Brücken bauen - SET

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Menschen hinter Gittern –
Warum die Hand reichen?
Brücken bauen
Eine Initiative von »SET-FREE« und »ALPHA im Gefängnis«
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Entstehung und Verantwortung von SETFREE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Die Verbreitung des ALPHA-Kurses in Gefängnissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Gefangensein, Entlassung, Rückfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Die Bedeutung von Spiritualität für den Prozess der Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
ALPHA im Gefängnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Begleitete Selbsthilfe – ENDLICH LEBEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Ehrenamt – Brücke zwischen Strafvollzug und Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Gruppenarbeit in der JVA Straubing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Lernen vom alternativen APAC-Strafvollzug in Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Soziales Engagement von Inhaftierten und Haftentlassenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Engagement hinter Gittern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Begegnungen mit Vertretern der Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Opfer – Täter – Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Über die Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Dieses Heft wurde anlässlich des
Katholikentags 2014 in
Regensburg herausgeben:
Vorwort von SETFREE
und ALPHA im Gefängnis
Mit diesem Heft möchten wir Menschen hinter Gittern, Haftentlassenen, Opfern und Ehrenamtlichen
ein Forum geben.
Die vorliegende kleine Auswahl von Berichten haben
wir als Beispiel dafür ausgewählt, wie Brücken zwischen Strafvollzug, Gesellschaft und Kirche, aber auch
zwischen Opfern und Tätern
entstehen können.
Insbesondere kommen Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing zu Wort, die dort an
der Emmaus- und Intensiv-Gruppe
und am ALPHA-Kurs teilnehmen.
Angelika Lang
Kriminologin M.A.,
Dipl. Sozialpädagogin
Kommentare und Nach­
fragen richten Sie bitte an
[email protected]
Pedro Holzhey
Postfach 90 06 55
D81506 München
Hier können Sie auch weitere
Exemplare gegen Übernahme
der Portokosten bestellen.
Seite 4
Aufgrund ihrer Initiative wird der
Verein SETFREE e.V., der diese Gefängnisarbeit koordiniert und leitet, mit dem Aggiornamento-Preis
des Zentralkomitees der Deutschen
Katholiken (ZdK) auf dem Katholikentag 2014 in Regensburg ausgezeichnet.
Die Texte geben nicht in jedem Fall
die Meinung von SETFREE und Alpha wieder, sondern lediglich die
subjektive Auffassung der Verfasser.
Da für die Aussagekraft dieser Äußerungen Namen und Orte keine
Rolle spielen, haben wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes
meist nur das entsprechende Bundesland und einen Buchstaben des
Verfassernamens angegeben. Die
Autoren sind uns jedoch bekannt.
Verantwortlich im Sinne
des Presserechts für
dieses Heft
Angelika Lang
Winterzhofen 11
D92334 Berching
die zugleich SET-FREE-Vorstand und Koordinatorin für
ALPHA im Gefängnis ist.
Entstehung und Verantwortung von SETFREE
Die Grundlagen der Arbeit von SETFREE als Netzwerk
für Gefängnisarbeit wurden in der Zeit von 2006-2008 von
Angelika Lang (Kriminologin M.A. u. Dipl. Sozialpädagogin), Conny Schöllkopf (Erzieherin u. Studentin Management sozialer Innovation) und Pedro Holzhey (Dipl.Ing.
u. Student Betriebswirtschaft f. Non-Profit-Org.) gelegt.
Die konzeptionelle Arbeit war eng mit den Erfahrungen aus der Praxis verbunden.
2011 entstand daraus der SETFREE e.V. als gemeinnütziger Träger der freien Straffälligenhilfe, dessen Zielsetzung die Förderung und Verbreitung sozialer Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben ist.
2008 starteten verschiedene Gruppenangebote für
Gefangene in der JVA Straubing (u. a. Emmausgruppe,
ALPHA-Kurs, ENDLICHLEBEN-Kurs, Kleingruppen in
den Abteilungen und Intensivgruppe).
Der Aufbau, die Koordination und Leitung dieses Projekts werden finanziell und personell vom SETFREE e.V.
getragen.
Wegweisend für die künftige SETFREEArbeit ist die
Zusammenarbeit mit der Gefangenenhilfsorganisation APAC in Brasilien und der Kontakt zu den dortigen
APAC-Strafvollzugseinrichtungen. Durch deren Erfolge
und langjährige Erfahrung wurde die Arbeit von SETFREE seit 2006 bei mehreren, auch längeren Aufenthalten vor Ort inspiriert.
2008 brachte SETFREE das vom APAC-Gründer
Dr. Mário Ottoboni verfasste Standard-Werk des APACProgramms auf deutsch unter dem Titel „STRAFTÄTER
VERÄNDERN – Eine Einführung in das APAC-Programm“
in den Buchhandel.
Im Mai 2013 konnten Ehrenamtliche und Fachkräfte
aus dem Bereich Strafvollzug für eine einwöchige Studienreise zu brasilianischen APAC-Strafvollzugseinrichtungen gewonnen werden.
Als Ergebnis entwickelte sich eine Initiativgruppe
in Deutschland, die sich zum Ziel gesetzt hat, das APACProgramm an europäische Verhältnisse anzupassen und
dessen Verbreitung zu fördern.
Die Verbreitung des ALPHA-Kurses in Gefängnissen
1994 wurde die englische Gemeinde Holy Trinity
Brompton (HTB) von dem Inhaftierten Michael Emmet
angeschrieben, weil sich das Leben seiner Freundin durch
den ALPHA-Kurs, an dem diese dort teilgenommen hatte, verändert habe. Michael fragte an, ob ein HTB-Team
zusammen mit der Anstaltsseelsorge so einen Kurs im
Gefängnis Exeter durchführen könnte. Dies wurde dann
der weltweit erste ALPHA-Kurs in einem Gefängnis.
Michael fand durch diesen Kurs zum Glauben an Gott
und begann danach, den christlichen Glauben unter Mitgefangenen weiter zu verbreiten. Aufgrund des britischen
Gefängnissystems, in dem Gefangene regelmäßig von
einem Gefängnis in das nächste verlegt werden, fragte
Michael in jedem neuen Gefängnis die Anstaltsseelsorge,
ob sie einen ALPHA-Kurs durchführen könnte.
Da dies regelmäßig verneint wurde, regte er an, dass
ein HTB-Team gebeten wurde, vor Ort eine Schulung
durchzuführen, wie man ALPHA-Kurse veranstaltet. Auf
diese Weise verbreiteten Ehrenamtliche von HTB den
Kurs in den ersten Jahren.
1997 hatte sich die Arbeit von ALPHA in den Gefängnissen des ganzen Landes verbreitet und von da aus auch
zunehmend in anderen Ländern.
Emmy Wilson lud Paul Cowley zur Mitarbeit ein und
es entstand ein ALPHA-Büro zur Koordination der Gefängnisarbeit. Emmy und Paul gingen auf Geistliche und
Regionalpolitiker zu und ermutigten diese, ALPHA-Kurse in ihren Gefängnissen durchzuführen. Es gelang ihnen auch durch die Befürwortung hoher Regierungsmitglieder, staatliche Unterstützung zu bekommen.
Für 2014 haben sich 80% aller Gefängnisse in England und Wales als ALPHA-Kursveranstalter registrieren lassen. International ist ALPHA inzwischen auf allen
Kontinenten und in den Gefängnissystemen von 70 Ländern verbreitet.
In Deutschland werden derzeit in etwa 10 Haftanstalten Alphakurse durchgeführt. Zudem gibt es eine
Zusammenarbeit mit Gemeinden, die bereit sind, Entlassene nach der Haft zu integrieren.
Seite 5
„
Gefangensein, Entlassung, Rückfall
Die erste Nacht in Haft (NRW)
… an Nachtruhe und Schlaf war nicht zu denken. Es ist seltsam, hinter einer verschlossenen
Tür sein zu müssen und sie nicht öffnen zu können. Beklemmung kommt auf, als mir bewusst wird, dass ich
mich nun nicht mehr frei bewegen kann. Ungewohnte
Umgebung, ungewohnte Geräusche, Schlüsselklappern,
die Schritte der Beamten, Gefangene, die sich durch die
Fenster von Zelle zu Zelle zurufen, jemand hämmert vor
lauter Langeweile auf die Heizungsrohre…
Der Kopf ist übervoll mit Gedanken, warum ich hier
bin, wie ich raus kommen kann, wann ich raus komme,
halte ich das alles aus, was erwartet mich morgen? Es
scheint beruhigend zu sein, dass es ja nicht mehr schlimmer werden kann – oder vielleicht doch?
Sorgen und Gedanken um meine Frau kommen hoch.
Es ist schlimm, nicht zu wissen, wie es dem Partner
geht und wann man ihn wiedersehen kann. Hilflosigkeit macht sich breit.
Um 05:30 Uhr wird die Nacht mit einem lauten Klingelsignal beendet, der erste Tag hinter Gittern beginnt.
Ich weiß nicht, ob ich überhaupt geschlafen habe. Alles
ist wie ein schlechter Traum, nicht wirklich real …“
„
Was ist wohl schlimmer – zu besuchen oder
Besuch zu bekommen? (JVA Bochum)
… So schön es auch ist, Besuch zu bekommen, so
deprimierend ist es jedes Mal, wenn nach einer
halben Stunde schon wieder alles vorbei ist. Vor allem,
wenn meine Kinder dabei sind, möchte ich, dass die Zeit
nie enden möge… Ich fühle mich nach dem Besuch immer leer und fertig, kann aber trotzdem den nächsten
Besuch kaum erwarten. Diese Konfliktsituation ist für
meine Familienmitglieder und mich dieselbe. Vor allem
für meine Kinder muss der Besuch aufwühlend sein, da
wir uns in einer sehr bedrückenden Atmosphäre befinden und an ein halbwegs normales Verhalten nicht zu
denken ist. Ich stelle mir die Frage, was wohl schlimmer ist, zu besuchen oder Besuch zu bekommen? Für
die Besucher ist es schwer zu gehen und den Besuchten
zurücklassen zu müssen. Draußen müssen sie sich dann
zusätzlich den Fragen der anderen stellen und haben
letztlich doch niemanden, mit dem sie sich wirklich darüber austauschen können. Ich bemühe mich, eine gewisse Normalität in die Besuchssituation hineinzubekommen, aber es geht nicht …“
Seite 6
Resignation – Rückfall – (k)ein Einzelfall
(ehrenamtliche Gefängnismitarbeiterin,
Hamburg)
„… X ist auffällig auf der Station. Er wird verlegt. Wir
halten weiter Kontakt zu ihm. Nachdem die Kontaktsperre aufgehoben ist, kommt er sogar wieder in die Gruppe.
„Na ja, dumm gelaufen – wenn der mich auch so aufregt,
rast ich halt aus,“ ist sein einziger Kommentar. Auch bei
X kommt der Tag der Entlassung und er bekommt einen
sehr engagierten Bewährungshelfer. Erste Schritte sind
geebnet und Unterkunft, wenn auch
keine besonders schöne. Behördengänge werden durchgesprochen und
wo nötig begleitet. Bald hat X wieder einen Hund bei sich.
Umschulung und Arbeitsbeginn
sind im Gespräch, werden aber nicht
Wirklichkeit – die Stadt wird X zu
eng. Er will aufs Land. Dank des Bewährungshelfers zieht sogar das
Sozialamt mit.
X zieht in ein Mobilheim und
auf einen Campingplatz als ersten
Wohnsitz! Ein zweiter Hund kommt
dazu. X scheint zu beginnen, sich
wohl zu fühlen, mäht Rasen, beschneidet Bäume und schielt doch
bereits nach einem neuen Mobilheim, will das alte abstoßen.
Wir besichtigen das Neue, sehen,
dass es oberflächlich schick aussieht,
aber eine schlechte, unfertige und
schwache Substanz hat. Dennoch
muss es genau dieses sein. X zieht
um und merkt nach wenigen Tagen, dass er darin nicht leben kann.
Auch auf dem Platz gefällt es ihm
nun nicht mehr. Der Job bei einer
Zeitarbeitsfirma ist auch nicht das
Richtige. Die Abstände zwischen unseren Begegnungen werden immer
größer. Bei meinen Anrufen nimmt
keiner mehr ab.
„Ich kaufe einen VW-Bus, pack meine Sachen da rein
und der kann dann ja irgendwo stehen, bis ich wieder
rauskomme, denn ich muss eh wieder rein…“ Das war
der letzte Satz, den ich von ihm hörte …“
„
Ich habe mir alles zu leicht vorgestellt (F., NRW)
… als ich nach 23 Jahren Haft entlassen wurde,
war ich voller Wünsche und Hoffnungen. Es waren schlichte Wünsche, Arbeit, Wohnung und vielleicht
eine eigene Familie. Aber ich war auf die Zeit nach der
Entlassung nie vorbereitet worden. Ich hatte mir eingeredet, dass alles selbst schaffen zu können und habe mir
alles zu leicht vorgestellt.
Kurz nach der Entlassung verstarb meine Mutter.
Zusätzlich zu diesem Verlust hatte ich nun noch einen
Menschen weniger, der mir hätte helfen können. Es war
gut, ihre Wohnung übernehmen zu können, aber es war
auch schwer, weil dort alles voller Erinnerungen war.
Dann lernte ich eine Frau kennen und dachte, alles
wird gut. Arbeit bekam ich allerdings nicht. Also nahm
ich das Angebot einer Verwandten an, in der Firma ihres
Mannes schwarz zu arbeiten. Es folgte Ausbeutung und
Geld bekam ich nur selten zu sehen. Darauf angesprochen,
drohte mir meine Verwandte mit der Polizei.
Da resignierte ich das
erste Mal und gab auf. Vom
Arbeitsamt bekam ich eine
6-monatige Weiterbildung,
zog sie durch und hoffte danach auf Arbeit. Stattdessen
machte man mir dann klar,
dass ich schwer vermittelbar wäre und keine Arbeit
bekommen würde.
Erneute Resignation folgte,
der Alkohol begann mir ein
„guter Freund“ zu werden und
so langsam ging es mit mir
bergab. Freunde versuchten,
mir zu helfen, schafften es
aber nicht, denn ich hatte
aufgegeben und den Kopf in
den Sand gesteckt.
Dann folgte mein erster
Selbstmordversuch.
Heute sitze ich wieder in
U-Haft und die Resignation
ist mein ständiger Begleiter.
Wenn ich ihn nicht bald loswerde, weiß ich nicht, wo das
enden wird …“
Seite 7
Die Bedeutung von Spiritualität für den Prozess der Resozialisierung
Für Gefangene kann es einen zentralen Wendepunkt
in ihrem Leben darstellen, wenn für sie ein Bezug
zum christlichen Glauben beginnt. Sie finden dann
die Kraft und auch die Motivation, ihr Leben zu
verändern.
Sicher braucht es mehr und es sind viele
Schritte notwendig, und doch kann ein Zugang
zu Gott/Spiritualität oft sehr viel bewegen. Die
nachfolgenden Berichte sprechen da für sich:
„
Meine Beziehung zu Gott hat sich im Gefängnis
grundlegend geändert (Bayern)
… für mich war es ein sehr extremer Zustand,
als ich mich die erste Nacht in einer Polizeigewahrsams-Zelle wiederfand. Schmerzlich wurde mir
jetzt erst bewusst, dass ich etwas sehr Schlimmes getan hatte. Krampfhaft versuchte ich mental, die Zeit zurück zu drehen. Um nicht wahnsinnig zu werden, wollte
ich mich in irgendeine schöne Illusion hineinversetzen,
aber es gelang nicht.
Vor der Haft hatte ich allergrößten Wert auf ein selbstbestimmtes Leben gelegt. Jetzt musste ich mir mit Schrecken eingestehen, dass ich nun ein vollkommen fremdbestimmtes Leben führen muss. Sollte dieser Leidensdruck zu groß werden, nahm ich mir vor, mich selbst
davon zu erlösen.
Meine Tat hatte ich aus einer sehr schweren seelischen
Verwundung heraus begangen. Wie in einem Tunnelblick waren mir die Konsequenzen nicht mehr bewusst geworden.
Um im Gefängnis zu überleben, lebe ich überwiegend
in der Vergangenheit und doch läuft Leben immer wieder wie ein Film vor meinen Augen ab.
Aber nun hat die Beziehung zu Gott eine wichtige Dimension eingenommen. Hauptsächlich nachts und bei
Schlaflosigkeit spreche ich Gebete. In Freiheit war ich
zwar ein Kirchenbesucher, aber ich hatte keine Beziehung zu Gott. Das hat sich nun im Gefängnis grundlegend geändert …“
Seite 8
„
Ich wartete auf das Alleinsein, das
Ausgestoßensein – aber es kam nicht (P.,
Bayern)
… In meinem Leben hatte ich viel Schuld auf
mich geladen und es war mir immer schwerer
gefallen, mich noch als guten Menschen zu sehen. Hilfe schien nicht mehr in Sicht zu sein und in dem Maße,
in dem meine Selbstachtung schwand, wuchs die Verzweiflung in mir. Die für alle Beteiligten beste Lösung
schien mir, wenn ich mich selbst aus dem Leben nehme.
Als dann in einer scheinbar ausweglosen Situation alles
verlorenzugehen drohte, woran mir noch lag, nahm ich
einem anderen Menschen das Leben.
Mein Leben nach der Tat wurde zu einem Tod auf Raten,
zu einem Albtraum. Ich lebte zwar, aber wie tot, vom
Gewissen erdrückt, meine Zukunft begraben, am Ende.
