Vorwort Schreibt man ein Buch über den weitgehend kanonisierten Stoff des physikalischen Grundstudiums, so drängt sich die Frage des Warum auf. Was gibt es hier Neues zu tun für einen Lehrer und Autor? Zum einen hat der gewaltige Erfahrungshorizont der modernen Physik auch den Blick auf deren klassische Grundlagen geschärft, um Wichtiges und Dauerhaftes vom Überlebten zu scheiden. Zum anderen ist die inhaltliche Trennung von Grund- und Hauptstudium deutlicher geworden: Die Themenbereiche der modernen Physik von Teilchen über Kerne, Atome, Moleküle bis hin zur kondensierten Materie werden heute alle mit dem vollen Anspruch der theoretischen Physik, insbesondere der Quantenmechanik gelehrt, richten sich also an fortgeschrittene Studenten. Dieser Zäsur trägt dieses Buch Rechnung, indem es die systematische Erarbeitung der Grundlagen der klassischen Physik – nach wie vor ein unverzichtbares Wissensgut für jeden Naturwissenschaftler in Praxis und Lehre – in den Vordergrund stellt, w ährend der Appetit auf die moderne Physik durch kritische Hinweise und gezielte Ausblicke geweckt wird. Das rechtfertigt seinen Titel als Repetitorium für Vordiplom und Staatsexamen. Der Text ist darauf angelegt, Strukturen physikalischen Verständnisses zu bilden; die vielen kurzen, aber doch vollständigen Ableitungen sollen Sicherheit im mathematischen Umgang mit der Physik vermitteln. Nur beides zusammen ergibt produktives und belastbares Wissen. Anders ausgedrückt, die Fähigkeit, rationale Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, scheint auch das Geheimnis für den Erfolg zu sein, den Physiker in unserer schnell veränderlichen Welt heute in vielen neuen Berufen finden. Das Buch sucht die Nähe der Grundvorlesung und beschreibt auch deren wichtigste Versuche, wobei die einfachen, einleuchtenden den Vorzug vor den spektakulären genießen. Die vielen Abbildungen, die nach Möglichkeit jedes angeschnittene Thema begleiten, sind als Gedächtnisstütze einfach gehalten. Der Titel Repetitorium soll nicht dazu verführen, 800 Seiten wortwörtlich und Gleichung für Gleichung zur Prüfung parat haben zu wollen. Vielmehr soll die gründliche Auseinandersetzung mit dem Text in erster Linie ein geistiges Training darstellen, bei dem genug Stoff hängen bleibt. Schließlich gibt die Zusammenfassung der einzelnen Kapitel im beigelegten Kurzrepetitorium noch einmal einen Leitfaden durch die wichtigsten Themen, Begriffe und Gesetze. Dem Springer-Verlag verdanke ich viele interessante Anregungen zur Gestaltung des Buchs. Meinen Sekretärinnen, Christine Best und Elvira Stuck-Kerth sei VI Vorwort gedankt für die sorgfältige Erfassung des Textes während vieler Überstunden. Mein Dank gilt auch vielen Studenten, die sich mit Einsatz und Freude beim Zeichnen der Bilder und Erstellen der Formeln beteiligt haben. Meiner Frau Nora danke ich, daß sie den Verlust an gemeinsamer Freizeit, der die schlimmsten Erwartungen übertraf, mit Ermunterung erwidert hat. Mainz, im Mai 1998 ! ∗ Ernst W. Otten Besondere Hervorhebungen im Text Ausrufezeichen am Rande machen auf Besonderheiten und interessante Details aufmerksam. Im Fettdruck hervorgehobene Begriffe sind in der Regel in das Sachverzeichnis aufgenommen. Ein Stern bezeichnet ergänzende Themen oder Herleitungen, die nach Umfang oder Anspruch den hier gesteckten Rahmen überschreiten. 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie INHALT 14.1 14.2 14.3 14.4 Histogramm und Verteilungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gasdruck als dynamischer Druck stoßender Moleküle . . . . . . . Satz über die Summe von Partialdrücken . . . . . . . . . . . . . . . . Mittlere thermische Molekülgeschwindigkeit und Brownsche Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Innere Energie, Freiheitsgrade, Äquipartitionstheorem und spezifische Wärmekapazität CV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.6 Boltzmann-Faktor und Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung . . 333 . . 335 . . 340 . . 340 . . 342 . . 