Haplotypen und die systematische Analyse genetischer Variation

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Haplotypen und die systematische Analyse
genetischer Variation:
Krankheitsgene, „Drug Targets“ und Pharmakogenomik
Margret Hoehe, Bernd Timmermann, Hans Lehrach
Max Planck Institut für Molekulare Genetik, Berlin
Wesentliche Ziele der modernen Genomforschung/Pharmakogenomik sind die
Identifikation von Krankheitsgenen, die Aufklärung der genetischen Variabilität von
„Drug Targets“ und ihrer funktionellen Implikationen, sowie die umfassende Analyse
der Variabilität von Genen, die den Transport und die Metabolisierung von Pharmaka steuern. So können die Voraussetzungen
für eine individuell optimierte Pharmakotherapie, valide Diagnostik und wirkungsvolle Prävention geschaffen werden. Ein
Schlüsselschritt ist dabei der systematische
Vergleich individueller Gensequenzen mit
dem Ziel der Identifizierung spezifischer
Sequenzvarianten, die mit Krankheitsdisposition oder individuell unterschiedlicher Reaktion auf Pharmaka assoziiert sind. Dabei
kann die Korrelierung genetischer Variation
mit Funktionen von Genen nur auf der Basis
von „Haplotypen“ erfolgen, da nur so Struktur-Funktionsbeziehungen erkannt werden
können. Erste Ansätze und Arbeiten zur
Analyse von Haplotypen und Etablierung
komplexer Haplotyp/Genotyp-PhänotypBeziehungen bei hoher natürlicher genomischer Variabilität werden beschrieben.
Abb. 1: Haplotypen-Paare zweier Individuen für ein Gen mit multiplen (5) SNPs. In diesem Fall
bestimmt die Zuordnung der SNPs zu den beiden Chromosomen den Genotyp; obwohl beide
Individuen an den Positionen 2 und 4 heterozygot sind, exprimiert das Individuum rechts das Gen
korrekt, das Individuum links nicht. Akkurate Haplotypisierung ist also – besonders bei multiplen SNPs
– notwendig, um diese SNPs mit Genfunktion zu korrelieren. Typische Einzel-SNP-Analysen würden
nicht zwischen beiden Haplotypenpaaren differenzieren. Gegenwärtige Methoden, SNPs in diploiden
Organismen z.B. durch direkte Sequenzierung zu „genotypisieren“, ermöglichen es nicht, zu
bestimmen, welches Chromosom eines diploiden Paares mit jedem Polymorphismus assoziiert ist.
Es ist eine seit langem bekannte Tatsache, dass Arzneimittel bei verschiedenen
Menschen verschieden wirken können. Das
Spektrum der Beobachtungen reicht von ungewöhnlich starken Reaktionen auf Pharmaka über das vollkommene Fehlen oder
die mangelnde Effizienz einer therapeutischen Wirkung bis hin zu schweren und im
Extremfall sogar tödlichen Nebenwirkungen. Diese individuell unterschiedliche Reaktion auf Pharmaka wurde bereits seit den
20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der genetisch bedingten, biochemischen Individualität des Menschen in Zusammenhang
gebracht. Das humane Genomprojekt hat
nun durch die Veröffentlichung der nahezu
vollständigen Referenzsequenz des menschlichen Genoms im Jahr 2001 die Voraussetzung dafür geschaffen, diese Unterschiede
systematisch auf der DNA-Sequenzebene
zu erforschen und durch Aufklärung ihrer
genetischen Ursachen den Weg zu einer Verbesserung der Pharmakotherapie des Individuums zu bahnen. Solche Ursachen könnten darin bestehen, dass a) das verabreichte
Medikament nicht den beim betreffenden
Individuum tatsächlich gegebenen ursächlichen Krankheitsmechanismus beeinflusst;
b) das durch das Medikament unmittelbar
beeinflusste Zielmolekül in individuell
unterschiedlichen Genprofilen vorliegt, so
dass eine optimale Interaktion des Zielmoleküls mit dem Medikament nur bei
einem Teil der Patienten möglich ist; und
c) die Gene, die den Transport und die Metabolisierung der pharmazeutischen Wirksubstanzen steuern, sehr variabel sind, was
zu großen individuellen Unterschieden in
Wirksamkeit und Toxizität vieler Arzneimittel führen kann.