Ich war gebrandmarkt vor Gott, vor dem Opfer mit
seinen Angehörigen und Freunden, vor allen Menschen,
als Schlimmster unter den Schlimmen, als einer, der alles verwirkt hatte. So wartete ich auf dieses endlose Alleinsein, das Ausgestoßen-Sein, so, wie ich es verdient
hatte – aber es kam nicht…
Von der ersten Nacht in Gefangenschaft an ließ mich
etwas Höheres nicht los und ich begann, die Tatsache,
dass ich zwei Kinder habe, wegen denen ich nicht aufgeben darf, ein zweites Mal als Geschenk Gottes zu begreifen; dieses Mal, um selbst gerettet zu werden. Jeden
Tag drangen Zeichen zu mir durch, die – wie ich heute
glaube – Zeichen von Gott waren, der mich nicht alleine
ließ, und Zeichen von Menschen, die mir sagten: „Ich bin
trotz allem da, wenn du mich brauchst.“
Ich durfte erfahren, wie groß es ist, wenn Menschen
zwar deine Tat aufs Schärfste verurteilen, nicht aber
dich als Mensch.
Und erstmals seit langer Zeit begann ich, statt Bitt-Gebeten nun auch Dank-Gebete zu sprechen. Immer wenn
weitere Tiefpunkte kamen – und die kommen auch heute nach vielen Jahren noch – bekam ich aber auch Zeichen der Liebe geschickt; und ich bin sicher, das alles
kommt von Gott.
Mein eigentliches Urteil war nicht das des Richters,
sondern meine Schuld gegenüber den Opfern, meine Sünde gegenüber Gott und selbst. Mir selbst konnte ich einfach nichts vergeben.
ALPHA im Gefängnis
Vorwort zum ALPHA-Kurs
Dass meine Opfer mir vielleicht nie werden vergeben können, damit muss ich leben; aber
dass Gott mir vergeben würde,
das hatte er mich immer wieder wissen lassen. Jedoch stand
ich mir noch viele weitere Jahre selbst im Weg. Ich versuchte
zwar einigermaßen erfolgreich,
ein in Gottes Sinne gutes Leben zu führen und auch Gutes
zu tun, doch vergeben konnte
ich mir trotzdem nichts.
Erst Jahre später im Gefängnis, bei einer Begegnungswoche
mit Angelika und Conny, zusammen mit der Anstaltsseelsorge,
ließ ich mich ganz tief auf diesen „Prozess“ ein. Und dann
konnte ich meinen Widerstand
aufgeben und kapitulierte vor
dieser unbeschreiblichen Liebe, Barmherzigkeit und Gnade
Gottes und ließ sie zu.
Ich werde weiterhin für alle
Zeit die Konsequenzen meiner
Schuld tragen müssen, aber ich
kann mich nun wieder so annehmen, wie ich bin. Ich empfinde
es so, dass ich von Gott wie an
einer unsichtbaren Hand geführt und aufgerichtet worden
bin, ich bin wieder aufgestanden. Ich gehe meinen Lebensweg nun im Hören auf Gott und
in einer Hinwendung zu Jesus
Christus, von der ich möchte,
dass aus ihr eine gelebte Liebe wird.
Ich spüre an mir selbst und
glaube, dass dieser Jesus auferstanden ist und jeden Tag in jedem von uns wieder auferstehen kann – wenn wir an Gott
glauben und diesen Glauben
auch wirklich leben …“
Der ALPHA-Kurs ist ein Phänomen. „Erfunden“
und konzipiert in der anglikanischen
Kirche in den früher 90er Jahren, ist er
heute weltweit und in allen Konfessionen
zu finden, ein erfolgreiches Konzept
missionarischer Gemeindeentwicklung.
Beim ALPHA-Kurs werden kirchennahe, kirchendistanzierte Menschen und Skeptiker zu
etwa 10 Veranstaltungen eingeladen, bei denen
Information, Gemeinschaftserfahrung und spirituelles Erleben ermöglicht werden.
Pfarrer Armin Beck
Kassel
Ziel ist es, dass Menschen verstehen, was es mit dem christlichen Glauben auf sich hat, anderen Christen begegnen und eine ganz persönliche
Erfahrung mit Gott erleben.
Oft dürfen wir sehen, dass anfangs skeptische oder gar ablehnende Teilnehmer während des Kurses eine solch tief greifende Veränderung erleben,
dass sie an dessen Ende mit großer Sicherheit sagen: „Ja, ich bin Christ!“
Gemeinde-Erfahrungen mit der ALPHA-Arbeit
Ich selbst kenne ALPHA seit den Anfängen in Deutschland, als wir 1993
einen Kurs unter Studenten wagten. Ich habe dann ALPHA als Gemeindepfarrer eingesetzt und in meiner jetzigen Tätigkeit als Referent bei den Missionarischen Diensten in vielen Gemeinden eingeführt und erstmals durchgeführt. Die Erfahrungen dieser Gemeinden und auch meine eigenen waren
durchweg positiv, was ich sonst selten bei einer Form der Gemeindearbeit
so sagen kann. Der positive Effekt bei den Teilnehmenden, aber auch bei den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auf das gesamte Gemeindeklima ist
nicht zu unterschätzen. Letztlich führt die kontinuierliche Arbeit mit ALPHA-Kursen zu positiver Gemeindeveränderung und Gemeindewachstum.
Besondere Erfahrung mit ALPHA im Gefängnis
Eine besondere Erfahrung war für mich der erste von mir und der Gefängnisseelsorge in der JVA Kassel initiierte Kurs für Strafgefangene. Ein
buntes ökumenisches Team traf sich 2010 ein Mal wöchentlich hinter Gefängnismauern, um sich mit etwa 30 Gefangenen über Themen wie „Warum
starb Jesus?“, „Wie kann ich sicher sein, dass ich Christ bin?“ oder „Warum
und wie kann ich beten?“ auszutauschen. Unter den Bedingungen des Vollzugs sind die Gefangenen manchmal offener für existenzielle Lebens- und
Glaubensfragen als Menschen, die in ihrem Alltag kaum Zeit für die Beantwortung solcher Fragen finden. Dabei klingen zentrale Aussagen des christlichen Glaubens im Gefängnis nochmal ganz anders, wenn wir dort z. B. über
Schuld, Vergebung, Freiheit oder Gnade reden.
Ich freue mich über jeden Gefangenen, der am Ende von sich sagen kann:
„Es ist verrückt, aber gerade hier, in der schlimmsten Zeit meines Lebens
habe ich eine persönliche Erfahrung mit Gott gemacht. Ich bin nicht mehr
allein. Und auch wenn ich dieses Gefängnis verlassen werde, wird Jesus mir
Halt, Trost und Wegweiser in einer Freiheit sein, die größer und weiter ist,
als die Befreiung aus meiner Gefängniszelle.“
Seite 9
ALPHA-Kurs im Vollzug der JVA Luckau-Duben
Konzeption
Ein ALPHA-Kurs im Vollzug ist als Prozess zu verstehen, den Christen gemeinsam mit straffällig gewordenen
Menschen gehen. Den Gefangenen werden die Grundsätze des christlichen Glaubens nahe gebracht.
Inhaltlich werden christliche und gesellschaftliche
Werte in Beziehung gesetzt. Die Gefangenen sollen dadurch eine Möglichkeit erfahren, sich mit schädlichen
Verhaltensweisen auseinanderzusetzen.
Die Zusammenarbeit der durchführenden ehrenamtlichen Vollzugshelfer mit dem Vollzug wird dadurch intensiviert und gefördert.
Übergang in Projekte und Aktionen
Im Anschluss an die Veranstaltungsreihe wurden in
der Vergangenheit kulturelle Höhepunkt, z. B. Konzerte,
Weihnachtsfeiern durch die Gefangenen vorbereitet und
realisiert, aber auch soziale Projekte konnten durchgeführt werden.
So findet seit 2009 eine „Bastelaktion“ in der Vorweihnachtszeit statt, deren Erlös der Kinderhilfsorganisation
JAM gespendet wird. 2012 erfolgte eine „Weihnachtspaketaktion“ für die Kinder von Gefangenen.
Für die Gefangenen ist es sehr wichtig, selbst aktiv
werden zu können und auch zu erfahren, dass Geben und
für andere da zu sein nicht an eine Gegenleistung gebunden sein muss und dennoch ein gutes Gefühl hinterlässt.
PSYCHOLOGE UND GUTACHTER
EMPFIEHLT ALPHA IM GEFÄNGNIS
(Prof. Dr. Helmut Kury, Arbeitsgruppe Forensische
Psychologie, Universität Freiburg)
„Die von einer christlichen Gruppe in der
JVA Freiburg durchgeführten ALPHA-Kurse haben auf einige der Gefangenen, die ich betreue,
sehr positive Auswirkungen gezeigt. So sind Veränderungen im Verhalten und im Denken an ihnen feststellbar, welche ihnen helfen können, sich
besser wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Auch die Betreuung über den ALPHA-Kurs hinaus,
im Rahmen der Vollzugslockerungen bzw. nach
der Haftentlassung, fördert und unterstützt die
Integration in die Gesellschaft. Aus meiner Sicht
ist diese Arbeit mit den Gefangenen sehr wünschenswert.“
Seite 10
Ein Teil der Gefangenen, die den Kurs besuchten, integrierte sich jeweils in die fortführende, 14-tägig stattfindende offene Gesprächsgruppe.
Zusammenfassung
In der JVA LuckauDuben finden ALPHA-Kurse seit
2009 statt. Dabei waren Gefangene verschiedener Bereiche, auch mit unterschiedlichen persönlichen Problemfeldern, integriert.
Es gelang den Durchführenden sehr gut, die Teilnehmer – z. T. auch schwierige Gefangene – zu einer kontinuierlichen Mitarbeit zu motivieren. Besonders hinsichtlich
Teamfähigkeit, Kompromissfähigkeit, Toleranz, Kommunikation und Konfliktbewältigung war bei allen Teilnehmern eine sehr gute bis zumindest tendenziell positive
Entwicklung zu erkennen. Bei allen Teilnehmern zeigte
sich eine Entwicklung hinsichtlich Schuldbewusstsein,
Reue und auch dem Gedanken/Bewusstsein, künftig anders leben und keine Straftaten mehr begehen zu wollen.
Offenheit und Empathie konnten sich auch bei Gefangenen entwickeln, die ansonsten als verschlossen und eher
gefühlskalt galten.
Der religiöse Ansatz der Veranstaltung wurde durch
die Teilnehmer immer akzeptiert, es blieb aber im Ermessen der Teilnehmer, ob sie sich näher darauf einlassen möchten.
Gleichwohl fanden auch Gefangene zum christlichen
Glauben und es konnten 2012 und 2013 je eine Taufe in
der Gemeinde Zagelsdorf erfolgen. Im Vordergrund standen immer die Probleme der Gefangenen und mögliche
Lösungswege.
Einige Teilnehmer werden in Einzelgesprächen und
einer offenen Gesprächsgruppe weiter begleitet. Ein Teil
der Gefangenen konnte auch über die Haftzeit hinaus weiter begleitet werden, sodass die Ehrenamtlichen auch in
das Übergangsmanagement/Entlassungsvorbereitung
eingebunden waren/sind.
Die Anstaltsleitung der JVA LuckauDuben und der Sozialdienst als Ansprechpartner unterstützten die Kurse
und daran angebundene Projekte von Beginn an,zeigten
sich dabei sehr flexibel und offen, sodass sich eine gute
Zusammenarbeit entwickeln konnte. Hervorgehoben
wird, dass die ehrenamtlichen Kursleiter stets die Zielsetzungen des Vollzuges (bzgl. der einzelnen Gefangenen) beachten und stärken, z. B. auch Fehlverhalten von
Gefangenen thematisieren und in Bezug zu den Kursinhalten setzen.
Seit 2013 findet ein ähnlicher Kurs im offenen Vollzug in der Außenstelle Spremberg statt.
„
Der ALPHA-Kurs führte mich wieder
zum Glauben (P.)
ALPHA-FEEDBACK VON
GEFANGENEN AUS BRANDENBURG
(JVA LUCKAU-DUBEN)
„… Ein sehr gutes soziales Ereignis…“
„… Die ganze Atmosphäre ist gut und ich
komme sehr gerne wieder …“
„… Soziales Miteinander auf einer sehr respektvollen Ebene …“
„… Hier kann ich mich öffnen und so sein, wie
ich bin …“
„… Das gemeinsame Singen, Beten und auch
das Auslegen der Bibel mag ich …“
„… Jede Woche freue ich mich auf den Alphakurs, er gibt mir Mut und Kraft …“
„… Der Kurs ist für mich wie eine kleine Familie, wo ich akzeptiert werde und man mir
auch zuhört, wenn es mir schlecht geht …“
„… Hab früher vieles negativ gesehen, finde
aber heute wieder, dass das Leben doch
einen Sinn macht …“
„… Meine Sicht auf die Probleme anderer und
welche Hilfe sie brauchen, wird besser …“
„… Das gemeinsame Essen ist eine gute Begleitung und das Segnen gibt Hoffnung …“
„… Verkümmerte Gefühle werden freigelegt
und ich lebe bewusster …“
Geglaubt habe ich schon immer irgendwie, aber
ich habe es nie erlebt und habe nur an Jesus gedacht, wenn es mir irgendwie schlecht ging.
2009 kamen Angelika und einige Ehrenamtliche zu
einer Begegnungswoche in unser Gefängnis. Am Anfang
interessierte mich das nicht, aber ein Mitgefangener überredete mich, mitzukommen. Ich spürte sofort, dass da
etwas ist, das mich anspricht. Als am Ende dieser Woche, die leider viel zu schnell verging, auf den ALPHAKurs hingewiesen wurde, war mir sofort klar, dass ich
teilnehmen würde. Dieser Kurs führte mich wieder richtig zum Glauben. Der Kurs füllte mich so richtig aus und
mein Glaube wuchs von Tag zu Tag. Ich spürte, dass es das
war, was mir jahrelang in meinem Leben gefehlt hatte.
Nun spürte ich auch, dass ich das dem mir wichtigsten Menschen, meiner Verlobten, mitteilen musste.
Das machte mir Angst, weil ich nicht wusste, wie sie reagieren würde, denn sie kannte mich jahrelang anders –
als einen Menschen, der von heute auf morgen lebt, der
Drogen nimmt und viel an sich selbst denkt. Ich schrieb
ihr also einen Brief und sagte ihr, dass ich zu Jesus gefunden habe und nun danach leben will.
Es folgte eine Woche des Wartens und dann kam ihr
Antwortbrief. Zu meiner Überraschung freute sie sich
für mich und will mich auch in dieser Hinsicht unterstützen. Als ich das las, fühlte ich mich so glücklich wie lange
nicht mehr und wusste, dass nun alles gut wird, da Jesus
in meinem Leben ist und mich führen wird.
Ich habe 31 Jahre (davon 12 in Haft) gebraucht, um
das zu erkennen. Aber ich habe jetzt innerlich neu angefangen zu leben, und das ist das Wichtigste. Ich weiß:
Jesus liebt mich und ich liebe ihn …“
„
Im ALPHA-Kurs werde ich
wieder Mensch (Bayern)
… Ja, der ALPHA-Kurs ist wirklich sehr gut und
tut mir auch gut. Ich spüre, wie mein teilweise versteinertes Herz wieder aufblüht, ich werde wieder Mensch.
Das Gefühl kann ich nur ganz schwer beschreiben.
Zum Einen ist es ein so schönes Gefühl, wenn ich in der
Gemeinschaft bin. Aber es macht mich auch oft richtig
traurig, denn wenn ich dann abends in meiner Zelle bin,
denke ich viel nach. Dann wird mir richtig bewusst, wie
vielen Menschen ich in meinem Leben richtig weh getan
habe. Es kommt dann vor, dass ich deswegen weine, weil
ich diesen Schmerz spüren kann. Aber genauso spüre ich
auch wieder neu die Schmerzen, die mir zugefügt worden sind. Mit diesen Emotionen umzugehen, ist nicht gerade leicht. Ich bete dann zu Gott und bitte um Verzeihung und dass er mich ab jetzt leitet. Das ist das, was ich
mir so richtig von Herzen wünsche …“
Seite 11
Begleitete Selbsthilfe – ENDLICH LEBEN
ENDLICHLEBEN im Gefängnis
Roselinde Bühl
ehrenamtl. Mitarbeiterin, München
Die Not zeigt sich vor der Haustür und man ist
geneigt, sie den Fachkräften zu überlassen. Wie
jedoch mit ENDLICHLEBEN-Gruppen z. B. jede
Gemeinde „niederschwellige“ Diakonie selbst
anbieten kann, berichtet Pfarrer Helge Seekamp,
Öffentlichkeitsbeauftragter des Netzwerks
endlichleben.net: „Als wir vor 15 Jahren eine
christliche Kulturkneipe starteten, hatten wir
plötzlich Kontakt mit vielen Menschen und ihren
Nöten und Problemen. Unterschiedlichste Süchte
fielen uns ins Auge. Das war für uns die Motivation,
das Gruppenprogramm ENDLICHLEBEN zu
entwickeln. Es ist für Christen und Nichtchristen ein
Lichtblick für tief greifende Lebensänderungen.“
Zwänge, Süchte, Lebensmuster
Kennen Sie das: Ihnen fallen immer wieder Leute auf, die
nicht mit ihrem Alltag zurechtkommen. In Hauskreisen
gibt es normalerweise wohlmeinende Mitglieder, die mit
schlichten Ratschlägen versuchen, seelsorgerliche Hilfe
zu geben. Das kann auch streckenweise helfen, aber oft
stehen die Betroffenen bald wieder vor der Tür.
