B. Abgrenzung kündigungsrelevanter und

Werbung
Funktion des
Wiedereinstellungsanspruchs
im Kündigungsschutzrecht
Entwurf zum gesamten
Themenkomplex
Entwurf.doc
Kim-Thorben Bülow
-I-
Inhaltsübersicht
INHALTSÜBERSICHT ..........................................................I
INHALTSVERZEICHNIS ................................................... VII
LITERATURVERZEICHNIS ............................................XXX
A. PROBLEMSTELLUNG ...................................................1
I.
Die Prognose als Grundlage der
Arbeitgeberkündigung.......................................................1
II. Der Wiedereinstellungsanspruch als wertender
Interessenausgleich bei Widerlegung der
Prognose ............................................................................2
III. Abgrenzung des prognosebedingten
Wiedereinstellungsanspruchs von sonstigen
Wiedereinstellungsansprüchen ........................................3
IV. Praktische Relevanz in der Rspr. des BAG ......................6
V. Begrifflichkeiten............................................................... 15
VI. Gang der Untersuchung .................................................. 17
B. ABGRENZUNG KÜNDIGUNGSRELEVANTER
UND WIEDEREINSTELLUNGSRELEVANTER
UMSTÄNDE ..................................................................18
I.
Dogmatik zum Beurteilungszeitpunkt für die
Wirksamkeit der Kündigung............................................ 18
- II -
II. Anwendung auf problematische Fälle............................ 43
C. DOGMATISCHE GRUNDLAGE EINES
WIEDEREINSTELLUNGSANSPRUCHS...................... 71
I.
Entwicklung der Rechtsprechung .................................. 71
II. Prinzipielle Einwände gegen einen
Wiedereinstellungsanspruch .......................................... 72
III. Ansätze aus dem allgemeinen Vertragsrecht ................ 74
IV. Ansätze aus dem Arbeitsrecht im allgemeinen ........... 100
V. Ansätze aus dem Kündigungsschutzrecht .................. 114
VI. Ansätze aus dem Betriebsübergangsrecht bei
vermeintlichen Betriebsstillegungen ........................... 124
VII. Ansätze aus dem Bereich der Verdachts- und
Druckkündigung ............................................................ 144
VIII.Vorschlag für eine kündigungsschutzrechliche Begründung
D. ERFORDERNIS EINER
BESTANDSSCHUTZVERNICHTENDEN
ARBEITGEBERKÜNDIGUNG .................................... 177
I.
Einwendung fehlenden Kündigungsschutzes ............. 177
II. Prognosekorrektur bei befristetem
Arbeitsverhältnis? ......................................................... 180
III. Prognosekorrektur nach anderen
Beendigungstatbeständen?.......................................... 184
172
- III -
E. REICHWEITE DER
WIEDEREINSTELLUNGSPFLICHT ...........................201
I.
Unerwartet erhalten gebliebener, frei gewordener
und neu entstandener Arbeitsplatz .............................. 201
II. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit entspr. §
1 II 2 Nr. 1 b) und Nr. 2 b) KSchG .................................. 201
III. Zumutbare Umschulungs- oder
Fortbildungsmaßnahmen entspr. § 1 II 3 KSchG ......... 208
F. FALLGRUPPEN DES
WIEDEREINSTELLUNGSANSPRUCHS ....................211
I.
Prinzipielle Korrekturmöglichkeit bei allen
Kündigungsgründen...................................................... 211
II. Betriebsbedingte Kündigung ........................................ 212
III. Verhaltensbedingte Kündigung .................................... 260
IV. Personenbedingte Kündigung ...................................... 277
G. GRENZEN DER
WIEDEREINSTELLUNGSPFLICHT ...........................296
I.
Sachliche Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs ...................................... 297
II. Zeitliche Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs ...................................... 360
III. Besondere Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs nach
Sonderkündigungsgründen .......................................... 455
- IV -
IV. Anspruchsverzicht durch Eingehung bzw.
Nichtaufgabe eines Zwischenarbeitsverhältnisses..... 464
H. WAHRUNG DER BESITZSTÄNDE ............................ 467
I.
Inhalt des Anschlussarbeitsverhältnisses................... 467
II. Zeitpunkt der Entstehung des neuen
Arbeitsverhältnisses durch den Vollzug des
Wiedereinstellungsanspruchs ...................................... 471
III. Ansprüche für die Zeit zwischen der Entstehung
des Wiedereinstellungsanspruchs und seiner
Verwirklichung............................................................... 477
I. BESCHRÄNKTER
WIEDEREINSTELLUNGSANSPRUCH ...................... 484
I.
Wiedereinstellungsanspruch zu geänderten
Arbeitsbedingungen...................................................... 484
II. Anspruch auf befristete Wiedereinstellung ................. 486
J. PROZESSUALE DURCHSETZUNG .......................... 490
I.
Verhältnis von Kündigungsschutzklage und
Wiedereinstellungsklage............................................... 490
II. Klageantrag.................................................................... 494
III. Keine Klagefrist ............................................................. 512
IV. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast...................... 514
K. ZUSAMMENFASSUNG DER WESENTLICHEN
ERGEBNISSE............................................................. 519
-V-
SACH- UND PARAGRAPHENVERZEICHNIS.................543
- VI -
- VII -
Inhaltsverzeichnis
INHALTSÜBERSICHT ..........................................................I
INHALTSVERZEICHNIS ................................................... VII
LITERATURVERZEICHNIS ............................................XXX
A. PROBLEMSTELLUNG ...................................................1
I.
Die Prognose als Grundlage der
Arbeitgeberkündigung.......................................................1
II. Der Wiedereinstellungsanspruch als wertender
Interessenausgleich bei Widerlegung der
Prognose ............................................................................2
III. Abgrenzung des prognosebedingten
Wiedereinstellungsanspruchs von sonstigen
Wiedereinstellungsansprüchen ........................................3
IV. Praktische Relevanz in der Rspr. des BAG ......................6
1. Entwicklung der Rspr.
6
2. Beispielhafte Entscheidungen aus jüngerer Zeit
7
3. Fazit
14
V. Begrifflichkeiten............................................................... 15
VI. Gang der Untersuchung .................................................. 17
B. ABGRENZUNG KÜNDIGUNGSRELEVANTER
UND WIEDEREINSTELLUNGSRELEVANTER
UMSTÄNDE ..................................................................18
- VIII -
I.
Dogmatik zum Beurteilungszeitpunkt für die
Wirksamkeit der Kündigung ........................................... 18
1. Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung als
alleiniger Beurteilungszeitpunkt – Rspr. und h.L.
19
2. Rückwirkung der weiteren Entwicklung auf die
Wirksamkeit der Kündigung – M.M.
20
a) Ex-Post-Beurteilung der Kündigungswirksamkeit
20
b) Begrenzung auf innerhalb der Kündigungsfrist neu
auftauchende Umstände
21
c) Praktische Auswirkungen gegenüber der
Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs
22
3. Kritische Würdigung
a) Überlegungen aus der Rechtsgeschäftslehre
24
24
(1) Wirksamwerden von Willenserklärungen im Zeitpunkt
ihres Zugangs
24
(2) Bedingungsfeindlichkeit der Kündigung als
Gestaltungsrecht
25
(3) Verhältnis von Gestaltungsrecht und
Gestaltungsklagerecht
28
(4) Ausnahmecharakter zivilrechtlicher Sonderregelungen
30
b) Überlegungen aus dem Arbeitsrecht
31
(1) Vorgaben der §§ 4, 7 KSchG
31
(2) Ambivalenz eines verschobenen
Beurteilungszeitpunktes
32
(3) Anhörungsrecht des Betriebsrats
32
c) Alternative Überlegungen
35
(1) Rechtsmissbrauch bei Berufung auf die wirksame
Kündigung?
35
(2) Widerrufliche bedingte Kündigung?
37
(a)
Verschiebung des Beurteilungszeitpunktes
(b) Unvereinbarkeit mit dem Prognoseprinzip
d) Schlussfolgerung
37
40
42
- IX -
4. Konsequenz – Unterscheidung zwischen
kündigungsbeachtlichen und unbeachtlichen
Umständen
42
II. Anwendung auf problematische Fälle ............................ 43
1. Abgrenzung der Stillegungskündigung von der
Kündigung wegen des Betriebsübergangs
a) Ausgangspunkt
43
44
(1) Prüfungsmaßstab bei inner- und außerbetrieblichen
Kündigungsgründen
44
(2) Soziale Rechtfertigung der Kündigung durch die bloße
Absicht der Realisierung einer
Unternehmerentscheidung
46
b) Rspr. von den „greifbaren Formen“
47
c) Stellungnahme
48
2. Nachträgliche Erkenntnisse bei der
krankheitsbedingten Kündigung
49
a) Ausgangspunkt: Wirksamwerden der Kündigung
als Beurteilungszeitpunkt
50
b) Maßgeblichkeit der objektiven Sachlage unter
Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisse – 2.
Senat
51
c) Maßgeblichkeit des subjektiven Kenntnisstandes
des Arbeitgebers – LAG Hamm
53
(1) Maßgeblichkeit einer Fehlzeitenprognose anstelle einer
Gesundheitsprognose
54
(2) Maßgeblichkeit des subjektiven Erkenntnisstandes des
Arbeitgebers im Kündigungszeitpunkt
55
d) Revisionsentscheidung des 2. Senats
57
e) Stellungnahme
59
(1) Maßgeblichkeit einer Fehlzeitenprognose aus
Arbeitgebersicht anstelle einer künstlich objektivierten
negativen Gesundheitsprognose
59
(2) Beachtlichkeitkeit nachträglicher Erkenntnisse – keine
Sonderstellung der Fehldiagnosekündigung
59
-X-
3. Nachträgliche Erkenntnisse bei der
Verdachtskündigung
62
a) Nachschieben erst im Kündigungsschutzprozess
gewonnener Erkenntnisse über die im
Kündigungszeitpunkt vorliegenden objektiven
Verdachtsmomente – 2. Senat
62
b) Alleinige Maßgeblichkeit der zum
Kündigungszeitpunkt dem Arbeitgeber bekannten
objektiven Verdachtsmomente
65
c) Stellungnahme
68
C. DOGMATISCHE GRUNDLAGE EINES
WIEDEREINSTELLUNGSANSPRUCHS...................... 71
I.
Entwicklung der Rechtsprechung .................................. 71
II. Prinzipielle Einwände gegen einen
Wiedereinstellungsanspruch .......................................... 72
III. Ansätze aus dem allgemeinen Vertragsrecht ................ 74
1. Parallelen zur Neubegründung von
Vertragsverhältnissen aus Treu und Glauben
74
2. (Nachwirkende) Fürsorgepflicht /
Interessenwahrungspflicht
76
a) Begrifflichkeiten vertragsrechtlicher Ansätze
76
b) Begrenzung auf den Ablauf der Kündigungsfrist
77
c) Neubegründung vertraglicher Hauptpflichten als
Rechtsfolge einer bloßen Nebenpflichtverletzung
81
d) Stellungnahme
85
3. Verletzung einer allgemeinen Unterstützungs- und
Zusammenarbeitspflicht während laufender
Kündigungsfrist
86
4. Verbot widersprüchlichen Verhaltens - Venire contra
factum proprium
88
5. Rechtsmissbrauch und Reuerechtsausschluss
92
- XI -
a) Fehlendes schutzwürdiges Eigeninteresse
92
b) Parallele zum Anfechtungsrecht
95
c) Stellungnahme
98
6. Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – § 826 BGB
99
7. Stellungnahme
99
IV. Ansätze aus dem Arbeitsrecht im allgemeinen ........... 100
1. Vertrauensschutz und Sphärengedanke
100
a) Auffassung des 2. Senats
100
b) Differenzierung nach Kündigungsgründen
101
c) Kritik
102
d) Stellungnahme
104
2. Freie Wahl des Arbeitsplatzes - Art. 12 I GG
105
a) Begründungsmuster der Rspr.
105
b) Schutzpflichtfunktion und Interessenkollision
106
c) Stellungnahme
109
(1) Keine Verletzung des Untermaßverbots
109
(2) Arbeitsplatzwahlfreiheit der externen Bewerber
110
3. Gleichbehandlungsgrundsatz
112
4. Fazit
114
V. Ansätze aus dem Kündigungsschutzrecht .................. 114
1. Praktische Konkordanz von Vertrauensschutz und
Rechtssicherheit
114
2. Korrektur der prognosebedingten Risikoverteilung
oder Prinzip der Rechtssicherheit
115
a) Korrekturbedürftigkeit des Prognoserisikos –
Sphärengedanke
115
b) Korrekturbelastetes prognosebedingtes
Kündigungsrecht?
117
c) Parallele zur Korrektur der prognosebedingten
Risikoverteilung beim Aufhebungsvertrag nach den
Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage
118
- XII -
3. Schutzzweck des Kündigungsschutzgesetzes
120
4. Systemimmanente Rechtsfortbildung des
Kündigungsschutzgesetzes
121
5. Fazit
123
VI. Ansätze aus dem Betriebsübergangsrecht bei
vermeintlichen Betriebsstillegungen ........................... 124
1. Ausgangspunkt
124
a) Reichweite des Kündigungsverbots aus § 613a IV 1
BGB
124
b) Verhältnis von § 613a IV 1 BGB und § 1 KSchG
126
c) Wirksamkeit der Kündigung und unerwarteter
Betriebsübergang
127
2. Richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB – 8.
Senat
128
3. Schrifttum
130
a) Fürsorge- / Interessenwahrungspflicht
130
b) Venire contra factum proprium
131
c) Richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB
132
d) Teleologische Extension des § 613a BGB
133
4. Stellungnahme
a) Keine Vorgaben der Betriebsübergangsrichtlinie
2001/23/EG für einen Wiedereinstellungsanspruch
135
135
(1) Zielsetzung der Richtlinie
135
(2) Keine Grundlage für eine richtlinienkonforme
Auslegung des § 613a BGB
137
b) Teleologische Extension des § 613a BGB als
tauglicher Erklärungsansatz dieser Fallgruppe
139
(1) Schutzzweckzusammenhang bei Erhaltenbleiben des
Arbeitsplatzes
139
(2) Keine Anwendbarkeit bei bloß anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeit
143
- XIII -
VII. Ansätze aus dem Bereich der Verdachts- und
Druckkündigung ............................................................ 144
1. Verdachtskündigung
a) Grundlagen der Kündigungsbefugnis
144
144
(1) Voraussetzungen der Verdachtskündigung
144
(2) Kündigungsanforderung: Verdacht der Tatbegehung
146
(3) Kündigungsrechtfertigung: verdachtsbedingter
Vertrauenswegfall
146
(4) Inhalt des Prognoseprinzips bei der
Verdachtskündigung
148
(a)
Prognose über den späteren Tatnachweis gegen den in
Verdacht geratenenen Arbeitnehmer?
(b) Prognose über die Wiederholungsgefahr?
(c)
Prognose über die Haltbarkeit der wesentlichen
Verdachtsmomente?
(d) Stellungnahme
b) Dogmatische Begründungsansätze für den
Wiedereinstellungsanspruch
148
149
150
150
152
(1) Nachwirkende Fürsorgepflicht
152
(2) Sittenwidrigkeit der Nichtwiedereinstellung - §§ 826,
249 S. 1 BGB
154
(3) Aufopferungsanspruch - § 904 S. 2 BGB entspr.
155
(4) Rechtsmissbrauch bei Nichtachtung des
Rehabilitationsinteresses
156
(5) Schutzwürdiges Vertrauen auf die Nichtausnutzung
einer überschiessenden Rechtsmacht
157
(6) Gedanke der Wiedergutmachung: Menschenwürde,
allgemeines Persönlichkeitsrecht, Sozialstaatsprinzip –
Artt. 1 I, 2 I, 20 I GG
158
(7) Kritische Würdigung der Wiedereinstellungspflicht
159
c) Ausgestaltung des Wiedereinstellungsanspruchs
162
(1) Anforderungen an die Rehabilitierung –
„Reinigungsbeweis“ und Einstellung eines
Ermittlungsverfahrens
162
(2) Verhalten des verdächtigen Arbeitnehmers
165
(3) Ehrenerklärung und Wiedereinstellungsanspruch
165
- XIV -
2. Druckkündigung
167
3. Stellungnahme
169
a) Rehabilitierungsanspruch auf der Grundlage von
Artt. 1 I, 2 I GG
169
b) Anlehnung der Fehldiagnosekündigung an die
Verdachtskündigung?
171
VIII.Vorschlag für eine kündigungsschutzrechliche Begründung
1. Prognosebedingter Wiedereinstellungsanspruch
172
2. Ergänzende Überlegungen nach prognosewidrigem
Betriebsübergang
174
3. Ergänzende Überlegungen nach Verdachts- und
Druckkündigung
176
D. ERFORDERNIS EINER
BESTANDSSCHUTZVERNICHTENDEN
ARBEITGEBERKÜNDIGUNG .................................... 177
I.
Einwendung fehlenden Kündigungsschutzes ............. 177
II. Prognosekorrektur bei befristetem
Arbeitsverhältnis? ......................................................... 180
III. Prognosekorrektur nach anderen
Beendigungstatbeständen?.......................................... 184
1. Problemstellung
184
2. Allgemeiner Rechtsgedanke einer Gleichbehandlung
auf individualrechtlicher Ebene?
185
3. Aufhebungsverträge im Zusammenhang mit einem
Betriebsübergang
186
a) Wiedereinstellungsanspruch beim
bestandskräftigen echten Aufhebungsvertrag trotz
unerwarteten Betriebsübergangs?
186
(1) Begrenzter Schutzzweck des § 613a BGB
186
(2) Parallele zum Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers
189
172
- XV -
b) Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 III BGB)
beim echten Aufhebungsvertrag
190
(1) Voraussetzungen
190
(2) Rechtsfolge
192
c) Sonderproblem des vom Arbeitgeber veranlassten
Aufhebungsvertrages bzw. der von ihm
veranlassten Eigenkündigung - § 123 BGB
194
(1) Informationsasymmetrie
194
(2) Entsprechende Anwendung von § 613a BGB?
195
(a)
Gleichbehandlung von „veranlasster“ Eigenkündigung bzw.
„veranlasstem“ Aufhebungsvertrag mit der
Arbeitgeberkündigung?
195
(b) Parallele zur Anwendung des arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatzes im Hinblick auf
differenzierende Sozialplanansprüche?
196
(c)
197
Vertragsfreiheit in den Grenzen des § 123 BGB
(d) Objektive Gesetzesumgehung - §§ 613a, 134 BGB?
(3) Fazit
198
199
E. REICHWEITE DER
WIEDEREINSTELLUNGSPFLICHT ...........................201
I.
Unerwartet erhalten gebliebener, frei gewordener
und neu entstandener Arbeitsplatz .............................. 201
II. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit entspr. §
1 II 2 Nr. 1 b) und Nr. 2 b) KSchG .................................. 201
III. Zumutbare Umschulungs- oder
Fortbildungsmaßnahmen entspr. § 1 II 3 KSchG ......... 208
F. FALLGRUPPEN DES
WIEDEREINSTELLUNGSANSPRUCHS ....................211
I.
Prinzipielle Korrekturmöglichkeit bei allen
Kündigungsgründen...................................................... 211
- XVI -
II. Betriebsbedingte Kündigung........................................ 212
1. Fehlprognose und widerlegte Prognose
212
a) Fehlprognose
212
b) Neue Unternehmerentscheidung trotz zutreffender
Prognose
213
c) Widerlegte Prognose
216
2. Anforderungen an die Widerlegung der Prognose Gewissheit einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
216
3. Wiedereinstellung nach Betriebsübergang
217
a) Klassischer Betriebsübergang
217
(1) Ausgangspunkt – Kenntnis der Vertragsparteien
218
(2) Zeitpunkt der Widerlegung der Prognose
218
b) Betriebsübergang durch Übernahme des
wesentlichen Teils des Personals
219
(1) Rechtsprechung zur willentlichen Übernahme eines
nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des
Personals in den Fällen der Funktionsnachfolge
219
(2) Gestreckter Tatbestand des Betriebsübergangs
221
(3) Willentliche Übernahme von Arbeitnehmern und
Kontrahierungszwang
223
(4) Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit
durch Übernahme des wesentlichen Teils des
Personals im Anschluss an eine Funktionsnachfolge
224
(5) Prozessuale Besonderheiten
227
(a)
Prozessvarianten
(b) Parteiwechsel im laufenden Kündigungsschutzverfahren
(6) Kritische Würdigung des Betriebsübergangs in den
Fällen der Funktionsnachfolge
c) Sanierungsnotwendigkeit und
Wiedereinstellungspflicht
227
228
229
232
(1) Beurteilungszeitpunkt für das Kündigungsverbot aus §
613a IV 1 BGB
232
(2) Verwirklichung von Rationalisierungskonzepten i.S.v. §
613a IV 2 BGB durch den Veräußerer oder den Erwerber
- Parallelbetrachtung
233
- XVII (a)
Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts
(b) Rationalisierungskonzept nach unerwartetem
Betriebsübergang
(c)
Vergleich zwischen beiden Konstellationen
(3) Stellungnahme
d) Geltendmachung gegen den Erwerber
233
235
237
241
250
(1) Fortsetzungs- / Wiedereinstellungsanspruch gegen den
Erwerber
250
(2) Wiedereinstellungsanspruch gegen den Veräußerer
250
e) Wiedereinstellungsanspruch bei übertragender
Sanierung durch den Insolvenzverwalter
253
(1) Geltung der Betriebsübergangsrichtlinie und des §
613a BGB in der Insolvenz
253
(2) Geltung des § 613a BGB in der Insolvenz
254
(3) Bedeutung des § 613a IV 1 BGB in der Insolvenz
255
(4) Konsequenzen für den Wiedereinstellungsanspruch im
Falle der Betriebsveräußerung in der Insolvenz
255
(a)
Rspr. - Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz
255
(b) Schrifttum
257
(c)
259
Stellungnahme
III. Verhaltensbedingte Kündigung .................................... 260
1. Geltung und Inhalt des Prognoseprinzips
260
2. Abmahnung und Prognoseprinzip
261
3. Verfehlungen im Bereich vertraglicher Hauptpflichten
– Störungen im Leistungsbereich
264
4. Verfehlungen im Bereich vertraglicher Nebenpflichten
– Störungen im Ordnungs- und Vertrauensbereich
265
a) Unbeachtliches Wohlverhalten während der
Kündigungsfrist
265
b) Schwere Verfehlung und widerlegte
Wiederholungsgefahr
267
(1) Prognoseprinzip, Sanktionsprinzip, Prinzip der
Zukunftsbezogenheit
269
(2) Unwiderlegbarkeit der kündigungsbegründenden
Prognose
271
- XVIII (3) Nichtgeltung des Prognoseprinzips für die
Tatkündigung – Kein Wiedereinstellungsanspruch
274
c) Schwere der zu fordernden Tat –
Missbrauchsprävention mittels Ausklammerung
von Alltagserscheinungen
275
d) Fazit
276
IV. Personenbedingte Kündigung...................................... 277
1. Wirksamkeit der Kündigung
277
2. Entwicklung der Rechtsprechung zum
Wiedereinstellungsanspruch
280
3. Sphärenbezogenheit der Kündigung und
Wiedereinstellungsanspruch
282
4. Entbehrlichkeit der Prognose wegen vergangener
Vertragsverletzung?
284
5. Voraussetzungen des Wiedereinstellungsanspruchs
nach krankheitsbedingter Kündigung
285
a) Entkräftung der negativen Fehlzeitenprognose
286
b) Widerlegung der negativen durch eine positive
Fehlzeitenprognose
286
c) Stellungnahme
287
d) Anforderungen an die Widerlegung der
Fehlzeitenprognose am Beispiel der Kündigung
wegen Alkoholsucht
289
G. GRENZEN DER
WIEDEREINSTELLUNGSPFLICHT ........................... 296
I.
Sachliche Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs ...................................... 297
1. Eingeschränkte Dispositionsfreiheit
297
a) Zumutbarkeit und Interessenabwägung
298
b) Freie Unternehmerentscheidung und Wegfall von
Arbeitsplätzen
299
- XIX -
c) Dispositionen vor dem Ablauf der Kündigungsfrist
300
d) Genereller Vorrang arbeitgeberseitiger
Dispositionen oder Pflicht zur Freikündigung bei
mangelnder Schutzwürdigkeit?
301
e) Schutzwürdigkeit arbeitgeberseitiger Dispositionen
304
(1) Schutzwürdigkeit von Dispositionen vor der
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
304
(2) Eingeschränkte Schutzwürdigkeit von Dispositionen
nach der Widerlegung der kündigungsbegründenden
Prognose
305
(a)
Schutzwürdigkeit gutgläubiger Dispositionen des
Arbeitgebers
(b) Maßstab für den guten Glauben an den Fortbestand des
Kündigungsgrundes
i)
ii)
(c)
306
Keine Bösgläubigkeit schon bei (grob) fahrlässiger
Unkenntnis vom Wegfall des Kündigungsgrundes – Keine
Anwendung von §§ 122 II, 932 II BGB entspr.
306
Bösgläubigkeit erst bei positiver Kenntnis des
Arbeitgebers - §§ 892, 162 II BGB entspr.
306
Schutzwürdigkeit von Dispositionen nach betriebsbedingter
Kündigung oder generelle Bösgläubigkeit?
(d) Vorrang „bösgläubiger“ Rationalisierungskonzepte
f)
305
Pflicht zur „umfassende Interessenabwägung“?
2. Betriebsbedingte Kündigung mehrerer Arbeitnehmer Wiedereinstellung nach sozialen Gesichtspunkten?
308
310
311
313
a) Problemstellung
313
b) Entwicklung der Rspr.