Zentrales Thema ist also die systematische Analyse der genetischen Variabilität von
Genen, die eine ursächliche Rolle bei der
Entstehung der Erkrankungen spielen
könnten, oder deren Genprodukte potenzielle „Drug Targets“ sind bzw. im Gesamtkontext der Wechselwirkungen zwischen
Medikament und Organismus wirksam werden. Ziel ist die Identifizierung derjenigen
spezifischen Varianten, die mit dem Krankheitsphänotyp oder unterschiedlichen
Reaktionen auf Pharmaka assoziiert sind,
d.h. funktionelle Veränderungen des Moleküls implizieren. Schlüsselschritt ist dabei
der systematische Vergleich von Gensequenzen in Kranken und Gesunden oder
in Individuen, die sich hinsichtlich ihrer
Reaktion auf Pharmaka unterscheiden.
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Abb. 2: Polymorphes Spektrum des µ-Opiatrezeptorgens[5]. Die 6968 bp genomische Referenzsequenz ist als Baseline präsentiert; alle
Genvarianten sind durch Positionsnummern (relativ zum Startcodon) gekennzeichnet, Nukleotid-Variationen (Basenaustausche, Insertionen und
Deletionen) sind angegeben. Die mit einem Stern versehenen Varianten sind in die Haplotyp-Analysen miteinbezogen worden.
Der Schlüsselschritt: der Vergleich
individueller Kandidatengensequenzen
und Bestimmung der Haplotypen
Da das gesamte Gen und sein kodiertes Protein als Einheit die Funktion bestimmen, ist
es zwingend notwendig, die gesamten Sequenzen der individuellen Gene einschließlich ihrer regulierenden, exonischen
und wichtiger intronischen Regionen zu analysieren. In diploiden Organismen ist es weiter essentiell, die spezifischen Kombinationen der Sequenzvarianten (die Haplotypen)
für jedes der beiden (väterlichen und mütterlichen) Chromosomen des Genes zu bestimmen, da nur so eindeutige Aussagen
über die Funktionalität der beiden Genkopien möglich sind (Abb. 1). So lassen zwei
verschiedene Mutationen, die sich auf dem
gleichen Chromosom befinden (in cis), die
Funktion der anderen Kopie des Gens intakt. Wenn sie sich auf den verschiedenen
Chromosomen befinden (in trans) werden
beide Genkopien inaktiviert. Demselben
SNP können daher unterschiedliche Haplotypen-Konstellationen zugrunde liegen, im
Extremfall funktionale und nicht-funktionale, wie aus Abb. 1 eindeutig hervorgeht.
Reine Assoziationsstudien auf der Basis
der Analyse einzelner SNPs können daher
leicht zu widersprüchlichen Ergebnissen
führen, wie die Literatur inzwischen hinlänglich bewiesen hat. Die Bedeutung der
Analyse von Haplotypen für die Identifizierung genetischer Risikoprofile und Vorhersage klinischer Reaktionen auf Pharmaka wurde inzwischen in ersten Studien eindeutig demonstriert[5, 3, 1]. Diese sich anbahnende „Trendwende“ wurde durch
DALY et al. 2001[2] zusammengefasst: „Assoziationsstudien zur Identifizierung von
Krankheitsgenen bezogen sich traditionellerweise darauf, individuelle SNPs im Gen
oder seiner Umgebung zu testen. Dieser Ansatz … hat keinen klaren Endpunkt: wahre
Assoziationen können aufgrund der unvollständigen Information einzelner SNPs unentdeckt bleiben; negative Ergebnisse
schließen eine Assoziation nicht aus, die benachbarte SNPs involvieren könnte; und positive Ergebnisse sind keine Indikation für
die Entdeckung eines kausalen SNPs, sondern einfach eines Markers im Kopplungsungleichgewicht mit einem wahren kausalen SNP in einiger Entfernung (sogar mehrere Gene weit weg)“. Aufgrund dessen wurde auf dem NIH Meeting „Developing a
Haplotype Map of the Human Genome for
Finding Genes Related to Health and Disease“ vom 18. – 19. Juli 2001 die Analyse
von Gen-basierten Haplotypen und
chromosomalen Haplotyp-Blöcken[2], die
Haplotypenkarte, zum nächsten großen
Ziel des „US Human Genome Projects“ erklärt.