Oft auch wieder mit dem gleichen Dilemma. Sie können ihre Lebensmuster, die sie meist schon als Kinder
aus ihrer Ursprungsfamilie mitgebracht haben, nicht
einfach so, nur mit gutem Willen ändern. Es bleibt für
sie alles zu kompliziert.
In Gemeinden und Gefängnissen
Hier greift die ENDLICHLEBEN-Gruppe. Dieses Modell
hat sich seit 1994 in unterschiedlichen Gemeindetypen
unterschiedlicher Konfessionen bewährt und auch
immer mehr in Gefängnisgruppen. Mittlerweile wurde das zugehörige Arbeitsbuch über 16.000 Mal verkauft und jährlich gibt es etwa 500 Gruppenteilnehmer. Wir bekommen erstaunliches Feedback, selbst
aus den Gefängnissen.
Seite 12
Menschen landen oft nicht zuletzt dadurch im Gefängnis, weil sie durch ungute Problem- und KonfliktlösungsStrategien und Überlebens-Mechanismen sich selbst und
anderen schaden. In Haft verstärken sich diese Mechanismen durch den negativen Einfluss der Subkultur, die
gesellschaftliche Normen ablehnt. Bei anderen werden
sie verstärkt durch Schuld- und Schamgefühle. Rückzug, Isolation und Vereinsamung sind die fast unausweichlichen Folgen. Hinter Gittern erfahren sie dann
Misstrauen, Abgestempeltsein, dass sie nur noch durch
ihre Tat(en) definiert werden, Frustration, Beziehungsabbruch und wenig/keine Liebe. Hier bewährt sich die
ENDLICHLEBEN-Arbeit als ganz praktische Lebenshilfe. Vorausgegangen sind eine ENDLICHLEBEN-Gruppe
im Gefängnis meist schon andere Angebote, die Gefangene für einen Neuanfang motivieren und öffnen. ENDLICHLEBEN-Gruppen sind für diejenigen geeignet, die
gewillt sind, an sich zu arbeiten und sich zu verändern.
Die Rückmeldungen aus den bisher stattgefundenen
Gruppen sind sehr ermutigend, denn sie sind geprägt
von Neuanfang und Hoffnung!
„
Mein Hass hat sich in Liebe umgewandelt
(R., JVA Straubing)
… Neben Gott ist mir die Emmaus-Gruppe im Gefängnis das Wichtigste geworden, das hat mir all
die Jahre gefehlt. Ich bin Gott und euch so dankbar für
das, was hier entstanden ist.
Seit ihr letztes Jahr beim Besuch vor der Gruppe für
mich gebetet habt, da hat es richtig krass KLICK bei mir
gemacht.
Über die Monate, in denen ich am ENDLICHLEBENProgramm teilnahm, fand nun ein unbeschreiblicher
Aufbruch bei mir statt.
Sogar meine Mutter sagte, dass sich all mein Hass in
Liebe umgewandelt hat und sie darüber überglücklich
ist. Na ja, meine Mutter kennt mich am besten, grins!
Mir ist dieser neue Weg total wichtig geworden. Für
mich hat dieses Jahr absolut viel gebracht. Was ich bei
euch gelernt und von Jesus geschenkt bekommen habe,
will ich anderen weitergeben …“
„
Lebenslänglich – und doch kann ich „endlich leben“
… Als Kind bin ich gläubig aufgewachsen, habe
regelmäßig gebetet, aber Schicksalsschläge, Todesfälle und Enttäuschungen nahmen mir den Glauben.
So lebte ich dann über 20 Jahre abgewandt von Gott.
Dann kam der Tag, an dem ich den mir liebsten Menschen tötete. Wie von Sinnen war ich, griff zu Drogen und
versuchte drei Mal Selbstmord. Dann keimte erstmals
ein Gedanke in mir auf: „Es muss etwas Höheres dahinterstehen, das nicht will, dass auch ich sterbe.“
Total leer zwar und an nichts mehr glaubend, kamen
mir aber dann doch Gott und Gebete in den Sinn – so
ging ich in die Kirche – gigantische Stille, Atmosphäre
mit Gott, mir kamen die Tränen.
In der Haft dann wollte ich keinen Psychologen, aber
ich vertraute mich einem Seelsorger an, immer wieder.
So begann ich zu spüren, dass jedes Leben zu wertvoll
ist, um es zu vergeuden. Es gibt eben doch jemand, der
nicht will, dass ich mir ans Leben gehe, der will, dass ich
wieder an mich selbst glaube.
Ich nahm an dem
Glaubens-Grundkurs „ALPHA im Gefängnis“ teil und war
überrascht. Vieles
war zwar neu für
mich, aber ich konnte es nun annehmen, verstehen, lernen, verinnerlichen.
Die Gruppe, die Gemeinschaft im Interesse am Glauben,
die Gebete, all das begann mir Mut und Kraft zu geben.
In der anschließenden Gruppenarbeit konnte jeder
offen reden, und so wuchs in mir Vertrauen. Sowohl die
hauptamtlichen Seelsorger als auch die ehrenamtlichen
Mitarbeiter(innen) und die Mitgefangenen, die Gruppenleiter waren, ertrugen die Belastungen durch all unsere
„Fälle“ und machten einen vertrauensvollen Austausch
möglich; sie setzten sich ohne Ansehen der Person oder
der Tat für jeden ein, und nun konnte ich loslassen, was
mich quälte.
Später begann ich sogar, mein Leben aufzuarbeiten
und als dann die 12Schritte-Gruppe ENDLICHLEBEN
anfing, ließ ich mich darauf ein. Sie wurde mir zu einer
echten ÜberLebenshilfe. Noch nie hatte ich mich derart
mit meinem Leben beschäftigt und nun begleiteten sogar
andere mich dabei – das tat mir gut. Schrittweise wuchsen in mir wieder Selbstvertrauen und das Vertrauen
in Gott und ich konnte alles aus meinem Leben auf den
Tisch legen, konnte mir helfen lassen und auch anderen
helfen – tätige gegenseitige Bereicherung.
Jetzt, lange Zeit später, merke ich erst, was für einen
Weg und Prozess ich da gegangen bin, von dem Tag, an
dem alles zu Ende schien, bis heute.Trotz „lebenslänglich“
habe ich nun mit ENDLICHLEBEN wieder zurück ins Leben gefunden. Ich weiß nun, dass Gott mir helfen will, all
das heil zu überstehen, und mit ihm und den Menschen
in Beziehung zu bleiben. Ich bin überzeugt, dass dazu
auch Wiedergutmachung gehört und das Gute zu tun.
Ich habe nun keine Angst mehr…“
„
Der Kurs hat mein Leben bereichert
(Denis, München)
… Ich möchte mich bei euch bedanken, dass ihr
mein Leben in den letzten Monaten enorm bereichert und meine Haftzeit viel erträglicher gemacht
habt. Ich bin froh und dankbar, so aufgeschlossene, intelligente, humorvolle, hilfsbereite und vor allem gläubige Menschen in dieser „Klausur“ getroffen zu haben.
Unsere ENDLICHLEBEN-Gruppe hat mir immer das Gefühl gegeben, mich außerhalb jeglicher Haft zu bewegen.
Auch mein Blickwinkel für das Leben hat sich sehr verändert und mein Gefängnis-Aufenthalt hat mir schon mehr
gegeben als genommen. Ich bin
sicher, von den
hier gesäten Gedanken künftig
ergiebig ernten
zu können.
Ich danke
euch, dass ihr
durch eure Offenheit und euer Verständnis dazu beigetragen habt, dass ich
den Blick für die wesentlichen Dinge des Lebens wiedergefunden habe und ich danke dem Herrn, dass er mir in
Seiner unvorhersehbaren Großzügigkeit noch eine weitere Chance gegeben hat, die Initiative für ein aufrichtiges und wertvolles Leben zu ergreifen.
Ich hoffe sehr, dass ihr durch eure großartige und
wichtige Gefängnisarbeit hier noch vielen Menschen die
Möglichkeit geben könnt, durch ein persönliches Umdenken zum Neu-Denken zu gelangen …“
HERR, GIB MIR DIE GELASSENHEIT,
DINGE HINZUNEHMEN, DIE ICH NICHT ÄNDERN KANN,
DEN MUT, DINGE ZU ÄNDERN, DIE ICH ÄNDERN KANN,
UND DIE WEISHEIT DAS EINE VOM ANDEREN ZU
UNTERSCHEIDEN.
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Ehrenamt – Brücke zwischen Strafvollzug und Gesellschaft
„
15 Jahre Haft – Ohne das Engagement vieler
Ehrenamtlicher wäre ich irgendwann gestorben
(Herbert)
… Seit 1965 war ich insgesamt 15 Jahre in den
unterschiedlichsten Gefängnissen in Haft wegen Diebstahl, Einbruch, Betrug, Unterschlagung, Erpressung, Zuhälterei und Körperverletzung – und jedes
mal zu Recht. Seit 1988 kann ich nun straf- und drogenfrei leben und danke Gott und den vielen Menschen, die
mich dabei begleitet haben und heute noch begleiten.
Neben vielen Missständen und menschenunwürdigen
Umständen gab es früher keinerlei Angebote, wo ich als
Gefangener die Chance gehabt hätte, meine Lebenseinstellung nach
bürgerlichen Wertvorstellungen
zu ändern. Einiges hat sich im Lauf
der Jahrzehnte verbessert, aber
auch heute noch bleibt z. B. fachliche Begleitung von Psychologen
und Therapeuten auf der Strecke.
Gegen Alkoholsucht, Spielsucht
und Sexsucht, die mich prägten,
gab es damals keine Hilfe und es
sieht heute nicht viel besser aus.
Stattdessen umgaben mich Lieblosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Aggressionen und die kranken Strukturen verschiedenster Süchte.
Erst als ich die Ehrenamtlichen der Emmaus-Bewegung und von den ANONYMEN ALKOHOLIKERN kennenlernen durfte, gelang es mir, mich mit meiner Schuld,
meinen Süchten, der Reue und dem Thema Wiedergutmachung auseinanderzusetzen. Drei Jahre ging ich in diese Gruppen und fühlte mich dort erstmals als Mensch
und Hilfesuchender voll angenommen. Irgendwie hatte
ich eine neue, liebende Familie gefunden. Mit deren Hilfe konnte ich auch nach der Entlassung privat und beruflich sehr gut Fuß fassen.
Ich wäre irgendwann in irgendeinem Gefängnis oder
auf der Straße im Milieu gestorben, wenn es nicht dieses
Engagement vieler Ehrenamtlicher gegeben hätte.
In Freiheit ging ich dann nicht nur weiter in diese Gruppen, sondern gründete auch selbst welche und gehe nun
schon seit 20 Jahren als Ehrenamtlicher in zehn verschiedene Gefängnisse, um sowohl von meinem Leben zu erzählen als auch feste wöchentliche Gruppen zu begleiten.
Seite 14
Aus meiner langen Erfahrung kann ich deutlich sagen, dass durch Politik, Justiz und Kirchen viel zu wenig in den Gefängnissen getan wird, um von Resozialisierung zu sprechen.
Nach langer Zeit des Ehrenamtes weiß ich sicher, dass
viele Gefangene nicht mehr rückfällig werden würden,
wenn wir, die Gesellschaft, ihnen mit Liebe und fachlicher
Kompetenz begegnen würden. Wir brauchen nicht immer höhere, sondern sinnvollere Strafen, das wäre nach
meiner tiefen Überzeugung auch
der beste Weg zur Hilfe für Opfer
und zum Schutz der Gesellschaft.
Wenn weiterhin Strafe und Gewalt
den Vollzug dominieren, erzeugt
dies nur wieder Gewalt und noch
mehr davon.
Viele Menschen jammern über
die Wirtschaftskrise, aber ich bin
davon überzeugt, dass die größte Krise unserer Gesellschaft die
fehlende Liebe und Barmherzigkeit ist, gerade auch zu den Menschen an ihrem Rand. Zur Mithilfe
an einer besseren Zukunft rufe ich
alle auf, Politik, Justiz, Kirchen, Gefangene, Haftentlassene und jeden Bürger, der den Mut aufbringt, sich einzusetzen, zu fordern und zu fördern. Opfern und ehemaligen Tätern wird dies ebenso helfen, wie es neue Opfer
vermeiden helfen wird. Es gibt viel zu tun, packen wir
es an, ich bin dabei! …“
„
Ehrenamt in der JVA Straubing
(von Edith Schmid, ehrenamtl. Mitarbeiterin, JVA Straubing)
Regelmäßig ein Mal im Monat bin ich in der
JVA Straubing und fahre jedes Mal sehr gerne
dorthin. Am Nachmittag besuche ich Gefangene, die mir
mittlerweile sehr vertraut sind, und am Abend bin ich
dann als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei den verschiedenen Kursen, z. B. Emmaus, ALPHA, ENDLICHLEBEN.
Vor drei Jahren hätte ich mir das noch nicht vorstellen können, und es waren viele Fügungen nötig, bis ich
2011 zum ersten Mal im Besucherraum in der JVA Straubing saß und einen sehr netten, liebenswürdigen Mann
kennenlernen durfte, der mehr als 30 Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbracht hatte.
Seine Lebensgeschichte und seine Lebensveränderung, die er seit dem Kontakt mit der Gruppe erfahren
durfte, haben mich so sehr berührt, dass ich daraufhin
beschloss, den SETFREE e.V. und seine soziale Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben zu unterstützen.
Der Gefangene ist nun seit mehr als zwei Jahren in
Freiheit und seitdem auch straffrei geblieben, was er
vorher nie geschafft hatte bzw. schaffen konnte.
Vor den Besuchen in der JVA Straubing dachte ich immer, bei mir sei alles in Ordnung, was aber eigentlich nicht
stimmte. Gerade die Offenheit und Selbstkritik der Gefangenen in der Gruppe machten mir deutlich, wie selbstgerecht ich bisher eingestellt gewesen war. Viele von uns
neigen zur Selbstgerechtigkeit, verurteilen schnell und
schauen auf andere herab. Eine besonders betroffene Zielgruppe sind dabei sicher die Strafgefangenen, bei denen
ja bereits die Justiz ihre Schuld nach Recht und Gesetz
festgestellt hat – das macht es dann leichter, über eigene Schuld und Versagen hinwegzusehen.
Wenn ich jetzt durch die Gänge der JVA gehe, sehe ich
die Gefangenen mit anderen Augen und frage mich, was
hat sie hinter Gittern gebracht und wie hätte das verhindert werden können?
Bei der Begleitung dieser Menschen, die zum Teil
auch neuen Halt und Ausrichtung im Glauben suchen
und finden, wird aber auch die Bibelstelle lebendig, in
der es heißt, dass für den, der sich Gott zuwendet, das
Alte vergangen ist und Neues wird.
Jedenfalls bin ich fest davon überzeugt – und einige
ermutigende Erfahrungen bestätigen dies – dass Gefangene mit Begleitung und Hilfe durch Menschen von draußen einen besseren und guten Weg zurück in die Gesellschaft schaffen werden …“
„
Sexueller Missbrauch – und für so einen opfert
ihr eure Zeit ?!
(JVA Straubing, Brief an einen Ehrenamtlichen)
… Vielen Dank für die Vermittlung des Kontakts
zu dem ehrenamtlichen Mitarbeiter. Sein Brief
an mich war eine sehr schöne Überraschung, über die
ich mich ganz arg gefreut habe. Es ist für mich nicht einfach zu schreiben.
Seit eineinhalb Jahren bin ich in Haft, verurteilt wegen sexuellen Missbrauchs. Das erklärt, warum niemand
etwas mit mir zu tun haben möchte. Durch dieses Delikt
bin ich zum Außenseiter geworden. Keiner meiner Familie oder Freunde will noch etwas mit mir zu tun haben. Ich bin seit 23 Jahren verheiratet und habe Kinder.
Nun hat meine Frau die Scheidung eingereicht und in den
nächsten Wochen wird es wohl so weit sein. Ich bin noch
keine 50 Jahre alt, aber schon zweimal Opa geworden.
Doch leider werde ich nun meine Enkel nie mehr sehen.
Es wäre schön, wenn du mir trotz meines sehr schlimmen Delikts die Chance geben würdest, dass wir uns
kennenlernen können. Bitte versteh diesen Brief nicht
als Gejammer – ich bin selber schuld und bereue meine
Taten sehr. Ich schäme mich, dir darüber zu schreiben.
Aber ich bin der Meinung, wenn ein Mensch wie du seine Zeit opfert, dann sollte er von Anfang an wissen, mit
wem, bzw. für wen er das macht.
Mit der Kirche hatte ich draußen nichts „am Hut“ und
bin nach wie vor eher negativ eingestellt. Allerdings glaube ich an Gott und seinen Sohn Jesus Christus. Ich will
mein künftiges Leben im Sinne des christlichen Glaubens leben und finde im ENDLICHLEBEN-Programm
viele Antworten auf „Sachen“, die in meinem bisherigen
Leben falsch von mir waren.
In unserer Kleingruppe im Gefängnis, die von zwei
Mitgefangenen geleitet wird, mache ich sehr gerne
mit und freue mich jede Woche darauf.
