Überleben mit Symbiose-Bakterien STOPP: Verdorbene Nahrung

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PULS/CE 21
Public Understanding of Life Sciences / Chemical Ecology
Newsletter April 2013
STOPP: Verdorbene Nahrung!
Verdorbene Nahrung kann tödlich sein, wenn sie zusammen mit krankheitserregenden Bakterien in den Verdauungstrakt gelangt. Besonders der Geruchssinn
muss vor verdorbenen Mahlzeiten schützen. Jetzt wurde erstmals der Fluchtreflex
vor giftiger Nahrung im Gehirn von Fruchtfliegen entschlüsselt … S. 3
Überleben mit Symbiose-Bakterien
Feuerwanzen benötigen bakterielle Symbionten, um mit Pflanzensamen als deren
einziger Nahrungsquelle zu überleben. Diese Symbiose-Bakterien bilden einen
Schlüsselfaktor für den Erfolg von Gemeinen Feuerwanzen und für den Schädlingsstatus der Baumwollwanzen ... S. 4
Nicht ohne meine Mikroben
Waldmaikäfer profitieren auch nach Metamorphose von denselben bakteriellen
Symbionten, die sie schon als Larve beherbergt haben. Die Mikroben helfen ihnen,
die holzige Nahrung, zum Beispiel Lignozellulose und Xylane, zu verdauen … S. 5
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Newsletter April 2013 | Editorial
Das Eisnerzimmer bietet Raum für
den wissenschaftlichen Austausch.
36 junge Wissenschaftler haben hier
einen neuen Arbeitsplatz. Es wurde
Eisners Erben
Liebe Leserinnen und Leser!
nach einem der Väter der chemischen
Ökologie, dem Entomologen und
Ökologen Thomas Eisner (1929-2011),
benannt.
Oben: Der Doktorand Melkamu Woldemariam an seinem Arbeitplatz im
Eisnerzimmer.
Rechts unten: Beng Soon Teh aus
Malaysia und Pol Alonso aus Spanien,
zwei neue Doktoranden aus der
Abteilung Bioorganische Chemie, im
Gespräch mit Shannon Olsson, die
2005 bei Eisner promoviert hat.
Fotos: Angela Overmeyer/MPI-CE
Literatur:
Baldwin, Ian T. (2011). Moving forward
by looking backwards: Thomas Eisner
and Chemical Ecology.
Chemoecology, 21, 187-189.
Nach der Eröffnung des Schneiderhauses (siehe PULS/CE 20) gedenkt das MPI für chemische
Ökologie mit dem neuen Eisnerzimmer eines
weiteren Pioniers der chemisch-ökologischen
Forschung: Thomas Eisner. Im Laufe des letzten
Jahres wurde aus dem früheren Bibliotheksarchiv
eine offene und helle Bürolandschaft, in der bis
zu 36 Nachwuchswissenschaftler arbeiten können. Wer den Raum betritt, ist angenehm überrascht von der freundlichen Helligkeit: Auf drei
Seiten blickt man durch Glaswände und Fenster
nach draußen, auf der Gebäuderückseite über ein
Landschaftsschutzgebiet sogar bis in den Wald
hinein. Shannon Olsson, die von 2000-2005 bei
Thomas Eisner an der Cornell University promovierte, ist begeistert: „Es gibt im ganzen Institut
keinen geeigneteren Raum, um ihn nach Tom zu
benennen. Der Blick in die Natur war immer die
größte Inspiration für ihn.“ Shannon Olsson, die
in der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie eine
Projektgruppe leitet, muss oft an den wichtigsten
Rat denken, den Tom Eisner ihr gegeben hat und
den sie jetzt an ihre Studenten weitergibt: „Wenn
du ein Insekt, eine Pflanze oder eine Mikrobe erforschen willst, dann musst du wie das Insekt, die
Pflanze oder die Mikrobe denken.“ Eisners besonderes Vermächtnis an die Disziplin der chemischen
Ökologie ist der Hinweis, dass wir den Geheimnissen der Natur auf die Spur kommen können,
wenn wir ihre Phänomene und Protagonisten
genau beobachten. Trotz der rasanten Weiterentwicklung molekularbiologischer Methoden ist die
Naturbeobachtung immer noch ein wesentlicher
Faktor für den Erkenntnisgewinn. Das findet auch
Melkamu Woldemariam aus Äthiopien. Er steht
vor dem Abschluss seiner Promotion über die
Identifizierung neuer Regulationsmechanismen,
die bei Interaktionen zwischen wildem Tabak und
Schädlingen eine Rolle spielen (siehe Seite 6). Ein
wesentlicher Bestandteil seiner Studien sind Experimente draußen: in der Natur.