Genetische Variabilität als Herausforderung: die Vielfalt von Haplotypen
Erste systematische Vergleiche von Kandidatengen-Sequenzen (Teilen eines Genes
oder „gesamter“ Sequenzen) in einer größeren Anzahl von Individuen haben zu der Erkenntnis geführt, dass Gene und das
menschliche Genom sehr viel variabler sein
können als ursprünglich angenommen. Im
Durchschnitt finden sich ca. 3-6 SNPs in
kodierenden Regionen (1 SNP ca. alle 200300 bp), und eine größere Dichte von SNPs
in den regulatorischen (1 SNP ca. alle 100200 bp) und intronischen Sequenzen[7, 4, 5].
Die allelische Komplexität von Kandidatengenen kann groß sein. Dadurch wird die
Analyse von Genotyp-Phänotyp-Beziehungen, besonders in der Situation komplexer
Erkrankungen und pharmakogenetischer
Merkmalsbereiche, oft schwierig. Das Spektrum polymorpher, pathogenetischer Profile kann von Einzelvarianten über Mutationen als Bestandteile gleicher oder unterschiedlicher Haplotypen bis hin zu Kombinationen von Varianten („Mustern“) reichen,
und so die funktionelle Variation bedingen,
die der phänotypischen Variation zugrunde
liegt. Dabei ist es wichtig, alle Genvariabilität, die funktionelle Variabilität bedingen
kann, zuzulassen, da das im Zuge der
Aufklärung Mendel’scher Erkrankungen
historisch gewachsene Konzept von der
Einzelmutation, die einen schwerwiegenden Proteindefekt erzeugt, kaum mit der
Beobachtung der eher graduellen Funktionsveränderungen bei komplexen Erkrankungen bzw. Merkmalen vereinbar ist,
und sich für die Identifizierung von genetischen Risikofaktoren als trügerisch erweisen könnte.
Die beschriebene Variabilität eines Genes
kann also zu einer großen Anzahl von individuell unterschiedlichen Haplotypen
führen, besonders dann, wenn die Anzahl
der heterozygoten Positionen in einem Gen
relativ groß ist. So wurde z.B. von uns das
Gen des µ-Opiatrezeptors, Zielmolekül von
Morphin (Suchtsubstanz und Schmerzmittel der klassischen Medizin) einschließlich
seiner regulierenden, exonischen und wichtigen intronischen Regionen (ca. 6.7 kb insgesamt) in 250 Suchtpatienten und Kontrollen vergleichend sequenziert, und 43 unterschiedliche Varianten identifiziert (Abb.
2). In die weiteren Analysen wurden diejenigen 25 Varianten, die mit einer Allelfrequenz von ≥ 1%, also mehr als ein einziges
Mal, vorkamen, miteinbezogen. Auf dieser
Basis ließen sich bei der Untergruppe von
172 Afro-Amerikanern insgesamt 81 unterschiedliche Genotypen beschreiben (als die
Summe aller „Genotypen“ an allen 25
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No.
Hap lotype s
Case s
Con trol s
No.
