Schlaglicht - BIOspektrum

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Archerasen – eine wachsende Enzymfamilie
katalysiert ATP-induzierten Elektronentransport
Wolfgang Buckel,
Laboratorium für Mikrobiologie, Fachbereich Biologie, Philipps-Universität Marburg
Abb. 1. Archerase. Auf das Relief des wilde Esel jagenden assyrischen Königs Ashurbanibal (ca. 645
v. Ch.; Britisches Museum, London) ist das Helix-[4Fe-4S]-Helix-Motiv mit zwei gebundenen ADPMolekülen einer Archerase (Komponente A der 2-Hydroxyglutaryl-CoA-Dehydratase aus dem
Anaerobier A. fermentans[9]) projiziert. Wir postulieren, dass nach Austausch des ADP durch ATP das
[4Fe-4S]-Cluster nach rechts verschoben wird und das Elektron wie der Pfeil unter ATP-Hydrolyse ans
Ziel geschossen wird. Der nachfolgende Reiter (Ferredoxin) liefert den nächsten Pfeil (Elektron).
Archerasen nennen wir lösliche EisenSchwefel-Cluster-haltige Enzyme, die Elektronen unter ATP-Hydrolyse auf ein anderes Protein übertragen und dieses in eine aktive reaktionsbereite Form überführen. Der
Ausdruck kommt vom englischen Archer
(Bogenschütze), der unter ATP-Hydrolyse
in seinen Muskeln energiereiche Pfeile
(Elektronen) abschießt (Abb. 1). Die erste
bekannte Archerase ist das Eisenprotein der
Nitrogenase. Es nimmt von reduziertem
Ferredoxin ein Elektron auf und ‚schießt’ es
unter Hydrolyse von zwei ATP auf das Molybdän-Eisen-Protein, das das Elektron speichert. Sobald sich auf diese Weise acht Elektronen angehäuft haben, wird molekularer
Stickstoff (N2) mit zehn Protonen zu zwei
Ammonium (NH4+) und H2 reduziert. Obwohl die Reduktion von N2 unter Standardbedingungen exergon ist, sorgt der Verbrauch von ATP dafür, dass die hohe Aktivierungsenergie der Spaltung der StickstoffDreifachbindung überwunden wird und die
Reduktion irreversibel abläuft[1]. Eine funktionell ähnliche, aber phylogenetisch un-
terschiedliche Archerase aktiviert die 2-Hydroxyglutaryl-CoA-Dehydratase aus Clostridien und Fusobakterien[2].
Diese strikten Anaerobier, die in anoxischen Nischen von Menschen und Tieren
leben, fermentieren Glutamat über 2-Oxoglutarat, (R)-2-Hydroxyglutarat, (R)-2-Hydroxyglutaryl-CoA, Glutaconyl-CoA und
Crotonyl-CoA zu Ammonium, CO2, Acetat,
Butyrat und H2. Die mechanistisch interessanteste Reaktion dieses Stoffwechselwegs
ist die reversible syn-Dehydratisierung von
(R)-2-Hydroxyglutaryl-CoA zu GlutaconylCoA, da die zu spaltende C-H-Bindung am
β-C-Atom (C-3) nicht aktiviert ist (pK ca. 40)
(Schema 1). In Proteinen gibt es keine Base,
die in der Lage wäre, von dieser C-H-Bindung ein Proton abzuspalten. Auch in der
umgekehrten Richtung ist die Reaktion
nicht zu verstehen, da das Hydroxylion an
das negativere α-C-Atom (C-2) anstatt an das
positivere β-C-Atom der durch den elektronenanziehenden Thioester polarisierten
Doppelbindung addiert. Die ‚normale’ Addition an das β-C-Atom findet man dagegen bei der β-Oxidation der Fettsäuren.
Um den Mechanismus der Eliminierung
einer Hydroxylgruppe in der α-Position eines CoA-Thioesters zu erklären, haben wir
postuliert, dass das positivierte C-Atom des
Thioestercarbonyls durch Reduktion mit einem Elektron vorübergehend eine negative
Ladung erhält. Durch diese ‚Umpolung’ zu
einem Ketylradikalanion kann die nachbarständige Hydroxylgruppe leicht eliminiert
werden. Es entsteht ein Enoxyradikal, dessen Deprotonierung ein zweites Ketylradi-
Schema 1: Postulierter
Mechanismus der
Dehydratisierung von
(R)-2-HydroxyglutarylCoA zu Glutaconyl-CoA.