Es ist sehr schön, dass diese Gruppenarbeit angeboten wird. Sie hilft mir auch, meinen Glauben zu festigen
und zeigt mir, dass es Menschen mit ähnlichen Erfahrungen auf dem Glaubensweg gibt. …“
Seite 15
Gruppenarbeit in der JVA Straubing
Die JVA Straubing ist ein Hochsicherheitsgefängnis,
in dem Gefangene mit langen Haftstrafen
und Sicherungsverwahrte untergebracht
sind. Seit 2008 können dort verschiedene
Angebote gemacht werden:
»» Emmausgruppe
14-tägig bieten ehrenamtliche Mitarbeiter(innen)
dort verschiedene, aufeinander aufbauende
Kurse an (ALPHA-Kurs, ENDLICHLEBEN,
Vermittlung von Werten), die zu einer
Neuorientierung des Lebens motivieren sollen.
»» Selbsthilfegruppen
Gefangene werden aktiviert, die Inhalte der
Emmausgruppen zu vertiefen. Sie führen
eigenständig Kleingruppengespräche
in ihren Abteilungen durch und üben so
problemlösende Kompetenzen ein.
»» Intensivgruppe
Gefangene, die sich für Mitinhaftierte engagieren
und Kleingruppen in den Abteilungen
leiten, werden speziell als Multiplikatoren
des Programms gefördert und geschult.
»» Einzelbegleitung
Die Gefangenen werden in ihrem
Entwicklungsprozess durch ehrenamtliche
Mitarbeiter(innen) begleitet und
unterstützt, die speziell für diese Aufgabe
aus- und weitergebildet werden.
»» Unterstützung bei der Haftentlassung
Gefangene, die eine Bereitschaft zeigen,
verbindliche Beziehungen einzugehen,
werden bei der Entlassung unterstützt und in
christlichen Gemeinden, Selbsthilfegruppen oder
gesellschaftlichen Initiativen eingebunden.
Als herausragend kann betrachtet werden, dass es
gelungen ist, Gefangene zu motivieren, selbst aktiv zu
werden, dass sie beständig seit 2008 eigene Kleingruppen in den Abteilungen anbieten und selbst aktiv werden, andere Gefangene zu einer Teilnahme an den Gruppen zu motivieren.
Die eigene Mitwirkungsmöglichkeit fördert einen
Prozess der Identifikation und öffnet damit die Gefangenen für Veränderungsprozesse. Zudem kann das soziale Engagement für Mitgefangene auch als Wiedergutmachungs-Bestreben gesehen werden.
Im Folgenden nun die Berichte von Gefangenen aus
der JVA Straubing:
Seite 16
Meine Veränderung durch die Straubinger Grup­
pen – Rückmeldung am Jahresende:
MN: „Als Veränderungen bei mir und in meiner Sichtweise bemerkte ich besonders, dass ich in meinem Alltag
nun so manches loslassen konnte. Mein Kontrollzwang
– mich, andere und Situationen beherrschen zu müssen
– verlor an Bedeutung. Dadurch wurde ich sensibler gegenüber mir selbst sowie gegenüber meinem Lebensumfeld und meinen Mitmenschen. Als Folge davon wurden
auch meine Bewertungskriterien gegenüber anderen
neutraler. Zudem gelangte ich an »das Böse« in mir. Jedoch konnte ich gerade deswegen mich selbst als Ganzes mehr annehmen. Meine Beziehung zu Jesus wurde
viel lebendiger, echter und authentischer. Dies war für
mich das Wesentliche, das ich als »Lernfaktor« aus dem
letzten Jahr mitnehmen durfte.“
GW: „Die Lethargie ist raus, ich habe wieder Ziele vor
Augen und erreiche sie auch. Ich kann besser mit anderen Menschen klarkommen und gehe jedes Mal mit einem
besseren Gefühl aus der Gruppe heraus, als ich hineingegangen bin. Einer von der Gruppe wurde mein erster
Gesprächspartner, der »Vater«, den ich nie hatte. Heute
hole ich mir auch die Meinungen anderer ein und ziehe
nicht mehr über andere Menschen her, kann Konflikte
friedlich lösen, kommuniziere besser und kann andere
besser stehenlassen. Früher hatte ich mich bis hin zur
Hörigkeit beeinflussen, mich sogar als Rachewerkzeug
missbrauchen lassen.
Unter 800 Gefangenen Einzelne zu finden, mit denen
man Freundschaft leben kann, ist richtig toll und das
tut mir in der Gruppe einfach gut.“
MS: „Das Wichtigste war für mich, dass ich mich durch
die Gruppe stabilisieren konnte. Besonders in der Kleingruppe verstehen wir uns gut. Ich konnte mein Ich wiederfinden und den Umgang mit dem Glauben an Gott.“
KS: „Da ich in letzter Zeit massive Schwierigkeiten mit
der Anstalt hatte, war ich um die große Unterstützung,
die ich in Gott, der Gruppe und den Ehrenamtlichen erfahren durfte, sehr froh. Gott hilft mir nun jeden Abend,
zur Ruhe zu kommen, sodass ich gut schlafen kann. Das
Umsetzen der 12-Schritte [Anm. d. Red.: Aus dem ENDLICH-LEBEN-Programm] in meinem Alltag ist mir wichtig. Überreaktionen wurden wesentlich seltener und weniger heftig. Sehr froh stimmt mich, dass ich mit anderen
zusammen Kleingruppe auf der Abteilung machen darf.“
GW: „Ich bin der Berufsrebell. Wer mir in der Gruppe
Respekt abgerungen hat, sind die zwei jüngeren Ehrenamtlichen gewesen, weil sie locker und ehrlich von ihrem
Glauben sprachen, ohne Missionsdruck. Am Anfang befürchtete ich, dass sie mich »katholisch machen« wollten.
Nun danke ich euch, denn ihr habt niemanden bedrängt.“
SG: „Ich habe es von Anfang an als schön empfunden,
wie mir die Ehrenamtlichen das Gefühl geben, dass ich
angenommen bin. Sie haben alle eine offene und herzliche Art und ich fühle mich jedes Mal nach der Gruppe
besser als vorher. Ich reagiere nicht mehr so ärgerlich
wie früher, rege mich nicht mehr so auf, kann mich eher
zurücknehmen und es gut sein lassen – das konnte ich
früher gar nicht. Dafür will ich Danke sagen.“
Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin: „Es fällt mir auf und
ich spüre, dass die Wahrhaftigkeit gewachsen ist. Nirgendwo draußen höre ich so viel Wesentliches, wie hier
bei euch. Das bringt mich zum Staunen, zum Respekt und
in Dankbarkeit, dass das möglich ist. Ich danke euch auch
für die schöne Geburtstagskarte, durch die ich euch wie
eine Familie um mich herum fühlte. Diese kleinen Zeichen sind oft sehr wertvoll.“
MS: „Als ich nach Straubing kam, wollte ich meinen
Glauben vertiefen und mit anderen über Gott und Jesus
sprechen. Deshalb war ich sehr glücklich, hier diese vielen Leute aus der Gruppe und in der Kleingruppe in meiner Abteilung zu finden. Die Gruppe gibt mir etwas wie
Familie, jemand denkt an mich. Wir sind zusammen, es
kommt auch mal zum Streit über Kleinigkeiten, aber eben
wie in einer Familie. Wir versuchen einander zu helfen,
mit guten Worten, aber auch mit Taten. Es ist zwar sicher
ein langer Prozess, aber ich sehe schon jetzt die Auswirkungen dieser guten Taten.“
Seite 17
„
Erster Besuch nach 8 Jahren Haft
W., JVA Straubing
… in den ersten Jahren bekam ich noch von Freundinnen Besuch. Es zerriss mich jedes Mal, wenn
die Besuchszeit vorbei war. Dieses Auf und Ab der Gefühle hätte mich im Lauf der Zeit kaputt gemacht. Mit
der Zeit wurden die Besuche immer weniger, bis niemand mehr kam. Einige Jahre dachte ich, es sei ganz gut
so, dann kommt nicht jedes Mal der Trennungsschmerz
hoch, wenn die Besuchszeit vorbei ist.
So wurde diese Zeit hinter Mauern leichter zu ertragen – dachte ich zumindest. Aber es ist ein schlimmer
Trugschluss, denn ich bin innerlich langsam gestorben.
So lebte ich acht Jahre ohne Besuch und Kontakt zur
Außenwelt, bis ich merkte, dass ich etwas an meiner Situation ändern muss, sonst gehe ich in diesem stupiden
Knastalltag zugrunde und bin in diesem lieblosen Trott
verloren.
Gott sei Dank hatte ich das Glück und durfte vor zwei
Jahren die Mitarbeiter der Emmaus- und Intensivgruppe in der JVA Straubing kennenlernen und fand durch
die Gespräche und Gruppen, die hier angeboten werden,
auch zum christlichen Glauben.
Von dieser Zeit an hat mich das Gefühl verlassen, lebendig begraben zu sein. Ich bekam ein neues Leben!
An meiner Haftsituation hat sich nichts geändert, da
ich immer noch nicht weiß, wann ich entlassen werde.
Aber der Knasttrott hat sich vom negativen Denken in
ein positives tägliches Leben verändert. Ich habe mich
auch dem christlichen Glauben zugewandt und seitdem
gehe ich voll Hoffnung durch das Leben hier im Gefängnis.
Ich freue mich auf jeden Besuch, der mich für diese
Zeit am Leben außerhalb der Mauern teilhaben lässt. Der
menschliche Kontakt hat für mich eine lebenswichtige
Bedeutung bekommen; ohne ihn kann ich mir das Leben
hier nicht mehr vorstellen. Aus den Besuchen der lieben
Menschen hier schöpfe ich die Kraft, die schwere Zeit in
diesen dunklen Mauern zu überstehen…“
[Und an den ersten Besucher nach dieser langen Zeit
hatte W. geschrieben:] „…in meinen Gedanken ist nach
dem Besuch von dir alles drunter und drüber gegangen.
Ich bin heute noch überrascht, dass ich so schnell Vertrauen fassen und dir diese Dinge sagen konnte. Dass
es da einen Menschen gibt, der für mich gebetet hat, ist
schon ein seltsames Gefühl. Das bringt mich in meinem
Innersten ganz schön durcheinander. Einerseits freue
ich mich darüber, andererseits bin ich schon etwas erschrocken, dass mich das so berührt und mir nahe geht.
Es ist wahrscheinlich so, dass ich mich erst noch daran
gewöhnen muss, das es jemanden gibt, in dessen Gedanken ich vorkomme …“
Seite 18
„
Durch diese Menschen und mit Gottes Hilfe habe
ich wieder eine Zukunft
G., JVA Straubing:
… Als ich vor 16 Jahren in U-Haft kam, machte
ich mir wenig Gedanken über das, was kommen
könnte. Meine Familie stand hinter mir, ich hatte einen
guten Anwalt und genügend Geld für den Einkauf. Selbst
als ich zu 4 ½ Jahren und Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, machte ich mir immer noch keine großen Gedanken.
Dann aber verstarben einige Familienangehörige und
ich durfte nicht zur Beerdigung. Da ging der erste Ruck
durch mich. Ich sah auf mein bisheriges Leben zurück
und überlegte, was wohl von mir bleiben würde, wenn
ich mal abtreten muss. Die Erkenntnisse waren erschreckend. Ich begann, um die Verlegung in eine Therapie zu
kämpfen, schloss diese nach drei Jahren erfolgreich ab
und vertraute auf die mir vom Gericht dann zugesagte
Entlassung. Als stattdessen die Rückverlegung in die alte
Anstalt angeordnet wurde, brach für mich eine Welt zusammen. Aber ich gab nicht auf und konnte in dieser Zeit
die Gruppen in der JVA Straubing kennenlernen, schloss
mich ihnen nach langer Überlegung an.
Nun entschied ich mich für einen wirklichen Neuanfang, legte eine Lebensbeichte ab und begann, die Bibel kennenzulernen.
Heute kann ich sagen, dass ich wieder Freude am
Beten gefunden habe und auch die Vergebung Gottes
in meinem Alltag spüren kann. Nun zählt für mich nur
noch der Lebensweg, wie er in den Gruppen gelebt wird.
Durch diese Menschen und mit Gottes Hilfe habe ich wieder eine Zukunft …“
„
Ich fühle mich „glücklich“, auch wenn das
eigentlich paradox ist
… Seit 12 Jahren bin ich nun in Haft. Wegen Bankraub wurde ich zu 12 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Mittlerweile
habe ich mehr als 30 meiner 55 Lebensjahre im Gefängnis verbracht.
Durch die Erfahrungen, die ich in Kinderheimen unter
kirchlicher Leitung machen musste (Gewalt, Strafen, Missbrauch), hatte ich die Kirche aus meinem Leben verbannt.
Mit den sogenannten Christen wollte ich nichts mehr zu
tun haben. Diese schlimmen Erlebnisse haben mich für
die letzten 40 Jahre geprägt. Ich hatte keine Kirche mehr
betreten und Gott aus meinen Gedanken gelöscht. Mein
Leben war von Gewalt, Chaos und Lieblosigkeit geprägt.
Vor drei Jahren wurde ich schwer krank und ich musste
einige Wochen mit dem Gedanken leben, dass ich vielleicht
sterben werde. In dieser Not fiel mir dann auf einmal wieder Gott und das Gebet ein. Ich habe um Hilfe gebetet und
versprochen, sollte ich nicht sterben müssen, werde ich den
Rest meines Lebens von Grund auf ändern.
Damals stand ich alleine auf der Welt, eingesperrt und
als Schwerverbrecher abgestempelt. Wie sollte mir von
meiner Zelle aus die Wende im Leben gelingen? Durch
welche Führung auch immer (heute nenne ich es Gottes
Führung) durfte ich Anfang 2008 die Mitarbeiter in der
JVA Straubing kennenlernen. Dies war die Wende und
der Anfang in meinem Leben.
In den Gesprächen mit den ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen, die zu uns hinter die Mauern kommen, bin ich zum
Nachdenken gekommen. Und voll Staunen durfte ich erleben, wie sich mit den Worten der Bibel mein Leben vollkommen veränderte, von Tag zu Tag mehr. Es ist für mich
unglaublich: Was ich früher aus innerster Überzeugung
abgelehnt habe, gibt mir heute ein Gefühl der Geborgenheit und des Angenommen-Seins.
Immer öfter habe ich das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein, obwohl ich nie ein Zuhause hatte.
„Warum ich gerne in die
Gruppe komme.“
Gefangene fangen neu an
(Gruppen-Feedback aus der JVA Straubing)
„… Die Offenheit und weil wir mit den gleichen
Problemen kommen …“
„… Eine sympathische Sache und ich komme aus
der Isolation heraus …“
„… um Austausch und die Kraft zu finden, nach
vorne zu schauen …“
„… Ich kann eigene Ziele formulieren und daraus etwas machen …“
„… Ich gewinne Stärke und kann so meine Schwächen leichter zugeben …“
„… Ich kann meine Situation so leichter verarbeiten …“
„… weil es Spitze ist, sich in dieser Gruppe treffen zu können …“
„… ich vermisse plötzlich etwas, wenn die Gruppe ausfällt. Das habe ich in all den Haftjahren vorher nie erlebt …“
„… weil ich ruhiger und besonnener werde …“
„… weil ich heil und gesund aus dem Gefängnis
herauskommen will …“
„… ich bekomme Kraft für die kommende Zeit …“
Ich war mein ganzes Leben ein Einzelgänger. Es zuzulassen, dass die Worte ins Herz dringen, und die Gefühle, die dadurch ausgelöst werden, haben mein Leben
total auf den Kopf gestellt. Ich fühle mich trotz meiner
Haftsituation „glücklich“, auch wenn das eigentlich paradox ist – eingesperrt und trotzdem glücklich.
Da ich diese Verwandlung bei mir selbst erleben durfte,
reifte der Gedanke, mich in die Arbeit einzubringen. Bis vor
zwei Jahren gab es nur mich in meinem Leben, aber sich mit
seinen Mitmenschen auseinander zu setzen, ist ein schönes
Erleben und gibt den Tagen hier einen neuen Sinn.
Wir Gefangene bekommen immer wieder zu hören,
dass das, was hier durch die Gruppen gewachsen ist, und
die Ernsthaftigkeit, die wir in die Arbeit mit einbringen,
niemand für möglich gehalten hätte …“
„… die Atmosphäre tut mir gut …“
„… die Offenheit unter uns ist schön, jeder teilt
sich mit, so erkenne ich meine Verhaltensmuster. Ich wünsche mir, einen Teil der Gruppenverantwortung übernehmen zu können …“
„… Ich habe Respekt vor Gott bekommen – er
hat mein Gebet erhört …“
„… ich habe ein Ich bekommen …“
„… weil ich dann nicht alleine mit meinen Problemen bin und sehe, wie der Andere seine löst …“
Seite 19
Warum gehst du
in die Gruppenarbeit?
Hat sich durch die Gruppe etwas
verändert und wenn ja, was?
„… weil ich im Glauben wachsen, neues lernen und neue
Menschen kennenlernen möchte.“
„… Ich habe zunächst gelernt, nicht immer nur andere
Menschen zu kritisieren. Ich lernte auch, mich auf
meine eigenen Probleme zu konzentrieren und mein
Leben aufzuarbeiten. Insbesondere durch das ENDLICHLEBEN-Programm habe ich gelernt, über mich
selbst zu sprechen.
