Diagnose & Therapie 15 Ganzheitlich-ästhetische Zahnmedizin Den richtigen Biss finden Von Dr. Lena Kertag Z ähneknirschen (Bruxismus) ist ein Problem unserer Zeit. Schätzungsweise 30 Prozent der Bevölkerung sind betroffen, zu einem Großteil Frauen im mittleren Alter. Vermutlich spielt anhaltender Stress eine Rolle. Auch Kinder können zu Zähneknirschen neigen, wenn die zweiten Zähne kommen. Dann werden störende Stellen sozusagen »eingeschliffen«. Die Folgen des nächtlichen Mahlens sind u. a. Schädigungen der Zähne an den Schneidekanten und Kauflächen oder Risse im Zahnschmelz. Daneben gibt es andere Faktoren wie schlecht sitzende Füllungen oder Zahnersatz. Auch Haltungsschäden, etwa ein Beckenschiefstand oder eine Beinlängendifferenz, können sich auf die (Hals-)Wirbelsäule und weiter auf die Kiefergelenke und das Kausystem auswirken. Generell haben chronische Anspannungsreaktionen welcher Art auch immer negative Auswirkungen auf Zahngesundheit und Allgemeingesundheit. Neben psychischen und verschiedenen körperlichen Auswirkungen, wie etwa erhöhter Blutdruck oder Schwächung der Immunabwehr, kann sich die ganze Situation im Mund-Kiefer-Bereich verändern. Bei Verdauungsstörungen wird der Speichel sauer, was zu einer Erosion der Zähne führen kann. Auf Stress reagieren die Gesichtsmuskeln und mit ihnen die Kaumuskeln, was nicht nur zu Zähneknirschen, sondern auch zu Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen sowie Trigeminusneuralgien führen kann. Schätzungsweise gehen rund 50 Prozent aller Trigeminusneuralgien auf einen Fehlbiss (oder einen Fehlbiss durch falsch sitzenden Zahnersatz) zurück. Bissführungsschienen Gegen nächtliches Zähneknirschen und vermehrten Zahnabrieb hilft eine speziell angepasste COPA-(Craniomandibulärer-Orthopädischer-Positionierungs-Apparat)-Schiene. Sie stellt die richtige Kaufunktion wieder her und beseitigt so auch oft chronische Schmerzen. Wichtig ist hier allerdings Ursachenforschung. Ein Fehlbiss kann sich auch aufgrund anderer körperlicher Ursachen entwickeln, neben Hal- Das Interview zum Thema Dr. med. dent. Ilse-Phil Weber betreibt seit 1992 eine Praxis für ganzheitlich-biologische Zahnmedizin und Ästhetik in MünchenSendling (Kassen und privat). Sie ist zusätzlich in Homöopathie und in Akupunktur ausgebildet und qualifiziertes Mitglied der GZM (Internationale Gesellschaft für ganzheitliche Zahnmedizin e. V.). Laufend Fortbildungen in zahnärztlicher Naturheilkunde und ästhetischer Zahnmedizin (u. a. in Hamburg, Berlin, Würzburg, New York und Las Vegas). Frau Dr. Webers Schwerpunkte sind ganzheitlich-biologische Zahnmedizin und vor allem ästhetische metallfreie Restaurationen. Sie ist qualifiziert in Umweltzahnmedizin und zertifiziert in ästhetisch-biologischer Faltenunterspritzung bei Lippen und Mund. Infos: www.zahnarztpraxis-dr-weber.de Frau Dr. Weber, wie gehen Sie gegen Zähneknirschen und Fehlbiss vor? Dr. Weber: M it einer Bissschienentherapie — allerdings erst nach Klärung der Ursache. Ein Fehlbiss kann ganz unterschiedliche Ursachen haben, u. a. Zähneknirschen, eine frühere Gebisssanierung, bei der sich ein Unterbiss entwickelt hat, oder das Fehlen von Seitenzähnen. Auch eine gar nicht bemerkte Beinlängendifferenz kann einen