Essstörungen

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Essstörungen
Psychiatrie-Vorlesung 15.07.2004
L. Goldbeck
Essstörungen in Kindheit und Jugend:
Klassifikation
Adoleszenz
• Anorexia nervosa
• Bulimia nervosa
• binge eating disorder
Kindheit
• frühkindliche
Fütterstörung
• Rumination
• Gedeihstörung
• Pica
• Adipositas
Anorexie/Bulimie: Klassifikation
• atypische Anorexia nervosa (ICD 10 F 50.1)
nicht alle Kriterien erfüllt
• Mischform A.n. mit Bulimie
(zusätzlich Heißhungerattacken =>
selbstinduziertes Erbrechen und/oder
Abführen) F 50.01
atypische
Anorexie
Anorexia
nervosa
Bulimia
nervosa
atypische
Bulimie
(binge eating)
Anorexia nervosa
Anorexia nervosa: Historie
• 1689 Richard Morton: nervöse Auszehrung,
nur mit Haut bespanntes Skelett
• 19. Jh.: Sir William Gull: Anorexia nervosa
Lasègue: Anorexia hysterica
(irreführend: A. = Appetitmangel)
• Hilde Bruch
geb. D 1901
1941 USA
1973 Eating Disorders
1978 „The
Golden Cage“
Anorexia nervosa (Pubertätsmagersucht)
Definition (ICD-10 F 50.0)
• Körpergewicht <15 % des Normalen
body mass index (BMI = kg/m2) < 17,5
(BMI Altersperzentile < 10)
• selbst herbeigeführter Gewichtsverlust (-stillstand)
• Körperschemastörung
(Überzeugung zu dick zu sein)
• endokrine Störung
(Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse)
• falls präpubertärer Beginn
=> Entwicklungs-/ Wachstumsstörung
Bestimmung des Sollgewichts:
Percentilenkurven
BMI = kg/m2
Anorexie: Epidemiologie
•
•
•
•
•
0,13 – 1,5 % der 15-24jährigen Mädchen/ Frauen
Inzidenz ca. 15/100.000/Jahr
Geschlechtsrelation 8 : 1 bis 40 :1
Erstmanifestation 14-19 J., präpubertär 5-10%
Zunahme seit Mitte 20. Jh. (behandelte Fälle)
Verschiebung in jüngere Altersgruppe
• Risikogruppen: Balletttänzerinnen, Models, best.
Sportarten (Skispringer, rhythmische
Sportgymnastik, ...) Prävalenz bis 25 %
• Industrienationen (Wohlstandsgesellschaften)
Anorexie:
Diagnose/Differentialdiagnose
• gewollte Gewichtsabnahme (z.B. 10 kg/6-8 Wo)
=> Untergewicht
• restriktives Essverhalten (kalorienarm, Diäten,
Fasten)
• extreme Beschäftigung mit
Nahrung/Essen/vermeintlichem Dicksein
• z.T. Erbrechen/Laxantien-, Diuretikaabusus
• Auslöser: kritische Bemerkungen, Imitation,
Konkurrenz
• Hyperaktivität
• Fehleinschätzung des Körpers / Kalorienbedarfs
Anorexie: Persönlichkeit
• Ehrgeiz, Fleiß, Beharrlichkeit, Zähigkeit
(over-achievers)
• Überanpassung, Perfektionismus, Insuffizienz
• Unfähigkeit zur Selbstbehauptung
• Rigidität, Einengung, Gedankenkreisen (analog
Hungersyndrom)
• zwanghafte, depressive, unreife Züge
• Irritabilität, Dysphorie, Stimmungslabilität,
Schlafstörungen
• Introvertiertheit, sozialer Rückzug
• Mangel an Identität
• Trennung von Geist und Körper
Selbstbildaspekte
• Innerer Kampf gegen den
Hunger
• Ringen um Kontrolle
körperlicher Bedürfnisse
• Askese
• Stolz auf Gewichtsverlust
Anorexia:Psychosomatische Störung
Aufgrund körperlicher Beschwerden/Symptome und fehlender
Krankheitseinsicht präsentieren sich die meisten Patientinnen
primär beim Organmediziner!
