Färsen schon vor dem Kalben anmelken?

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TIERGESUNDHEIT
Färsen schon vor dem
Kalben anmelken?
Das Risiko für Mastitis bei Färsen kann reduziert
werden, wenn die Tiere bereits vor dem Kalben
angemolken werden. Es berichtet Dr. Roland Labohm,
Fachtierarzt für Rinder, Landwirtschaftskammer
Rheinland-Pfalz.
I
n vielen Betrieben starten bereits über
50 % der Tiere mit einer Entzündung
in die erste Laktation. Ist sie kurz nach
dem Kalben nicht offensichtlich, so zeigt
sie sich spätestens bei der ersten Milchkontrolle in Form zu hoher Zellzahlen. In
der Praxis wird das Ziel von 50 000 Zellen
in der ersten Laktation immer häufiger
verfehlt.
Wirtschaftliche Einbußen durch zusätzliche Arbeit, Behandlungskosten, eine
verminderte Milchleistung oder gar durch
eine frühzeitige Schlachtung sind die
Folge.
Stress verringern
Die Erkenntnisse der vergangenen
Jahre über die Färsenmastitis geben die
Marschrichtung bei der Bekämpfung
vor:
■ Stress vor und im Geburtszeitraum
minimieren;
■ Haltungshygiene der Färsen lange vor
der Geburt verbessern;
■ Abwehr und Stoffwechsel der Färsen
stabilisieren und verbessern;
■ Euterinfektionen frühzeitig vorbeugen oder bekämpfen.
In jüngster Zeit wird als wirksame und
zudem kostengünstige Vorbeuge- und sogar Behandlungsmaßnahme gegen Färsenmastitis auch diskutiert, die Tiere bereits einige Tage vor der Kalbung anzumelken.
Die Ergebnisse von drei wissenschaftlichen Untersuchungen liegen jetzt vor:
■ Im Rahmen der Diplomarbeit von Ulrike Baymann, Universität Rostock, wurden die Färsen eines großen Milchviehbetriebes drei Wochen vor dem Kalben
angemolken. Dadurch sank die Zellzahl
in der Milchkontrolle der Erstkalbenden
von vorher durchschnittlich 718 000 pro
ml auf 209 000. Die Abgänge wegen Mastitis reduzierten sich von 10,6 % der Färsen auf 2,9 % (Übersicht).
Allerdings wurden im gleichen Zeitraum noch weitere Änderungen bei Management und Haltung des Betriebes
vorgenommen, die zu diesen bemerkenswerten Untersuchungsergebnissen mit
beigetragen haben.
■ Bei zwei Untersuchungen aus den
USA sollte der Stress der Färsen im Abkalbezeitraum durch das Anmelken reduziert und damit die Eutergesundheit
verbessert werden.
Ein Versuch an der Mississippi State
University, USA, ergab, dass sich Eutergesundheit und Milchleistung in der
Gruppe der vor der Geburt gemolkenen
Färsen deutlich verbessert haben. Euterödeme traten in der frühzeitig gemolkenen Gruppe deutlich weniger auf.
Die zweite Untersuchung an der Purdue University in West Lafayette fand
heraus, dass die drei Wochen vor der Geburt gemolkenen Färsen im Vergleich zur
konventionell angemolkenen Gruppe
weniger Euterödeme, geringere Zellzahlen während der gesamten Laktation sowie eine bessere Milchleistung hatten.
Allerdings traten hier kurz nach der Geburt mehr klinische Euterentzündungen
als bei der Kontrollgruppe auf.
Diese Maßnahme kann also für Betriebe mit Eutergesundheitsproblemen
bei Färsen durchaus empfohlen werden,
und zwar vor allem für Tiere, die vor der
Geburt sehr stark aufeutern, ein starkes
Euterödem aufweisen oder am Zwischenschenkeleuterekzem leiden. Denn diese
Faktoren erhöhen das Mastitisrisiko und
können durch frühzeitiges Melken entschärft werden.
