des Meetings? - Vatican Insider

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“Und fehlt eine starke Zivilgesellschaft“
Ein Gespräch mit Bernhard Scholz, dem Präsidenten der
„Compagnia delle opere“, über das Meeting von
„Comunione e Liberazione“ in Rimini
Von Guido Horst
„Die Vernunft braucht das Unendliche, und sie gipfelt in der
Sehnsucht und in der Ahnung, dass sich das Unendliche
offenbart:“ Oder: „In unserem Herzen wohnt eine Sehnsucht
nach großen Dingen.“ Und in diesem Jahr: „Die Existenz
gewinnt eine unvergleichliche Gewissheit.“ Schon die Titel
des „Meetings für die Freundschaft unter den Völkern“, das
seit 1980 jeweils Ende August in den Messehallen der
Adriastadt Rimini stattfindet, klingen für normale Ohren etwas
ungewöhnlich. Doch wenn das kurz „Meeting“ genannte
Gemisch aus Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten und
Podiumsdiskussionen am 27. August schließt, werden um die
siebenhunderttausend Besucher durch die weiträumigen
Hallen am Rande Riminis gelaufen sein. Das Meeting ist
damit das größte Kulturtreffen Italiens katholischer Prägung.
Hinter ihm steht die von Don Luigi Giussani gegründete
Bewegung „Comunione e Liberazione“ (CL) mit Sitz in
Mailand. Johannes Paul II. hat es ebenso besucht wie Mutter
Teresa oder Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Zeit als
Glaubenspräfekt.
Organisiert wird das Meeting von der „Compagnia delle
opere“ (Gemeinschaft der Werke), einem Zusammenschluss
von kleinen und mittleren Unternehmen sowie karitativen
Einrichtungen, den Mitglieder von CL vor 25 Jahren ins
Leben gerufen haben. Präsident des nach den Prinzipien der
katholischen Soziallehre agierenden Verbands ist ein
Deutscher. Bernhard Scholz war früher Pressesprecher des
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Erzbischofs von Freiburg, ging dann als Unternehmensberater
nach Norditalien und wurde 2008 zum Präsidenten der
„Compagnia delle opere“ gewählt. Seit dieser Zeit ist die
Vorbereitung des jährlichen Meetings eine seiner
Hauptaufgaben.
Im Ausland bezeichnet man das Meeting bisweilen als
italienischen „Katholikentag“, andere sehen in ihm eine
Art Kultur-Messe. Wenn man aber dann dort ist, geht es
auch recht politisch zu: Spitzenleute der italienischen
Parteien geben Pressekonferenzen, Politiker sprechen über
aktuelle Fragen, daher auch das große Interesse der
Medien. Wie wichtig ist der „politische Teil“ des
Meetings?
Im Zentrum des Meetings stehen die gesellschaftlichen und
kulturellen Entwicklungen in Italien, Europa und in jenen
Regionen der Welt, die von Krisen betroffen oder wegen
bestimmter Wandlungen von besonderem Interesse sind.
Natürlich steht dabei immer die Frage nach der Bedeutung des
Christentums für eine menschlichere Zukunft im Mittelpunkt.
Es ist klar, dass damit auch die politischen Aspekte zur
Sprache kommen müssen. Doch in den letzten Jahren ist auch
in der Berichterstattung deutlicher geworden, dass die
aktuellen politischen Debatten Italiens keineswegs der Kern
des Meetings sind. Auch deshalb, weil immer mehr Politiker
aller Parteien dazu bereit sind, während des Meetings über
jene Grundsatzfragen zu diskutieren, die im Tagesgeschäft
vielfach zu kurz kommen, und sich auch persönlich mit dem
Thema des Meetings zu befassen.
Seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts
kennt Italien einen politisch engagierten Katholizismus,
der nach dem Zweiten Weltkrieg in der „Democrazia
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cristiana“ seine politische Heimat fand. Doch seit einigen
Jahren gibt es keine katholische Volkspartei mehr im
Lande Don Sturzos und De Gasperis. Hat stattdessen das
Meeting die Aufgabe übernommen, ein Zeichen für die
Präsenz der Katholiken in der Gesellschaft zu setzen?
Sicher setzt das Meeting ein Zeichen für die Präsenz der
Katholiken in der italienischen Gesellschaft. Aber es hat nicht
den Anspruch einer politischen Vertretung, sondern spricht
mit allen, für die das Gemeinwohl etwas Erstrebenswertes ist.
Das Meeting ist eine Initiative, auf der Grundlage der
christlichen Erfahrung Begegnungen zu ermöglichen, in denen
der Mensch sich selbst verstehen lernt und Wege finden kann,
zum Wohle der Gesellschaft beizutragen. Nicht mehr und
nicht weniger.
Schaut man sich die Titel oder Mottos der Meetings der
letzten Jahre an, so könnte man dahinter eine religiöse
Aussage vermuten. Ist das richtig?
Was ist nicht religiös? Alles Tun des Menschen ist Ausdruck
seiner Suche nach einem dauerhaften und vollkommenen
Glück, auch wenn er sich dabei tragisch verirren kann. Die
Titel des Meetings versuchen unter den unterschiedlichsten
Aspekten, diesem „religiösen Sinn“ nachzugehen, ohne ihn
konfessionell zu verkürzen. Das Christentum lebt aus der
Gewissheit des Glaubens, doch ist diese Gewissheit kein
Endpunkt, sondern eine Öffnung auf die Wirklichkeit. Er setzt
die Kräfte des Verstehens und Veränderns frei und begibt sich
damit auch in einen Dialog mit allen Formen und
Ausprägungen authentischen menschlichen Suchens. Die
Ökumene und der interreligiöse Dialog waren daher schon
immer fester Bestandteil des Meetings.
Die von Don Luigi Giussani gegründete Bewegung
„Comunione e Liberazione“ stand Pate, als die Geschichte
des Meetings 1980 begann. Welcher Aspekt von CL gehört
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zur DNA des Meetings?
Im Grunde alle Aspekt, vor allem aber die kulturelle
Dimension des Glaubens, so wie ich sei eben anzudeuten
versucht habe. Die Frage nach dem Sinn des Lebens muss ja
zur Frage nach der Bedeutung all dessen führen, was zum
Leben gehört: Wissenshaft und Bildung, Politik und
Wirtschaft und zwar nicht nur allgemein, sondern im Hinblick
auf die Fragen, die die Menschen heute bewegen. Daher will
auch das Meeting einen Dialog über jene Themen und
Probleme ermöglichen, die uns heute herausfordern.
Christentum ist nicht Weltflucht, sondern Gegenwart inmitten
der Welt, geprägt von der Freiheit, nicht von der Welt
determiniert zu sein.
Vor vielen Jahren hat der Student Angelo den Schüler
Roberto mit zu den Versammlungen von Don Giussani
genommen. Heute ist dieser Roberto, mit Nachnamen
Formigoni, Präsident der wirtschaftlich potenten Region
Lombardei und der Student wechselt demnächst als
Kardinal Angelo Scola von Venedig nach Mailand. Da
haben einige Kommentatoren im linken oder laizistischen
Lager kritisch reagiert. Was würden Sie diesen sagen?
