Entwicklungssteuerung durch Gene

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4 Entwicklungssteuerung durch Gene
176.1 Aufbau
der VorderpolHinterpolPolarität in
einem Embryo
von Drosophila
Zellkern
bicoidmRNA
BicoidProtein
Bicoid-Protein-Gradient in Blastodermkernen
176.2 Abfolge
der Expression
entwicklungssteuernder Gene
bei Drosophila
Produkte
der maternalen
Polaritäts-Gene
Gap-Gene
PaarregelGene
Segmentpolaritäts-Gene
176
Entwicklungsbiologie
A
B
Die anschließend aktivierten Segmentpolaritäts-Gene legen die endgültigen Segmentgrenzen der Larve sowie die Ausrichtung der
Segmente entlang der Körperlängsachse fest.
Mutationen dieser Gene führen zu Embryonen
mit veränderten Polen.
Walter GEHRING entdeckte 1984, dass in den
homöotischen Genen von Drosophila eine
DNA-Sequenz von 180 Basenpaaren immer
wiederkehrte. Er nannte diese identischen
DNA-Abschnitte Homöobox. Diese wird in ein
60 Aminosäuren langes Protein translatiert,
die Homöodomäne, die als Transkriptionsfaktor andere Gene kontrolliert.
Bisher hat man bei allen untersuchten Organismen, Pflanzen, Hefepilzen, Seeigeln, Fröschen
und Menschen, Homöobox-Gene gefunden.
Diese sind scheinbar ein universelles Steuerelement, denn es gibt zum Beispiel Froschproteine, die beim Drosophila-Embryo die gleiche
Wirkung bei der Differenzierung in Bauch und
Rücken haben. Bei Wirbeltieren werden die
Homöobox-Gene als Hox-Gene, bei Gliedertieren wie Insekten als Hom-Gene bezeichnet.
Die Hox- und Hom-Gene sind gruppenweise
in Clustern verteilt. Bei Drosophila liegen die
Cluster auf zwei Chromosomen, bei Wirbeltieren wie Mensch und Maus sind sie auf vier
Chromosomen verteilt, trotzdem können die
Cluster von Maus und Insekt homologisiert
werden. Die Reihenfolge der Gene eines Clusters bestimmt die Abfolge der Expression und
gleichzeitig den Wirkort.
Homöotische Gene sind auch bei der Gestaltbildung von Pflanzenkörpern beteiligt. Sie bestimmen bei diesen die Abfolge verschiedener
Blattformen im Blütenbereich.
A = Abdominalsegmente
T = Thoraxsegmente
177.1 Segmentierung des
DrosophilaKörpers
Flügel
Haltere
T1
T2
T3
A5 – A8
A4
A3
A2
A1
177.2 BithoraxMutante
„Doppelbrust“.
Homöotische
Umformung des
Segments T3 zu
einem zweiten
Segment T2
Bei der Erforschung der pflanzlichen Entwicklung hat ein Kreuzblütler, die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, eine ähnliche Stellung wie Drosophila.
Sie ist besonders gut als Modell geeignet, weil
ihr Entwicklungszyklus nur sechs Wochen
dauert und die Pflanzen nur 10 bis 20 Zentimeter hoch wachsen. Außerdem besitzt die
Pflanze ein relativ kleines Genom.
Neun Gene bestimmen die Organisation des
Pflanzenembryos. Über Mutanten konnte die
genetische Steuerung der embryonalen Pflanzenentwicklung aufgeklärt werden. Die beobachteten homöotischen Mutationen betrafen
unter anderem die Polarität der Pflanzen.
Die in Magdeburg geborene Christiane NÜSSLEINVOLHARD arbeitete zusammen mit dem Amerikaner
Eric WIESCHAUS über die
Gestaltbildung und Entwicklungskontrollgene bei
Drosophila. Sie wurde für
ihre Ergebnisse als erste
deutsche Wissenschaftlerin zusammen mit WIESCHAUS und dem Amerikaner Edward LEWIS 1995 mit
dem Nobelpreis geehrt.