„… f ür mich ist die Gruppe wie eine Familie geworden und
ich fühle mich darin sehr wohl. Ich tausche mich gerne
mit anderen über den Glauben aus und versuche, aus
den Sichtweisen von anderen dazu zu lernen.“
„… ich suchte nach einem Angebot, wo ich mich verändern
und an mir arbeiten kann. Schulausbildung, Computerkurs und vieles andere wurde mir abgelehnt. Da erinnerte ich mich an die schöne und familiäre Atmosphäre, die ich draußen in einer Kirchengemeinde kennengelernt hatte, ein gelebtes Miteinander, wo jeder für
den anderen da war. Etwas ähnliches wollte ich wieder haben und ging deshalb in die Gruppe.
„… weil ich gläubig bin, gerne singe und mich gerne vom
Guten überzeugen lasse
„… wegen der interessanten Gespräche
„… Ich wollte Gruppenarbeit kennenlernen und versprach
mir dadurch positive Auswirkungen auf meine Haftzeit.
„… Ich suchte einen Ruhepol im JVA-Stress.
„… Seit einem Jahr besuche ich die Gruppe, weil ich Ziele
für die Zeit nach meiner Entlassung habe und die Gruppe mir dabei hilft, diese zu erreichen.
„… um über Gott und Jesus und den Glauben mehr zu erfahren
„… weil es mir Spaß macht und ich Freude daran habe, andere Menschen zu treffen und kennenzulernen
„… Ich möchte in der Gemeinschaft Christus näher kommen und lernen, meine Fehler zu erkennen. Ich möchte auch die unterschiedlichen Erfahrungen, die andere gemacht haben, kennenlernen und Abstand zu meinen alten Verhaltensmustern gewinnen.
„… Ich glaube, die Teilnahme an der Gruppe kann mir dabei helfen, einen neuen und besseren Weg für mein
späteres Leben in Freiheit zu finden.
„… damit ich meinen Probleme und mich selbst besser
verstehen kann
„… weil der Glaube nicht ausschließlich alleine gelebt
werden kann
Seite 20
„… Aber ja doch! Ich habe zurück zu Gott und meinem
Glauben gefunden und bin innerlich freier geworden. Ich hatte jahrelang eine große Last auf meinen
Schultern gespürt, aber dieser Druck ist nun fast verschwunden. Ich glaube daran, dass mir Jesus diese
Last abgenommen hat.
„… Ich spüre schon, dass sich etwas zu ändern beginnt,
aber es ist noch nicht so, wie ich es gerne möchte. Ich
finde, ich brauche auch noch Einzelgespräche.
„… Ja, ich konnte meine Aggressivität abbauen. Dazu hat gemeinschaftliches Gebet und auch das Singen beigetragen.
„… Ja, ich habe Hoffnung bekommen. Die Veranschaulichungen bei ALPHA waren gut.
„… Ja, ich bin für die Botschaft der Bibel offener geworden und damit für das Wort Gottes.
„… Ich bin durch die Teilnahme selbstsicherer geworden
und habe positiv zu denken gelernt. Ich empfinde es
wie einer Therapie für mein ganzes Leben. Die Mitglieder unserer Gruppe geben mir Vertrauen und Hoffnung für die Zukunft. Die Ehrenamtlichen begegnen
uns liebevoll und das schenkt Geborgenheit.
„… In meinem Leben hat sich dadurch sehr viel verändert,
ich lese sehr viel, auch in der Bibel, und bete jeden Tag,
kann Gott dankbar sein für das, was er gibt.
„… Durch die Gemeinschaft in der Gruppe habe ich gelernt,
wie ich anderen Menschen wieder vertrauen kann.
„… Vieles in mir hat sich zum Positiven verändert, so wurde z. B. mein Selbstvertrauen gestärkt, ähnlich wie
in einer herkömmlichen Familie. Ehrenamtliche und
Gruppenmitglieder verhelfen mir zu neuen Erkenntnissen und ich habe das Gefühl, dass auch ich anderen innerhalb und außerhalb der Gruppe etwas zu geben habe, z. B. Anteilnahme und Trost in schwierigen
Momenten. Bei ALPHA hat sich mir der Begriff Blindheit neu erschlossen. Obwohl ich das Schauspielern
im Alltag nicht mag, hat mir das ENDLICHLeben-Programm gezeigt, dass auch ich manchmal Masken vor
mir her trage.
„
Der soziale Umgang der Gefangenen
hat sich verbessert
J., JVA Straubing
Ich bin Gründungsmitglied der Gruppen in der
JVA Straubing im Jahr 2008 und seitdem dabei.
Ich gehöre auch der Intensiv-Gruppe an. Mein besonderer
Dank gilt Angelika von der SETFREE-Leitung und dem
ganzen Team der Ehrenamtlichen für das große soziale
Engagement und deren Nächstenliebe. Ich habe in den
sechs Jahren noch keinen Gruppentermin versäumt und
freue mich jedes Mal auf das Feedback, das ich in den
Gruppen bekomme.
Insgesamt hat sich der soziale Umgang der Gefangenen
untereinander und mit anderen Menschen verbessert.
Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich diese positive
Entwicklung auch in den nächsten Jahren fortsetzt …“
„
„
Sein Leben auch in einem HochsicherheitsGefängnis kreativ planen
Wolfgang, JVA Straubing
… an drei Tagen durften wir im Rahmen unserer
Gruppe am Seminar »Kreative Lebensplanung
(KLP)« teilnehmen. Wir wurden in die Lage versetzt,
unsere Fähigkeiten und Kompetenzen, aber auch unsere Schwächen deutlich zu erkennen und auch, wie wir
damit einzeln und in der Gruppe zum Wohl aller am besten zusammenarbeiten und leben können.
Ich nehme aus diesen herrlichen, spannenden und
lehrreichen Stunden für mich mit: Mich selbst besser verstehen zu lernen, bedeutet u.a., mich in allen Lebensbereichen besser einbringen zu können und zu einem produktiveren Teil der Gesellschaft zu werden. Des Weiteren
hilft mir das Verständnis über die idealen Umstände,
unter denen ich am besten leben könnte, meinen Alltag
(auch hier im Gefängnis!) positiver zu gestalten.
A., JVA Straubing
Eine entscheidende Hilfe für mich war das geistige
Wachstum, das sich positiv auf meine Persönlichkeit
auswirkte.
Vor acht Jahren wurde ich zu einer lebenslangen
Haftstrafe verurteilt und lernte in der JVA Straubing die Gruppe mit ihrer Gründung kennen. Neugierig
meldete ich mich an und fand Mitmenschen, die mich so
annehmen, wie ich bin.
Mit dieser Art Veränderung fühle ich mich besser gerüstet für die Zukunft. Das bessere Verständnis der eigenen Persönlichkeit hilft mir auch bei den täglichen Grundsatzentscheidungen zwischen Vertrauen und Misstrauen.
Sie gaben mir meine Würde zurück
Sie gaben mir meine angeschlagene Würde zurück
und auch den Glauben daran, dass ich als Mensch gebraucht werde.
Die Menschenwürde als urchristliches Anliegen dürfen
wir in den Gruppen spüren und lernen, sie weiterzugeben …“
Nach 10 Jahren Kinderheim, Erziehungsanstalt und
insgesamt mehr als 30 Jahren Gefängnis hatte ich ein tief
sitzendes und einsam machendes Misstrauen gegenüber
allen Menschen entwickelt. Erst als ich erfahren durfte,
wie Gott ist, konnte mein Herz sich öffnen und als ich
dann die Nächstenliebe und das Vertrauen spürte, das
mir durch die Ehrenamtlichen entgegengebracht wurde,
konnte dies meinen Misstrauens-Panzer sprengen. Nur
so wurde es mir möglich, an vielen schönen GruppenAbenden und auch diesem KLP-Seminar dabei zu sein.
Im Namen aller Teilnehmer möchte ich unseren Ehrenamtlichen, die sich immer wieder Zeit für uns nehmen, sagen: Herzlichen Dank für euer Wirken!“
Ehrenamtliche und
ein Entlassener aus
Straubing bei einem
Gottesdienst in
Neumarkt, um die
Arbeit von SET-FREE
vorzustellen
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Lernen vom alternativen APAC-Strafvollzug in Brasilien
Spricht man über das Gefängnissystem in Brasilien, dann geht es
häufig um katastrophale und menschenunwürdige Zustände in den
Haftanstalten. Es kommt infolge
dieser Bedingungen immer wieder
zu Revolten, Massenentweichungen,
Gewaltszenarien und Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden
banden, die Todesopfer fordern. Niemand glaubt an die
Besserung von Straftätern. Als Reaktion darauf werden
immer wieder Forderungen nach längeren und härteren
Strafen und auch nach der Todesstrafe laut.
Gegen die dort herrschende Mehrheitsmeinung hat
Dr. Mário Ottoboni zusammen mit Ehrenamtlichen 1972
die „Vereinigung zum Schutz und zur Unterstützung von
Strafgefangenen“ APAC (Associação de Proteção e Assistência aos Condenados) gegründet (vgl. Ottoboni 2008;
Merckle 1999, S. 75).
Im Glauben daran, dass jeder Mensch sich ändern kann,
soll der Gefangene befähigt werden, seinen Beitrag für
die Gemeinschaft zu erbringen. Mit dem Ansatz, sich zwar
gegen das kriminelle Handeln, aber für den Menschen
einzusetzen, arbeitet APAC mit einem Programm, das
»» die Bevölkerung so weit wie möglich in den
Prozess der Veränderung von Straftätern
einbezieht und das Verantwortung an
Inhaftierte überträgt, um auf diese Weise
soziales Verhalten im Alltag einzuüben,
»» christliche Werte vermittelt, die dazu
anhalten, ein solidarisches Verhalten
mit anderen Menschen zu leben und
»» Familienangehörige in die Arbeit mit
den Gefangenen einbezieht,
um nur einige Aspekte zu benennen. Die Integration in die Gesellschaft erfolgt stufenweise vom geschlossenen, halboffenen bis zum offenen Vollzug.
SETFREE hat es sich zum Ziel gesetzt, das APAC-Modell im deutschen Sprachraum bekannt zu machen.
Ausbreitung
1990 fand eine Lateinamerika-Konferenz in São José dos
Campos statt, an der 21 Länder teilnahmen, die Interesse
am APAC Programm zeigten. 1991 wurde das Programm
in den USA veröffentlicht und 1993 gab es eine Videoproduktion, die auch in asiatischen und europäischen Ländern Verbreitung fand (vgl. Ottoboni 2008, S. 147). Inzwischen gibt es in Brasilien 36 APAC-Strafvollzugseinrichtungen, die ohne staatliches Wachpersonal betrieben werden. Weitere 147 APACs wurden als juristische
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Person gegründet, die es sich zum
Ziel gesetzt haben, APAC umzusetzen. Weltweit gibt es Initiativen in
25 Ländern mit unterschiedlichem
Entwicklungsstand.
Im Jahr 2001 wurde APAC offiziell vom Justizministerium des Bundesstaates Minas Gerais (MG) unter
dem Namen „projeto novos rumos“ als alternative Strafvollzugsform anerkannt und als diese im Gesetz verankert (Tribunal de Justiça 2009). Inzwischen folgten drei
weitere brasilianische Bundesstaaten dem Vorbild von
MG mit einer Gesetzesänderung, die alternative Strafvollzugseinrichtungen zulässt.
Im Jahr 2012 verlieh die Weltbank einen Preis an
APAC als das innovativste Projekt (vgl. AVSI-USA). Im
April 2013 war APAC zu einer Zusammenkunft von EUROsoziAL, einem Förderprogramm der Europäischen Union (vgl. EUROsozial 2004) eingeladen und konnte dort
das Programm vorstellen. Aus Europa waren Vertreter
aus den Justizministerien in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland anwesend (vgl. EUROsoziAL 2013).
Eine Studie von Byron Johnson zur
Legalbewährung
Im Jahr 2002 erschien eine Studie von Johnson zur Legalbewährung. Er untersuchte das von Dr. Ottoboni gegründete APAC-Gefängnis in Humaitá. Die ermittelte Rückfallrate wurde mit 16% angegeben (vgl. Johnson 2002, S. 7f).
Die eigenen Statistiken von APAC berichten ebenfalls
von bedeutsamen Erfolgen und einer Rückfallquote, die
fast nie 10% übersteigen würde (vgl. Ottoboni 2008, S.
91). Die Stadtverwaltung von Itaúna gibt für das Jahr
2003 eine konstante Rückfallquote für das APACGefängnis von 7,8% an (vgl. Cidade da Itaúna 2003, S. 41). In einer Broschüre, die von der Regierung des Bundesstaates
Minas Gerais herausgegeben wurde, wird für APAC eine
Rückfallquote von etwa 10% angegeben (vgl. Tribunal
de Justiça 2009, S. 13).
Die meisten Quellen, die Angaben zur Rückfallrate in
APAC-Strafvollzugseinrichtungen machen, lassen nicht
erkennen, wie die Zahlen ermittelt wurden. Es bleibt
aber festzuhalten, dass ganz verschiedene, voneinander unabhängige Gremien von einem Erfolg bei APAC in
Bezug auf die Legalbewährung ausgehen. Dies ist umso
bemerkenswerter, da es sich um selbstverwaltete Gefängnisse handelt, in denen sehr viele Bereiche durch
Ehrenamtliche und Inhaftierte abgedeckt werden und
demzufolge die Kosten für die Unterbringung nach Angaben der Organisation nur ein Viertel der Kosten des
brasilianischen Normalvollzugs betragen.
Internationales Echo
zum APACProgramm
(Brasilien, aus dem Gästebuch des Humaitá-Gefängnisses in São José dos Campos)
„Ich kam hierher, um nach den Gründen des APAC-Erfolgs
zu forschen. Ich habe die Dinge gesehen und hinterfragt.
Anfangs war ich skeptisch, aber das ist nun vorbei. APAC
funktioniert auf ganz überraschende Art.“ (Kin Ronnie,
Schottland)
„Dies ist das beste Gefängnis, das ich in den 25 Jahren
meines Dienstes in Vollzugsanstalten je besucht habe.“
(Allan Curtís, Neuseeland)
„Ich weiß, worum es geht, weil ich Justizminister war. Ich
habe ganz Brasilien bereist und großartige Dinge gesehen; jedoch habe ich nie zuvor eine derartige Zuneigung
und Wertschätzung erlebt, wie sie im APAC-Werk entgegengebracht wird, was uns alle sehr bewegt hat.“ (Mauricio Correira, Ehemaliger Justizminister)
„Nachdem ich APAC besucht habe, bin ich davon überzeugt, dass es die Besserung von Strafgefangenen wirklich gibt.“ (Hermes Fisitam, Staatsanwalt)
„Die hier geleistete Arbeit stellt ein Hoffnungslicht dar,
weil sie ganz klar zeigt, dass sich Menschen bessern und
in das Leben in der Gesellschaft zurückkehren können.
Dies kann nicht formal und bürokratisch erreicht werden: Man muss diese Arbeit mit Liebe und Solidarität
tun.“ (Helio Bicudo, Abgeordneter)
„APAC ist ein Zufluchtsort für die Besserung von Gefangenen.“ (Luciano Mendes de Almeida, Erzbischof von
Mariana)
„Ich staune über das Aufsehen erregende Werk, das APAC
in dieser Stadt leistet.“ (Egidio Jorge Giacoia, Richter der
obersten Gerichtsbarkeit von Jacarei)
„Das Werk von APAC in São José dos Campos ist zweifellos das Ergebnis einer nicht nachlassenden Hingabe und
aufgeklärten Liebe, verbunden mit der Gewissheit, dass
nicht alles verloren ist, wenn die Hoffnung lebt. Hier wird
die Großartigkeit der christlichen Philosophie in die
Praxis umgesetzt; der Staat sollte dem Verbrechen ein
Ende bereiten, nicht den Kriminellen. Es wäre großartig, wenn alle Vollzugsanstalten diese erzieherische Erfahrung machen könnten.“ (Baptista Denis Netto, APIAbgeordneter)
„Ich bete zu Gott um viele APACs für ganz Brasilien. Liebe
und Großzügigkeit werden das Wunder bewirken, auch
die verhärtetsten Herzen zu bessern.“ (Marcos Noguera
Garces, Präsident des Justizgerichtshofs von São Paulo)
„Die Besserung eines Menschen beginnt mit der Heilung
seiner Würde. Die APAC von São José dos Campos ist
eine erfolgreiche Pionierin in diesem Bemühen, das die
gesamte Gesellschaft mit einbezieht. Von der menschlichen Wärme, die ich spürte, war ich besonders berührt.