Fehlbiss bewirken. Die Folgen sind oft Kopf-, Halswirbelsäulen- und Rücken- tungsschäden, etwa durch ein Schleudertrauma oder sogar durch falsche Atmung. Schnarchtherapie Schnarchen – hier sind vermehrt Männer betroffen – kann ebenfalls ein Fall für Zahnmediziner sein. Es gibt verschiedene Ausprägungen des Schnarchens, daher muss zunächst die Ursache ermittelt werden, also ob es sich um eher »harmloses« Schnarchen handelt oder aber um eine obstruktive Schlafapnoe, d. h. Schnarchen mit zeitweiligem Atemstillstand. Beide Formen haben eine verminderte Leistungsfähigkeit zur Folge bzw. führen im Extremfall zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eventuell werden Betroffene in ein Schlaflabor überwiesen. Doch oft können Zahnärzte etwas tun. Abhilfe schafft – mit Ausnahme extremer Formen – eine intraorale Schnarchtherapie-Schiene, die Zunge und Unterkiefer etwas nach vorn schiebt und damit den Rachenraum frei hält. Fotos: Dr. Ilse-Phil Weber, Dr. Hinz KFO Labor Kommt Ihnen das bekannt vor? Morgens beim Aufwachen ist das Gesicht verspannt, der Nacken schmerzt. Oder Sie wachen völlig gerädert auf, als hätten Sie gar nicht richtig geschlafen. Dann sollten Sie vielleicht einmal zum Zahnarzt gehen, denn im ersten Fall könnte es sich um eine Zahnfehlstellung handeln, die Ihnen zu schaffen macht, im zweiten um Schnarchen. Und ja — auch wenn Sie schnarchen, sind Sie beim Zahnarzt erst mal richtig. Intraorales ZweischienenSystem zur Schnarch­ therapie. Bissführungsschiene mit offener Unterkieferfront. schmerzen. In unserer Praxis führen wir spezielle Tests durch, um die richtige Bisslage zu finden. Wichtig sind dabei u. a. der Muskeltest (myofunktionelle Therapie, früher: Applied Kinesiology) und eine Analyse der Beinlängendifferenz sowie andere Abweichungen von der Körperstatik. Beim Mersemann-Test zur Ermittlung einer Beinlängendifferenz wird die Bisssituation mit Watteröllchen im Mund ausgetestet. Der Patient geht dabei immer wieder im Raum umher, dann werden die Watteröllchen entsprechend verändert, bis die richtige Bisslage erreicht ist. Diese neue Lage wird anschließend in Wachs fixiert, um die exakte Bisssituation in eine Schiene umzusetzen. Wie lange muss der Patient eine ­Bissführungsschiene tragen? Dr. Weber: D as kann individuell sehr unterschiedlich sein. Oft muss sie der Patient nur vier Wochen tragen, bisweilen dauert es aller- dings länger. Wenn schon langjährig chronische Schmerzen bestehen, empfiehlt sich eine Kombination aus zahn- und allgemeinmedizinischen Maßnahmen. Sie bieten auch Schnarchtherapie mit Schienen an. Wie funktioniert das? Dr. Weber: Z unächst muss geklärt werden, ob der Patient ein Fall für den Schlafmediziner ist, etwa bei schweren Formen des Schlafapnoe-Syndroms. Doch schon »harmloses« Schnarchen, für das wir zuständig sind, führt zu einem nicht-erholsamen Schlaf und mit der Zeit zu einer ernsten Schlaf­ erkrankung. Deshalb sollte man hier unbedingt vorbeugen, zumal sich Schnarchen im Alter verstärkt. Nach einer Klärung der Ursachen kann man oft mit einer Schnarchschiene helfen. Die Schienen schieben den Unterkiefer etwas nach vorn, halten den hinteren Zungenraum im Rachen frei und wirken einer Muskelerschlaffung entgegen. TOPFIT 2 / 2016