Cannabinoide - wichtig für das Gedächtnis?

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Cannabinoide - wichtig für das Gedächtnis?
Ein Marihuanarausch ist sicher nicht der ursprüngliche Zweck von Cannabinoid-Rezeptoren
in unserem Gehirn. Wissenschaftler kennen heute auch einige körpereigene Substanzen, die
ähnlich dem Wirkstoff der Hanfpflanze an die Rezeptormoleküle von Nervenzellen andocken.
Welche Rolle dieses molekulare System im Gehirn spielt, untersucht die Gruppe des
Pharmakologen Prof. Dr. med. Bela Szabo von der Universität Freiburg. Ihre Arbeit enthüllt
einen neuronalen Feedback-Mechanismus, der zum Beispiel für das Gedächtnis wichtig sein
könnte.
Noch vor zwanzig Jahren wussten Pharmakologen sehr wenig über die Wirkungsweise der
Hanfpflanze Cannabis sativa. Weil ihr psychotroper Hauptwirkstoff, das D9Tetrahydrocannabinol (THC), fettlöslich ist, nahmen sie zum Beispiel an, er würde sich in die
Nervenzell-Membranen einlagern, die elektrophysiologischen Eigenschaften der
Lipiddoppelschicht verändern und dadurch die Kommunikation zwischen Neuronen
beeinträchtigen. Seit den 90er Jahren ist jedoch ein membranständiger Rezeptor bekannt, der
die Anwesenheit der berauschenden Substanz detektiert und ins Innere der Zelle übersetzt: der
CB1-Cannabinoidrezeptor. Es handelt sich dabei um ein Molekül, das eine chemische Kaskade
auslösen und zu molekularen Veränderungen im Inneren der Zellen führen kann, die
schließlich die elektrische Aktivität beeinflussen. Dieser Rezeptor kommt in fast allen Regionen
des Gehirns vor, und zwar in einer erstaunlich hohen Dichte. Zudem finden Neuroanatomen ihn
bei den meisten Nervenzelltypen. “Da stellt sich natürlich die Frage, was die genaue Funktion
der CB1-Rezeptoren ist”, sagt Professor Szabo vom Institut für Experimentelle und Klinische
Pharmakologie und Toxikologie der Universität Freiburg. „Zugespitzt ausgedrückt: zum
Cannabisrauchen haben wir sie sicherlich nicht.“
Ein Dämpfungssystem?
Inzwischen kennen Wissenschaftler neben dem CB1-Rezeptor auch seinen Verwandten, den
CB2-Rezeptor, der hauptsächlich auf Immunzellen sitzt. Außerdem identifizierten sie in den
vergangenen fünfzehn Jahren einige körpereigene Cannabinoide (Endocannabinoide), zum
Beispiel das Anandamid oder das 2-Arachidonoylglycerol (2-AG). Auch sie müssen eine für das
Gehirn wichtige Rolle spielen, sonst gäbe es sie nicht. Szabo und seine Kollegen untersuchen,
wie sich das elektrische Verhalten von Nervenzellen in Gehirnschnitten verändert, wenn sie den
1
CB1-Rezeptor aktivieren oder blockieren. Hierzu verwenden sie synthetische Substanzen, die
den CB1-Rezeptor genauso stimulieren wie THC, Anandamin oder 2-AG, also sogenannte
Agonisten, oder Stoffe, die den Rezeptor inhibieren, also Antagonisten. Solche
elektrophysiologischen Experimente haben die Forscher inzwischen an Geweben aus
verschiedenen Regionen des Gehirns von Mäusen gemacht, zum Beispiel denjenigen, die für die
Kontrolle von Bewegungen wichtig sind.
Oben: Das Schema eines elektrophysiologischen Experiments, mit dem die Rolle des Cannabinoid-Systems getestet
wird. Gezeigt sind zwei spezielle, hintereinander geschaltete Neuronentypen in einem Gehirnschnitt der CaudatePutamen-Region der Maus. Eine Elektrode reizt die obere Zelle (PV-FSN, parvalbumin-positive fast spiking
interneuron), eine andere misst die durch Cannabinoide regulierte Aktivität einer nachgeschalteten Zelle (MSN,
medium spiny neuron). Unten: So sieht das schwierige Experiment in Realität aus. Das linke und das rechte Bild
zeigen denselben Gewebeausschnitt. Im Fluoreszenzmikroskop (linkes Bild) sieht man die PV-FSN-Zelle, weil sie mit
EGFP markiert ist. Im rechten lichtmikroskopischen Bild sieht man hingegen nur die zwei Elektroden gut. © Prof. Dr.
