Vortrag 2 - Psychiatrische Krankheitsbilder verstehen

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Psychiatrische Krankheitsbilder verstehen –
der Kindeswohlgefährdung durch Zusammenarbeit
entgegenwirken
Dr. med. A. C. Schulz- Du Bois
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Rendsburg
Übersicht
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Epidemiologische Daten
Psychiatrische Krankheitsbilder
Bindungstheorien
Wie reagieren Kinder auf die Erkrankung ihrer
Eltern?
• Was können wir tun?
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Häufigkeit psychischer Erkrankungen in
Deutschland
• 30% der erwachsenen
Gesamtbevölkerung leiden innerhalb
eines Jahres an einer psychischen
Störung
• Für 25% von ihnen besteht eine
Behandlungsbedürftigkeit (4,5 Mio)
Kinder psychisch Kranker
• 3-4 Mio Kinder leben mit einem psychisch
erkrankten Elternteil
• 250 000 Kinder leben mit einem Elternteil, das
psychiatrisch behandelt wird
• 175 000 erleben pro Jahr, dass ein Elternteil
stationär behandelt wird
Erkrankungsrisiko der Kinder
Schizophrenie:
Gesamtbevölkerung 1%
Ein Elternteil erkrankt 13%
Depression:
Gesamtbevölkerung 6%
Ein Elternteil erkrankt 12%
Erkrankungsrisiko der Kinder
• Bis zu 60% der Kinder psychisch kranker Eltern
entwickeln eine psychische Auffälligkeit oder
Störung in der Kindheit.
• Auch im weiteren Leben ist das Risiko für
psychische Erkrankungen deutlich erhöht.
Ursachen des erhöhten Erkrankungsrisikos
• Genetische Ursachen
• Lerngeschichte in der Familie
• Stressfaktoren im Leben
Psychiatrische Krankheitsbilder
• Depression
• Bipolar-affektive Störung (manisch-depressive
Erkrankung)
• Angst- und Panikstörung
• Schizophrenie
• Persönlichkeitsstörung
• Suchterkrankungen
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Was ist eine Depression?
• Eine Störung des Affektes, bei der bestimmte
Symptome über mindestens 14 Tage
kontinuierlich bestehen. Anzahl und Ausmaß der
Symptome bestimmen den Schweregrad der
Erkrankung
• Die postpartale Depression ist kein
eigenständiges Krankheitsbild
Um welche Symptome handelt es sich?
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Gedrückte Stimmung
Interessenverlust
Antriebsminderung
Erhöhte Ermüdbarkeit, körperliche Beschwerden
Psychomotorische Hemmung oder auch Agitiertheit
Konzentrationsstörung, Denkhemmung, Grübelneigung
Insuffizienzgefühle, Schuldgefühle
Um welche Symptome handelt es sich?
