Ökologische Genomik - Max-Planck

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Ökologische Genomik
VON GENEN ZU ÖKOSYSTEMEN
D
ie moderne Biologie deckt ein
ungemein breites Spektrum ab:
von grundlegenden Vorgängen
in den Zellen bis hin zum globalen Ökosystem »Erde«. Dabei
waren genetische und ökologische Forschungen bisher kaum verknüpft. Zwar
weiß man schon lange, dass sich Organismen an wechselnde Umweltbedingungen
anpassen, die genetischen Prozesse dahinter blieben aber oft rätselhaft. Ein neues,
multidisziplinäres Forschungsgebiet – die
ökologische Genomik – will diese Lücke
schließen und eine wichtige Frage der Biologie klären: die nach den genetischen
Grundlagen evolutionärer Anpassungen.
Herkömmliche genetische Analysen
sind technisch aufwändig. Deshalb beschränkten sich Forscher auf die Untersuchung ausgewählter Modellorganismen. So
eignen sich Fadenwürmer oder Taufliegen
auf Grund ihres kurzen Lebens besonders
gut für Laborexperimente. In ihrem künstlichen Umfeld stellen sie gewissermaßen
Abstraktionen natürlicher biologischer Systeme dar. Daraus lässt sich freilich nur begrenzt ableiten, wie frei lebende Populationen mit ihrer Umwelt interagieren1–3.
Zudem konzentrierte sich die traditionelle Genetik darauf, einzelne Erbfaktoren
zu untersuchen, die jeweils ein bestimmtes qualitatives Merkmal im Erscheinungsbild, dem Phänotyp, hervorrufen. Meist
beeinflusst aber eine Vielzahl von Genen
die Ausprägung von Merkmalen, die für Interaktionen mit der Umwelt entscheidend
sind. Im Phänotyp äußert sich dies in einer breiten Palette von Varianten mit fließenden Übergängen (Bild 1). Forscher sprechen hier von quantitativen Merkmalen.
Die bisherige Genomforschung auf
natürliche Populationen auszudehnen, eröffnet somit Chancen, die genetischen
Grundlagen von Anpassungen wie auch
»
Die ökologische Genomik vereint unterschiedliche biologische
Disziplinen und offenbart die Mechanismen der Biodiversität
Wechselwirkungen zwischen Organismen
und ihrer Umwelt zu entschlüsseln. Für die
genetische Untersuchung quantitativer
Merkmale in einer Population gibt es verschiedene Verfahren – die »Quantitative
Trait Locus«-Analyse (QTL) etwa oder
die »genomweiten Assoziationsstudien«
(GWAS). Bei Letzteren vergleichen Forscher phänotypische Daten einer natürlichen Population mit einer Vielzahl so genannter Sequenzmarker im Genom – und
das bei tausenden Individuen4. Über statistische Analysen ermitteln sie dann jene
Regionen der DNA, die mit der Ausprägung des Merkmals korrelieren.
NEUE TECHNOLOGIEN
Ebenso kann man heute gezielt nach Genen für jüngst entstandene Anpassungen
fahnden. Dazu müssen sich Biologen nicht
einmal vorab auf ein bestimmtes Merkmal
festlegen, denn jede natürliche Auslese
hinterlässt Spuren im Genom. Zum Einsatz
kommt hier etwa die systematische Suche
nach evolutionären Signaturen (wie selective sweeps), bei der man Muster der DNAVariation in natürlichen Populationen
analysiert5. Ist eine solche Signatur einmal
identifiziert, kann man nach einem damit
assoziierten Merkmal suchen. Die Untersuchung paralleler Adaptation ermöglicht
dann die Prüfung der universellen Gültigkeit der gewonnenen Ergebnisse.
Durch Kombination dieser Ansätze gelang es bereits, spezifische Gene etwa für
die Panzerplatten von Stichlingen oder die
Blütezeiten bestimmter Pflanzen zu finden6,7. Fortschritte bei der Entzifferung
und Analyse von DNA-Sequenzen – etwa
S
elbst bei Modellorganismen dauerte die Isolierung von Genen,
die von nur einem mutanten Phänotyp bestimmt sind, bisher
Monate oder sogar Jahre. Heute können Forscher am MaxPlanck-Institut für Entwicklungsbiologie mutante Gene mit Hilfe
26
Forschungsperspektiven der Max-Planck-Gesellschaft | 2010+
durch Nachweis von Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) mit DNA-Chips – erlauben immer umfassendere Durchmusterungen. Dadurch lassen sich vollständige
Gensortimente für adaptive Merkmale
auch bei Arten ermitteln, die nicht zu den
Modellorganismen gehören. Mit der kommenden »dritten Generation« von Sequenzierverfahren werden komplette Populations- und Ökosystemanalysen in bisher
ungeahnter Größenordnung möglich8.
Die ökologische Genomik profitiert
zudem von rasanten Verbesserungen bei
Bildgebung und Fernerkundung: Bis vor
Kurzem erfassten satelliten-, luft- oder bodengestützte Beobachtungen nur allgemeine Trends in Ökosystemen. Da die entsprechenden Geräte wie Digitalkameras immer
leistungsfähiger werden und sich drahtlos
in Netzwerktechnik integrieren lassen,
können Forscher die Dynamik von Ökosystemen weltweit immer detaillierter aufschlüsseln. Dies offenbart zum Beispiel
räumliche und zeitliche Verläufe der Interaktionen zwischen Organismen und ihrer
natürlichen Umwelt.