med. Bela Szabo
Die Ergebnisse zeigen, dass Endocannabinoide und ihre Rezeptoren an den Kontaktstellen
zwischen zwei Nervenzellen (den Synapsen) eine Rolle spielen. Sendet eine Nervenzelle
wiederholt elektrische Impulse an eine nachgeschaltete Nervenzelle, dann produziert diese ab
einem bestimmten Zeitpunkt Endocannabinoide. Die Endocannabinoide gelangen aus dem
Zellinneren und diffundieren über den synaptischen Spalt zurück zu der Axonendigung der
vorgeschalteten Nervenzelle, wo sie an die dort sitzenden CB1-Rezeptoren andocken. Diese
wiederum lösen eine chemische Kaskade aus, die letztlich den Einstrom von Calcium in die
Axonendigung verhindert. Die Folge: Eine wesentlich geringere Menge an Transmittern gelangt
in den synaptischen Spalt, die synaptische Übertragung zwischen Axonendigung und
nachgeschalteter Nervenzelle ist inhibiert.
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Die Grafik zeigt die elektrischen Antworten einer Zelle, die durch eine vorgeschaltete Zelle gereizt wird. Im Normalfall
ist die Aktivität hoch (schwarze Punkte), nach Zugabe des Cannabinoidrezeptor-Agonisten WIN55212-2 (WIN) jedoch
ist sie stark gehemmt. © Prof. Dr. med. Bela Szabo
Neuronale Plastizität
Der CB1-Rezeptor und die Endocannabinoide sind damit Teile eines sogenannten retrograden
Signalsystems. Eine negative Feedback-Schleife mit Beteiligung der Endocannabinoide meldet,
wenn die erregende synaptische Aktivität zu intensiv ist und verringert werden muss. “Es ist
wahrscheinlich die am weitesten verbreitete Form der retrograden Signalübertragung im
Gehirn“, mutmaßt Szabo. Das endocannabinoid-basierte Prinzip ist wichtig für die dauerhafte
Veränderung der Stärke von synaptischen Kontakten, und damit vermittelt es synaptische
Plastizität. Beispielsweise kann eine bestimmte Anfangsaktivität von Synapsen zu einer
Langzeitdepression (LTD) der Synapsen führen, die mehrere Stunden andauern kann, ein
Phänomen, das als wichtige neuronale Grundlage des Gedächtnisses gilt. In vielen Regionen
des Gehirns sind Endocannabinoide für das Zustandekommen der LTD unerlässlich.
Auch in anderen Bereichen des Nervensystems haben Szabo und seine Mitarbeiter die Rolle der
Cannabinoidrezeptoren untersucht, so etwa im peripheren Nervensystem. Hier können
Cannabinoide den Blutdruck beeinflussen. Momentan untersuchen die Freiburger zum Beispiel,
welche Mechanismen die Endocannabinoid-Produktion in den Nervenzellen steuern. Das Gebiet
der Cannabinoidbiologie und -pharmakologie ist dabei nicht nur aus der Perspektive von
Grundlagenforschern interessant, auch die Pharmaindustrie könnte von ihr profitieren. Zum
Beispiel können Cannabinoid-Agonisten schmerzhemmend wirken. Nach Schlaganfällen sind
sie vielleicht auch in der Lage, die Aktivität von Nervenzellen in gefährdeten Bereichen niedrig
zu halten und so die Neuronen vor Langzeitschäden zu schützen. Und auch der CB2-Rezeptor
genießt Aufmerksamkeit. Da er auf der Zellmembran von Immunzellen zu finden ist, könnte
seine Aktivierung dazu führen, dass bestimmte entzündliche Reaktionen gehemmt werden.
Noch sind diese Ansätze allerdings therapeutisch kaum verwertbar. „Das Problem ist
momentan die ubiquitäre Lokalisation der Cannabinoidrezeptoren“, sagt Szabo. „Es ist eine
Herausforderung, Substanzen zu finden, die nur bestimmte Cannabinoidrezeptoren lokal
begrenzt aktivieren oder blockieren und deshalb weniger Nebenwirkungen haben.“
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Fachbeitrag
29.10.2008
mn
BioRegion Freiburg
Weitere Informationen
Prof. Dr. med. Bela Szabo
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Albert-Ludwigs-Universität
Albertstraße 25
79104 Freiburg i. Br.
Tel.: +49-(0)761/203-5312
Fax: +49-(0)761/203-5318
E-Mail: szabo(at)pharmakol.uni-freiburg.de
Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg
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