Hap lotype s
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0
Analyse von Haplotyp/Genotyp-PhänotypBeziehungen und Identifizierung von
genetischen Risikoprofilen
+1053
+1239
A
G
C
T C G
G
A
T A
C
A
T
G
G
C
T
C T A
C
G
C C
G
G
A
sORF
5’
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+252
A
-1343
A G
-1429
-367
Um trotz dieser Multiplizität von Haplotypen statistisch signifikante Aussagen ma-
-468
+491
Thr → Ile
+523
Assoziationsanalysen mit Kandidatengenen;
gängige methodische Ansätze versagen angesichts der natürlich gegebenen Variabilität
innerhalb eines – selbst kleinen – chromosomalen DNA-Segmentes, bzw. sind weder statistisch noch biologisch zulässig. Folgende
wesentliche Fragen erheben sich: Wie kann
man Genotyp-Phänotyp-Beziehungen gegen
einen Hintergrund gegebener hoher natürlicher Variabilität untersuchen? Wie kann man
– in Bezug auf den Phänotyp – wichtige von
unwichtigen Varianten filtern, unter der Vorannahme, dass die funktionell signifikanten
Varianten nur eine Untergruppe der natürlich
gegebenen Variabilität darstellen?
-654
-47
Arg → Cys
-20
+46
Arg → Gly
+79
Gln → Glu
kamen, die restlichen Haplotypen waren
seltener.
In einer Analyse des β2-adrenergen Rezeptorgens, dessen Genprodukt ebenso Zielmolekül für wichtige Pharmaka ist und eine
potenzielle Rolle bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen, insbesondere
Hypertonie spielen kann, wurden insgesamt
15 unterschiedliche SNPs in ca. 3100 bp regulierenden und exonischen Sequenzen
gefunden (Abb. 4); dabei lagen die beobachteten Allelfrequenzen für die meisten SNPs
über 30%. Drei Mutationen, Arg → Cys,
Arg → Gly und Gln → Glu, erwiesen sich –
als Einzelmutationen analysiert – in in vitro
Studien als funktionell signifikant. Als Ergebnis der vergleichenden Sequenzanalyse von 237 Individuen wurden z. B. insgesamt 121 unterschiedliche Haplotypen ermittelt.
Die Vielfalt der gegebenen Haplotypen
stellt nun ganz neue Herausforderungen an
-1023
Positionen). Da die Bestimmung der genetischen Haplotypen durch molekulargenetische Methoden derzeit zu aufwendig
ist, wurde ein Programm zur statistischen
Vorhersage des einem Genotypen mit der
größten Wahrscheinlichkeit zugrundeliegenden Haplotypen-Paares entwickelt
(„MULTIHAP“). Dadurch konnten die
insgesamt 172 Haplotypen-Paare, die 81
unterschiedliche Genotypen konstitutierten,
durch 52 unterschiedliche Haplotypen
erklärt werden (Abb. 3; siehe auch[5]). Diese
Anzahl von Haplotypen (bei mäßiger
Heterozygotie des Gens) sprengt bereits
den Rahmen des gegenwärtig „Machbaren“
auf dem Gebiet der Assoziationsanalyse,
liegt jedoch bei einer Anzahl von n=25 SNPs
deutlich unter der Anzahl der theoretisch
möglichen, n=225 Haplotypen. Insgesamt
waren fünf häufige Haplotypen-Formen zu
ermitteln (Häufigkeiten zwischen 38 und
5%), die in ungefähr 70% der Individuen vor-
Abb. 3: Haplotypen des
µ-Opiatrezeptorgens von
Patienten und Kontrollen[5].
1 bedeutet: identisch mit der
Referenzsequenz; 2 bedeutet:
unterschiedlich von der
Referenzsequenz; die durch
Positionen 1-25 spezifizierten
polymorphen Positionen sind
in Abb. 2 markiert. Die mit rot
bzw. orange unterlegten
Haplotypen waren, als
Ergebnis einer hierarchischen
Clusteranalyse, Bestandteil
eines Clusters, das sich
signifikant von den anderen
unterschied (siehe Text und
[5]). Diesen Haplotypen
gemeinsam war eine
Kombination von fünf
Varianten an den Positionen
1, 3, 5, 13, 15, bzw. in zwei
zusätzlichen Fällen eine
Kombination von drei dieser
Varianten. Ausführliche
Diskussion siehe [5].
