Die Molekulare Grundlage von Artbildung bei der

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Evolution
Die Molekulare Grundlage von
Artbildung bei der Hausmaus
BETTINA HARR
INSTITUT FÜR GENETIK, UNIVERSITÄT ZU KÖLN
Darwin hat den Prozess der Artbildung, das Aufspalten von einer Art in
zwei Arten, als „the mystery of mysteries“ bezeichnet. Tatsächlich ist es
auch heute noch nicht einfach, den Artbildungsprozess zu verstehen. Dies
ist dadurch begründet, dass der Vorgang nicht direkt beobachtet werden
kann, da er in der Regel über längere evolutionäre Zeiträume vonstattengeht. Eine grobe Regel besagt, dass es bei der häufigsten Form der Artbildung, der Artbildung in Allopatrie (d. h. in geographischer Isolation), circa
zwei Millionen Jahre dauert, bis sich zwei Arten voneinander getrennt
haben[1]. Das bedeutet, dass Artbildung indirekt, zum Beispiel über das
Muster an genetischen Veränderungen, studiert werden muss.
ó Die Hausmaus stellt ein exzellentes
Modellsystem für solche Fragen dar. Innerhalb der Art Hausmaus können mehrere
Unterarten unterschieden werden, die sich
gerade im Prozess der Artbildung befinden.
Eine schmale Hybridzone existiert zwischen
zwei Hausmaus-Unterarten, Mus musculus
domesticus und Mus musculus musculus. Die
Lage der Hybridzone ist in Abbildung 1 dargestellt. Sie erstreckt sich durch gesamt Zentraleuropa von der dänischen Halbinsel Jütland bis in den Balkan hinein[2]. Westlich dieser Linie befindet sich das Verbreitungsgebiet von M. m. domesticus und östlich dieser
Linie ist M. m. musculus zu finden. Es wird
vermutet, dass der südliche Ausläufer der
Hybridzone vor maximal 6.000 Jahren entstanden ist, zu der Zeit, als die ersten Hausmäuse beider Unterarten diese Region, aus
ihrem Ursprungsgebiet auf dem indischen
Subkontinent kommend, besiedeln konnten[2].
Die Besiedlungsgeschichte von Zentraleuropa
durch die Hausmaus gleicht dabei der des
Menschen, was durch den passiven Transport der Hausmaus durch den Menschen (als
„blinde Passagiere“ in Getreidevorräten) zu
erklären ist.
Individuen der beiden Hausmaus-Unterarten treffen sich in der Hybridzone, verpaaren sich miteinander und produzieren hybride Nachkommen. Diese hybriden NachkomBIOspektrum | 06.07 | 13. Jahrgang
men sind voll lebensfähig, haben jedoch eine
etwas geringere Fitness, d. h. sie produzieren selbst weniger eigene Nachkommen als
nicht-hybride Tiere. Unser Ziel ist es herauszufinden, welche Unterschiede in der genetischen Komposition zwischen den beiden
Unterarten existieren, die eine Fitness-reduzierende Wirkung in Hybriden hervorrufen.
Gene, die eine solche Wirkung in Hybriden
haben, ermöglichen, dass beide Unterarten
trotz räumlicher Nähe und Hybridisierung
genetisch distinkt bleiben und sich eventuell
im Lauf der Zeit sogar weiter genetisch voneinander entfernen können, bis sie den
Zustand erreichen, in dem sie vollständig
eigenständige Arten repräsentieren, zwischen
denen kein Genaustausch mehr stattfindet.
Hybridzonenanalysen zur Identifizierung von Artbildungsgenen
Um diese „Artbildungsgene“ zu identifizieren, kann man sich die Tatsache zunutze
machen, dass eine Hybridzone eine Art
„natürliches Labor“ darstellt, in welchem eine
Vielzahl von verschiedenen Genotypen generiert und von der Natur auf ihre Funktion
überprüft wird. Das Prinzip ist das Folgende:
Wenn ein genetischer Unterschied zur Artbildung, also reduzierter Hybriden-Fitness,
beiträgt, dann bewirkt dieser, dass in der
Hybridzone, wo Genfluss zwischen den beiden Unterarten im Prinzip möglich ist, der
Genfluss an solchen Loci lokal reduziert ist.