Arabidopsis
P O RT R ÄT
176.3 Expression von
Segmentierungsgenen im
DrosophilaEmbryo.
A Fluoreszenzmarkierung der
Produkte der
Segmentierungsgene;
B Strukturierung der Larve in
14 Segmente
homöotische Gene
Von rund 20 000 Drosophila-Genen sind etwa
100 an der Steuerung von Entwicklungsprozessen beteiligt. Durch Ausschalten einzelner
Gene erzeugten Christiane NÜSSLEIN-VOLHARD
und Eric WIESCHAUS Mutanten. Anhand des veränderten Phänotyps konnten sie auf die eventuell gestörte Funktion eines Entwicklungskontrollgens schließen. In einer hierarchischen
Kaskade kontrollieren diese Gene die Entwicklung eines Drosophila-Embryos in drei Stufen:
• Im noch unbefruchteten Ei werden Vorderund Hinterpol bestimmt;
• dann wird die Gliederung des Embryos in
Segmente festgelegt und
• schließlich werden die unterschiedliche
Morphologie und die Funktionsmöglichkeiten der Segmente bestimmt.
Die Entwicklungskontrollgene lassen sich in
maternale und zygotische Gene einteilen.
Letztere stehen unter der direkten Kontrolle
der maternalen Gene. Zum Beispiel wird das
maternale Polaritätsgen bicoid in Zellen des
Eierstocks transkribiert. Die bicoid-mRNA wird
in den Vorderpol des Eies eingelagert und nach
der Eiablage in das Protein Bicoid translatiert.
Dessen Konzentration nimmt vom Vorder- zum
Hinterpol ab.
Das Protein Bicoid kontrolliert seinerseits nachgeschaltete zygotische Entwicklungskontrollgene. Ist das bicoid-Gen (lat., zwei Hinterleibern ähnlich) mutiert, entsteht ein kopf- und
brustloser Embryo.
Durch zygotische Gap-Gene (engl., Lücke) wird
der noch ungegliederte Embryo entlang der
Körperlängsachse grob in breite Zonen unterteilt. Mutieren diese Gene, fallen in der Larve
breite Bereiche aus, beispielsweise bei einer
Mutante Kopf- und Brust(Thorax)-Segmente
sowie zwei weitere Segmente.
Die Produkte der Gap-Gene aktivieren Paarregel-Gene: Durch sie wird der Insektenembryo zellulär gegliedert und die Zellen werden
bestimmten Körperabschnitten zugeordnet.
Mutieren diese Gene, fällt jedes zweite Segment aus, daher rührt der Name Paarregel-Gen.
Nachdem die Aktivität der SegmentierungsGene den Drosophila-Embryo in regelmäßige
Segmente unterteilte, werden diese von homöotischen Genen (gr. homoio, gleichartig) in
Kopf-, Thorax- oder Hinterleibssegmente differenziert. Mutieren solche Gene, entstehen
Körperabschnitte, die bereits vorhandenen ähneln, weil Teile wie Antennen, Flügel, Beine
oder Augen gebildet werden, die nicht zu den
Segmenten passen.
Die meisten homöotischen Gene gehören entweder zum Antennapedia-Komplex, der die
Bildung der Körperteile am Kopf und den vorderen Brustsegmenten steuert, oder zum Bithorax-Komplex. Dieser bestimmt die Körperanhängsel des hinteren Brustsegmentes und
der Hinterleibs(Abdominal)-Segmente.
Edward LEWIS forscht seit 1978 intensiv zum
Bithorax-Komplex. Die zugehörige BithoraxMutante „Doppelbrust“ wurde schon 1923 von
BRIDGES beschrieben. Aber erst LEWIS konnte
ihr Zustandekommen erklären.
Christiane Nüsslein-Volhard
(*1942)
Entwicklungsbiologie
177
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