314
c) Maßstab der §§ 315, 242 BGB
318
d) Maßstab des § 1 III KSchG analog
318
e) Kein freies Ermessen
320
f)
321
Vergleichsgruppe der Sozialauswahl
g) Stellungnahme
322
(1) Sozialauswahl analog § 1 III KSchG
322
(2) Regelmäßig keine Einbeziehung der
Gesamtbelegschaft in die Sozialauswahl – Vergleich
unter den für eine Wiedereinstellung in Betracht
kommenden Arbeitnehmern
323
- XX (3) Ausnahmsweise Einbeziehung der Gesamtbelegschaft
in die Sozialauswahl bei zunächst beabsichtigter
Betriebsstillegung mit der Konsequenz einer fehlenden
Sozialauswahl im Kündigungszeitpunkt
324
(4) Gegenausnahme in den Fällen des Betriebsübergans
durch willentliche Einstellung eines wesentlichen Teils
der Belegschaft des Funktionsvorgängers
325
(5) Sozialauswahl ohne Rücksicht auf unterschiedliche
Entgeltansprüche oder Sozialanwartschaften
326
h) Darlegungs- und Beweislast
327
3. Fehlerhafte Disposition und
Austauschkündigungsbefugnis
327
a) Konsequenzen fehlerhafter Dispositionen
327
b) Recht zur Austauschkündigung
328
c) Rechte des von der Austauschkündigung
betroffenen Arbeitnehmers
332
4. Mitbestimmung nach § 99 I BetrVG?
333
5. Wiedereinstellung trotz Abwicklungsvertrag /
Abkehrvereinbarung / Abfindungsvergleich
337
a) Bedeutung für den Wiedereinstellungsanspruch
337
b) Verzichtswirkung des wirksamen
Abwicklungsvertrages
339
c) Anwendung von § 779 BGB?
341
d) Wegfall der Geschäftsgrundlage
342
(1) Auslegung des Abwicklungsvertrages
(a)
Risikozuweisung an den Arbeitnehmer
(b) Risikozuweisung an den Arbeitgeber
(c)
Einbeziehung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten
in die Geschäftsgrundlage
(d) Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag und
Abfindungshöhe
(e)
(f)
342
343
345
347
348
Keine wertende Gesamtabwägung – Stufenverhältnis
zwischen den Voraussetzungen für eine Beseitigung des
Abwicklungsvertrages und den Voraussetzungen des
Wiedereinstellungsanspruchs
349
Vorrang einer Vertragsauslegung nach den Umständen des
Einzelfalls anstelle einer Regelvermutung
351
- XXI (2) Beseitigung des Abwicklungsvertrags als Rechtsfolge
des Wegfalls der Geschäftsgrundlage –
Wiedereinstellungsanspruch nach allgemeinen Regeln
352
(3) Keine zeitliche Begrenzung eines Wegfalls der
Geschäftsgrundlage auf den Lauf der Kündigungsfrist
353
(4) Keine Wiedereinstellung ohne Rückabwicklung des
Abwicklungsvertrages
354
(5) Darlegungs- und Beweislast
356
6. Sachliche Grenzen im Überblick
357
II. Zeitliche Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs ...................................... 360
1. Problemstellung – Reichweite der dogmatischen
Grundlage
360
2. Frist für die Entstehung des Anspruchs
361
a) Entwicklung der Rechtsprechung des BAG
361
b) Anspruchsentstehung nur innerhalb laufender
Kündigungsfrist – h.M.
364
(1) Anspruchsentstehung vor Ablauf der Kündigungsfrist
– Gleichlauf von Kündigungsfrist und
Wiedereinstellungsoption entsprechend dem
Rechtsgedanken des § 1 III KSchG
364
(2) Unbeachtlichkeit der Widerlegung der Prognose nach
Ablauf der Kündigungsfrist
366
(a)
Überblick
(b) Begründung über vertragsrechtliche Ansätze
(c)
Reichweite des kündigungsschutzrechtlichen
Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses
(d) Kritik
c) Anspruchsentstehung auch nach Ablauf der
Kündigungsfrist – M.M.
366
366
367
369
370
(1) Überblick
370
(2) Dauer des Kündigungsschutzprozesses bzw. Frist nach
§ 4 KSchG
372
(3) Keine zeitliche Grenze der Anspruchsentstehung
373
d) Unterscheidung zwischen Veränderungs- und
Stabilitätsprognose – Ansatz von Meinel/Bauer
374
- XXII (1) Wiedereinstellungsanspruch nur als Konsequenz einer
widerlegten Veränderungsprognose
374
(2) Unbeachtlichkeit der Widerlegung der Prognose bereits
nach dem Zeitpunkt ihrer prognostizierten
Verwirklichung
376
(3) Stellungnahme
377
(a)
Nebeneinander von Stabilitäts- und Veränderungsprognose
377
(b) Prognoseinhalt hinsichtlich anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten
378
(c)
379
Unzumutbarkeit des Abwartens der Veränderung
(d) Keine prinzipielle Abhängigkeit der Wiedereinstellung von
nur graduellen Unterschieden zwischen den Prognosearten
e) Stellungnahme
(1) Ungeeignetheit der Kündigungsfrist
(a)
Beispiel Klassischer Betriebsübergang
(b) Beispiel Betriebsübergang durch Übernahme des
wesentlichen Teils der Belegschaft des
Funktionsvorgängers
(c)
Beispiel Betriebsfortführung durch den bisherigen
Betriebsinhaber
(2) Vermeidung einer uferlosen Anspruchsentstehung
(a)
Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen Betriebsübergang
und Betriebsstillegung
(b) Keine zeitlich unbegrenzte Anspruchsentstehung auch nach
anderen Kündigungsgründen
(3) Anspruchsentstehung innerhalb der zeitlichen
Reichweite der kündigungsbegründenden Prognose
(a)
Zeitliche Ausrichtung des Wiedereinstellungsanspruchs an
der Reichweite der kündigungsbegründenden Prognose
(b) Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose mit
festem Bezugspunkt
(c)
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognosen
ohne festen Bezugspunkt
380
381
381
382
384
386
386
386
389
390
390
391
392
i)
Widerlegung innerhalb der Kündigungsfrist
392
ii)
Widerlegung nach dem Entlassungstermin
393
(4) Nach dem Prognosehorizont zu unterscheidende
Prognosearten
(a)
Betriebsbedingte Kündigung
393
393
- XXIII i)
Kombination einer Prognose mit und einer ohne festen
Bezugspunkt
393
ii)
Widerlegung der Prognose des Wegfalls des
Arbeitsplatzes
395
iii)
Widerlegung der Prognose mangelnder anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten
395
(i)
Widerlegung innerhalb der Kündigungsfrist
395
(ii)
Widerlegung nach Ablauf der Kündigungsfrist – Ermittlung des
zumutbaren Überbrückungszeitraums nach dem
Entlassungstermin
396
iv)
Lösung der Ausgangsfälle zu Betriebsübergang und
Betriebsfortführung
398
(b) Alle übrigen Prognosen – Prognosen ohne festen
Bezugspunkt und ohne zeitliche Erstreckung über den
Entlassungstermin
399
(5) Fazit – Unterscheidung dreier zeitlicher Reichweiten
der kündigungsbegründenden Prognose
402
3. Frist und Form der Geltendmachung des Anspruchs
402
a) Ausschlussfrist entsprechend §§ 4 S. 1, 7 KSchG
403
(1) Rechtsgedanke der §§ 4 S. 1, 7 KSchG
403
(2) Fristbeginn, Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von
der Widerlegung der kündigungsbegründenden
Prognose
404
b) Kürzere Frist nach Maßgabe des Einzelfalls
405
c) Dauer des Kündigungsschutzprozesses
407
d) Nichtgeltung einer Ausschlussfrist
407
e) Heranziehung des Verwirkungseinwands im bis
zum 31.03.2002 geltenden Betriebsübergangsrecht
408
(1) „Gleichklang“ der zeitlich begrenzten Ausübung des
Wiedereinstellungsanspruchs und des
Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers
411
(a)
Auffassung des 8. Senats zum Betriebsübergang nach
Ablauf der Kündigungsfrist in den Sonderfällen der
Funktionsnachfolge
(b) Verallgemeinerung der Rechtsprechung des 8. Senats auf
den klassischen Fall des Betriebsübergangs nach § 613a
BGB
(2) Anwendung der zum Wiedereinstellungsanspruch
entwickelten Grundsätze auf den
Weiterbeschäftigungsanspruch gegen den Erwerber
nach unwirksamer Veräußererkündigung
411
416
417
- XXIV -
f)
Stellungnahme
421
(1) Beschränkung auf den allgemeinen Grundsatz der
Verwirkung von Rechten
421
(2) Struktur des materiellrechtlichen Verwirkungseinwands
422
(3) Konkretisierung des Zeitmoments der Verwirkung
423
(a)
Dreiwochenfrist entsprechend den §§ 4 und 7 KSchG
(b) Keine Monatsfrist entsprechend § 613a VI 1 BGB im
Betriebsübergangsrecht
(c)
Kenntnisnahme von den anspruchsbegründenden
Umständen als Ausgangspunkt des Zeitmoments der
Verwirkung
423
425
428
(4) Konkretisierung des Umstandsmoments der
Verwirkung
429
(5) Sphärenbezogene Rechtspflicht zur Aufklärung über
eine prognosewidrige Entwicklung nach
Kündigungszugang
432
(a)
Sphärenbezogene Aufklärungsnotwendigkeit
432
(b) Echte Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Aufklärung über
prognosewidrige Veränderungen aus seinem Einfluss- und
Verantwortungsbereich
433
(c)
435
Differenzierung nach Kündigungsgründen
i)
Personenbedingte Kündigung
435
ii)
verhaltensbedingte Kündigung
435
iii)
betriebsbedingte Kündigung
436
iv)
Klassischer Betriebsübergang
436
v)
Betriebsübergang durch Übernahme des wesentlichen
Teils der Belegschaft
438
(6) Parallele zur fristauslösenden Aufklärungspflicht
gemäß § 613a V und VI BGB
(a)
Gegenstand der Neuregelung
(b) Modell der fristauslösenden Aufklärungspflicht innerhalb
und außerhalb des Betriebsübergangsrechts
(7) Anwendung des Verwirkungseinwands auf den
Wiedereinstellungsanspruch
(a)
Verwirkung bei Aufklärungspflicht
440
440
442
442
442
(b) Verwirkung ohne Aufklärungspflicht
443
(8) Rechtsfolge – Anspruchsvernichtung
445
g) Form der Geltendmachung – Kein Klageerfordernis,
Vertragsangebot
446
- XXV -
h) Keine Anwendung von § 270 III ZPO
4. Zeitliche Grenzen im Überblick
449
450
III. Besondere Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs nach
Sonderkündigungsgründen .......................................... 455
1. Dispositionsschutz und
Rehabilitierungsnotwendigkeit
455
a) Keine Entschädigung nach den §§ 9, 10 KSchG
entspr. bei gutgläubiger Disposition
456
b) Rehabilitierung durch generellen
Wiedereinstellungsvorrang?
458
2. Anspruchsentstehung nach widerlegter
Verdachtskündigung
459
3. Stellungnahme
462
a) Keine sachlichen und zeitlichen
Entstehungsgrenzen für den
Wiedereinstellungsanspruch nach widerlegten
Sonderkündigungsgründen
462
b) Geltung des Verwirkungseinwands nach
allgemeinen Regeln
463
IV. Anspruchsverzicht durch Eingehung bzw.
Nichtaufgabe eines Zwischenarbeitsverhältnisses ..... 464
H. WAHRUNG DER BESITZSTÄNDE ............................467
I.
Inhalt des Anschlussarbeitsverhältnisses ................... 467
II. Zeitpunkt der Entstehung des neuen
Arbeitsverhältnisses durch den Vollzug des
Wiedereinstellungsanspruchs ...................................... 471
1. Sichtweise des BAG
471
2. Rückwirkung auf den Zeitpunkt der
außergerichtlichen Geltendmachung?
472
- XXVI -
3. Stellungnahme – Anspruch auf Begründung eines
Vertragsverhältnisses nur für die Zukunft
474
III. Ansprüche für die Zeit zwischen der Entstehung
des Wiedereinstellungsanspruchs und seiner
Verwirklichung............................................................... 477
I. BESCHRÄNKTER
WIEDEREINSTELLUNGSANSPRUCH ...................... 484
I.
Wiedereinstellungsanspruch zu geänderten
Arbeitsbedingungen...................................................... 484
II. Anspruch auf befristete Wiedereinstellung ................. 486
J. PROZESSUALE DURCHSETZUNG .......................... 490
I.
Verhältnis von Kündigungsschutzklage und
Wiedereinstellungsklage............................................... 490
1. Praktische Durchsetzung mittels
Eventualklagehäufung
490
2. Keine Auslegung eines singulären
Kündigungsschutzantrags als hilfsweisen
Wiedereinstellungsantrag
491
II. Klageantrag.................................................................... 494
1. Von der Rspr. akzeptierte Antragsformulierungen
494
2. Zulässigkeit eines unmittelbar auf tatsächliche
Beschäftigung gerichteten Leistungsantrags?
495
a) Verneinende Auffassung – Keine Fiktion der
tatsächlichen Beschäftigung durch § 894 ZPO,
Vollstreckung nach § 888 ZPO
496
b) Bejahende Auffassung – Parallele zum
kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht und zum
Vorvertrag
497
c) Stellungnahme
498
- XXVII -
3. Kein Kündigungsbeseitigungsanspruch
503
a) Privatautonome Vereinbarung über die Aufhebung
der Kündigungsfolgen mit Wirkung für die
Vergangenheit
503
b) Anerkennung der Voraussetzungen des
Annahmeverzugs i.S.v. § 615 BGB
504
c) Kündigungsbeseitigungsanspruch auf die Annahme
eines arbeitnehmerseitigen Angebots auf
Aufhebung der Kündigungswirkungen
504
d) Zulässigkeit eines Leistungsantrags auf
Beschäftigung zur Durchsetzung des
Kündigungsbeseitigungsanspruchs
505
e) Abgrenzung zum Wiedereinstellungsanspruch
506
f)
Stellungnahme – Kündigungsbeseitigungsanspruch
nicht begründbar
507
(1) Aushöhlung der Gestaltungswirkung der Kündigung
507
(2) Verstoß gegen die Ex-Nunc-Wirkung einer
Gestaltungsklage nach § 894 I 1 ZPO
508
4. Zulässigkeit eines Feststellungsantrags nur im
Ausnahmefall
509
5. Hinreichende Bestimmtheit des Antrags – Auslegung
510
6. Auslegung eines auf die ununterbrochene
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichteten
Antrags
511
III. Keine Klagefrist.............................................................. 512
IV. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast...................... 514
1. Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und
Beweislast
514
2. Anwendung auf den Wiedereinstellungsanspruch
515
K. ZUSAMMENFASSUNG DER WESENTLICHEN
ERGEBNISSE .............................................................519
- XXVIII -
SACH- UND PARAGRAPHENVERZEICHNIS ................ 543
- XXIX -
- XXX -
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derselbe
Anmerkung zu BAG (8 AZR 324/97),
ZIP 1999, 320 ff,
ZIP 1999, 324 ff
- XL Hanau, Peter / Adomeit, Klaus
Arbeitsrecht,
12. Auflage,
Neuwied 2000
(zitiert: Hanau/Adomeit ArbR)
Heidelberger Kommentar
Heidelberger Kommentar zum
Kündigungsschutzgesetz,
Dorndorf, Eberhard / Weller, Bernhard
/ Hauck, Friedrich / Höland, Armin /
Kriebel, Volkhart / Neef, Klaus,
4. Auflage,
Heidelberg 2001
(zitiert: HK KSchG - Bearbeiter)
Hergenröder, C.W.
Anmerkung zu BAG (2 AZR 140/97),
EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellungsanspruch Nr. 3,
Herschel, Wilhelm
Neue Tatsachen nach
Verdachtskündigung des
Arbeitsvertrages,
BlStSozArbR 1977, 113 ff
derselbe
Gedanken zur Theorie des
arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes,
in: Festschrift für Gerhard Müller 1982,
191 ff
(zitiert: Herschel FS Müller)
Herzberg, Rolf
Kritik der teleologischen
Gesetzesauslegung,
NJW 1990, 2525 ff
Hess, Harald
Maßregelungsklauseln in
Tarifverträgen,
DB 1976, 2469 ff
Hess, Harald / Schlochauer, Ursula /
Glaubitz, Werner
Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz,
5. Auflage,
Neuwied 1997
(zitiert: Hess/Schlochauer/Glaubitz
BetrVG - Bearbeiter)
- XLI Hillebrecht, Wilfried
Dringende betriebliche Erfordernisse
(§ 1 Abs. 2 KSchG) zur Kündigung von
Arbeitsverhältnissen durch den
Konkursverwalter,
ZIP 1985, 257 ff
Hinrichs, Werner
Anmerkung zu BAG (2 AZR 160/96),
AiB 1997, 612 ff,
AiB 1997, 615 ff
Hoß, Axel
Die verhaltensbedingte Kündigung,
MDR 1998, 869 ff
Hoyningen-Huene, Gerrick von
Anmerkung zu BAG (2 AZR 242/94),
EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 77,
Hromadka, Wolfgang
Möglichkeiten und Grenzen der
Änderungskündigung,
NZA 1996, 1 ff
Huber, Ulrich
Savignys Lehre von der Auslegung der
Gesetze in heutiger Sicht,
JZ 2003, 1 ff
Hueck, Alfred
Anmerkung zu BGH (VI ZR 88/55), AP
Nr. 2 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht
derselbe
Die Pflicht des Arbeitgebers zur
Wiedereinstellung entlassener
Arbeitnehmer,
in: Festschrift für Justus Wilhelm
Hedemann
zu seinem 80. Geburtstag am 24. April
1958,
S. 131 ff,
Berlin 1958
(zitiert: Hueck FS Hedemann)
Hueck, Alfred / Hueck, Götz /
Kündigungsschutzgesetz Kommentar,
Hoyningen-Huene, Gerrick von / Linck, 13. Auflage,
Rüdiger
München 2002
(zitiert: Hueck/von Hoyningen-Huene
KSchG)
Hümmerich, Klaus
Acht aktuelle Vorteile beim
Abwicklungsvertrag,
BB 1999, 1868 ff
- XLII Hunold, Wolf
Die Rechtsprechung zur Befristung
von Arbeitsverträgen,
NZA-RR 2000, 505 ff
Imping, Andreas
Aktuelle Entwicklungen im
Individualarbeitsrecht,
MDR 1999, 125 ff
Jauernig
Bürgerliches Gesetzbuch
mit Gesetz zur Regelung des Rechts
der allgemeinen
Geschäftsbedingungen,
Kommentar,
10. Auflage,
München 2002
(zitiert: Jauernig - Bearbeiter)
Joachim, Hans G.
Zur Problematik der
Verdachtskündigung,
AuR 1964, 33 ff
Joussen, Jacob
Arbeitsrecht und Schuldrechtsreform,
NZA 2001, 745 ff
Junker, Abbo / Schnelle, Sylvia
Kurzkommentar zu BAG (2 AZR
160/96), DB 1997, 1414,
EWiR 1997, 781 f
Kaiser, Dagmar
Wegfall des Kündigungsgrundes Weder Unwirksamkeit der Kündigung
noch Wiedereinstellungsanspruch,
ZfA 2000, 205 ff
Kania, Thomas
Anmerkung zu BAG (2 AZR 160/96),
EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1
Kasper, Franz
Die Kunst forensischer Prophetie als
Darlegungs- und Beweismittel bei
krankheitsbedingten Kündigungen des
Arbeitgebers,
Ein Beitrag zur Auslegung des § 1 II 1,
4 KSchG 1969 durch den 2. Senat des
BAG,
NJW 1994, 2979 ff
- XLIII Kasseler Handbuch
Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht,
Band 1,
2. Auflage,
Neuwied 2000
(zitiert: Kasseler Handbuch I Bearbeiter)
Kiel, Heinrich
Die anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit im
Kündigungsschutz,
Zugleich ein Beitrag zur
"konzerndimensionalen
Weiterbeschäftigung" im
Individualarbeitsrecht,
Diss. Kiel 1990,
Frankfurt am Main 1990
(zitiert: Kiel Diss.)
Kiel, Heinrich / Koch, Ulrich
Die betriebsbedingte Kündigung,
1. Auflage,
München 2000,
(zitiert: Kiel/Koch)
Kindscher, Reinhard
Die Kündigung wegen
Betriebsübergangs,
Diss. Bremerhaven 1999,
(zitiert: Kindscher Diss.)
Kittner, Michael / Däubler, Wolfgang
Kündigungsschutzrecht,
Kommentar für die Praxis zu
Kündigungen und anderen Formen der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses,
5. Auflage,
Frankfurt/Main 2001
(zitiert: Kittner/Däubler/Zwanziger Bearbeiter)
Zwanziger, Bertram,
Kleinknecht/Meyer-Goßner
Strafprozessordnung mit GVG und
Nebengesetzen,
erläutert von Lutz Meyer-Goßner,
45. Auflage,
München 2001,
(zitiert: Kleinknecht/Meyer-Goßner
StPO)
- XLIV Knöringer, Dieter
Die Assessorklausur im Zivilprozess,
8. Auflage,
München 2000,
(zitiert: Knöringer ZPO)
Knorr, Gerhard / Bichlmeier, Gerd /
Kremhelmer, Hans
Handbuch des Kündigungsrechts,
4. Auflage
München 1998,
(zitiert: Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer)
Kölner Praxiskommentar
Kölner Praxiskommentar zum
Kündigungsschutzgesetz,
Hans-Harald Sowka / Peter
Bengelsdorf,
2. Auflage,
Köln 2000,
(zitiert: KPK KSchG - Bearbeiter)
Konzen, Horst
Übernahme und Unterstützung wilder
Streiks durch Gewerkschaften,
ZfA 1970, 159 ff
Kort, Michael
Anmerkung zu BAG (7 AZR 904/98),
SAE 2001, 125 ff,
SAE 2001, 131 ff
Kraft, Alfons
Bestandsschutz des
Arbeitsverhältnisses; Lohn ohne Arbeit
- Überlegungen zur Reduzierung der
Regelungsdichte des Arbeitsrechts
und zur Wiederherstellung der
Äquivalenz im Arbeitsverhältnis,
ZfA 1994, 463 ff
derselbe
Anmerkung zu BAG (10 AZR 885/94),
SAE 1996, 236 ff,
SAE 1996, 240 ff
Krasshöfer, Horst-Dieter
Kurzkommentar zu BAG (2 AZR
140/97), EWiR 1998, 773,
EWiR 1998, 773 f
Krause, Rüdiger
Die tatsächliche Betriebsfortführung
als konstitutives Erfordernis des
Betriebsübergangs,
ZfA 2001, 67 ff
- XLV Kukat, Klaus
Anmerkung zu BAG (7 AZR 904/98),
BB 2001, 573 ff,
BB 2001, 576 ff
Lammermann, Rolf
Aktuelle Probleme im Rahmen der
betriebsbedingten Kündigung unter
besonderer Berücksichtigung der
betrieblichen und sozialen Auswahl,
Diss. Bielefeld 1996,
Langenbucher, Katja
Anmerkung zu BAG (8 AZR 295/95),
SAE 1998, 143 ff,
SAE 1998, 145 ff
dieselbe
Der Wiedereinstellungsanspruch des
Arbeitnehmers beim
Betriebsübergang,
ZfA 1999, 299 ff
Langer, Karl A.
Anspruch auf Wiedereinstellung ?,
NZA 1991, Beil. 3, 23 ff
Larenz, Karl
Anmerkung zu BAG AP Nr. 3 (1 AZR
29/55)
und 4 (2 AZR 345/56) zu § 611 BGB
Fürsorgepflicht
derselbe
Lehrbuch des Schuldrechts,
Band I, Allgemeiner Teil,
14. Auflage,
München 1987
(zitiert: Larenz BGB SchR I)
derselbe
Methodenlehre der
Rechtswissenschaft,
6. Auflage,
Berlin 1992,
(zitiert: Larenz Methodenlehre)
derselbe
Allgemeiner Teil des deutschen
bürgerlichen Rechts,
8. Auflage,
München 1997
(zitiert: Larenz BGB AT)
- XLVI Lieb, Manfred
Arbeitsrecht,
7. Auflage,
Heidelberg 2000
(zitiert: Lieb ArbR)
Liebig, Detlef
Die Krankheit des Arbeitnehmers als
Kündigungsgrund,
Diss. Nürnberg 1988,
(zitiert: Liebig Diss.)
Lindemann, Viola
Neuerungen im Arbeitsrecht durch die
Schuldrechtsreform,
AuR 2002, 81 ff
Lipinski, Wolfgang
Reichweite der Kündigungskontrolle
durch § 613a IV 1 BGB,
NZA 2002, 75 ff
Loritz, Karl-Georg
Aktuelle Probleme des
Betriebsübergangs nach § 613a BGB,
RdA 1987, 65 ff
Löwe-Rosenberg
Die Strafprozessordnung und das
Gerichtsverfassungsgesetz,
Großkommentar, Zweiter Band §§
112-197,
25. Auflage,
Berlin 1999,
(zitiert: Löwe-Rosenberg StPO Bearbeiter)
Löwisch, Manfred
Zweifelhafte Folgen des geplanten
Leistungsstörungsrechts für das
Arbeitsvertragsrecht,
NZA 2001, 465 ff
Löwisch, Manfred / Bernards, Kordula
Anmerkung zu BAG (2 AZR 294/97),
EzA § 2 KSchG 1969 Nr. 6
Lücke, Oliver
Unter Verdacht: Die
Verdachtskündigung,
BB 1997, 1842 ff
Lutter, Marcus
Die Auslegung angeglichenen Rechts,
JZ 1992, 593 ff
- XLVII Manske, Wolfgang
Wiedereinstellungsanspruch in der
Rechtsprechung des BAG,
FA 1998, 143 ff
Mathern, Friedrich W.
Die krankheitsbedingte Kündigung,
NJW 1996, 818 ff
Mayer, Udo R.
Abbau finanzieller
Sonderzuwendungen,
Betriebsräte unter Anpassungsdruck
und Möglichkeiten der Gegenwehr,
AiB 1998, 441 ff
Medicus, Dieter
Bürgerliches Recht,
18. Auflage,
Köln 1999,
Ozitiert: Medicus BR)
Meinel, Gernod / Bauer, Thorsten
Der Wiedereinstellungsanspruch,
NZA 1999, 575 ff
Meyer, Cord
Arbeitsvertragsänderungen bei
Betriebsübergang,
NZA 2002, 246 ff
derselbe
Der Fortsetzungsanspruch bei
Betriebsübergang,
BB 2000, 1032 ff
derselbe
Anmerkung zu BAG (8 AZR 324/97),
SAE 2000, 35 ff,
SAE 2000, 39 ff
derselbe
Sozialplangestaltung bei
nachträglichem Betriebsübergang,
NZA 2000, 297 ff
Mohnen, Heinz
Nachwirkungen des
Arbeitsverhältnisses,
RdA 1957, 405 ff
Molitor, Erich
Anmerkung zu BGH (VI ZR 88/55)
SAE 1957, 1 ff,
SAE 1957, 5 ff
Moll, Wilhelm / Reufels, Martin
Anmerkung zu LAG Hamm (2 Sa
1111/98), EWiR 1999, 995,
EWiR 1999, 995 ff
- XLVIII Monjau, H.
