Pränatale Diagnostik und Management der angeborenen

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Pränatale Diagnostik und Management der angeborenen
Fehlbildungen von Nieren und ableitenden Harnwegen
Alexander Scharf
Fehlbildungen der Nieren und der ableitenden Harnwege zählen zu den häufigsten angeborenen
Anomalien des Menschen. Ca. 35% aller fetalen Fehlbildungen betreffen diesen Formenkreis, ca. 35% aller Lebendgeborenen weisen eine derartige Anomalie auf. Mit Einführung der Sonographie ist
die Diagnostik von Fehlbildungen der ableitenden Harnwege heute in der Regel eine pränatale: 955
aller Urogenital-Fehlbildungen werden heutzutage bereits in utero diagnostiziert und der Fet wird zum
Patienten: Es stellt sich die Frage nach der klinischen Bedeutung der diagnostizierten Anomalie und
welche Konsequenzen aus einem pathologischen Urogenitalbefund pränatal zu ziehen ist.
Will man eine Klassifikation der Urogenital-Fehlbildungen durchführen, so kann man differenzieren
zwischen
1. Syndromalen Erkrankungen mit begleitenden Nieren-Fehlbildungen (im weiteren FB): Diese
sind selten und in den therapeutischen Möglichkeiten prä- wie postnatal beschränkt
2. Nierenparenchymerkrankungen: Hierunter werden die zystischen Nierendysplasien
zusammengefasst. Die Einteilung erfolgt nach Edith Potter in Typ I-III. auch diese sind
vergleichsweise selten und in den therapuetischen Optionen begrenzt
3. Obstruktive Uropathien werden unter dem Begriff Potter IV subsumiert. Sie machen mit 87%
aller Fehlbildungen des Urogenitalsystems den Löwenanteil aus.
Hinsichtlich der formalen Pathogenese handelt es sich bei den meisten Nieren-FB um HemmungsFehlbildungen: Die Induktion eines normalen Nierenparenchyms erfordert den Kontakt der dichotomen
Ureterknospe mit dem metanephrogenenm Blastem. Der Störungszeitpunkt dieser Interaktion definiert
das sich hieraus entwickelnde Fehlbildungsbild:
-
Eine Störung vor dem Kontakt der Ureterknospe und dem metanehprogenem Blastem
führt zur Nierenagenesie. Bei beidseitigem Befall resultiert hieraus als Folgekaskade
das Bild der sog. Potter-Sequenz
Eine Störung unmittelbar nach dem Kontakt beider Anlagen resultiert in dem Bilde
einer multizystischen Nierendysplasie
Die Störung nach Abschluß der Organentwicklung führt zu einer obstruktiven
Uropathie (Potter IV). Deren Ätiologie ist unbekannt. Von der formalen Pathogenese
her kommt es zu einer Störung der Rekanalisation des Ureters am 40. SS-Tag,
welche im mittleren Drittel beginnt und craniocaudal fortschreitet. Der Ureterabgang
und die Müpndung in die Harnblase werden zuletzt rekanalisiert und sind damit für
eine Störung am empfänglichsten.
Funktionell beginnt die Urinproduktion zwischen der 10. und 12. SSW, ab der 16. SSW wird das FW
überwiegend, im letzten Trimenon praktisch ausschließlich von den Nieren gebildet. Das Kind schluckt
Fruchtwasser und transportiert dies in die Lungen und den Magen-Darm-Trakt: Die Präsenz von
Fruchtwasser ist essentiell für die Reifung beider Systeme. Als besonders empfindlich ist hierbei die
Phase zwischen der 16. und 20. SSW anzusehen: Eine über mehr als 3 Wochen anhaltende
Anhydramnie geht mit einer irreversiblen Pulmonaldysplasie mit infauster Prognose einher.
Als genereller Diagnosealgorithmus beim Vorliegen einer Urogenital-FB ist eine eingehende
Familienanamnese, der sonographische Ausschluß von Begleit-FB und eine Karyotypisierung mittels
Amniozentese oder bei Anhydramnie Plazentozentese zu epfehlen: Nieren-FB gehen gehäuft einher
mit extrarenalen Begleit-Fehlbildungen, besonders des Herzens und des ZNS und weisen eine
erhöhte Rate an Aneuploidien auf.
An Fehlbildungen in den erwähnten drei großen Gruppen lassen sich abgrenzen:
1. Syndromale Erkrankungen
-
Potter-Sequenz: Eine primäre bilaterale Nierenagenesie oder Hypoplasie fürht über
das progressive Anhydramnion zu einer Lungenhypoplasie, einer Fehlhaltung der
Extremitäten und u.U. zu einem caudalen Regressionssyndrom. Die Prognose ist
-
infaust. Eine Assoziation besteht zur Trisomie 7, männliche Feten sind 2,5 mal
häufiger betroffen als weibliche. Sonographische Leitsymptome sind das OligoAnhydramnion, fehlende Darstellung der Nieren (häufig schwierig im Anhydramnion),
fehlende Harnblasendarstellung und fehlende Darstellung der Aa. Renales in der
Farbdopplersonographie.