Kolostrumvorrat
anlegen
Starke Euterödeme vor der
Kalbung sind
schmerzhaft und
stressen das Tier.
R26 top agrar 11/2007
Ein paar Punkte sollten beim vorzeitigen Anmelken von Färsen berücksichtigt
werden:
■ Sobald das Tier aufeutert, sollte mit
dem ersten Melken begonnen werden.
Der richtige Zeitpunkt ist bei jedem Tier
sehr unterschiedlich, meist liegt er zwischen drei bis vier Wochen vor dem errechneten Kalbetermin.
■ Um die Kolostrumversorgung des Kalbes bei der Geburt sicherzustellen, sollte
ein Vorrat angelegt werden. Da die Biestmilch von Mehrkalbskühen ohnehin
hochwertiger ist, ist es generell sinnvoll,
eine tiefgefrorene Reserve anzulegen.
Vor allem Betriebe, die sich zur Entschärfung der Mastitisproblematik zum
frühzeitigen Anmelken aller Färsen entschließen, sind bei der Biestmilchversorgung stark gefordert, weil durch gepoolte
Milch Paratuberkulose im Bestand verbreitet werden kann.
■ Das Gemelk der ersten 5 Tage gilt
nicht als Milch und darf deshalb auch
nicht abgegeben werden. Anschließend
darf die Milch nur abgeliefert werden,
wenn sie einwandfreien Milchcharakter
hat und von Färsen stammt, die schon
nennenswerte Mengen produzieren.
Was ist im akuten
Fall zu tun?
Neben dieser Maßnahme haben sich
zur Behandlung außerdem bewährt:
■ Die Anwendung von antibiotischen
Trockenstellern ca. 6 Wochen vor dem
Kalbetermin;
■ Die Injektionsbehandlung um den
Abkalbezeitpunkt; dafür kommt in der
Praxis je nach Resistenzsituation der Erreger nur eutergängiges Penicillin (Penethamat-Penizillin) oder Makrolid-Antibiotika (Wirkstoff: Tylosin) in Frage, da
nur sie eine ausreichende Wirkstoffkonzentration im Euter erreichen.
Wenn die Färsen bereits zwei bis drei Wochen vor dem Kalben angemolken werden,
wird der Stress im Abkalbezeitraum reduziert.
Fotos: Dylka, Lehnert, Zieger
■ Eine antibiotische Behandlung ins Euter in der ersten Woche nach der Geburt.
Alle antibiotischen Behandlungen
sollten nach dem vorliegenden Problemkeim ausgewählt werden. Sie stellen nur
eine vorübergehende Notlösung dar. Extrem wichtig ist hierbei eine frühzeitige
Behandlung, da nur sie Erfolg verspricht
und hilft, den Verlust der Färse zu vermeiden. Keine Behandlungsmaßnahme
kann das Problem beseitigen. Alle Maßnahmen sind kostspielig und arbeitsauf-
Was bringt das Melken
vor dem Kalben?
Kontrolle
(n=122)
Versuch
(n=138)
54,9 %
42,8 %
718 000
209 000
10,6 %
2,9 %
Bakteriologisch
positive Befunde
Zellzahl pro ml
Abgänge wegen
Mastitis
Quelle: Baymann, 2003
Die Färsen, die vorzeitig gemolken wurden, hatten deutlich niedrigere Zellzahlen.
wändig. Letztlich lohnt sich nur die ständige Managementverbesserung im Färsenbereich, um das Problem in den Griff
zu bekommen.
Von top-Betrieben lernen!
Neben dem Anmelken sollten Betriebe mit massiven Färsenmastitisproblemen dringend noch weitere Maßnahmen
ergreifen. Denn obwohl die Mastitisrate
bei Färsen allgemein zunimmt, ist doch
bemerkenswert, dass viele auch große
und leistungsstarke Betriebe fast ohne
Probleme mit Färsenmastitis leben.
