Sigurður Líndal Suhrkamp Eine kleine Geschichte Islands Inhaltsverzeichnis Entdeckung und Besiedlung 9 Begrndung eines islndischen Staatswesens 20 Die politische Struktur des islndischen Freistaates 25 Heidnische Traditionen und die Anfnge des Christentums 42 Einzelne Bereiche der Gesetzgebung 51 Innere Kmpfe 55 Die Etablierung staatlicher Gewalt in Island 71 Neue Regierungsinstitutionen 76 Das Alingi 81 Kompetenzen des Kçnigs und der kçniglichen Regierung 85 Vernderte Regierungsformen und neue Gesetze 87 Staat und Kirche – Umbrche und Kmpfe 89 Rechtsstellung des Kçnigs und der Bischofskirche 98 Der Kçnig und Island 101 Beziehungen zu anderen Staaten im 14. Jahrhundert 111 Die weltliche Macht in Island im 15. Jahrhundert 115 Kirchenpolitik ab der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zur Reformation 125 Die Position Islands im internationalen Gefge 140 Grçnland und die neue Welt 150 Wirtschaft 152 Die Stnde 160 Alltagsleben 165 Geistige Kultur 168 Kçnigsmacht und Kirche gegen Ende des 15. Jahrhunderts 176 Die Reformation in Island 179 Neuformation der Kirche 188 Weltliche Regierung 193 Allgemeine Lebensbedingungen 202 Einfhrung der absoluten Monarchie 210 Wirtschaftliche Situation im 18. Jahrhundert 220 Die wirtschaftliche Wende 225 Die Kirche im 18. Jahrhundert 232 Klimavernderungen und Vulkanausbrche 234 Beginn des Wiederaufbaus 238 Das Ende des Alingi 243 Island und Großbritannien 246 Entstehung und Entwicklung des Nationalstaates 253 Literatur 265 Schulbetrieb und Bildung 272 Nach der Nationalversammlung 276 Die Gouverneursepoche 1872-1904 280 Die Union zwischen Island und Dnemark 286 Staatliche Souvernitt Islands 1918 296 Umwlzungen in den Erwerbszweigen 304 Strukturelle Vernderungen in der Gesellschaft 313 Der Zweite Weltkrieg 323 Die Grndung der Republik 1944 327 Außenpolitik 329 Restriktionspolitik und staatliche Interventionen 337 Bildung und Kultur 344 Sozialpolitik und Frauenrechte 354 Literaturverzeichnis 360 Heidnische Traditionen und die Anfnge des Christentums Heidentum Es wird davon ausgegangen, dass die meisten Landnehmer in Island Heiden waren. Allerdings sind die Quellen hierber sehr jung und daher nicht immer verlsslich. Quellen, denen man am ehesten trauen kann, stellen die Helden- und Gçtterlieder der sogenannten lteren Edda bzw. der Lieder-Edda dar. Auf der Grundlage dieser Lieder hat Snorri Sturluson im 13. Jh. seine nach ihm benannte Edda geschrieben, die Snorra-Edda bzw. Prosa-Edda. Er verfasste sie als Lehrwerk zum Verstndnis der alten Dichtung, heutzutage stellt sie jedoch die Hauptquelle ber die nordische Mythologie dar. Hier muss allerdings eingeschrnkt werden, dass die Schrift gut 200 Jahre nach der Annahme des Christentums entstand und Snorri Sturluson von der christlichen Lehre und Lebensauffassung geprgt war. Dasselbe gilt fr andere Werke aus der zweiten Hlfte des 13. Jh., wie z. B. das Landnahmebuch und die meisten Islndersagas. Zwar war Skandinavien zu Beginn der Wikingerzeit vollstndig heidnisch, doch sind die Wikinger weit herumgekommen und haben sich u. a. unter christlichen Vçlkern auf dem Kontinent und in Großbritannien bewegt. Es wird ihnen kaum entgangen sein, dass die mchtigen Kçnige dieser Lnder Christen waren. Dies drfte, neben der Tatsache, dass sie sich von ihrer Heimat gelçst hatten, in der das Land von heiligen Mchten, Opferpltzen und Schutzgeistern besetzt war, Einfluss auf ihre Weltsicht gehabt haben. Außerdem waren einige bereits Christen oder durch sogenannte Primsigning in das Katechumenat integriert, d. h., sie waren zwar nicht getauft, hatten aber durch Bezeichnung