Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie

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Posttraumatische Belastungsstörungen
und
trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie
Prof. Lutz Goldbeck
Trauma und Traumafolgestörungen im Kindes- und
Jugendalter; Fachtagung Wil 22.05.2014
Gliederung
• Posttraumatische Belastungsstörungen
- Traumatypen
- diagnostische Kriterien (DSM-5, ICD-11)
- Komorbidität
• Evidenzbasierte Traumatherapie mit Kindern
und Jugendlichen:
Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
Gliederung
• Posttraumatische Belastungsstörungen
- Traumatypen
- diagnostische Kriterien (DSM-5, ICD-11)
- Komorbidität
• Evidenzbasierte Traumatherapie mit Kindern
und Jugendlichen:
Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
Merkmale traumatischer Ereignisse (DSM-5)
Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod,
ernsthafter Verletzung, oder sexueller Gewalt durch
 direktes Erleben
 Zeugenschaft
 Erfahren, dass es Angehörigen oder Freunden
passiert ist
American Psychiatric Association 2013, DSM-5, PTSD Criterion A
Traumatyp-Klassifikation
• Opfer vs. Zeuge vs. Stellvertreter (vicarious
trauma)
• Einmalig (Typ I) vs. wiederholt (Typ II) (Terr 1991)
• Intentional (man-made) vs. akzidentell
• Intrafamiliär vs. extrafamiliär
• Körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt,
traumatischer Verlust, medical trauma ….
Terr, L. (1991). Childhood Traumas: An outline and Overview. Amercian Journal of Psychiatry, 148: 10-20
Häufigkeit potentiell traumatischer Erlebnisse
in Kindheit und Jugend
Autoren
Population
Prävalenz %
Essau et al.
1999
N=1035 Bremer Schüler 22,5 %
12-17 J
Elkit 2002
N=390 jugendliche
Schüler (Dänemark)
87 % (Mädchen)
78 % (Jungen)
Copeland
N=1420 Jugendliche
16 J. (North Carolina)
68,2 %
Finkelhor et al.
2005
National Survey USA
N=2030, 2-17 J
1-Jahres-Prävalenz
53 % körperl. Gewalt
8,3 % sex. Gewalt
3,6% Zeuge Gewalt
Münzer et a.
2014
N=525 KJP Patienten
46,9%
Traumatypen bei Kindern und Jugendlichen
• N=103 TCT-Studienteilnehmer (IBS-KJ Checkliste)
• 464 bejahte Ereignistypen: M= 4,02, Spanne 1-12
Traumatyp: schlimmstes Ereignis
(N=50 TCT Studienteilnehmer)
sex. Missbrauch/sex.Gewalt
3
4
Zeuge häusliche Gewalt
4
Gewaltopfer
23
Tod nahest. Person
5
Zeuge Gewalt/Unfall
10
andere
Traumatischer Stress bei Kindern
und Eltern
“Ich dachte ich werde
sterben. Ich glaubte dass
ich wirklich schwer
verletzt war. Ich hatte
solche Angst, weil meine
Mutter nicht da war.”
“Ich sah meinen Sohn
auf der Straße liegen,
blutend, schreiend, die
Rettungssanitäter, alle
um ihn herum. Es war
eine schreckliche Szene.
Ich dachte es sei ein
böser Traum.”
ICD-11: Trauma- und belastungsbezogene Störungen
• PTBS: je 2 Symptome Intrusion, Vermeidung, Hyperarousal
• Komplexe PTBS: zusätzl. Probleme der Emotionsregulation, neg. Selbstkonzept, Beziehungsprobleme
•
akute Belastungsstörung
•
Anpassungsstörungen
•
Extreme Stress-Störung / Persönlichkeitsveränderung
•
Prolongierte Trauerstörung
•
Reaktive Bindungsstörung
•
Bindungsstörung mit Enthemmung
Maercker, 2012
DSM-5: Trauma- und belastungsbezogene
Störungen
• Reaktive Bindungsstörung
• Beziehungsstörung mit Enthemmung
• Posttraumatische Belastungsstörung
Subtyp: PTBS im Vorschulalter (0-6)
Subtyp: PTBS mit dissoziativer Symptomatik
• Akute Belastungsstörung
• Anpassungsstörungen
American Psychiatric Association 2013, DSM-5, Trauma- and Stressor-related Disorders
Posttraumatische Belastungsstörung DSM-5
Traumatisches Erlebnis
Wiedererleben
Wiedererleben(1)
(auch im
im Spiel)
(auch
Spiel)
Kognitive/affektive
Symptome (2)
Vermeidung (1)
Übererregbarkeit (2)
> 4 Wo.