Die Gesellschaft muss ebenfalls ihren Beitrag dadurch
leisten, dass sie die ehemaligen Häftlinge, die entlassen
werden, wieder willkommen heißt. Ich gratuliere allen
Beteiligten und besonders den ‚recuperandos‘.“ (Rubens
Approbato Machado, Justizstaatssekretär)
„Kein Mensch wird sich bessern, solange er es nicht will;
aber es ist eben von grundlegender Bedeutung, diesen
Wunsch zu ermutigen, und genau das ist es, was APAC
tut. Die Gesellschaft steht in der Verantwortung für alles, was hier getan wird, und auch dafür zu erkennen,
dass es zum Wohl der Allgemeinheit ist, wenn sich ein
Mensch bessert.“ (Louis Flavio Borges D`Urso, Präsident
des Rates für die Kriminal- und Vollzugspolizeien des
Bundesstaates São Paulo)
„Dieser Ort hat mich wirklich beeindruckt; er ist das beste
Beispiel für Nächstenliebe. Seien Sie versichert, dass der
Same, den Sie gesät haben, auf fruchtbaren Boden fallen
wird.“ (Nagashi Furukawa, Staatssekretär für die Angelegenheiten des Strafvollzuges im Bundesstaat São Paulo)
„Dies ist eine der bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens gewesen. Der Respekt, mit dem den Menschen hier
begegnet wird, hat mich berührt. Von diesem Beispiel
sollte die gesamte Gesellschaft lernen und es nachleben.“
(Antonio Hermirio Filho, Unternehmer)
Hier herrscht eine vorzügliche Abstimmung zwischen
den Insassen und der Gesellschaft; so sollte es in jedem
Gefängnis sein.“ (Rogerio Leao Zagallo, Staatsanwalt in
São José dos Campos)
„APAC ist tatsächlich das Werk von Menschen, die von
Gott inspiriert sind. Dieses Modell sollte die gesamte
Gesellschaft inspirieren und sollte in jeder Region angewendet werden, um den gestrauchelten Menschen wieder wertvoll zu machen, ihm zu helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen und in Richtung eines erneuerten
Lebens zu marschieren, in dem er aus sich selbst das Beste für seinen Nächsten machen kann.“ (Felipe Menezes,
Staatsanwalt von Macapa)
„Dieser Besuch hat mich überrascht und stellt für mich
eine große berufliche Ermutigung dar. Er stärkt unsere Überzeugung, dass der Weg, der im Kampf gegen die
Gewalt gegangen werden muss, auch das Vertrauen in
die Fähigkeit jedes Menschen einschließen muss, verantwortlich und solidarisch zu leben.“ (Caco Bracéelos,
Journalist)
„Ich freue mich sehr, APAC besucht und die Zeugnisse
vieler ‚recuperandos‘ und deren Familien gehört zu haben, in denen praktisch alle zum Ausdruck brachten, auf
welch menschliche und ehrenwerte Art man hier miteinander umgeht. In Anbetracht der ernsten Lage, in der
sich das Strafvollzugssystem derzeit befindet, ist es von
größter Bedeutung, von APAC zu lernen, da dies ein Beispiel ist, das vervielfacht werden sollte.“ (Eduardo Matarazzo Suplicy, Senator)
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Studienreise zu APAC“Gefängnissen“ im Mai 2013
Im Mai 2013 organisierte der SETFREE e.V. eine Studienreise zu den APAC-Strafvollzugseinrichtungen in
Brasilien. Die insgesamt zwölf Teilnehmer waren sowohl Ehrenamtliche, die in der Gefängnisarbeit engagiert sind, als auch Fachkräfte, die im Bereich Strafvollzug arbeiten. Programmpunkte waren die Besichtigung
von drei APACs sowie Vorträge über Entstehung, Ausbreitung und die Elemente des APACProgramms.
Auf dem Bild von links nach rechts, erste Reihe: Dr. Olaf
Heischel (Rechtsanwalt, Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirates -BVB-), Liane Serfas (Übersetzung), Dr. Valdeci Antônio Ferreira (Jurist, Leiter von FBAC Brasilien),
Dr. Paulo Carvalho (Richter in Itaúna, Brasilien), Renate
Bittner (Bewährungshelferin in Erlangen)
Zweite Reihe: Conny Schöllkopf (Erzieherin, Stellvertretende Vorsitzende SETFREE e.V.), Angelika Lang
(Kriminologin M.A., Dipl. Sozialpädagogin, Erste Vorsitzende SETFREE e.V.),
Dritte Reihe: Alexander Castell (Geschäftsführer
von ALPHA Deutschland), Jenny Gumbert (Erzieherin),
Roselinde Bühl (Heilpraktikerin, Ehrenamtliche in der
JVA Stadelheim, stv. Leitung im Projekt „Aktivierung“ in
der JVA Straubing),
Letzte Reihe: Dr. Jan Oelbermann (Rechtsanwalt und
Mitglied im Berliner Anstaltsbeirat der Berliner Jugendstrafanstalt), Prof. Dr. Helmut Jury (emeritierter Professor der Kriminologie, Psychologe und Gutachter aus Freiburg), Mathias Barthel (Vorstand von gemeinsam für
Nürnberg e.V.), Franka Gumbert (Fachkrankenschwester
für Forensik, Ehrenamtliche in der JVA Stadelheim), Ingrid Trischler (Dipl. Sozialpädagogin, Erste Vorsitzende
des Tabor e.V. und Leitung der Tabor-WG für Haftentlassene, Ehrenamtliche in der JVA Stadelheim)
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Literaturverzeichnis
AVSI USA: „AVSI Brazil professional training in prisons honored at
World Bank“.URL: http://www.avsi-usa.org/component/content/
article/36-news-and-stories/392-brazil-apac-method-of-professionaltraining-in-prisons-wins-most-promising-approach.html [18.08.2012].
Cidade de Itaúna (2003): APAC de Itaúna – Amor dignidade e vida
por detrás das grades. Edição 10/2003.
EUROsoziAL (2004): „Förderung des sozialen Zusammenhalts in
Lateinamerika“. URL:http://www.google.de/#bav=on.2,or.r_qf.&fp=13687f7138bd6f1b&q=EurosociAL+Zusammenarbeit+Europa+
Lateinamerika [09.08.2013].
EUROsoziAL (2013): „Método APAC é apresentando em evento
na Argentina”. URL: http://www.fbac.org.br/noticias/apacsinternacional [09.08.2013].
Johnson, B. (2002): „Assesing the Impact of Religious Programs and
Prison Industry on Recidivism”. An Exploratory Study. URL: http://
web.archive.org/web/20030408001536/http://www.txcorrections.
org/article.pdf [30.07.2013]. 107
Merckle, T. (1999): Mit Liebe und Disziplin zum Erfolg. Gefangene
verwalten in einem Modellprojekt in Brasilien ihre Haftanstalt selbst.
In: Zeitschrift für ökumenische Begegnungen und internationale
Zusammenarbeit (Hg.) (2000): Der Überblick 1, 75-77.
Ottoboni, M. (2008): Straftäter verändern – Eine Einführung in das
APAC-Programm. Norderstedt.
Tribunal de Justiça do Estado de Minas Gerais (2009): projeto novos
rumos na execução penal. Belo Horizonte/MG.
„
Soziales Engagement von Inhaftierten und Haftentlassenen
Mein Leben, ein einziger Albtraum (Kuno)
Ich bin jetzt 50 Jahre alt. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, denke ich mir oft: Das kann
nicht wahr sein – aber es ist bittere Wahrheit.
Weit über 20 Jahre schwerste Drogenabhängigkeit, insgesamt über 12 Jahre Gefängnis und an vielen Menschen schuldig geworden, weil sie elend zugrunde
gegangen sind – davon viele meiner besten Freunde.
Angefangen hat es schon in der Kindheit. Meine fünf
Geschwister waren alle „ganz normal“ und brav. Ich aber
habe als Kind schon immer rebelliert. Es ist einfach viel
in meiner Kindheit schief gelaufen, hab da schon gelogen,
gestohlen und nur Dummheiten gemacht. Dann ging es
den üblichen Weg: Keine Hausaufgaben gemacht, Schule geschwänzt, rauchen, saufen, dann mit 14/15 zu kiffen angefangen (Haschisch rauchen), Hasch verkauft,
eingebrochen.
Mit 17 dann die erste Verurteilung zu einem Jahr Haft
auf drei Jahre Bewährung. Ein Jahr später dann die nächste Verurteilung. Während der Haft ein zweites Verfahren wegen Drogenhandel im Gefängnis. Mit 19 Jahren
Verlegung in den Erwachsenenvollzug, da ich für den
Jugendvollzug nicht mehr tragbar war.
Nach 3,5 Jahren wurde ich entlassen. Schon nach sechs
Monaten draußen folgte die nächste Verurteilung, diesmal zu vier Jahren Haft!
Da hatte ich dann viel Zeit und war gezwungen, mich
mit mir selbst auseinanderzusetzen: Keinen Schulabschluss, keine Lehre, nichts. Ich war aber auch nicht bereit, etwas zu unternehmen. Ich habe mich gehasst und
konnte mich selbst nicht annehmen.
In dieser Zeit habe ich viel gelesen und mich so in
eine Traumwelt geflüchtet. Aber irgendwann beschäftigte mich doch die Sinnfrage: Woher und wohin? So begann ich philosophische und religiöse Bücher zu lesen.
Das hat mir aber auch nicht weitergeholfen. Das Menschenbild und die Ansprüche, die mir dort vor Augen gehalten wurden, konnte ich nicht erfüllen; also war auch
hier kein Ausweg.
Kurz vor Haftende habe ich ein Buch über Gott in
die Hände bekommen, das mich schwer erschüttert hat.
Ich lebte damals zusammen mit fünf anderen Gefangenen in einer Zelle. Ich machte eine Erfahrung, in der ich
Gottes Liebe so stark erlebte, dass ich die ganze Nacht
bis in den Morgen nur weinte.
Die Mitgefangenen in der Zelle und an meiner Arbeitsstelle fragten, was mit mir los sei. Aber weil auch ich nicht
wusste, wie ich das alles erklären sollte, sagte ich, dass
jemand gestorben sei - ich
wusste ja selbst nicht, was
gerade mit mir passierte.
Von diesem Zeitpunkt an
hat sich mein Leben verändert. Ich habe zu rauchen aufgehört, keine Drogen mehr
genommen und mich von allen schrägen Dingen gelöst.
1990 wurde ich entlassen. Ich ging zu meinen Eltern zurück, fand dann bald
eine eigene Wohnung und
hatte auch gleich eine gute
Arbeitsstelle. Ich konnte
aber immer noch nicht einordnen, was mit mir passiert war und wie ich das
nun umsetzen und weiter
leben sollte.
Kuno, langjährig
drogenabhängig,
jetzt ehrenamtlicher
Mitarbeiter der
Emmausgruppe in
der JVA Bernau
Vom Glauben hatte ich keine Ahnung und ich redete
auch nicht darüber. Da ich kaum „normale“ Leute kannte, traf ich wieder mit den alten Freunden zusammen.
Mal da mit hin, mal dort mit hin, dann regelmäßig mit
ihnen losziehen, was trinken – eine Dummheit nach der
anderen und dann irgendwann wieder zu kiffen angefangen. So war ich wieder in diesen bösen Kreislauf geraten. Eines Tages bat mich ein guter Freund: Kannst du
mir nicht „was besorgen“, bei mir geht zur Zeit nichts,
und du kennst doch noch Leute von früher.
In mir hat sich alles gesträubt, aber ich konnte einfach nicht »Nein« sagen. Und dann ging ein Albtraum los,
über den ich heute noch weine:
Ich habe bei meinen alten Freunden angerufen und
es haben sich sofort Türen geöffnet, die zu einer Katastrophe geführt haben. Ich habe es nicht mehr abstellen
können: Amphetamine, Heroin, Kokain …
So viele Freunde sind weggestorben, in der „Klapse“
gelandet, ins Gefängnis rein, raus, rein – so viele zerstörte Menschen.
Auch ich selbst bin oft dem Tod nahe gewesen, die
Ärzte hatten mich aufgegeben. In dieser Zeit musste ich
noch weitere vier Mal ins Gefängnis, war total kaputt und
konnte nicht mehr, habe mir oft gewünscht zu sterben.
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2003 war ich dann zur Entgiftung bereit, weil alles
zusammengebrochen war – ich war am Ende!
Und dort bekam ich einen super Zimmernachbarn
und eine ganz liebe Sozialarbeiterin und die beiden haben mich überredet, eine Therapie zu beantragen. Sofort bekam ich die Kostenübernahme und einen Therapieplatz. Nach Therapie und Außenorientierungsphase
folgte das Praktikum, das ich im Garten- und Landschaftsbau gemacht habe – und ich wurde dort fest angestellt!
Aber auch hier gab es Mitarbeiter, die gerne „was genommen“ haben – und nach einem Jahr war ich wieder
voll „drauf“.
Aber wieder hat Gott in mein Leben eingegriffen: Ich
war gerade in der Arbeit, und es war, als würde ein Schleier
vor meinen Augen weggezogen, und ich erkannte, wo ich
stand und dass ich aus dem Teufelskreis
und der ganzen Schuld, die mich erdrückte, nie wieder herauskommen würde.
Auf einmal war wieder die Erinnerung
an das in mir, was ich damals im Gefängnis erlebt hatte. Gleich nach der Arbeit bin
ich nach Hause, habe mich hingekniet und
gebetet: „Gott, wenn es dich gibt, Herr Jesus Christus, bitte hilf mir.“
Danach konnte ich seit langer Zeit wieder weinen und fühlte eine Geborgenheit
und eine Kraft durch mich hindurch strömen, dass ich nur noch danken und weinen konnte.
Ich kann Gott nur danken, weil er mir ein neues Leben mit Jesus Christus geschenkt hat.“
PSALM 30: ICH WILL DICH RÜHMEN,
HERR, DENN DU HAST MICH AUS DER
TIEFE GEZOGEN … HERR, MEIN GOTT, ICH
HABE ZU DIR GESCHRIEN UND DU HAST
MICH GEHEILT. HERR, DU HAST MICH
HERAUSGEHOLT AUS DEM REICH DES TODES,
AUS DER SCHAR DER TODGEWEIHTEN
MICH ZUM LEBEN GERUFEN.
Etwa acht Wochen später war ich drogenfrei, habe alle alten Beziehungen abgebrochen und alles was ich noch an Drogen hatte weggeworfen.
Ich habe gespürt, dass ich eine christliche Gemeinde
oder Gemeinschaft brauche und habe nach einiger Suche
auch eine gefunden.
Heute bin ich selbst ehrenamtlicher Mitarbeiter im Gefängnis. Seit kurzem bin ich auch in meiner Gemeinde
im Pfarrgemeinderat.
Ich arbeite noch immer in derselben Firma als Landschaftsgärtner und vor einigen Jahren wurde ich Vorarbeiter. Mit meinen Eltern und Geschwistern habe ich inzwischen ein sehr gutes Verhältnis. Alle, die mich kennen, sagen, dass meine Lebensveränderung ein unfassbares Wunder ist.
Gott hat mich die erste Zeit sehr getragen, aber
es war auch ein schwerer Kampf und das ist es immer noch!
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Wenn du nie gelernt hast, dich zu stellen, sondern
eigentlich immer davongelaufen bist, ist es nicht leicht
auszuhalten: Die ganzen Schulden und die Vergangenheit sind ein schweres Paket. Aber Gott hat mich von
der Drogenabhängigkeit geheilt, er hat die Leere in mir
gefüllt, sonst hätte ich es nie geschafft. Er hat mir auch
viele gute Menschen an die Seite gestellt, die mir eine
große Stütze waren und weiter sind.
Engagement hinter Gittern
Weihnachten –
Gefangene spenden
für bedürftige Kinder
über 800 Euro
„… Fünf Gefangene aus
einer Gruppe, die ich leite,
brachten eine beachtliche
Spende von 610 Euro zusammen, damit Kinder, die
an Weihnachten nicht viel
Sr. Gerlindis
bekommen, eine Freude haehrenamtliche Mitarbeiterin
ben. Es war eine sensible
u. a. in der JVA Straubing
Sache, die Gelder zu verteilen, da sich die Empfänger
auch nicht schämen sollten – aber schließlich ist es mir
doch gelungen. Ich habe sechs Kinder beschenken können.
So sprach ich z. B. mit der Oma eines Mädchens, das
ihr sehr glücklich gemacht habt, denn sie hat das bekommen, was sie sich am meisten gewünscht hat – Spiele, die
sie bisher nur in der Bibliothek benützen konnte. Jetzt
gehören sie ihr und sie nimmt sie überallhin mit, von X
nach Y, zur Oma und zu Freundinnen. Sie sollen alle mitspielen, weil sie ihnen dadurch etwas ganz Wichtiges zeigen kann, nämlich dass sie jetzt auch jemand ist, der etwas geben kann, nicht nur zuschauen muss. Das eigentliche Geschenk von euch sind also Kontakte für dieses
Kind, heilsame Beziehungen. Auch die Oma konnte vor
dem Schenken vor lauter Vorfreude die ganze Nacht nicht
schlafen. Das Mädchen hat euch als Dank einen kleinen
Brief geschrieben …“
„… Der Vater eines anderen beschenkten Kindes, selbst
HartzIVEmpfänger, konnte es erst gar nicht glauben und
sagte: Aber die brauchen das doch selber? Dann aber
konnte er es für sein Kind dankbar annehmen …“
„… Ein anderes Kind schaute mich am Weihnachtsvorabend nur überrascht und fassungslos wegen dieses
Gutscheins an und wusste nichts zu sagen. Aber als sie
wegging, schaute sie nochmals zurück, mit einem glücklichen Blick im Gesicht …“
„Handlanger der Unterwelt“
Ich bin einer von euch
Zum Auftakt der Gefängnisveranstaltung in der JVA Kassel
spielten „Klontik + Rademann“
Songs von Johnny Cash und ich
erlebte, wie Jan Eriksen seine
bewegende Lebensgeschichte erzählte. 1947 in Bergen/
Norwegen geboren, führte er
ein Leben wie in einem Action
movie! Als ehemaliger Zuhälter und Dealer kam er mit der bitteren Realität einer
Welt voll Gewalt, Mord, Vergewaltigung und Prostitution in Berührung.
„Ich bin einer von euch“, betonte Jan immer wieder.
Er erzählte von seiner Alkohol und Drogensucht, der er
zum Schluss völlig ausgeliefert war, und von brutalster
Gewalt im Milieu, von „Freunden“, die sterben, sich das
Leben nehmen, ermordet werden. Beim Russisch Roulette gab sich ein „Freund“ die Kugel; ein anderer wurde vor seinen Augen ermordet.