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hat in der oxidierten und das Enzym liegt wieder in der Mo(V)[4Fe-4S]2+-Form ei- Form vor. Wie bei anderen Mo-Enzymen
ne ATPase-Aktivität könnte das Molybdän noch zusätzlich die
von 6 s–1, die bei Re- Eliminierung der Hydroxylgruppe durch Koduktion fast auf Null ordination erleichtern. Das Enzym katalysiert, solange es im Mo(V)-Zustand ist, minzurück geht.
Komponente D destens 100 Turnover. Nur im Falle einer
ist ein Heterodimer Oxidation muss wieder der ATP-induzierte
(45 + 50 kDa), das Elektronentransfer mit Komponente A ab1,0 mol reduziertes laufen.
In fast allen bisher bekannten Genomen
Riboflavin-5′-phosphat (FMNH2) ent- von anaeroben oder fakultativ anaeroben
hält. In 1 mol Kom- Bacteria und Archaea wurden bis zu vier ofponente D aus A. fer- fene Leserahmen (ORF) pro Organismus gementans mit der spe- funden, deren abgeleitete Aminosäure-Sezifischen Aktivität quenzen zu mehr als 30 Prozent mit der Sekcat = 10 s–1 findet quenz der Komponente A (hgdC) identisch
sich außerdem 1,0 sind. Abgesehen von den Aminosäure-ferAbb. 2: Strukturen der Komponente A der 2-Hydroxyglutaryl-CoAmol [4Fe-4S]2+-Clus- mentierenden Clostridien und FusobacteriDehydratase aus A. fermentans[9]. (A) Das Enzym besteht aus zwei
identischen Untereinheiten. Von jeder Untereinheit ist Helix-5 auf das
ter und nur 0,1 mol um nucleatum, die 12 der 20 proteinogenen
[4Fe-4S]-Cluster gerichtet. In jeder Untereinheit ist ein Molekül ADP
M o l y b d ä n ( V I ) , Aminosäuren ebenso wie Glutamat über die
gebunden. (B) Andere Ansicht der Struktur, die das Helix-[4Fe-4S]-Helixwährend das Enzym entsprechenden (R)-2-Hydroxysäuren ferMotiv besser zeigt. Das Titelbild, in dem die ATP-Domäne A weggelassen
aus C. symbiosum mit mentieren[11, 12], ist über die Funktion diewurde, zeigt den Blick auf die Ebene dieses Motivs.
2,0.mol [4Fe-4S]2+ ser mutmaßlichen Archerasen wenig beCluster und 0,7.mol kannt. Lediglich von einigen phototrophen
kalanion liefert, das abschließend zum Pro- Molybdän(VI) 7-fach aktiver ist (kcat = 70 s–1). und denitrifizierenden Bakterien wie Thaudukt oxidiert wird. Damit steht das Elektron Aus diesen und weiteren Daten ergibt sich era aromatica weiß man, dass sie Benzoyldem nächsten Turnover wieder zur Verfü- folgendes Bild des ATP-induzierten Elek- CoA unter ATP-Hydrolyse mit Ferredoxin
gung. Das Substrat leiht sich also ein ener- tronentransports: Im Grundzustand, in dem reduzieren können[13]. Benzoyl-CoA-Regiereiches Elektron, um die Reaktion durch- der Helix-Cluster-Helix-Winkel 105° be- duktase, von deren vier Untereinheiten zwei
führen zu können, und gibt es danach wie- trägt, sind an Komponente A zwei ADP- mit der Komponente A verwandt sind, kader zurück (Schema 1)[3, 4]. Ab-initio-Rech- Mg2+ gebunden. Flavodoxin-Hydrochinon[6] talysiert die Reduktion wahrscheinlich in
nungen haben tatsächlich gezeigt, dass die oder reduziertes Ferredoxin–[10] überträgt Ein-Elektronen-Schritten über Ketylradiβ-C-H-Bindung des Enoxyradikals einen pK spontan ein Elektron auf das [4Fe-4S]2+- kalanionen[3]. Interessanterweise gibt es für
= 14 aufweist und damit um ca. 26 pK-Ein- Cluster. Die reduzierte Komponente A kann die ebenfalls schwierige Reduktion des 18heiten (150 kJ/mol) saurer ist als die des 2- jetzt das ADP gegen ATP ohne Hydrolyse π-Elektronen-Aromaten Protochlorophyllid
Hydroxyglutaryl-CoA[5].