Viel Freude beim Lesen und wunderbare Erlebnisse in der frühlingshaften Natur wünscht Ihnen
Angela Overmeyer
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Research Highlight | Newsletter April 2013
STOPP: Verdorbene Nahrung!
Nicht zuletzt die erschreckend vielen Todesfälle
im Zusammenhang mit durch EHEC-Bakterien
kontaminierten Biosprossen im Frühling 2011 haben gezeigt, wie wichtig es für nahrungssuchende Lebewesen ist, nützliche von krankheitserregenden Mikroorganismen zu unterscheiden. Zwar
ist die äußere Betrachtung des Nahrungsmittels
oft ausreichend, um Verdorbenes zu meiden.
Noch sicherer aber ist die Wahrnehmung eindeutiger Gerüche, die durch gefährliche Erreger
freigesetzt werden. Erkennt ein Lebewesen einen
solchen Geruch und wendet sich daraufhin ab,
kann dies lebensrettend sein. Wie aber wird ein
solches Abschreckungsverhalten ausgelöst? Wie
sieht der Weg vom Geruchsmolekül über Rezeptoren bis ins Hirn und schließlich bis zur Reaktion
eines Tieres aus?
Für die Beantwortung dieser Fragen sind die genetisch sehr gut charakterisierten Fruchtfliegen
der Art Drosophila melanogaster geeignet. Die
Fliegen ernähren sich von Hefepilzen, die auf verdorbenem Obst wachsen. Sie müssen „gute“ von
„schlechten“ Mikroben also genau unterscheiden
können. Denn Experimente zeigten, dass Fliegen,
die stark verdorbene Nahrung aßen, schnell starben. Der Geruchsstoff Geosmin − der uns Menschen bekannte Geruch nasser Böden − wird von
Toxin bildenden Pilzen und Bakterien abgegeben
und könnte der Auslöser für abschreckende Reaktionen sein.
Wissenschaftler der Abteilung Evolutionäre
Neuroethologie entdeckten jetzt, dass Fruchtfliegen eine besonders empfindliche Antenne
für Geosmin haben. In elektrophysiologischen
Experimenten fanden sie heraus, dass ein einzelnes Neuron, ab4B, mit dem speziellen Rezeptor Or56a ausschließlich auf Geosmin anspricht. Bildgebende Untersuchungen am Gehirn
der Fliege lieferten ein weiteres interessantes
Ergebnis: Von den rund 50 Glomeruli, kugeligen
Verschaltungseinheiten, die das Riechzentrum
der Tiere ausmachen, reagierte nur einer, DA2,
auf Geosmin. Er befindet sich in derselben Hirnregion wie diejenigen Glomeruli, die im Allgemeinen abschreckendes Verhalten hervorrufen.
Geosmin, der typische Geruch giftiger
Bakterien oder Schimmelpilze, löst
in Fruchtfliegen einen unbedingten
Fluchtreflex aus. Eine spezielle
Nervenleitung – vom Rezeptor in den
Antennen und weiter über Sinnes- und
Gehirnneuronen – wird durch geringste Mengen an Geosmin aktiviert
mit der Folge, dass die Fliegen sofort
flüchten. Einmal im Hirn der Fliegen
wahrgenommen, schaltet Geosmin alle
anderen, auch anlockende Reize aus.
Die durch Geosmin vermittelte Botschaft löst
ohne Umwege von der Antenne direkt ein definiertes Fluchtverhalten aus. Der direkt durchgeschaltete Reiz ruft nicht nur sofort den Stillstand
der Tiere oder das Wegfliegen von der Geruchsquelle hervor, sondern „überschreibt“ bereits
in geringsten wahrnehmbaren Konzentrationen
konsequent alle anderen gleichzeitig angebotenen Locksignale, selbst die sehr verführerischen
Düfte von Essig oder Früchten. Das Gehirn der
Tiere ist also erstaunlicherweise derart programmiert, dass sie grundsätzlich vor dem Geruch von
Geosmin fliehen, selbst wenn zusätzlich noch
attraktive Düfte präsent sind. [JWK]
Bild: Marcus Stensmyr, MPI-CE
Originalveröffentlichung:
Stensmyr, M. C., Dweck, H., Farhan, A.,
Ibba, I., Strutz, A., Mukunda, L., Linz,
J., Grabe, V., Steck, K., Lavista Llanos,
S., Wicher, D., Sachse, S., Knaden,
M., Becher, P. G., Seki, Y., Hansson,
B. (2012). A conserved dedicated
olfactory circuit for detecting harmful
microbes in Drosophila. Cell, 151(6),
1345-1357.