psychosoziale Beeinträchtigung
American Psychiatric Association 2013, DSM-5, PTSD
neu:
irritierbar, aggressiv,
waghalsig,
selbstbeschädigend
Langzeitfolgen von Missbrauch:
•
„Ich
kann mich erinnern, dass ich ein Leben lang Angst
hatte.”
• „Und jetzt holen mich die Bilder ständig ein. Wie werde ich
diese los?”
• „Ich kann mich nicht mehr spüren seit dem Missbrauch.”
• „Es kostet so viel Mut, darüber zu sprechen. Ich habe
immer geglaubt, schuld zu sein.”
www.beauftragte-missbrauch.de download 03.07.2012
Traumatyp und Risiko für PTBS bei Erwachsenen
Typ
Männer
Frauen
Vergewaltigung
65,0 %
45,9 %
Sex. Belästigung
12,2 %
26,5 %
Körperl. Angriff
1,8 %
21,3 %
Kampfeinsatz
38,3 %
Lebensbedrohlicher Unfall
6,3 %
8,8 %
Körperl. Missbrauch i. Kindheit
22,3 %
48,5 %
Schwere Vernachlässigung
i. Kindheit
23,3 %
19,7 %
Zeuge von gewaltsamem Tod oder
schwerer Verletzung
6,4 %
7,5 %
Angehöriger davon betroffen
4,4 %
10,4 %
Kessler et al. 1995, Arch Gen Psychiatry; 52:1048-60
Posttraumatischer Stress bei erwachsenen
Überlebenden von Krebs im Jugendalter
%
p<.001
Seitz, Besier, Debatin, Debling, Dieluweit, Hinz, Kaatsch, & Goldbeck, L. (2010). Eur J Cancer, 46, 1596-1606
Kinder und Jugendliche: Diagnosekriterien PTBS
TCT-Studie, n=122
ICD-10 Kriterien
DSM-IV Kriterien
Entwicklungspsychopathologisches
Traumamodell
(De Bellis 2001, Developm Psychopathol 13:539-64)
Traumafolgestörungen jenseits PTBS
KindheitsTraumata
akute
Belastungsstörung
PTBS
Bindungsstörungen
Normale
Entwicklung
(Resilienz)
Depression
Emot. Labilität
Suizidalität
+ Risikoverhalten
Substanzmissbrauch
Körperl. Erkrankungen
Fergusson et al. 1996, J Am Acad Child Adolesc Psychiatry.35:1365-74
Felitti et al. 1998, Am J Prev Med. 14:245-258
Houck et al. 2010, J Ped. Psychol, 35:473-483
Irish, Kobayashi & Delahanty 2010, J Ped Psychol 35:450-461
Oswald, Heil, & Goldbeck, J Ped Psychol. 2010, 35:462-72
Pears & Capaldi 2001, Child Abuse and Neglect 25:1439-61
u.v.m.
