Geschichten aus der Geschichte - Die

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Geschichten aus der Geschichte - Die Varusschlacht
Ein Film von Georg Wieghaus
Beitrag: Volker Eklkofer & Simon Demmelhuber
Inhalt
"Hermann" der Cherusker
Die berühmte Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr.
ist nach dem Verlierer, einem römischen Feldherrn, benannt. Der Gewinner heißt Arminius, der
später als "Hermann" eingedeutscht wird. Seinen
germanischen Namen kennen wir nicht, das Wissen über ihn beruht ausschließlich auf römischen
Quellen.
Der um 17. v. Chr. geborene Sohn eines Cheruskerfürsten kommt in jungen Jahren nach Rom.
Sein Stamm, dessen Siedlungsraum vom Quellgebiet der Lippe bis über die Elbe nach Osten
reicht, hat sich mit den Römern arrangiert. Die
Führungsschicht erhält Privilegien und darf ihre
Kinder zur Ausbildung in die Metropole am Tiber
schicken. Arminius schlägt die Soldatenlaufbahn
ein. Er kämpft in Pannonien und Illyrien und
macht Karriere als Offizier. Wegen seiner Verdienste erhält Arminius die Ritterwürde und das
römische Bürgerrecht. Schließlich wird er in seine
Heimat zur Truppe des Varus abkommandiert,
um das Kommando über dessen germanische
Hilfseinheiten zu übernehmen.
Blutiges Gemetzel in den
Wäldern Germaniens
Varus soll das Land zwischen Rhein und Elbe zur
römischen Provinz ausbauen. Indem er römischem Recht kompromisslos Geltung verschafft,
sorgt er für Konfliktstoff. Arminius schlägt sich auf
die Seite des Widerstands.
© Bayerischer Rundfunk
In einem entlegenen Gebiet gaukelt er einen Aufstand vor, Varus
wird in einen Hinterhalt
gelockt,
seine schwer bewaffneten Legionen, über 10.000
Mann,
werden
vernichtet. Der römische Befehlshaber stürzt sich
in sein Schwert. Römische Rachefeldzüge folgen,
nach wechselvollen Kämpfen ziehen sich die Römer 16 n. Chr. hinter den Rhein zurück. Arminius
wird im Alter von 37 Jahren von Verwandten ermordet.
Ein Mythos entsteht
Die Varusschlacht gilt als historischer Wendepunkt. Hätten die Römer Germanien tatsächlich
romanisiert, hätte sich Völkerwanderung nicht in
der bekannten Wucht entladen, die deutsche
Sprache wäre nicht entstanden. Die Revolte gegen die römische Besatzung wird in der deutschen Geschichte immer wieder zum „Nationalaufstand“ hochgejubelt. "Hermann" steigt zum
gefeierten Identifikationsobjekt, zum „Liberator
Germaniae“, auf. Martin Luther hat ihn „von hertzen lib“, Ulrich von Hutten präsentiert ihn als tugendhaften Befreier der Deutschen von der Tyrannei der Römer. In Heinrich von Kleists „Her1
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mannschlacht“ werden aus Germanen Preußen
und aus Römern Franzosen. Bei Detmold weiht
Kaiser Wilhelm I. 1875 ein wuchtiges, 27 Meter
hohes Hermannsdenkmal aus Bronze ein.
Die Nationalsozialisten nehmen sich dankbar des
Befreiers an und auch die Kommunisten verehren
ihn. Der Schriftsteller Ludwig Renn, SED-Mitglied
und Ehrenpräsident der ostdeutschen Akademie
der Künste, setzt dem Germanenführer mit den
Büchern „Herniu“ und „Herniu und Armin“ ein
Denkmal als antiimperialistischer Kämpfer.
Wo die Schlacht
tatsächlich
stattfand, bleibt fast
2.000 Jahre lang
im Dunkeln. Die
Sendung berichtet
über die aufwendige Suche nach
dem Schlachtfeld
und liefert Einblicke
in die Arbeit von
Archäologen und Historikern. Die Maske eines
römischen Legionärs bildet den Ausgangspunkt
der Nachforschungen.