mit dem Kreuz Zugang zur christlichen Gemeinschaft erhalten. Der 42 Glaube hatte so bereits unterschiedliche Formen angenommen, weshalb es wohl richtiger ist, von einer Glaubensmischung zu sprechen als von einer ganzheitlichen Religion. Die meisten Landnehmer kamen aus diesem Umfeld, ihre Glaubensvorstellungen unterlagen damit bereits hnlichen Lockerungen wie ihre Rechtsvorstellungen, ohne dass jedoch die Grundlagen vollstndig in Frage gestellt wurden. Der heidnische Glaube war daher nicht mehr so fest verankert wie bei ihren Verwandten in Skandinavien, er war aber keineswegs verschwunden. Im Grunde setzte sich das Heidentum aus zwei Aspekten zusammen: dem Glauben an Schutzgeister (vættir) und dem an die Gçtter (go). Schutzgeister waren bernatrliche Wesen, die in Gestalt von Menschen oder Tieren auftreten konnten und die in Wasserfllen, Felsen und Hainen oder anderen außergewçhnlichen Naturerscheinungen lebten. Gçtter stellte man sich in Menschengestalt vor, es gab eine große Anzahl von ihnen und jeder hatte spezifische Eigenschaften und Funktionen. In Island glaubten die Menschen an Thor (r), den Gott des Donners, der Fruchtbarkeit, des Regens und des Windes. Er wurde vor allem von Bauern verehrt. Belege hierfr sind Eigennamen, Flurbezeichnungen und schriftliche Quellen, die an Thor erinnern. An zweiter Stelle stand Freyr, der mit Schweinen und Pferden in Verbindung gebracht wurde, und schließlich Njçrd (Njçrur), der Gott der Seefahrer und der Schifffahrt. Odin (inn) hingegen, der Gott der Dichtung und des Krieges, der nach der Snorra-Edda der hçchste der Gçtter gewesen sein soll, wurde in Island, soweit man weiß, nicht verehrt. Der heidnische Glaube war individuell geprgt, er war kein Glaubenssystem, das durch einen Priesterstand gepflegt und verwaltet werden musste. Der Glaube drckte sich in ußeren Handlungen aus, nicht zuletzt durch die Teilnahme an heiligen Ritualen. In Skandinavien wurden solche Hand43 lungen als Opfer (blt) bezeichnet, die entweder in der freien Natur oder in großen Langhusern, die sonst andere Funktionen hatten, ausgefhrt wurden. Im Zusammenhang mit diesen Handlungen wurden Opferfeiern abgehalten, bei denen mnnliche Tiere, vor allem Stiere, geopfert wurden und die Festgste anschließend das Fleisch verzehrten. Selbstverstndlich konnten kaum andere als Huptlinge, die ber große Huser verfgten, solche Opfer ausrichten, und hierbei drngt sich der Gedanke an die Inhaber von Godentmern auf. Wie bereits erwhnt, war das Heidentum schon auf dem Rckzug, als Island besiedelt wurde, und aller Wahrscheinlichkeit nach ist es in Island nie so verbreitet und verwurzelt gewesen, wie in manchen Quellen behauptet wird. Hierfr spricht auch, dass das Christentum in Island im Unterschied zu den skandinavischen Lndern ohne nennenswerte Auseinandersetzungen eingefhrt wurde. Christlicher Einfluss Wie oben bereits beschrieben, ließen sich christliche Einflsse in Island schon whrend der Landnahmezeit feststellen. Sie kamen vor allem aus Irland und von den schottischen Inseln, ohne dass eine eigentliche Mission stattgefunden htte. Letztere setzte hingegen ab etwa 980 ein. Das Zentrum dieser Mission lag in Hamburg, wo um die Mitte des 9. Jh. ein Erzbistum gegrndet worden war, von dem aus die nordischen Lnder christianisiert werden sollten. Als Folge dieser Anstrengungen wurden die Beziehungen der nordischen Lnder zum europischen Festland und insbesondere zum deutschen Kulturraum enger, whrend sich die Verbindungen zu den westlichen Kolonien lockerten. Anfangs hatte die Mission wenig Erfolg, doch unter Kçnig Olaf Tryggvason, der das Christentum in Norwegen mit dem Schwert durchgesetzt hatte,wurden Missionare nach Island geschickt. 