(Adipositas, Herz-Kreislauf,…)
Transgenerationale
Weitergabe (Opfer => Täter)
Komorbide Störungen
TCT-Studienteilnehmer (N=122)
Häufigkeit komorbider Diagnosen nach ICD-10
F4
17
F3
41
F9
43
keine Diagnose
52
0
10
20
30
40
50
60
Gliederung
• Posttraumatische Belastungsstörungen
- Traumatypen
- diagnostische Kriterien (DSM-5, ICD-11)
- Komorbidität
• Evidenzbasierte Traumatherapie mit Kindern
und Jugendlichen:
Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
Versorgungsprobleme
•
Scheu nach Trauma zu fragen
•
Trauma wird nicht erkannt
•
Kinder gehen zwischen Hilfesystemen verloren
•
keine Traumatherapie
•
verzögerte Traumatherapie
•
nicht evidenzbasierte Therapien
Jugendhilfe
Medizin
Polizei
Staatsanwalt
Familiengericht
Evidenzgrade (APA Div. 12 Task Force, 1995)
+
vergleichende Therapiestudien
kontrollierte Therapiestudien ohne aktive
Kontrollgruppe
quantifizierte klinische
Beobachtungsstudien
eindeutig positiver klinischer Konsensus
eingeschränkter klinischer Konsensus
_
eindeutig negativer klinischer Konsensus
Evidenz schädlicher Effekte
Derzeit evidenzbasierte Traumatherapien
für Kinder und Jugendliche:
• Child-Parent-Psychotherapy (Lieberman & van Horn 2008)
• Cognitive Behavioral Interventions for Trauma in Schools CBITS
(Jaycox 2003)
• Cognitive Behavioral Therapy for PTSD (Smith et al. 2007)
• Narrative Exposure Therapy KIDNET (Ruf et al. 2010)
• Prolonged Exposure Therapy for Adolescents PE-A
(Foa et al. 2013)
• Structured Psychotherapy for Adolescents Responding to
Chronic Stress SPARCS (Kaplan et al. 2005)
• Support for Students Exposed to Trauma SSET (Jaycox et al. 2006)
• Trauma-focused Cognitive Behavioral Therapy TF-CBT
(Cohen, Mannarino & Deblinger 2006)
• UCLA Trauma Grief Component Treatment TGCT
(Layne et al. 2008)
•
Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
Judy Cohen & Anthony Mannarino & Esther Deblinger
http://tfcbt.musc.edu
Theoretische Grundlagen der traumafokussierten
kognitiv-behavioralen Therapie
• Reizlernen
=> Wiedererleben
• Selektives Gedächtnis (Schlüsselreize vs. Kontext)
• Reizgeneralisation und ungenügende Unterscheidung
traumatischer Reize => Ausbreitung der Störung
• Vermeidungslernen => Avoidance
• dysfunktionale Kognitionen (z.B. „Ich bin schuld“,
„die Welt ist nicht sicher, Erwachsenen kann man
nicht trauen…“)
• ungenügende Verarbeitung und Integration der
traumatischen Erinnerung ins biographische Gedächtnis
Bisherige Evidenz für TF-KVT:
(Cohen, Deblinger & Mannarino 2006, dtsch. 2009)
•
Sex. Missbrauch Vorschulkinder:
Cohen JA, Mannarino AP. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 1996 Jan;35(1):42-50. Cohen JA,
Mannarino AP. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 1997 Sep;36(9):1228-35.
•
Sex. Missbrauch 7-14 J
Cohen JA, Deblinger E, Mannarino AP, Steer RA. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2004
Apr;43(4):393-402. Cohen JA, Mannarino AP, Knudsen K. Child Abuse Negl. 2005, Feb;29(2):135-45.
Deblinger E, Mannarino AP, Cohen JA, Steer RA. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2006
Dec;45(12):1474-84.
•
Komplizierte Trauer (Traumatic grief) 6-17 J.
Cohen JA, Mannarino AP, Knudsen K. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2004 Oct;43(10):122533. Cohen JA, Mannarino AP, Staron VR. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2006
Dec;45(12):1465-73.
•
Schulbasierte Gruppenintervention nach Hurricane Katrina
Jaycox LH, Cohen JA, Mannarino AP, Walker DW, Langley AK, Gegenheimer
KL,Scott M, Schonlau M. J Trauma Stress. 2010 Apr;23(2):223-31.
•
Häusliche Gewalt 7-14 J.
Cohen JA, Mannarino AP, Iyengar S. Arch Pediatr Adolesc Med. 2011 Jan;165(1):16-21.
