorgte
sich die EU bei der Harmonisierung der Zulassung
besonders um die Auswirkungen auf kleinere und
mittlere Unternehmen (KMU), die angesichts der
zentralen Vorgehensweise höhere Kosten und
Aufwand in Kauf nehmen müssen. So müssen KMUs
durch eine Ausnahmeregelung derzeit nur zehn
Prozent der Gebühren für die wissenschaftliche
Beratung durch die Behörden und nur die Hälfte
der Zulassungskosten bezahlen, die insgesamt bei
rund 230.000 Euro liegen. Zudem gilt bis Ende 2011
eine Übergangsfrist für somatische Zelltherapeutika und Gentherapeutika sowie bis 2012 eine Übergangsfrist für Gewebeersatz-Produkte. Innerhalb
dieser Frist können Produkte, die zum Zeitpunkt der
Anwendung der Verordnung schon auf dem Markt
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
waren, nachträglich zugelassen werden, ohne dass
zusätzliche Kosten für die Unternehmen entstehen.
Kleinere Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, die Daten über ihre Produkte schon in einem
frühen Stadium des Entwicklungsprozesses einzureichen und bewerten zu lassen. So sollen spätere
und damit teurere Beanstandungen und Korrekturen vermieden werden.
Klinische Studien als große Herausforderung
Dennoch ist das Feld der Regenerativen Medizin
für KMU ein vergleichsweise schwieriges Feld. Die
Aufwendungen für die klinische Entwicklung sind
hoch und das Risiko, ob eine Therapie tatsächlich
in der klinischen Praxis nutzbar ist, nicht immer im
Vorfeld abzuschätzen. Zudem fehlen Langzeiterfahrungen über das Kosten-Nutzen-Verhältnis
von regenerativen Therapien, die sich immer auch
gegenüber herkömmlichen Behandlungsverfahren beweisen müssen. Die Frage, ob regenerative
Therapien tatsächlich wirken und wie gut sie dem
jeweiligen Patienten helfen, ist oft nicht so einfach
51
zu beantworten. Was die Nutzenbewertung so komplex macht: Gängige Kriterien für klinische Studien
lassen sich in diesem Feld kaum anwenden – beispielsweise der Ansatz, dass weder Arzt noch Patient
wissen, ob sie die Therapie oder ein Placebo verwenden. Diese Vorgehensweise – von Fachleuten als
doppel-verblindete placebokontrollierte klinische
Studie bezeichnet – lässt sich mit Pillen und Spritzen
einfacher durchführen, als in der Regenerativen
Medizin mit ihren auf den einzelnen Patienten angepassten Zelltherapien, die Probenentnahmen vom
Patienten und Produktionsmöglichkeiten vor Ort
in der Klinik erfordern. Darüber hinaus fehlt oft ein
standardisierter Herstellungsprozess für diese Art
von individuellen Produkten bzw. eine methodisch
abgesicherte Qualitätssicherung der Produkte.
Um die Entwicklung entsprechend valider
Methoden für klinische Studien voranzutreiben und
und die Bewertung des Nutzens von regenerativen
Therapien zu verbessern, hat das BMBF Mitte 2008
die Förderinitiative „Richtlinien zur Förderung
der Entwicklung und Validierung von Methoden
Exzellenzcluster REBIRtH (From Regenerative Biology to Reconstructive therapy) Hannover
Der von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) koordinierte Exzellenzcluster
REBIRTH wurde 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und hierüber
basisfinanziert. Beteiligt sind insgesamt sieben
Forschungseinrichtugen: Neben der MHH
die Tierärztliche Hochschule Hannover, die
Leibniz Universität Hannover, das HelmholtzZentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM),
das Institut für Nutztiergenetik Mariensee
(Friedrich-Loeffler-Institut FLI) und das Max-
Planck-Institut für molekulare Biomedizin in
Münster. Ein wichtiger Bestandteil des Clusters
ist zudem das 2008 eröffnete Hans-Borst-Zentrum für Herz-und Stammzellforschung (HBZ),
dessen Neubau mit 13,5 Millionen Euro durch
private Mittel der Braukmann-WittenbergHerzstiftung finanziert wurde. Die insgesamt
40 Forscherteams am REBIRTH beschäftigen
sich u.a. mit den Mechanismen der Reprogrammierung von Körperzellen zur Gewinnung von Stammzellen sowie mit Zelltherapien und Gewebekonstrukten in regenerativen
Therapien. Dabei werden Expertisen aus den
Ingenieurwissenschaften, der Chemie, der
Photonik und der Nanotechnologie interdisziplinär integriert. Im Rahmen von REBIRTH
ist 2007 auch das Doktoranden-Programm
„Regenerative Sciences“ gestartet, das zur
Graduiertenschule „Hannover Biomedical
Research School“ gehört.