Nachwirkende Treuepflichten,
BB 1962, 1439 ff
Moos, Peter
Nachwirkende Vertragspflichten aus
Arbeitsverhältnissen,
RdA 1962, 301 ff
Moritz, Klaus
Grenzen der Verdachtskündigung,
NJW 1978, 402 ff
Müller-Glöge, Rudi
Bestandsschutz beim
Betriebsübergang nach § 613a BGB,
NZA 1999, 449 ff
Mummenhoff, Winfried
Anmerkung zu BAG (2 AZR 24/83)
SAE 1985, 302 ff,
SAE 1985, 305 ff
derselbe
Münchener Handbuch für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht: Flaute im Baugeschäft,
JuS 1987, 893 ff
Band 1, Individualarbeitsrecht I,
2. Auflage,
München 2000
(zitiert: MünchArbR I - Bearbeiter)
Band 2, Individualarbeitsrecht II,
2. Auflage,
München 2000
(zitiert: MünchArbR II - Bearbeiter)
Band 3, Kollektives Arbeitsrecht,
2. Auflage,
München 2000
(zitiert: MünchArbR III - Bearbeiter)
Münchener Kommentar
Münchener Kommentar zum BGB,
Band 1,
Allgemeiner Teil (§§ 1-240, AGBGesetz),
4. Auflage,
München 2001
(zitiert: MünchKomm - Bearbeiter)
- XLIX Münchener Kommentar zum BGB,
Band 2,
Schuldrecht Allgemeiner Teil (§§ 241432, FernAbsG),
4. Auflage,
München 2001
(zitiert: MünchKomm - Bearbeiter)
Münchener Kommentar zum BGB,
Band 3, erster Halbband,
Schuldrecht Besonderer Teil (§§ 607704),
4. Auflage,
München 2001
(zitiert: MünchKomm - Bearbeiter)
Münchener Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch,
Band 6, Sachenrecht (§§ 854-1296),
4.Auflage,
München 2001,
(zitiert: MünchKomm - Bearbeiter)
Nägele, Stefan
Die Renaissance des
Wiedereinstellungsanspruchs,
BB 1998, 1686 ff
Naujok, Volker
Das Spannungsverhältnis zwischen
Verdachtskündigung und
Unschuldsvermutung,
AuR 1998, 398 ff
Nicolai, Andrea
Die Entwicklung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung im
Arbeitsrecht im Jahre 1998,
ZfA 1999, 617 ff
dieselbe
Nicolai, Andrea / Noack, Stefanie
Anmerkung zu BAG (2 AZR 639/98),
SAE 2000, 93 ff,
SAE 2000, 98 ff
Grundlagen und Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs nach
wirksamer Kündigung des
Arbeitsverhältnisses,
ZfA 2000, 87 ff
-LOetker, Hartmut
Anmerkung zu LAG Hamm (4 Sa
1469/99), DZWIR 2000, 457 ff,
DZWIR 2000, 461 ff
derselbe
Der Wiedereinstellungsanspruch des
Arbeitnehmers bei nachträglichem
Wegfall des Kündigungsgrundes,
ZIP 2000, 643 ff
derselbe
Anmerkung zu BAG (7 AZR 904/98),
ZIP 2000, 1781 ff,
ZIP 2000, 1787 ff
Otto, Hansjörg
Anmerkung zu BAG (2 AZR 140/81),
EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10,
derselbe
Grünes Licht für die Wiedereinstellung
bei betriebsbedingten Entlassungen?,
in: Festschrift für Alfons Kraft zum 70.
Geburtstag
am 29.10.1998, S. 451 ff,
Neuwied 1998,
(zitiert: Otto FS Kraft (1998))
Palandt
Bürgerliches Gesetzbuch,
61. Auflage,
München 2002
(zitiert: Palandt - Bearbeiter)
Papenheim, Heinz-Gert
Anmerkung zu BAG (7 AZR 557/96),
ZMV 1998, 241 = NZA 1998, 254 f,
ZMV 1998, 241 f
Pawlowski, Hans-Martin
Methodenlehre für Juristen: Theorie
der Norm und des Gesetzes,
3. Auflage,
Heidelberg 1999,
(zitiert: Pawlowski Methodenlehre)
Peters, Harald / Thüsing, Gregor
Anmerkung zu BAG (8 AZR 295/95),
EzA § 613a BGB Nr. 154,
Pietzko, Joachim
Der Tatbestand des § 613a BGB,
Diss. Köln 1987,
Berlin 1988,
(zitiert: Pietzko Diss.)
- LI Pollmann, Michael
Die Sozialauswahl bei der
betriebsbedingten Kündigung,
- Ein Vergleich der Auswahlkriterien
von Beendigungs- und
Änderungskündigung -,
Diss. Münster 1996,
(zitiert: Pollmann Diss.)
Preis, Ulrich
Prinzipien des Kündigungsrechts bei
Arbeitsverhältnissen,
Eine Untersuchung zum Recht des
materiellen Kündigungsschutzes,
insbesondere zur Theorie der
Kündigungsgründe,
Diss. Köln 1986,
München 1987,
(zitiert: Preis Prinzipien)
derselbe
Anmerkung zu LAG Köln (4 Sa
860/88), LAGE § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 1,
LAGE § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 1 , 15 ff
derselbe
Neuere Tendenzen im
arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
(I),
DB 1988, 1387 ff
derselbe
Die verhaltensbedingte Kündigung,
DB 1990, 630 ff
derselbe
Autonome Unternehmerentscheidung
und "dringendes betriebliches
Erfordernis",
NZA 1995, 241 ff
derselbe
Aktuelle Tendenzen im
Kündigungsschutzrecht,
NZA 1997, 1073 ff
derselbe
Der Kündigungsschutz außerhalb des
Kündigungsschutzgesetzes,
NZA 1997, 1256 ff
- LII derselbe
Arbeitsrecht,
Praxis-Lehrbuch zum Individualarbeitsrecht,
Köln 1999
(zitiert: Preis ArbR)
Preis, Ulrich / Steffan, Ralf
Neue Konzepte des BAG zum
Betriebsübergang nach § 613a BGB,
- Bemerkungen zu den BAG-Urteilen
vom 11.09.1997 – 8 AZR 555/95, DB
1997 S. 2540 – und vom 13.11.1997 –
8 AZR 295/95, DB 1998 S. 316 - ,
DB 1998, 309 ff
Raab, Thomas
Der Wiedereinstellungsanspruch des
Arbeitnehmers bei Wegfall des
Kündigungsgrundes,
RdA 2000, 147 ff
derselbe
Anmerkung zu BAG (7 AZR 904/98),
RdA 2001, 243 ff,
RdA 2001, 248 ff
Reuter, Dieter
Die freie Wahl des Arbeitsplatzes - ein
nicht realisierbares Grundrecht?,
RdA 1973, 345 ff
Richardi, Reinhard / Dietz, Rolf
Betriebsverfassungsgesetz mit
Wahlordnung,
7. Auflage,
München 1998
(zitiert: Richardi BetrVG)
Ricken, Oliver
Grundlagen und Grenzen des
Wiedereinstellungsanspruchs,
NZA 1998, 460 ff
derselbe
Rieble, Volker
Anmerkung zu BAG (7 AZR 662/99),
AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969
Wiedereinstellung
Flexible Gestaltung von Entgelt und
Arbeitszeit im Arbeitsvertrag,
NZA Sonderbeilage zu Heft 3 / 2000,
34 ff
- LIII Ring, Gerhard
Arbeitsrecht,
1. Auflage,
Baden-Baden 1998
(zitiert: Ring ArbR)
Rolfs, Christian
Die Entwicklung des arbeitsrechtlichen
Schrifttums im Jahre 1998,
ZfA 1999, 403 ff
Rüthers, Bernd
Arbeitsrecht und ideologische
Kontinuitäten ?,
NJW 1998, 1433 ff
Rüthers, Bernd / Müller, Gregor
Anmerkung zu BAG (2 AZR 604/90),
EzA § 1 KSchG 1969
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41,
Sack, Rolf
Das Anstandsgefühl aller billig und
gerecht Denkenden und die Moral als
Bestimmungsfaktoren der guten Sitten,
NJW 1985, 761 ff
Sandmann, Bernd
Anmerkung zu BAG (8 AZR 127/94),
SAE 1997, 154,
SAE 1997, 157 ff
derselbe
Anmerkung zu BAG (8 AZR 774/98),
SAE 2000, 293 ff,
SAE 2000, 295 ff
Schaub, Günter
Arbeitsrechtshandbuch,
Systematische Darstellung und
Nachschlagewerk für die Praxis,
9. Auflage,
München 2000
(zitiert: Schaub)
Schiefer, Bernd
Beendigung des Arbeitsverhältnisses Aktuelle Entwicklungen,
DB 2000, 669 ff
Schirge, Barbara
Anmerkung zu BAG (9 AZR 194/99),
AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969,
Scholz, Rupert
Die Berufsfreiheit als Grundlage und
Grenze arbeitsrechtlicher
Regelungssysteme,
ZfA 1981, 265 ff
- LIV derselbe
Anmerkung zu EuGH von 10.04.1984 14/83 (ArbG Hamm 06.12.1982) und
zu EuGH von 10.04.1984 - 79/83
(ArbG Hamburg 05.07.1982), SAE
1984, 237 ff, 244 ff,
SAE 1984, 250 ff
Schrader, Peter
Anmerkung zu BAG (2 AZR 514/99),
AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung,
Schreiber, Klaus
Anmerkung zu BAG (7 AZR 536/82),
SAE 1986, 70 ff,
SAE 1986, 74 f
Schubert, Claudia
Der Wiedereinstellungsanspruch des
Arbeitnehmers nach betriebsbedingter
Kündigung in der Insolvenz,
ZIP 2002, 554 ff
Schütte, Reinhard
Die Verdachtskündigung,
NZA 1991, Beil. 2, 17 ff
Schwerdtner, Peter
Rücknahme der Kündigung und
Kündigungsschutzprozess,
ZIP 1982, 639 ff
Seier, Jürgen
Kündigungsbetrug durch
Verschweigen des Wegfalls von
Eigenbedarf,
NJW 1988, 1617 ff
Senne, Holger
Der Wiedereinstellungsanspruch von
Arbeitnehmern,
AuA 1992, 301 ff
Sibben, Ralf
Anmerkung zu ArbG Düsseldorf (7 Ca
4497/99), DB 2000, 2022 f,
DB 2000, 2023 f
Sieger, Jürgen / Hasselbach, Kai
Veräußererkündigung mit
Erwerberkonzept,
DB 1999, 430 ff
- LV Soergel
Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch,
Band 2, Allgemeiner Teil 2 (§§ 104 240),
13. Auflage,
Stuttgart 1999
(zitiert: Soergel - Bearbeiter)
Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch,
Band 4/1, Schuldrecht III/1 (§§ 516651),
13. Auflage,
Stuttgart 1999
(zitiert: Soergel - Bearbeiter)
Stahlhacke, Eugen / Preis, Ulrich /
Vossen, Reinhard
Kündigung und Kündigungsschutz im
Arbeitsverhältnis,
7. Auflage,
München 1999
(zitiert: Stahlhacke/Preis/Vossen)
Staudinger
Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch mit Einführungsgesetz
und Nebengesetzen,
Zweites Buch, Recht der
Schuldverhältnisse,
Einleitung zu den §§ 241 ff, §§ 241 243,
13. Bearbeitung ,
Berlin 1995,
(zitiert: Staudinger - Bearbeiter)
Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch mit Einführungsgesetz
und Nebengesetzen,
Zweites Buch, Recht der
Schuldverhältnisse,
§§ 255 - 314,
Neubearbeitung 2001,
Berlin 2001,
(zitiert: Staudinger - Bearbeiter)
- LVI Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch mit Einführungsgesetz
und Nebengesetzen,
Zweites Buch, Recht der
Schuldverhältnisse,
§§ 611 - 615,
13. Bearbeitung ,
Berlin 1999
(zitiert: Staudinger - Bearbeiter)
Stebut, Dietrich von
Der Wegfall von Kündigungsgründen
des Vermieters,
NJW 1985, 289 ff
Stege, Dieter / Weinspach, F. K.
Betriebsverfassungsgesetz,
Handkommentar für die betriebliche
Praxis,
8. Auflage,
Köln 1999
(zitiert: Stege/Weinspach BetrVG)
Stein, Jürgen vom
Fehleinschätzungen bei der
Kündigung von Arbeitsverhältnissen,
Dissertation Köln 1989
(zitiert: vom Stein Diss.)
derselbe
Wiedereinstellungsanspruch des
Arbeitnehmers bei Fehlprognose des
Arbeitgebers?,
RdA 1991, 85 ff
Stein, Peter
Freiheit und Dringlichkeit der
unternehmerischen Entscheidung im
Kündigungsschutzrecht,
BB 2000, 457 ff
Stoffels, Markus
Die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1997,
ZfA 1999, 49 ff
Thannheiser, Achim
Anmerkung zu BAG (8 AZR 265/97),
NZA 1999, 311 ff,
AiB 1999, 653
- LVII Thomas, Heinz / Putzo, Hans
Zivilprozessordnung,
23. Auflage,
München 2001,
(zitiert: Thomas/Putzo ZPO Bearbeiter)
Tretow, Lars
Die Betriebsveräußerung in der
Insolvenz,
ZinsO 2000, 309 ff
Tschöpe, Ulrich
Betriebsbedingte Kündigung,
BB 2000, 2630 ff
derselbe
Personenbedingte Kündigung,
BB 2001, 2110 ff
derselbe
Verhaltensbedingte Kündigung - Eine
systematische Darstellung im Lichte
der BAG-Rechtsprechung,
BB 2002, 778 ff
Vossen, Reinhard
Die betriebsbedingte Kündigung durch
den bisherigen Arbeitgeber aus Anlass
des Betriebsübergangs,
BB 1984, 1557 ff
Waas, Bernd
Rechtsfragen des Annahmeverzugs
bei Kündigung durch den Arbeitgeber,
NZA 1994, 151 ff
Walker, Wolf-Dietrich
Anmerkung zu BAG (2 AZR 160/96),
AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969
Wiedereinstellung = SAE 1998, 98 ff,
SAE 1998, 103 ff
Wank, Rolf
Anmerkung zu BAG (2 AZR 24/83), AP
Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale
Auswahl
derselbe
Tendenzen der BAG-Rechtsprechung
zum Kündigungsrecht,
RdA 1993, 79 ff
derselbe
Anmerkung zu BAG (2 AZR 494/99),
SAE 2002, 1 ff,
SAE 2002, 7 ff
- LVIII Warschkow, Sigurd
Anmerkung zu BAG (9 AZR 194/99),
AiB 2001, 183 ff,
AiB 2001, 184 f
Weber, Christoph
Anmerkung zu BAG (2 AZR 799/93)
und BAG (2 AZR 164/94), SAE 1996,
49 ff, 52 ff,
SAE 1996, 57 ff
Weber, Hansjörg
Die Nebenpflichten des Arbeitgebers,
RdA 1980, 289 ff
Weiss, Manfred
Anmerkung zu BAG (2 AZR 30/81),
EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 10
Welslau, Dietmar
Rechtsprobleme des
Wiedereinstellungsanspruchs,
BuW 1998, 953 ff
Weng, Rudolf
Die Kündigung von
Arbeitsverhältnissen mit langer
Bindung aus wichtigem Grund,
Diss. Freiburg 1980,
Willemsen, Heinz Josef
Die Kündigung wegen
Betriebsübergangs,
ZIP 1983, 411 ff
derselbe
Die neuere Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zu § 613a BGB,
ZIP 1986, 477 ff
derselbe
Der Grundtatbestand des
Betriebsübergangs nach § 613a BGB,
RdA 1991, 204 ff
derselbe
Kündigungsschutz - vom Ritual zur
Rationalität,
NJW 2000, 2779 ff
Willemsen, Heinz Josef / Lembke,
Mark
Die Neuregelung von Unterrichtung
und Widerspruchsrecht der
Arbeitnehmer beim Betriebsübergang,
NJW 2002, 1159 ff
- LIX Wollenschläger, Michael / Pollert, Dirk
Rechtsfragen des Betriebsübergangs
nach § 613a BGB unter
Berücksichtigung
betriebsverfassungsrechtlicher Fragen
und des Rechts der europäischen
Union,
ZfA 1996, 547 ff
Worzalla, Michael
Neue Spielregeln bei
Betriebsübergang - Die Änderungen
des § 613a BGB,
NZA 2002, 353 ff
Ziemann, Werner
Die Klage auf Wiedereinstellung oder
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses,
MDR 1999, 716 ff
Zöller ZPO
Zivilprozessordnung,
23. Auflage,
Köln 2002,
(zitiert: Zöller ZPO - Bearbeiter)
Zöllner, Wolfgang / Loritz, Karl-Georg
Arbeitsrecht,
5. Auflage,
München 1998
(zitiert: Zöllner/Loritz ArbR)
Zwanziger, Bertram
Betriebsbedingte Kündigungen im
Lichte der Rechtsprechung,
NJW 1995, 916 ff
derselbe
Neue Tatsachen nach Zugang einer
Kündigung,
BB 1997, 42 ff
- LX ANMERKUNGEN ZUR ÜBERARBEITUNG:
Die Überarbeitung berücksichtigt alle mit Randbemerkungen versehenen
Textstellen. Ich bin die Arbeit noch einmal vollständig durchgegangen.
Redundanzen habe ich so gut es mir möglich war abgestellt. Querverweise nach
unten sind beseitigt. Lange Fußnoten sind mit Absätzen gegliedert. Die
Begriffsdifferenzierungen zum WEA sind beseitigt; dafür erfolgt die Klarstellung
deutlicher in der Einleitung.
Eine kurze Einleitung habe ich neu gefasst. Die Fallbeispiele sind nun (etwas
ausführlicher) zusammenhängend besprochen und mit einem kurzen Fazit
abgerundet.
Neugeordnet sind die Gliederungen in den Teilen B. und C. Dort werden wie
besprochen übergeordnete Kategorien gebildet. Stellungnahmen / Fazits werden
nun unmittelbar angeschlossen.
Inhaltliche Änderungen:
Für den Beurteilungszeitpunkt bei der Fehldiagnosekündigung kommt es allein
auf die objektiven Tatsachen im Kündigungszeitpunkt an. Es liegt also keine der
Verdachtskündigung vergleichbare besondere Fallgestaltung vor.
Die
Rspr.
von
den
„greifbaren
Formen“
für
die
Abgrenzung
der
Stillegungskündigung von der Kündigung wegen des Betriebsübergangs ist nun
in den Teil B. zum Beurteilungszeitpunkt eingeordnet. Dies ist die einzige
inhaltliche Erweiterung des insgesamt gekürzten ersten Teils.
Der WEA nach Verdachtskündigung wird dogmatisch nun als Unterfall des
prognosebedingten WEA verstanden. Die Prognose bezieht sich dabei allein auf
das Bestehenbleiben der Verdachtsmomente. Dementsprechend können im
abschließenden Vorschlag die Gemeinsamkeiten betont werden, während der
Rehabilitationsansatz für die Verdachtskündigung sowie § 613a für die
Stillegungskündigung beim Betriebsübergang in die gleiche Richtung weisen
und damit die allgemeinen Überlegungen bestätigen.
- LXI Die Voraussetzungen der teleologischen Reduktion im Verhältnis zur Analogie
werden erörtert.
Die wichtigsten inhaltlichen Änderungen mit Seitenzahl:
THEMA
FUNDSTELLE
Einleitung
„Problemstellung“ Seite 1 ff
Beurteilungszeitpunkt
„Beachtlichkeitkeit
Fehldiagnosekündigung
Erkenntnisse – keine Sonderstellung
nachträglicher
der Fehldiagnosekündigung“ Seite
59 ff
Beurteilungszeitpunkt
Abgrenzung
bei
der
Stillegungskündigung
Kündigung
wegen
/
des
der
Stillegungskündigung
Kündigung
von
wegen
der
des
Betriebsübergangs“ Seite 43 ff
Betriebsübergangs
prognosebedingter
„Abgrenzung
WEA
nach
„Inhalt des Prognoseprinzips bei der
Verdachtskündigung
Verdachtskündigung“ Seite 148 ff
Vorschlag zur Anspruchsdogmatik
„Vorschlag
für
kündigungsschutzrechliche
Begründung“ Seite 172 ff
eine
-1-
A. Problemstellung
I. Die
Prognose
Arbeitgeberkündigung
als
Grundlage
der
Erhält ein Arbeitnehmer gegen seinen Willen die Kündigung, bedeutet dies für
ihn in der Regel nicht nur einen schweren Schicksalsschlag, sondern nicht
selten auch den Beginn einer juristischen Auseinandersetzung mit höchst
ungewissem Ausgang. Selbst geschulte Juristen sehen sich in der Regel nicht in
der Lage, den Ausgang solcher Verfahren sicher zu prognostizieren.1
Wesentlicher Grund für die Unwägbarkeiten ist das im Kündigungsschutzrecht
inzwischen allgemein anerkannte Prognoseprinzip. Nach ständiger Rspr. des
BAG
hängt
die
Kündigungsberechtigung
für
den
Arbeitgeber
im
Anwendungsbereich des KSchG von einer zutreffenden Prognosestellung ab.2
Die Prognose besteht in einer Wahrscheinlichkeitsthese über den späteren
Eintritt oder Nichteintritt je nach Kündigungsgrund unterschiedlicher Umstände,
wie das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, zukünftige Belastungen
betrieblicher Interessen oder die Gefahr einer Wiederholung des Fehlverhaltens.
So muss der Arbeitgeber z.B. für die betriebsbedingte Kündigung im
Kündigungszeitpunkt prognostizieren, dass sich für den Arbeitnehmer auch in
Zukunft eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen nicht
mehr wird finden lassen. Nur eine stimmige Prognose rechtfertigt eine wirksame
Kündigung.
Das Prognoseprinzip wurde von Preis3 herausgearbeitet und ergänzt das
wegen der dem Arbeitsrecht innewohnenden sozialen Komponente ebenfalls zu
beachtende
1
2
3
Prinzip
der
Verhältnismäßigkeit.
Als
Entdecker
des
Willemsen, NJW 2000, 2279, 2279.
BAG (2 AZR 215/88), AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung (unter II 2 d bb der Gründe);
BAG (2 AZR 357/95), NZA 1997, 487, 490; BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 758.
Preis Prinzipien, S. 454 ff.
-2kündigungsschutzrechtlichen
Herschel5
benannt.
Prognoseprinzips
Inzwischen
misst
die
Preis4
wird
von
fast
einhellige
Wilhelm
Lit.
dem
Prognoseprinzip eine große Bedeutung bei.6 Seine Grundlage findet es im
Wortlaut des § 1 II 1 und 2 KSchG, der insoweit unmissverständlich auf die
fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers abstellt und damit
eine zukunftsorientierte Aussage enthält.7
II. Der Wiedereinstellungsanspruch als wertender
Interessenausgleich bei Widerlegung der Prognose
Ausgangspunkt für die Frage nach einem Wiedereinstellungsanspruch ist stets
eine widerlegte kündigungsbegründende Prognose. Wie jede Prognose ist auch
die kündigungsbegründende Prognose mit dem Risiko verbunden, dass sie
durch die weitere Entwicklung nicht bestätigt, sondern widerlegt wird. Wird eine
Prognose nach Zugang der Kündigung widerlegt, so verliert sie nicht automtisch
ihre rechtfertigende Wirkung für die Kündigung. Maßgeblich bleibt, dass die
Prognose zum Kündigungszeitpunkt zutreffend war. Dem Arbeitgeber kann kein
Vorwurf gemacht werden, wenn er zum Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung alles bedacht hat, was zu bedenken war. 8 Aus diesem Grund und
weil die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers als Gestaltungsrecht ausgelegt
ist, verwundert es nicht, dass die Widerlegung der kündigungsbegründenden
Prognose vom Standpunkt der h.M. an der Wirksamkeit der Kündigung nichts
mehr zu ändern vermag. Gleichwohl erscheint der Verlust des Arbeitsplatzes
4
Preis, DB 1990, 630, 634.
5
Herschel FS Müller, S. 191 ff.
6
vgl. nur Preis NZA 1997, 1073, 1076; Adam, NZA 1998, S. 284, 284 m.w.N.
7
8
Auch für die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB ist das Prognoseprinzip anerkannt.
Der wichtige Grund wird insoweit den drei Grundarten der vom KSchG als sozial gerechtfertigt
akzeptierten Kündigungsgründe zugeordnet (BAG (2 AZR 357/95), NZA 1997, 487, 487 ff).
Zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung bestehen damit nur graduelle
Unterschiede ohne prinzipielle Auswirkungen auf das Prognoseprinzip.
Zwanziger, BB 1997, 42, 42.
-3aus der Sicht einer abschließenden Sachverhaltsbewertung nicht zwingend
erforderlich und könnte möglicherweise sogar als willkürlich und nicht
gerechtfertigt angesehen werden.
Dies
ist
der
Anknüpfungspunkt
für
die
Frage
nach
einem
Wiedereinstellungsanspruch. Ein solcher Wiedereinstellungsanspruch könnte
den endgültigen Arbeitsplatzverlust verhindern, wenn im Ausnahmefall der im
Kündigungszeitpunkt noch gegebene Kündigungsgrund schon bald ins Wanken
gerät. Der in den letzten Jahren wieder in den Blickpunkt des Interesses
gerückte Wiedereinstellungsanspruch dient damit vor allem der Billigkeit im
Ergebnis. Ziel ist ein gerechter Interessenausgleich, der die Beschränkungen
des starren Kündigungsschutzes im Einzelfall überwinden soll, ohne die durch
die Kündigungsbefugnis vermittelte Rechtssicherheit zu sehr zu beeinträchtigen.
Das Arbeitsrecht lebt in vielen Fragen von solchen Billigkeitsüberlegungen. Sie
alle sind ihrer Natur nach dogmatischen Bedenken ausgesetzt. Für echte
Ansprüche gilt das in besonderer Weise, weil sie ohne eine Anspruchsgrundlage
nicht auskommen. Es wird ihnen daher i.d.R. auch nur um eine Korrektur
atypischer
Ausnahmefälle gehen.