• Zwangsimpulse
• Wahnhafte Gedankeninhalte, die sich besonders auf das
Kind beziehen
• Schlafstörungen, die Mutter kann Schlaf nicht nachholen,
wenn das Baby schläft
• Appetitminderung
• Gewichts- und Libidoverlust
• Mutter-Kind-Beziehungsstörungen
• Suizidalität, erweiterter Suizid
Verlauf der Depression
• Je länger eine Depression besteht, desto
schwerer ist sie behandelbar
• 15% der Depressionen verlaufen primär
chronisch
• Manche Menschen haben nur eine Krankheitsphase, andere erkranken immer wieder
• Phasendauer meist Wochen bis Monate, kann
durch Behandlung verkürzt werden
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Bipolar-affektive Störung (manisch-depressive
Erkrankung)
• Es wechseln Phasen von Depression mit Phasen von
Manie oder Hypomanie, in denen die Betroffenen
antriebsgesteigert, euphorisch oder auch gereizt sein
können
• Erkrankungsbeginn liegt früher als bei unipolaren
Depressionen
• Durchschnittliche Dauer bis zur richtigen Diagnosenstellung beträgt 10 Jahre; häufig fehldiagnostiziert als
unipolare Depression, narzisstische oder emotional
instabile Persönlichkeitsstörung
• Hoher genetischer Faktor der Erkrankung
• 50% Erkrankungsrisiko postpartal
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Symptome der bipolaren Störung
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Angst- und Panikstörung
- generalisierte Ängste, phobische Ängste,
Panikstörung (1,5-2%)
- häufig in Kombination mit körperlichen Symptomen
- Kinder von Patienten mit Panikstörung haben ein
10fach erhöhtes Krankheitsrisiko
- deutliche genetische Faktoren
- hohes Chronifizierungsrisiko
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Schizophrenie
• Charakteristische psychopathologische Symptome mit
Wahn, Halluzinationen, formalen Denkstörungen, IchStörungen, Affektstörungen, psychomotorischen
Störungen und Residualsymptomen
• Prävalenz 0,5-1%
• Ein Elternteil erkrankt 13%, beide Eltern erkrankt 47%
Risiko für das Kind, auch an Schizophrenie zu erkranken
• Früher Krankheitsbeginn, oft vor Abschluss einer
Ausbildung
• Auch außerhalb der Akutsymptomatik oft kein adäquater
Kontakt zum Kind, Reizüberflutung, Desorganisiertheit,
bizarres Elternverhalten
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Persönlichkeitsstörungen
• Extrem vom Durchschnitt der Bevölkerung abweichende
und ins krankhafte reichende Störung des Beziehungsund Sozialverhaltens
• Leidensdruck für den Betroffenen und das Umfeld
• Rigide, schwer beeinflussbare Verhaltensmuster
• Insbesondere bei Eltern mit Borderlinestörung oft
schwere Beziehungsstörung zum Kind
• Bei den Kinder gehäuft Traumatisierung durch
Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch
• Höchste Auffälligkeitsrate und ungünstigster
Entwicklungsverlauf
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Suchterkrankungen
• Craving, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen,
Einnahme trotz offensichtlicher Schädigung,
Kontrollverlust
• 5-7% der Bevölkerung leiden an einer Suchterkrankung
• Schädigung des Kindes bereits im Mutterleib mit
Komplikationen wie Frühgeburt, Hirnschädigung,
neonatales Abstinenzsyndrom, fetales Alkoholsyndrom
• Deutlich erhöhte Anfälligkeit der Kinder für psychische
Erkrankungen, sechsfach erhöht für Suchterkrankungen
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Beziehungsstörung
Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth
Eine sichere Bindung zur primären Bezugsperson ist die
Voraussetzung, um im Erwachsenenalter stabile und enge
soziale Beziehungen zuzulassen, aufzunehmen und zu
erhalten.
Beziehungsstörung
Bindungstheorie
Wir unterscheiden 4 Bindungsmuster
- Die sichere Bindung
- Die unsicher-vermeidende Bindung
- Die unsicher-ambivalente Bindung
- Die desorganisierte/desorientierte Bindung
Beziehungsstörung
Die sichere Bindung
- Stark ausgeprägte emotionale Beziehung
- Mutter/Vater ist verlässlich
- Kind erhält Zuwendung und Schutz
- Mutter nimmt die Signale des Kindes schnell
wahr, interpretiert sie zutreffend und reagiert