Fakten
Germanien wird römische Provinz
Julius Cäsar (100 - 44 v. Chr.), der als erster
„die Germanen“ als eigenes Volk beschrieb, bemächtigte sich in den Jahren 58-51 v. Chr. Galliens. Er vertrieb germanische Sueben unter ihrem
Anführer Ariovist aus dem Gebiet des heutigen
Elsass und besiegte Usipeter und Tenkterer, die
über den Rhein nach Nordgallien gekommen waren. In den Jahren 55 und 53 v. Chr. überschritten römische Truppen im Rahmen von Einschüchterungsaktionen kurzzeitig den Rhein, ansonsten gab sich Cäsar mit seinen gallischen Eroberungen zufrieden. An einer Unterwerfung
rechtsrheinischer Gebiete hatte der Feldherr kein
Interesse.
© Bayerischer Rundfunk
Erst unter Augustus (63 v. Chr. –
14 n. Chr.), dem
ersten römischen
Kaiser,
begann
die Durchdringung
Germaniens. Entlang der Rheingrenze legten die
Römer befestigte
Kriegslager
an,
aus denen später
u. a. die Städte Worms, Speyer, Mainz und Köln
entstanden. Von diesen Stützpunkten und von
der Nordsee aus drangen die Legionäre des
Feldherrn Drusus, eines Stiefsohns des Augustus, im Jahre 12 v. Chr. auf germanisches Gebiet
vor. Drusus zog bei feucht-kühlem Wetter durch
dunkle Wälder, erreichte die Elbe und unterwarf
mehrere Stämme, darunter die Cherusker. Bei
der Rückkehr stürzte er 9 v. Chr. vom Pferd und
starb. Nun übernahm Tiberius, der Bruder des
Drusus, das Kommando. Mit einer Politik aus
Zuckerbrot und Peitsche – einerseits verhandelte
er mit Germanenhäuptlingen und schloss Bündnisverträge, andererseits führte er Militärschläge
– festigte er die Herrschaft der Römer. Tiberius
ließ Straßen bauen, Kastelle und Lager für seine
Truppen errichten. Die Wasserwege (Rhein,
Elbe, Weser, Zugang zur Nordsee) sicherten römische Kriegsschiffe. Im Jahre 6 n. Chr. galt das
Gebiet zwischen Rhein und Elbe als befriedet,
Germanien wurde zur vorläufigen Provinz erklärt.
Die meisten Einheimischen akzeptierten die Besatzer, Germanenhäuptlinge verkehrten bald in
den Stützpunkten als „Freunde der Römer“. Die
Situation beschreibt der Schriftsteller Cassius
Dio: „Die Römer hatten gewisse Teile Germaniens in Besitz (…), römische Soldaten lagen dort
in den Winterquartieren, und man begann mit der
Anlage von Städten. Die Germanen aber passten
sich den neuen Sitten an und gewöhnten sich
daran, Märkte abzuhalten und trafen sich zu
friedlichen Zusammenkünften“. Gehandelt wurde
vor allem mit Lebensmitteln und allerlei Gebrauchsgütern. Die Berichte des Cassius Dio
wurden von Historikern lange Zeit bezweifelt. Vor
allem im 19. Jahrhundert hatte man in Deutschland nur wenig Interesse an Informationen über
eine gedeihliche germanisch-römische Zusammenarbeit. Auch gab es keinerlei archäologische
Belege für die germanische Kollaboration.
Die Lage änderte sich, als Archäologen 1993 im
hessischen Waldgirmes nahe der Lahn – also
weit rechts des Rheins – die Reste einer römischen Siedlung entdeckten. Gefunden wurden
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auch wertvoller Schmuck und Teile einer Reiterstatue. Das Holz einer Brunnenverkleidung weckte das Interesse der Forscher und es stellte sich
heraus, dass es um Christi Geburt geschlagen
worden war. Nach weiteren Grabungen bestand
kein Zweifel mehr: Waldgirmes war kein schlichter Militärstützpunkt, wie zunächst vermutet, sondern eine veritable Römerstadt, angelegt am
Schnittpunkt wichtiger Fernstraßen. Der Ort, der
vielleicht als Verwaltungszentrum diente, war gut
befestigt und verfügte über Prachtbauten. Das
Forum schmückte eine vergoldete Statue des Imperators Augustus. Nach Schätzungen wohnten
etwa 2.000 Menschen in der Stadt. Dass die Germanen im Raum Waldgirmes gut mit den Römern auskamen, belegen Keramikfunde. Germanische und römische Töpferarbeiten lagen nebeneinander, vermutlich wurden sie gemeinsam
genutzt oder auf dem Markt gehandelt.