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Newsletter April 2013 | Research Highlight
Überleben mit Hilfe von
Symbiose-Bakterien
Originalveröffentlichungen:
Sudakaran, S., Salem, H., Kost, C., Kaltenpoth, M. (2012). Geographical and
ecological stability of the symbiotic
mid-gut microbiota in European firebugs, Pyrrhocoris apterus (Hemiptera,
Pyrrhocoridae). Molecular Ecology,
21(24), 6134-6151.
Salem, H., Kreutzer, E., Sudakaran, S.,
Kaltenpoth, M. (2012). Actinobacteria
as essential symbionts in firebugs and
cotton stainers (Hemiptera, Pyrrhocoridae). Environmental Microbiology.
doi:10.1111/1462-2920.12001.
Oben rechts: Afrikanische Baumwollwanze (Dysdercus fasciatus). Foto:
Martin Kaltenpoth, MPI-CE
Unten: Max-Planck-Forschungsgruppe
Insektensymbiose: Martin Kaltenpoth,
Aileen Berasategui, Benjamin Weiss,
Eugen Bauer, Sailendharan Sudakaran,
Taras Nechitaylo, Peter Biedermann,
Tobias Engl (hintere Reihe, von links
nach rechts); Sabrina Köhler, Laura
Flórez, Hassan Salem (vorne sitzend).
Foto: MPI-CE
Während die bei uns häufig vorkommende Gemeine Feuerwanze keine schädlichen Auswirkungen
auf den Menschen hat, sind ihre Verwandten in
Afrika, Asien und Amerika, die Baumwollwanzen,
eine ernste Bedrohung für die Landwirtschaft.
Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsgruppe Insektensymbiose haben jetzt herausgefunden, dass diese Insekten bakterielle Symbionten benötigen, um mit Baumwollsamen als
ihrer einzigen Nahrungsquelle zu überleben. Die
Samen sind nämlich reich an giftigen sekundären
Pflanzenstoffen und dazu noch arm an essenziellen Nährstoffen. Mit Hilfe der Hochdurchsatz-Sequenzierung entschlüsselten die Wissenschaftler
fast 300.000 Kopien bakterieller 16S rRNA-Gene
und fanden heraus, dass Feuerwanzen eine charakteristische Gemeinschaft von drei bis sechs
Symbionten in einer bestimmten Region des
Mitteldarms beherbergen. Feuerwanzen aus verschiedenen geografischen Regionen und sogar
über verschiedene Arten hinweg wiesen erstaunlich ähnliche Mikrobengemeinschaften auf, was
darauf schließen lässt, dass sie bereits seit Millionen von Jahren mit ihren Bakterien in Symbiose leben. Die Symbionten werden von der Mutterwanze auf die Eier übertragen, und die frisch
geschlüpften Nymphen saugen an der Oberfläche
der Eihülle und nehmen die dort befindlichen Bakterien auf.
Dass die bakteriellen Symbionten den Wanzen dabei helfen, sich ausschließlich von den
giftigen Baumwollsamen zu ernähren, zeigten
die Forscher durch ein simples, aber elegantes Experiment: Sie tauchten die Insekteneier
in Bleichlösung und Ethanol und töteten dabei
die Bakteriengemeinschaft auf der Eioberfläche,
ohne den sich entwickelnden Insektenembryo
zu schädigen. Einige der Eier wurden daraufhin
mit einer Mischung von Bakterien aus dem Darm
einer ausgewachsenen Wanze neu infiziert, während die übrigen Eier symbiontenfrei blieben.
Symbiontenfreie Wanzen zeigten klare Anzeichen
von Mangelernährung, obwohl sie mit den gleichen Pflanzensamen gefüttert wurden wie die
Vergleichstiere. Die deutet stark darauf hin, dass
die Symbionten einen wichtigen Beitrag zur Nahrungsverwertung ihrer Wirte leisten. Erstaunlich
war, dass selbst der Austausch der bakteriellen
Gemeinschaften zwischen Gemeinen Feuer- und
Baumwollwanzen zu einer reduzierten Fitness in
beiden Arten führte. Die jeweiligen Symbiosen
scheinen also hochspezifisch zu sein.