So
verhält es sich
auch
mit dem
Wiedereinstellungsanspruch, dessen praktische Relevanz entgegen zahlreicher
Befürchtungen nach wie vor gering ist. Aus Arbeitgebersicht ist die Möglichkeit
eines Wiedereinstellungsanspruchs zwar ein Quell von Unsicherheit. Das gilt
allerdings auch und wegen der weitergehenden Rechtsfolge noch mehr für das
häufig kaum näher begründete Nachschieben von im Kündigungszeitpunkt noch
unbekannten Umständen im Kündigungsschutzprozess.
III. Abgrenzung
des
Wiedereinstellungsanspruchs
Wiedereinstellungsansprüchen
prognosebedingten
von
sonstigen
Seit jeher anerkannt ist der Wiedereinstellungsanspruch nur in Sonderfällen,
insbesondere
für
die
sich
später
als
unberechtigt
herausstellende
-4Verdachtskündigung.9 Seit Ende der 80er Jahre haben sich zunächst mehrere
Instanzgerichte10 für die Anerkennung eines
ausgesprochen,
wenn
sich
die
Wiedereinstellungsanspruchs
kündigungsbegründende
Prognose
des
Arbeitgebers später als nicht mehr haltbar herausstellt. Schließlich hat sich auch
der 2. Senat des BAG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 27.02.199711
dem angeschlossen und einen Wiedereinstellungsanspruch für unterschiedliche
Fallgestaltungen nach betriebsbedingter Kündigung seitdem in ständiger Rspr.12
befürwortet. Im Schrifttum wird ein Wiedereinstellungsanspruch ebenfalls
9
10
11
12
BGH (VI ZR 88/55), DB 1956, 944; BAG (1 AZR 29/55), DB 1958, 869.
LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1; LAG Hamburg (2 Sa
90/89), LAGE § 611 Einstellungsanspruch Nr. 2; LAG Köln (12 Sa/ 403/96), LAGE § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 5.
Erstmals für einen Fall der betriebsbedingten Kündigung BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757,
757.
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251 ff; BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254 f; BAG (2 AZR
140/97), NZA 1998, 701 ff; BAG (8 AZR 282/97), NZA 1999, 311 ff.
-5mehrheitlich befürwortet13, andererseits aber auch aus grundsätzlichen
Erwägungen abgelehnt.14
Nicht
in
diesen
Problemkreis
Wiedereinstellungsansprüche15,
die
aus
gehören
dagegen
verschiedenen
spezielle
außerhalb
des
Kündigungsschutzrechts liegenden Umständen abgeleitet werden und in
Einzelfällen immer schon eine Rolle spielten. So ist beispielsweise ein
Wiedereinstellungsanspruch nach (inzwischen überkommener16) lösender
Aussperrung im Arbeitskampf17 oder auf der Grundlage eines vom Arbeitgeber
13
14
15
16
17
Neben weiteren: Hambitzer, NJW 1985, 2239 ff; Mummenhoff, JuS 1987, 893, 895; Loritz, RdA
1987, 65, 71; Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 1; Bram/Rühl, NZA 1991, 753 ff; vom Stein, RdA 1991, 85 ff; Senne,
AuA 1992, 301 ff; Mathern, NJW 1996, 818 ff; Junker/Schnelle, EWiR 1997, 781 f; Zwanziger,
BB 1997, 42 ff; Berscheid, MDR 1998, 1129 ff; Beckschulze, DB 1998, 417 ff; Dornieden, AiB
1998, 410, 410; Manske, FA 1998, 143 ff; Nägele, BB 1998, 1686 ff; Peters/Thüsing, Anm. zu
BAG (8 AZR 295/95), EzA § 613a BGB Nr. 154; Bartel, SAE 1998, 318 f; Papenheim, ZMV
1998, 241 ff; Preis/Steffan, DB 1998, 309 ff; Walker, SAE 1998, 103 ff; Welslau, BuW 1998,
953 ff; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575 ff; Stoffels, ZfA 1999, 49, 114; Boewer, NZA 1999, 1121ff,
1177 ff; Furier, AiB 1999, 246 ff; Kania, Anm. zu BAG (2 AZR 160/96), EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1; Langenbucher, ZfA 1999, 299 ff; Ziemann, MDR 1999, 716
ff; Günzel, DB 2000, 1227 ff; Nicolai, SAE 2000, 98 ff; Nicolai, ZfA 1999, 617 ff; Nicolai/Noack,
ZfA 2000, 87, 102 ff; Oetker, ZIP 2000, 643, 648; Oetker, ZIP 2000, 1787 ff; Raab, RdA 2000,
147, 154 f; Schrader, Anm. zu BAG (2 AZR 514/99), AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung; Bauer, BB 2001, 2526 ff; Boewer, RdA 2001, 380 ff;
Fleddermann, EWiR 2001, 739, 740; Kukat, BB 2001, 576 ff; Schubert, ZIP 2002, 554 ff;
MünchArbR II – Berkowsky, § 134 Rn 120 ff; ErfK – Ascheid, § 1 KSchG Rn 179, 473; ErfK –
Preis, § 613a BGB Rn 111; MünchKomm – Schwerdtner, § 622 Anh. Rn 259; Hueck/von
Hoyningen-Huene KSchG § 1 Rn 156a ff; HK KSchG – Weller/Dorndorf, § 1 Rn 946;
Kittner/Däubler/Zwanziger – Kittner/Däubler, § 1 KSchG Rn 56a ff; KR – Etzel, § 1 KSchG Rn
729 ff; KPK – Ramrath, Teil H, § 4 KSchG Rn 151;
Preis Prinzipien, S. 349 ff; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 645; Lieb ArbR, Rn 296, 381;
Gamillscheg ArbR I, S. 629 ff, 642 ff.
AR-Blattei SD – Boemke, 220.10 Arbeitsvertrag Arbeitsverhältnis X, Rn 171 f; Erman – Hanau,
§ 626 Rn 32; Gentges Diss., S. 354 ff; KPK KSchG – Meisel, § 1 KSchG Rn 475; Kasper, NJW
1994, 2979, 2980; Otto FS Kraft (1998), 451 ff; Ricken, NZA 1998, 460 ff; Rüthers, NJW 1998,
1433 ff; Kaiser, ZfA 2000, 205 ff; Zöllner/Loritz ArbR, § 16 II 2 c.
Ausführlich hierzu Wank, Anmerkung zu BAG (2 AZR 24/83), AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969
Soziale Auswahl.
AR-Blattei SD – Boemke, 220.10 Arbeitsvertrag - Arbeitsverhältnis X Rn 174; Gamillscheg
KollektArbR I § 20 I 1. b) (2) (S. 915).
BAG Gr.S. AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
-6im Einzelfall zurechenbar gesetzten Vertrauenstatbestandes18 bejaht worden.
Darüber
hinaus
sind
Wiedereinstellungsklauseln
tarifliche19
auch
möglich.
oder
Schließlich
einzelvertragliche20
kommen
auch
eine
Betriebsvereinbarung21 oder betriebliche Übung22 als Anspruchsgrundlagen in
Betracht. Diese Wiedereinstellungsansprüche sind nicht Gegenstand der
vorliegenden Untersuchung, weil sie nicht auf dem kündigungsschutzrechtlichen
Prognoseprinzip
Umständen
des
beruhen,
sondern
Einzelfalles.
Im
auf
nicht
verallgemeinerungsfähigen
Folgenden
wird
der
Begriff
„Wiedereinstellungsanspruch“ nur im Sinne eines solchen Anspruchs gebraucht,
der auf der Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose beruht.
IV. Praktische Relevanz in der Rspr. des BAG
1. Entwicklung der Rspr.
Bereits im Urteil vom 14.12.195623
hat das BAG im Anschluss an die
Entscheidung des BGH vom 13.07.195624 bei einer Kündigung wegen
angeblicher nationalsozialistischer Betätigung in der Zuerkennung eines
Wiedereinstellungsanspruchs eine gerechtfertigte Rehabilitierung aufgrund der
nachwirkenden Fürsorgepflicht gesehen, wenn der Arbeitnehmer in Wahrheit im
Entnazifizierungsverfahren als nicht belastet bezeichnet worden war. Auch bei
beendeten Arbeitsverhältnissen könnten sich aus der beiderseitigen Treuepflicht
und vor allem aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, von denen das
18
BAG (2 AZR 24/83), AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Hunold, NZA-RR 2000,
505, 514.
19
AR-Blattei SD – Boemke, 220.10 Arbeitsvertrag - Arbeitsverhältnis X Rn 175.
20
AR-Blattei SD – Boemke, 220.10 Arbeitsvertrag - Arbeitsverhältnis X Rn 185.
21
GK-BetrVG - Kreuz § 77 Rn 175.
22
Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 22 Rn 11.
23
BAG (1 AZR 29/55), DB 1958, 869 = AP Nr 3 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht = BAGE 3, 332.
24
BGH (VI ZR 88/55), DB 1956, 944 = AP Nr. 1 zu § 242 BGB.
-7Arbeitsverhältnis beherrscht werde, in besonderen Fällen Nachwirkungen der
vertraglichen Bindung ergeben. Insbesondere könne aus diesen Gründen ein
Arbeitnehmer u. U. unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung gegenüber dem
ehemaligen Arbeitgeber einen Anspruch auf Wiedereinstellung haben. Schon
damals sollte der Wiedereinstellungsanspruch in engen Grenzen an eine
wertende Abwägung gebunden sein.25
Abgesehen von Kündigungsfällen, in denen sich ein Verdacht letztlich nicht
bestätigte, wurden Wiedereinstellungsansprüche lange Zeit nicht erwogen. Das
änderte sich mit der Entscheidung des 2. Senats vom 27.02.199726, die zwar
den besonderen Fall eines Betriebsübergangs betraf, in der aber prinzipiell für
einen Wiedereinstellungsanspruch plädiert wurde, falls sich nach Ausspruch der
Kündigung die für diese maßgebenden Umstände ändern.
Die seitdem ergangenen Entscheidungen betrafen ebenfalls vor allem den in der
Praxis
häufigsten
Fall
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
nach
betriebsbedingter Kündigung.
2. Beispielhafte Entscheidungen aus jüngerer Zeit
Die grundlegende Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 27.02.199727
betraf eine Klägerin, die seit 14 Jahren als Maschinenarbeiterin bei einer
insolvent gewordenen Arbeitgeberin beschäftigt war. Ein mit dem Betriebsrat
vereinbarter Interessenausgleich und Sozialplan sah vor, dass der Betrieb in
naher Zukunft stillgelegt werden sollte und über diesen Zeitpunkt hinaus nur
noch die zur Konkursabwicklung benötigten Arbeitnehmer weiterbeschäftigt
25
Auch das Schrifttum billigte einen Wiedereinstellungsanspruch seit jeher, in den
Entnazifizierungsfällen u.a. mit dem Hinweis, es sei „in hohem Maße anstößig..., wollte ein
Deutscher sich die völkerrechtswidrigen Willkürakte der Besatzer gegen einen Landsmann
zunutze machen.“ (Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 394 m.w.N.).
26
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
27
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1997, 757.
-8werden. Daraufhin kündigte der beklagte Konkursverwalter der Klägerin
fristgerecht wegen beabsichtigter Betriebsstillegung. Zugleich kündigte er auch
den
übrigen
Arbeitnehmern
Kündigungsfrist
erwarb
ein
der
Gemeinschuldnerin.
anderes
Unternehmen
Vor
das
Ablauf
der
Anlage-
und
Betriebsvermögen der Gemeinschuldnerin und setzte ohne Unterbrechung die
Produktion fort. Der Betriebsübernehmer bot der Klägerin die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses über den bevorstehenden Ablauf der Kündigungsfrist
hinaus an, allerdings zu deutlich verschlechterten Arbeitsbedingungen. Die
Klägerin lehnte dies ab und nahm den Konkursverwalter erfolgreich u.a. auf
Feststellung in Anspruch, dass er zum Zeitpunkt der Betriebsübernahme
verpflichtet war, sie auf der Grundlage der bisherigen Vertragsbedingungen
auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen. Als
maßgeblich
sah
der
2.
Senat
den
Umstand
an,
dass
die
kündigungsbegründende Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist
widerlegt wurde und der Arbeitgeber noch keine Dispositionen getroffen hatte,
weshalb ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar
war.
Zur
Herleitung
des
Anspruchs
wird
auf
eine
Vielzahl
von
Einzelüberlegungen abgestellt.
Im der Entscheidung des 7. Senats vom 06.08.199728 zugrunde liegenden Fall
betrieb der Arbeitgeber ein Autohaus mit zwei Betriebsstätten. Er legte eine
Betriebsstätte, in der der Kläger als Wagenpfleger beschäftigt war, still und
kündigte
dem
Kläger
daher
fristgemäß.
Die
dagegen
erhobene
Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen. Knapp drei Monate
nach Ablauf der Kündigungsfrist schied ein in der anderen Betriebsstätte des
Arbeitgebers beschäftigter Fahrer auf eigenen Wunsch mit sofortiger Wirkung
aus, woraufhin der Kläger den Arbeitgeber auf Wiedereinstellung als Fahrer in
Anspruch nahm. Der Arbeitsplatz war vom Arbeitgeber zuvor mit einem neu
eingestellten Arbeitnehmer besetzt worden. Die Klage blieb in allen Instanzen
erfolglos. Hier wurde die Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs nach
28
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254 = DB 1998, 423 = BB 1998, 538 = EWiR 1998, 323.
-9Ablauf
der
Kündigungsfrist
mit
dem
Hinweis
auf
das
Fehlen
einer
Rechtsgrundlage generell abgelehnt. Sofern der Arbeitgeber nicht eine
besondere Vertrauensgrundlage geschaffen habe, könne der Arbeitnehmer
jedenfalls
für
den
Bereich
der
betriebsbedingten
Kündigung
eine
Wiedereinstellung wegen erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
eintretender Umstände nicht verlangen.
In der Entscheidung vom 04.12.199729 befasste sich der 2. Senat mit einem
Arbeitnehmer, der in einem Unternehmen der Maschinenbaubranche als
gewerblicher Arbeitnehmer, zuletzt in der Glockenmesserfertigung, zu einem
monatlichen Bruttogehalt von 5634,- DM tätig war. Der Arbeitgeber beschloss,
die Glockenmesserfertigung wegen mangelnder Rentabilität stillzulegen und die
Glockenmesser durch ein anderes Unternehmen im Ausland fertigen zu lassen.
Es kam zu einem Interessenausgleich mit dem Betriebsrat, der den Abbau aller
11 Arbeitsplätze der Glockenmesserfertigung vorsah. Außerdem wurde ein
Sozialplan vereinbart, wonach dem Kläger eine Abfindung von 27.700,- DM
zustand. Im Kündigungsschutzprozess kam es zu einem Prozessvergleich, in
dem sich die Parteien zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem
Tag der geplanten Betriebsstillegung und die Zahlung einer Gesamtabfindung
von 40.000,- DM verständigten. Nachdem es dem Arbeitgeber doch gelungen
war, durch Reduzierung der Schleifzeiten die Herstellungskosten zu senken,
beschloss er noch vor Ablauf der Kündigungsfrist die Glockenmesserfertigung
mit 5 Arbeitnehmern fortzusetzen. Zu einer Unterbrechung der Betriebstätigkeit
kam es nicht. 4 Kündigungen gegenüber langjährig beschäftigten Mitarbeitern
der Glockenmesserfertigung wurden nicht mehr ausgesprochen, einem bereits
gekündigten Arbeitnehmer, der tariflich unkündbar war, bot der Arbeitgeber eine
Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist an. Der Kläger nahm den
Arbeitgeber erfolglos auf Weiterbeschäftigung, hilfsweise auf Wiedereinstellung
in Anspruch. Die Entscheidung des 2. Senats führte – ohne dass es auf den
Prozessvergleich und eine mögliche Anwendung der Grundsätze des Wegfalls
29
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701 = NJW 1998, 2379 = BB 1998, 1108 = DB 1998, 1087.
- 10 der Geschäftsgrundlage angekommen wäre – schon deshalb nicht zu einer
Wiedereinstellung, weil nach dem geänderten unternehmerischen Konzept eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nur noch für 5 von ehedem 11 Arbeitnehmern
bestand und die vom Arbeitgeber zu treffende soziale Auswahl der
wiedereinzustellenden Arbeitnehmer nicht rechtsfehlerhaft war. Das zum Wegfall
von Arbeitsplätzen führende unternehmerische Konzept sollte also den Vorrang
haben. Der 2. Senat ließ dabei offen, ob bei nicht zu beanstandener
Sozialauswahl der wieder einzustellenden Arbeitnehmer für die übrigen dem
Grunde nach ein Wiedereinstellungsanspruch überhaupt entstanden (und
sodann wegen vorrangiger Disposition des Arbeitgebers wieder erloschen) war
oder nicht.
Die Entscheidung des 8. Senats vom 12.11.199830 betraf einen Arbeitnehmer,
der als Schlosser bei der Beklagten zu 1 (Arbeitgeber), einem Rohrleitungs- und
Montageunternehmen, beschäftigt war. Einziger Auftraggeber der Beklagten zu
1 war die Beklagte zu 2 (Auftraggeber), auf deren Betriebsgelände der
Arbeitgeber aufgrund eines Werkvertrages Reparatur- und Wartungsarbeiten
durchführte. Der Arbeitgeber schloss sich mit der Beklagten zu 3 (Übernehmer)
zu einer Arbeitsgemeinschaft (Arge) zusammen. Der Arbeitgeber beendete die
Arge und kündigte den Beschäftigten wegen Geschäftsaufgabe. Fünf Monate
vor Ablauf der Kündigungsfrist bot der Übernehmer den Beschäftigten an, sie
nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Dieses Angebot lehnte
der Kläger ab. Er war der Ansicht, dass die Kündigung rechtswidrig sei, da ein
Betriebsübergang vorliege. Außerdem bestehe ein Arbeitsverhältnis mit dem
eigentlichen Auftraggeber, da nämlich sonst illegale Arbeitnehmerüberlassung
gegeben wäre und letztlich machte er hilfsweise geltend, dass sein
Arbeitsverhältnis auf den Übernehmer übergegangen sei. Der diesbezügliche
Schriftsatz wurde dem Arbeitgeber dreieinhalb Monate nach Ablauf der
Kündigungsfrist zugestellt. ArbG und LAG hielten die Kündigung wegen § 613a
30
BAG (8 AZR 265/97) (Tatbestand stark vereinfacht), NZA 1999, 311 = MDR 1999, 551-552 =
NJW 1999, 1132 = DB 1999, 485 = BB 1999, 589 = ZIP 1999, 670.
- 11 IV
1
BGB
für
unwirksam
und
gingen
von
einem
Übergang
des
Arbeitsverhältnisses auf den Übernehmer aus. Die Revision von Arbeitgeber und
Übernehmer hatte Erfolg. Der 8. Senat vertrat die Auffassung, dass die
angegriffene Kündigung rechtswirksam sei, weil im allein maßgeblichen
Zeitpunkt ihres Ausspruchs der Betriebsübergang durch Übernahme der
organisierten Hauptbelegschaft noch nicht stattgefunden und auch noch keine
„greifbaren Formen“ angenommen hatte. Der Arbeitnehmer könne statt dessen
zwar
grundsätzlich
einen
Fortsetzungsanspruch
gegenüber
dem
Auftragsnachfolger (Übernehmer) geltend machen, da dieser den wesentlichen
Teil der Belegschaft wieder eingestellt und dadurch den Betriebsübergang
ausgelöst hatte. Hierfür sei jedoch die unverzügliche Geltendmachung des
Anspruchs erforderlich. Nicht ausreichend sei das vom Kläger in den
Kündigungsschutzprozess später eingeführte und erst dreieinhalb Monate nach
Ablauf der Kündigungsfrist dem Übernehmer zugestellte Fortsetzungsverlangen.
In dem vom 2. Senat am 17.06.199931 entschiedenen Fall ging es um einen seit
1990 bei der Beklagten – einer Kaffeerösterei – beschäftigten Arbeitnehmer, der
seit Jahren alkoholkrank war. 1993 ergab sich ein krankheitsbedingter Ausfall
von 42 Arbeitstagen. Im Jahre 1994 waren es 38 Arbeitstage, im Jahr 1995 43
Arbeitstage und im Jahr 1996 15 Arbeitstage bis zum Ausspruch der Kündigung
am 24.04.96. Für diese Fehlzeiten leistete die Beklagte (ohne anteiliges
Urlaubs- und Weihnachtsgeld) insgesamt 32.347,24 DM Entgeltfortzahlung
einschließlich Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung. Sie führte an 4
Terminen Gespräche über die Ausfallzeiten, in deren Verlauf der Kläger
versprach, zu ihrer Minderung beizutragen. Darüber hinaus verneinte er, dass
sie durch betriebliche Gründe veranlasst gewesen seien, ohne seine
Alkoholkrankheit
zu
offenbaren.
Die
Beklagte
kündigte
schließlich
mit
Zustimmung des Betriebsrats wegen häufiger Kurzerkrankungen. Von der seit
16 Jahren bestehenden Alkoholabhängigkeit des Klägers erfuhr sie erstmals
31
BAG (2 AZR 639/98), SAE 2000, 93 = NZA 1999, 1328 = AP Nr 37 zu § 1 KSchG 1969
Krankheit = NJW 2000, 2762 = MDR 1999, 1511.
- 12 anlässlich des Gütetermins kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist. Der Kläger
unterzog sich noch vor Ausspruch der Kündigung einer Gesprächstherapie, die
er vorzeitig abbrach. Innerhalb der Kündigungsfrist unterzog er sich einer 4wöchigen stationären Entziehungskur im Allgemeinen Krankenhaus. Seine unter
anderem auf Wiedereinstellung gerichtete Klage begründete er mit der seiner
Auffassung
nach
erfolgreichen
Entziehungskur.
Er
sei
heute
durch
Selbstkontrolle und den Besuch von Selbsthilfegruppen ein „trockener
Alkoholiker“, und es sei nicht zu erwarten, dass er aufgrund seiner Alkoholsucht
erneut arbeitsunfähig werde. Er gab zu, den Alkoholmissbrauch gegenüber
seinem Hausarzt verschleiert zu haben. Angesichts der Krankheitsentwicklung
könne jedoch nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass weiterhin
Entgeltfortzahlungskosten im bisherigen Umfang entstünden. Da er während der
Erkrankung die zur Behandlung seiner Alkoholabhängigkeit erforderlichen
Maßnahmen ergriffen habe, habe er selbst dann, wenn die Kündigung wirksam
sei, einen Anspruch auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu den
Bedingungen des bisherigen gehabt. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.
Die Entscheidung fiel deshalb zu Ungunsten des Klägers aus, weil es dem 2.
Senat nicht genügte, dass der darlegungs- und beweispflichtige Arbeitnehmer
Tatsachen vortrug, die die negative Gesundheitsprognose erschütterten;
vielmehr komme ein Wiedereinstellungsanspruch allenfalls dann in Betracht,
wenn
nach
dem
Vorbringen
des
Arbeitnehmers
von
einer
positiven
Gesundheitsprognose auszugehen sei.32 Der Kläger sollte also nicht nur die
Krankheitsbedenken entkräften, sondern das Gegenteil dessen vortragen, was
die Arbeitgeberkündigung ursprünglich gerechtfertigt hatte.
Der vom 7. Senat am 28.06.200033 entschiedene Fall betraf einen 1952
geborenen Arbeitnehmer, der bei der Beklagten seit 1969, zuletzt als
Debitorenbuchhalter für den Bereich der Kabinenschifffahrt zu einem Gehalt von
5634,-
DM
beschäftigt
war.
Die
Beklagte,
32
BAG (2 AZR 639/98), SAE 2000, 93, 97 f.
33
BAG (7 AZR 904/98), NZA 2000, 1097 = ZIP 2000, 1781 = DB 2000, 2171.
die
ein
- 13 Personenschifffahrtsunternehmen mit 300 Arbeitnehmern betrieb, beschloss
aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten mehrere Sanierungsmaßnahmen,
darunter auch die Ausgliederung des Vertriebs Kabinenschifffahrt in eine neu zu
gründende Vertriebsgesellschaft als Maßnahme eines Interessenausgleichs. Der
zugleich geschlossene Sozialplan sah für die aus diesem Anlass betriebsbedingt
gekündigten Arbeitnehmer Abfindungszahlungen vor. Die Beklagte teilte dem
Kläger mit, dass sämtliche Vertriebsaktivitäten für den Kabinendienst im Wege
eines Betriebsteilübergangs von der D. mbH übernommen würden und sein
Anstellungsverhältnis künftig von dieser fortgeführt werde, wenn er nicht
widerspreche. Nachdem die Beklagte ihm mitgeteilt hatte, dass für ihn bei der
Vertriebsgesellschaft kein gesicherter Arbeitsplatz zur Verfügung stehe und man
zur Zahlung einer Abfindung nach dem Sozialplan bereit sei, widersprach der
Kläger. Die Beklagte kündigte darauf fristgerecht und teilte die Zahlung einer
Sozialplanabfindung von 66.347,- DM mit. Die vom Kläger erhobene
Kündigungsschutzklage wurde vergleichsweise dahin erledigt, dass das
Arbeitsverhältnis durch die fristgerechte betriebsbedingte Kündigung gegen
Zahlung einer Gesamtabfindung von 74.000,- DM sein Ende finden sollte. Zwei
Monate nach seinem Ausscheiden erfuhr der Kläger, dass die 1962 geborene
und 1993 eingestellte Mitarbeiterin B bei der Beklagten weiterhin als
Kreditorenbuchhalterin zu einem Gehalt von 3700, - DM beschäftigt wurde,
nachdem die Beklagte die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung zu einem
Zeitpunkt
„zurückgenommen“
hatte,
zu
dem
weder
ihre
noch
seine
Kündigungsfrist abgelaufen war. Der Kläger verlangte seine Wiedereinstellung
mit der Begründung, der Arbeitsplatz der Kreditorenbuchhalterin B sei
unerwartet erhalten geblieben, womit sich der für die Kündigung maßgebende
Sachverhalt geändert habe. Da zwischen Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung
keine ins Gewicht fallenden Unterschiede bestünden und er sozial wesentlich
schutzwürdiger sei als Frau B, hätte ihm deren Arbeitsplatz angeboten werden
müssen. Die Gehaltsdifferenz zwischen ihm und Frau B beruhe auf deren
geringerem
Lebensalter
und
ihrer
kürzeren
Betriebszugehörigkeit.