passend
- Exploration und Streben nach Autonomie
Beziehungsstörung
Die unsicher-vermeidende Bindung
- Eltern reagieren stark zurückweisend
- Emotional kein Rückhalt, keine Unterstützung
- Kind fühlt sich nicht liebenswert, zieht sich zurück,
vermeidet Kontakt zur Bezugsperson
- Kind äußert keine Bedürfnisse, gibt sich brav und
angepasst, so dass die Gefahr der Zurückweisung sinkt
- Reagiert äußerlich auf Trennung von der Bezugsperson
gelassen, reagiert auch kaum, wenn diese wiederkehrt
- Als Erwachsener distanziert, emotionaler Panzer,
unterdrücken Bedürfnis nach Nähe und tiefergehendem
Kontakt. „Ich kann mich nur auf mich selbst verlassen.“
Beziehungsstörung
Die unsicher-ambivalente Bindung
- Eltern werden als unzuverlässig, sehr wechselnd, nicht
berechenbar, nicht nachvollziehbar erlebt
- Kind erlebt Bezugsperson als nicht erreichbar, selbst,
wenn sie in der Nähe ist
- BP stellt eigene Bedürfnisse über die des Kindes
- „Ich verlasse Dich, wenn Du nicht artig bist.“
- Bindungssystem permanent aktiv, aber ambivalent
- Übergroße Anhänglichkeit, klammerndes Verhalten
- Reduzierte Exploration der Umwelt, lauter und
inadäquater Protest bei Trennung
- Als Erwachsener negatives Selbstbild, ambivalent in
Beziehungen
Beziehungsstörung
Die desorganisierte-desorientierte Bindung
- Das Kind kann keine Vorstellung von einer tragfähigen
und stabilen Bindung entwickeln
- Missbrauch, Misshandlung, traumatisierte Bezugsperson,
drogenabhängige Bezugsperson
- Kind zeigt unerwartetes und unerklärliches Verhalten,
erstarrt in Kontakt zur Bezugsperson
- Schreit bei Trennung, reagiert schreckhaft, wenn Mutter
nach Trennung wiederkehrt, flieht
- Unkoordinierte Bewegungen
- als Erwachsene desorientiert, desorganisiert, wirken
skurril, nicht nachvollziehbar
Erkrankungsrisiko der Kinder
• Die Kinder von Eltern mit schweren
Persönlichkeitsstörungen und
Suchterkrankungen weisen die höchste
psychische Auffälligkeitsrate auf
• Desorganisierte Bindung
• Schwere der Erkrankung, Chronifizierung,
Komorbidität, und Rezidivhäufigkeit erhöhen das
Erkrankungsrisiko für die Kinder
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Was fällt bei den Kindern auf?
• Zurückgezogenheit, Verschlossenheit
• Soziale Isolation
• Verhaltensauffälligkeiten
• Entwicklungsverzögerung
• Müdigkeit, Unkonzentriertheit
• Vernachlässigtes Äußeres
• Schuldgefühle
• Schlechte Schulleistungen
• Fehlzeiten in der Schule
Probleme in den Familien
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•
Desorientierung der Kinder
Schuldgefühle
Tabuisierung, Kommunikationsverbot
Betreuungsdefizit
Abwertungserlebnisse und soziale Isolation
Loyalitätskonflikt innerhalb und außerhalb der
Familie
• Zusatzaufgaben für die Kinder
• Parentifizierung
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Der Geist der Geometrie
Rene Magritte
Parentifizierung
Resilienz
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Resilienz
Resilienz bezeichnet eine psychische
Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber
biologischen, psychologischen und psychosozialen
Entwicklungsrisiken.
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Förderliche Faktoren
• Gute Aufklärung der Kinder über die Erkrankung
der Eltern
• Sichere und stabile Umgebung trotz der
Erkrankung
• Gefestigte, positive Beziehung zu einem
gesunden Erwachsenen
• Gefühl, auch vom kranken Elternteil geliebt zu
werden
Förderliche Faktoren
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•
Freunde
Interesse und Erfolg in der Schule
Interessen außerhalb der Familie
Bewältigungsstrategien, positives
Selbstwertgefühl
• Hilfen von außerhalb der Familie
Die Kinder haben gute Chancen, wenn…
… die Erkrankung in der Familie nicht tabuisiert
wird.
… das kranke Elternteil angemessen behandelt
wird.
… die erkrankten Eltern und ihre Kinder sich auf
tragfähige Beziehungen stützen können.
… die Familie Unterstützung erhält.
Vielen Dank
für Ihre
Aufmerksamkeit!
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