Gemeine Feuer- und Baumwollwanzen sind ideale Modellsysteme, um grundlegende Fragen der
Insektensymbiose zu beantworten, denn ihre
mikrobiellen Gemeinschaften können verändert
und ausgetauscht werden, um dann die Fitness
der Insekten zu messen. Die genaue Kenntnis der
Wechselwirkungen zwischen Insekten und ihren
mikrobiellen Symbionten ist unverzichtbar für
das grundlegende Verständnis der Physiologie,
Ökologie und Evolution von Insekten. Im Fall von
Schadinsekten wie der Baumwollwanze können
diese Erkenntnisse außerdem neue Wege der
biologischen Schädlingsbekämpfung aufzeigen.
[MK/AO]
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PULS/CE 215
Research Highlight | Newsletter April 2013
Die Metamorphose bestimmter Insektenarten
ist ein faszinierender Vorgang. Aus einer Larve,
die sich je nach Art unter- oder oberirdisch von
Wurzeln oder Blättern ernährt, wird nach einem
Verpuppungs- und Ruhestadium ein Falter oder
ein Käfer. Die walzenförmigen Raupenkörper sind
im Vergleich zu den meist bunten und filigranen
Faltern eher unspektakulär. Hinzu kommt, dass
Raupen- oder Käferlarvenfraß unsere land- oder
forstwirtschaftlichen Erträge jedes Jahr aufs
Neue bedrohen. So ist auch der Waldmaikäfer
Melolontha hippocastani ein wichtiger Schädling
unserer Bäume. Im Puppenstadium beginnt die
fundamentale Verwandlung, ein radikaler innerer Umbau, bei dem kein Larvenorgan in seiner
ursprünglichen Form erhalten bleibt. Was aber
passiert nach der Metamorphose mit den überlebenswichtigen Mikroben, die die Larven in ihrem Darm haben, um ihre pflanzliche Nahrung zu
verdauen?
Wissenschaftler der Abteilung Bioorganische
Chemie sowie der Forstlichen Versuchs- und
Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg und des Fritz-Lipmann-Instituts in Jena
ermittelten über 300 ribosomale RNA-Sequenzabschnitte, die verschiedenen Taxa bekannter
Mikrobenklassen zugeordnet werden konnten.
Nicht ohne meine Mikroben
Insgesamt neun verschiedene Klassen von Bakterien wurden im Darm des Waldmaikäfers
gefunden, darunter Proteobakterien, Actinobakterien, Bacilli, Clostridien und Sphingobakterien. Einige Arten sind dazu in der Lage, Holzbestandteile wie Lignocellulose und Xylane zu
verdauen. Viele der im Larvendarm bestimmten
Bakterienklassen tauchten im Darm der Käfer
wieder auf, obwohl der Larvendarm in der Puppenphase vollständig entleert ist. Außerdem
stimmt das Darm-Mikrobiom der Larve nur minimal mit dem Mikrobiom von Erde und Wurzelmaterial überein; die meisten der Mikroben aus Larve und Käfer stammen also nicht aus der jeweils
aufgenommenen Nahrung. Dies bedeutet, dass
Melolontha hippocastani wahrscheinlich schon
beim Schlüpfen aus dem Ei eine Grundausstattung von symbiontischen Bakterien mitbringt, mit
denen sich diese Insektenart wohl schon im Laufe der Jahrtausende gemeinsam entwickelt hat.
Dieses Resultat bestätigt erneut, dass vermutlich
alle höheren Organismen, also Pflanzen, Tiere und
auch wir Menschen, grundsätzlich mit symbiotischen Mikroorganismen ausgestattet sind, ohne
die wir nicht leben und überleben können. [JWK]
Nach dem Winter, spätestens im Mai
und bis in den Juni hinein, können sie
wieder in Massen auftreten und erste
Blatttriebe von Eichen, Ahorn und Buchen befallen: Waldmaikäfer (Melolontha hippocastani). Die Weibchen legen
einmal im Jahr bis zu 30 Eier, woraus
die Larven (Engerlinge) schlüpfen und
sich während einer drei- bis fünfjährigen Entwicklungszeit unterirdisch
von Baumwurzeln ernähren. Unten:
Waldmaikäferlarve, die im Boden eine
Karotte frisst. Oben: adulter Käfer.