Anhand dieser Betriebe lässt sich
manches über die Ursachen der Mastitiden und auch über die Vorbeugemaßnahmen lernen:
■ Hygienische Haltung der Rinder in
Liegeboxen;
■ Rinder, die älter als ein Jahr sind, sollten nicht auf Vollspalten gehalten werden;
■ Fliegenbekämpfung bei Rindern im
Stall und auf der Weide;
■ Frühzeitige Eingliederung der Rinder
in die laktierende Gruppe;
■ Saubere Abkalbeboxen;
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TIERGESUNDHEIT
■ Abkalben in guter Kondition und nicht
verfettet;
■ Vorsichtiges Anfüttern vor der Kalbung zur Vermeidung von starkem Aufeutern und Euterödemen;
■ Euterkontrolle vor dem Kalben;
■ Anwendung des Schalmtestes in der
ersten Woche nach der Kalbung sowie bei
Auffälligkeiten Probennahme und umgehende konsequente Behandlung;
■ Systematisches Eutergesundheitsmanagement in der ganzen Herde mit regelmäßiger Probenuntersuchung zur Identifizierung des bestandsspezifischen Problemkeims;
■ Separates Melkgeschirr für Frischmelker regelmäßig reinigen und die Technik
überprüfen.
Ursachen für
Färsenmastitis
Für gehäufte Euterentzündungen bei
Färsen kommen mehrere Ursachen in Frage:
■ Hygieneprobleme im Abkalbezeitraum
fördern die Infektionen.
■ Die Kalbung, das Anmelken, die Umstellung von Hormon- und Stoffwechselhaushalt mit der Geburt und die Eingliederung in eine neue Gruppe sind starke Stressoren für das Rind.
■ Die Immunabwehr der Färse wird durch
den Stress stark geschwächt; die Krankheits- und Infektionsanfälligkeit steigt.
■ Bei weit über der Hälfte der Rinder ist
bereits acht Wochen vor dem Kalbetermin
kein funktionsfähiger Keratinpfropf und
damit kein infektionshemmender Zitzenverschluss mehr nachweisbar. Das geht aus
einer aktuellen Untersuchung in Niedersachsen von Professor Volker Krömker, FH
Hannover, hervor.
Über die Hälfte dieser „offenen“ Viertel war wiederum mit Mastitiserregern infiziert. Dabei wurden Koagulase-negative
Staphylokokken (KNS) am häufigsten
nachgewiesen. Das bestätigen auch neue
Untersuchungen aus Neuseeland.
Kurz vor der Kalbung gewinnen Umweltstreptokokken (Streptococcus uberis)
und teilweise Staphylococcus aureus die
Oberhand. Bemerkenswert ist, dass bei
diesen Untersuchungen die Infektionen
vor dem Kalben das Risiko für Infektionen
und klinische Euterentzündungen nach
dem Kalben um das Dreifache und mehr
erhöhen. Die vor dem Kalben so häufig
nachgwiesenen Koagulase-negativen Staphylokokken, die gemeinhin als wenig euterschädigend gelten, scheinen gefährlicheren Mastitiserregern den Weg zu bereiten.
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„Ein Stressfaktor
weniger!“
Markus Schoch und Manfred Gölter melken ihre
Färsen schon seit einiger Zeit vor dem Kalben an.
W
ir melken unsere Rinder bereits
vor dem Kalben an, um den Stress
rund um die Geburt zu reduzieren und
um die Gefahr von Euterentzündungen
zu verringern“, berichtet Milchviehhalter Manfred Gölter aus Pirmasens-Winzeln in Rheinland-Pfalz.
Er melkt seit mittlerweile fast zehn
Jahren alle Rinder systematisch bereits
ca. zwei bis drei Wochen vor dem Kalben an: „Sobald die Tiere aufeutern,
hole ich sie in den Melkstand“, so Gölter, der ca. 100 Holstein-Kühe mit einer
durchschnittlichen
Leistung
von
10 000 kg Milch hält.