Statt aufzuheulen sollten sie sich zu ihrem eigenen Besten mit
dem auseinandersetzen, was Kardinal Scola und Formigoni
getan und gesagt haben. Anders als in Deutschland leben aus
historischen Gründen in Italien viele Menschen mit der
Überzeugung, dass das Christentum in der Öffentlichkeit und
schon gar in der Politik nichts zu suchen hat. Nicht eine
angemessene Unterscheidung zwischen Staat und Kirche wird
verlangt, sondern eine absolute Trennung. Wäre dies gegen
eine Klerikalisierung der Politik gerichtet, müsste man dem
zustimmen. Doch unverständlich ist, dass sich dieser Protest
gegen ein Politikverständnis richtet, das dazu beigetragen hat,
dass die Lombardei zu den führenden Regionen Europas zählt,
das eine Verlebendigung aller gesellschaftlichen Kräfte
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fördert, der persönlichen Freiheit Raum gibt und eine größere
sozialen Gerechtigkeit ermöglicht. Das ist keine
Meinungssache, sondern Gegenstand internationaler
politikwissenschaftlicher Untersuchungen. Und wer Kardinal
Scola kennt, der weiß, wie sehr er sich im Namen des
Christentums für die Freiheit einsetzt und wie sehr er sich
gegen eine moralistische Reduzierung der Kirche und gegen
die verschiedenen Formen der Klerikalisierung und
Konfessionalisierung gewehrt hat. Es genügt, auf seine
Veröffentlichungen und auf das von ihm gegründete
ökumenische Institut Oasis hinzuweisen. Dass zudem der
„Corriere della Sera“, wahrlich keine Bistumszeitung, seine
Offenheit und Menschlichkeit gelobt hat, sollte genügen, um
zu zeigen, dass viele Urteile in Wirklichkeit Vorurteile sind,
die hoffentlich bald überwunden sein werden.
Schaut man in die italienischen Zeitungen, so muss man
den Eindruck haben, das Land stecke in einer politischen
Krise. Das Ende der Ära Berlusconi scheint sich zu
nähern. Aber eine Alternative ist nicht in Sicht. Wird man
auf dem Meeting, wenn man nur genauer hinschaut,
Elemente zur Überwindung der Krise finden können?
Nicht der Krise der Regierung Berlusconi, aber der Krise
einer Gesellschaft, die zu stagnieren scheint.
Ohne Zweifel steckt Italien in einer politischen und in
gewissem Maße auch in einer wirtschaftlichen Krise. Allzu
lange wurde Politik mit der Polarisierung für oder gegen
Berlusconi verwechselt. Wichtige Reformen blieben aus und
die Übernahme von Verantwortung war eher eine Ausnahme.
Es besteht nach wie vor ein drastisches Nord-Süd-Gefälle
innerhalb derselben Nation: Während die nördlichen Regionen
zu den ersten Europas gehören, stehen die südlichen Regionen
am unteren Ende. Etwa zwanzig Prozent der italienischen
Jugend sind arbeitslos und gehen keiner Ausbildung nach. Die
Parteien sind vornehmlich mit sich selbst beschäftigt und tun
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sich schwer, Antworten auf die großen Herausforderungen zu
finden. Die Ursachen für diese und andere Probleme sind
vielschichtig, oft historisch bedingt und nicht so einfach zu
verstehen, was natürlich viele Vorurteile und schablonenhafte
Antworten in- und außerhalb Italiens fördert. Deshalb haben
Sie Recht: Das eigentliche Problem ist das Fehlen einer
Zivilgesellschaft, die den verbreiteten Individualismus
überwindet und sich mit Elan dem Bildungswesens, dem
Föderalismus, der Entstaatlichung und der Entbürokratisierung
zuwendet und den gesellschaftlichen Kräften, die es durchaus
gibt, Raum verschafft. Die italienische Politik aller Couleur
hat sich als Heilsbringerin ausgeben. Dieser Anspruch ist
heute entlarvt. Wer heute antritt, muss die Kraft haben,
realistisch und mutig Reformen durchzusetzen, ansonsten
werden die bereits vorhandenen Protestbewegungen weiter
Zulauf finden. Es bedarf neuer gesellschaftlicher und daraus
erwachsender politischer Kräfte, die den Primat der
Gesellschaft und des vorpolitischen Raums anerkennen und
fördern. Hierzu will das Meeting einen Beitrag leisten.
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