Artikel vom 2. Juni 2007 - Selbsthilfegruppe Adipositas

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Sa., 2. / So., 3. Juni 2007
BEV1
Bayerwald-Echo/Kötztinger Umschau
LANDKREIS
Teil V
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SPORT
KULTUR
REISE
Der SV Neukirchen b. Hl. Blut
erkennt die Vernunft und wechselt
in die Fußball-Oberpfalz.
Seite 9
Die Galerie „Profil“, ein Dreh- und
Angelpunkt der Kunstszene in
Cham, ist geschlossen.
Seite 5
In die malerischen Abruzzen führt
dieses Mal die Reise der Chamer
Weltenbummler.
Seite 3
Freudentränen vor dem Kaufhaus
„In einem Jahr bin ich wahrscheinlich nur noch
etwas mollig“: Gaby Dahlmann aus Traitsching
hat sich ein Magenband einsetzen lassen
Im Bayerwald-Echo und in der Kötztinger
Umschau berichtet sie über ihre Erfahrungen,
Freuden und Sorgen im Alltag
an die Schüsseln und Pfannen. Mutig
nahm ich einen großen Teller (kleine
gab es keine) und stellte mich zu den
Wartenden. Der Duft der Gerichte
war verführerisch und ließ mir das
Wasser im Mund zusammen laufen,
mein Magen knurrte auffallend!
Dann war ich auch an der Reihe –
ganz langsam nahm ich genau von
den Speisen, die nicht zu fettig und zu
kalorienreich waren, jeweils etwa einen Teelöffel voll und dazu ein Miniputenschnitzel. Es war köstlich! Die
anderen am Tisch waren schon mit ihrer zweiten Portion fertig, als ich
auch langsam den letzten Bissen gekaut hatte. Ich war pumperlsatt und
glücklich!
VON GABY DAHLMANN
LANDKREIS. Was für ein ereignisreicher Monat! Gleich zu Beginn
muss ich gestehen, nur 2,5 Kilogramm abgenommen zu haben. Das
ist nicht gerade viel, aber ich bin dennoch zufrieden und nur ein winziges
bisschen enttäuscht...
Mein Brust-, Taillen- und Bauchumfang hat sich jedoch um gut vier Zentimeter verkleinert. Ich spüre deutlich, wie sich mein Körper an die
neue Gewichtssituation gewöhnen
muss. Diesen Monat habe ich viel geschrieben, das heißt, ich saß viele
Stunden am Tag.
Nun spüre ich diverse Knochen, die
zuvor gut in Fett verpackt waren. Ein
ganz neues Körpergefühl. Durch die
kontinuierliche Abnahme stelle ich
auch deutliche Veränderungen in
meinem Wesen fest. Ich kann wieder
mehr aus mir heraus gehen, aktiver
sein und fröhlicher. Diverse Hemmungen, die ich als fette Frau hatte,
sind verschwunden.
Anflug von Selbstbewusstsein
In einem Anflug massiven Selbstbewusstseins ging ich in Cham in ein
Kaufhaus. Ich wollte sehen, wie ich
auf die schlanken Verkäuferinnen
wirke. Geradewegs ging ich in die
Dessousabteilung. Ich hoffte nicht darauf, etwas Passendes für meine Grö-
Es ist ein riesiger Unterschied
Es ist wirklich ein riesiger Unterschied, ob ich fett oder dick bin! Anfang Mai war ich mit meiner Tochter
in einem Möbelhaus in Regensburg.
Sie suchte für ihre Wohnung neue
Stühle. Als ich vor einem Jahr in diesem Möbelhaus war, traute ich mich
nicht, Stühle, Sofas und Betten zu testen. Es bestand immer die Gefahr, in
einem Stuhl mit den Hüften hängen
zu bleiben oder dass das Bett unter
mir zusammenkrachen könnte.