348 Wir wollen in diesem Kapitel die Wärmelehre auf eine mikroskopische Grundlage stellen, d. h. auf die statistische Bewegung der einzelnen Atome und Moleküle zurückführen, und zwar zunächst nur für ideale Gase. Dies ist im Prinzip ein Lehrgebiet der statistischen Mechanik, dessen strenge, theoretische Behandlung mit elementaren Methoden nicht möglich ist. Trotzdem können wir hier einige wichtige Resultate erschließen und andere auch ohne Beweis sinnvoll diskutieren. Statistische Aussagen werden immer als Durchschnittswerte über viele Einzeldaten gewonnen. Wir werden uns im Verlauf dieses Kapitels z. B. für die statistische Verteilung der Geschwindigkeit oder der kinetischen Energie der Moleküle im Gas interessieren. Hierzu müssen wir als erstes die Begriffe des Histogramms und der Verteilungsfunktion diskutieren. 14.1 Histogramm und Verteilungsfunktion Wie sollen wir z. B. an die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung eines bestimmten Ensembles von Molekülen herangehen? Jedenfalls dürfen wir die Frage nicht so stellen: Wie viele Moleküle besitzen genau die Geschwindigkeit v = 200,37158 . . . m/s? Die Antwort wäre Null, weil es nur endlich viele Atome gibt und damit nur endlich viele verschiedene Geschwindigkeiten, die die Zahlengerade nicht dicht abdecken können. Beispiel. Wenn man im Hörsaal fragt: Wer ist jetzt genau 20 Jahre alt? “, ” dann zeigt niemand auf, weil niemand exakt in diesem Zeitpunkt vor 20 Jahren geboren wurde. Fragt man aber: Wer ist 20? “, so versteht jeder die Frage richtig ” im Sinne einer vernünftigen Verteilungsfunktion, nämlich: Wessen Alter liegt im 334 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie Intervall zwischen 20 und 21 Jahren. Es werden viele aufzeigen. Fragt man: Wer ” wird in diesem Monat 20 Jahre alt? “, so melden sich sehr viel weniger, weil das Intervall kleiner geworden ist. Außerdem werden die relativen Schwankungen mit abnehmender Ereigniszahl größer, die Aussage wird unsicherer (Problem der Demoskopie). Wir fassen das Ergebnis einer Altersauszählung im Hörsaal in einem Histogramm zusammen (s. Abb. 14.1). Darin bedeutet ∆N (t) = Zahl der Ereignisse im Zeitintervall ∆t zwischen t und (t + ∆t) . ∆t a–1 ∆N(t)/∆t 50 ∆t 40 30 20 10 19 20 21 22 23 t /a Abb. 14.1. Histogramm einer Altersauszählung im Hörsaal mit der Intervallbreite von einem Jahr Ein anderes Histogramm hatten wir bereits in Abschn. 1.8 in Form der Verteilung der Kugeln auf die Fächer des Galtonschen Fallbretts als Beispiel für statistische Gesetzmäßigkeiten vorgestellt. Alle Statistiken sind Histogramme, alle physikalischen Messungen von Verteilungen erfolgen als Histogramme mit endlicher Intervallbreite. Die Gründe hierfür sind: • Meßfehler und Auflösungsvermögen der Apparaturen lassen keine beliebig kleinen Intervalle zu. • Eine geringe Zahl der Meßereignisse (schlechte Zählstatistik) zwingt dazu, mehr Ereignisse in größeren Intervallen zusammenzufassen, damit die Schwankungen nicht zu groß werden. Hat man ein Histogramm als Funktion einer Variablen x genügend gut ausgemessen, so findet man bei physikalisch sinnvollen, d.h. reproduzierbaren Messungen, daß die Meßwerte ∆N (x )/∆x statistisch um einen Mittelwert schwanken, der durch eine bestimmte Verteilungsfunktion f(x ) gegeben ist c f(x ) = lim ∆x →0 Z →∞ ∆N (x ) dN (x ) = . ∆x dx (14.1) Sie wird im Grenzfall verschwindend kleiner Intervalle ∆x und einer unendlich großen Zahl Z wiederholter Messungen erreicht. Die Gesamtzahl N aller gemessenen Ereignisse erhalten wir in diesem Grenzfall als das Integral von c f(x ) über alle x : 14.2 Gasdruck als dynamischer Druck stoßender Moleküle Z+∞ N = c f(x ) dx . −∞ Setzen wir darin den Proportionalitätsfaktor c = N , so folgt Z+∞ f(x ) dx = 1 . (14.2) −∞ Unter der Bedingung (14.2) nennen wir f(x ) eine normierte Verteilungsfunktion (s. Abb. 14.2). f(x ) dx ist dann die differentielle Wahrscheinlichkeit, das Ereignis im Intervall von x bis x + dx anzutreffen. dW (x ) = f(x ) dx . (14.3) Mit Hilfe der normierten Verteilungsfunktion können wir jetzt auch Mittelwerte bilden. Sie sind allgemein als Integralmittelwerte definiert, also z. B. ist der Mittelwert x der Variablen x selbst R +∞ Z+∞ −∞ x f(x ) dx = x = R +∞ x f(x ) dx . (14.4) −∞ f(x ) dx −∞ In (14.3) haben wir rechterhand von der Normierung von f(x ) Gebrauch gemacht. Entsprechend gilt für den Mittelwert einer Funktion g(x ) Z+∞ g(x ) = g(x )f(x ) dx . (14.40 ) −∞ Wir werden auf Beispiele im Verlauf des Textes zu sprechen kommen. f (x) f (x) dx A=1 x x+dx x Abb. 14.2. Beispiel einer