3’
+1
100bp
Abb. 4: Polymorphes Spektrum des β 2-adrenergen Rezeptorgens. Die drei Mutationen Arg → Cys, Arg → Gly und Gln → Glu erwiesen sich
in in vitro Studien als funktionell signifikant. Die 15 unterschiedlichen Varianten wurden im Zuge der vergleichenden Sequenzierung von
insgesamt 370 Individuen aus 3 unabhängigen Studien gefunden.
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Pos. -1343
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2
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1
1
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1
Abb. 5: Haplotypen des β2-adrenergen Rezeptorgens. Diese Varianten und Haplotypen wurden als erweiterte Analyse der sog. „Bergen Blood Pressure
Study“[9] ermittelt; zur Lokalisation und Spezifizierung der in dieser genetisch relativ homogenen Population identifizierten 11 Varianten siehe Abb. 4. Die
Haplotypen in den Zeilen 1-3 waren signifikant häufiger bei Individuen mit Prädisposition für essentielle Hypertonie. Diese Daten zeigen, dass weder die
Analyse eines einzelnen SNPs, Arg → Gly (wie in den meisten Assoziationsstudien), noch die simultane Analyse von 3 Mutationen, Arg → Cys, Arg → Gly und
Gln → Glu (wie in wenigen Studien) ausreichen, um die für die weiteren funktionellen Analysen relevanten Varianten zu identifizieren. Die ersten 7
Varianten sind für den statistischen Unterschied entscheidend; die letzten 4 Varianten sind stille Mutationen, was die „Sinnhaftigkeit“ der Analyse bestätigt.
Die Haplotypen-Muster zeigen auch, dass ein- und derselbe SNP Bestandteil unterschiedlicher Haplotypen sein kann. Schließlich wird klar, dass
funktionelle Analysen einzelner Mutationen nicht notwendigerweise einen Schluss auf die Gesamtfunktion des tatsächlich gegebenen polymorphen Profils
zulassen.
chen zu können, bietet es sich an, zu versuchen, sie auf Grund von Struktur-Funktionsbeziehungen in funktionell ähnliche
(idealerweise gleiche) Gruppen zu ordnen.
Da a priori die Anzahl funktionell unterschiedlicher Klassen (falls solche überhaupt
existieren) nicht bekannt ist, erscheint ein
schrittweiser Klassifikationsprozess sinnvoll.
Dieser geht von den einzelnen Haplotypen
aus und fasst schrittweise die jeweils ähnlichsten Cluster zusammen, bis im letzten
Schritt ein einziges Cluster übrigbleibt. Sofern mindest eine dieser Klassen signifikant
häufigere Haplotypen von Patienten oder
Kontrollen enthält, ist die Existenz funktionell unterschiedlicher Klassen wahrscheinlich. In diesem Fall werden die Haplotypen in den Klassen auf bestimmte
„Konsensus-Muster“ hin analysiert. Können
bestimmte Muster von Varianten häufiger in
Individuen mit der Erkrankung beobachtet
werden, so können diese als Risikoprofile
betrachtet werden. Auf der Basis eines derartigen Klassifikationsprozesses von Haplotypen mittels einer hierarchischen Clusteranalyse konnte eine Gruppe von Haplotypen ermittelt werden, denen eine charakteristische Kombination von fünf Varianten gemeinsam war (Abb. 3). Diese ursprünglich
statistisch ermittelten Haplotypen entsprachen den genetischen Haplotypen, wie mittels molekulargenetischer Methoden bestätigt wurde[5]. Diese Kombination von Varianten stellt ein potenzielles Risikomuster
für Suchterkrankungen dar und bildet den
Ausgangspunkt für funktionelle Analysen
dieser Varianten einzeln und in Kombination, um diese biologische Hypothese zu testen. Mit einem entsprechenden Vorgehen
wurde eine Kombination von sieben Varianten aus insgesamt 11 extrahiert, die mit ei-
ner Disposition für essentielle Hypertonie
assoziiert war (Abb. 5) (erweiterte Analysen
zur „Bergen Blood Pressure Study“[9]).