Irgendwann machte sein Körper die Exzesse nicht
mehr mit. Er suchte Hilfe beim BLAUEN KREUZ. Hier
erzählte ihm ein Mädchen von Gott. Davon war er genervt und doch zog ihn etwas an.
Nun hat er schon seit über 30 Jahren keinen Alkohol,
keine Drogen, keine Zigaretten mehr angefasst. Er berichtete, wie er sich auf eine Begegnung mit Gott einließ
und wie daraus die Kraft erwuchs, sein Leben zu verändern. Den Gefangenen sagte er immer wieder: „Das größte Geschenk ist für mich, wenn ihr selbst erlebt, dass es
funktioniert.“
Seine Lebensgeschichte hat Jan in einem Buch veröffentlicht: „Handlanger der Unterwelt“ (ISBN 3901994009)
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Auftaktveranstaltung zu Jugend-ALPHA-Kurs –
ein ehemaliger Drogendealer erzählt
(Andi, aus den Neumarkter Nachrichten vom 24.10.09)
Dichtes Gedränge herrscht im Jugendhaus des Kaplanshauses neben der Neumarkter Hofkirche. Die Auftaktveranstaltung der Workshop-Reihe „Jugend-ALPHA“ befasst sich mit dem Thema „Hat das Leben mehr zu bieten?“ Der Mann, um den sich alles dreht, heißt Andi und
war früher Drogendealer.
Andi ist jenseits der 30 und hat viel Zeit im Gefängnis
verbracht. Doch dieser Zeit im Knast ging ein nicht minder
schweres Leben voraus. Vom Vater regelmäßig geschlagen
und misshandelt, muss er u. a. mit ansehen, wie seine Mutter „krankenhausreif geprügelt“ wird, wie er es ausdrückt.
Mit 19 Jahren verpflichtete er sich freiwillig für die Armee.
Was er dort im Krieg sieht und erlebt, prägt ihn, traumatisiert ihn, sorgt noch heute dafür, dass er trotz jahrelanger
Psychotherapie von Albträumen geplagt wird.
Der drahtige Kampfsportler entdeckt das schnelle
Geld mit den harten Drogen, verkauft vorwiegend Kokain, konsumiert es auch selbst und genießt die verlockende
Welt von Kriminalität und Sorglosigkeit. Doch das Hochgefühl hält nicht lange an und bitter ist die Konsequenz, als
er schließlich gefasst wird und „in den Bau“ muss. Insgesamt sitzt er über sieben Jahre ich acht verschiedenen Gefängnissen und gilt als unverbesserlich. Den Alltag in der
Strafanstalt schildert Andi eindrucksvoll und gleichzeitig
abschreckend. Die Gewalt blieb sein ständiger Begleiter.
Angefangen, über sein Handeln und seinen Glauben
nachzudenken hat er erst, als ihm eine ehrenamtliche
Mitarbeiterin von SETFREE im Gefängnis begegnete.
„Sie war die erste Person, der ich mich öffnen konnte. Sie hat mein kaltes Herz berührt, mich zum Nachdenken gebracht. Die intensiven Gespräche bewirkten, dass ich nach langen Jahren der Gefühllosigkeit
wieder weinen konnte. Ich habe mich selbst wieder
wahrgenommen.“
Er fand eine Ansprechpartnerin, die ihn verstand, statt
zu verurteilen. Er las fortan in der Bibel, studiert und
hinterfragt sie und schöpft Kraft aus den Worten. Er
lernt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen und verhindert
mit seiner neu gewonnenen Überzeugung sogar eine
gefährliche Gefängnis-Schlägerei. „Ich bin kein Heiliger. Früher hätte ich den Typen einfach eiskalt umgehauen, denn hätte ich es nicht getan, wäre ich das Weichei im Knast gewesen. Aber ich habe jetzt ein Gewissen und den coolsten Freund an meiner Seite, den man
sich vorstellen kann,“ erklärt er.
Heute lebt Andi zusammen mit seiner Frau. Er geht
einer ehrlichen Arbeit nach und hat gute Pläne. Unter
anderem will er Kindern und Jugendlichen helfen, die
auf die schiefe Bahn zu geraten drohen oder als unverbesserlich gelten.
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Begegnungen mit
Vertretern der Kirche
Haftentlassene werden zu einem Kongress im
Vatikan eingeladen
Im Oktober 2011 hatte der päpstliche Rat für die
Förderung der Neuevangelisierung (von Papst Benedikt
2010 mit dem apostolischen Schreiben „ubicumque et
semper“ ins Leben gerufen) zu einem internationalen
Kongress auch eine Gruppe von Ehemaligen (Haftentlassenen) und Ehrenamtlichen von SETFREE, Emmaus
und ALPHA im Gefängnis aus Deutschland und Österreich in den Vatikan eingeladen.
Ehrenamtliche und
Für den Herbst 2012 hatte
Ehemalige von SET-FREE,
Papst Benedikt zu einer Bider Emmausbewegung,
schofssynode mit dem Thema
Alpha Deutschland und
„Die Neuevangelisierung und
Österreich in Rom
die Weitergabe des Glaubens“
eingeladen. Im Vorlauf dieser Bischofssynode wollte
Papst Benedikt bei der Begegnung in Rom die vielen
kirchlichen Gemeinschaften kennenlernen.
Nach Aussage der Teilnehmer war es ein sehr bemerkenswertes Treffen, geprägt von Lebendigkeit, Authentizität und Aufbruch, als würde ein frischer Wind
durch die alten Mauern Roms wehen.
SET FREE wollte hier vor allem einbringen und darauf aufmerksam machen, dass es auch in Knast und
Szene Menschen gibt, die eine geistliche Berufung haben. Sie sind die „Levis und Magdalenas“ von heute, die
ein ehrliches und authentisches Glaubenszeugnis zu
geben haben. Sie besitzen oft die Gabe, die Herzen der
Menschen zu erreichen.
Die teilnehmenden ehemaligen Gefangenen schilderten
diese Reise als unvergessliches Erlebnis. Es war nach
ihren Worten auch wichtig für sie, dass sie von der Kirche als Menschen anerkannt wurden, die nicht nur etwas empfangen, sondern auch etwas zu geben haben
und dass ihre spezielle Berufung ernst genommen wird.
„
Bischof Hanke empfängt ehemalige Straftäter
einer der ehemaligen Gefangenen schrieb dazu:
… am Vorabend eines SETFREE-Freundestreffens
hatte Angelika für mich und andere Haftentlassene ein Essen zusammen mit dem Bischof von Eichstätt
ermöglicht. Ich war sehr gespannt, was das wohl für ein
Mensch ist, der „Ex-Knackis” zum Essen einlädt.
Überrascht war ich, als wir von ihm
im Ordensgewand der Benediktiner empfangen wurden. Nach einer herzlichen
Begrüßung in einem Raum mit liebevoll
gedecktem Tisch erzählte er uns, dass
er vor seiner Bischofszeit Abt war und
deshalb dieses Gewand trage. Ihn interessierte unsere Lebensgeschichte und
wie es dazu gekommen war, dass wir in
den Sumpf der Kriminalität abgerutscht
waren. Dann interessierte ihn besonders,
was uns dazu bewegt und wie wir es geschafft hatten, den Kreislauf Alkohol-Drogen-Gewalt-Kriminalität zu durchbrechen und nun den Weg aus dem Glauben
Bischof Hanke
zu gehen. Es waren lange und intensive
Eichstätt
Gespräche und er hakte immer wieder
nach. Ich spürte sein großes Interesse
an jedem einzelnen von uns und wirkliche Betroffenheit.
Dann erzählte er uns auch seine Lebensgeschichte
mit vielen Höhen und Tiefen und ich weiß nun, dass auch
sein Weg nicht einfach war und ist. Das Treffen hat mir
gezeigt, dass Bischof Hanke jemand ist, der ein Herz für
die Menschen am Rand der Gesellschaft hat. So ließ er
es sich auch nicht nehmen, uns gegen Ende noch persönlich einen Espresso zuzubereiten. Zum Schluss beteten
wir noch gemeinsam und er gab uns den Segen mit auf
unseren Weg.
Für mich war der Abend sehr bewegend und eindrucksvoll und er gab mir Mut, Kraft und Zuversicht,
meinen Weg, den ich vor dreieinhalb Jahren eingeschlagen habe, weiterzugehen …“
„
Bischof Hanke ließ dazu folgenden Text in
seinem Hirtenwort zum ersten Adventssonntag
in allen Gottesdiensten der Diözese verlesen:
… vor nicht langer Zeit berichteten mir einige
Menschen von ihrem Lebensweg, in den Christus Licht brachte.
Eine Gruppe von ehemaligen Strafgefangenen und deren Helfern besuchte
mich zu einem geistlichen Austausch
im Bischofshaus.
Wiederholter Rauschgifthandel und sogar Totschlag waren die Delikte, die zur
Verurteilung einiger in dieser Gruppe
geführt hatten.
Sie berichteten mir, dass sie meist
schon als Jugendliche in dunkle Kreise
geraten waren. Eine Spirale krimineller Taten hatte sie immer tiefer nach unten geführt. Im Gefängnis hatten sie das
Glück, durch den regelmäßigen Kontakt
mit anderen tief gläubigen Menschen ihr
Leben hinterfragen zu können. Allmählich wuchs das
Verlangen nach einer tiefen Freundschaft mit Jesus und
nach dem Weg des Glaubens.
In den Gefängnissen, in denen sie einsaßen, hatten
sich durch überzeugende Helfer kleine Weggemeinschaften des Glaubens gebildet, in denen man betete,
das Wort Gottes teilte und sich auf die Feier der Liturgie vorbereitete.
Besonders berührte mich an diesem Abend der Begegnung das Zeugnis eines Mannes, der zu neun Jahren Haft verurteilt worden war und seit seiner Freilassung schon viele Jahre mit seiner Ehefrau gemeinsam
den Weg des Glaubens geht und sich in der Kirche engagiert. Er berichtete, wie befreiend er die Person Jesu
und den Glauben an ihn in einer solchen Kleingruppe im
Gefängnis erfahren hatte und wie wichtig die Freundschaft mit Jesus Christus, das Gespräch mit ihm sowie
die Mitfeier der Eucharistie auch heute noch für seinen
Weg in der Ehe ist.
Ohne die Begegnung mit Christus hätte er sich aus
seiner schlimmen Geschichte nicht lösen können. Die
Begegnung mit Christus wurde für ihn zum Licht, das
ihm erst den Weg zum anderen eröffnete, zur Erfahrung
von Erlösung …”
Seite 29
Opfer – Täter – Versöhnung
„
Brief an den verstorbenen Vater
(Anonym)
… Na, was denkst du, wie ich dich anreden soll,
Papa, vielleicht noch: „Lieber Papa?“
Kannst du dir vorstellen, warum mir das vergangen
ist? Ich habe keinen Vater, weil der, der es hätte sein sollen, mich missbraucht hat. Ich hätte dich gebraucht und
ich hab dich geliebt. Wenn es stimmt, was ich spüre, dann
hab ich mich nicht gewehrt, weil ich dir vertraut hab und
weil ich mich gar nicht getraut hätte, dich zurückzuweisen. Außerdem ist das, was du wolltest, sowieso schon
peinlich; und eine Zurückweisung hätte es noch peinlicher gemacht. Sie hätte ohne Worte gesagt: „Das, was
du von mir willst, ist nicht in Ordnung.“ Glaubst du, dass
ein Kind so stark ist, seinem Vater, den es liebt und den
es eigentlich braucht, zu sagen: „Dieses Peinliche, das du
vorhast, ist nicht in Ordnung“? Wahrscheinlich hab ich
als Kind das getan, was ich jetzt am meisten hasse, ich
habe mitgemacht, um es zuzudecken, um mir selbst und
dir zu sagen: „Es ist schon in Ordnung.“
Aber heute würde ich dich am liebsten packen und
es dir ins Gesicht schreien: „Es war nicht in Ordnung!“
Es ging dir um dich und du hast es in Kauf genommen,
dass meine kleine Seele gestorben ist. Es ging um dich
und keinen Funken um mich.
Ich will, dass du jetzt der Wahrheit ins Gesicht siehst.
Ich weiß, du hast das damals nicht getan. Du hast dir auch
selbst was vorgemacht. Aber ich will es dir jetzt sagen,
ich will dir diese Wahrheit sagen, die mich innerlich getötet hat. Ich konnte diese Wahrheit nicht wegmachen. Sie
verfolgt mich bis jetzt. Klar, ich hab es damals verdrängt.
Ich hätte gar nicht mehr leben können, wenn ich es nicht
getan hätte. Aber ich konnte nicht mehr Kind sein, ich
konnte nicht mehr spielen, weil du mir so eine schwere
Last auferlegt hast. Du hast es mir einfach genommen,
Kind zu sein, weil du nur dich gesehen hast, dein Alleinsein, deine Sehnsucht nach Geborgenheit. Ich hab den
größten Teil meiner Lebenskraft gebraucht, um dieses
Geschehen aus meinem Gedächtnis zu streichen und dafür zu sorgen, dass es mir nicht mehr bewusst wird. So
wurde ich schon als Kind depressiv. Ist dir das wenigstens mal aufgefallen? Wahrscheinlich hast du auch darüber hinweggesehen.
Ich kann mich erinnern, dass ich so wenig Antrieb
hatte, dass ich manchmal Stunden brauchte, bis ich mich
aufraffen konnte, mich nach der Schule umzuziehen, und
dass ich Stunden brauchte, bis ich mich aufraffen konnte,
Seite 30
meine Hausaufgaben zu machen. Diese Stunden saß ich
einfach da, wie gelähmt, ohne Antrieb und Kraft.
Aber ich hab mich immer wieder aufgerafft; denn
ich wollte ja trotz allem eine gute Tochter sein. Ich
hab alle Kraft, die ich hatte, aufgewendet, eure Erwartungen zu erfüllen, dass ihr mit mir zufrieden seid,
bis ich dann im Lauf der Zeit immer mehr merkte, wie
verlogen vieles ist, und ich gegen diese Heuchelei und
Verlogenheit rebellierte.
Ich glaube, das Schlimmste an allem war, dass nach
außen immer alles stimmte, deine saubere Weste. Immer darauf bedacht, anerkannt zu
werden. Dafür hast du vieles – vielleicht alles – gegeben. Du warst der
Gute und du bist es in den Augen
der Menschen noch heute. Und wir,
deine Kinder, die du innerlich so tief
verletzt hast, wir waren dann die
Schlechten, als wir anfingen, uns
aufzulehnen, Drogen zu nehmen.
Wir waren und sind auch heute
noch für die Menschen die Hure, die
Drogensüchtigen, die ihren guten
Eltern das Leben zur Hölle machten, die undankbar sind für all das
Gute, das ihnen getan wurde.
Ich hätte mir gewünscht, dass
du ein Mal, nur ein Mal ein Stück
Schuld eingestehst.
Ich hab mal darüber nachgedacht, warum ich nicht einfach
gestorben bin, auch wenn das unrealistisch ist. Und dann dachte
ich, ich würde auch heute alles
tun, damit ich nicht sterbe, obwohl ich oft eine unendliche Todessehnsucht habe, damit du dir
keinen „Mord“ vorzuwerfen hast
und an deiner Schuld vielleicht
zerbrochen wärst.
Wahrscheinlich ist das immer noch die abhängige
Liebe des kleinen Kindes, das danach bettelt, um seinetwillen geliebt zu werden. Ich sehne mich immer
noch nach deiner Liebe, aber nicht mehr nach einer
Liebe, die alles zudeckt und die die Schuld nicht beim
Namen nennt.
Wenn du noch leben würdest, würde ich mir wünschen – und dich vielleicht auch bitten –, dass du mir
sagst, was genau war, ohne zu beschönigen. Dann käme
ich vielleicht schneller an alles ran, was verdrängt ist
und nur langsam hochkommt.
Ich brauche die Wahrheit. Nur die Wahrheit wird
mich frei machen. Und auch dich wird nur die Wahrheit
frei machen.
Ich weiß nicht, ob du mich hörst, ob du mitkriegst,
was ich dir in diesem Brief geschrieben habe. Wenn ja,
dann bitte ich dich, dass die Wahrheit ans Licht kommt,
dass wir beide den Schmerz darüber aushalten. Ich bitte
dich, dass du mitkämpfst, dass es ans Licht kommt und
dass du nicht versuchst, es zu vertuschen.
Ich werde dich im Letzten als meinen Vater nicht
fallenlassen. Ich kann gar nicht, auch wenn ich am Anfang in meiner Aggression geschrieben habe, dass ich
keinen Vater habe. Und ich weiß, dass bei dir auch ehrliche Liebe mir gegenüber da war und ist, nicht nur missbrauchte Liebe.
Ich wünsche mir, dass du meine Aggression aushältst,
dass du nicht versuchst, zu vertuschen oder zu verharmlosen. Und ich will deine Schuld aushalten.
Ich wünsche mir, dass wir
in der Wahrheit einen Weg finden, dass du mir echt Vater sein
kannst und ich wieder deine
Tochter sein kann.
Deine Tochter …“
Seite 31
Aufeinander zu gehen – Versöhnung zwischen Täter und Opfer
„
Nach vielen Jahren Verdrängung antwortet er
der Mutter seines Opfers
aus dem Brief eines Lebenslänglichen an seine ehrenamtliche Betreuerin,
JVA Straubing
… Du hast wahrscheinlich schon Recht, dass ich
vieles über die Jahre einfach verdrängt habe.