normierten Verteilungsfunktion einer Variablen x . Die Fläche unter der Funktion ist auf 1 normiert 14.2 Gasdruck als dynamischer Druck stoßender Moleküle Wir wollen in diesem Abschnitt eine mikroskopische, statistische Deutung des Gasdrucks gewinnen und dabei auch den o. g. Begriff der Verteilungsfunktion benutzen. Hierzu betrachten wir folgenden Modellversuch: 335 336 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie V E R S U C H 14.1 Kraftübertragung auf Fläche durch Kugelregen. Auf eine zuvor austarierte Waage trifft auf eine der Waagschalen ein Kugelregen und prallt von ihr ab (s. Abb. 14.3). Die Impulsumkehr bei der Reflexion übt eine Kraft auf die Waagschale aus. Treffen im Mittel gleich viele Kugeln pro Flächeneinheit auf, so kann man von einem dynamischen Druck auf die Fläche sprechen: F , A mit F als zeitlichem Mittelwert dieser Kraft. p = (14.5) Abb. 14.3. Kraftübertragung auf Waagschale durch auftreffenden Kugelregen Es liegt nahe, das Modell des Kugelregens“ zur Erklärung des Gasdrucks ” zu benutzen und die Kugeln mit den auftreffenden Molekülen und Atomen zu identifizieren. In der Tat sind solche Versuche auch zu Beginn des Jahrhunderts mit Atomstrahlen im Vakuum durchgeführt worden: Ein Atomstrahl dampft aus der Öffnung eines Ofens, wird durch eine Blende kollimiert und trifft auf einen Auffänger, der als Waagschale funktioniert, indem er den Impuls der auftreffenden Atome aufnimmt und in eine mittlere Kraft F umsetzt (s. Abb. 14.4). Bei bekannter Dichte des Strahls kann man hieraus z. B. auf seine mittlere Geschwindigkeit schließen. Von dieser Vorstellung geleitet, wenden wir uns nun der Berechnung des Gasdrucks in einem geschlossenen Gefäß zu. Treffen in einer Zeit ∆t auf ein Wandstück ∆A eine Anzahl von ∆N Molekülen und übertragen sie dabei insgesamt den Impuls ∆P auf die Wand, so muß die Wand zur Kompensation von ∆P im Waage Ofen mit Loch Atomstrahl Blende zur Vakuumpumpe Abb. 14.4. Versuchsanordnung zur Messung des mittleren Impulses eines Atomstrahls 14.2 Gasdruck als dynamischer Druck stoßender Moleküle zeitlichen Mittel von ∆t eine entgegengerichtete Zwangskraft aufbringen. Sie ist dem Betrag nach gleich ∆P . (14.6) ∆F = ∆t Somit folgt für den Druck ∆P ∆F = . (14.60 ) p = ∆A ∆t · ∆A Bei den Wandstößen gehen wir von der realistischen Vorstellung aus, daß die Atome mit einem Impuls mv aus einer beliebigen Richtung auf die Wand auftreffen und von dieser reflektiert werden oder nach einer kurzen Verweilzeit mit einem Impuls mv 0 wieder abdampfen. Zur resultierenden Kraft auf die Wand trägt nur die Normalkomponente der Impulse in x -Richtung bei (siehe Abb. 14.5). Die Tangentialkomponenten, die eine Schubspannung verursachen würden, heben sich im Mittel auf. Betrachten wir zunächst nur die auftreffenden Moleküle, von denen jedes den Normalimpuls mvx auf die Wand überträgt. Wie viele solcher Stöße gibt es im Zeitintervall ∆t? Sei die Zahl der Moleküle pro Volumeneinheit dN n= , [n] = m−3 , dV und nehmen wir zunächst vereinfachend an, die Hälfte dieser Moleküle bewege sich mit ein- und derselben Geschwindigkeit vx auf die Wand zu, so ist der Teilchenstrom ∆I auf die Fläche ∆A gleich (vgl. Abschn. 10.1) n vx ∆A . (14.7) ∆I = j ∆A = 2 Somit erhalten wir für die gesuchte Zahl der Wandstöße im Intervall ∆t n (14.8) vx ∆A ∆t . ∆Z = ∆I ∆t = 2 Multipliziert mit dem jeweiligen Impulsübertrag mvx erhalten wir für den resultierenden Impulsübertrag im Intervall ∆t n mvx2 ∆A ∆t ∆P = ∆Z mvx = 2 und somit für den Druck auf die Wand nach (14.60 ) n mvx2 = mvx j x . p (a) = (14.9) 2 (Der Index (a) erinnert daran, daß wir bisher nur den Impulsübertrag beim Auftreffen der Moleküle berücksichtigt haben.) ∆A ∆F Auftreffen p px z p' x y Abdampfen Abb. 14.5. Wandstoß eines Moleküls 337 338 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie An dieser Stelle wollen wir jetzt auf den wahren Sachverhalt übergehen, daß nämlich die Atome eine bestimmte Geschwindigkeitsverteilung dn(vx )/dvx in x -Richtung haben. Deren Integral über alle Geschwindigkeiten ergibt die gesamte Teilchenzahl n pro Volumeneinheit Z+∞ Z+∞ dn(vx ) dvx = nf (vx )dvx , (14.10) n= dvx −∞ −∞ wobei wir auf der rechten Seite auch die normierte Schreibweise (14.2) aufgeführt haben. Wir müssen jetzt die Stromdichte j x auf die