Prune-Belly-Syndrom: Auch hier handelt es sich strenggenommen nicht um ein
Syndrom, sondern eine kaskadenförmig ablaufende Sequenz: Durch eine primäre
Schädigung der Urethralknospe in der 6.-8. SSW entsteht eine Urethralstenose in der
Pars menbranacea urethrae. In deren Folge kommt es zu einer Riesen-Harnblase
(Megazystis), beidseitige Hydroureteren und beidseitige zystische Nierendysplasien,
als Sekundärfolge eine muskuläre Bauchdeckenaplasie sowie Oligo- Anhydramnien
mit Gelenkfehlstellungen und Lungenhypoplasie. Auch hier ist die Prognose infaust.
Sonographische Leitsymptome sind die große Harnblase, welche u.U. das gesamte
Abdoomen ausfüllt und es auftreibt, ein progredientes Oligo-Anhydramnion und
zystische bilaterale Nierenveränderungen. Eine Assoziation besteht zur Trisomie 13
und 18.
2. Nierenparenchymerkrankungen: Diese werden pränatal nach der Potter-Einteilung (Potter I
bis III) klassifiziert.
-
-
-
Potter-I-Nierendysplasie: Syn. Infantile Form der polyzystischen Nieren. Zystische
Nierendysplasie mit autosomal-rezessivem Erbgang und hoher Genpenetranz.
Obligat beidseitiger Befall: Beide Nieren sind makropathologisch auffallend groß und
schwammartig verändert. Die Inzidenz liegt bei 1:10:000, das Wiederholungsrisiko bei
25%. Eine Assoziation mit (sonographisch nicht diagnostizierbaren) Leber- und
Pankreasfibrosen ist beschrieben. Sonographisch finden sich bei progredientem
Oligo-Anhydramnion beidseits deutlich vergrößerte und auffallend echoreiche Nieren
(„Salz und Pfeffer“) mit fehlender Darstellung der Nierenbecken und der Harnblase.
Die Manifestation ist typischerweise relativ spät (16. bis 20. SSW). Die Prognose ist
infolge der konsekutiven Lungehypoplasie infaust.
Potter-II-Nierendysplasie: Syn. Multizystisch-dysplastische Nierenfehlbildung. Meist
(80%) einseitiger Befall. Unterteilung in Typ IIa und IIb. Bei Typ IIa mit multiplen, nicht
miteinander kommunizierenden Zysten vergrößerte Nieren darstellbar, bei Typ IIb
kleinzystische Form mit hypoplastischer Niere. Die Inzidenz liegt bei 1: 40.000, ds
Wiederholungsrisiko unter 5%. Auch hier Dominanz des männlichen Geschlechtes im
Verhältnis 2:1. Assoziation mit maternalem Diabetes, Chromosomenanomalien
(Trisomie 13 und 18) sowie Syndromen (z.B. Meckel-Gruber-Syndrom).
Begleitfehlbildungen des ZNS, des Herzens und des Skelettsystems bekannt.
Sonographisch bei Potter IIa einseitig vergrößerte, traubenförmig aufgetriebene
Nieren mit unterschiedlich großen Zysten, fehlender Nierenkontour. Aufgrund des
meist unilateralen Befalls normale Fruchtwassermengen und reguäre Darstellung der
Harnblase. Die Sonokriterien des Potter IIB: Schwierig zu diagnostizeren: einseitige
hypoplastische Niere einseitig bei unauffälliger kontralateraler Niere. Procedere:
Karyotypisierung, Ausschluß von Begleitfehlbildungen, Fortführung der
Schwangerschaft bei einseitigem oder nur einseitig-segmentalem Befall, infauste
Prognose bei Bilateralität.
Potter-III-Nierendysplasie: Adulte Form der Nierendysplasie, autosomal-dominanter
Erbgang, Manifestation klinisch (Niereninsuffizienz) erst im 4.-5. Lebensjahrzehnt.
Beidseitiger Befall. Inzidenz 1:1000, Wiederholungsrisiko 50%. Häufig zystische
Begleitfehlbildungen an anderen Organen. Sonographische Kriterien: Typische
Familienanamnese, Bild wie Potter-I, allerdings mit normaler FW-Menge. Procedere
pränatal: Entfällt.