In anderen Regionen im Genom, die hingegen nichts mit dem Artbildungsprozess zu
tun haben, besteht freier Genaustausch. Man
kann Artbildungsgene also in einer Hybridzone an ihrer Rate an „Introgression“ in das
Genom der jeweils anderen Unterart identifizieren[3].
Wir haben in vorherigen Studien einen
genetischen Unterschied zwischen den Hausmaus-Unterarten identifiziert, welcher genau
den Erwartungen für ein Artbildungsgen entspricht. Wie in Abbildung 2A gezeigt, ist die
¯ Abb. 1: Die ungefähre Lage der Hausmaus-Hybridzone in
Zentraleuropa.
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Rate der Introgression an dem Map Kinase
Kinase 7-Gen (MKK7) über die Hybridzone
hinweg im Vergleich zu anderen Genen im
Genom (Abb. 2B) extrem gering. Man kann
also davon ausgehen, dass der Unterschied
zwischen den Hausmaus-Unterarten an diesem Gen tatsächlich eine Fitness-Konsequenz
in Hybriden aufweist und somit zur Artbildung beitragen könnte.
Regulatorische Mutationen als
evolutionärer Motor
Im Falle des MKK7-Gens konnten wir zeigen,
dass der Unterschied zwischen den Hausmaus-Unterarten die Expression des Gens
betrifft: In M. m. domesticus ist das Gen sehr
hoch exprimiert, wohingegen es in M. m. musculus sehr gering exprimiert ist[4]. Dieser
Expressions-Unterschied kann sowohl in
Microarray-Experimenten als auch in quantitativen Real-Time-PCR-Experimenten nachgewiesen werden. Die Proteinsequenz des
Gens ist in beiden Unterarten identisch. King
und Wilson[5] haben schon im Jahr 1974 vorgeschlagen, dass regulatorische Mutationen
(d. h. Mutationen, welche das Expressionsmuster des Gens betreffen und nicht nur dessen Proteinsequenz) von großer evolutionärer
Bedeutung sein könnten. Sie schlossen dies
aus der Tatsache, dass homologe Proteinsequenzen zwischen Mensch und Schimpanse
fast identisch sind und diese deshalb vermutlich nicht alleine für die gravierenden
phänotypischen Unterschiede zwischen diesen beiden Spezies verantwortlich sein können. Erst im letzten Jahrzehnt konnten diese
Vermutungen jedoch teilweise mit Daten
belegt werden. So sind z. B. der Verlust der
Augen bei Höhlenfischen und die sich stark
unterscheidenden Schnabelformen der verschiedenen Darwinfinken auf Galapagos
durch regulatorische Mutationen zu erklären.
Eine der größten und bisher weitgehend ungelösten Fragen ist jedoch, ob diese regulatorischen Mutationen Promotor- und EnhancerBereiche des den Phänotyp auslösenden Gens
selbst betreffen (cis-regulatorischen Mutationen) oder ob die Mutationen die Proteinsequenz von Transkriptionsfaktoren betreffen, welche das Zielgen regulieren (trans-regulatorische Mutationen). Momentan findet eine
intensive Debatte über diese Frage statt. Es
gibt sowohl Befürworter der Ansicht, dass cisregulatorische Mutationen den Hauptteil der
evolutionär relevanten Mutationen darstellen, als auch Vertreter der Auffassung, dass
die Evolution auf Proteinebene (wie z. B. auf
der Ebene der Transkriptionsfaktoren) min-
˚ Abb. 2: Frequenz des M. m. domesticus-Allels in Abhängigkeit von der geografischen Position
(geografische Breite) über die Hybridzone hinweg. A, An dem möglichen Artbildungsgen Map
Kinase Kinase 7 sind keine musculus-Allele auf der domesticus-Seite der Hybridzone und keine
domesticus-Allele auf der musculus-Seite der Hybridzone zu finden. B, An einem zufällig gewählten Gen findet man zahlreiche domesticus-Allele auf der musculus-Seite der Hybridzone.
¯ Abb. 3: Schematische Darstellung der
auf PCR basierenden
Methode zur Unterscheidung von cisund trans-regulatorischen Mutationen.