Welche Fortschritte lässt die ökologische Genomik für die nähere Zukunft erwarten? In zwei Jahren werden Forscher
die Genome tausender Vertreter einer sie
interessierenden Spezies sequenzieren und
vergleichen können, um so die natürlichen Erbgutvarianten und Signaturen der
Anpassung zu entschlüsseln – und zwar
bei frei lebenden Populationen, die genetischen Analysen bisher kaum zugänglich waren. Möglich wird auch, die Genome ganzer Mikrobengemeinschaften aus
kleinsten Umweltproben effizient zu entziffern. Das gibt Aufschluss über Ar-
von Sequenzierungstechniken innerhalb von Tagen bestimmen. Die
Anwendung von Kartierungstechniken auf wild lebende Arten wird die
rasche Identifikation von Genen mit großen phänotypischen Effekten
möglich machen (Schneeberger, K. et al., Nature Methods 6, 550 – 551, 2009).
BIOLOGIE UND MEDIZIN
Die ökologische Genomik sucht Antworten auf die Frage, welche Spuren
Umwelteinflüsse im Erbgut von Organismen hinterlassen.
Technologische Fortschritte erlauben heute erstmals, Ergebnisse
umfangreicher Erbgutanalysen mit den Merkmalen, Funktionen und
Wechselbeziehungen von Lebewesen in ihrem Ökosystem zu verknüpfen.
In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird dieser junge Forschungszweig
helfen, die Grundlagen der ökologischen Anpassung und damit der Evolution
biologischer Vielfalt besser zu verstehen.
Bild 1 | Variationen der wild wachsenden Blütenpflanze
Arabidopsis thaliana
tenzusammensetzung, Genbestand und
Stoffwechselwege. Die nächste große Herausforderung besteht darin, die komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Genomen zu verstehen.
Die Individuen dieser Art zeigen eine große Spannbreite in Morphologie und
Größenwachstum – auch wenn sie unter identischen Bedingungen im
Gewächshaus gezogen werden. Typischerweise zeugen solche Merkmale von
einer großen Variabilität der ein Merkmal bestimmenden multiplen Gene.
Die natürliche Selektion und jene unter
Laborbedingungen unterscheiden sich
fundamental: Die Populationsgröße ist bei
Experimenten zwangsläufig begrenzt. Vorteilhafte Genvarianten lassen sich hierbei
nur entdecken, wenn sie dem Individuum
einen Selektionsvorteil in der Größenordnung von rund zehn Prozent verschaffen.
In der Natur dagegen können sich problemlos auch Varianten durchsetzen, die
nur ein hundertstel Prozent an Verbesserung bringen (Bild 2). Die ökologische
Genomik erarbeitet deshalb auch neue
experimentelle Konzepte. Je mehr und je
differenziertere Daten dabei zusammenkommen, desto leistungsfähiger müssen
auch die Verfahren zu ihrer Auswertung
sein. Hier sind von Bioinformatikern völlig neue Lösungen gefragt9.
In den kommenden fünf bis zehn Jahren werden Genetik und Ökologie immer
mehr miteinander verschmelzen. Erst
wenn wir die Grundlagen der Anpassung
und Interaktion von Lebensgemeinschaften kennen, lässt sich umfassend begreifen, wie Ökosysteme funktionieren, was sie
leisten und unter welchen Bedingungen sie
stabil bleiben. Statt Veränderungen wie bislang fast nur zu beschreiben, kann die Wissenschaft diese dann mit einiger Sicherheit
vorhersagen, etwa im Hinblick auf mögliche Folgen des globalen Klimawandels.
Die ökologische Genomik wird uns tiefere Einblicke in die enorme biologische
Vielfalt auf unserem Planeten gewähren.
Der technologische Fortschritt gibt uns die
erforderlichen Werkzeuge an die Hand, um
besser zu verstehen, warum Organismen so
sind, wie sie sind, und auf welche Weise die
natürliche Umwelt ihre Gene geformt hat.
Die Herausforderung besteht darin, herauszufinden, wie beides zusammenhängt.
➟ Bibliographie siehe Seiten 38 und 39
Bild 2 | Zusammenhang zwischen der natürlichen Selektionskraft
(Selektionskoeffizient) und der genetischen Funktion
Der minimale Selektionskoeffizient, der eine genetische Funktion aufrechterhalten
kann, ist 1/2Ne. Dabei ist Ne die effektive Populationsgröße. Um solchen Funktionen
auf die Spur zu kommen, bedarf es komplexer Experimente in Größenordnungen bis
in die Populationsskala.
genetische
Standardexperimente
1
komplexe
Experimente
SELEKTIONSKOEFFIZIENT
Bilder: Janne Lempe und Detlef Weigel, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie
NEUE FORSCHUNGSGEBIETE
Grundfunktion
Experimente auf
Populationsebene
ökologische Funktion
1
2Ne
2010+ | Forschungsperspektiven der Max-Planck-Gesellschaft
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