1 Theorie: Legierungskunde 1.1 Thermodynamik

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Werkstoffe und Fertigung I, HS 2015
Seminarübung 4
Prof. Dr. K. Wegener
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Legierungskunde
Theorie: Legierungskunde
Eine Legierung besteht aus der Mischung eines Metalls mit einem oder mehreren anderen Metallen oder Nichtmetallen. Die verschiedenen unabhängigen Bestandteile werden Komponenten
(Elemente oder chemische kovalent gebundene Verbindungen, sogenannte intermetallische Verbindungen) genannt. Bereiche einer Legierung, die gleiche physikalische und chemische Eigenschaften
und den gleichen strukturellen Aufbau haben, werden als Phasen bezeichnet. Phasenumwandlungen sind Übergänge vom festen in den flüssigen Zustand (oder umgekehrt) und Umwandlungen
des Kristalltyps.
Ein Kristall, der aus mehreren Komponenten besteht, wird Mischkristall (MK) genannt (Mischkristall 6= Kristallgemisch - Mischung von mindestens zwei Phasen verschiedener Kristalle).
Eine intermetallische Verbindung (Phase) hingegen ist ein Kristall, der nicht im Gittertyp einer
der beiden Komponenten kristallisiert, sondern einen eigenen, für die Verbindung typischen Gitteraufbau hat. Der Bindungscharakter ist eher kovalent. Eine intermetallische Verbindung ist somit
eine Phase, aber auch eine Komponente.
Unter Gefüge versteht man die Anordnung von Gitterbaufehlern, die nicht im thermodynamischen
Gleichgewicht sind. Dazu gehören Korngrenzen, Phasengrenzen oder Versetzungsstrukturen. Im
Allgemeinen ist Gefüge alles, was unter dem Lichtmikroskop im Schliffbild erkennbar ist. Die Gefügestruktur ist für die Eigenschaften der Legierung hauptverantwortlich. Durch die Anteile einer Legierung lässt sich die Gefügestruktur beeinflussen.
1.1
Thermodynamik
Die Thermodynamik spielt in der Legierungskunde und bei der Entstehung von Gefügestrukturen
eine wichtige Rolle. Daher müssen einige Grundbegriffe und Zusammenhänge der Thermodynamik zusammengestellt werden:
Ein System befindet sich im Gleichgewicht, wenn sich keine der Zustandsgrössen (z. B. Temperatur, Druck oder Gehalt) mehr ändert. Zustandsänderungen sind häufig mit einem Verlust oder
Gewinn an “Energie” verbunden. Der Antrieb bei allen atomaren Umlagerungen in Richtung eines
Gleichgewichtszustandes ist das Prinzip vom Minimum der freien Enthalpie. (Derjenige Zustand mit
der kleinsten freien Enthalpie “setzt sich durch”.)
Beispiel: Eine Kugel in einer Schale sucht sich den energetisch günstigsten Zustand und kommt am
tiefsten Punkt der Schale zum Stillstand. Das System aus Kugel und Schale ist an diesem Punkt im
Gleichgewicht. Ebenso suchen sich einzelne Atome den jeweils stabilsten Zustand.
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1.2
Legierungskunde
Grundlagen
Bezeichnung der Gehalte:
y
wx
in was?
von was?
wKA
• Komponentengehalt in der Legierung:
wKB
Bestimmung: Vertikal der Legierung bis Raumtemperatur folgen und ablesen
β
Berechnung: wKA = wαA · wαK + w A · wKβ
• Komponentengehalt in der Phase:
wKB = 1 − wKA
wαA
wαB
β
wA
β
wB
Bestimmung: Isotherm bis zur jeweiligen Phasengrenze folgen und am Schnittpunkt vertikal
bis Raumtemperatur gehen und ablesen
• Phasengehalt in der Legierung:
wαK
wKβ
Bestimmung: Anwenden des Hebelgesetz an den Phasengrenzen
Gibbs’sches Phasengesetz:
P+F = K+1
P: #Phasen; F: #Freiheitsgrade; K: #Komponenten
(gilt für konstanten Druck) Freiheitsgrade sind unbestimmte Zustandsgrössen.
Gesetz der wechselnden Phasenzahl: Die Phasenzahl aufeinanderfolgender Gleichgewichtszustände ist immer um eins verschieden. Es gibt keine Phasenübergänge, an denen die Phasenzahl um mehr oder um weniger als eins springt. (Ausnahme: Eutektischer oder Peritektischer
Punkt)
1.2.1
Phasenräume (für Zweistoffschaubilder K = 2)
• Einphasenraum: Eine Phase liegt vor. Temperatur und Gehalt sind (begrenzt) frei wählbar.
Im Einphasenraum fallen die Zustandspunkte der Phase und der Legierung zusammen.
• Zweiphasenraum: Es liegen zwei Phasen gemeinsam im Gleichgewicht vor. Nur eine Zustandsgrösse ist frei wählbar. Wird beispielsweise die Temperatur gewählt, sind die Komponentenund Phasengehalte von ihr bestimmt.