Die
Geschäftsgrundlage für den Vergleich sei entfallen. Er nahm die Beklagte in
allen Instanzen erfolglos in Anspruch, ihn Zug um Zug gegen Rückzahlung der
Abfindungszahlung von 74.000,- DM mit Wirkung für den Tag nach seiner
Entlassung zu den Konditionen und mit den Sozialbesitzständen wieder
einzustellen, die er bis zu seinem Ausscheiden erworben hatte. Der 7. Senat
verwehrte dem Kläger die von ihm angestrebte Wiedereinstellung mit dem
- 14 Hinweis, die Beklagte habe schon vor dem Wiedereinstellungsverlangen des
Klägers über den Arbeitsplatz anderweitig disponiert. Die Beklagte handele
insoweit weder „treuwidrig“, noch sei sie zuvor verpflichtet gewesen, den
(ahnungslosen) Kläger von sich aus über ihre Entscheidung zu unterrichten, den
Arbeitsplatz eines Kreditorenbuchhalters beizubehalten. Es sei nicht treuwidrig,
wenn die Beklagte bei ihrer Entscheidung, den Arbeitsplatz mit einer sozial
weniger schutzwürdigen Arbeitnehmerin wieder zu besetzen und den Kläger
nicht von sich aus zu informieren, den mit dem Kläger geschlossenen
Abfindungsvergleich berücksichtige. Der Kläger habe nicht behauptet, dass
sowie gegebenenfalls warum für ihn ein Festhalten an dem zwischen ihm und
dem Arbeitgeber geschlossenen Vergleich unzumutbar sein sollte. Die
Unzumutbarkeit
ergebe
sich
auch
nicht
aus
den
vorgetragenen
Gesamtumständen, da insbesondere die Höhe der in dem Vergleich
vereinbarten Abfindung zu berücksichtigen sei. Diese mache mehr als 13
Monatsverdienste des Klägers aus und liege damit oberhalb der Höchstgrenze
von 12 Monatsverdiensten, die der Gesetzgeber in § 10 I KSchG für
Arbeitnehmer vorgesehen hat, die – wie der Kläger – das 50. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben.34
3. Fazit
Die kurz vorgestellten Entscheidungen sind für die Handhabung des Anspruchs
durch das BAG nicht untypisch. Wohl auch aus Sorge vor einem übermächtigen
Korrektiv der Kündigung stellt das BAG an den Wiedereinstellungsanspruch und
seine Durchsetzung hohe Anforderungen. In der Auseinandersetzung mit dem
Wiedereinstellungsanspruch fällt ein sehr starkes Überwiegen der verneinenden
Entscheidungen auf. Die praktische Relevanz des Instituts ist daher zur Zeit
gering. Eine nach der Grundkonzeption des Wiedereinstellungsanspruchs in
vielen Fällen denkbare Prognosekorrektur findet in der Praxis oft gerade nicht
statt. Sie scheitert an den Anforderungen an die Prognosewiderlegung,
34
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1787.
- 15 vorrangigen
unternehmerischen
Dispositionen,
allgemeinen
Zumutbarkeitserwägungen oder schlicht daran, dass der Arbeitnehmer von der
weiteren Entwicklung der kündigungsbegründenden Umstände zu spät erfahren
oder darauf nicht rechtzeitig reagiert hat. Schließlich fehlt es oft schon an einem
geeigneten (selbstständigen) Klageantrag.
V. Begrifflichkeiten
Im
Zusammenhang
mit
einer
möglichen
Wiedereinstellungspflicht
des
Arbeitgebers tauchen drei Begriffe auf, die in Rspr. und Lit. nicht immer
einheitlich verwendet werden:
Der Begriff „Wiedereinstellungsanspruch“ dient als Oberbegriff für sämtliche
Fallgruppen, in denen eine Pflicht des Arbeitgebers zur Neubegründung der
vertraglichen Hauptpflichten diskutiert wird.
Im
Betriebsübergangsrecht
wird
von
einem
Wiedereinstellungsanspruch
einerseits dann gesprochen, wenn es um einen Anspruch gegen den
Betriebsveräußerer
Widerspruchsrechts
geht,
und
beispielsweise
(einstweiliger)
nach
Fortführung
Ausübung
einer
des
betrieblichen
(Teil)Einheit durch den Veräußerer, um den Betrieb übergangsfähig zu machen.
Andererseits spricht man immer dann von einer Wiedereinstellung, wenn ein
neues Vertragsverhältnis mit dem Betriebserwerber nur noch nach dem
Entlassungstermin
zustande
vorhergehendes anschließen
kommen,
kann.35
es
also
nicht
nahtlos
an
ein
Der Begriff „Fortsetzungsanspruch“
bezeichnet den innerhalb laufender Kündigungsfrist, also im noch bestehenden
Arbeitsverhältnis, entstehenden Wiedereinstellungsanspruch. Der Arbeitnehmer
setzt sein Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Kündigungsfrist ohne Unterbrechung
mit dem alten bzw. neuen Vertragspartner fort.36 Das BAG trifft insoweit keine
35
BAG (2 AZR 160/96), DB 1997, 1414, 1414.
36
BAG (8 AZR 295/95), DB 1998, 316, 316.
- 16 klare Unterscheidung. In der Entscheidung vom 04.12.199737 gebraucht der 2.
Senat die Begriffe Fortsetzungs- und Wiedereinstellungsanspruch synonym,
während sonst für einen Anspruch auf Wiedereinstellung im unmittelbaren
Anschluss
an
das
beendete
Arbeitsverhältnis
eher
von
einem
Fortsetzungsanspruch, bei einer Unterbrechung zwischen der Beendigung des
alten
und
der
Einstellung
in
das
neue
Arbeitsverhältnis
eher
von
Wiedereinstellung die Rede ist.38
Mit „Weiterbeschäftigungsanspruch“ wird mitunter ebenfalls der noch vor Ablauf
der Kündigungsfrist entstandene Fortsetzungsanspruch bezeichnet. Dieser
Begriff soll hier nicht verwendet werden, da die gebräuchlichen Begriffe
„allgemeiner
Weiterbeschäftigungsanspruch“
„betriebsverfassungsrechtlicher
und
Weiterbeschäftigungsanspruch“
anderen
Instituten vorbehalten sind.
Im Folgenden wird stets der Begriff Wiedereinstellungsanspruch verwendet, und
zwar auch dann, wenn der Anspruch noch vor Ablauf der Kündigungsfrist
entsteht. Zwar braucht der Arbeitnehmer, der den Betrieb nicht verlassen hat,
nicht im wörtlichen Sinne wieder eingestellt zu werden, weshalb vereinzelt auch
von
einem
Anspruch
auf
„Vertragserneuerung“39
die
Rede
ist.
Ein
übereinstimmender Begriff bietet sich jedoch an, um nicht den Eindruck zu
erwecken, es handele sich um verschiedenartige Ansprüche. Allein beim
Betriebsübergang
wird
zur
besseren
Unterscheidbarkeit
von
einem
Fortsetzungsanspruch gegen den Erwerber gesprochen, soweit der Anspruch
noch vor Ablauf der Kündigungsfrist entsteht, sich also auf die ununterbrochene
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim Betriebserwerber richtet.
37
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701 = NJW 1998, 2379 = BB 1998, 1108 = DB 1998, 1087.
38
Boewer, NZA 1999, 1177, 1178.
39
Hueck FS Hedemann, S. 131.
- 17 -
VI. Gang der Untersuchung
Zunächst wird die Frage behandelt, welche Umstände in Abhängigkeit von der
zeitlichen Abfolge der Ereignisse in die Beurteilung der Kündigungswirksamkeit
einfließen.
Das
ist
in
vielen
Fällen
unklar,
aber
Grundlage
der
Wiedereinstellungsdiskussion. Umstände, die in die Prüfung der sozialen
Rechtfertigung der Kündigung einzubeziehen sind, erfordern nicht die
Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs und können für diesen auch
nicht von Belang sein (hierzu B.).
Im Anschluss sind die rechtskonstruktiven Ansätze zu erörtern, die den
Wiedereinstellungsanspruch dogmatisch erklären wollen (C.).
Sodann werden die positiven Tatbestandsmerkmale des Anspruchs beleuchtet
und einer kritischen Überprüfung unterzogen (D. und E.).
Im Hinblick auf die unterschiedliche Bedeutung des Prognoseprinzips für die
einzelnen
Kündigungsgründe
erfolgt
im
Anschluss
eine
nach
Kündigungsgründen und Fallgruppen getrennte Auslotung des praktischen
Anwendungsbereichs des Anspruchs (F.).
Der so umrissene Anspruch wird an sachliche und zeitliche Grenzen als
negative Tatbestandsmerkmale gebunden. Dabei werden auf der Grundlage
einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Rechtsprechung Möglichkeiten für
eine Harmonisierung der in den einzelnen Fallgruppen sehr unterschiedlich
ausgestalteten Grenzen eines Wiedereinstellungsanspruchs aufgezeigt, um die
Handhabbarkeit der Fallgruppen zu verbessern und beliebigen Ergebnissen
vorzubeugen (G.).
Schließlich werden die Rechtsfolgen konkretisiert (H. und I.), um die
Unterschiede zwischen Kündigungsunwirksamkeit einerseits und Relativierung
der Kündigungsfolgen mittels Wiedereinstellung andererseits sichtbar zu
machen.
Die Untersuchung wird schlussendlich durch Fragen der prozessualen
Rechtsdurchsetzung abgerundet (J.).
- 18 -
B. Abgrenzung kündigungsrelevanter und
wiedereinstellungsrelevanter Umstände
I. Dogmatik zum Beurteilungszeitpunkt
Wirksamkeit der Kündigung
für
die
Um die Prognose überhaupt einer Überprüfung zugänglich zu machen, wird sie
auf
einen
festen
Beurteilungszeitpunkt
bezogen,
den
Zugang
der
Kündigungserklärung. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, welcher
Beurteilungszeitpunkt für die Wirksamkeit der Kündigung gelten soll. Denn auch
wenn die Prognose nur im Hinblick auf einen festen Bezugspunkt angestellt
werden kann, so kann doch der weitere Verlauf der sie tragenden Umstände für
die Kündigung und die durch sie geschaffene Rechtslage weiterhin relevant
sein. Mit anderen Worten: Es ist denkgesetzlich nicht ausgeschlossen, für die
kündigungsbegründende
Prognose
einerseits
und
die
Wirksamkeit
der
Kündigung andererseits auf unterschiedliche Zeitpunkte abzustellen, die
Parteien
des
Kündigungsrechtsstreits
also
nicht
an
den
begrenzten
Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung festzuhalten. Die mit dem
Prognoseprinzip
verbundenen
Unbilligkeiten
für
den
kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses weisen
damit
keineswegs
zwangläufig
auf
einen
kompensatorischen
Wiedereinstellungsanspruch. Naheliegender erscheint zunächst die Frage, ob
nicht bereits die Kündigung unwirksam ist, wenn die kündigungsbegründende
Prognose im Verlauf der weiteren Entwicklung widerlegt wird.
- 19 -
1. Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung als
alleiniger Beurteilungszeitpunkt – Rspr. und h.L.
Eines der tragenden Prinzipien des Kündigungsrechts besteht nach ganz h.M. in
Rspr.40 und Lit.41 aus Gründen der Rechtsicherheit darin, die Rechtmäßigkeit
der Kündigung nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigungserklärung i.S.v. § 130 I BGB zu beurteilen. Maßgeblicher Zeitpunkt
für die Beurteilung der Stimmigkeit der kündigungsbegründenden Prognose ist
damit ebenfalls der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung.42 War die
Prognose im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung aufgrund der
damals bestehenden objektiven Sachlage zutreffend, so ist die auf ihr
beruhende Kündigung wirksam. Die Kündigung bleibt wirksam, selbst wenn die
Prognose sich im Verlauf der weiteren Entwicklung als nicht mehr haltbar
erweist.43
Der 2. Senat des BAG hat seine früher anders lautende Rspr.44 für Fälle der
krankheitsbedingten
Kündigung,
wonach
die
spätere
Entwicklung
einer
Krankheit nach Ausspruch der Kündigung bis zur letzten mündlichen
Tatsachenverhandlung zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet
40
41
42
43
44
BAG (2 AZR 596/87), AP Nr. 75 zu § 613a BGB; BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 757;
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255; BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 702; BAG (2
AZR 477/95), BB 1997, 212, 212.
Ascheid Diss., S. 88; Ricken, NZA 1998, 460, 460; Walker, SAE 1998, 103, 104; Kleinebrink,
FA 1999, 138, 138; Sibben, DB 2000, 2023, 2023; Meyer, NZA 2000, 297, 299;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 617; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 1 KSchG Rn 277 e, 320 a; KR
– Etzel, § 1 KSchG Rn 232, 428, 544; ErfK – Ascheid, § 1 KSchG Rn 146, 206, 329;
MünchArbR II – Berkowsky, § 130 Rn 70 f m.w.N.; Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 1
Rn 43; HK KSchG - Weller/Hauck, § 1 Rn 945; KPK – Ramrath, Teil H, § 1 KSchG Rn 75 und
§ 4 KSchG Rn 151.
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 978.
BAGE 59, 12, 26; BAG, NZA 1989, 461, 463; BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 758; BAG
(7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255; BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 702;
KR – Etzel, § 1 KSchG Rn 235; MünchArbR II – Berkowsky, § 130 Rn 70 f m.w.N.; Hueck/von
Hoyningen-Huene KSchG, § 1 Rn 43; Ricken, NZA 1998, 460, 460; HK KSchG Weller/Hauck, § 1 Rn 945.
BAG (2 AZR 291/82), AP Nr 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
- 20 werden konnte, mittlerweile ausdrücklich aufgegeben45 und dies in ständiger
Rspr. bestätigt.46 Wann die letzte mündliche Tatsachenverhandlung stattfindet,
richtet sich nach dem Terminkalender der Arbeitsgerichte. Der Ausgang des
Kündigungsrechtsstreits würde auf solche Weise von Zufallsergebnissen
abhängig gemacht.47
Der 2. Senat hat auch für den Bereich der betriebsbedingten Kündigung
entschieden, dass die Wirksamkeit einer Kündigung, die im maßgeblichen
Zeitpunkt ihres Ausspruchs durch dingende betriebliche Erfordernisse bedingt
ist, nicht durch eine Änderung dieser Umstände nach ihrem Zugang an den
Arbeitnehmer in Frage gestellt wird.48
2. Rückwirkung der weiteren Entwicklung
Wirksamkeit der Kündigung – M.M.
auf
die
a) Ex-Post-Beurteilung der Kündigungswirksamkeit
Nach einer nur vereinzelt geäußerten Ansicht sollen Umstände, die sich erst
nach dem Ausspruch der Kündigung ergeben, auf die Wirksamkeit der
Kündigung zurückwirken.
Gamillscheg49 hat die Auffassung vertreten, es erscheine nicht sachgerecht, die
Wirksamkeit der Kündigung nach dem Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen,
wenn der Kündigungsgrund bis zu ihrem Wirksamwerden wieder entfallen sei,
beispielsweise
weil
Rationalisierungsmaßnahmen
45
46
neue
Aufträge
zurückgestellt
worden
hereingekommen,
seien
oder
einem
BAG (2 AZR 118/89), AP Nr 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
BAG (2 AZR 160/96), BAGE 85, 194 = AP Nr 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG (2
AZR 431/98), NZA 1999, 978, 978.
47
Adam, DZWiR 1997, 522, 523.
48
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 758.
49
Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 393 f.
- 21 Schwerhörigen während des Laufs der Kündigungsfrist ein Hörgerät bewilligt
werde. Es wäre doch sehr anstößig, wenn etwa einem älteren Arbeitnehmer mit
längerer Kündigungsfrist in einer Zeit des Rückgangs der Aufträge gekündigt
werde und er nun in den letzten Tagen seiner Tätigkeit erleben müsse, dass ein
anderer für seine bald freiwerdende Stelle eingestellt werde. Gamillscheg
erkennt dabei auch das Problem mangelnder Rechtssicherheit für den
Arbeitgeber und führt weiter aus, seine Ansicht solle nicht bedeuten, dass bei
einem
Streit
um
die
Rechtfertigung
der
Kündigung
hellseherische
Zukunftsvoraussagen zu machen seien, sondern nur, dass ein während des
Laufs der Kündigungsfrist eingetretener Wechsel der Lage bis zu ihrem Ablauf
zu berücksichtigen sei. Voraussetzung sei dabei allerdings, dass die Kündigung
nicht wegen Versäumung der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG inzwischen
unanfechtbar geworden sei. In diesem Fall könne man den Arbeitgeber jedoch
aus
seiner
Fürsorgepflicht
für
verpflichtet
halten,
die
Kündigung
zurückzunehmen.
b) Begrenzung auf innerhalb der Kündigungsfrist neu
auftauchende Umstände
Diese Auffassung Gamillschegs soll hier nur insoweit betrachtet werden, als es
um eine Rückwirkung von innerhalb der Kündigungsfrist neu auftauchenden
Umständen geht. Umstände, die erst nach Ablauf der Kündigungsfrist eintreten,
berühren die Wirksamkeit der Kündigung in keinem Fall. Wollte man anders
entscheiden, so könnte sich der Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist
vom Arbeitnehmer nicht trennen, ohne gleichzeitig ein unkalkulierbares Risiko
für Annahmeverzugslohnansprüche gemäß § 615 BGB in Kauf zu nehmen. Das
kann nicht sein. Das Arbeitsverhältnis muss im Hinblick auf Lohnansprüche
zumindest als unterbrochen gewertet werden, wenn die Kündigung wirksam war
und sich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist und Ausscheiden des
Arbeitnehmers ein Wegfall des Kündigungsgrundes ergibt. War die Kündigung
gemessen an den hohen an sie zu stellenden Anforderungen rechtmäßig und
hat sie das Arbeitsverhältnis tatsächlich aufgelöst, so verwirklicht sich für den
Arbeitnehmer das allgemeine Lebensrisiko einer wirksamen Kündigung und der
damit verbundenen Nachteile. Nichts spricht dafür, dieses Risiko mit der
Rechtsfolge des § 615 BGB auf den Arbeitgeber abzuwälzen. Eine Rückwirkung
nachträglicher Umstände auf die Kündigungswirksamkeit kann daher allenfalls
- 22 für solche Umstände angenommen werden, die sich bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist einstellen.
Annahmeverzugslohnansprüche
können
auch
nach
dieser
Auffassung
entstehen, wenn nach Ablauf der Kündigungsfrist über die Kündigungsschutz- /
Weiterbeschäftigungsklage
des
Arbeitnehmers
noch
nicht
rechtskräftig
entschieden ist und der Arbeitgeber sich im Hinblick auf die von ihm für
rechtswirksam erachtete Kündigung weigert, dem Arbeitnehmer für die Dauer
des Rechtsstreits einen Arbeitsplatz zuzuweisen. Dabei handelt es sich um das
jeder Kündigung immanente Risiko, das im Zeitpunkt des Ablaufs der
Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auch dann jedenfalls grob abschätzbar ist,
wenn man den zwischenzeitlichen Wegfall des Kündigungsgrundes zum
Gegenstand der Kündigungsschutzklage macht. Hat er Zweifel, ob der
Kündigungsgrund zu diesem Zeitpunkt (noch) besteht, so kann er dem
Arbeitnehmer die vorübergehende Weiterbeschäftigung anbieten.
Folgerichtig
ist
es
dann,
den
Arbeitnehmer
zur
Erhebung
der
Kündigungsschutzklage innerhalb der Dreiwochenfrist für verpflichtet zu halten,
um das Nichtvorhandensein des Kündigungsgrundes zum dann allein
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Ende der Kündigungsfrist, geltend zu
machen. Als völlig unpassend erweist sich dabei aber der Beginn der
Klageerhebungsfrist entsprechend § 4 KSchG, nämlich der Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigung. Ein solcher Fristbeginn würde den Arbeitnehmer zur
Erhebung einer vorsorglichen Klage zwingen, allein um sich die Möglichkeit der
Überprüfung späterer Umstände noch offen zu halten.
c) Praktische Auswirkungen gegenüber der Anerkennung
eines Wiedereinstellungsanspruchs
Eine Beurteilung der Kündigungswirksamkeit nach Umständen, die bis zum
Ablauf der Kündigungsfrist eintreten, hätte wesentlich weitreichendere Folgen
- 23 als die von der Rspr. und dem Großteil der Literatur bevorzugte Lösung50 über
die
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs.
Der
Wiedereinstellungsanspruch muss nach h.M.51 vom Arbeitnehmer durch
selbstständigen Klageantrag besonders verfolgt werden, ist also kein Produkt
einer
Selbstexekution.52
Im
Unterschied
dazu
führt
die
nachträgliche
Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zu einem automatischen
Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit allen sich daraus ergebenden
Konsequenzen, insbesondere der Pflicht zur Zahlung des Verzugslohns.53
Auch ein Vorrang schutzwürdiger Dispositionen zugunsten des Arbeitgebers,
namentlich die vorrangige Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes mit einem
externen Arbeitnehmer, könnte nicht anerkannt werden, weil er sich vor dem
Hintergrund des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses rechtskonstruktiv nicht
begründen ließe. Bestünde der Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Rückkehr des
Arbeitnehmers in den Betrieb nicht mehr, so müsste zunächst eine erneute
Kündigung ausgesprochen und der Ablauf der Kündigungsfrist abgewartet
werden.
Die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs stellt daher ein Weniger
gegenüber der Unwirksamkeit der Kündigung dar.54 Der Arbeitnehmer wird
dabei auch nicht zwangsläufig an seinem alten Arbeitsverhältnis festgehalten,
sondern kann nach seinem freien Willen die Wiedereinstellung fordern oder
darauf verzichten. Nicht selten wird er sich nach Ausspruch der wirksamen
Kündigung nach einer Anschlussbeschäftigung umsehen und zum Zeitpunkt des
50
Dass diese Problematik überhaupt einer „Lösung“ bedarf, verlangt freilich nach einer
eigenständigen Begründung. Findet sich nicht wenigstens im Wege der Rechtsfortbildung eine
Anspruchsgrundlage für einen Wiedereinstellungsanspruch, dann muss es bei der Wirksamkeit
bzw. Unwirksamkeit der Kündigung sein bewenden haben.
51
Coen, AuR 1984, 319, 319; vom Stein Diss. 1989, 162; Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
52
Thannheiser, AiB 1999, 653, 653.
53
Boewer, NZA 1999, 1121, 1123.
54
Kaiser, ZfA 2000, 205, 217.
- 24 Wegfalls des Kündigungsgrundes bereits ein neues Arbeitsverhältnis begründet
haben.
3. Kritische Würdigung
a) Überlegungen aus der Rechtsgeschäftslehre
(1) Wirksamwerden von Willenserklärungen im Zeitpunkt
ihres Zugangs
Zunächst sprechen allgemeine Grundregeln der Rechtsgeschäftslehre dafür,
dass es für die Wirksamkeit der Kündigung allein auf den Zeitpunkt des Zugangs
der Kündigungserklärung ankommt. Die Kündigung wird wie jede andere
einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung gemäß § 130 I 1 BGB in dem
Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem empfangszuständigen Adressaten zugeht.
Mit dem Wirksamwerden entfaltet sie ihre Gestaltungswirkung. Die Kündigung
führt (gegebenenfalls nach Ablauf der Kündigungsfrist) zur Auflösung des
Arbeitsverhältnisses mit Wirkung ex-nunc. Es ist auch nicht so, dass die
Gestaltungswirkung bei der ordentlichen Kündigung erst mit dem Ablauf der
Kündigungsfrist
eintritt.
Ob
die
Gestaltungswirkung
eintritt
oder
nicht,
entscheidet sich bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung,
auch wenn sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hinausgeschoben ist.55 Die
Kündigungsfrist ist eine reine Abwicklungsfrist, die die Suspendierung des
kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutzes durch wirksame Kündigung
voraussetzt, also an den Gestaltungsakt als Rechtsfolge anknüpft.
Das geltende Recht trägt dabei dem Umstand durchaus Rechnung, dass sich
Rechtsgeschäfte als nicht beständig oder anpassungsbedürftig erweisen. Hierfür
stellt das Gesetz eigene Regelungen bereit, die auf der getrennten Beurteilung
der Wirksamkeit der Willenserklärung zum Zeitpunkt ihres Zugangs und ihrer
Beständigkeit im Verlauf der weiteren Entwicklung beruhen. So wird die
55
Walker, SAE 1998, 103, 104.
- 25 wirksame Willenserklärung durch ergänzende Vertragsauslegung inhaltlich
modifiziert, nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313
BGB) an veränderte Bedingungen angepasst oder durch Anfechtungsrechte
verschiedener Art nachträglich vernichtet. Eine Ex-Post-Betrachtung würde
beide Aspekte unzulässig vermengen und so einer vom Gesetz nicht gewollten
Rechtsunsicherheit Vorschub leisten.56
(2) Bedingungsfeindlichkeit der Kündigung als
Gestaltungsrecht
Würde man das Fortbestehen des Kündigungsgrundes als Voraussetzung für
die Wirksamkeit der Kündigung ansehen, dann stünde die Kündigung unter einer
auflösenden Bedingung. Eine solche Annahme wäre aber unvereinbar mit der
Natur der Kündigung als Gestaltungserklärung. Das Gestaltungsrecht wird nach
einmaliger Ausübung verbraucht. Mit dieser Konsumtion des Gestaltungsrechts
durch die Gestaltungserklärung hängt auch die allgemein angenommene
Bedingungsfeindlichkeit
der
einmal
abgegebenen
Gestaltungserklärung
zusammen.57 Die Kündigung ist eine einseitige unmittelbar rechtsgestaltende
Erklärung. Da sie auf die Rechtstellung des Erklärungsempfängers ohne dessen
Zutun einwirkt, muss sich die beabsichtigte Rechtsänderung klar und
unzweideutig aus der Erklärung ergeben. Die für die Aufrechnungserklärung
gemäß § 388 S. 2 BGB (und für die Annahme/Ausschlagung des
Vermächtnisses
gemäß
§
2180
II
2
HS
2
BGB)
angeordnete
Bedingungsfeindlichkeit ist ein allgemeiner Rechtsgedanke, der ebenso auf die
übrigen Gestaltungsakte, die Anfechtung, den Rücktritt, den Widerruf, die
Genehmigung, die Ausübung des Vorkaufsrechts und auch die Kündigung zu
beziehen ist.58 Gegen die Bedingungsfeindlichkeit spricht auch nicht etwa, dass
die prozessuale Möglichkeit der Eventualaufrechnung allgemein anerkannt ist.
56
Langenbucher, SAE 1998, 145, 146.
57
Palandt – Heinrichs, Einf v § 158 Rn 12 f m.w.N.
58
Palandt – Heinrichs, Überbl v § 104 Rn 17 und § 388 BGB Rn 1.