•
Misshandlung, sex. Missbrauch, Vernachlässigung 4-16 J
Kirsch, V., Fegert, J.M., Seitz, D.C.M., Goldbeck, L. (2011) Kindheit und Entwicklung 20: 95-102
Tf-KVT Effectiveness Studie Norwegen
Jensen et al. 2014
N=156 Jugendliche 10-18 J (80% Mädchen),
gemischte Traumatypen
RCT Tf-KVT vs. TAU in Versorgungskliniken
Tf-KVT überlegen (mittlere ES) bzgl.
- PTSS
- Depression
- allg. Psychopathologie
- Funktionsniveau
- Remission der PTBS
Trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie
(Cohen, Deblinger & Mannarino 2006, dtsch. 2009)
Wchtl. 90 Min. unter Einbezug einer nicht misshandelnden Bezugsperson
Komponenten:
1.
Psychoedukation* & Elternfertigkeiten
2.
Entspannung*
3.
Ausdruck und Modulation von Affekten
4.
Kognitive Verarbeitung und Bewältigung
5.
Trauma-Narrativ*
6.
Kognitive Verarbeitung und Bewältigung II
7.
In vivo Bewältigung von traumatischen Erinnerungen
8.
Gemeinsame Eltern-Kind Sitzungen
9.
Förderung künftiger Sicherheit und Entwicklung
______________________________________________
* Hauptwirkkomponenten evidenzbasierter Traumatherapie
Dorsey et al. (2011) Child Adolesc Psychiatr Clin N Am 20:255-269
Ergebnisse Pilotstudie
PTBS-Symptome prä-post Tf-KVT (N=12)
d=1,8
ie
Ve
de
rm
re
rle
ei
du
be
ng
n
/A
bs
tu
m
pf
un
Üb
g
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gb
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ke
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Ge
sa
m
ts
co
re
d=0,9
W
IBS-KJ
45
40
35
30 d=1,5
25
d=1,3
20
15
10
5
0
Kirsch, V., Fegert, J.M., Seitz, D.C.M., Goldbeck, L.
Kindheit und Entwicklung 20: 95-102 (2011)
prä
post
Posttraumatische Belastung Eltern:
Prä – Post (n=6)
d = 0.95
18
PDSGesamtrohwert
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Prä
Post
TreatChildTrauma:
2012-2015
Studiendesign:
ONKO-STEP: Schreibtherapie via Internet
für Überlebende nach Krebs in Kindheit/Jugend
www.onko-STEP.de
Krebsvergangenheit
abschließen
Blick zurück
Zukunftsängste
positiv nutzen
Blick nach vorn
Offene Fragen
• Wen sollten wir behandeln?
• Wann sollten wir behandeln (wie früh)?
• Ist Prävention nach Traumaexposition möglich?
• Wer sollte behandeln?
• Wie können wir evidenzbasierte Therapien ohne
Wirkungsverlust in die Versorgungspraxis
implementieren?
Offene Fragen Forts.
• Wie können wir die Wirksamkeit von Interventionen
verbessern?
• Sind evidenzbasierte Interventionen für Erwachsene
(z.B. EMDR) auch für Kinder und Jugendliche wirksam?
• Wer profitiert von Traumatherapie und wer nicht?
• Wie sollten wir Interventionen dem Entwicklungsstand
und dem Traumatyp anpassen?
• Wie ist die optimale Therapiedosis?
• …
Zusammenfassung
Trauma im Kindes- und Jugendalter ist häufig und bleibt
zu oft unerkannt.
• PTBS = Störungsbild im Wandel, DSM-5 berücksichtigt
erstmals entwicklungsangepasste diagn. Kriterien
• Die Wirksamkeit der traumafokussierten kognitiven
Verhaltenstherapie ist für 4-17jährige Kinder und
Jugendliche nach unterschiedlichen (auch komplexen)
Traumata gut belegt (Evidenzgrad I a).
• Weitere Therapieoptimierungsstudien und Studien zur
Dissemination in die Versorgungspraxis erforderlich
•
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