Im Jahre 7 n. Chr. übergab Tiberius das Kommando an einen Mann, der in Syrien Verwaltungserfahrung gesammelt hatte und reich geworden war: Publius Quintilius Varus. „Arm
kam er in ein reiches Land“, spottete der Offizier
Velleius Paterculus über die Aktivitäten des Varus in Vorderasien, „reich verließ er ein armes
Land“. Militärische Verdienste hatte der neue
Statthalter kaum vorzuweisen, aber er war mit einer Großnichte des Kaisers verheiratet und verfügte über beste Beziehungen. Ihm war es wichtig, die Kolonisierung voranzutreiben, die Ertragskraft der Provinz Germania zu erfassen, römische
Gesetze zur Anwendung zu bringen und Steuern
zu erheben.
Gegenüber den Einheimischen soll sich der
selbstbewusste Varus herablassend gegeben haben. Cassius Dio berichtet: „Er erteilte ihnen nicht
nur Befehle, als seien sie Sklaven der Römer,
sondern er forderte auch Geld, als seien sie unterworfene Völker“. Varus fühlte sich sicher, denn
er verfügte über fünf Legionen. Zwei Legionen lagen in Mogontiacum (Mainz), drei waren während
des Sommers bei Minden an der Weser, im Winter bei Haltern an der Lippe stationiert.
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te auch ein Junge namens Arminius, um 17. v.
Chr. als Sohn des Cheruskerfürsten Segimer geboren, nach Rom gelangt sein. Arminius wurde
zum Soldaten ausgebildet. Er kämpfte unter Tiberius in Pannonien und Illyrien und machte Karriere als Offizier. Der Historiker Tacitus beschreibt ihn als „stark, heißblütig und von weit rascherem Verstand, als üblicherweise Barbaren
sind“. Wegen seiner Verdienste erhielt Arminius
die Ritterwürde und das römische Bürgerrecht.
Schließlich wurde er zur Truppe des Varus abkommandiert, um das Kommando über dessen
germanische Auxiliarkohorten zu übernehmen.
Als Arminius in Germanien eintraf, gärte es im
Land. Der Stammesadel war tief gespalten: Ältere Würdenträger standen auf Seiten der Besatzer. Sie respektierten die zivilisatorische Überlegenheit der Römer und versuchen ihre Position
mit deren Hilfe zu festigen. Zahlreiche junge Adelige gingen zunehmend auf Distanz – vor allem
als Varus begann, Steuern einzutreiben, Recht zu
sprechen und Zahlungsunwillige verhaften zu lassen. Vor allem die Steuerpflicht empfanden freiheitsliebende Germanen als tiefe Beleidigung,
Abgaben dieser Art kannten sie nur für Unfreie.
Der Riss ging auch durch die Familie des Arminius. Während sein Onkel Segestes, der ihm die
Hand seiner Tochter Thusnelda verweigerte, die
Römer unterstützte, entschloss sich Arminius,
einen Aufstand gegen die Besatzer anzufachen.
Heimlich organisierte er über Monate hinweg eine
Streitmacht aus Cheruskern, Chatten, Marsern
und Brukterern.
Im Jahre 9. n. Chr. bezog Varus mit der 17., 18.
und 19. Legion das Sommerlager an der Weser.
Die Truppe trat im September den Rückmarsch
zu den Winterquartieren am Rhein an.
Die Varusschlacht
Die vom Feldherrn Drusus unterworfenen Cherusker waren ein Stamm, dessen Siedlungsgebiet
vom Quellgebiet der Lippe bis über die Elbe nach
Osten reichte. Die Cherusker arrangierten sich
mit den Römern, ihre Führungsschicht erhielt Privilegien, im Gegenzug stellte sie Geiseln und Hilfstruppen. Loyale Stammesführer durften ihre Kinder zur Ausbildung nach Rom schicken. So könn© Bayerischer Rundfunk
Dass Varus einen anderen Weg als beim Hinmarsch wählte, arrangierte Arminius. Der Kommandeur der germanischen Hilfstruppen, der das
Vertrauen des Varus besaß, lancierte Nachrichten von einem angeblichen Aufstand im Hinterland und verleitete den Feldherrn dazu, durch unwegsames Gelände, eine Senke zwischen einem
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Moor und einer Anhöhe, zu marschieren. Eine
Warnung des Segestes vor den Aufständischen
schlug Varus, der Familienstreitigkeiten vermutete, in den Wind.
Arminius wusste, dass das römische Heer in
dichtem Wald, auf engen Wegen und auf morastigem Boden nur einen Bruchteil seiner eigentlichen Kampfkraft besaß. In einer offenen Feldschlacht hätten weder die germanischen Stammeskrieger, noch die Hilfstruppen eine Chance
gegen die disziplinierten, gepanzerten und bestens bewaffneten römischen Legionäre gehabt.