Hebelgesetz:
wαK =
b
a+b
wKβ =
a
a+b
(abgewendeter Hebelarm) (Beispiel in Abb. 1.5)
• Dreiphasenraum: Es liegen drei Phasen gemeinsam im Gleichgewicht vor. Temperatur und
Gehalt sind im vornherein bestimmt. Es vollzieht sich entweder eine eutektische/peritektische
(aus Schmelze) oder eutektioide/peritektiode (aus Kristall) Umwandlung.
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1.3
Legierungskunde
Zustandsdiagramme
Die Stabilitätsbereiche von Phasen werden in Abhängigkeit von Gehalt und Temperatur (Druck
in Metallurgie immer konstant) im sogenannten Zustandsschaubild dargestellt. Diese Gleichgewichtsdiagramme gelten für eine so langsame Abkühlung, dass sich bei jeder Temperatur das
thermodynamische Gleichgewicht einstellen kann. Viele Legierungen bestehen aus zwei Komponenten. Ihr Verhalten bei verschiedenen Temperaturen und Gehalten wird im Zweistoffschaubild
dargestellt.
Das Schaubild kann entlang einer Isothermen (waagrecht) oder entlang einer Gehaltsline (senkrecht)
gelesen werden. Es gibt verschiedene Grundtypen des Zustandsdiagramms.
In Abb. 1.5 ist ein Zweistoffschaubild, in dem
sich die Stoffe vollständig ineinander lösen,
dargestellt. Deswegen existiert nur eine feste Phase α. Völlige Mischbarkeit tritt immer
dann ein, wenn beide Komponenten im gleichen Kristallsystem kristallisieren, die Atomradien ähnlich sind und die Komponenten keine intermetallischen Verbindungen eingehen.
Abbildung 1.1: Unbeschränkte
Löslichkeit von A und B
Nachfolgend sind zwei Schaubilder für begrenzte Löslichkeit im festen Zustand dargestellt (in der
Schmelze ist die Mischung vollständig). Charakteristisch für die eutektische Erstarrung (Abb. 1.2)
ist ein ähnlicher Schmelzpunkt der beiden Komponenten. Bei der peritektischen Erstarrung (Abb. 1.3)
liegen die Schmelztemperaturen der beiden reinen Komponenten weiter auseinander.
Abbildung 1.3: Peritektische Erstarrung
Abbildung 1.2: Eutektische Erstarrung
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Umwandlungen:
Legierungskunde
1 Phase zu 2 Phasen
2 Phasen zu 1 Phase
eutektische/peritektische Umwandlung
S → αe + β e
S + α pr → β p
eutektoide/peritektoide Umwandlung
γ → αed + β ed
γ pr + α pr → β pd
Sekundäre Ausscheidungen entstehen, wenn eine Legierung abgekühlt wird und sich die Löslichkeit der Komponenten in den einzelnen Phasen ändert. Der Mischkristall ändert also seine
Zusammensetzung. Beispielsweise scheidet in eine Legierung aus 50% A und 50% B in Abb. 1.2 nach
Unterschreitung der eutektischen Temperatur bis zur Raumtemperatur aus dem α-MK die Komponente B aus bzw. aus dem β-MK die Komponente A. Die Löslichkeit der Komponenten in den Mischkristallen sinkt also. Diese Ausscheidungen bilden neue Mischkristalle z. B. die Komponente B aus
MK-α ausgeschieden bildet die Grundlage für den MK-β diesen nennt man dann MK-β I I bzw. MKβ sek .
1.4
Mengendiagramm
Sind die Anteile der verschiedenen Phasen an der Legierung (für eine bestimmte Temperatur) von
Interesse, wird ein Mengendiagramm zu Hilfe genommen. Die Schnittpunkte der Isotherme bei der
gewünschten Temperatur mit den Phasengrenzen kennzeichnen die Phasenanteile, diese lassen sich
dann prozentual von der X-Achse ablesen. Für das Bestimmen der Komponetenanteile der verschiedenen Phasen gilt wiederum das Hebelgesetz.
1.5
Abkühlungskurve
Die Abkühlungskurve zeigt den zeitlichen Temperaturverlauf einer Legierung von der Schmelze bis zum Festkörper
bei Raumtemperatur. Die Steigung der Abkühlungskurve ändert sich, zeitweise verläuft die Kurve sogar Horizontal. Im Zweiphasengebiet wird diejenige Energie frei,
welche beim Schmelzen aufgewendet wurde (Kristallisationswärme), deswegen verlangsamt sich die Abkühlung
(Knickpunkt). Wird ein Dreiphasenraum oder ein singulärer Punkt durchquert, entsteht ein Haltepunkt. Das heisst,
die Temperatur verweilt auf konstantem Niveau (Schmelztemperatur), bis sich alles umgewandelt hat oder erstarrt
ist (Beispiel in Abb. 1.4).
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Abbildung 1.4: Abkühlung
der reinen Komponente A
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1.6
Legierungskunde
Übersicht
Abbildung 1.5: Zweistoffschaubild - Übersicht
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Legierungskunde
Wahr oder Falsch?