Mehr Informationen: www.rebirth-hannover.de
52
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
und Verfahren der Regenerationstechnologien für
den Einsatz in der Medizin“ gestartet. Auf dieser
Grundlage werden überwiegend industriegeführte
Verbundprojekte unterstützt, um Defizite bei der
Bewertung von in der Entwicklung bereits fortgeschrittener Produkte und Therapieverfahren auf
dem Feld der Regenerationstechnologien zu identifizieren und zu beseitigen. Insgesamt stehen dafür
15 Millionen Euro Fördergelder zur Verfügung.
Trotz der Schwierigkeiten in der Translation wird
der regenerativen Medizin ein großes Potenzial bescheinigt. Als besonders aussichtsreiche Anwendung
werden von Experten zunächst nicht Therapien,
sondern der sogenannte Testmarkt gesehen (vgl. S.
42ff.). Gemeint sind stammzellbasierte in vitro-Testverfahren, mit denen Wirkstoffkandidaten auf Verträglichkeit und Toxizität geprüft werden können.
Für diesen Anwendungsbereich interessieren sich
inzwischen auch die großen Pharmakonzerne und
Laborzulieferer. Zellbasierte Tests im Industriemaßstab sollen die Suche nach neuen Medikamenten
nicht nur effizienter und sicherer machen, sondern
auch Tierversuche reduzieren helfen. Um den
Wachstumsbereich weiter voranzutreiben, haben
deshalb bereits mehrere Pharmakonzerne Kooperationen mit spezialisierten Biotech-Unternehmen
und Forschungseinrichtungen geschlossen. In einer
Überblickstudie hatte die Fachgesellschaft Dechema im Jahr 2009 bundesweit 67 Forschergruppen
identifiziert, die organähnliche Zellkultursysteme
für die Medikamententestung entwickeln: 4 davon
an Universitätskliniken, 19 in Universitäten, 17 in
Forschungsinstituten und 27 in Unternehmen.
Eines dieser Unternehmen ist die Biotech-Firma
Axiogenesis AG aus Köln, die stammzellbasierte
Analysesysteme entwickelt und diese vor allem für
den Einsatz in der chemischen, pharmazeutischen
und kosmetischen Industrie bereitstellt. Fokus
hierbei ist einerseits der Nachweis von toxischen
Wirkungen sowie andererseits die Entwicklung von
Screeningsystemen zur Identifizierung von neuartigen Therapiekonzepten. Die Technologie bietet
außerdem die Möglichkeit, bereits in frühen Phasen
der Wirkstoffentwicklung Aussagen über den Einfluss von Präparaten beim Menschen zu treffen.
center for Regenerative therapies Dresden (cRtD)
Das Center for Regenerative Therapies Dresden
(CRTD) wurde 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative als Forschungszentrum der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und
hierüber basisfinanziert. Das CRTD ist als Exzellenzcluster der TU Dresden ein interdisziplinäres
Netzwerk, zu dem auch das Max-Planck-Institut
für Molekulare Zellbiologie und Genetik, das
Max-Bergmann-Zentrum für Biomaterialien
und die Kliniken des Universitätsklinikums Carl
Gustav Carus gehören. Involviert sind auch 18
Unternehmen. Darüber hinaus ist am CRTD ein
Sonderforschungsbereich der DFG zur Stammzellforschung angesiedelt. Inhaltlich fokussieren sich
die 15 Forschergruppen am CRTD auf fünf Bereiche: Hämatologie und Immunologie, Diabetes,
neurodegenerative Erkrankungen, Knochen-/
Knorpelersatz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Den Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit
bildet die Stammzellforschung sowie die Arbeit
mit den Modellorganismen Maus, Zebrafisch und
dem mexikanischen Schwanzlurch Axolotl.