- 26 Erklärt der Beklagte die Aufrechnung hilfsweise für den Fall, dass die Forderung
des Klägers entgegen der primär vorgebrachten Verteidigung doch bestehen
bzw. durchsetzbar sein sollte, so handelt es sich nicht um eine Aufrechnung
unter einer Bedingung, da hierfür die Abhängigkeit der Rechtsfolge vom Eintritt
oder Nichteintritt eines ungewissen zukünftigen Ereignisses erforderlich wäre,
sondern lediglich um eine Abhängigkeit von der späteren Aufklärung der bereits
im Erklärungszeitpunkt bestehenden Rechtslage, also um eine unechte
Prozessbedingung.59
Eine Ausnahme von der Bedingungsfeindlichkeit ist allenfalls dort zu machen,
wo der Bedingungseintritt ausschließlich vom Willen des Erklärungsempfängers
abhängt und daher ein Schwebezustand bedenklicher Rechtsunsicherheit nicht
zu befürchten ist.60 Möglicherweise schützt die Bedingungsfeindlichkeit nämlich
nur den Erklärungsempfänger61, also den Arbeitnehmer, der auf diesen Schutz
in den hier beschriebenen Fällen mitunter gern verzichten würde, handelt es sich
doch
um
den
bequemsten
Weg,
ohne
materielle
Einbußen
in
den
Schutz
des
Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses zurückzugelangen.
Die
Bedingungsfeindlichkeit
dient
in
erster
Linie
dem
Erklärungsgegners, der, wenn er schon die Rechtsgestaltung durch den
Erklärenden gegen sich gelten lassen muss, wenigstens auch wissen soll, woran
er ist. Im Falle einer auflösend bedingten Kündigung bliebe der Arbeitnehmer im
Ungewissen über den durch die Erklärung geschaffenen Rechtszustand. Der
Sinn der Kündigungsfrist liegt dagegen allein darin, dem Arbeitnehmer die
Vorbereitung
auf
die
bevorstehende
sichere
59
Zöller ZPO – Greger, § 145 Rn 13; Kaiser, ZfA 2000, 205, 211 m.w.N.
60
Palandt – Heinrichs, Einf v § 158 Rn 13.
61
Beendigung
des
In diese Richtung Palandt – Heinrichs, Einf v § 158 Rn 13; OLG Hamburg (1 U 78/90), NJWRR 1991, 1199, 1201.
- 27 Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen.62 Er soll insbesondere in die Lage versetzt
werden, sich nach einer Anschlussbeschäftigung umzusehen.63
Die Bedingungsfeindlichkeit dient darüber hinaus aber auch dem Schutz des
Erklärenden.
Gerade
die
arbeitsrechtliche
Kündigungserklärung
zeigt
anschaulich, dass die Schutzrichtung keine einseitige ist, denn auch der
Arbeitgeber bedarf der Rechtssicherheit, wenn er das Gestaltungsrecht ausübt.
Das KSchG stellt beträchtliche Anforderungen an die Wirksamkeit der
Kündigung, für die der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess gemäß § 1 II 4
KSchG darlegungs- und beweispflichtig ist. Gelingt dem Arbeitgeber dieser
Nachweis nicht, beispielsweise weil er bei der betriebsbedingten Kündigung die
organisatorische Unternehmerentscheidung und ihre konkreten Auswirkungen
auf den Beschäftigungsbedarf nicht substanziiert genug darzulegen vermag, so
kann das vom Gericht festgestellte Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses
erhebliche Nachteile für ihn zur Folge haben. Hat er den Arbeitnehmer nach
Ablauf der Kündigungsfrist während des Kündigungsschutzprozesses nicht mehr
beschäftigt, so muss er auch für diesen Zeitraum das Arbeitsentgelt wegen
Annahmeverzugs gemäß § 615 BGB nachzahlen. Ein Arbeitgeber wird daher
vor dem Ausspruch einer Kündigung sehr sorgfältig prüfen, ob diese Kündigung
sich im Prozess als rechtsbeständig erweisen wird. Hat er diesbezüglich jede
erdenkliche Sorgfalt walten lassen, so ist es ein Gebot der Rechtssicherheit, die
stimmige Kündigungsentscheidung im Hinblick auf die zum Kündigungszeitpunkt
nicht vorhersehbare weitere Entwicklung nicht in Frage zu stellen.64 Will man
die Risikozuweisung, die das kündigungsschutzrechtliche Prognoseprinzip
vornimmt, also korrigieren (was einer eigenständigen Begründung bedarf), so
erscheint die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs gegenüber der
Annahme einer Rückwirkung späterer Ereignisse auf die Kündigungswirksamkeit
62
Kaiser, ZfA 2000, 205, 212.
63
Langenbucher, SAE 1998, 145, 145.
64
Raab, RdA 2000, 147, 151 f.
- 28 als
das
mildere
Mittel,
um
die
gegenläufigen
Interessen
schonend
auszugleichen.
(3) Verhältnis von Gestaltungsrecht und
Gestaltungsklagerecht
Kaiser65 führt schließlich auch einen Vergleich zwischen Gestaltungsrechten
und Gestaltungsklagerechten an. Das Gestaltungsrecht ermöglicht anders als
der bloße Anspruch auf Rechtsänderung die Selbstvollstreckung. Anstatt seinen
Anspruch einzuklagen, titulieren und vollstrecken zu lassen, kann der Inhaber
des Gestaltungsrechts sein Begehren selbst vollstrecken. Das Gestaltungsrecht
ist damit ein Akt privater Zwangsvollstreckung.66 Dem Gestaltungsrechtsinhaber
sei in der Konsequenz eine größere Rechtsmacht eingeräumt als in den Fällen,
in denen dem Gläubiger lediglich ein Gestaltungsklagerecht zugestanden wird,
z.B. nach § 133 HGB. Wenn aber beim Gestaltungsklagerecht niemand
ernsthaft auf die Idee komme, das rechtskräftige Gestaltungsurteil wegen
nachträglicher Änderungen der Sachlage anzuzweifeln, dann könne nichts
anderes gelten, wenn dem Rechtsinhaber mit dem Gestaltungsrecht ein Mehr an
Rechtsmacht eingeräumt werde.67
Käme es für die Wirksamkeit der Kündigung auf die Situation bei Ablauf der
Kündigungsfrist an, so würde nicht mehr der Arbeitgeber darüber entscheiden,
wem unter Berücksichtigung der kündigungsschutzrechtlichen Vorgaben zu
kündigen ist, sondern der die Entscheidung des Arbeitgebers kontrollierende
Richter. Dies werde besonders deutlich am Beispiel der Sozialauswahl bei der
betriebsbedingten
Kündigung.
Die
Entscheidung
darüber,
welchen
Arbeitnehmern nach sozialen Gesichtspunkten gekündigt werden dürfe, sei aus
der Perspektive des Kündigungsschutzprozesses eine ganz andere. Diejenigen
Arbeitnehmer, die wegen der zur Zeit des Zugangs unzweifelhaft wirksamen
65
Kaiser, ZfA 2000, 205, 212, 216.
66
Becker, AcP 188 (1988), 24, 28.
67
Kaiser, ZfA 2000, 205, 212.
- 29 Kündigung auf eine Kündigungsschutzklage verzichtet haben, fallen, da ihr
Arbeitsverhältnis wirksam beendet worden ist, aus der Sozialauswahl heraus.
Schon wegen der Änderungen des zu berücksichtigenden Personenkreises
müsste durch den Richter ständig eine neue Auswahlentscheidung getroffen
werden. Das mache aus dem Gestaltungsrecht Kündigung eine vom Gesetz
gerade nicht vorgesehene Gestaltungsklage.68
Einen so weitreichenden Einwand könnte man indes nur erheben, wenn man als
maßgeblichen Zeitpunkt den Abschluss des Kündigungsrechtsstreits ansehen
würde, was noch bedenklicher sein dürfte als die Berücksichtigung der
Entwicklung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.69
Problematisch ist auch die Grundannahme, wenn der Gesetzgeber durch das
Gestaltungsrecht dem Rechtsinhaber ein Mehr an Rechtsmacht einräume als
beim
Gestaltungsklagerecht,
könne
der
Gestaltungsrechtsinhaber
auch
hinsichtlich nachträglich eintretender Umstände jedenfalls nicht schlechter
stehen als der Inhaber eines bloßen Gestaltungsklagerechts. Ebenso gut könnte
man umgekehrt behaupten, wenn schon dem Rechtsinhaber durch das sofortige
Recht zur Rechtsgestaltung ein Mehr an Rechtsmacht eingeräumt werde, dann
müsse man wenigstens diese Rechtsmacht unter den Vorbehalt nachträglicher
Veränderungen stellen, was man bei einem richterlichen Gestaltungsakt nicht
notwendig annehmen müsse.
Zutreffend ist aber der Einwand, nicht mehr allein dem Arbeitgeber obliege die
Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer, sondern auch dem Arbeitsgericht.
Das
Maß
an
Unsicherheit,
das
durch
die
Verschiebung
des
Beurteilungszeitpunktes auf einen Zeitpunkt jenseits des Kündigungszugangs
eintritt, entfernt die Entscheidung von der Ausübung eines Gestaltungsrechts
und rückt sie in die Nähe eines – vom Gesetz gerade nicht vorgesehenen –
68
Kaiser, ZfA 2000, 205, 216.
69
Siehe oben unter B.I.2.a) „Ex-Post-Beurteilung der Kündigungswirksamkeit“ auf Seite 20.
- 30 Gestaltungsklagerechts. Letzteres bietet von vornherein in Abhängigkeit von den
Entwicklungen
bis
zur
gerichtlichen
Entscheidung
nur
eine
relative
Rechtsposition.
(4) Ausnahmecharakter zivilrechtlicher Sonderregelungen
Die
Unwirksamkeit
der
Kündigung
wegen
nach
Zugang
der
Kündigungserklärung eintretender Umstände normiert lediglich § 569 III Nr. 2
BGB70 (§ 554 II Nr. 2 S. 1 BGB a.F.) für das Mietrecht: Nimmt der Vermieter das
Recht zur außerordentlichen Kündigung bei Zahlungsverzug wahr, so kann der
Mieter die Kündigung noch dadurch unwirksam werden lassen, dass er den
Vermieter bis zum Ablauf zweier Monate nach Eintritt der Rechtshängigkeit des
Räumungsanspruchs hinsichtlich des fälligen Mietzinses befriedigt. Die zunächst
wirksame Kündigung wird also als Rechtsfolge der Vorschrift nachträglich
unwirksam.71
Neben
Zweifeln
an
der
Analogiefähigkeit72
dieser
Sondervorschrift des sozialen Mieterschutzes73 spricht auch sachlich wenig für
eine vergleichende Übertragung auf das Kündigungsschutzrecht. Der Regelung
im Mietrecht geht es gerade auch darum, den Folgekosten einer nicht
hinnehmbaren Wohnungslosigkeit für die öffentlichen Haushalte vorzubeugen
(„... oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet.“). Dagegen
bewirkt die Kündigung des einen Arbeitnehmers bei fortbestehendem oder
wiederentstehenden Beschäftigungsbedarf die Einstellung des anderen. Ein
öffentliches Interesse an der Vermeidung des individuellen Arbeitsplatzverlustes
ist nicht in gleicher Weise vorhanden. Im Übrigen ließe sich ebenso gut betonen,
dass für das Kündigungsschutzrecht eine ausdrücklich Normierung ja gerade
fehlt. Eine vergleichbare Handhabung der arbeitsrechtlichen Kündigung müsste
70
Neugefasst durch das Mietrechtsreformgesetz zum 01.09.2001.
71
BGH (VIII ZR 200/59), NJW 1960, 2093, 2093; KG (8 WRE Miet 97/84), WuM 1984, 93, 94.
72
Staudinger – Emmerich, § 554 BGB Rn 62; Kaiser, ZfA 2000, 205, 214 m.w.N.
73
Näher Stebut, NJW 1985, 289, 290.
- 31 unter den zivilrechtlichen Gestaltungsrechten zudem als nicht systemgerecht
angesehen werden.
b) Überlegungen aus dem Arbeitsrecht
(1) Vorgaben der §§ 4, 7 KSchG
Auch die Klageerhebungsfrist weist in diese Richtung. Die Rechtsnatur der
Kündigungsschutzklage als Feststellungsklage gemäß § 4 KSchG spricht für die
Gestaltungswirkung und gegen eine Sonderstellung der arbeitsvertraglichen
Kündigungserklärung.74
Eine
sozial
gerechtfertigte
Kündigung
löst
das
Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist auf, hat also dieselbe Wirkung
wie
jede
andere
Kündigung
eines
Dauerschuldverhältnisses.
Die
Feststellungsklage schafft Klarheit darüber, ob die rechtsgestaltende Wirkung
der Kündigungserklärung eingetreten ist, oder ob das Arbeitsverhältnis wegen
Rechtsunwirksamkeit
der
Kündigung
fortbesteht.
Die
Abhängigkeit
der
Kündigungswirksamkeit von nachträglichen Umständen wäre daher mit der
Regelung des § 4 S. 1 KSchG, wonach die Frist für die Erhebung der
Kündigungsschutzklage mit dem Zugang der Kündigungserklärung beginnt,
unvereinbar. Kann nämlich sofort nach Zugang der Kündigung Klage erhoben
werden, so muss auch die Wirksamkeit der Kündigung schon zu diesem
Zeitpunkt festgestellt werden können.75 Die Berücksichtigung nachträglicher
Umstände bis zum Ende der Kündigungsfrist würde dagegen dazu führen, dass
faktisch das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt überprüft
würde.76 Dies ist weder mit dem Lauf der Klageerhebungsfrist noch mit dem
punktuellen Streitgegenstandsbegriff des § 4 KSchG vereinbar.
74
Adam, ZTR 1999, 113, 113.
75
Raab, RdA 2000, 147, 152.
76
Kaiser, ZfA 2000, 205, 214.
- 32 -
(2) Ambivalenz eines verschobenen Beurteilungszeitpunktes
Als weiterer Gesichtspunkt wird die Doppelwertigkeit eines verschobenen
Beurteilungszeitpunktes zugunsten wie zulasten des Arbeitnehmers angeführt.
Wenn nachträgliche Umstände zugunsten des Arbeitnehmers noch auf die
Kündigungswirksamkeit durchschlagen, dann müsste es konsequenterweise
auch zugunsten des Arbeitgebers wirken, wenn erst nach Ausspruch der
Kündigung eintretende Umstände einen Kündigungsgrund bestätigen, der zum
Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs fraglich war. Dies wird aber nirgends
vertreten.77 Vielmehr sind nachträgliche Umstände gegebenenfalls Sachgrund
für eine weitere Kündigung. Insoweit handelt es sich in der Tat um einen
gewichtigen Einwand. Die bloße Verschiebung des Beurteilungszeitpunktes
bewirkt nicht allein, die als einseitig empfundene Risikoverteilung zulasten des
Arbeitnehmers zu korrigieren, sondern sie würde sich auch gegen den
Arbeitnehmer richten, der zwar nach Ausspruch der Kündigung klagen müsste,
zu diesem Zeitpunkt aber das Prozessrisiko nicht übersehen könnte, weil das
letzte Wort in Sachen Kündigungswirksamkeit noch nicht gesprochen wäre.
(3) Anhörungsrecht des Betriebsrats
Ein
weiteres
Argument
betriebsverfassungsrechtlichen
soll
Verbot
aus
des
dem
grundsätzlichen
Nachschiebens
von
Kündigungsgründen ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats gewonnen
werden.
Demnach
sollen
die
Konsequenzen
einer
Verlagerung
des
Beurteilungszeitpunktes auf das Anhörungsrecht nicht zu bewältigen sein.
Gemäß § 102 I BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat zu den
Gründen, die ihn subjektiv zur Kündigung bewogen haben (subjektive
Determinierung78), vor Ausspruch der Kündigung zu hören. Unterrichtet er den
Betriebsrat nicht vollständig, so ist die Kündigung nach § 102 I 3 BetrVG
77
So zu Recht Adam, ZTR 1999, 113, 113; Boewer, NZA 1999, 1121, 1124.
78
BAG (2 AZR 920/93), AP Nr. 64 zu § 102 BetrVG.
- 33 unwirksam.
Ein
Nachschieben
von
Kündigungsgründen
im
Kündigungsschutzprozess wird nur zugelassen, wenn sie zum Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung zwar vorlagen, dem Arbeitgeber aber erst später
bekannt werden und er die Anhörung des Betriebsrats nachholt.79
Wollte man auch später eintretende Umstände berücksichtigen, so müsste
ebenfalls der Betriebsrat angehört werden, gleich, ob es sich um Umstände
zugunsten oder zulasten des Arbeitnehmers handelt. Die für die hier untersuchte
Frage maßgeblichen Umstände zugunsten des Arbeitnehmers dürften nicht
berücksichtigt werden, solange der Betriebsrats nicht angehört worden sei und
der Arbeitgeber keine erneute Entscheidung über die Kündigung getroffen habe.
Andernfalls würden die Beteiligungsrechte des Betriebsrats
entgegen der
Intention des BetrVG erheblich verkürzt, da er keine Möglichkeit mehr hätte,
Argumente gegen die Kündigung zu Gehör zu bringen und auf den
Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Dagegen lasse sich
jedenfalls
für
die
betriebsbedingte
Kündigung
nicht
einwenden,
der
Arbeitnehmer bedürfe des Schutzes durch den Betriebsrat nicht, soweit ihn
Änderungen während der Kündigungsfrist lediglich begünstigen. Maßgeblich sei,
dass der Betriebsrat nicht allein die Interessen des gekündigten Arbeitnehmers,
sondern gerade auch die der übrigen Belegschaft vertreten, insbesondere die
ordnungsgemäße Sozialauswahl überwachen solle (§ 102 III Nr. 1 und 2
BetrVG).
Stehe
die
unterbliebene
Anhörung
des
Betriebsrats
der
Berücksichtigung nachträglicher Änderungen im Kündigungsschutzprozess
entgegen, so bestätige dies, dass Änderungen der Sachlage nach Zugang der
Kündigung keinen Einfluss auf deren Wirksamkeit haben können.80
Dieses Argument überzeugt jedoch nicht. Bei dem grundsätzlichen Verbot des
Nachschiebens von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch
der Kündigung zwar bekannt waren, die er dem Betriebsrat aber vorenthalten
79
FKHE BetrVG, § 102 Rn 18a.
80
Kaiser, ZfA 2000, 205, 215 f; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 90.
- 34 hat, handelt es sich bereits um eine Konsequenz der Grundannahme, die
Kündigungswirksamkeit sei allein nach den Umständen zu beurteilen, die im
Kündigungszeitpunkt schon vorlagen. Aus dieser Schlussfolgerung für das
Anhörungsrecht des Betriebsrats lässt sich nicht auf die Frage nach dem
Beurteilungszeitpunkt der Kündigung rückschließen.
Die vor dem Ausspruch der Kündigung liegende Anhörung des Betriebsrats
kann sachlogisch nur solche Gründe erfassen, die zu diesem Zeitpunkt schon
vorlagen. Nur insoweit handelt es sich auch um Gründe, die in kausalem
Zusammenhang mit der Kündigungserklärung stehen, also für die Entscheidung
des Arbeitgebers ursächlich waren. Wenn es in § 102 I 1 BetrVG heißt, der
Arbeitgeber sei vor Ausspruch der Kündigung zu hören, so ist auch klar
vorgegeben, dass es hierbei nur um die für den Ausspruch der Kündigung
kausalen Gründe geht. Dies entspricht auch der subjektiven Determinierung.
Selbst wenn nachträgliche Umstände für die Wirksamkeit der Kündigung von
Einfluss sein sollten, wird man daher nicht annehmen müssen, der Arbeitgeber
sei
vor
Geltendmachung
dieser
Umstände
im
Kündigungsrechtsstreit
gezwungen, erneut den Betriebsrat einzuschalten und die Kündigung noch
einmal
zu
überdenken.
Kündigungserklärung
Umstände,
eintreten,
die
werden
erst
vom
nach
dem
subjektiv
Zugang
der
determinierten
Schutzzweck des § 102 I BetrVG gar nicht umfasst, denn § 102 I BetrVG will im
Vorfeld einer Kündigung eine den kündigungsschutzrechtlichen Vorgaben und
betrieblichen Notwendigkeiten entsprechende Entscheidung des Arbeitgebers
fördern. Diese Problematik stellt sich hinsichtlich nachträglicher Umstände nicht.
Dass zum Kündigungszeitpunkt vorliegende aber dem Arbeitgeber erst später
bekannt
gewordene
Umstände
erst
nach
Anhörung
des
Betriebsrats
nachgeschoben werden können, dient allein der Missbrauchsprävention. Die
Anhörung kann auch hier ihren Zweck nicht mehr erfüllen81, sie ist aber
notwendig, um klarzustellen, dass der Betriebsrat als Mitwirkungsinstanz auch
dann nicht ausgeschaltet werden kann, wenn sich der Arbeitgeber im
81
Ausführlich hierzu DKK BetrVG – Kittner, § 102 Rn 116 m.w.N.
- 35 Kündigungsrechtsstreit unangreifbar auf die fehlende eigene Kenntnis zum
Kündigungszeitpunkt beruft. So wird sichergestellt, dass sich der Arbeitgeber im
Hinblick auf die dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe einerseits und die vor dem
Arbeitsgericht vertretenen Kündigungsgründe andererseits kongruent verhält.
Darüber
hinaus
ist
auch
die
Zulässigkeit
eines
Nachschiebens
von
Kündigungsgründen an sich umstritten. So wird angeführt, die Möglichkeit des
Nachschiebens sei unvereinbar mit der subjektiven Determinierung der
mitzuteilenden Gründe. Es werde sonst ein Kündigungsgrund zugelassen, der
die subjektiven Beweggründe des Arbeitgebers zum Ausspruch der Kündigung
gerade nicht beeinflusst habe.82 Im Übrigen würde eine Kündigung zugelassen,
vor deren Ausspruch der Betriebsrat entgegen dem gesetzlichen Modell nicht
angehört wurde.83
c) Alternative Überlegungen
(1) Rechtsmissbrauch bei Berufung auf die wirksame
Kündigung?
Vereinzelt wurde obergerichtlich84 auch vertreten, dem Arbeitgeber die
Berufung auf die wirksame Kündigung, die sich im Verlauf der weiteren
Entwicklung als überflüssig erweist, wegen Rechtsmissbrauchs nach Treu und
Glauben zu verwehren. Der „dolo-agit“-Grundsatz sei von Amts wegen bereits
bei der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag zu berücksichtigen.
Die Lit. ist dem teilweise gefolgt.85
82
Bayer, DB 1992, 782, 786.
83
DKK BetrVG – Kittner, § 102 Rn 116.
84
85
LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1; LAG Düsseldorf von
28.11.1995 (6 Sa 858/95), unveröffentlicht, siehe nachfolgend BAG (2 AZR 160/96), NZA
1997, 757, 758.
Wank, Anm. zu BAG (2 AZR 24/83), AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Otto, Anm.
zu BAG (2 AZR 140/81), EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10, der die spätere Entwicklung sowohl
- 36 Zu Recht weist der 2. Senat des BAG darauf hin, dass es sich hier nur um einen
Umweg handelt, um den Beurteilungszeitpunkt für die Wirksamkeit der
Kündigung doch wieder
zu
verschieben und
zur Beurteilung
Gründe
heranzuziehen, die erst nach Zugang der Kündigung entstanden sind.86 Der
Arbeitgeber braucht sich auf die Wirksamkeit der Kündigung schon gar nicht zu
berufen, er ist nicht einmal ohne weiteres in der Lage, die Kündigung nach ihrem
ordnungsgemäßen Zugang zurückzunehmen.87 Beruft er sich trotzdem
ausdrücklich auf die Kündigung, so stellt dies lediglich einen Hinweis auf den
rechtmäßig eingetretenen Status Quo da.88 Die Kündigung kann zwar in
rechtsmissbräuchlicher Weise erklärt werden, etwa bei Kündigung zur Unzeit.89
Trifft den Arbeitgeber bezogen auf den Kündigungszeitpunkt aber kein solcher
Vorwurf, so hat die Kündigung unabhängig von der weiteren Entwicklung als
solche eine vertragsbeendigende Wirkung.
Die Berücksichtigung nachträglich eintretender Umstände für den Einwand
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist auch dann abzulehnen, wenn man die
weitere Entwicklung nur in engen zeitlichen Grenzen, etwa beschränkt auf den
Ablauf der Kündigungsfrist, heranzieht. Denn bis zu diesem Zeitpunkt bliebe die
Wirksamkeit der einmal ausgesprochenen Kündigung in der Schwebe und erst
am letzten Tage der Kündigungsfrist stünde ihre gestaltende Wirkung für die
Parteien fest.
zugunsten als auch zulasten des Arbeitnehmers – und zwar auch über die Kündigungsfrist
hinaus – berücksichtigen möchte.
86
So auch Belling, RdA 1996, 223, 239; Gentges Diss., S. 366; Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa
860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
87
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1997, 757, 758.
88
vom Stein, RdA 1991, 85, 91.
89
BGH (II ZR 44/58), BGHZ 30, 195, 202; BGH (II ZR 128/86), BGHZ 101, 113, 120.
- 37 -
(2) Widerrufliche bedingte Kündigung?
(a) Verschiebung des Beurteilungszeitpunktes
Einen anderen Lösungsansatz, der den Beurteilungszeitpunkt auf den Ablauf der
Kündigungsfrist verschiebt, wählt Adam90 und greift damit eine von Gentges91
kritisch erörterte Überlegung auf.
Die h.M. müsse sich fragen lassen, warum die Kündigung nach den
Verhältnissen zur Zeit ihres Zugangs beurteilt wird, obwohl über das „Phantom“
des Wiedereinstellungsanspruchs letztlich doch Ergebnisse erzielt würden, die
den Verhältnissen bei Ablauf der Kündigungsfrist oder am Ende der mündlichen
Tatsachenverhandlung gerecht werden. Dann sei es nämlich unverständlich,
warum nicht gleich auf diesen späteren Zeitpunkt abgestellt werde. Die
Berechtigung der Kündigung im Kündigungszeitpunkt erscheine bedeutungslos
und ihre Prüfung überflüssig.