Anorexie: Familie
• scheinbar geordnete Verhältnisse
• gehäuft verdeckte Konflikte: Störungen der
Kommunikation
• Krankheitsbelastung (körperl., psych.)
• Mütter: neg. Modell (z.B. Diäten)
• bisweilen Verleugnung der Krankheit durch
die Eltern
Anorexie: körperliche Symptome
• Sichtbar:
trockene, schuppige, z.T. marmorierte Haut
Lanugobehaarung
Ödeme
Haarausfall
Speicheldrüsenschwellung (Sialose)
Minderwuchs/Wachstumsstillstand
• Labor:
BB: Leukopenie, Anämie, Thrombopenie, ↓ BZ,
↓ Cholesterin
Elektrolytstörungen
↑ Transaminasen, ↑ Amylase, ↑ Harnstoff, ↑ Krea
Lipidstoffwechselstörung
↓ Eiweiss, ↓ Albumin, ↓ Zink
Anorexie: körperliche Symptome
• Endokrinologie:
Störung der Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse
=> (sekundäre) Amenorrhoe
=> Wachstumshormonmangel
=> Osteoporose
Störung der Schilddrüsenachse (LH-Sekretion)
• Sonstige:
Gehirn: Pseudoatrophia cerebri, Ventrikelvergr.
Herz-/Kreislauf: Bradykardie, Hypothermie,
Rhythmusstörungen, Dysregulation,
Kardiomyopathie
Obstipation, Magen-Darmfunktionsstörungen
Anorexie: Differentialdiagnosen
Ausschluss körperlicher Erkrankungen!
• onkologische Erkrankungen (Hirntumor!)
• endokrinologische Erkrankungen
(Hyperthyreose, Diabetes mellitus)
• chronisch entzündliche Darmerkrankungen:
Colitis ulcerosa / M. Crohn
• Malabsorption: z.B. Zöliakie; Maldigestion
• Mukoviszidose
Psychiatrisch:
• Somatisierungsstörung
• Schizophrenie (Vergiftungswahn)
Ätiologisches Modell der Anorexie
(Steinhausen 2002)
prädisponierende Faktoren:
• individuell-persönlich
• familiär
• soziokulturell
• biologisch/genetisch
auslösende Faktoren
Psychische Probleme:
Selbstwert, Affektlabilität, ...
Sekundäre körperliche
und psychische
Veränderungen
Anorektischer Lösungsversuch
von Konflikten und
Problemen
Anorexie: Genetische Faktoren
• Zwillingsstudien: erhöhte Konkordanz
EEZ/ZEZ (Bulik et al. 2000)
• weibl. Verwandte 1. Grades: 10fach
erhöhtes Risiko
(Lilenfeld et al. 1998, Strober et al. 2000)
• Genetische Transmission wahrscheinlich für
breiten subklinischen Phänotyp:
Gewichtsangst, Rigidität, Perfektionismus,
Dysphorie, ...
Anorexie: Neurobiologische
Mechanismen (Vitiello & Lederhendler 2000)
• gestörter cerebraler Serotoninstoffwechsel
(persistiert)
• Störung des dopaminergen Systems
• Hypothalamus-Funktion verändert (regelt u.a.