Oberfläche in (14.9) differentiell als Funktion von vx betrachten dn(vx ) dvx . (14.11) dj x (vx ) = vx dn(vx ) = vx dvx Dazu trägt der Bruchteil dn(vx ) der Geschwindigkeitsverteilung bei, der im Intervall zwischen vx und vx + dvx liegt. Anstelle von (14.9) tritt dann der differentielle Druck dn dvx . dp (a) = mvx dj x (vx ) = mvx2 dvx Daraus erhalten wir den gesamten Druck durch Integration über alle positiven vx , also über die auf die Wand zufliegenden Atome Z+∞ Z+∞ 1 nmvx2 dn 2 dn mvx dvx = mvx2 dvx = . (14.12) p (a) = dvx 2 dvx 2 0 ! −∞ Dabei haben wir von der Symmetriebeziehung dn(−vx ) dn(vx ) = dvx dvx Gebrauch gemacht, die für ein ruhendes Gas zutrifft. Gleichung (14.12) unterscheidet sich von (14.9) lediglich durch die Mittelwertbildung über vx2 entsprechend (14.4), steht aber jetzt auf einer soliden statistischen Grundlage. Bisher hatten wir nur den Impulsübertrag seitens der auftreffenden Moleküle berücksichtigt. Steht aber die Wand im thermischen Gleichgewicht mit dem Gas, so werden die Atome die Wand mit der gleichen vx -Verteilung, aber umgekehrter Richtung, verlassen, mit der sie aufgetroffen sind. Dabei erleidet die Wand im Mittel noch einmal den gleichen Impulsübertrag. Demnach erhalten wir für den gesamten dynamischen Druck p = nmvx2 . (14.13) Nun ist aber die translatorische (d. h. in der Fortbewegung enthaltene) kinetische Energie der Moleküle m m E k = v 2 = (vx2 + vy2 + vz2 ) 2 2 gleichverteilt auf die drei Raumachsen. Daraus folgt für die Mittelwerte 14.2 Gasdruck als dynamischer Druck stoßender Moleküle 1 m 2 vx = E k 2 3 und somit folgt 2 (14.14) nE k . 3 Der Druck eines idealen Gases ist also streng proportional zur mittleren kinetischen Energie E k der Moleküle. Da er andererseits proportional zur Temperatur ist, sind auch E k und T zueinander proportional. p = Den Zusammenhang erhalten wir durch Multiplikation mit dem Volumen V 2 2 p · V = nV E k = N E k 3 3 und für ein Mol mit N = 1 Mol · N A = 6,022 137 · 1023 unter Rückgriff auf das allgemeine Gasgesetz (13.12) p ·V = 2 N AE k = R T . 3 (14.15) Gleichung (14.15) führt die Summe der translatorischen, kinetischen Energien der Moleküle eines Mols auf die allgemeine Gaskonstante R und die absolute Temperatur T zurück 3 N AE k = R T . (14.16) 2 Pro Molekül ist die mittlere kinetische Energie der Translation demnach m 3 R 3 (14.17) E k = v2 = T = kT , 2 2 NA 2 wobei an Stelle von R die Boltzmannsche Konstante k = R /N A eintritt. Ferner erhalten wir für jeden Freiheitsgrad x , y , z der Fortbewegung den gleichen Mittelwert der kinetischen Energie m m 1 m 2 (14.18) vx = vy2 = vz2 = kT . 2 2 2 2 ! ! (14.17) und (14.18) erklären die fundamentale Rolle, die die Boltzmannsche Konstante in der statistischen Mechanik spielt, in der es kaum eine Gleichung gibt, in der k nicht vorkommt. Beachte: Obige Ergebnisse beziehen sich nur auf den Integralmittelwert der kinetischen Energie. Bei der Ableitung brauchten wir keinerlei Annahmen über die Geschwindigkeitsverteilung dn(vx )/dvx im einzelnen zu machen außer, daß sie symmetrisch in ±vx sei. Wir kommen in Abschn. 14.6 darauf zurück. 339 340 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie 14.3 Satz über die Summe von Partialdrücken Mischen wir zwei ideale Gase (1) und (2) miteinander, so stellt sich die Frage, welchen Gesamtdruck sie ausüben, nachdem sie die gleiche Temperatur angenommen haben. Aus dem Vorstehenden wissen wir, daß dann die Moleküle jedenfalls die gleiche mittlere kinetische Energie haben. Da die Moleküle der Sorte (1) und (2) unabhängig voneinander Wandstöße ausführen, addieren sich die dynamischen Partialdrucke, die jede Molekülsorte für sich alleine auf die Wand ausübt, unabhängig von der Gegenwart des anderen Gases p = p1 + p2 , (14.19) bzw. nach (14.14) und (14.18) als Funktion von Teilchendichte und Temperatur 2 2 p = n 1 E k1 + n 2 E k2 3 3 2 = (n 1 + n 2 )E k y 3 p = (n 1 + n 2 )kT = nkT . (14.20) In einem Gemisch idealer Gase ist unabhängig von ihrer P Sorte der Druck proportional zur Gesamtteilchenzahldichte n = dN /dV = i n i . 