Fotos: Erika Arias Cordero, MPI-CE
Originalveröffentlichung:
Arias Cordero, E., Ping, L., Reichwald,
K., Delb, H., Platzer, M., Boland, W.
(2012). Comparative evaluation of the
gut microbiota associated with the
below- and above-ground life stages
(larvae and beetles) of the forest cockchafer, Melolontha hippocastani. PLoS
ONE 7(12): e51557.
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Newsletter April 2013 | IMPRS-Projekt
Ökonomische Feinabstimmung der Pflanzenabwehr
Originalveröffentlichung:
Woldemariam, M., Onkokesung,
N., Baldwin, I. T., Galis, I. (2012).
Jasmonoyl-L-Isoleucine Hydrolase 1
(JIH1) regulates jasmonoyl-L-isoleucine
levels and attenuates plant defenses
against herbivores. The Plant Journal,
72(5), 758-767.
Melkamu Gezahagne Woldemariam
aus Äthiopien (siehe Editorial, S. 2)
ist Doktorand der International Max
Planck Research School. Thema seiner
Promotion in der Abteilung Molekulare Ökologie (Ian Baldwin) ist die
Identifizierung neuer Regulationsmechanismen bei Interaktionen zwischen
Der natürliche Lebensraum von Pflanzen gleicht
einer Sinfonie von chemisch vermittelten Wechselwirkungen, die ihre Kommunikation mit anderen Pflanzen der gleichen oder einer anderen Art
sowie mit Bestäubern und Fraßfeinden steuern.
Pflanzen müssen in der Lage sein, nützliche von
schädlichen Organismen zu unterscheiden und
ihre chemischen Antworten entsprechend anzupassen. Als Nahrungsquelle werden Pflanzen
von vielen pflanzenfressenden Tieren, den Herbivoren, attackiert. Neben mechanischen Barrieren
wie Dornen und Blatthaaren haben sie daher ein
chemisches Arsenal entwickelt, mit dessen Hilfe
Angreifer in ihrer Entwicklung gestört oder getötet werden. Die Produktion von Abwehrstoffen
verbraucht jedoch kostbare Energieressourcen.
Aus diesem Grund müssen die ausgeklügelten
und vielschichtigen Verteidigungsstrategien möglichst ökonomisch aufeinander abgestimmt sein.
wildem Tabak und seinen Schädlingen.
Oben rechts: Wilde Tabakpflanze
der Art Nicotiana attenuata in ihrem
natürlichen Lebensraum in der Great
Basin Desert in Utah, USA: Nach Bränden wachsen größere Populationen
dieser Art auf stickstoffreichen Böden
und müssen mit einer Vielzahl von
Schädlingen fertig werden, darunter
dem Tabakschwärmer Manduca sexta
(unten). Fotos: Danny Kessler, MPI-CE
Unsere Modellpflanze ist der Wilde Tabak Nicotiana attenuata. Tabakpflanzen reagieren auf Befall
durch Tabakschwärmerlarven mit der Produktion
von Pflanzenmetaboliten wie Nikotin, Trypsin,
Protease-Inhibitoren, Diterpen-Glycosiden und
Phenolamiden. Die Biosynthese der Abwehrstoffe hängt von der Aktivierung der JasmonatSignalkaskade ab, die eine Produktion von großen
Mengen Jasmonsäure (JA) und ihrer bioaktiven
Form, dem Isoleucin-Konjugat JA-Ile, bedingt.
Weil die ständige Verteidigungsbereitschaft für
Pflanzen kostspielig ist, interessiert uns, wie
Tabakpflanzen die Jasmonat-Signalkaskade steuern, insbesondere die durch Herbivoren induzierte Produktion von JA-Ile. Wir identifizierten ein
neuartiges Enzym, das den Jasmonatausstoß abschwächt und die Produktion von Abwehrstoffen
reguliert. Nachdem wir die Expression dieses Enzyms, einer Hydrolase (Jasmonoyl-L-Isoleucin Hydrolase 1, JIH1), in Tabakpflanzen ausgeschaltet
und die transformierten Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung ausgepflanzt hatten, beobachteten wir, dass die transgenen Pflanzen mehr JA-Ile
anreicherten und somit besser vor Schädlingsbefall geschützt waren als Wildtyp-Pflanzen. Des
Weiteren lockte der genetisch veränderte Tabak
im Vergleich zu Kontrollpflanzen im Feld mehr räuberische Wanzen der Gattung Geocoris an, sobald
in Experimenten Motteneier auf den Pflanzen angebracht wurden. Diese Beobachtung stimmte
mit der höheren Abgabe von Blattduftstoffen zum
Anlocken der Eiräuber durch die transformierten
Pflanzen überein. Unsere Ergebnisse legen nahe,
dass JIH1 den Jasmonatausstoß reguliert und
damit die Physiologie und Biochemie und letztendlich die ökologischen Wechselwirkungen von
Tabakpflanzen mit ihrer natürlichen Schädlingen
entscheidend beeinflusst.