Nahrungsaufnahme und Sättigung)
• Leptin
• veränderter Glukokortikoidstoffwechsel
• Sexualhormone ↓
• Wachstumshormone ↓
• Schilddrüsenhormone ↓
• Insulin ↓
REVERSIBILITÄT => physiol. Korrelate
Anorexie: Soziokulturelle Faktoren
• Schlankheitswahn
• Selbstwertstabilisierung
durch Diät/Fasten
• Vermeidung der (psychosexuellen) Reifung
• Massenmedien/Peers
• 45 % aller Mädchen
machen zeitweilig Diäten;
Barbie
Venus von Willendorf
13 % zeigen gestörtes
1970
Schlankheitsideal
Essverhalten
=> Vulnerabilität
• alle Sozialschichten
pubertierender Mädchen
• Zivilisationskrankheit
(körperl. Reifung)
Schlankheitsideal
• Schönheitsköniginnen
20er Jahre BMI 20-25
90er Jahre BMI 18,5
• Schauspielerinnen
Körperfett ca. 10 %
(empfohlen 25%)
Schlankheitsideal
• Models:
70er Jahre 8% < 50.P.
aktuell: 20 % < 50.P.
• Schaufensterpuppen:
Hüftumfang - 20 cm
O-Schenkel - 5cm
(vgl. mit 1925)
Schlankheitsideal
• 3,7 Mio. Deutsche haben Untergewicht
• ca. 100.000 leiden an A.n.,
ca. 600000 an B.n.
• 25% aller 7-10jährigen Mädchen haben
Diäterfahrung
• 8% der 6-17jährigen Kinder und Jgdl. haben
Untergewicht
• 90% der weibl. Teenager wollen abnehmen
• 73% der Frauen finden ein Gewicht
unterhalb des Normalen am attraktivsten
Anorexie: Familiäre Faktoren
Familieninteraktion geprägt durch:
• Überinvolviertheit/Verstrickung
• Überbehütung
• Rigidität
• Konfliktvermeidung
• Überanpassung an elterliche Erwartungen
• „Spatz im goldenen Käfig“ (H. Bruch)
=> unspezifische Risikofaktoren
⇒ wahrscheinlich sekundär
⇒ Befunde nicht verallgemeinerbar
evtl. Selektions-Bias
Essstörung und Trauma
⇒hohe Rate an sexuellem Missbrauch in der
Vorgeschichte von bulimischen Patientinnen
(Wonderlich et al. 2000)
⇒Für Anorexie widersprüchl. Befunde
⇒Körperliche Misshandlung erhöht das Risiko
von Essstörungen bei Jgdl.
(Smolak & Murnen 2002)
Misshandlung/Missbrauch = bedeutsamer
Risikofaktor, jedoch nicht pathognomonisch!
Anorexie: Individuelle Faktoren
• Störungen der Entwicklung von Identität und
Autonomie
• Gefühle von Wertlosigkeit und Insuffizienz
• Askese, Selbstkritik, Strenge zu sich selbst
• Mangel an Wahrnehmung eigener
Bedürfnisse (Überanpassung)
• soziale Unsicherheit, Rückzug
• negative Emotionalität und Persistenz
prädisponieren für Essstörungen
• prämorbide Gewichtsstörungen (Adipositas)
Anorexie: sek. Psychopathologie
• Veränderung der Wahrnehmung (Benommenheit,
kein Bezug zu eigenen Bedürfnissen)
• Konzentrationsstörungen
• Entschlusslosigkeit
• Interesselosigkeit
• Zwanghaftigkeit
• Stimmungslabilität
• Schlafstörungen
• verändertes Sättigungsgefühl
• sekundärer Krankheitsgewinn
Prognose und Verlauf
• Chronifizierung/Rezidive häufig
• Heilung selten vor 5-6 Jahren (Vitiello & Lederhendler 2000)
• Langzeitkatamnesen: 45% Heilung, 35% partielle
Besserung, 20% Chronifizierung
• 60% langfristige Gewichtsnormalisierung
• 44% Normalisierung des Essverhaltens
• 55% Normalisierung des Zyklus
• Mortalität 2,2 % (Metaanalyse Steinhausen 1997)
in Patientenserien 5-21 %, Suizide:Kachexie 1:1
Prognose/Verlauf II
• prädiktiv:
Behandlung in Adoleszenz
Latenz zur Behandlung in Spezialklinik
prämorbide Adipositas
purging
• Übergang Anorexie => Bulimie
• häufig Übergang in andere psychische Störungen:
Depression
Zwang
soziale Phobie
Substanzmissbrauch
Persönlichkeitsstörungen
Anorexie: Therapie
Multimodale (stationäre) Therapie:
• Medizinisch-diätetische Behandlung
• Multimodale Psychotherapie
• Bezugspersonenprinzip/Behandlungsteam
• Beratung und Schulung
• Nachsorge
Schwere Formen sollten stationär behandelt
werden!