Selbst harmlose Sofas haben für
Fette ihre Tücken. Wie schnell ist
Nach ihrer Operation verspürt Gaby Dahlmann wieder eine ganz andere Lebensfreude im Alltag – beispielsweise beim Bücherkauf in der Chamer Innenstadt.
Fotos: Betthausen, privat
ße zu finden – aber doch, ich fand einige schöne BH, traf eine Verkäuferin, die mich nicht für einen Elefanten hielt, sondern mir half. Ich probierte einige Sachen an – sie passten!
Ich habe zwar noch nichts gekauft,
will erst noch weiter abnehmen, aber
es war ein unendlich gutes Gefühl,
einfach einmal etwas aus dem Regal
in einem „normalen“ Geschäft nehmen zu können. Ich stand vor dem
Kaufhaus und musste mit Freudentränen kämpfen.
Selbst harmlose Sofas
haben für Fette ihre
Tücken. Wie schnell
ist man in den Polstern
versunken und
das Hochkommen ist
entwürdigend.
man in den Polstern versunken und
das Hochkommen ist entwürdigend.
Ich erinnere mich noch an diese Situationen, in denen ich ächzend,
schnaufend und unter peinlichen Verrenkungen wieder hoch kam. Und
erst die Blicke und Bemerkungen der
anderen Kunden und der Verkäufer!
Diesmal war es ganz anders. Ich habe die meisten Möbel getestet, nur in
die Swingsessel traue ich mich noch
nicht! Es war so eine schöne Erfahrung, ich bin wie ein Kind von Sessel
zu Sessel und von Stuhl zu Stuhl gegangen und habe mich hineingesetzt.
Keine blöden Bemerkungen, keine
doofen Blicke, keine Probleme beim
Aufstehen und kein verdächtiges Knacken unter mir!
Vielen Dank, Herr Unbekannt!
Beim Einladen der gekauften Stühle, kam sogar ein anderer Kunde auf
mich zu und half mir, eine Kiste runter zu heben. Vielen Dank dem Herrn
Unbekannt! Noch im vergangenen
Jahr hat man mir unterstellt: Fett ist
gleich kräftig – also schlepp’ alleine!
Ein paar gesundheitliche Probleme
haben sich aber eingestellt. Durch die
Miniportionen fehlt mir einiges an Vitaminen, Mineralstoffen und Eisen.
Das macht sich in Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Haarausfall bemerk-
Die Eisdielen-Betreiber
sind so nett und geben
mir einen Miniklacks
diverser Fruchteissorten.
So habe ich viel Genuss
und keine Reue.
Kracht das Bett zusammen?
Eine besondere Freude am Tegernsee: „Ich konnte im Garten
auf der Bank sitzen, obwohl der feststehende Tisch sehr nah
stand. Alles keine Selbstverständlichkeit für Dicke.“
bar. Ich habe diverse Präparate ausprobiert, aber leider alle nicht vertragen. Es ist nicht einfach, eine so minimalistische Ernährung vollwertig zu
gestalten.
Es gibt auch diverse Lebensmittel,
die ich nicht mehr vertrage. Das sind
unter anderem frische Äpfel, Vollkornbrot und rohes Gemüse. Außer
Putenfleisch und Hackfleisch kann
ich auch kein Fleisch mehr essen. Bei
diesen Lebensmitteln spielt mein Magen schon nach dem kleinsten Bissen
verrückt. Manchmal nerven mich diese Einschränkungen schon, denn ich
lege großen Wert auf vollwertiges Essen und Rohkost.
Froh bin ich jedoch, dass ich mich
so gut an die Miniportionen und das
ausgiebige Kauen gewöhnt habe.
Samstags gönne ich mir stets ein besonders gutes, ausgiebiges Frühstück.