Im Sumpfgebiet und im dichten Wald waren sie
jedoch im Vorteil.
In einer langen Kolonne bewegten sich nach
neuesten Schätzungen 10.000 bis 15.000 Legionäre, beladen mit Schilden, Speeren, Schwertern
und Marschgepäck. Begleitet wurden sie von einer Reitertruppe. Ihnen folgte ein langer Tross,
bestehend aus Handwerkern, Ärzten, Köchen,
Landvermessern, Frauen, Kindern und Sklaven.
Die Zuglänge betrug etwa 15 bis 25 Kilometer.
Arminius, der die Legionen begleitete und mit seinen Hilfstruppen für Aufklärung und Flankenschutz zuständig war, entfernte sich unter einem
Vorwand. Plötzlich wurden die Römer aus dem
Hinterhalt von Germanenkriegern, darunter die
Hilfstruppen des Arminius, attackiert. Die Legionäre wehrten die Angriffe ab und marschierten
weiter, doch die Kolonne wurde mehr und mehr
auseinander gezogen. Es begann zu regnen, die
Wege wurden morastig.
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Drei Tage und zwei Nächte dauerte die blutige
Schlacht, die Römer wurden vernichtend geschlagen. Die meisten Soldaten und die Angehörigen
des Trosses wurden massakriert, einige versklavt, hohe Offiziere endeten als Menschenopfer. Die Germanen plünderten das Schlachtfeld
und schändeten die Toten. Varus stürzte sich ins
Schwert, um der Gefangenschaft zu entgehen.
Der Versuch, den toten Varus zu verbrennen,
scheiterte. Germanen schlugen seinen Kopf ab
und Arminius schickte ihn an seinen Rivalen, den
Markomannenführer Marbod, der an der
Schlacht nicht teilgenommen hatte. Die Trophäe
war als Anregung gedacht, endlich der Erhebung
beizutreten. Marbod gab das Haupt des Varus jedoch an Augustus weiter, der es im Familiengrab
beisetzen ließ.
In Rom reagierten die Menschen, die ihre Legionen für unbesiegbar gehalten hatten, schockiert.
Als Augustus die Nachricht erreichte, soll er gerufen haben: „Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!“ Fortan verbrachte er den Jahrestag
der Niederlage mit Schweigen und Fasten. Auf
eine Neuaufstellung der 17., 18. und 19. Legion
verzichtete der Kaiser. Er ließ die Nummerierungen aus dem Armeeregister streichen. Jahre später zog der römische Offizier Velleius Paterculus, ein nüchternes Fazit der Ereignisse: „Eingeschlossen in Wälder und Sümpfe, in einem feindlichen Hinterhalt, wurden sie Mann für Mann abgeschlachtet, und zwar von demselben Feind,
den sie ihrerseits stets wie Vieh abgeschlachtet
hatten, dessen Leben und Tod von ihrem Zorn
oder ihrem Mitleid abhängig gewesen war“.
Wie kam es zur Varusschlacht?
Die kleinste Steigung wurde zum Problem, die
schweren Trosswagen ließen sich kaum mehr
bewegen. Immer wieder schleuderten die Angreifer Speere in die Menschenmenge, die Verluste
stiegen. Schnell griffen die Germanen an,
schnellzogen sie sich wieder zurück. Schließlich
stießen die Römer auf einen Erdwall, von dem
die Feinde herunterschossen und -stürmten. Eine
Umkehr war nicht mehr möglich.
© Bayerischer Rundfunk
Vermutlich hatte sich Varus nur unzureichend auf
seine Aufgabe als Statthalter in Germanien vorbereitet. Von seinem Taktgefühl und seinem Verständnis für die einzelnen Stämme, vom Wissen
über ihre Bräuche und Eigenheiten hing es ab, ob
die Kolonisierung erfolgreich verlaufen würde.
Nach seinem Amtsantritt forcierte Varus die Einführung der römischen Verwaltung. Er konfrontierte die Einheimischen mit römischen Vorschriften und forderte Tributzahlungen. Verbündete behandelte Varus wie Unterworfene.
Zunehmender Steuerdruck, Städtebau und die
Anwerbung junger Männer für den Militärdienst
überforderten viele Germanen. Varus glaubte, mit
römischem Recht Streitigkeiten zu vereinfachen,
doch mit seinen Urteilen und Verhaftungen sorgte
er zunächst für Befremden, dann für Unmut unter
der Bevölkerung.