Anorexie: Therapieziele
(American Psychiatric Association 2000)
• Wiederherstellung eines gesunden
Körpergewichts (10. – 25. BMI-Percentile)
• Behandlung somatischer Komplikationen
• Motivation
=> Krankheitseinsicht, => Kooperation
• Ernährungsberatung
• Korrektur dysfunktionaler Kognitionen,
Einstellungen und Gefühle (Gewichtsangst)
• Behandlung assoziierter psych. Symptome
• Einbeziehung der Familie
• Rückfallprophylaxe
Stufenmodell im Rahmen der
VT-Behandlung der Anorexie
Gewicht
halten
4
2
1
0
Rückfallverhütung
3 freies Essen:
keine Reglementierung
Integration:
eingeschr. Schule/Freizeit
Gewichtsaufbau:
reglementiert, kein Schulbesuch
Beobachtung,
Vorbereitung des Therapievertrages
Beispiel Therapievertrag bei A.n.
Vertrag zwischen Patientin (15 J) und Stationsärztin
Aufnahmegewicht: 35 kg (BMI 13,7)
Zielgewicht BMI 18,0 = 46 kg bei 1,60 cm
35 kg Essensplan, Mittagsruhe, Ausgang mit Begl.
37 kg 1 h Schule/d
39 kg verlängerte Wochenendbesuchszeiten
40 kg 2 h Schule/d
42 kg Zwischenmahlzeiten nach Wunsch
44 kg Schule ohne Limit, freies Essen morgens
und abends, Wochenendbeurlaubung
46 kg freies Essen, Heimatschule, verl. WE
Medizinisch-diätetische Therapie
• kalkulierte Diät / Essensplan (Normalkost,
evtl. hochkalorische Flüssigkost) => +100
bis +200 g / d bzw. 500-1000g / Wo.
• tgl. Gewichtskontrolle
• Kontrolle der relevanten physiol. Parameter
• Flüssigkeitsbilanz
• Psychopharmaka nur bei spez. Indikation
(Depression, Zwang)
• (par)enterale Ernährung nur bei kritischem
Zustand und totaler Nahrungsverweigerung
Ernährungsgewohnheiten einer
Patientin mit Anorexie
Psychotherapie bei Anorexie
• Selbstexploration erst nach längerer Behandlung
und körperlicher Stabilisierung möglich
• Psychoedukation
• Verhaltenstherapeutisches Prinzip (operante
Konditionierung): Verstärkerplan
(Vandereycken & Meermann 1984)
• Kognitiv-behaviorale Ansätze (=> Einstellung zum
Essen, Körperwahrnehmung, Selbstwert)
• Psychodynamische Therapie
• Familienberatung/-therapie
• Supportiv: Körpertherapie, Musiktherapie,
Ergotherapie, Kunsttherapie, Gruppentherapie
Gewichtsverlauf unter Behandlung
Kunsttherapie bei Anorexie
(Fallbeispiel)
Kunsttherapie Phase 2
Kunsttherapie Phase 3
„Es ist wirklich aufregend zu sehen, wie nach Jahren steriler
Selbstumkreisung hoch individuelle Persönlichkeiten auftauchen“
(H. Bruch)
Bulimia nervosa
Bulimie: Diagnostische Kriterien
(ICD-10 F 50.2)
• Gier nach Essen, Essattacken
• Gegensteuern durch selbstinduziertes
Erbrechen, Laxantienabusus, Appetitzügler,
Diuretika, Schilddrüsenpräparate
• krankhafte Furcht vor dem Dickwerden
• häufig anorektische Episoden in der
Vorgeschichte
• atypisch:
non-purging (F 50.3) = binge eating
Besonderheiten: Bulimie
• meist Normalgewicht
• Verzehr riesiger Nahrungsmengen (hochkalorisch)
in kurzer Zeit, anschl. Erbrechen
(„Fress-Brech-Sucht“)
• Hohe Dunkelziffer, Geheimhaltung
Prävalenz: 1 – 4 % bei 15-30jährigen Frauen
• Altersgipfel 16-19 Jahre
• Komorbidität mit anderen Impulskontrollstörungen (Substanzmissbrauch, Geldausgeben,
Selbstverletzung) => emotional instabilie
Persönlichkeit(sstörung)
Besonderheiten: Bulimie
• körperl. Symptome: u.a.