Die Umsetzung der Ergebnisse in die Klinik war in
einigen Fällen bereits erfolgreich. Neben Behandlungen von Leukämie-Patienten mit hämatopoetischen Stammzellen gibt es Pilotstudien
zur Regeneration von Knochendefekten. In der
Nachwuchs-Ausbildung beteiligt sich das CRTD an
der „Dresden International School for Biomedicine
and Bioengineering“ (DIGS-BB). 2011 wurde ein
CRTD-Neubau bezogen, der 48,6 Millionen Euro
gekostet hat. Das Geld wurde vom Bund, dem Freistaat Sachsen sowie der EU zur Verfügung gestellt.
Mehr Informationen: www.crt-dresden.de
tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS
53
Fördermaßnahmen im Überblick
Seit den 90er Jahren unterstützt das BMBF Forscherinnen und Forscher in der Regenerativen Medizin
mit diversen Förderinitiativen. Dies wird auch
im aktuellen Rahmenprogramm Gesundheitsforschung, das Anfang 2011 gestartet ist, fortgesetzt. Weitere relevante Förderinitativen sind dem
Rahmenprogramm Bioökonomie zugeordnet. Im
unten stehenden Kasten finden Sie eine Übersicht
aktueller Förderinitiativen.
Eingebettet in die beiden Rahmenprogramme
sind zwei Strategieprozesse, in denen die Regenerative Medizin auch eine Rolle spielt. Beim Strategieprozess „Nächste Generation biotechnologischer
Verfahren - Biotechnologie 2020+“ steht die Weitentwicklung biotechnologischer Verfahren in den
nächsten 20 bis 30 Jahren im Fokus. (Mehr Informationen: www.biotechnologie2020plus.de).
Beim Strategieprozess „Innovationen in der Medizintechnik“ wiederum soll eine mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi),
dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
sowie Experten aus Industrie, Wissenschaft und
Gesundheitswesen abgestimmte Innovationspolitik
für dieses Feld erarbeitet werden. (Mehr Informationen: www.bmbf.de/de/17337.php)
Fördermaßnahmen in der Regenerativen Medizin
Laufende Förderinitiativen des Bundesministerium für Bildung und Forschung, die für Forscherinnen und Forscher in der Regenerativen
Medizin relevant sind.
• Regenerative technologien
• Gewinnung pluri- bzw. multipotenter
Stammzellen
• Zellbasierte, regenerative Medizin
• translationszentren in der Regenerativen
Medizin
• Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung
• Dialogplattform „Deutsches Stammzellnetzwerk“
• Deutsch-Kalifornische Zusammenarbeit in
der Regenerativen Medizin (cIRM-BMBF)
• EurotransBio ERa-nEt
• Kompetenznetze in der Medizin
• Spitzencluster-wettbewerb
• Gesundheitsregionen der Zukunft
• Innovation in der Medikamentenentwicklung
• Innovative therapien
• KMu-innovativ: Biotechnologie – Biochance
• KMu-innovativ: Medizintechnik
• alternativen zum tierversuch
• Ethische, rechtliche und soziale aspekte
der modernen lebenswissenschaften und
der Biotechnologie
Weitere Informationen zu den aufgeführten
Förderinitiativen und Ansprechpartner finden
Sie beim Projektträger Jülich (PtJ) und beim
Projektträger im DLR.
Mehr Informationen finden Sie hier:
www.gesundheitsforschung-bmbf.de
www.ptj.de
www.biotechnologie.de
www.bmbf.de/de/1237.php
www.bmbf.de/de/1084.php
www.bmbf.de/de/10781.php
54
GloSSaR
Glossar
adulte Stammzellen
Gewebespezifische Stammzellen, die wie Reparateure in einem Organ für Nachschub an neuen Zellen sorgen. Sie können nur die Zelltypen des Organs
liefern, aus dem sie selbst stammen. Sie sind daher
multipotent.
endogene Regeneration
Hierbei werden Zellen genutzt und stimuliert, die
sich im Körper befinden und die in der Lage sind,
Selbstregenerationsprozesse einzuleiten. Dies
können Stammzellen, aber auch gewebsspezifische
Vorläuferzellen und Immunzellen sein.
allogene Zellen
von fremden Organismen stammende Zellen
Gentherapie
Experimentelle Therapieform, bei der Gendefekte
in den Zellen von Patienten mittels eingeschleuster
Erbsubstanz behoben werden. Als Genfähren werden meist spezielle Viren eingesetzt.
autologe Zellen
körpereigene Zellen
Blastozyste
Sehr frühes Embryo-Stadium, das aus etwa 200
Zellen besteht und die Form einer Hohlkugel hat.