Kein Arbeitgeber habe ein schutzwürdiges Interesse daran, einen Mitarbeiter zu
entlassen, obwohl Gründe hierfür im besagten Zeitpunkt nicht mehr vorliegen
oder (möglicherweise) erst in einer ferneren Zukunft entstehen.92 Der
Wiedereinstellungsanspruch
löse
das
Problem
nicht
wirklich,
sondern
verkompliziere es. Gerade das von der h.M. bemühte Argument der
Rechtssicherheit
greife
letztlich
nicht
durch,
denn
die
auf
den
Kündigungsschutzprozess bezogene Rechtssicherheit werde ja durch den
Wiedereinstellungsrechtsstreit entwertet.
Adam schlägt daher vor, die Kündigung als aufschiebend bedingt anzusehen
durch den Fortbestand der sie tragenden Gründe bei Ablauf der Kündigungsfrist.
90
Adam, DZWiR 1997, 522, 523 f; Adam, ZTR 1999, 113, 114 f; Adam, MDR 2000, 1442, 1442.
91
Gentges Diss., S. 311 f und 378 f.
92
Adam, DZWiR 1997, 522, 523.
- 38 Dagegen ist zwar zunächst einzuwenden, dass das Abstellen auf den Zeitpunkt
des
Ablaufs
der
Kündigungsfrist
mit
dem
Sinn
und
Zweck
der
Klageerhebungsfrist nach den §§ 4 und 7 KSchG nicht zu vereinbaren ist, da die
§§ 4 und 7 KSchG zu einer materiellen Präklusion schon nach drei Wochen
führen und der spätere Bedingungseintritt oder Nichteintritt bei Ablauf der
Kündigungsfrist keine Funktion mehr haben könnte. Die durch § 7 KSchG
bezweckte schnelle Klärung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung
lässt es folglich nicht zu, deren soziale Rechtfertigung nach Ablauf der
Kündigungsfrist noch einmal in Frage zu stellen.93 Die von der h.M. vertretene
„Zugangstheorie“ ist also in den §§ 4, 7 KSchG gesetzlich verankert und deshalb
vom Standpunkt des geltenden Rechts auch nicht anzuzweifeln. Dies erkennt
indes auch Adam94, der seinen Ansatz aber de lege ferenda als den besseren
Weg ansieht. Es entstünden erhebliche Probleme bei der Rechtsanwendung, die
eine vom geltenden Recht abweichende Beurteilung erforderten. Zunächst
werde ein Rechtsstreit über die Kündigungswirksamkeit erforderlich, um nach
der Klärung dieser ohnehin zweitrangigen Frage noch einen eigenständigen
Wiedereinstellungsanspruch zu diskutieren. Muss nach dem KSchG die weitere
Entwicklung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unberücksichtigt bleiben, so
entwerte dies zudem den Bestandsschutz, weil die Verlängerung der
Kündigungsfrist mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit (vgl. § 622
BGB) bei der Beurteilung des Kündigungsgrundes nicht berücksichtigt wird.
Somit fehle es an einer Harmonisierung von BGB und KSchG. Außerdem sei es
schon grundsätzlich wünschenswert, dass die Prognose des Arbeitgebers durch
die Lage am Ende der Kündigungsfrist Bestätigung findet. Prognosen seien stets
ein Quell von Meinungsverschiedenheiten, wenn man ihre Bestätigung oder
Widerlegung nicht abwartet, bevor man über die Kündigungswirksamkeit
entscheidet. Es könne nicht richtig sein, trotz Wegfalls der zugrunde liegenden
Tatsachen an der Bestandskraft der Kündigung festzuhalten und den
Arbeitnehmer mit der Geltendmachung des Wiedereinstellungsbegehrens zu
93
Gentges Diss., S. 311 f.
94
Adam, MDR 2000, 1442, 1442.
- 39 belasten, obwohl es doch Sache des Arbeitgebers sein müsse, die von ihm
geschaffenen Fakten aus der Welt zu schaffen.95 De lege ferenda ergebe sich
damit die Forderung, die Verankerung der Zugangstheorie im KSchG zu
beseitigen. Bei den zu überwindenden Unbilligkeiten des Prognoseprinzips
handele es sich um ein Kumulationsproblem. Es werde dadurch verursacht,
dass
der
Schutz
des
Kündigungsbeschränkungen
Arbeitnehmers
verwirklicht
durch
werde,
zwei
Arten
einerseits
von
mittels
Kündigungsgründen, andererseits mittels Kündigungsfristen.96 Aus dieser
Zweigleisigkeit folge die Notwendigkeit einer Harmonisierung beider Bereiche.
Dies lasse sich nur erreichen, wenn das Gesetz die Wirksamkeit der Kündigung
von den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Ablaufs der maßgeblichen
Kündigungsfrist abhängig mache. Hierzu bedürfe es der Anerkennung der
bedingten Kündigung. Diese müsse einerseits vom Arbeitgeber bis zum Ablauf
der Kündigungsfrist frei widerrufen werden können, und dürfe andererseits vom
Arbeitnehmer erst nach diesem Zeitpunkt angegriffen werden.97 Die Kündigung
würde demnach erst wirksam, wenn der Kündigungsgrund zum Zeitpunkt des
Ablaufs der Kündigungsfrist (noch) vorliegt, sich die Arbeitgeberprognose also
bestätigt habe. Nach Ablauf der Kündigungsfrist habe der Arbeitnehmer
innerhalb der Dreiwochenfrist die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der
Kündigung anzustrengen, um die Unwirksamkeit geltend zu machen und die
materielle Präklusion zu verhindern.
Im
Unterschied
zum
Wiedereinstellungsmodell
würden
so
gerichtliche
Auseinandersetzungen vermieden, da man im Zeitpunkt des Ablaufs der
Kündigungsfrist mehr wisse als im Zugangszeitpunkt und bei klarem Sachverhalt
bereits
der
Anlass
einer
Klage
entfiele.
Auch
verminderten
sich
so
Manipulationsmöglichkeiten für den Arbeitgeber erheblich, der nicht mehr die
Möglichkeit hätte, sich z.B. nach einer Kündigung wegen beabsichtigter
95
Adam, DZWiR 1997, 522, 524.
96
Adam, MDR 2000, 1442, 1442; Gentges Diss., S. 142.
97
Adam, DZWiR 1997, 522, 523 f; Adam, ZTR 1999, 113, 114.
- 40 Betriebsstillegung darauf zu berufen, die letztlich nicht durchgeführte Stillegung
habe
aber
damals
schon
„greifbare
Formen“
angenommen
und
ihre
Nichtrealisierung sei zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen. Die
Ungewissheit, ob ein Widerruf der Kündigung durch den Arbeitgeber erfolgt,
könne der Arbeitnehmer durch eine eigene Kündigung beseitigen und so
Rechtssicherheit erlangen. Dem Arbeitgeber müsse die Möglichkeit gegeben
werden, durch den Widerruf der Kündigung die Folgen einer Fehlprognose in
Gestalt eines sinnlosen kostenträchtigen Kündigungsrechtsstreits um den
„Schnee von Gestern“ zu vermeiden.98
(b) Unvereinbarkeit mit dem Prognoseprinzip
Dieser Weg ist nach der hier vertretenen Auffassung aber auch dann nicht
gangbar, wenn man die Hindernisse des geltenden Rechts außer Acht lässt. Die
Annahme einer widerruflichen bedingten Kündigungsbefugnis läuft auf die
Negation des Prognoseprinzips hinaus und opfert die Rechtssicherheit zulasten
des Arbeitnehmers.
Eine
widerrufliche
bedingte
Kündigungsbefugnis
mit
dem
Ablauf
der
Kündigungsfrist als Beurteilungszeitpunkt würde die Kündigungsfrist in eine
Ankündigungsfrist
umdefinieren.
Zwar
würde
die
Kündigung
als
Gestaltungserklärung formalrechtlich den Lauf der Kündigungsfrist auslösen. Die
faktisch-tatsächliche
Entscheidung
über
die
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses würde der Arbeitgeber jedoch erst am Ende der
Kündigungsfrist dadurch treffen, dass er sich eines Widerrufs enthielte. Damit
handelt es sich faktisch um eine Kündigungsentscheidung gegen Ablauf der
Kündigungsfrist mit vorheriger Ankündigungspflicht. Diese „Ankündigung“ in
Gestalt der Kündigungserklärung wäre für den Arbeitgeber jederzeit – auch
grundlos – ohne Rücksicht auf ein Prozessrisiko möglich, da er den
Gestaltungsakt jederzeit durch Widerruf suspendieren könnte. Durch jede
98
Adam, ZTR 1999, 113, 114 f.
- 41 weitere „Präventivkündigung“ würde sich die Rechtsstellung des Arbeitgebers
tendenziell verbessern, die des Arbeitnehmers verschlechtern. Die Kündigung
wäre eine Option auf die wahlweise Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum
jeweiligen Kündigungstermin. Nur eine Kündigung, die als echter Gestaltungsakt
ernst zu nehmen ist, gibt dem Arbeitnehmer aber Rechtssicherheit, da der
Arbeitgeber sie nicht widerrufen kann und mit einem Prozessrisiko belastet wird.
Wollte man eine Widerrufsbefugnis nur für den Fall annehmen, dass sich die
Prognose (insbesondere nach betriebsbedingter Kündigung) als falsch erweist,
so hieße das keineswegs, einen unnötigen Prozess über „den Schnee von
gestern“ zu vermeiden. Denn anstatt die Kündigung zu widerrufen, steht es dem
Arbeitgeber bereits nach geltendem Recht frei, dem Arbeitnehmer ein neues
Vertragsangebot (z.B. auf einverständliche „Aufhebung“ der Kündigung) zu
unterbreiten und damit einem Wiedereinstellungsrechtsstreit die Grundlage zu
entziehen. Wer das nicht tut, widerruft auch keine Kündigung, solange nicht die
Rechtslage nach Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose klar und
überschaubar ist.
Die vom Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt anzustellende Prognose, von
deren Richtigkeit99 die Wirksamkeit der Kündigung nach geltendem Recht
abhängt, würde sich schließlich als überflüssig erweisen. Wozu eine Prognose
stellen, wenn der Eintritt oder Nichteintritt der zu prognostizierenden Entwicklung
ohnehin abgewartet werden müsste und in Abhängigkeit davon die Kündigung
bis kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist widerrufen werden könnte? Die
Kündigung wäre nicht mehr prognosebedingt, sondern tatsachenbedingt. Der
Nachteil, dem Arbeitgeber die Möglichkeit der (insbesondere betriebsbedingten)
Prognosekündigung zu verweigern, würde durch die Möglichkeit einer
risikolosen „Präventivkündigung“ mit anschließender Widerrufsbefugnis mehr als
ausgeglichen.
Weder
das
Prognoseprinzip,
noch
das
Prinzip
der
Rechtssicherheit ließen sich so bewahren.
99
Die Richtigkeit der Prognose ist freilich von ihrer Haltbarkeit zu unterscheiden. Die Richtigkeit
betrifft die Stimmigkeit in bezug auf die Prognosegrundlage. Die Haltbarkeit beschreibt das
Wiedereinstellungsproblem.
- 42 -
d) Schlussfolgerung
Für eine Sonderstellung der arbeitsrechtlichen Kündigung gegenüber anderen
zivilrechtlichen Gestaltungsakten ist rechtsdogmatisch nichts durchgreifendes
ersichtlich. Die Notwendigkeit einer „schneidigen“ Kündigung, die den Parteien
Rechtssicherheit vermittelt, kann auch im Arbeitsrecht nicht bestritten werden.
Die
Wirksamkeit
der
Kündigung
Praktikabilitätsgesichtspunkten
nicht
darf
von
schließlich
nachträglich
auch
unter
hinzutretenden
Umständen abhängen, ansonsten würde man den Arbeitgeber bei der von ihm
anzustellenden Prognose vor eine unlösbare Aufgabe stellen und die
Wirksamkeit der Kündigung letztlich vom Zufall abhängig machen. Der
Arbeitgeber käme damit völlig unverschuldet in eine missliche Lage bedenklicher
Rechtsunsicherheit.
Damit
entstünde
ein
Schwebezustand,
der
eine
vorausschauende Personalplanung unmöglich machen würde. Der Gedanke der
Rechtssicherheit, der im Kündigungsschutzrecht mit den §§ 4, 7 KSchG eine
besondere Ausprägung erfahren hat, ist damit nicht vereinbar. Es ist mithin ein
zwingendes Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, in Übereinstimmung
mit allgemeinen zivilrechtlichen Regeln die Wirksamkeit der arbeitsrechtlichen
Kündigung
als
Gestaltungsakt
von
den
Unwägbarkeiten
der
weiteren
Entwicklung freizustellen.
Die mit der Anerkennung des kündigungsschutzrechtlichen Prognoseprinzips
verbundenen Unbilligkeiten lassen sich jedenfalls durch eine Verschiebung des
Beurteilungszeitpunktes für die Wirksamkeit der Kündigung nicht korrigieren.
4. Konsequenz
–
Unterscheidung
zwischen
kündigungsbeachtlichen
und
unbeachtlichen
Umständen
Zwischen kündigungsbeachtlichen und unbeachtlichen Umständen ist sorgfältig
zu unterscheiden, um den Vorrang der Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Andererseits können allenfalls solche Umstände, die nach der Kündigung neu
aufgetaucht
bzw.
bekannt
geworden
sind,
für
einen
möglichen
Wiedereinstellungsanspruch herangezogen werden, nicht aber solche, die bei
sorgfaltsgerechtem
Verhalten
bereits
zum
Gegenstand
des
Kündigungsschutzprozesses hätten gemacht werden können. Ein Anspruch auf
- 43 Wiedereinstellung darf nicht dazu dienen, den Kündigungsschutzprozess neu
oder erstmals zu führen.100 Ist bereits die Kündigung unwirksam weil
sozialwidrig,
so
kommt
ein
Wiedereinstellungsanspruch
unter
keinem
Gesichtspunkt mehr in Betracht. Rechtsschutz gewährt dem Arbeitnehmer in
diesem Fall allein der Kündigungsschutzprozess. Dabei ist völlig gleichgültig, ob
dieser überhaupt noch erfolgreich geführt werden kann, etwa weil nach
Versäumung der Klageerhebungsfrist (§ 4 S. 1 KSchG) das Bestehen eines die
Kündigung rechtfertigenden Grundes unwiderleglich vermutet wird (§ 7
KSchG).101 Es wäre auch nicht denkbar, einen Kündigungsgrund widerlegen zu
wollen, der faktisch nicht besteht, sondern gemäß § 7 KSchG lediglich
unwiderlegbar fingiert wird.
II. Anwendung auf problematische Fälle
1. Abgrenzung der Stillegungskündigung
Kündigung wegen des Betriebsübergangs
von
der
Für die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung maßgebend sind wie
sonst auch allein die Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.102
Es sollen sich also keine Besonderheiten ergeben. Schwierig wird aber
insbesondere die Prognosestellung bei der Frage, ob im Kündigungszeitpunkt
noch mit der prognostizierten Betriebsstillegung oder bereits mit einem
Betriebsübergang zu rechnen war, wenn letzterer später eintritt.
100
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 755.
101
Boewer, NZA 1999, 1121, 1131.
102
BAG (2 AZR 309/83), NZA 1985, 493, 493.
- 44 -
a) Ausgangspunkt
(1) Prüfungsmaßstab bei inner- und außerbetrieblichen
Kündigungsgründen
„Dringende betriebliche Erfordernisse“ i.S. des § 1 II KSchG können sich aus
innerbetrieblichen Umständen (Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder
Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z. B.
Auftragsmangel, Umsatzrückgang) ergeben.103
Um einen außerbetrieblichen Kündigungsgrund handelt es sich, wenn der
Wegfall des Beschäftigungsinteresses unmittelbar auf Faktoren zurückgeht, die
von außen auf den Betrieb einwirken. Der Unternehmer handelt in diesem Fall
gewissermaßen aus einer Zwangslage heraus. Seine Kündigungsentscheidung
ist als schlichte Reaktion
mit konservativem Inhalt darauf gerichtet, die
Konsequenzen aus der neuen Sachlage zu ziehen, beispielsweise die
Produktion an die verringerte Nachfrage anzupassen.104 Begründet der
Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung allein mit außerbetrieblichen
Kündigungsgründen, insbesondere einem Auftragsmangel, so stellt er einen
unmittelbaren Zusammenhang zwischen Auftragsmenge und Beschäftigung her.
In der Konsequenz bindet er sich für den Fall eines nachfolgenden
Kündigungsschutzprozesses
selbst
an
diesen
Zusammenhang.
Das
Arbeitsgericht prüft dann, ob und in welchem Ausmaß sich der Umsatzrückgang
auf die Arbeitsmenge und damit auf die notwendige Zahl von Arbeitnehmern
auswirkt.
Nur
in
diesem
Rahmen
sind
betriebsbedingte
Kündigungen
gerechtfertigt.105
103
Instruktiv zur Unterscheidung von inner- und außerbetrieblichen Kündigungsgründen
Boeddinghaus, AuR 2001, 8, 8 ff; siehe auch Brenneis Diss., S. 99 ff.
104
Boeddinghaus, AuR 2001, 8, 8.
105
BAG (2 AZR 600/88), BB 1989, 2190, 2190 f; Tschöpe, BB 2000, 2630, 2631.
- 45 Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der
Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme
entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die
Weiterbeschäftigung
eines
oder
mehrerer
Arbeitnehmer
entfällt.
Die
innerbetriebliche Kündigung ist zwar regelmäßig auch durch außerbetriebliche
Umstände veranlasst, jedoch nicht erzwungen. Zwischen den äußeren
Veränderungen und dem partiellen Fortfall des Beschäftigungsinteresses steht
als Bindeglied die (grundsätzlich freie) unternehmerische Entscheidung.
Die Grenzen zwischen außer- und innerbetrieblichen Kündigungsgründen sind
fließend, vor allem in dem Sinne, dass eine Kündigungsentscheidung aus
außerbetrieblichen Gründen auch mit einer freien Unternehmerentscheidung
begründet werden kann.
Für den materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab ergibt sich dabei ein Unterschied
im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers, denn
außerbetriebliche Gründe prüft die Rspr. als Sachzwänge auf ihr Vorliegen und
ihre Konsequenzen für das einzelne Beschäftigungsverhältnis voll nach,
während die innerbetriebliche Unternehmerentscheidung in dem Sinne frei ist,
dass der davor liegende Teil der Kündigungshistorie von der arbeitsgerichtlichen
Prüfung gänzlich ausgeschlossen ist.106
Gerichtlicher Überprüfung unterliegt dennoch, ob eine solche unternehmerische
Entscheidung
tatsächlich
vorliegt
und
durch
Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer
ihre
Umsetzung
das
dauerhaft entfallen ist.
Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung selbst nicht auf ihre sachliche
Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen, sondern nur darauf, ob sie
offenbar
unvernünftig
oder
willkürlich107
106
Boeddinghaus, AuR 2001, 8, 9.
107
Kritisch hierzu Stein, BB 2000, 457, 458.
ist.108
Aus
der
Nachprüfung
- 46 ausgenommen ist insbesondere die Überlegung, ob die vom Arbeitgeber
aufgrund seiner Unternehmerentscheidung erwarteten Vorteile in einem
vernünftigen Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die der Arbeitnehmer durch
die Kündigung erleidet.109
(2) Soziale Rechtfertigung der Kündigung durch die bloße
Absicht der Realisierung einer Unternehmerentscheidung
Der inner- oder außerbetriebliche Kündigungsgrund braucht zum Zeitpunkt der
Kündigung nicht wirklich vorzuliegen. Der Arbeitgeber kann bereits aufgrund
einer Prognose über künftige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten kündigen, darf
also eine betriebliche Entwicklung vorweg nehmen, die bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist eintreten soll. Das gilt aufgrund des Prinzips der freien
Unternehmerentscheidung besonders für innerbetriebliche Kündigungsgründe.
Dieses Recht der prognosebedingten Kündigung gibt dem Arbeitgeber die
Möglichkeit, schon wegen beabsichtigter Betriebseinschränkung oder -stillegung
so rechtzeitig zu kündigen, dass er alle Kündigungsfristen einhalten kann und
den ansonsten zu zahlenden Annahmeverzugslohn einspart.110 Der Arbeitgeber
ist also nicht gehalten, die Kündigung erst nach tatsächlich weggefallener
Beschäftigungsmöglichkeit
auszusprechen
und
sich
so
mit
einem
Arbeitsverhältnis zu belasten, das ihn zur Lohnfortzahlung ohne Arbeitsleistung
verpflichten würde. Gerade bei langen Kündigungsfristen kann sich die
Prognose als anfällig erweisen, muss sie doch den Zeitraum zwischen dem
Ausspruch der Kündigung und der Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis
überbrücken.111
108
109
110
111
BAG (2 AZR 155/77), AP Nr. 6 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG (2 AZR
184/86), AP Nr. 42 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG (2 AZR 180/95), RzK 5 c
Nr. 68; LAG Berlin (11 Sa 141/96), BB 1999, 1877, 1877 f (st. Rspr.).
BAG (2 AZR 184/86), NZA 1987, 776, 776.
BAG (2 AZR 623/87), NZA 1989, 265, 266; BAG (2 AZR 127/91), NZA 1991, 891, 891; BAG (2
AZR 160/96), NZA 1997,757, 758 (st. Rspr.).
Boewer, NZA 1999, 1121, 1124.
- 47 -
b) Rspr. von den „greifbaren Formen“
In zeitlicher Hinsicht kann der Arbeitgeber die Kündigung nach der gängigen
Formel112
bereits
dann
Beschäftigungsmöglichkeit
aussprechen,
führenden
wenn
die
Umstände
zum
Wegfall
„greifbare
der
Formen“
angenommen haben. Dies ist der Fall, wenn aufgrund einer vernünftigen
betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des
Ablaufs der Kündigungsfrist sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die
Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben.
Gerade im Zusammenhang mit einer zunächst geplanten, schließlich aber nicht
realisierten Betriebs(teil)stillegung erlangt diese st. Rspr. besondere Bedeutung.
Auch hierbei wird eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung verlangt,
die die Prognose rechtfertigt, „dass bis zum Ablauf der einzuhaltenden
Kündigungsfrist die Stillegung durchgeführt sein wird“. Die "greifbaren Formen''
können demnach je nach den Umständen des Einzelfalles die Gründe für die
Stillegungsabsicht oder auch ihre Durchführungsformen betreffen. Hat die
beabsichtigte Betriebs(teil)stillegung zum Kündigungszeitpunkt bereits greifbare
Formen angenommen, kann die Wirksamkeit der Kündigung später nicht mehr in
Zweifel gezogen werden.
„Greifbare
Formen“
soll
dabei
im
Kündigungszeitpunkt
nicht
nur
die
beabsichtigte Betriebs(teil)stillegung annehmen können (um die Wirksamkeit der
Kündigung zu belegen), sondern ebenso der sich bereits abzeichnende
Betriebs(teil)übergang (um die Unwirksamkeit der Kündigung zu belegen). Es
wird also einerseits die Kündigungsbefugnis umschrieben (greifbare Formen der
beabsichtigten
Betriebsstillegung),
andererseits
das
Eingreifen
des
Kündigungsverbots nach § 613a IV 1 BGB dazu abgegrenzt (greifbare Formen
112
BAG (2 AZR 596/87), NZA 1989, 461, 461; BAG (2 AZR 127/91), NZA 1991, 891, 891; BAG (8
AZR 295/95), AP Nr. 169 zu § 613 a BGB = NZA 1998, 251, 251; BAG (2 AZR 160/96), NZA
1997,757, 757; Sibben, DB 2000, 2023, 2023.
- 48 des beabsichtigten Betriebsinhaberwechsels bzw. der den Betriebsübergang
ausmachenden Umstände)113:
„Ein bevorstehender Betriebsübergang kann nur dann zur Unwirksamkeit der
Kündigung gem § 613a IV BGB führen, wenn die den Betriebsübergang
ausmachenden Tatsachen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits
feststehen oder zumindest „greifbare" Formen angenommen haben“.114
Da die Formel mit Anwendungsunsicherheiten behaftet ist, wird im Wege einer
„tatsächlichen Vermutung“ bezüglich des Kündigungszeitpunktes u.U. auch das
Nachschieben der weiteren Entwicklung zugelassen:
„Deshalb spricht bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs durch den
Erwerber eine tatsächliche Vermutung gegen die ernsthafte Absicht des
Veräußerers, den Betrieb endgültig stillzulegen. In Anbetracht der gesetzlichen
Höchstkündigungsfrist in der Insolvenz von drei Monaten zum Monatsende (§
113 I 2 InsO) kann von einer "alsbaldigen" Wiedereröffnung, die auf einen
Betriebsübergang rückschließen ließe, keine Rede sein, wenn ein (zunächst
einmal) geschlossener Betrieb erst drei Monate nach Ablauf dieser Höchstfrist
wiedereröffnet wird.“115
c) Stellungnahme
Nicht ganz überzeugend ist die von der Rspr. praktizierte doppelte Anwendung
der
Formel
von
den
„greifbaren
Formen“.
Sollte
sich
im
Kündigungsschutzprozess nicht erweisen lassen, dass im Kündigungszeitpunkt
bereits mit einer Betriebs(teil)stillegung gerechnet werden durfte, so bedeutet
das nicht automatisch, dass bereits der später eingetretene Betriebsübergang
113
BAG (8 AZR 306/98), NZA 1999, 706, 706; LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240,
246; Sandmann, SAE 2000, 295, 298.
114
BAG (8 AZR 306/98), NZA 1999, 706, 706 = ZinsO 1999, 483, 483 = ZIP 1999, 1223, 1223.
115
LAG Hamm (4 Sa 1220/99), ZInsO 2000, 292, 292 ff.
- 49 vorherzusehen war. Offen bleibt, was gelten soll, wenn sich aus der Perspektive
des Kündigungsschutzprozesses weder die eine noch die andere positive
Feststellung treffen lässt, also weder eine Betriebsstillegung noch ein
Betriebsübergang erweislich „greifbare Formen“ angenommen hatte. Mit dem
Beurteilungszeitpunkt für die betriebsbedingte Kündigung ist es zudem nicht
vereinbar, den Umstand, ob der Betrieb alsbald wieder eröffnet wird, im Rahmen
einer tatsächlichen Vermutung zurückwirken zu lassen. Das gilt einmal mehr für
die negative Aussage. Aus dem Umstand, dass der Betrieb nicht alsbald wieder
eröffnet worden ist, kann schon gar keine Schlussfolgerung für den
Kündigungszeitpunkt gezogen werden. Solche Betrachtungen werden dem
Beurteilungszeitpunkt nicht gerecht und bergen die Gefahr von Fehlern.
Bei fehlenden Anhaltspunkten von hinreichender Sicherheit kann nur die
Beweislast
entscheiden.