A, Zwei HausmausUnterarten werden
miteinander gekreuzt,
um einen F1-Hybriden
zu erhalten. B, Entwurf eines PCR-Produkts zur Pyrosequenzierung. Die Lage des
Sequenzierprimers ist
ebenfalls gezeigt
(pyro). Der VorwärtsPrimer der PCR-Reaktion muss zur Pyrosequenzierung mit Biotin markiert sein (*).
C, Ergebnis der Pyrosequenzierung: Allelspezifischer Unterschied bei Verwendung von cDNA als
Matrize in der PCR,
aber (fast) kein Unterschied bei Verwendung von DNA als
Matrize in der PCR.
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destens ebenso wichtig ist. Das Hauptproblem
der ersten Theorie ist, dass es bisher noch in
fast keinem Fall gelungen ist, die evolutionär
wichtige cis-regulatorische Mutation auf der
DNA-Sequenz tatsächlich zu identifizieren.
Die Schwierigkeiten bei der Identifikation
sind letztendlich darauf zurückzuführen, dass
im Unterschied zu Protein-kodierenden Regionen, die einer Annotation relativ leicht
zugänglich sind, regulatorische Regionen in
der nicht-kodierenden DNA nicht einfach zu
erkennen sind.
PCR-basierte Methode, um cis- und
trans-regulatorische Mutationen zu
unterscheiden
Obwohl es schwierig ist, regulatorische Mutationen auf der DNA-Sequenz direkt zu identifizieren, ist es doch möglich zu bestimmen,
ob ein Expressionsunterschied durch eine cisoder trans-regulatorische Veränderung ausgelöst wird. Eine Methode dazu wurde im Jahr
2004 entwickelt[6]. Eine leicht abgewandelte
Version des Experiments haben wir für das
MKK-Gen durchgeführt[4]. Zunächst muss ein
F1-Hybrid aus den beiden Linien, zwischen
denen der Expressionsunterschied besteht,
hergestellt werden (Abb. 3A). Diesem F1Hybriden wird das Gewebe, welches den
Expressionsunterschied zeigt, entnommen,
um daraus sowohl DNA als auch RNA zu
extrahieren (z. B. nach dem Trizol-Protokoll
von Invitrogen). Des Weiteren braucht man
einen single nucleotide polymorphism (SNP),
der die Allele der beiden Elternarten an dem
zu untersuchenden Gen differenziert und welcher in der kodierenden Region des Gens
liegt. Außerdem wird ein PCR-Produkt so entworfen, dass es den SNP in einer relativ zentralen Lage enthält (Abb. 3B). Zusätzlich zu
den PCR-Primern wird ein Pyrosequenzierungs-Primer erstellt, der unmittelbar vor
dem SNP bindet (diesen aber nicht beinhaltet). Es werden nun PCR-Reaktionen angesetzt, in denen jeweils DNA und cDNA der
F1-Hybriden als Matrize verwendet werden.
Diese PCR-Produkte werden dann in der Pyrosequenzierungs-Reaktion denaturiert, der
interne Primer wird gebunden und eine Base
nach der anderen wird dem Reaktionsgemisch zugegeben. Bindet die zugegebene Base
an die Matrize, werden in einer Serie von
enzymatischen Reaktionen stöchiometrische
Mengen von Licht emittiert.
Angenommen die beiden elterlichen Allele
unterscheiden sich durch einen G/A-SNP:
Wird in der Pyrosequenzierung nun die Base
C zugegeben, wird Licht entsprechend der
Menge des G-Allels emittiert, das A-Allel hingegen emittiert kein Licht. Wenn der Pyrosequenzierung nun ein T zugegeben wird,
emittiert das A-Allel, das G-Allel dagegen
nicht. Auf diese Weise ist es also möglich,
genau zu bestimmen, wie viele Kopien des
G- bzw. A-Allels in dem ursprünglichen PCRProdukt (und somit auch in dem ursprünglichen Probenmaterial) vorhanden waren. Bei
DNA als Ausgangsmaterial sollte in einem
F1-Hybriden bei der Zugabe der Basen C und
T genau die gleiche Menge Licht emittiert
werden, da beide Allele in der gleichen
Kopienanzahl vorkommen. Wenn hingegen
cDNA als Ausgangsmaterial verwendet wurde, sollte die Lichtemission proportional zu
dem Expressionsniveau des jeweiligen Allels
im F1-Hybriden sein.