Enthält die innere Zellmasse, aus der embryonale
Stammzellen gewonnen werden.
bioartifiziell
Ein Produkt, das aus einem künstlichen Material in
Kombination mit lebenden Zellen besteht.
biohybrid
So werden Konstrukte bezeichnet, in denen sowohl
synthetische als auch biologische Molekülbausteine oder Zellen miteinander kombiniert werden.
Biomaterial
Werkstoff, der bei einer medizinischen Behandlung im Körper unmittelbar mit Gewebe in Kontakt
kommt.
Bioreaktor
Behälter, in dem Zellen oder Gewebe kultiviert
wird.
Differenzierung
Vorgang, der aus einer unspezialisierten Vorläuferzelle eine definierte Körperzelle werden lässt.
Damit ist immer eine strukturelle und funktionelle
Veränderung der Zelle verbunden.
Embryo
So wird der sich entwickelnde Organismus ab der
befruchteten Eizelle bis zum Fötus bezeichnet.
Embryonale Stammzellen (ES-Zellen)
Zellen, die aus der inneren Masse der Blastozyste
gewonnen werden. Sie sind selbsterneuernd und
können sich in alle Körperzelltypen außer Plazentagewebe entwickeln. Sie sind pluripotent.
Gewebe
Zellverbände aus differenzierten Zellen, die gemeinsam eine Funktion im Körper übernehmen.
Hautmodell
Hautmodelle sind kleine Hautstückchen, die biotechnologisch aus menschlichen Zellen hergestellt
werden, die zuvor bei einer Biopsie entnommen
wurden. Sie kommen in erster Linie als in vitro-Testsysteme zum Einsatz.
induzierte, pluripotente Stammzellen (iPS)
Künstlich erzeugte Stammzellen, die von einem spezialisierten in einen pluripotenten Zustand zurückversetzt werden. Eine ausdifferenzierte Zelle (etwa
eine Hautzelle) wird mithilfe bestimmter Faktoren
in einen Zustand zurückprogrammiert, der dem
embryonaler Stammzellen ähnelt.
in situ
im Gewebe
in vivo
im lebendigen Organismus
in vitro
im Laborgefäß
in vitro-Fertilisation
Künstliche Befruchtung einer Eizelle mit Spermien
in der Petrischale.
Kerntransfer
Eine Technik, bei der einer zuvor entkernten Eizelle
ein Zellkern aus einer Spenderzelle eingepflanzt
wird. Die Empfänger-Eizelle trägt danach nahezu
dieselbe genetische Information wie die Spenderzelle.
GloSSaR
mesenchymale Stammzellen
Gehören zu den adulten Stammzellen und kommen vor allem im Knochenmark vor. Können sich
in viele verschiedene Zelltypen des Bindegewebes
entwickeln, wie Knochen, Knorpel und Fett.
multipotent
So nennt man Zellen, die sich in mehrere verschiedene Zelltypen entwickeln können. Sie sind aber
in ihrem Entwicklungspotenzial eingeschränkt
und können nur die notwendigen Zelltypen eines
bestimmten Organs/Gewebes bilden.
pluripotent
So nennt man Zellen mit uneingeschränktem Entwicklungspotenzial. Aus ihnen können alle Zelltypen eines Organismus hervorgehen.
REACH
Chemikalienverordnung der Europäischen Union,
die im Juni 2007 in Kraft getreten ist. REACH steht
für die Registrierung („registration“), Bewertung
(„evaluation“) und Zulassung („authorisation“) von
Chemikalien. Insbesondere müssen nun auch Altchemikalien auf ihre Gefährlichkeit für Umwelt und
Gesundheit eingehend geprüft werden.
Regenerative Medizin
Behandlungsstrategie, die auf die Wiederherstellung funktionsgestörter Zellen, Gewebe und Organe abzielt. Möglich ist das durch den Einsatz von
biologischem Ersatzgewebe oder die Stimulation
körpereigener Regenerations- und Reparaturprozesse.
Stammzellen
Sind nicht spezialisierte Körperzellen, die einerseits
nach Teilung neue Stammzellen hervorbringen und
andererseits Tochterzellen bilden, die zu spezialisierten Zellen ausreifen können. Es werden embryonale und adulte Stammzellen unterschieden.
Darüber hinaus gibt es die iPS-Zellen.
Stammzellnische
Ein spezieller anatomischer Bereich in Organen
und Geweben, in dem die Stammzelle ihre unveränderten Eigenschaften beibehält.