Gesichtsschwellungen (Parotis),
Zahnschäden, hypertrophe Handknöchel
oder Aberassionen („Russell‘s sign“),
gastro-ösophagaler Reflux
• Persönlichkeit: extravertiert, impulsiv
• familiäre Risikofaktoren: Vernachlässigung,
Misshandlung, sex. Missbrauch; psychisch
kranke Eltern; Beziehungsabbrüche
Bulimie: Therapie
• Überwiegend ambulant
• Bei Milieustörung: Fremdplazierung
• Kombination von Psychotherapie (primär) und
Pharmakotherapie (sekundär) bei erwachsenen
Ptn. erfolgreich
• PT: Förderung des Selbstwahrnehmung
• VT: Reaktionsverhinderung, kognitiv-behaviorale
Strategien
• Med.: Antidepressiva, SSRI
• Rückfallprophylaxe: Selbstbehandlungsmanuale
Fütterstörungen
Diagnostische Kriterien: Fütterstörung im
frühen Kindesalter (ICD 10 F 98.2)
• anhaltende Unfähigkeit, adäquat zu essen
oder Rumination/Regurgitation
• mangelnde Gewichtszunahme,
Gewichtsverlust o.a. Gesundheitsstörungen
• Beginn vor 6. Lj.
• Ausschluss andere psych. Störung
• Ausschluss organische Erkrankung
Formen der Fütterstörung: 1. Rumination
• wdh. Heraufwürgen von Nahrung, Wiederkauen
• Variante a) gestörte Bindungsentwicklung,
Deprivation, Vernachlässigung, oft psych.
auffällige Mütter; meist komplexe psych.
Komorbidität
• Variante b) Selbststimulation, oft bei mentaler
Retardierung, stereotyp
• Variante c) posttraumatisch (nach gastronasaler
Sondierung, OP etc.)
• Therapie abhängig vom Schweregrad:
Beeinflussung der Mutter-Kinder-Interaktion
bei schwerer Deprivation evtl. Fremdplazierung
Formen der Fütterstörung:
2. Pica (ICD-10 F 98.3)
• wdh. Verzehr nicht essbarer Substanzen
> 2x wchtl., > 1 Monat
• Ausschluss andere psych. Störung
• Entwicklungsalter > 2 Jahre
• Essverhalten ist nicht Teil eines kulturellen
Brauchs
Gegessen werden u.a. Haare, Textilien, Bindfäden,
Exkremente, Sand, Insekten, Blätter, Steine,
Müll,…
Risiko somatischer Folgeprobleme (Intoxikation,
Infektion, Obstipation)
Gehäuft bei geistig behinderten oder
vernachlässigten Kindern
Fütterstörung
• oft stationäre Einweisungen wegen Gedeihstörung
=> diagn. Abklärung, Ausschluss organischer
Ursachen
• ca. 50 % aller Fälle sind Fütterstörungen, d.h.