Seit meiner Operation habe ich
mich viel mit meinem Essverhalten
beschäftigt. Ich bin esssüchtig! Eine
harte Wahrheit und eine schreckliche
Sucht. Denn: Es gibt keine Sucht, die
solche Auswirkungen hat. Alle ande-
„Samstags gönne ich mir stets ein besonders gutes und ausgiebiges Frühstück“, schreibt Gaby Dahlmann. Was darunter
zu verstehen ist, ist auf diesem Bild zu sehen.
ren Süchte, ob Alkohol oder Drogen,
werden anerkannt, aber die Esssucht
ist immer noch ein Stiefkind. „Iss halt
nicht so viel!“, heißt es – und dabei
gibt es keine Alternative zum Essen.
Essen kann man nicht weglassen oder
durch etwas anderes ersetzen! Es ist
Nun spüre ich diverse
Knochen, die zuvor gut
in Fett verpackt waren.
Ein ganz neues
Körpergefühl.
ein harter Kampf, und dann wird Esssüchtigen auch noch Labilität und Inkonsequenz vorgeworfen.
Kein Mitleid oder Verständnis –
nur Ablehnung und Verachtung, bis
hin zur Diskriminierung! Keinem Alkoholkranken mutet man zu, ständig
von Alkohol umgeben sein zu müssen
– aber ich muss kochen! Und auf kei-
nen Fall würde man ihn winzige Mengen Alkohol trinken lassen – aber jeder muss essen. Wichtig ist jedoch
auch bei der Esssucht, dass man sie
erkennt und dazu steht. Jetzt beginnt
ja auch wieder die Eiscremezeit – ich
liebe Eiscreme! Und ich esse Eiscreme! Jedoch nur eine halbe Kugel
Fruchteis! Die Eisdielen-Betreiber in
Cham sind so nett und geben mir jeweils einen Miniklacks diverser
Fruchteissorten. So habe ich viel Genuss und keine Reue.
Mitte Mai hatte ich eine echte Prüfung zu bestehen! Mit unserem französischen Austauschschüler ging es
zum Abschluss gemeinsam mit Schülern, Gasteltern und Gastschülern in
ein Restaurant. Es gab ein Gemüseund Nudelbuffet! Ich hatte richtig
Angst davor. Ein köstliches Buffet
und ich? Das konnte nicht gut gehen!
Am liebsten hätte ich die Jungs nur
abgesetzt und wäre wieder nach Hause gefahren. Nein, ich bin doch kein
Feigling! Dreimal tief Luft geholt und
hinein in die Höhle der Versuchungen! Nach den üblichen Reden ging es
Über das verlängerte Wochenende
fuhr ich mit meinem Mann an den Tegernsee. Wir hatten eine Ferienwohnung gebucht. Dicke werden meinen
ersten Gedanken beim Betrachten der
Betten verstehen – kracht es auch
nicht unter mir zusammen? In der
ersten Nacht lag ich sehr, sehr ruhig
und wurde bei jedem Knacken wach.
Aber: Es hat gehalten!
Während des Kurzurlaubs erlebte
ich auch die neue Freiheit, vom Essen
unabhängiger zu sein. Früher musste
ich mal kurz hier bei einem Bäcker
anhalten oder dort mal einen kleinen
Imbiss einnehmen. Diesmal reichten
für eine Tagestour ausreichend Wasser, eine Banane und ein Brötchen.
Statt zu essen hatte ich Zeit, die herrliche Landschaft zu genießen.
Leider machten mir die Knieschmerzen die Hoffung auf eine Wanderung zunichte. Aber ich habe es geschafft, in der Rosenheimer Fußgängerzone eine Stunde zu bummeln und
auf dem Hohen-Asten-Pass eine Anhöhe hoch zu steigen. Ich hoffe so
sehr, dass ich mit noch weniger Gewicht besser gehen kann. Noch habe
ich viele Kilos mit mir herumzuschleppen, und ich bin weit entfernt
von einem vernünftigen BMI, aber
ich bin auf dem Weg! Ich gebe nicht
auf – in einem Jahr bin ich wahrscheinlich nur noch etwas mollig! Mal
sehen, wie es weitergeht. Mein erster
Sommer mit Magenband ...
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