Melkamu Gezahagne Woldemariam
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News | Newsletter April 2013
Transistor in der Fliegen-Antenne: Duftrezeptoren von Insekten
steuern Empfindlichkeit selbst
Dank ihrer hochentwickelten Antennen können sich Insekten an kleinsten Geruchskonzentrationen orientieren. Perfekt ausgestattet mit
Geruchsrezeptoren finden sie Nahrung, optimale
Eiablageplätze oder Geschlechtspartner. Jetzt
wurde erstmals experimentell und mithilfe von
Mutanten bestätigt, dass das enorme Geruchsvermögen von Insekten auf einer Selbstregulation
ihrer Duftrezeptoren beruht: Geringste Mengen
von Duftmolekülen bewirken die Sensibilisierung
bestimmter Duftrezeptoren, und das Auftreffen
weiterer Moleküle kurz danach löst die Öffnung
eines Ionenkanals aus, was Reaktion und Flugverhalten der Fliege steuert. Dies bedeutet, dass
bereits eine Geruchsstimulierung unterhalb der
Reizschwelle die Sensibilität des Rezeptors erhöht. Kommt innerhalb kurzer Zeit ein zweiter Geruchsimpuls hinzu, wird eine neuronale Reaktion
ausgelöst.
Die Antennen der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, hier in dunkelgelb
Originalveröffentlichung:
schematisch dargestellt. Dunkelrot:
Getahun, M. N., Olsson, S., Lavista Llanos, S., Hansson, B.,
Duftmolekül. Graphik aus der Anima-
Wicher, D. (2013). Insect odorant response sensitivity is
tion von Kimberly Falk, Moves Like
tuned by metabotropically autoregulated olfactory recep-
Nature, Jena
tors. PLoS One, 8(3): e58889.
Metallionen regulieren den Terpen-Stoffwechsel in Insekten
Eine ungewöhnliche Regulation von Enzymen, die
Reaktionen im Terpenmetabolismus katalysieren,
haben Wissenschaftlerinnen jetzt entdeckt. In
Meerrettichblattkäfern der Art Phaedon cochleariae kann ein und dasselbe Enzym, gesteuert
durch Kobalt-, Mangan- oder Magnesiumionen,
die Herstellung zweier völlig unterschiedlicher
Substanzen einleiten: Iridoide, also Wehrsubstanzen, mit denen sich die Larve gegen ihre
Fraßfeinde wehrt, oder Juvenilhormone, die die
Entwicklung des Insekts lenken. Möglicherweise
haben Insekten mit der Metallionen-abhängigen
Kontrolle eine effiziente Option entwickelt, Metabolite in die unterschiedlichsten Richtungen des
Terpenstoffwechsels zu lenken.
Originalveröffentlichung:
Frick, S., Nagel, R., Schmidt, A., Bodemann, R., Rahfeld,
P., Pauls, G., Brandt, W., Gershenzon, J., Boland, W., Bur-
Sindy Frick und Antje Burse analy-
se, A. (2013). Metal ions control product specificity of
sieren Probenmaterial mithilfe eines
isoprenyl diphosphate synthases in the insect terpenoid
Chromatographen. Foto: Angela
pathway. Proceedings of the National Academy of Scien-
Overmeyer, MPI-CE
ces of the United States of America, 110(11), 4194-4199.