14.4 Mittlere thermische Molekülgeschwindigkeit und Brownsche Bewegung Aus (14.17) können wir einen Wert für die mittlere thermische Geschwindigkeit von Gasmolekülen erhalten. s r q 2E k 3kT 2 = . (14.21) vrms = v = m m Der Index rms bezeichnet den Charakter der Mittelung, nämlich root mean ” square“, was bedeutet, daß man die Wurzel aus dem Mittelwert des Quadrats zieht. Dieses Mittel ist ein wenig verschieden vom Mittelwert über den Betrag r q 8kT 2 2 2 |v| = vx + vy + vz = , (14.22) πm den man aus der expliziten Maxwell-Boltzmannschen Geschwindigkeitsverteilung (14.42) gewinnt (s. auch Abb. 14.13). Da letzterer geläufiger ist, führen wir hierfür in Tabelle 14.1 einige Beispiele auf. Die Werte sind vergleichbar mit der Schallgeschwindigkeit in den betreffenden Gasen. Auch in Flüssigkeiten und Festkörpern haben die Moleküle bzw. Atome die gleiche kinetische Energie E k = (3/2)kT der Translationsbewegung, obwohl sie sich dort nicht frei bewegen können, sondern durch zusätzliche potentielle Energie an ihre nächsten Nachbarn gebunden sind. 14.4 Thermische Molekülgeschwindigkeit und Brownsche Bewegung Tabelle 14.1. Mittlerer thermischer Geschwindigkeitsbetrag einiger Gase bei T = 273 K Gas |v|(m/s) H2 N2 Cl2 1694 453 302 Das ist theoretisch nicht leicht zu zeigen, aber letztlich doch plausibel wenn wir z. B. bei unseren Überlegungen zum dynamischen Druck (s. Abschn. 14.2) mit bedenken, daß der Impulsübertrag im Stoß, mikroskopisch gesehen, ja gar nicht auf eine unendlich schwere, starre Wand erfolgt, sondern zunächst einmal auf ein einzelnes Wandatom oder -molekül. Dabei tauscht es mit diesem kinetische Energie nach den Stoßgesetzen (s. Kap. 5) aus. Dieser Austausch führt unabhängig von Bindungsstärke und Masse der Wandatome wie auch der Gasatome immer zur Gleichverteilung der kinetischen Energie der Gasatome. Das legt in der Tat den Schluß nahe, daß auch die kinetische Energie der Wandatome nach (14.17) bzw. (14.18) gleichverteilt ist. Brownsche Bewegung Frage: Kann man an sichtbaren Objekten, etwa unter dem Mikroskop, die thermische Bewegung direkt beobachten? Hierzu folgende Überlegung: Es handele sich um einen kleinen Körper, z. B. ein Rußteilchen, mit einem Durchmesser von 10 µm. Das enthält ca. 1014 C-Atome; folglich ist seine mittlere Geschwindigkeit im Vergleich zu der eines einzelnen C-Atoms nach (14.21) r 500 m s−1 mC Ruß C vrms ≈ vrms ≈ ≈ 50 µm s−1 . m Ruß 107 Die Bewegung ist also im Prinzip gut beobachtbar, wenn das Teilchen selbst sichtbar ist. Allerdings bewegt sich das Rußteilchen in einem dichten Medium, z. B. einer Flüssigkeit, nicht mit dieser Geschwindigkeit geradlinig von der Stelle, sondern ändert dauernd seine Richtung durch Stöße und beschreibt einen vielfach verschlungenen Zufallsweg (s. Abschn. 17.1 und 18.6). 1827 entdeckte Robert Brown, ein Botaniker, wie Pollen sich im Wasser unregelmäßig bewegten. Er war kritisch genug, um herauszufinden, daß diese Bewegung nicht auf Lebensvorgänge zurückzuführen sei. In der Tat hatte er die statistische thermische Bewegung dieser kleinen Teilchen entdeckt, deren Gesetzmäßigkeiten erst 1905 endgültig von Einstein aufgeklärt wurden. Die Brownsche Molekularbewegung können wir im Demonstrationsversuch unter dem Mikroskop mit einer Fernsehkamera gut beobachten. Wir erkennen unter anderem, daß sich kleinere Teilchen schneller bewegen als größere. 341 342 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie 14.5 Innere Energie, Freiheitsgrade, Äquipartitionstheorem und spezifische Wärmekapazität CV Wir wollen in diesem Abschnitt unsere Kenntnisse über die molekularen Grundlagen der Wärmeenergie vertiefen und daraus Gesetzmäßigkeiten über die spezifische Wärmekapazität gewinnen. Hierzu wollen wir als erstes den Begriff der inneren Energie U einführen: Unter der inneren Energie U verstehen wir die gesamte Energie, die aus der Wärmebewegung der Moleküle resultiert; sie umfaßt sowohl deren kinetische wie auch gegebenenfalls potentielle Energie, falls die Bewegung in Kraftfeldern erfolgt. Letzteres betrifft vor allem die Schwingungen der Atome untereinander, die im Molekül- oder Kristallverband durch das Lenard-Jones-Potential (s. Abschn. 8.2) gebunden sind. Es betrifft aber auch den Einfluß des Lenard-Jones-Potentials auf die Bewegung freier Atome oder Moleküle, der zu Abweichungen vom idealen Gasgesetz führt (s. Abschn. 