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Der selbstbewusste Varus ließ den Menschen
keine Zeit, sich in die neuen Verhältnisse einzufinden und überforderte sie.
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näre Stimmung herrschte. Beste Vorraussetzungen also, den Traum vom geeinten Germanien in
Angriff zu nehmen und die eigene Machtstellung
auszubauen.
Ein weiterer Fehler des Varus dürfte gewesen
sein, dass er nur mit Germanen verkehrte, die
sich für eine Zusammenarbeit mit den Römern
entschieden hatten. Manche waren – wie Arminius – in Rom erzogen worden, sie sprachen Latein
und genossen die Vorzüge der römischen Zivilisation. So erkannte Varus nicht, dass sich die traditionellen Stammesverbände zunehmend in Gewinner und Verlierer der Romanisierung spalteten
und sich bei Teilen der Bevölkerung Aufruhrstimmung breit machte. Zum latenten Freiheitsdrang
und zur Empörung über die Besatzer gesellte
sich der Neid auf den Reichtum der Römer und
den Wohlstand der Kollaborateure.
Zugute halten muss man Varus, dass er versuchte, zivile Strukturen in der germanischen Provinz
zu errichten. Die Funde im hessischen Waldgirmes belegen dies. Zumindest im Raum Waldgirmes kamen Römer und Germanen gut miteinander aus und trieben Handel. Ob der Aufstand unter einem anderen Statthalter ebenfalls ausgebrochen wäre, lässt sich heute nicht mehr beantworten.
Entschlossen führte Arminius den Aufstand 9 n.
Chr. zum Erfolg. Auch in den folgenden Auseinandersetzungen mit Tiberius und Germanicus behauptete er sich als ebenbürtiger Gegner. Es
zeigte sich, dass die Varusschlacht kein Zufallserfolg war. Der Traum des Arminius von einem
geeinten Germanien erfüllte sich jedoch nicht, er
fiel einer Familienintrige zum Opfer.
Über die Gründe des sechsundzwanzigjährigen
Arminius, an die Spitze der Revolte zu treten,
kann man nur spekulieren. Vielleicht empörte er
sich über die Selbstherrlichkeit der römischen Besatzer und ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen
seine Landsleute. Vielleicht ärgerte es ihn auch,
dass die römischen Militärs seine germanischen
Hilfstruppen schlecht bezahlten und ihnen mit offenkundiger Überheblichkeit begegneten. Möglicherweise wollte sich Arminius an seinem Onkel,
dem Römerfreund Segestes rächen, der ihm die
Tochter Thusnelda nicht zu Frau geben wollte.
Denkbar ist auch, dass Arminius nur ein junger
Draufgänger war, der die Wirkungskraft seines
Handelns zunächst gar nicht bedachte.
Kampf um Germanien
Vielleicht erkannte Arminius aber auch die einmalige Chance, die Römer zu vertreiben, die germanischen Stämme zu einen und ein germanisches
Reich unter seiner Führung zu errichten. Arminius
kannte die Gewohnheiten des Varus, der ihm vertraute, genau. Er wusste, dass es dem Statthalter
an Vorsicht mangelte, dass er sich selbst und seine Truppen überschätzte. Als römischer Offizier
war Arminius mit den Stärken und Schwächen
der Armee bestens vertraut. Und es entging ihm
nicht, dass es in Teilen der germanischen Bevölkerung brodelte, vor allem aber unter den „jungen
Wilden“, den Adelssprösslingen, eine revolutio-
© Bayerischer Rundfunk
Nach seinem Sieg griff Arminius sofort die Festung Aliso an. Er belagerte die Garnison, doch die
Besatzung durchbrach in einem nächtlichen Ausfall den Umklammerungsring und entkam. Augustus befahl einen Gegenschlag. Er schickte Tiberius 10 n. Chr. wieder an den Rhein und ließ dessen Armee auf acht Legionen (ca. 50.000 Mann)
verstärken. Segestes, der Arminius die Entführung seiner Tochter Thusnelda nicht verzieh,
schloss sich den Römern an.