Abwehr von Fraßschädlingen bei Farnen
Originalveröffentlichung:
Radhika, V., Kost, C., Bonaventure, G.,
Wissenschaftler der Abteilung Bioorganische
Chemie haben herausgefunden, dass Adlerfarne (Pteridium aquilinum) bei Schädlingsbefall im
Gegensatz zu heute vorherrschenden und evolutionär jüngeren Blütenpflanzen keine Duftstoffe
aussenden. Eine solche Duftstoffemission dient
unter anderem dazu, die Feinde ihrer Schädlinge,
wie beispielsweise Schlupfwespen oder Raubwanzen, anzulocken, die dann deren Fraßfeinde
parasitieren. Trotzdem konnte auch in Farnwedeln
eine Duftstoffabgabe hervorgerufen werden,
wenn diese mit Jasmonsäure behandelt wurden, die in Blütenpflanzen die Duftstoffsynthese
auslösen kann. Dies lässt darauf schließen, dass
die Farne zwar prinzipiell diese Form der Abwehr
mobilisieren könnten, sie jedoch nicht zur Verteidigung gegen Fraßfeinde einsetzen.
David, A., Boland, W. (2012). Volatile
emission in bracken fern is induced by
jasmonates but not by Spodoptera littoralis or Strongylogaster multifasciata
herbivory. PLoS One, 7(11): e48050.
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Newsletter April 2013 | News & Events
Jonathan Gershenzon als AAAS Fellow geehrt
Die American Association for the Advancement
of Science (AAAS) wählte Jonathan Gershenzon zum akademischen Mitglied in die Sektion
Biological Sciences. Er wird damit für herausragende Leistungen geehrt, insbesondere für die
Erforschung der Zusammensetzung, ökologischen
Jonathan Gershenzon.
Bedeutung und Evolution von pflanzlichen Abwehrstoffen. Die AAAS ist die weltweit größte
wissenschaftliche Gesellschaft. Sie wurde 1848
in Pennsylvania gegründet und gibt seit 1880 die
Zeitschrift Science heraus.
www.aaas.org
Foto: MPI-CE
Veranstaltungstipps:
Zum 7. Kurt-Mothes-Doktorandenworkshop über den Sekundärstoffwechsel treffen sich am
5. und 6. September 2013 rund 40 Nachwuchswissenschaftler/innen in Jena. Die Veranstaltung
findet im Hörsaal des Abbe-Zentrums auf dem Beutenberg Campus statt. Das Doktorandentreffen zum
Austausch über neueste Entwicklungen in der Erforschung bioaktiver Wirkstoffe aus Pflanzen und Mikroorganismen ist dem Andenken an den bedeutenden Pflanzenphysiologen und Naturstoff-Forscher
Kurt Mothes (1900-1983) gewidmet und wird seit 1996 vom Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie in
Halle gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena organisiert.
Vom 13. bis 16. Oktober 2013 findet die CEEPC, die 7th Central and Eastern European Proteomics Conference on Proteomics Driven Discovery and Applications, im Abbe-Zentrum auf dem
Beutenberg Campus in Jena statt. Organisiert wird diese Konferenz, die bereits zum zweiten Mal in
Jena tagen wird, von Aleš Svatoš, dem Leiter der Labore für Massenspektrometrie und Proteomik am
MPI. Geplant sind u.a. Symposia zur klinischen Proteomforschung, Hochdurchsatzverfahren, Proteomforschung an Pflanzen, Insekten und Mikroorganismen sowie Imaging von Biomarkern.
www.ice.mpg.de/ext/ceepc2013.html
Die nunmehr 5. Lange Nacht der Wissenschaften startet am Freitag, den 29. November 2013,
ab 18:00 Uhr in Jena. Auch das MPI-CE wird wieder mit von der Partie sein und bis Mitternacht seine
Türen für interessierte Besucher öffnen. Der erste Programmhöhepunkt steht bereits fest: Der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Ernst Peter Fischer (Bild links) wird über „Romantische Wissenschaft − 100
Jahre Bohr‘sches Atommodell“ referieren.
www.sternstunden-jena.de
© Danny Kessler
www.ice.mpg.de
Impressum: PULS/CE erscheint zweimal jährlich auf der Homepage des MPI für chemische Ökologie und kann auch kostenlos
abonniert werden. Die Verteilung erfolgt elektronisch als PDF, auf Wunsch werden gedruckte Exemplare verschickt.
Herausgeber: MPI-CE, Jena. Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. Bill S. Hansson (viSdP).
Redaktion: Dr. Jan-W. Kellmann, Forschungskoordination • Angela Overmeyer M.A., Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
ISSN: 2191-7507 (Print), 2191-7639 (Online)
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