(a) Einzelne Kristallite (auch Körner genannt) stossen an den Korngrenzen zusammen. Ein
Kristallit ist im Mittel quasi isotrop (richtungsunabhängig).
(b) Wenn in einem Material in einer Raumrichtung bestimmte Ausrichtung der Kristallite bevorzugt vorkommt, so nennt man dies eine Textur des Materials.
(c) Hindernisse für Versetzungen sind nur die zweidimensionalen Gitterfehler, also Stapelfehler
und Korngrenzen.
(d) Die Arrhenius-Funktion beschreibt, wie Leerstellen bei schlagartiger Temperaturänderung
erzeugt oder vernichtet werden.
(e) Eine Leerstelle ist eine Gitterposition, die nicht mit einem Atom besetzt ist. Sie lagert sich
bevorzugt auf der Zugseite von Versetzungen an.
(f) Der wahrscheinlichste Burgersvektor ist der kürzeste, weil er die kleinste Versetzungsenergie
benötigt.
(g) Gleiten findet ausschliesslich auf dichtest gepackten Ebenen statt.
(h) Ein Material mit einer tiefen Stapelfehlerenergie eignet sich zum Tiefziehen, da die Stapelfehler klein bleiben und das Material sich so gleichmässig und fehlerfrei verformt.
(i) Eine Versetzung bewegt sich immer in Richtung der wirkenden Schubspannung
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Legierungskunde
Aufgaben für die Übungstunde
3.1
Erstarrungsgefüge
Zeichnen Sie in Abb. 3.1 für Raumtemperatur und die angegebenen Legierungen Gefüge, wenn die
Gefüge der reinen Komponenten wie abgebildet aussehen.
Abbildung 3.1
3.2
Gehalte
Geben Sie für die Legierung K des abgebildeten Zweistoffsystems in Abb. 3.2 bei der Temperatur T1
an:
a) Welche Phasen liegen vor?
b) Wie gross sind die Anteile der Phasen in der Legierung? Wie gross ist der Anteil der Komponenten in den einzelnen Phasen?
c) Geben Sie den Komponentengehalt der Legierung an und rechnen Sie mit den zuvor ermittelten Phasengehalten nach.
d) Zeichnen Sie für Raumtemperatur und die angegebenen Legierungen Gefüge, wenn die
Gefüge der reinen Komponenten wie in Abb. 3.2 abgebildet aussehen.
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Abbildung 3.2
3.3
Abkühlungskurven, Phasengesetz
a) Zeichnen Sie für die Legierungen K1 , K2 und K3 im gegebenen Zweistoffsystem A, B die
Abkühlungskurven und beschriften Sie diese. (Abb. 3.3)
b) Erläutern Sie die Vorgänge mit dem Gibbs’schen Phasengesetz und mit dem Gesetz der wechselnden Phasenzahl.
Abbildung 3.3
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3.4
Legierungskunde
Mengendiagramm
Zeichnen Sie für das gegebene Zweistoffsystem Mengendiagramme in Abb. 3.4 ein:
a) für die Phasen für die Temperatur T1 .
b) für die Phasen für die Temperatur Te − 1 ◦C.
c) für die Phasen für die Temperatur T2 .
d) für Gefügeanteile für die Temperatur Te − 1 ◦C.
Abbildung 3.4
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3.5
Legierungskunde
Konstruktion Zweistoffsystem
Konstruieren Sie aus den Angaben (Schmelzpunkte von A und B, Mengendiagramm bei T1 , allotrope Umwandlung bei T2 , eutektische Gerade bei T3 ) ein vollständiges Phasendiagramm und beschriften Sie es vollständig. Alle Phasengrenzlinien können als Geraden approximiert werden. Wo nicht
anders definiert, gibt es keine Änderung der Löslichkeit im festen Zustand.
Abbildung 3.5
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4.1
Legierungskunde
Hausaufgaben
Peritektikum
Zeichnen und beschriften Sie für das nachstehende Zustandsschaubild in Abb. 4.1 die Abkühlungskurven bei den angegebenen Legierungen.
Abbildung 4.1
4.2
Konstruktion Zweistoffsystem
Zeichen und beschriften Sie ein Zweistoffsystem der Komponenten A und B in Abb. 4.2 mit den folgenden Angaben:
• Schmelztemperatur
– Ts A =
800◦ C
– Ts B = 900◦ C
• Bei Raumtemperatur
–
WAα
= 90%
• Eutektikum bei 600◦
– WAα = 80%
β
– WA = 30%
β
– WA = 20%
11
– 40%β und 60%α
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Legierungskunde
Abbildung 4.2
4.3
Zweistoffsystem
a) Beschriften Sie in Abb. 4.3 das Zweistoffschaubild A,B mit den folgenden Angaben:
• Ein- und Zweiphasenräume
• Dreiphasenräume eutektisch oder peritektisch
• Schmelztemperaturen der reinen Komponenten.
Geben Sie für die Legierung K bei der Temperatur T1 an:
b) Phasengehalt (Gehalt an A und B in den Phasen)
c) Gehalt der Phasen in der Legierung K
d) Komponentengehalt der Legierung
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Abbildung 4.3
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