Zusammenfassend zeigen diese Untersuchungen zunächst die „molekulare Wahrheit“, die potenziell große Variabilität der
Gene und Vielfalt individueller Genformen.
Weitere Untersuchungen in einer Reihe von
Rezeptorgenen, vornehmlich aus der Genfamilie der G Protein-gekoppelten Rezeptoren, haben inzwischen Extreme aufgezeigt, die von 10 bis 59 Varianten pro Gen
(Beispiel[8]) bis hin zu bemerkenswerter
„Nicht-Variabilität“, d.h. keinerlei Mutation
im kodierenden Bereich (Beispiel[6]), reichen. Ebenso bestehen keine Zusammenhänge zwischen der Anzahl der Varianten
und Anzahl der Haplotypen. Eine zukünftige Pharmakogenomik muss die Kenntnis
der Variabilität der Gene und ihrer funktionellen Implikationen der Entwicklung und
Anwendung von Therapeutika voraussetzen. Die Studien zeigen ebenso die Bedeutung der vergleichenden Sequenzierung aller funktionell wichtigen Regionen eines
Gens als Voraussetzung für Aussagen über
Struktur-Funktionsbeziehungen und in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Haplotypen für eine funktionelle Interpretation der gefundenen Sequenzvariation. Sie
illustrieren schließlich die Entwicklung und
Anwendung technologischer und biomathematischer Ansätze zur Durchführung von
Assoziationsstudien, Analyse von komplexen Haplotyp/Genotyp-Phänotyp-Beziehungen und Identifizierung von genetischen
Risikoprofilen gegen einen Hintergrund
hoher natürlicher genomischer Variabilität.
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Blood Pressure Study. Kidney Int 53: 1455-1460.
BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang
Highlight
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Studium der Medizin
und Psychologie in
München, Promotion
1986; 1987 bis 1992
Visiting Scientist, Clinical Neurogenetics
Bernd
Timmermann
geboren 1967, von
1989 bis 1994 Studium
der Biologie an der Universität Osnabrück, von
Hans Lehrach
geboren1946, Studium
der Chemie in Wien,
Promotion 1974 bei
Branch, NIMH, NIH, Bethesda; 1992 bis 1994
Visiting Scientist, Harvard Medical School,
Boston; 1995 bis 2001
Gruppenleiterin am Max
Delbrück Centrum
(MDC), Berlin; 1999 bis
2002 Wiss. Vorstand,
GenProfile AG; seit
2002 Leiterin des Bereichs „Genetic Variation“ am MPI für Molekulare Genetik, Berlin.
1995 bis 1998 wiss.
Mitarbeiter im Bereich
Genomforschung am
MDC in Berlin, von
1999 bis 2002 Bereichsleiter Automatisierung bei der GenProfile
AG, seit 2002 wiss. Mitarbeiter im Bereich genetische Variabilität am
MPI für Molekulare Genetik in Berlin.
Prof. F. Cramer, MPI für
Experimentelle Medizin,
Göttingen, Postdoc an
der Harvard University,
Boston, USA, Gruppenleiter EMBL Heidelberg,
Abteilungsleiter am Imperial Cancer Research
Fund in London, seit
1994 Direktor am MPI
für Molekulare Genetik
in Berlin.
Korrespondenzadresse:
Dr. Margret Hoehe
Max Planck Institut für Molekulare Genetik
Ihnestr. 73
D-14195 Berlin
Tel.: 030-8413 1353
Fax: 030-8413 1365
[email protected]
BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang
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