18.1ff). Da wir uns zunächst auf ideale Gase beschränken, vernachlässigen wir den letztgenannten Anteil der potentiellen Energie, berücksichtigen aber wohl den Schwingungsanteil. Diese Annahmen entsprechen einer mechanischen Modellvorstellung, bei der die einzelnen Atome des Moleküls durch harte Kugeln charakterisiert sind, deren relative Abstände durch Federkräfte stabilisiert sind. Für ein ideales Gas müssen wir weiter voraussetzen, daß das Eigenvolumen der Moleküle im Vergleich zum Gasvolumen vernachlässigbar sei, damit das ideale Gasgesetz erfüllt ist (Volumen verschwindet bei T = 0). Unter diesen Prämissen diskutieren wir im folgenden innere Energie und spezifische Wärmekapazität verschiedener Klassen idealer Gase. Einatomige Gase Nach unserer Voraussetzung wird beim Stoß zweier Atome deren kinetische Energie nur für beliebig kurze Zeit in potentielle umgesetzt (entsprechend dem Stoß harter Kugeln); letztere spielt also im zeitlichen Mittel in der Energiebilanz keine Rolle. Somit beschränkt sich die innere Energie auf die Summe der translatorischen Energien der N -Atome im Gas. Dann gilt laut (14.17) U= N X 1 i=1 2 m i vi2 = 3 N kT . 2 (14.23) Dabei entfällt auf jeden der drei translatorischen Freiheitsgrade laut (14.18) die gleiche mittlere Energie pro Atom von (1/2)kT . Das ist die einfachste Form des Äquipartitionstheorems (zu deutsch: Gleichverteilungssatz). 14.5 Innere Energie, Freiheitsgrade, Äquipartitionstheorem und CV Zweiatomige Gase ! In einem Molekül aus zwei Atomen, die elastisch aneinander gebunden sind, verfügen im Prinzip beide über je drei Freiheitsgrade der Translation, wenn auch die Amplitude der Relativbewegung durch die Bindung eingeschränkt ist. Statistische Überlegungen führen zu dem schon erwähnten Schluß, daß trotz der Bindung und unabhängig von ihrer Stärke nach wie vor der Gleichverteilungssatz für die kinetische Energie gilt. Wir erwarten also für das Molekül insgesamt die kinetische Energie 1 E k = 6 · kT = 3kT , 2 d. h. für jede der drei kartesischen Koordinaten der beiden Atome je (1/2)kT . Um den Einfluß der Relativschwingung zu diskutieren, ist es zweckmäßig, auf Koordinaten der äußeren Schwerpunktsbewegung und der inneren Bewegung um den Schwerpunkt des Moleküls zu transformieren (s. Abb. 14.6). Man kann zeigen, daß dann auch wieder auf jede der 6 neuen Koordinaten die gleiche mittlere kinetische Energie (1/2)kT entfällt, also im einzelnen: • für die Translation des Schwerpunkts m 3 E k,trans = vs2 = kT , 2 2 • für die Rotation um zwei Drehachsen a, b, senkrecht auf der Verbindungslinie und senkrecht zueinander 1 1 2 E k,rot = θωa2 + θωb2 = kT , 2 2 2 • für die Schwingung entlang der Verbindungsachse 1 E k,s = kT . 2 ωa ωb υr m1 S m2 υs Abb. 14.6. Modell und Freiheitsgrade eines zweiatomigen Moleküls Eine elastische Schwingung enthält aber im zeitlichen Mittel genauso viel potentielle wie kinetische Energie. Deswegen enthalten Schwingungsfreiheitsgrade doppelt so viel innere Energie wie die übrigen. Also gilt E s = E k,s + E p,s = kT . (14.24) Wir zählen zusammen: Für N zweiatomige Moleküle beträgt die innere Energie einschließlich Schwingungsfreiheitsgrad 343 344 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie 7 N kT . 2 Daß dieser Wert in Wirklichkeit häufig nicht erreicht wird, darüber später! U= ! Allgemein können wir die innere Energie eines idealen Gases von N Molekülen mit je r Freiheitsgraden schreiben als r (14.25) U = N kT 2 mit r = f tr + f rot + 2f s . Hierin bezeichnet r die Gesamtzahl der Freiheitsgrade als Summe von Translations- (f tr ), Rotations- (f rot ) und Schwingungsfreiheitsgraden (f s ), wobei letztere wegen der zusätzlichen potentiellen Energie doppelt gezählt werden. Drei- und mehratomige Gase Die insgesamt 9 Freiheitsgrade dreiatomiger Moleküle verteilen sich in Schwerpunktskoordinaten auf (s. Abb. 14.7): • Translation des Schwerpunkts: f trans = 3. • Rotation um die drei Hauptträgheitsachsen a, b, c : f rot = 3. • 3 Fundamentalschwingungen entlang der Verbindungsachsen s1 , s2 , s3 : 2f s = 6. Folglich ist r = 12. ωa m1 ωb υ1 2 υ31 ωc υs m3 m2 υ2 3 Abb. 14.7. Modell und Freiheitsgrade eines dreiatomigen Moleküls Allgemein gilt für l-atomige Gase mit l ≥ 3: Die 3l-Freiheitsgrade verteilen sich auf je drei für die Translation und Rotation; der Rest wird durch die Fundamentalschwingungen beschrieben (s. Abschn. 