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Tissue Engineering
Englischer Begriff für Gewebezüchtung. Darunter
werden Kultivierungstechniken verstanden, deren
Ziel es ist, Zellen in bioartifiziellen Stoffen zu züchten. Somit sollen letztlich biologisch funktionelle
Gewebe entstehen, zum Beispiel für eine Transplantation oder für Testzwecke.
totipotent
So bezeichnet man Stammzellen mit dem größtmöglichen Entwicklungspotenzial. Eingebettet in
eine Gebärmutter kann aus ihnen ein kompletter
Organismus hervorgehen. Bei Menschen und Säugetieren sind das Embryo-Zellen bis zum AchtzellStadium.
Translationszentrum
Forschungszentrum, an dem Wissenschafler
verschiedener Disziplinen anwendungsorientierte
Ansätze verfolgen, um ihre Ergebnisse rasch in die
(klinische) Praxis zu bringen.
Vorläuferzellen
Zellen, die noch nicht alle funktionellen Eigenschaften von ausgereiften Körperzellen besitzen.
Diese Zellen sind in der Lage, sich zu vermehren,
können sich aber auch abhängig vom Grad ihrer
Reife in unterschiedliche Arten von Körperzellen
entwickeln.
Xenotransplantat
Transplantat aus tierischen Zellen, das beim Menschen eingesetzt wird.
Zelllinie
Zellen eines bestimmten Typs, die in der Kulturschale heranwachsen und sich unendlich vermehren
lassen.
Zellkultur
Züchten von Zellen in Kulturgefäßen mit Wachstumsmedium.
Zelltherapie
Behandlung, bei der Stammzellen oder von
solchen abgeleitete Zellen genutzt werden, um
beschädigte Zellen oder Gewebe eines Patienten zu
ersetzen oder zu reparieren.
56
W
GloSSaR
wEItERE PuBlIKatIonEn DES BMBF
Weitere Publikationen des BMBF
Weiterführende Informationen zur Biotechnologie im Publikationsangebot des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung. Kostenlose Bestellmöglichkeit unter www.bmbf.de (Service/ Publikationen).
Bundesbeirat Forschung und Innovation 2012
Bundesbericht Forschung
und Innovation 2012
Bonn, Berlin 2012
Forschung
Rahmenprogramm Gesundheitsforschung
Rahmenprogramm Gesundheitsforschung
der Bundesregierung
Bonn, Berlin 2010
nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030
Nationale Forschungsstrategie
BioÖkonomie 2030
Unser Weg zu einer bio-basierten Wirtschaft
DZG DEUTSCHE ZENTREN
Die Deutschen Zentren der
Gesundheitsforschung
Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
Unser Weg zu einer bio-basierten Wirtschaft
(Langfassung) Bonn, Berlin 2010
Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung
Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten;
Bonn, Berlin 2011
Biotechnologie in Deutschland
Biotechnologie in Deutschland
25 Jahre Unternehmensgründungen
25 Jahre Unternehmensgründungen;
Bonn, Berlin 2010
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58
wEItERE PuBlIKatIonEn DES BMBF
Mensch-technik-Kooperationen
Mensch-Technik-Kooperation
auf dem Weg ins Jahr 2020
Förderung kleiner und mittelständischer
Unternehmen in der Biotechnologie
KMU-innovativ: Biotechnologie – BioChance
Eine Handreichung für Antragsteller
Auf dem Weg ins Jahr 2020;
Bonn, Berlin 2010
Förderung kleiner und mittelständischer
unternehmen in der Biotechnologie
KMU-Innovativ: Biotechnologie – BioChance
Eine Handreichung für Antragsteller;
Bonn, Berlin 2011
Bildung und Forschung in Zahlen 2011
Bildung und Forschung in Zahlen 2011
Ausgewählte Fakten aus dem Daten-Portal des BMBF
Ausgewählte Fakten aus dem Daten-Portal des BMBF,
Bonn,Berlin 2011
Ernährungsforschung
Ernährungsforschung
Gesünder essen mit funktionellen Lebensmitteln
Gesünder essen mit funktionellen Lebensmitteln;
Bonn, Berlin 2010
Der Schlaganfall
Der Schlaganfall
Forschung – Diagnose – Therapie
Forschung – Diagnose – Therapie;
Bonn, Berlin 2012
Der Schwindel
Der Schwindel
Forschung – Diagnose – Therapie
Forschung – Diagnose – Therapie;
Bonn, Berlin 2011
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