Als das vor über 10 Jahren passiert war, stand ich selbst
unter Schock, zumal es so nie geplant war. Wenn du den
Brief meiner Schwiegermutter liest, kannst du dir sicher
vorstellen, dass ich diese Bilder nie vergessen werde.
Das sitzt einfach tief drin und seit ich nun diesen Brief
bekam, läuft nun alles immer wieder wie ein Film vor
meinen Augen ab.
Meine Antwort an sie habe ich erst hier den Pfarrer
lesen lassen, bevor ich ihn abschickte. Nach vier Anläufen und schlaflosen Nächten hatte ich ihn endlich fertig.
Ich hatte zwar letztes Jahr im ENDLICHLEBEN-Kurs im
Schritt 8 gelernt, Wiedergutmachung umzusetzen, aber
in dieser Situation wusste ich einfach nicht weiter.
Im Gebet spürte ich aber dann Jesus an meiner Seite und schon am nächsten Tag konnte ich mit einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin unserer Gruppe sprechen,
über meine Tat und über diesen Brief. Mir ging es dabei
so beschissen, das glaubst du gar nicht. Ich hatte nun
auch wieder diese Albträume. Sie hat dann aber noch
für mich gebetet und das half mir, aus diesem Tief wieder etwas rauszukommen.
Eine andere Ehrenamtliche hat mir geschrieben, dass
ich meiner Schwiegermutter allein schon dadurch helfen
würde, dass ich die Hand ergreife, die sie mir gereicht
hat. Da sie Kontakt zu mir haben wolle, wäre es bereits
ein Stück Wiedergutmachung, wenn ich darauf eingehe.
Also nahm ich das Angebot an, schrieb ihr einen langen
Brief, ohne dass ich mich für irgendetwas rechtfertigte,
und bleibe nun in Kontakt mit ihr.
Ich habe nicht „Entschuldigung“ geschrieben, weil das,
was damals passiert ist, mit nichts zu entschuldigen ist.
Ich schrieb aber, dass es mir wahnsinnig leid tut und
dass ich wirklich alles dafür geben würde, wenn ich ihr
nur dadurch ihre Tochter wieder zurückgeben könnte.
Sorry, wenn ich nun das Thema wechsle, weils mir
schon wieder die Tränen raus haut, wenn ich nur daran
denke, was ich dieser Frau angetan habe …“
Seite 32
„
Die Mutter will dem Herz des Mörders ihrer
Tochter Frieden geben
Brief an den o. g. Gefangenen der JVA Straubing
… Hallo und danke für deine Antwort. Weißt
du, ich hatte schon etwas Angst davor, was du
mir schreiben würdest, vielleicht sogar, dass ich dich in
Ruhe lassen soll. Es ist auch kein Problem, dass du nicht
gleich geschrieben hast, so etwas braucht Zeit. Und ich
selbst konnte ja auch nicht gleich zurückschreiben, weil
dein Brief natürlich wieder viel in mir aufgewühlt hat.
Du schreibst mir, dass du nicht weißt, ob du einem
Täter vergeben könntest, wenn er deine Tochter ermordet hätte. Weißt du, meine Entscheidung wird auch von
meinen Kindern sehr unterschiedlich bewertet. A. ist
– wie ich auch – mit den Schöpfungsgesetzen vertraut
und versteht mich, für sie ist mein Handeln nur eine logische Konsequenz.
B. hat aber selbst mehrere Kinder und sie kann nicht
verstehen, wie ich dir verzeihen kann. Aber immerhin respektiert sie meine Entscheidung. Und außer mit
meinem Partner und einem guten Freund habe ich auch
sonst mit niemandem darüber geredet. Auch wenn das,
was ich jetzt schreibe, hart klingt, aber es ist nunmal so,
dass wir (= die Gesellschaft) Menschen in Schubladen
stecken und sie nach dem Etikett, das auf der Schublade steht, be- und verurteilen. Und auf das Etikett eines
Mörders schreiben wir: gefühllos, gewissenlos, brutal,
hart usw. Dass so jemand auch Gefühle, Träume und Visionen hat, verdrängen wir geflissentlich, weil dieses Eingeständnis uns in die Pflicht nehmen würde, uns mit den
Gefühlen dieses Menschen auseinanderzusetzen – und
das bedeutet, Nähe zu schaffen, du verstehst.
Wir haben Angst davor, Nähe zu einem Menschen zu
schaffen, der so unvorstellbare Dinge tut, die wir nicht
fassen oder begreifen können.
Aber es ist auch so, dass jeder einzelne von uns die
Verantwortung dafür trägt, ob wir uns mit dem Argument „das machen alle so“ gedankenlos, und ich möchte fast sagen, gewissenlos der allgemeinen Meinung anschließen oder ob wir aufwachen und in uns hineinspüren, ob wir nicht tief in unserem Inneren unsere eigene
Meinung finden.
Ich habe mich entschlossen, aus der Anonymität
der Herde aufzutauchen und meine Angst vor Nähe zu
einem von der Gesellschaft abgestempelten Menschen
zu überwinden. Deshalb bin ich dir auch dankbar dafür,
dass du mich an deinen Gefühlen teilhaben lässt, dass
ich dich näher kennenlernen darf.
Auch ich habe eine sehr enge Beziehung zu Jesus,
wenn sie auch etwas anders aussieht als deine. Jesus ist
für mich ein großes Vorbild, der das Geheimnis der Liebe
kannte und deshalb auch fähig war, sogar Lahme, Blinde und Taubstumme zu heilen. Das Leben Jesu war auf
Gott – sprich auf die Liebe ausgerichtet (Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott
in ihm). Er hat sogar noch die Menschen geliebt, die ihm
Schmerzen und Pein zugefügt haben und ihnen verziehen:
„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Weißt du, was wir alle von Jesus lernen können? Er
wusste, dass wirkliche Heilung nur dann stattfinden
kann, wenn wir unser Zerwürfnis mit
Gott beenden. Deshalb spricht er immer wieder die Worte: „Deine Sünden
sind dir vergeben“ oder „gehe nun hin
und sündige nicht mehr!“
= heil = ganz, weil er nicht von Gott getrennt oder abgesondert war.
Wie oft steinigen wir verbal andere Menschen? Da gibt
es den Bettler oder den HartzIVEmpfänger, der nur zu
faul zum arbeiten ist, oder die Arbeitskollegin, die … etc.
Ich habe mich gefragt, warum wir das tun, und bin
zu dem Ergebnis gekommen, dass es aus dem gleichen
Grund geschieht, aus dem die Meute über die Ehebrecherin herfallen wollte. Diese Menschen wollten selbst besser dastehen als die Sünderin. Aber Jesu Aufforderung
holte sie sehr schnell in die Wirklichkeit zurück. Keiner
der Ankläger kann von sich behaupten, dass er ohne Sünde ist, sich nicht von Gott und der Liebe abgesondert hat.
Das Gleiche gilt unverändert bis heute: Wer von uns ohne
Fehl ist, der werfe den ersten Stein. Wenn wir uns diese
Sünde kommt von „absondern“ = absondern von Gott = absondern von
der Liebe. Ich möchte dir meine Sichtweise etwas näher erklären.
Du kennst bestimmt die Geschichte von der Ehebrecherin. Da ist eine
Frau, die hat gesündigt, die Ehe gebrochen. Die Menschen bringen sie zu Jesus und wollen sie steinigen. Jesus jedoch tut ihnen nicht den Gefallen, ein
Urteil zu fällen – wie ich meine, aus
zwei Gründen. Zum einen verurteilt
Jesus niemanden, weil er weiß, dass der „Sünder“ sich
von Gott abgesondert hat und er ihn nicht auch noch dafür bestrafen möchte; er möchte den Menschen helfen,
wieder zu Gott zu finden. Zum anderen macht er es den
Menschen nicht so einfach, er lässt sie vielmehr selbst
entscheiden: „Wer von euch ohne Fehl ist, der werfe den
ersten Stein“, sagt er. Einer nach dem anderen macht sich
von dannen, bis Jesus mit der Ehebrecherin alleine ist.
Er schaut sie an und fragt: „Haben sie dich nicht gesteinigt?“ - „Nein“, ist die Antwort. „Dann gehe hin und sündige hinfort nicht mehr“, gibt Jesus ihr mit auf den Weg.
Dieses Nicht-mehr-Sündigen bedeutet für mich mehr
als nur, nicht mehr die Ehe zu brechen; es geht tiefer und
meint, sich nicht mehr von Gott = von der Liebe abzusondern. Jesus lebte in der Liebe und war deshalb heilig
Frage immer wieder vor Auge halten, werden wir sehr
schnell aufhören, verbale Steine zu werfen!
Du siehst also, die Bibel, und vor allem das Neue Testament kann eine wahre Fundgrube für das eigene Leben sein, wenn man sie wach und mit offenem Geist liest.
Ich freue mich für dich und mit dir, dass du den Weg zu
Gott gefunden hast. Es gibt ein Sprichwort, das sagt:
„Manchmal muss der Mensch erst ganz unten sein, bevor
Gott etwas mit ihm anfangen kann“. Ich denke, da steckt
sehr viel Wahrheit drin.
Ich sende dir Kraft und gute Gedanken, mögest du in
deinem Herzen Frieden finden.
PS: Es ist o.k., wenn du noch nicht über meine Tochter schreiben kannst …“
Seite 33
Eine Mutter vergibt dem Mann, der ihre Tochter
getötet hat (Ursula Fink, Freiburg, heute
ehrenamtliche Mitarbeiterin in der JVA Freiburg)
„
[Anm. d. Red.: Gekürzter Text, Ursula war Studiogast bei der radio horeb-Sendung
„Knast- und Szenefunk“ am 25.01.10 und der Standpunkt-Sendung am 07.03.10 zum
Thema „Versöhnung zwischen Opfer und Täter“. Die entsprechenden CDs sind über
[email protected] zu beziehen.]
… In der Neujahrsnacht 2000 geschah dann das
Unfassbare. Steffi kam von der Silvesterfeier
in Freiburg nicht mehr nach Hause. Sie wurde in dieser
Nacht ermordet.
Für meine andere Tochter Nadine (sechs Jahre) und
mich brach damals unsere Welt zusammen. Der Schmerz
über den Tod von Steffi und besonders auch über die
Grausamkeit der Tat ließ uns vollkommen zusammenbrechen. Wir sahen keinen Sinn mehr in unserem Leben,
wussten nicht, wie wir den Alltag bewältigen sollten, da
wir zu dem Schmerz auch noch besonders stark durch
Albträume gequält wurden. Wir wagten gar nicht mehr,
schlafen zu gehen. Wir konnten keine Menschen um uns
herum ertragen. Kurzum: Wir gingen durch die Hölle.
Etwa zwei Jahre nach der Tat unternahm Nadine einen
Selbstmordversuch. Sie kam in die Kinder und Jugendpsychiatrie. Später empfand sie kurzfristige Erleichterung, wenn sie sich ritzte.
Es kam ein Punkt, an dem wir nicht mehr weiter
wussten. Wir gingen zu einer Freundin, die einmal Hilfe angeboten hatte. Sie sagte uns: „Eigentlich gibt es nur
noch einen, der euch in eurer Situation helfen kann und
das ist Gott.“ Am Abend dieses 24. Oktober 2002 betete sie mit uns.
Ich begann, vor dem Einschlafen in der Bibel zu lesen und danach konnte ich ohne Albträume schlafen und
fühlte mich am nächsten Morgen so fit, dass ich zur Arbeit gehen konnte. Ich dachte, dass das kein Zufall war.
So probierte ich es am nächsten Tag wieder, und es geschah wieder so. Von da an las ich regelmäßig in der Bibel, wollte Gott kennenlernen und konnte gar nicht genug von IHM hören, lesen und IHN erfahren. Depressionen verschwanden, Albträume wurden zuerst weniger,
dann hörten sie auf. Nadine schnitt sich nicht mehr. ER
heilte uns, langsam, Schritt für Schritt.
Es kam der Zeitpunkt, an dem ich diese Liebe nicht
mehr für mich behalten wollte. Ich wünschte mir, dass
alle Menschen, genauso wie ich, diese einzigartige Liebe erfahren sollten.
Zwei Jahre später erfuhr ich von einem Pastor, der
mit ehrenamtlichen Mitarbeitern ins Männergefängnis nach Freiburg ging. Es kam dazu, dass ich mitgehen
Seite 34
konnte und ich war sehr überrascht, wie freundlich ich
aufgenommen wurde und wie reich beschenkt ich das
Gefängnis wieder verlassen habe, mit großer Freude auf
die kommende Woche. Doch der eine Mann, den ich erwartet hatte, kam nicht. Dann erfuhr ich, dass er sehr
schwer krank war und wohl nicht mehr lange zu leben
hatte. Weihnachten 2008 schrieb ich ihm einen Brief,
weil ich das Gefühl hatte, dass nicht mehr viel Zeit ist.
Ich wusste immer, dass ich dem Mann, der Steffi getötet
hatte, begegnen würde.
Mitte Januar erhielt ich einen Anruf von einem Bekannten, der damals unser Betreuer vom Opfer-Hilfsverein WEISSER RING war. Es ging um eine Anfrage
vom Oberstaatsanwalt, der wissen wollte, ob ich mich
bereit erklären könnte, dass der Mörder meiner Tochter,
der Krebs im Endstadium hat, zum Sterben nach Hause
entlassen werden darf. Dem stimmte ich zu. Kaum hatte
ich aufgelegt, rief ich den Oberstaatsanwalt an und bat
ihn, mir die Adresse des Täters mitzuteilen. Er war sehr
überrascht und sagte, dass er sich das erst gut überlegen müsse. Später erfuhr ich, dass er nach dem Telefonat
einem anderen Staatsanwalt von meinem Anruf erzählt
hatte. Dieser Mann hatte zwei Wochen vorher in der Gemeinde meinen Lebensbericht gehört und mich kennengelernt. So konnte er den Oberstaatsanwalt beruhigen
und ihm sagen, dass ich es ehrlich meinte und keine Rachegedanken hätte. Der Oberstaatsanwalt rief mich wieder an und sagte, dass ich den Mann besuchen könnte.
Dann kam der Montag, der 09. Februar 2009. Ich hatte
mich zuvor mit der Frau des Täters und einer GefängnisSozialarbeiterin getroffen und so gingen wir ins Krankenhaus, wo bereits ein Gefängnisseelsorger bei dem
Mann war und ihn auf das Treffen vorbereitete.
Als ich in das Krankenzimmer kam, lag der Mann im
Bett, streckte mir seine Hand entgegen, die ich nahm
und festhielt, und er sagte mir: „Ich habe viel Mist gebaut in meinem Leben, es tut mir leid!“ Meine Antwort
war: „Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass ich Ihnen vergeben habe, und dass es noch jemanden gibt, der Ihnen
auch vergeben möchte, das ist Jesus Christus.“
Leider konnte ich nicht alles verstehen, was er mir
antwortete, da er unter starkem Einfluss von Medikamenten stand. Doch er bat mich, auf meine Frage hin, mit
ihm zu beten, bzw. für ihn, da er nicht wusste, wie er beten sollte. Ich sprach ein Gebet vor. Da liefen Tränen über
sein Gesicht. Dann stellten wir uns alle um das Bett herum,
hielten uns an den Händen und beteten das Vaterunser.
Kurze Zeit später verließ ich das Krankenzimmer, zutiefst berührt und dankbar für diese Begegnung und alles, was geschehen war.
Zwei Wochen später starb der Mann …“
Über die Herausgeber
2008 wurde SET-FREE als Netzwerk für Gefangene gegründet,
mit der Vision:
„Wir haben den Traum von einer Gesellschaft
der Barmherzigkeit, die den Menschen hinter
Gittern eine Chance zur Umkehr gibt und die es
möglich macht, dass aus Straftätern Täter der
Liebe werden.“
2011 hat sich aus dem Netzwerk der gemeinnützige SET-FREE e.V. für soziale
Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben gegründet.
Näheres über unsere Arbeit finden Sie unter www.set-free-network.de
Da wir die Gefängnisarbeit nur mit Hilfe von Spenden finanzieren können, bitten
wir um Zuwendungen gegen Spendenquittung an:
SET-FREE e.V.
Bank für Sozialwirtschaft AG
KTO: 980 9100
IBAN: DE19 7002 0500 0009 8091 00
BLZ: 700 205 00
BIC: BFSWDE33MUE
Der ALPHA-Glaubensgrundkurs ist inzwischen weltweit
und in allen Konfes­sionen zu finden. In England, seinem
Herkunftsland, wird er in mehr als zwei Dritteln aller Gefängnisse
durchgeführt und von der Regierung unterstützt, weil er sich
positiv auf die Resozialisierung von Gefangenen auswirkt.
Auch in Deutschland wird der Kurs in verschiedenen
Gefängnissen durch­geführt.
In 15 Veranstaltungen werden den Gefangenen die grundlegenden Themen des
christlichen Glaubens näher gebracht. Oft machen die Teil­neh­mer hinter Gittern
eine ganz persönliche Erfahrung mit Gott, die ihr Leben verändert.
Näheres über unsere Arbeit finden Sie unter www.alphakurs.de
Da wir die Gefängnisarbeit nur mit Hilfe von Spenden finanzieren können, bitten
wir um Zuwendungen gegen Spendenquittung an:
ALPHA Deutschland e.V.
Evangelische Kreditgenossenschaft eG
KTO: 700 0740
IBAN: DE78 5206 0410 0007 0007 40
BLZ: 520 604 10
BIC: GENODEF1EK1
Verwendungszweck: Gefängnisarbeit
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