3. Obstruktive Uropathien = multizystische Nierendysplasien (Potter IV): Führen bei früher Maid
Festation zu sekundären, multizystischen Nierenveränderungen. Ursachen sind ein- oder
beidseitige Ureterstenosen oder Urethralklappen mit Harnblasenreflux und Reflux bis in beide
Nieren. Hierbei dominieren die Ureterabgangsstenosen (64%) über die Uretermündungsstenosen
(14%), den vesikoureterale Reflux (9%) und sonstige andere Ursachen (Urethralklappen
Ureterozelen, Blasenhalsstenosen). Sonographische Kriterien sind ein- bzw. beidseitige
Hydronephrose und ggf. Hydroureterenbildung mit (Späte Maifestation) Kompression des RestNierenparenchyms. Der mechanistische Erklärungs-Ansatz der Pathophysiologie über die
Druckatrophie und konsekutivem Verlust der Nierenfunktion auf der betroffenen Seite ist verlassen
worden: Interessanterweise scheint die Obstruktion primär eine intrarenale Vasokonstriktion zu
induzieren, welche die Bildung von TGF-ß1 und EGF zur Folge hat. Hierdurch kommt es zum
porgrammierten parenchymatösen Zelltod (=Apoptose).
Differentialdiagnostisch kommen sonographisch andere intraabdominale Zystenbildungen
(Ovarialzysten, Mesenterialzysten) in Frage. Das Procedere ist bei dem überwiegend einseitigem
Befall (=einseitige Obstruktion oberhalb der Harnblase) konservativ: Die kontralaterale
Nierenfunktion wird über die Fruchtwassermenge kontrolliert. Eine Indikation zur Intervention
besteht nur dann, wenn die „gesunde“ Niere sekundär obstruiert wird. Ansonsten sollte eine
Terminentbindung angestrebt werden. Schwieriger ist das Management bei beidseitigem Befall (=
bilateraler Befall durch meist subvesikale/urethrale Obstruktion): Hier ist die Dynamik des
Fruchtwassers entscheidend: Bei mäßigem Stau und normaler oder nur leicht verminderter FWMenge sind engmaschige sonographische Kontrollen ausreichend. Bei progressivem Stau jenseits
der 32. SSW sollte die Entbindung angestrebt werden; im Falle von früherer Manifestation einer
Progression (Kontrolle via Fruchtwassermenge) ist die Indikation zur vesikoamnialen Shunteinlage
gegeben.
Ein ungelöstes Problem der pränatalen Diagnostik bleibt die Einschätzung der fetalen Nierenfunktion
bei obstruktiven Harnwegserkrankungen: Bei einseitigem Befall ist eine Pyelozentese sinnlos, da sich
hieraus keine Konsequenzen ergeben und die Induktion von Fistelbildungen beschrieben ist. Die bei
beidseitigem Befall (subvesikale Obstruktion) früher häufig durchgeführte Vesikozentese mit
Bestimmung der Elektrolyte und des ß2-Mikroglobulins wird ebenso zunehmend verlassen: Die
Zusammensetzung des Harnblaseninhaltes spiegelt nur bedingt die eigentlich interessierende
Situation am Produktionsort des Urins (= in der fetalen Niere selbst) wider. Einerseits kommt es in der
Blase zur Durchmischung beider Urinportionen aus den jeweiligen Nieren, andererseits wird die
Zusammensetzung der Urininhaltsstoffe im Depotorgan Harnblase durch Austauschvorgänge mit dem
umgebenden Gewebe verändert. Nach derzeitigem Stand des Wissens ist der härteste Prädiktor der
(beidseitigen) Nierenfunktion das ß2-Mikroglobulin im fetalen Blut: Im Falle einer Obstruktion kommt
es zum Ansteigen dieser Substanz. Insoweit ist im Falle von valider renaler Funktionsbestimmung
zunehmend mit einer Renaissance der invasiven Fetalblutdiagnostik zu rechnen.
Zusammenfassung des Managements bei obstruktiven Uropathien:
SS-Beendigung
Konstellation 1
Unilaterale oder
Bilaterale Hydronephrose
supraurethrale Obstruktion
konstante FW-Menge
Fetalchirurgie
Vorzeitige Entbindung
x
x
x
Expektativ
< 24. SSW 24.-31. SSW >31. SSW
Konstellation 2
x
SS-Beendigung
Bilaterale Hydronephrose
supraurethrale Obstruktion
progrediente FW-Reduktion
Fetalchirurgie
x
(x)
< 24. SSW 24.-31. SSW >31. SSW
Vorzeitige Entbindung
Expektativ
SS-Beendigung
Konstellation 3
Bilaterale Hydronephrose
subvesicale Obstruktion
progrediente FW-Reduktion
x
x
x
Fetalchirurgie
x
Vorzeitige Entbindung
Expektativ
< 24. SSW 24.-31. SSW >31. SSW
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