11. Vorlesung / 18. 1. 2000 Unterscheide zwischen: * Einrichtungen (z.B. Tagesklinik) und * Diensten (z.B. mobiler Psychiater) Sektorisierung: (bei GEMEINDENAHER PSYCHIATRIE) in bestimmter Region arbeiten alle Einrichtungen und Dienste zusammen Vorteil: -> Patientenschicksale können differenzierter und angepaßter behandelt werden -> Dauer der Intervention ist länger (Grund: Versorgungssystem geht denen, die Hilfe brauchen, aktiv entgegen; vgl. Niedrigschwelligkeit; Informationen über diverse Störungen z.B. in Zeitschriften, Zeitungen, TV, usw.) * Interventionsbeginn früher * Interventionsende später, Nachbetreuung (früher: Rausschmiß aus Krankenhaus); bessere Zusammenarbeit mit praktischen Ärzten -> gleitendes Betreuungsende TRADITIONELLES SYSTEM: Interventionsbeginn vom Patienten veranlaßt -> oft erst nach Katastrophe in Psychiatrie (d.h. Interventionsbeginn von außen eingeleitet) GEMEINDENAHE PSYCHIATRIE: Interventionsbeginn vom System mitorganisiert; man geht den Patienten entgegen; Interventionsende mit dem Patienten übereingestimmt (kann er schon hinaus oder nicht? was macht er hinterher? -> mehr „Aushandeln“ mit dem Patienten!) [Sozialversicherung in Österreich relativ gut; Medikamente werden bezahlt; Probleme aber mit Wohnheimfinanzierung, etc.; vgl. Wohnheim „Bettina“ als „Lebensschule“ -> wird im SS besprochen!) Vergleiche Lage in Wien mehr Geld aber: keine Verbindung von drinnen und draußen Niederösterreich wenig Geld Verbindung von drinnen und draußen -> Vorteil: Blockieren des Abschiebens Prinzip = „unité de soine“ (=Einheit der Betreuung!) ZUSAMMENHANG ZWISCHEN PSYCHOTHERAPIE UND SOZIALPSYCHIATRIE 1. Pharmakologische Therapie und sozialpsychiatrisches Konzept: beide passen gut zueinander gemeinsamer Ausgangspunkt = Vulnerabilitätskonzept (Verletzlichkeit = vorhanden; bei Belastung von außen -> Ausbruch z.B. von SCHIZOPHRENIE [Merke: Schizophrenie = primär kognitive Störung, Informationsverarbeitungsstörung] * medikamentöse Therapie dagegen = Pulver (-> atypische Neuroleptika) Zusätzlicher Faktor = Einfluß der Familie (vgl. Expressed emotions), daher auch * sozialpsychiatrische Therapie (-> Arbeit mit der Familie; Einweisung in Tagesklinik) zu Medikamente: Neuroleptika -> Blockade der Dopaminsynapsen; ABER: Medikamente beeinflussen nicht die Persönlichkeit; sie verbessern aber die Symptome -> Patient wird so der Psychotherapie erst zugänglich Streit zwischen Biopsychologie und Psychotherapie: Substanzen beeinflussen Gehirn (vgl. Tollkirsche / Belladonna), dadurch Veränderung der Persönlichkeit ABER: Veränderung der Persönlichkeit -> Einfluß auf das Gehirn ? 2. Psychotherapeutisches Modell und sozialpsychiatrische Konzepte: Psychotherapeutisches Modell: Persönlichkeit = durch Erlebnisse geprägt sozialpsychiatrisches Modell: Persönlichkeit = durch Umwelt geprägt NEU: Gehirn ist nicht erst mit ca. 15 Jahren fertig ausgebildet, sondern auch später noch immer Ausbildung von Axonen, zusätzlichen Verschaltungen möglich! In Österreich gibt es 19 anerkannte psychotherapeutische Schulen (Zulassung festgelegt durchs Gesundheitsministerium); in Wirklichkeit gibt’s auf der ganzen Welt ca. 2000 verschiedene => Riesenchaos! BEISPIELE: * Psychoanalyse (-> Abzielen auf Persönlichkeitsstruktur; will gesund machen durch deren Veränderung) * VHT / Kognitive Therapie (-> Ausgangspunkt = Lernen; Verhalten = gelernt -> kann daher wieder verlernt werden -> Arbeit mit Konditionierung, Verstärkern, usw.; 70-80% der Patienten kann dadurch geholfen werden) * Gesprächstherapie (von CARL ROGERS; ist eine nicht-direktive Therapie OHNE Theorie im engeren Sinn; Patient soll im Gespräch dazu gebracht werden, über sich selbst zu reden; z.B. für Lebensentwicklungskrisen) MERKE: * Biopsychologie und psychologische Psychiatrie = am Individuum orientiert * Sozialpsychiatrie = am sozialen Netz orientiert Unterschied auch in den Methoden: * Abstinenzregel in Klassischen Psychoanalyse (Umgebung des Patienten nur in Phantasien des Patienten bzw. im Gespräch des Patienten) => So etwas gibt es in der Sozialpsychiatrie nicht (Sozialpsychiatrie nimmt Kontakt mit der Umwelt des Patienten auf -> arbeitet mit dessen Familie; sektorisches Vorgehen -> Hinausgehen ins „Feld“, vgl. z.B. ständiges Herumgefahre zwischen Mistelbach und Hollabrunn) zu Zettel Nr. 7: PSYCHOTHERAPIEVERFAHREN ad 1) organismische oder physiotrope Verfahren: = Methoden, die primär auf den Körper gerichtet sind: * autogenes Training (sozialpsychiatrisch wichtig für Angststörung, psychosomatische Störungen - z.B. für Schmerzpatienten) * Hypnose (= primär eine Entspannungsmethode!) Unterschied dazwischen: Entspannung beim autogenen Training vom Betroffenen selbst herbeigeführt, bei Hypnose durch einen anderen beim Patienten herbeigeführt Beides vor allem für psychosomatische Erkrankungen, Angststörung => also überall dort, wo körperliche Symptome vorkommen (vgl. flight-fight-Reaktion) Beide = symptomorientiert [ubw. Interaktionen = Übertragungen ubw. Produktionen = Träume, freie Assoziationen] ad 4) Verhaltenstherapie: Expositionstherapie -> in vivo; auch sozialpsychiatrisch nutzbar wegen Übung diverser Fähigkeiten im praktischen Leben (z.B. bei Sozialphobie -> Straßenbahnfahren; UnterwäscheNICHTkauf bei Palmers, etc.) Vor 50er Jahren: Verhaltenstherapeuten waren die ersten, die in psychiatrische Großkrankenhäuser gingen, und zwar zu chronischen Patienten (Errichtung eines Verstärkersystems = token-system: bei erwünschtem Verhalten bekommt Patient Münze, mit der er sich in Spezialladen etwas kaufen kann) [Kognitive VHT -> Ändern von Gedanken] ad 5) Nicht-direktive Psychotherapie: = Gesprächstherapie (= Selbstexploration des Patienten); für Sozialpsychiatrie wichtig -> Vermittlung von therapeutischem Verhalten, das für ALLE Beziehungen wichtig ist, nämlich: * Echtheit, * emotionale Wärme * Empathie => Respekt vor dem Patienten (Er ist NICHT Objekt einer Theorie!) ad 6) Psychoanalyse: Übertragung: bestimmtes Verhaltensmuster wird am falschen Ort zur falschen Zeit in bestimmte Situation hineinprojeziert Gegenübertragung: Übertragung des Therapeuten dem Patienten gegenüber Sozialpsychiatrisch relevant = man lernt, falsche Gleichungen zu erkennen und zu bearbeiten; Übertragungsneurose erkennen, usw. bla bla ABER: Psychoanalyse selbst ist NICHT sozialpsychiatrisch orientiert (-> lange Dauer; -> keine aktuelle Situation wird bearbeitet; -> ist patientenzentriert)