Ende 12 n. Chr. übernahm Germanicus, der
Sohn des Feldherrn Drusus, den Oberbefehl. In
den kommenden beiden Jahren verübten die
Truppen des Germanicus systematische Massaker an der Bevölkerung, aber auch die Verluste
der Römer waren hoch. Germanicus verwüstete
ganze Landstriche, doch Arminius, ein Meister
des beweglichen Partisanenkriegs, entkam immer wieder. Ein Nachteil der Guerillataktik war jedoch, dass Arminius beim schnellen Rückzug
Dörfer und Siedlungen ungeschützt lassen musste und die Bewohner Racheakten der Legionäre
ausgesetzt waren. Bei einer dieser Aktionen fiel
15. Chr. die schwangere Thusnelda in die Hände
der Römer. In der Gefangenschaft kam der Sohn
Thumelicus zur Welt.
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Als die Legionäre
des Germanicus sieben Jahre nach der
der Varusschlacht
an den Ort des Gemetzels gelangten,
fanden sie nur Gebeine und abgeschlagene Schädel.
Knochenreste hatten
Wildtiere im weiten
Umkreis verstreut. Die Römer trugen die Knochen zusammen und bestatteten sie in Massengräbern. Mehrere große Knochengruben haben
Archäologen bei Kalkriese nahe Osnabrück,
dem wahrscheinlichen Ort der Varusschlacht,
entdeckt. Bei Tacitus heißt es: „Und nun betraten
sie die Unglücksstätte, grässlich anzusehen und
voll schrecklicher Erinnerungen. Das erste Lager
des Varus wies an seinem weiten Umfang und
der Absteckung des Hauptplatzes auf die Arbeit
von drei Legionen hin. Dann erkannte man an
dem halb eingestürzten Wald und dem niedrigen
Graben, dass die zusammengeschmolzenen
Reste dort gelagert hatten. Mitten in dem Feld lagen die bleichen Gebeine zerstreut oder in Haufen, je nachdem die Leute geflohen waren oder
Widerstand geleistet hatten. Dabei lagen Bruchstücke von Waffen und Pferdegerippe, zugleich
fanden sich an den Bäumen angenagelte Köpfe.
In den benachbarten Hainen standen die Altäre
der Barbaren, an denen sie die Tribunen und die
Centurionen der ersten Rangstufe geschlachtet
hatten“.
Um über die Flüsse schnell ins Innere Germaniens vorzustoßen, wurde eine Flotte gebaut, die
Soldaten, Pferde und Ausrüstungsgegenstände
transportierte. Es sollen etwa 1.300 römische
Kriegsschiffe gewesen sein, die auf Ems, Elbe
und Weser fuhren. Mehrere blutige Schlachten
fanden statt, ein entscheidender Sieg gelang Germanicus jedoch nicht. Tiberius, seit 14 n. Chr.
Nachfolger des Augustus, brach Ende des Jahres
16 den Feldzug ab, obwohl Germanicus an einem
Ort Idisiaviso seinen Gegenspieler Arminius noch
einmal schlagen konnte. Städte wurden geräumt,
Stützpunkte aufgegeben. Die Römer zogen sich
an den Rhein zurück. Der Versuch, das Herrschaftsgebiet von der Rheingrenze zur Elbe auszudehnen, war gescheitert. Der Kaiser ließ Germanicus vom Senat zum „Bezwinger des Nordens“ erklären, gewährte ihm einen Triumphzug
und versetzte ihn in den Orient.
Nach dem Abzug der Römer brach zwischen den
Germanenstämmen ein Bürgerkrieg aus. Der
Markomannenführer Marbod, der schon an der
© Bayerischer Rundfunk
Varusschlacht nicht teilgenommen hatte, stellte
sich gegen Arminius. Er unterlag, wurde vertrieben und suchte Zuflucht bei Kaiser Tiberius. Ein
geeintes Germanien brachte Arminius nicht zustande, ein gemeinsamer politischer Wille entwickelte sich unter den Stämmen zu keiner Zeit. Im
Jahre 19 (oder 21) fiel Arminius einem Attentat
zum Opfer, die Mörder waren Verwandte. Arminius, dessen Befreiungsschlag gegen das Imperium Romanum Zehntausende das Leben gekostet
hatte, endete als tragischer Held.
Die Suche nach dem Schlachtfeld
Wo die Varusschlacht tatsächlich stattfand, blieb
fast 2.000 Jahre lang im Dunkeln. Mehrere Hundert Orte wurden von Historikern benannt, Beweise blieben die Forscher allerdings schuldig. Hartnäckig hielt sich aber die Auffassung, die Scharmützel hätten im Teutoburger Wald stattgefunden. 1885 vermutete Theodor Mommsen den
Ort der Schlacht bei Kalkriese, einem Ort nahe
Osnabrück. Als Beleg dienten dem berühmten Althistoriker Münzfunde, doch für eine schlüssige
Beweiskette fehlte Mommsen typisches Soldatengeld aus der Zeit des Augustus.