11.9). Folglich ist r = 6 + 2(3l − 6) = 6(l − 1) ; l = 3, 4, . . . und U = 3(l − 1)N kT ≈ 3lN kt , für großes l . (14.26) 14.5 Innere Energie, Freiheitsgrade, Äquipartitionstheorem und CV ! Merke: Zum Druck p tragen die Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade nichts bei! Er resultiert nach wie vor ausschließlich aus der Reflexion des Schwerpunktsimpulses. Gleichung (14.15) bleibt für alle idealen Gase gültig! Spezifische Wärme bei konstantem Volumen Wir wollen jetzt den Zusammenhang zwischen innerer Energie und spezifischer Wärmekapazität herstellen. Führen wir einem Gas eine Wärmemenge ∆Q zu, so erhöht sich seine innere Energie um den gleichen Betrag ∆U = ∆Q = mcV ∆T , wenn nicht noch gleichzeitig mit der zugeführten Wärme andere Energieumsetzungen geschehen, z. B. durch mechanische Arbeit in Form von Expansion gegen den äußeren Druck, chemische Reaktionen etc. Um insbesondere die Arbeit gegen den Druck auszuschließen, muß das Volumen konstant bleiben (isochorer Prozeß). Die unter diesen Umständen gemessene spezifische Wärme bezeichnen wir bezogen auf die Masse mit cV bzw. bezogen auf ein Mol mit CV (Molwärme). Im folgenden betrachten wir grundsätzlich Substanzmengen von 1 Mol. Dann gilt U= mit r r N A kT = R T = CV T , 2 2 (14.27) r r (14.270 ) R ≈ · 8,3 J K−1 Mol−1 . 2 2 Die Molwärmen haben also nicht irgendwelche, elementspezifischen Werte, sondern sind diskrete Vielfache der Gaskonstanten R , wobei der ganzzahlige Vorfaktor r durch die Zahl der Freiheitsgrade nach (14.25) und (14.26) nur durch die Zahl der Atome im Molekül bestimmt ist. CV = ! Wir erwarten also für alle Edelgase He, Ne, Ar, . . . 3 CV = R , (14.28) 2 für alle zweiatomigen Gase H2 , N2 , O2 , Cl2 , CO, NO, . . . 7 CV = R , (14.280 ) 2 für alle dreiatomigen Gase H2 O, NO2 , CO2 , . . . 12 CV = R, (14.2800 ) 2 usw. De facto ist bei Zimmertemperatur nur (14.28) sehr gut erfüllt, während man für zweiatomige Moleküle statt (14.280 ) in der Regel den Wert 5 CV = R 2 findet! (Siehe auch Tabelle 15.1). CV ist also um 1 R kleiner als erwartet oder bezogen auf das einzelne Molekül um den Energiewert 1kT . Das ist die Energie, 345 346 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie die im Schwingungsfreiheitsgrad stecken sollte; er scheint durch gaskinetische Stöße offensichtlich nicht angeregt zu werden! Das Molekül verhält sich wie eine starre Hantel. Eine Erklärung hierfür können wir nur in der Quantenmechanik finden. Danach sind die Energien gebundener Systeme gequantelt. Insbesondere gilt für die möglichen Energiestufen einer harmonischen Schwingung die Plancksche Formel E n = nhν , n = 0, 1, 2, . . . , (14.29) mit dem Planckschen Wirkungsquantum h = 6,626 075 · 10−34 J s . Die Anregungsstufen sind ganze Vielfache des Planckschen Wirkungsquantums h multipliziert mit der Frequenz ν. Für Molekülschwingungen hat die erste Anregungsstufe den typischen Wert von ! h · ν ≈ 0,1 eV , während an thermischer Stoßenergie für die Anregung im Mittel nur k · 300 K ≈ 0,025 eV zur Verfügung stehen. Ereignisse, bei denen die im Stoß übertragene Energie den statistischen Mittelwert um fast eine Größenordnung überschreitet, sind aber außerordentlich selten (s. Abschn. 14.6). Wir sehen hier zum ersten Mal, wie die Quantenmechanik massiv in die klassische Physik hineinregiert und sie außer Kraft setzt. Denn in der klassischen Physik gibt es diese Energieschwellen nicht. Zwar wäre bei festerer Bindung die Schwingungsfrequenz höher und bei gegebener Schwingungsenergie die mittlere Amplitude kleiner, aber an dem statistischen Mittelwert von E = kT ist mit den Mitteln der klassischen Physik nicht zu rütteln! Dieser Widerspruch zwischen klassischer Physik und Erfahrung war zu Ende des 19. Jahrhunderts klar erkannt. Max Planck (1900) wies für ein ähnliches Problem in der Theorie der Wärmestrahlung als erster einen Ausweg, indem er einem harmonischen Oszillator die diskreten Energieniveaus (14.29) vorschrieb. Einstein und später Peter Debye erweiterten die Plancksche Überlegung auf die spezifischen Wärmen fester Stoffe (s. u.). Bemerkung: Da wir bisher die Atome im Molekül als Massenpunkte angesehen haben, haben wir keine Koordinaten für deren innere Bewegung eingeführt. Erst wenn beim Stoß sehr hohe Energien übertragen werden, einige eV, werden auch die Valenzelektronen und damit weitere Freiheitsgrade angeregt; die Kerne, die Zentren der Massen, sind aber auch dann noch als Massenpunkte anzusehen. Erst bei thermischen Energien von ca. 106 eV entsprechend einer Temperatur von ca. 1010 K würde auch deren innere Bewegung angeregt. 