Ausdruck interaktioneller Probleme
• (partielle) Nahrungsverweigerung, Machtkämpfe ums
Essen, überlange Mahlzeiten, emotionale Beteiligung
• teilweise bedrohliche Gewichtsentwicklung:
Epidemiologie Fütterstörungen
• jedes 3. Elternpaar kennt Fütterprobleme bei
gesundem Kind
• in unausgelesenen Populationen 3-10 % schwere,
persistierende Fütterprobleme
• Gedeihstörungen 3-4 %, übrige Fälle normales
Gedeihen
• alle Sozialschichten betroffen
• z.T. prolongierte Verläufe (N.R., 9 Jahre)
⇒Frühintervention wichtig (Kinderarzt, Hausarzt)
Teufelskreis Fütterstörung
Nahrungsverweigerung
Fehlende
Bereitschaft
zum Essen,
Autonomie
Mütterliche
Ängste/
Schuldgefühle
Dysfunktionale
Interaktion
Verstärktes
Nahrungsangebot
Zwang
Mütterl.
Kognition:
Verhungern droht!
Kind muss essen!
Fütterstörung: Ätiologie
• Kindliche Faktoren: Unreife, Frühgeburt,
Selbstregulationsstörungen, leichte
entwicklungsneurologische Auffälligkeiten,
frühe hyperkinetische Störungen, organische
Erkrankung (< 10 %), aversive Behandlung (Sonde,
Operation => posttraumatische Fütterstörung)
• unsichere, unerfahrene, ängstliche Eltern
• geistige Behinderung der Eltern
• psychisch kranke oder psychosozial belastete Eltern
(z.B. postpartale Depression, Essstörung der Mutter!)
• Deprivation:
Kindesvernachlässigung, -misshandlung
(=> psychosoziale(r) Gedeihstörung/Minderwuchs)
• unsichere, desorganisierte Bindung
Fütterstörung: Therapie
Richtet sich nach dem Schwerpunkt der Störung
(Kind-Eltern-Milieu):
• kinderpsychosomatische Liaisondienste
• Mutter-Kind-Behandlungen
cave: Trennungen im Säuglings-/Kleinkindalter
problematisch!
• Eltern-Kind-Therapie (=>videogestützte
Interaktionsbeobachtung):
z.B. Sprechstunden für Schreibabies
• Modifikation des Fütterns einschl. der
Rahmenbedingungen
• entwicklungspsychologische Beratung
• soziale Hilfen und PT der Bezugspersonen nach
Bedarf
Zusammenfassung
Essstörungen von Kindern und Jugendlichen
manifestieren sich entwicklungstypisch:
=> als Fütterstörung im frühen Kindesalter,
=> als Anorexie im Übergang vom Kindesalter in die
Adoleszenz,
=> als Bulimie im Übergang vom Jugend- ins
Erwachsenenalter
Sie sind in der Regel Teil einer komplexen
Symptomkonstellation aus individuellen und
familiären Auffälligkeiten auf dem Hintergrund von
Milieueinflüssen.
Sie tendieren zur Persistenz und sollten daher so früh
wie möglich behandelt werden, um sekundäre
Störungen der körperlichen, geistigen und
emotionalen Entwicklung zu begrenzen.
In der Behandlung ist in der Regel eine multimodale
Therapie (Mehrebenenansatz) erforderlich.
Weitere Informationen
• Behandlungsleitlinie:
www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/ll_kjpp.htm
• Gerlinghoff M.: Magersüchtig. Eine Therapeutin und
Betroffene berichten. 2002.
• Gerlinghoff M., Backmund H.: Essen will gelernt sein. EssStörungen erkennen und behandeln. 2000.
• Selbsthilfe: www.magersucht.de
• Papousek M., Schieche M., Wurmser H. (Hrsg.).
Regulationsstörungen der frühen Kindheit. Huber 2004.
• Stern D.: Die Mutterschaftskonstellation. Stuttgart, KlettCotta 1998.
• Eggers C., Fegert J.M., Resch F. (Hrsg.): Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Springer,
Heidelberg 2004.
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