Die Erkenntnisse Mommsens ließen den Hobby-Archäologen Tony Clunn,
einen Offizier der britischen
Rheinarmee, nicht ruhen.
Clunn betrieb Luftbildarchäologie, flog über das
Wiehengebirge und versucht sich von oben ein Bild
über den Marsch der Römer
zu machen. In der Gegend um Kalkriese ließ er
sich von Bauern die Orte der Münzfunde zeigen.
1987 erhielt er den Lohn für seine Bemühungen:
Er fand einen römischen Silberschatz. Als er
auch noch Schleudergeschosse aus Blei entdeckte, begannen professionelle Flächengrabungen. Zusätzlich wurden Luftbilder ausgewertet.
Schließlich wurden die Archäologen fündig. Die
Erde gab Knochen, Schädel,
Waffen,
Rüstungsteile, Sandalen, Schreibutensilien, Pferdegeschirre, Münzen, Werkzeuge
etc. frei.
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Und als sich bei der Untersuchung der Geldstücke herausstellte, dass wohl keines nach dem
Jahre 9. n. Chr. geprägt wurde, war die Freude
groß. Erstmals hatten Wissenschaftler mit ausschließlich archäologischen Arbeitsverfahren ein
historisches Schlachtfeld lokalisiert.
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zahlreiche Kämpfer wurden mitsamt ihrer Ausrüstung darunter verschüttet. Zu den Funden unter
dem Wall gehört auch ein Maultier, dessen
Zaumzeug wertvolle Hinweise auf den Materialtransport der römischen Legionäre liefert. Die
Kalkrieser Münzfunde lassen den Schluss zu,
dass fliehende Römer ihren Besitz vergruben.
Vielleicht hofften sie auf spätere Rückkehr. Die
Germanen fanden die Schätze nicht.
Einige Forscher, darunter Reinhard Wolters, Professor für Alte Geschichte an der Universität Tübingen, zweifelten in den letzten Jahren trotz aller
Entdeckungen daran, dass Kalkriese tatsächlich
der Ort der berühmten Schlacht war. Skeptiker
bemängelten auch, dass nur wenige Schwerter,
Lanzen-/Pfeilspitzen etc. gefunden wurden, doch
dies lässt sich wohl mit dem Plünderungsverhalten der Germanen erklären, die die Waffen nach
der Schlacht einsammelten.
Etwa 6.000 Objekte wurden im Laufe der Zeit zutage gefördert. Sogar den Wall, an dem die Römer gestoppt wurden, glauben die Archäologen
gefunden zu haben. Arminius und seine Männer
hatten ihn zwischen die Ausläufer des Wiehengebirges und des Moorgebiets gebaut. Vermutlich
stürzte der Wall noch während der Schlacht ein,
Für Kalkriese als Ort der Varusschlacht sprechen
neben der Vielzahl römischer Ausrüstungsgegenstände vor allem die Knochengruben/Massengräber, die genau zum Bericht des Tacitus passen.
Laut Tacitus fanden Truppen des Germanicus
sieben Jahre nach der Schlacht Gebeine, Schädel etc. und beerdigten sie. Untersuchungen ergaben, dass die Knochen von Kalkriese jahrelang
an der Oberfläche lagen, bevor man sie vergrub.
Didaktische Hinweise
Die Sendung kann im Geschichts- bzw. GSE-Unterricht ab der 6. Jahrgangsstufe eingesetzt werden.