Wie kann diese Technik nun verwendet
werden, um cis- und trans-Effekte zu unterscheiden? Wenn dem Unterschied in der
Expression zwischen den Elterntieren ein cisEffekt zugrunde liegt, dann sollte bei der
Pyrosequenzierung aus cDNA von F1-Hybriden der Unterschied in der Allel-spezifischen
Emission dem Unterschied in der Expression
entsprechen, der ursprünglich zwischen den
Elterntieren gefunden wurde. Da im F1-Hybriden die zelluläre Umgebung für beide Allele
die gleiche ist und somit beide Allele gleichermaßen von trans-Faktoren (wie Transkriptionsfaktoren) beeinflusst werden, sollten im Fall eines trans-Effekts keine Allel-spezifischen Unterschiede in der Lichtemission
bei der Pyrosequenzierungs-Reaktion auftreten. Ein Vergleich der Allel-spezifischen
Emission aus F1-Hybriden-DNA erlaubt es
dabei, für eventuell vorhandene Unterschiede in der Amplifikations-Effizienz der beiden
Allele (z. B. durch leicht unterschiedliche
Basenkomposition der beiden Allele) zu korrigieren. In Abbildung 3C sind die Ergebnisse
der Pyrosequenzierung („Pyrogramme“) für
den Fall des MKK7-Gens gezeigt. Man kann
einen klaren Unterschied in der Lichtemission zwischen den beiden Allelen aus F1Hybriden-cDNA erkennen, der in der DNAProbe sehr viel weniger ausgeprägt ist. Dabei
entspricht der Unterschied in etwa dem der
elterlichen Tiere, welcher mittels Mikroarrayund qRT-PCR-Experimenten ermittelt wurde.
Obwohl es noch zu früh ist, um allgemeine
Aussagen über die Häufigkeit von cis-regulatorischen Unterschieden in der Evolution neuer Arten zu machen, zeigt unser Experiment
am MKK-Gen, dass diese Möglichkeit eindeutig besteht und systematische Untersuchungen dieser Art einen wichtigen Beitrag
zu dieser Frage leisten können.
ó
Literatur
[1] Coyne, J. A., Orr, H. A. (2004): Speciation. Sinauer
Associates, Sunderland, MA.
[2] Boursot, P., Auffray, J. C., Britton-Davidian, J.,
Bonhomme, F. (1993): The evolution of house mice. Annu.
Rev. Ecol. Syst. 24: 119–152.
[3] Barton, N. H., Hewitt, G. M. (1981): Hybridzones and speciation. In: Atchley, W. R., Woodruff, D. S. (Hrsg.) Evolution
and speciation: essays in honor of M. J. D. White. Cambridge
University Press, Cambridge, U.K, 109–145.
[4] Harr, B., Voolstra, C., Heinen, T. J., Baines, J. F.,
Rottscheid, R., Ihle, S., Müller, W., Bonhomme, F., Tautz, D.
(2006): A change of expression in the conserved signaling
gene MKK7 is associated with a selective sweep in the western house mouse Mus musculus domesticus. J. Evol. Biol. 19:
1486–1496.
[5] King, M. C., Wilson, A. C. (1975): Evolution at two levels in
humans and chimpanzees. Science 188: 107–116.
[6] Wittkopp, P. J., Haerum, B. K., Clark, A. G. (2004):
Evolutionary changes in cis and trans gene regulation. Nature
430: 85–88.
Korrespondenzadresse:
Dr. Bettina Harr
Institut für Genetik
Universität zu Köln
Zülpicher Straße 47
D-50674 Köln
Tel.: 0221-470 6617
Fax: 0221-470 5975
[email protected]
AUTORIN
Bettina Harr
Jahrgang 1969, 1990–1996 Biologie-Studium an der Universität Konstanz,
1996–2000 Promotion an der Veterinärmedizinischen Universität Wien,
2001–2003 Postdoc an der University of Chicago unter der Anleitung von
Prof. C-I Wu, seit 2003 unabhängige Arbeitsgruppenleiterin im Rahmen
des Emmy-Noether-Programms der DFG an der Universität zu Köln.
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