44 Die Islnder hingegen widersetzten sich der Botschaft der Missionare und wollten wenig mit ihrer Lehre zu tun haben. Es gibt gleichwohl keine Quellen darber, dass Islnder die Missionare angegriffen oder ihnen gegenber gewaltttig geworden wren. Auf der anderen Seite kam es aber vor, dass die Missionare Zerstçrungen anrichteten und sogar an Totschlgen beteiligt waren. Mçglicherweise entsprang der islndische Widerstand eher dem Misstrauen gegenber der Kçnigsmacht als einem Widerwillen gegen das Christentum an sich. Der Kçnig, so glaubte man, strebte hier Macht und Einfluss an und trat unter der Maske des weißen Christus auf. Die Quellen berichten auch davon, dass der Kçnig Drohungen aussprach und Islnder, die sich in Norwegen aufhielten, als Geiseln nahm. Zwei islndische Huptlinge versuchten daraufhin, den Zorn des Kçnigs zu besnftigen, indem sie ihm Hilfe bei der Christianisierung Islands zusagten. Die Annahme des Christentums Die wichtigste Quelle ber die Annahme des Christentums ist das Buch der Islnder von Ari dem Gelehrten, auch wenn sein Bericht nicht ganz eindeutig ist. Zwei Huptlinge, die Kçnig Olaf Tryggvason ihre Untersttzung zugesichert hatten, ritten im Sommer des Jahres 1000 zum Alingi. Als sie dort ankamen, wre es fast zu einer Schlacht gekommen, doch die Aufregung legte sich und sie trugen ihr Anliegen am Gesetzesberg vor. Es wurde wohlwollend aufgenommen, dennoch begannen die Menschen, sich voneinander und von den Gesetzen loszusagen, die Heiden von den Christen und die Christen von den Heiden. Die Gesellschaft drohte sich zu spalten. Hier kommen die Rechtsvorstellungen der germanischen Vçlker in Bezug auf Beschlussfassungen deutlich zum Vorschein: Beschlsse sind einstimmig zu fassen, schließlich 45 ist niemand an Entscheidungen gebunden, denen er nicht selbst zugestimmt hat. Auf der Thingversammlung trafen zwei große Parteien unter der Fhrung mchtiger Huptlinge aufeinander, und keine der beiden konnte ihren Willen durchsetzen. In einer solchen Situation gibt es nur einen Weg, Auflçsung und Krieg zu vermeiden, und der fhrt ber Vermittlung und Kompromiss. Der Anfhrer der Christen traf so den Anfhrer der Heiden, um eine Lçsung zu finden. Anschließend berdachte er die Sache einen Tag und eine Nacht lang und verkndete schließlich seinen Spruch, dass alle Menschen Christen sein, die Heiden aber bestimmte Rechte behalten sollten. Bemerkenswert ist, dass er in seinem Urteilsspruch das Christentum nicht mit einem Wort erwhnte, sondern einzig von der Bewahrung des Friedens und der Einheit des Volkes sprach. Wie immer es um die historische Wahrheit dieses Berichtes bestellt sein mag, so gibt er doch ein deutliches Bild von den politischen Vorstellungen der Islnder jener Zeit. Die Etablierung des Christentums Nach dem Tod des Kçnigs Olaf Tryggvason in der Schlacht bei Svolder im Jahr 1000 hat es offenbar Rckschritte bei der Etablierung des Christentums in Norwegen gegeben. Fr Island ist dies nicht zu erkennen. Es ist nicht anzunehmen, dass die Annahme des Christentums sofort bedeutenden Einfluss auf die Lebensauffassungen der Menschen gehabt hat, doch ußerliche Vernderungen gab es durchaus: Wohlhabende Huptlinge, darunter oft Goden, errichteten Kirchen und der christliche Gottesdienst trat an die Stelle der heidnischen Opferfeste. Im Jahr 1014 wurde Olav Haraldsson, spter der Heilige, Kçnig von Norwegen. Er beließ es nicht dabei, das Christentum nur in Norwegen zu fçrdern, sondern bemhte sich auch um die von Norwegen aus besiedelten Lnder, 46