14.5 Innere Energie, Freiheitsgrade, Äquipartitionstheorem und CV Dulong-Petit-Regel Man könnte einen Festkörper als 1 Riesenmolekül auffassen, bestehend aus einer großen Zahl von N Atomen. Seine innere Energie wäre dann nach (14.26) (mit entsprechender Umbenennung von l und N ) U = 3N kT , oder bezogen auf ein Mol U = 3R T = CV T , mit CV = 3R ≈ 25 J K−1 Mol−1 . (14.30) Auch die Festkörper haben im klassischen Modell eine universelle Molwärme! Diese Dulong-Petit-Regel ist bei hohen Temperaturen im allgemeinen gut erfüllt. CV /R Molwärme ! Wie verhalten sich hier die Schwingungen, die ja bei kleinen Molekülen offensichtlich nicht angeregt waren? Die Frage ist berechtigt, denn auch im Festkörper ist die Bindung ans Nachbaratom ähnlich stark wie im Molekül. Trotzdem sind Schwingungen angeregt. Grund: Die Eigenschwingungen von sehr vielen gekoppelten Oszillatoren beginnen bei sehr niedrigen Frequenzen, nämlich mit der Grundschwingung (s. Abschn. 11.10 und 12.6) ν1 = c/2l (c = Schallgeschwindigkeit, l = Kantenlänge des Körpers). Erst bei höchster Knotenzahl wirkt die Federkraft nur auf das Nachbaratom und erreicht die Grenzfrequenz, die im wesentlichen gegeben ist durch (s. auch Abschn. 12.6 und Abb. 12.22) c (14.31) νgrenz ≈ 2d (mit der Gitterkonstanten d, dem Abstand benachbarter Atome im Festkörper). Sie ist vergleichbar mit der Schwingungsfrequenz eines 2-atomigen Moleküls. CV bleibt umso mehr hinter 3R zurück, je höher νgrenz ist, d. h. je fester die Bindung und je kleiner die Masse der Gitterbausteine sind. Wir sehen dies sehr schön am Beispiel zweier Extreme, Blei und Diamant (s. Abb. 14.8). Mit wachsender Temperatur streben aber alle Stoffe dem Grenzwert von 3R zu. In diesem Befund liegt der Beweis für die Gültigkeit des Gleichverteilungssatzes. 3 2 Pb Cu 1 100 500 Diamant 1000 T/ K Temperatur Abb. 14.8. Molwärme einiger Feststoffe als Funktion der Temperatur entsprechend der Debyeschen Theorie. Die Debyetemperatur θD beträgt für Blei 88 K und für Diamant 2000 K 347 348 14. Grundzüge der kinetischen Gastheorie ! Nach Debye folgt die Molwärme fester Stoffe bei niedrigen Temperaturen T θD näherungsweise der analytischen Formel 12 4 T 3 (14.32) π R 3 , CV = 5 θD mit der Debyetemperatur hνgrenz . θD = k Sie bestimmt als einziger, stoffspezifischer Parameter auch den weiteren Temperaturverlauf von CV bis zum klassischen Limes von 3R (s. Abb. 14.8), allerdings nach einer nichtanalytischen Funktion. Besonders bemerkenswert an (14.32) ist, daß CV bei tiefen Temperaturen mit der dritten Potenz von T gegen Null strebt. Die Debyesche Theorie der spezifischen Wärme ist analog zu der des Planckschen Strahlungsgesetzes mit den Unterschieden, daß dort anstelle der Schallgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit eintritt und es für elektromagnetische Wellen keine obere Grenzfrequenz gibt (s. Abschn. 30.5). Beide Ableitungen gehen von der in der Wellenlehre gefundenen Frequenzverteilung von Eigenschwingungen (12.58) aus (s. auch Abb. 12.22). Wir demonstrieren die Dulong-Petitsche Regel qualitativ in folgendem Versuch: V E R S U C H 14.2 Spezifische Wärme von Metallen. Wir erhitzen drei gleich große Kugeln aus Blei (Pb), Messing und Aluminium (Al) auf 100 ◦ C und lassen sie in einen Paraffinblock einschmelzen. Die Aluminiumkugel sinkt entgegen der naiven Erwartung am tiefsten ein (s. Abb. 14.9). Sie stellt beim Abkühlen offenbar die meiste Wärme zum Aufschmelzen des Paraffins zur Verfügung, obwohl Aluminium von allen drei Materialen das geringste spezifische Gewicht hat. Grund: Aluminium enthält die meisten Atome pro Volumen, das Al-Gitter ist am dichtesten gepackt! Somit hatte die Al-Kugel die höchste Molzahl. Pb Messing Al Paraffin Abb. 14.9. Schmelzversuch zur DulongPetitschen Regel 14.6 Boltzmann-Faktor und Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung Die allgemeine Herleitung der hier zu diskutierenden Formeln ist Aufgabe der Theoretischen Physik. Wir finden aber einen elementaren Zugang zu diesen Gesetzen über das Beispiel der barometrischen Höhenformel.