Sein Berater Markus Schoch, der im
Nebenerwerb 30 Kühe melkt und seine
Färsen drei bis vier Wochen vor dem
Kalben melkt, pflichtet ihm bei: „Im
Abkalbezeitraum wird das Tier so stark
beansprucht: Die Euter schwellen an, es
kommt zu Schenkelekzemen oder subklinischen Euterentzündungen, die Futteraufnahme geht zurück und der Stoffwechsel muss sich umstellen. Durch das
Anmelken vor der Kalbung werden die-
Die Kolostrumversorgung wird über
tiefgefrorene Reserven sichergestellt.
se Stressfaktoren entzerrt, so dass die
Geburt meist problemlos verläuft.“
Euter wird ständig gespült
Die beiden Praktiker sind überzeugt,
dass die Gefahr von Mastitiden durch
den ständigen Milchentzug deutlich reduziert werde. Die niedrigen Zellzahlen
und ein geringer Antibiotika-Verbrauch
Markus Schoch, Berater und
Milchviehhalter, Pirmasens
geben ihnen Recht: „Durch die ständige
Spülung des Euters haben wir so gut wie
keine hartnäckigen Mastitis-Probleme
mehr“, berichtet Gölter, der im Herdenschnitt eine Zellzahl von 120 000 aufweisen kann. Außerdem eutern die Tiere
nicht mehr so stark auf, Schenkelekzeme
sind daher selten. Die meisten Rinder
würden problemlos in den Melkstand kommen und sich anmelken
lassen: „Und wenn das Rind einmal
nicht auf Anhieb will, ist das kein
Problem. Dann starten wir bei der
nächsten Melkzeit eben einen neuen Versuch. Wir stehen zeitlich ja
nicht mehr so unter Druck wie früher“, erklärt Gölter.
Im Schnitt ermelkt er vor der
Kalbung ca. 12 bis 18 Liter täglich,
manche Tiere geben aber auch gar
keine Milch: „Wer mit dem frühzeitigen Anmelken seine Herdenleistung erhöhen will, ist aber auf dem
Holzweg. Ziel sollte nur sein, dem
Tier die Kalbeperiode zu erleichtern“, mahnt Schoch. Wichtig sei, dass das
Tier etwa zwei bis drei Wochen vor dem
errechneten Kalbetermin gemolken werde: „Wenn erst kurz vor dem Kalbetermin
damit begonnen wird, kann es sein, dass
durch die Oxytocin-Ausschüttung plötzlich die Geburt ausgelöst wird“, warnen
die Praktiker. Deshalb sollten Tiere, die
zum ersten Mal angemolken werden, zunächst stärker beobachtet werden.
Die frühzeitige Versorgung des Kalbes
mit Kolostrum stellen die Betriebsleiter
mit tiefgefrorenen Biestmilch-Reserven
von älteren Kühen sicher, die im Warmwasserbad aufgetaut werden.
Rinder frühzeitig integriert
Ein weiterer Vorteil des vorzeitigen
Melkens sei, dass die Rinder frühzeitig in
die Milchviehherde integriert werden, so
dass auch die Rangordnung zum Zeitpunkt der Kalbung bereits festliege.
Bei Gölter kommen die Tiere aufgrund von Platzproblemen im Jungviehbereich oft schon 12 bis 16 Wochen vorher in die Herde. Durch die Fütterung einer Teil-TMR ist das arbeitswirtschaftlich
kein Problem: „So kann ich die Fütterung
direkt auf das betreffende Rind abstimmen. Etwas schwächere Tiere kommen
dann z.B. frühzeitig an den Transponder
und erhalten dann ein Calcium-armes
Mineralfutter“, berichtet der Milchvieh-
halter. Dass Schwergeburten bei Rindern
selten seien, führt er auch auf das Anmelken zurück.
Beide Betriebsleiter geben zu, dass das
Anmelken etwas mehr Aufwand bedeutet: „Natürlich macht diese Prophylaxemaßnahme mehr Arbeit, aber die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere
sind uns wichtiger und zahlt sich letztlich
aus“, sind sich die Betriebsleiter einig.
-sl-
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