austauschen, der Winkel weitet sich be- zu Chlorophyllid zwei verschiedene EnzyDie biochemische Charakterisierung der trächtlich, Komponente D kann andocken me: Das Enzym der Pflanzen ist lichtab2-Hydroxyglutaryl-CoA-Dehydratasen aus und ein Elektron wird auf Mo(VI) übertra- hängig und verwendet die Lichtenergie zur
Acidaminococcus fermentans (Acidaminococca- gen, während die
ceae, Clostridiales)[6, 7] und Clostridium sym- jetzt oxidierte Kombiosum[8] hat diesen Mechanismus weitge- ponente A das ATP
hend bestätigt. Das Enzymsystem besteht hydrolysiert und in
wie Nitrogenase aus zwei leicht trennbaren den Grundzustand
Proteinen, einer Archerase, hier Kompo- zurückkehrt. Danente A (Aktivator oder Initiator) genannt, durch fließt das
und der Komponente D, der eigentlichen Elektron irreversibel
Dehydratase. Die extrem sauerstoffemp- nur in Richtung auf
findliche Komponente A aus A. fermentans ist Komponente D (Abb.
ein Homodimer (m = 2 × 27 kDa) mit einem 3)[6]: Der ‚Pfeil’ der
[4Fe-4S]1+/2+-Cluster in der Mitte und je ei- Archerase ist abgener ADP/ATP-Mg2+-Bindestelle in den bei- schossen.
Die zu Mo(V) reden Untereinheiten. Die Struktur der Komponente A zeigt, dass von jeder Untereinheit duzierte KomponenHelix-5 mit ihrem N-terminalen Ende auf te D überträgt das
das [4Fe-4S]1+/2+ Cluster gerichtet ist. (Abb. Elektron weiter auf
2)[9]. Eine ähnliche Struktur findet sich auch das Substrat 2-Hyim Eisenprotein der Nitrogenase[1]. droxyglutaryl-CoA
Während aber das Eisen-Protein mit den G- und die Reaktion
Proteinen verwandt ist und die ATP-Bin- läuft wie oben gedestelle ein Walkermotiv aufweist, ist die schildert ab (Schema
Abb. 3: ATP-induzierter Elektronentransport von reduzierten Flavodoxin
ATP-bindende Domäne von Komponente A 1). Am Ende ent- (FldH ) über Komponente A auf Komponente D[6]. FeS in Komponente A =
2
ähnlich derjenigen von Aktin, HSP70 oder steht das Produkt [4Fe-4S]1+/2+-Cluster. Die geschlängelten Linen stellen die Cluster-Helices
Glycerin-Kinase gefaltet. Komponente A Glutaconyl-CoA, dar.
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Katalyse. Das andere Enzym, das in Bakterien vorkommt und im Dunkeln mit ATP arbeitet, besteht aus einem Eisenprotein (Archerase) und einem MoFe-Protein, die beide mit den Komponenten der Nitrogenase
verwandt sind. Die Archerase-Familie teilt
sich somit in zwei Unterfamilien, die in konvergenter Evolution durch Fusion eines
Helix-Cluster-Helix-Motivs mit einer ATPDomäne entstanden sein könnten. Archerasen wie Komponente A der 2-HydroxyacylCoA-Dehydratasen, die γ- und δ-Untereinheiten der Benzoyl-CoA-Reduktase und die
vielen Homologen mit unbekannter Funktion besitzen eine Aktin-ATP-Domäne,
während die Eisenproteine der Nitrogenase
und Protochlorophillid-Reduktase aus einer
G-Protein-ATP-Domäne aufgebaut sind.
Das Auftreten von zwei phylogenetisch
verschiedenen Archerasen zeigt, dass sich
diese Art der Energetisierung von einzelnen
Elektronen als ein in der Evolution erfolgreiches Werkzeug zur Katalyse von chemisch
schwierigen Reaktionen in Bacteria und Archaea durchgesetzt hat. Zum Verständnis der
genauen Mechanismen sind noch viele Untersuchungen nötig, insbesondere die Aufklärung der Struktur eines vielleicht neuen
Molybdän-Kofaktors der Komponente D der
2-Hydroxyglutaryl-CoA-Dehydratase. Ein
weiteres interessantes Forschungsgebiet
sind die unbekannten Funktionen der vielen oben erwähnten mutmaßlichen Archerasen, deren Zahl mit fast jedem sequenzierten Genom eines anaeroben Organismus zunimmt.
Danksagung
Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der
Chemischen Industrie unterstützt. Der Autor dankt Professor Rudolf K. Thauer (MaxPlanck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Marburg) für die zahlreichen Diskussionen, die zum Namen Archerase geführt
haben.
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Wolfgang Buckel
Laboratorium für Mikrobiologie
Fachbereich Biologie
Philipps-Universität
D-35032 Marburg
Tel.: 06421-2821527
Fax: 06421-2828979
[email protected]
www.uni-marburg.de/microbiology/
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