Lehrplanbezüge (Bayern)
Hauptschule
GSE
6. Jahrgangsstufe
6.2 Römische Antike
6.2.1 Das römische Weltreich
- räumliche und zeitliche Ausdehnung
- Zusammenhalt des Reiches durch Militär, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur
- Augustus – ein bedeutender Kaiser in der römischen Geschichte um Christi Geburt
Realschule
Geschichte
6. Jahrgangsstufe
6.3 Das Römische Reich
- Von der Stadt zum Reich: Der Aufstieg Roms (Ausdehnung des römischen Reiches, Funktion und
Bedeutung des Militärs, Verwaltung und Recht)
- Das Leben im Römischen Reich (Alltagsleben in der Provinz)
- Römisches Erbe in Europa
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Gymnasium
6.5 Das Imperium Romanum
- Auswirkungen römischer Herrschaft in den Provinzen
- Exemplarische Vertiefung, z.B. Beschäftigung mit Archäologie
Lernziele
Die Schülerinnen und Schüler sollen
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darüber informiert werden, dass die Romanisierung der Provinz Germania um Christi Geburt viel
weiter fortgeschritten war, als Historiker lange Zeit glaubten;
sensationelle Funde kennen lernen, die Aufschluss über die Entwicklung Germaniens zur Zeit des
Kaisers Augustus geben;
erfahren, wie es zur Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. kam;
wissen, dass der Cherusker Arminius die Revolte einiger Germanenstämme gegen die römischen
Besatzer organisierte, aber mit seinen Vereinigungsplänen scheiterte;
den wahrscheinlichen Ablauf der Varusschlacht nachvollziehen;
verstehen, dass die Varusschlacht ein Desaster römischer Expansionspolitik markiert;
erfahren, dass die Römer nach harten Kämpfen gegen die Germanen im Jahre 16. n. Chr. die
Bemühungen aufgaben, ihr Herrschaftsgebiet von der Rheingrenze zur Elbe auszudehnen;
die Folgen des Rückzugs der Römer an den Rhein bewerten;
über die Suche nach dem Ort der Varusschlacht informiert werden;
wissen, dass in den 1990er Jahren bei Kalkriese spektakuläre Grabungsarbeiten stattfanden;
nachvollziehen, dass die Funde wertvolle Aufschlüsse über Ausrüstung und Logistik der römischen
Armee zur Zeit des Augustus geben.
Arbeitsaufträge
Welche Maßnahmen ergriff Varus, um den Ausbau der Verwaltung in der Provinz Germania voranzu treiben? Wie versuchte Varus das römische Rechtssystem durchzusetzen?
Arminius, der in Rom erzogen worden war und das römische Bürgerrecht besaß, entschied sich, den
Aufstand gegen die Besatzer anzuführen. Welche Gründe für sein Verhalten werden in der Sendung
genannt? Könnt ihr euch noch andere Motive vorstellen?
Nach wechselvollen Kämpfen und dem Tod zehntausender Römer und Germanen befahl Kaiser Tiberius 16 n. Chr., den Feldzug gegen die Germanen abzubrechen. Welche Folgen hatte der Rückzug der
Römer an die Rheingrenze für die Entwicklung der rechtsrheinischen Gebiete?
Römische Quellen berichten, dass Varus die Sitten und Gebräuche der Germanen missachtete und
rücksichtslos das römische Rechtssystem einführte. Mit seinem Verhalten reizte er die Germanen zur
Auflehnung. Kennt ihr Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, in denen Großmächte ähnliche Fehler
begingen?
Was meinen Historiker, wenn sie davon sprechen, Arminius habe Rom ein „antikes Vietnam“ bereitet?
Warum wurde in der Varusschlacht lange Zeit der „Beginn Deutschlands“ gesehen?
Warum stößt die Varusschlacht noch heute auf großes Interesse?
Wie gehen die Deutschen heute mit dem Arminius-Mythos um?
Warum benötigen wir keine kriegerischen Identifikationsfiguren mehr?
Hätten die Römer gesiegt, wäre das rechtsrheinische Germanien romanisiert worden.
Wie sähe es wohl heute in der Gegend um Kalkriese aus?
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Literatur- und Internettipps
Arens, Peter. Sturm über Europa. Berlin: Verlag Ullstein, 2006.
Elsner, Hildegard. Die Germanen (Was ist was – Bd. 62). Nürnberg: Verlag Tessloff, 2004.
Krause, Arnulf. Die Geschichte der Germanen. Frankfurt: Campus Verlag, 2005.
Todd, Malcolm. Die Germanen. Stuttgart: Theiss Verlag, 2000.
Stöver, Hans Dieter. Die Akte Varus. Erzählte Geschichte. München: dtv, 1997.
Links
http://www.kalkriese-varusschlacht.de/
Homepage des Varusschlachtmuseums bei Kalkriese
http://www.lwl.org/LWL/Kultur/WMfA_Haltern/
Das Römermuseum Haltern
http://www.roemerforum-lahnau.de/deutschstart.htm
Informationen zur römischen Stadtgründung Waldgirmes
http://www.varusforschung.de/
Studentenprojekt Varusforschung
http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?
urlID=840&url_tabelle=tab_websegmente
Internetportal "Westfälische Geschichte"
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