Die
Beweislast
für
die
Behauptung,
im
Kündigungszeitpunkt sei eine Betriebsstillegung bereits beschlossene Sache
gewesen, liegt beim Arbeitgeber. Er hat hierfür nachprüfbare Umstände zu
benennen, damit sich das seine Kündigungsentscheidung überprüfende Gericht
eine eigene Überzeugung bilden kann. Die Kündigung kann also auch dann
unwirksam
sein,
wenn
sich
kein
Hinweis
auf
einen
bevorstehenden
Betriebsübergang zum Zeitpunkt der Kündigung finden lässt. Eine „alsbaldige
Wiedereröffnung“ kann nur für eine Wiedereinstellung von Interesse sein; auch
ihr Fehlen ist umgekehrt kein Indiz für die Kündigungswirksamkeit.
2. Nachträgliche Erkenntnisse bei der krankheitsbedingten
Kündigung
Auch bei der krankheitsbedingten Kündigung ist in zeitlicher Hinsicht der
Maßstab nicht wirklich klar, an dem ihre Wirksamkeit zu messen ist.
- 50 -
a) Ausgangspunkt: Wirksamwerden der Kündigung als
Beurteilungszeitpunkt
Die bis zum Urteil vom 10.11.1983116 vom 2. Senat vertretene Auffassung, die
spätere Entwicklung einer Krankheit nach Ausspruch einer Kündigung bis zum
rechtskräftigen
Abschluss
des
Kündigungsschutzprozesses
könne
zur
Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet werden, hat dieser durch
Urteil vom 29.04.1999117 ausdrücklich aufgegeben. Die Begründung, es wäre
sachlich unvertretbar und für die Parteien nicht einsehbar, wenn sie aufgrund
einer solchen ärztlichen Prognose den Prozess verlören, die im Widerspruch zur
tatsächlichen späteren gesundheitlichen Entwicklung des Arbeitnehmers stünde,
hielt der 2. Senat zu Recht nicht mehr für stichhaltig. Auch für die Beurteilung
einer
krankheitsbedingten
Kündigung
ist
demnach
allein
auf
den
Kündigungszeitpunkt abzustellen. Die objektiven Kriterien, nach denen der
Arbeitgeber seine Prognose zur weiteren Dauer der Arbeitsunfähigkeit des
Arbeitnehmers anzustellen hat, müssen beim Zugang der Kündigungserklärung
vorliegen.
Andernfalls
kann
der
Arbeitgeber
bei
Ausspruch
einer
krankheitsbedingten Kündigung deren Rechtmäßigkeit kaum noch einigermaßen
zuverlässig beurteilen und der Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses wird
nicht nur für den Arbeitgeber, sondern wegen der möglichen Berücksichtigung
einer späteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auch für den
Arbeitnehmer immer weniger vorhersehbar.118 Das heißt, bei Vorliegen einer
negativen Prognose im Kündigungszeitpunkt hilft dem Arbeitnehmer eine
positive Änderung seines Gesundheitszustandes im Kündigungsschutzprozess
nicht. Andererseits kann auch der Arbeitgeber sich nicht auf Umstände berufen,
die seine zum Zeitpunkt der Kündigung nicht haltbare Prognose nachträglich
bestätigen. Solche Umstände können lediglich Sachgrund für eine erneute
116
BAG (2 AZR 291/82), AP Nr 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
117
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 978 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46.
118
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980.
- 51 Kündigung sein.119 Auf diese Weise wird das Gebot der Rechtssicherheit bei
Gestaltungserklärungen
optimal
verwirklicht.
Neue,
nach
dem
Kündigungszeitpunkt in Gang gesetzte Kausalverläufe berühren die Wirksamkeit
der im Kündigungszeitpunkt begründeten krankheitsbedingten Kündigung somit
nicht.120
Nun stellt sich aber auch hier – wie bei der Verdachtskündigung – die Frage, ob
auf den objektiven Gesundheitszustand im Kündigungszeitpunkt abzustellen ist
oder auf die im Kündigungszeitpunkt bekannten Umstände, auf die der
Arbeitgeber seine Prognose stützen musste.121
Für die Stimmigkeit der Prognose und damit für die Kündigungswirksamkeit
macht es einen Unterschied, ob der objektive Gesundheitszustand im
Kündigungszeitpunkt unter Einbeziehung nachträglicher Erkenntnisse hierüber
oder der subjektive Erkenntnisstand des Arbeitgebers zur Grundlage der
negativen Gesundheitsprognose gemacht wird. Die Antwort hierauf zeigt die
exakte Grenzlinie zwischen dem Kündigungsschutz und einem möglichen
Wiedereinstellungsanspruch auf.
b) Maßgeblichkeit der objektiven Sachlage unter
Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisse – 2. Senat
Die Auffassung des 2. Senats zur krankheitsbedingten Kündigung entspricht
exakt der zur Verdachtskündigung. Lediglich die weitere objektive Entwicklung
des Krankheitsbildes bleibt außer Betracht, was der 2. Senat als das Entstehen
eines neuen Kausalverlaufs bezeichnet. Nachträgliche Erkenntnisse über den
objektiven Gesundheitszustand zum Kündigungszeitpunkt werden dagegen
auch hier zur Widerlegung der negativen Gesundheitsprognose zugelassen, so
119
120
121
Schiefer, DB 2000, 669, 671.
BAG (2 AZR 210/86), NZA 1987, 811, 812; BAG (2 AZR 118/89), DB 1990, 431, 431; Mathern,
NJW 1996, 818, 819.
Ascheid (Ascheid Diss. S. 89) weist zutreffend darauf hin, dass es sich hier nicht um eine
Frage der Beweislast, sondern um eine solche des materiellen Rechts handelt.
- 52 wie bei der Verdachtskündigung die weitere Sachverhaltsaufklärung in den
Kündigungsschutzprozess mit einfließt.
Der 2.122 wie auch der 7.123 Senat betonen in diesem Zusammenhang
ausdrücklich, maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer
Kündigung seien die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigungserklärung, was auch für eine aus Anlass einer langandauernden
Krankheit ausgesprochene ordentliche Kündigung gelte; die objektiven Kriterien,
nach denen der Arbeitgeber seine Prognose zur weiteren Dauer der
Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anzustellen habe, müssten beim Zugang
der Kündigungserklärung vorliegen.124
Die
–
insoweit
von
der
einhelligen
Auffassung
vertretene
–
Nichtberücksichtigung der weiteren gesundheitlichen Entwicklung kann sich
dabei konsequenterweise nicht allein zulasten, sondern auch zugunsten des
Arbeitnehmers auswirken. Bestätigt sich durch die weitere Entwicklung eine im
Beurteilungszeitpunkt noch unzutreffende negative Prognose, so wird der
Arbeitgeber auf den Ausspruch einer erneuten Kündigung verwiesen: Ein
Rückschluss von der späteren Entwicklung – in der Entscheidung des 2. Senats
vom 29.04.1999125 ging es um die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente
für einen Zeitraum von mehr als 24 Monaten – auf das Vorliegen des
krankheitsbedingten Kündigungsgrundes zum Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigung ist unzulässig. Eine Einbeziehung der weiteren gesundheitlichen
Entwicklung würde zu der misslichen Situation führen, dass der Arbeitgeber bei
Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung deren Rechtmäßigkeit kaum
noch einigermaßen zuverlässig beurteilen könnte. Der Ausgang eines
Kündigungsschutzprozesses wäre daher nicht nur für den Arbeitgeber, sondern
122
BAG (2 AZR 210/86), AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG (2 AZR 118/89), AP Nr.
22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980.
123
BAG (7 AZR 536/82), AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
124
Hervorhebungen des Verf.
125
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980.
- 53 wegen der möglichen Berücksichtigung einer späteren Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes auch für den Arbeitnehmer kaum vorhersehbar. Der 2.
Senat hält es daher im Anschluss an die Überlegungen des 7. Senats im Urteil
vom 15.08.1984126 für richtiger, bei unzutreffender negativer Prognose auch im
Falle einer nachträglichen weiteren Verschlechterung oder auch nur Fortdauer
der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Arbeitnehmers den Arbeitgeber
darauf zu verweisen, eine erneute Kündigung auszusprechen; er hält dies für
vertretbarer als die nachträgliche positive oder – wie im vorliegenden Fall –
negative Entwicklung mit allen Unwägbarkeiten für beide Parteien bei der
Beurteilung der ausgesprochenen Kündigung zu berücksichtigen.127
Es bleibt also festzuhalten, dass sich demnach sowohl Arbeitgeber als auch
Arbeitnehmer im Prozess am besseren Wissen über den Beurteilungszeitpunkt
messen lassen müssen, denn hierdurch soll kein neuer Kausalverlauf begründet
werden.
Die weitere gesundheitliche Entwicklung soll dagegen – insoweit besteht
Einigkeit – einen neuen Kausalverlauf auslösen und daher nicht zum
Gegenstand des Kündigungsschutzprozesses werden.
c) Maßgeblichkeit des subjektiven Kenntnisstandes des
Arbeitgebers – LAG Hamm
In seinem Urteil vom 24.06.1999 hat das LAG Hamm128 im Unterschied dazu
entschieden, dass die Kündigung wirksam bleiben und dem Arbeitnehmer ein
Anspruch
auf
Wiedereinstellung
Kündigungsschutzprozesses
zustehen
durch
soll,
wenn
im
Zuge
Einholung
des
eines
Sachverständigengutachtens die auf den Feststellungen des behandelnden
126
BAG (7 AZR 536/82), AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = SAE 1986, 70, 70 ff.
127
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980.
128
LAG Hamm (8 Sa 2071/98), NZA 2000, 320, 320.
- 54 Arztes beruhende Fehlzeitenprognose entkräftet wird, weil ihr eine Fehldiagnose
zugrunde lag.129
Der Rspr. des 2. Senats hätte es dagegen entsprochen, die nachträglichen
Erkenntnisse über den Gesundheitszustand im Kündigungszeitpunkt für die
Beurteilung der Kündigungswirksamkeit heranzuziehen. Die nachträgliche
Aufdeckung
einer
ärztlichen
Fehldiagnose
hätte
also
die
negative
Gesundheitsprognose als von Anfang an falsch erscheinen lassen. Konsequenz
hätte die Unwirksamkeit der Kündigung und nicht die Entstehung eines
Wiedereinstellungsanspruchs sein müssen.
(1) Maßgeblichkeit einer Fehlzeitenprognose anstelle einer
Gesundheitsprognose
Das LAG Hamm geht zunächst davon aus, Gegenstand der negativen Prognose
bei der Kündigung wegen langanhaltender Krankheit sei nicht die künftige
objektive Entwicklung des Krankheitsbildes (negative Gesundheitsprognose),
sondern die Dauer der zu erwartenden Fehlzeiten (Fehlzeitenprognose). Da
letztere von der konkreten Diagnosestellung, dem Behandlungsplan und dem
Akt der "Krankschreibung" abhänge, sei auch bei einer Fehlbeurteilung durch
den behandelnden Arzt für die Prognose nicht darauf abzustellen, ob der
erkrankte Arbeitnehmer bei fachgerechter Behandlung alsbald arbeitsfähig
geworden wäre. Vielmehr sei entscheidend, ob der behandelnde Arzt eine
Fortdauer
der
Arbeitsunfähigkeit
attestiert
hätte.
Auch
die
auf
einer
Fehldiagnose beruhende Arbeitsunfähigkeit kann demnach zur sozialen
Rechtfertigung der krankheitsbedingten Kündigung genügen.
129
Für die Kündigungswirksamkeit in diesem Fall auch Schreiber, SAE 1986, 74, 74 f.
- 55 -
(2) Maßgeblichkeit des subjektiven Erkenntnisstandes des
Arbeitgebers im Kündigungszeitpunkt
Das LAG Hamm gesteht zu, es handele sich zwar lediglich um das nachträgliche
Bekanntwerden von Tatsachen, die schon im Kündigungszeitpunkt vorlagen.
Gleichwohl sei aber an der Wirksamkeit der Kündigung festzuhalten.
Maßgeblich hierfür sei die Überlegung, dass es sich durchweg - und zwar auch
bei der Aufdeckung einer Fehldiagnose - sämtlich um nachträglich entstandene
Umstände handele. Erst durch den Ausspruch der Kündigung und die hierdurch
veranlasste Begutachtung ergebe sich die maßgebliche Änderung des
Kausalverlaufs.
Ohne
Berücksichtigung
der
nachträglichen
tatsächlichen
Entwicklung wäre es nämlich bei der fehlerhaften Diagnosestellung, der hierauf
gestützten unzureichenden Heilbehandlung und der sich hieraus ergebenden
negativen Fehlzeitenprognose geblieben.
Allein die abstrakte Möglichkeit, dass ein anderer Arzt mit einer anderen
Therapie eine erfolgversprechende Behandlung durchführen könnte, ändere
nichts an der auf objektive Tatsachen gestützten Prognose, dass solange, wie
der behandelnde Arzt eine entsprechende Änderung der Heilbehandlung oder
die Konsultation eines Spezialisten nach seinem Behandlungsplan nicht einmal
in Erwägung zieht, auch in Zukunft Arbeitsunfähigkeit diagnostiziert und
bescheinigt werde.
Die Konstellation nachträglich gewonnener Erkenntnisse unterscheide sich
damit in rechtlich erheblicher Weise von Fallgestaltungen, in denen erst durch
eine nachträgliche Verhaltensänderung in der Person des Arbeitnehmers (z.B.
Änderung
der
Lebensführung,
Operationseinwilligung)
die
im
Kündigungszeitpunkt maßgebliche Krankheitsprognose - u.U. erst nach Ablauf
der Kündigungsfrist - auf eine neue Grundlage gestellt werde. Vielmehr gehe es
hier um die Korrektur einer Fehlzeitenprognose,
welche etwa auf einem
Erkenntnisdefizit des behandelnden Arztes, einer Fehldiagnose oder der
mangelnden Ausschöpfung bekannter Heilungsmethoden beruht. Da unter
Berücksichtigung des erst später gewonnen Erkenntnisstandes bereits zum
Kündigungszeitpunkt ein Kündigungsgrund nicht vorgelegen habe, handele es
sich wie auch bei der Verdachtskündigung um eine besondere Fallgestaltung.
Das Urteil über die Rechtmäßigkeit der Kündigung knüpfe allein deshalb an die
- 56 Diagnose und den Behandlungsplan des zuständigen Arztes an, weil der
Arbeitgeber bei der Einplanung des Arbeitnehmers letztlich an dessen Urteil und nicht an eine objektive Beurteilung des Gesundheitszustandes - gebunden
sei.
Der so begründete "Vertrauensschutz" rechtfertige aber den endgültigen Verlust
des Arbeitsplatzes nicht. Vielmehr sei dem Gesichtspunkt der Fehlprognose
durch einen Wiedereinstellungsanspruch Rechnung zu tragen, welcher in
Anlehnung
an
den
Anspruch
auf
Wiedereinstellung
nach
berechtigter
Verdachtskündigung zu begründen sei. Anders als der vom BAG in der
Entscheidung
vom
17.06.1999130
geprüfte
Wiedereinstellungsanspruch,
welcher nicht der Korrektur einer Fehldiagnose dient, sondern an eine (vor
Ablauf der Kündigungsfrist durchgeführte) Therapie anknüpft, die nunmehr eine
positive Gesundheitsprognose rechtfertigt, gehe es bei der vorliegenden
Fallgestaltung um die Berücksichtigung von Erkenntnissen, welche im
Kündigungszeitpunkt dem für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zuständigen
Arzt unbekannt waren. Nicht anders als bei der Verdachtskündigung setze
dementsprechend der Wiedereinstellungsanspruch hier nicht den vollen
Nachweis einer positiven Gesundheitsprognose voraus. So wie schon bei der
Verdachtskündigung die Entkräftung des Verdachts durch Freispruch mangels
Beweises genügt, der Nachweis der Unschuld hingegen nicht gefordert wird131,
müsse es auch bei der vorliegenden Fallgestaltung ausreichen, dass die auf das
Urteil des behandelnden Arztes gestützte Fehlzeitenprognose bei objektiver
Beurteilung entkräftet werde.
130
BAG (2 AZR 639/98), NZA 1999, 1328, 1328.
131
BAG (2 ABR 14/91), RzK II 3 Nr. 20.
- 57 -
d) Revisionsentscheidung des 2. Senats
Nachgehend zur Entscheidung des LAG Hamm vom 24.06.1999
hat der 2.
Senat mit Urteil vom 21.02.2001132 die Berufungsentscheidung aufgehoben und
die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Dabei hat er seine bisherige
Rechtsprechungslinie
allerdings
nicht
fortgeschrieben
und
etwa
die
nachträgliche Aufdeckung der Fehldiagnose des behandelnden Arztes auf die
Kündigungswirksamkeit zurückbezogen.
Statt dessen folgt er der Berufungsinstanz mit der Aussage im Leitsatz, der
Arbeitnehmer
trage
grundsätzlich
das
Risiko
einer
Fehldiagnose
des
behandelnd Arztes. Auch in den Gründen stimmt er dem Landesarbeitsgericht
ausdrücklich zu. Die Unwirksamkeit der Kündigung begründet der 2. Senat mit
einer Besonderheit des zur Entscheidung stehenden Falles:
Sprächen bei einer ordentlichen Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung
schon im Zeitpunkt der Kündigung objektive Umstände dafür, dass die
Arbeitsunfähigkeit von absehbarer Dauer sein werde, so fehle es an der
erforderlichen negativen Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt.133
Solche bereits im Kündigungszeitpunkt auch für den Arbeitgeber erkennbaren
objektiven Umstände findet der 2. Senat in einer anderen Sicht des zugrunde
liegenden Sachverhalts, nämlich in einem bereits vor dem Ausspruch der
Kündigung vorliegenden sozialmedizinischen Gutachten. Sprächen bereits im
Zeitpunkt der Kündigung objektive Umstände dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit
unabhängig
von
einer
solchen
Fehldiagnose
voraussichtlich
oder
möglicherweise von absehbarer Dauer sein wird, könne keine negative
Prognose gestellt werden.134
132
BAG (2 AZR 558/99), NZA 2001, 1071 ff = AR-Blattei ES 1010.9 Nr 94 = EzA § 1 KSchG
Krankheit Nr 48.
133
BAG (2 AZR 558/99), NZA 2001, 1071, 1071.
134
BAG (2 AZR 558/99), NZA 2001, 1071, 1072 f.
- 58 Der 2. Senat war also nicht gezwungen, sich inhaltlich mit den Ausführungen
des LAG Hamm auseinander zu setzen und die Frage zu erörtern, ob bei der
nachträglichen Aufdeckung einer ärztlichen Fehldiagnose von einer besonderen
Fallgestaltung
auszugehen
ist,
die
in
Anlehnung
an
die
Rspr.
zur
Verdachtskündigung die Gewährung eines Wiedereinstellungsanspruchs fordert.
Die Feststellung, der Arbeitnehmer trage grundsätzlich das Risiko einer
Fehldiagnose des behandelnden Arztes, wird man jedoch so zu verstehen
haben, dass nun auch der 2. Senat die Aufdeckung einer Fehldiagnose, die zur
Grundlage der negativen Fehlzeitenprognose geworden war, nicht mehr auf die
Kündigungswirksamkeit zurückwirken lassen will. Dem widerspricht es aber,
wenn der 2. Senat die gleiche Entscheidung für eine formelhafte Wiedergabe
seiner
bisherigen
Rspr.135
nutzt
und
weiter
ausführt,
maßgebliche
Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung seien die
objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung.
Das gelte auch für die bei einer krankheitsbedingten Kündigung anzustellende
Gesundheitsprognose. Aus diesem Grund könne ein neuer Kausalverlauf, der
nach Zugang der Kündigung eingetreten ist, nicht berücksichtigt werden. Ein
neuer Kausalverlauf besage nichts über die objektive Richtigkeit der zum
Kündigungszeitpunkt erstellten Prognose.136
135
136
BAG (2 AZR 210/86), AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr.
18; BAG (2 AZR 118/89), AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = EzA KSchG § 1 Krankheit
Nr. 27;BAG (2 AZR 154/90), AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = EzA KSchG § 1
Krankheit Nr. 32.
Hervorhebungen des Verf.
- 59 -
e) Stellungnahme
(1) Maßgeblichkeit einer Fehlzeitenprognose aus
Arbeitgebersicht anstelle einer künstlich objektivierten
negativen Gesundheitsprognose
Zunächst ist der Auffassung des LAG Hamm in seinem Urteil vom
24.06.1999137 zu folgen, dass es sich bei der vom Arbeitgeber anzustellenden
sog. „negativen Gesundheitsprognose“ um eine Fehlzeitenprognose handelt. Für
das Arbeitsverhältnis maßgebend ist allein die Dauer der künftig zu erwartenden
Fehlzeiten. Der Gesundheitszustand ist nur ein wichtiger von mehreren
Indikatoren für die Fehlzeitenprognose. Der Arbeitgeber ist kein Arzt. Er
prognostiziert nicht den zukünftigen Gesundheitszustand, sondern macht
allenfalls die hierauf bezogenen ärztlichen Feststellungen über künftige
Arbeitsunfähigkeitszeiten zur Grundlage seiner betrieblichen Folgenbetrachtung.
Ob der Arbeitgeber mit Auswirkung auf die Kündigungswirksamkeit in
vorwerfbarer Weise falsch prognostiziert, ist folglich von der Diagnosestellung
des Arztes unabhängig, denn dabei handelt es sich nur um die Grundlage der
von ihm anzustellenden Fehlzeitenprognose. Auf diese darf er sich verlassen.
Für die Wirksamkeit der Kündigung darf es deshalb nicht darauf ankommen, ob
eine stimmige oder eine irrige Diagnose des Arztes vorliegt und zur Grundlage
der Fehlzeitenprognose wird.
(2) Beachtlichkeitkeit nachträglicher Erkenntnisse – keine
Sonderstellung der Fehldiagnosekündigung
Der Arbeitgeber prognostiziert künftige Fehlzeiten richtig, wenn er die Sachlage,
so wie sie sich zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv darstellt,
zutreffend würdigt. Würdigt er hingegen tatsächlich nicht vorliegende Umstände,
so muss er sich im Kündigungsschutzrpozess mit der tatsächlichen Sachlage im
Kündigungszeitpunkt auch insoweit auseinandersetzen, wie er diese nicht hat
137
LAG Hamm (8 Sa 2071/98), NZA 2000, 320, 320.
- 60 erkennen können. Nachgeschoben werden hier lediglich Beweisumstände, die
der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt noch nicht erlangen konnte. Insoweit
handelt
es
sich
auch nicht
um
eine
Besonderheit der
vorliegenden
Fallgestaltung. Denn dass der Kündigungssachverhalt in allen Einzelheiten erst
aus Anlass des Kündigungsschutzprozesses diskutiert und abgewogen wird,
entspricht der betrieblichen und gerichtlichen Praxis. Vor Überraschungen sind
daher beide Vertragspartner nicht sicher. Die Fehlzeitenprognose stützt sich in
aller
Regel
lediglich
Krankheitsgeschichte,
Heilungsaussichten
auf
die
wenn
die
vergangenen
Diagnosestellung
überhaupt
erst
Fehlzeiten,
durch
im
den
während
Arzt
und
die
die
Kündigungsschutzprozess
thematisiert werden.
Obwohl die Fehldiagnosekündigung Ähnlichkeiten mit der Verdachtskündigung
aufweist, muss man dennoch differenzieren:
Das Nachschieben später gewonnener Erkenntnisse läuft nicht wie bei der
Verdachtskündigung auf die Negierung der Kündigungsbefugnis als solcher
hinaus. Insoweit ist der u.a. von Walker geäußerten Gegenansicht zuzugeben,
dass
der
Fehlzeitenprognose
das
subjektive
fehlt.138
Die
Element
Kündigungszeitpunkt
krankheitsbedingten
abstellende
Kündigung
der
Verdachtskündigung
auf
die
Auffassung
ungleich
mehr
objektive
hat
für
Sachlage
daher
sich
immanente
als
bei
bei
zum
der
der
Verdachtskündigung. So kommt auch Walker zu der Schlussfolgerung, der
Arbeitgeber müsse anders als bei der Verdachtskündigung das Risiko tragen,
dass sich die Prognose aufgrund nachträglich bekannt werdender oder anders
gewürdigter Umstände, die zur Zeit der Prognose schon vorlagen, als falsch
erweise.
Zwar ist das Ergebnis ärztlicher Begutachtung eine objektive Tatsache. Der
Arbeitgeber wird diese aber, da sie ihm zunächst regelmäßig nicht bekannt ist,
138
Walker, SAE 1998, 103, 105.
- 61 nicht
zur
Grundlage
seiner
Fehlzeitenprognose
machen.
Tut
er
dies
ausnahmsweise doch, so kann er hierauf nicht auch als Maßstab für die
gerichtliche Überprüfung vertrauen. Es wäre unbillig, die Unkenntnis beider
Vertragsteile über die wirkliche Sachlage als Argument für oder wider die
Wirksamkeit der Kündigung gelten zu lassen. Auch im Fall der Fehldiagnose
entscheidet nicht der Artzt oder der Zufall über die Wirksamkeit der Kündigung,
sondern die Fehlzeitenprognose, die ihrerseits auf objektiven und nicht
subjektiven Umständen beruht.
Insoweit ist die Sachlage eine andere als bei der Verdachtskündigung. Grund für
die Verdachtskündigung ist der verdachtsbedingte Vertrauensfortfall. Dabei
handelt es sich um eine subjektive Tatsache aus der Sphäre des Arbeitgebers.
Ist das Vertrauen erst einmal entfallen und eine Weiterbeschäftigung
unzumutbar geworden, so sind die Voraussetzungen des subjektivierten
Kündigungsgrundes „Verdacht“ erfüllt. Die nachträgliche Aufklärung des
Tatverdachts im Prozess kann den Vertrauensfortfall weder heilen noch
eintreten lassen.
Mit den zu erwartenden Fehlzeiten wird dagegen eine objektive Tatsache
prognostiziert. Die damit einhergehenden Unsicherheiten belasten beide
Parteien. Es spielt dabei letztlich keine entscheidende Rolle, ob – wie meist –
ohne die Kenntnis der bis in die Einzelheiten sorgsam ermittelten ärztlichen
Diagnosestellung gekündigt wird oder auf der Basis eines (naturgemäß
beiderseitigen) Irrtums hierüber.
Damit bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass nachträgliche Erkenntnisse über die
für die Fehlzeitprognose wichtigen Umstände für die Wirksamkeit der Kündigung
beachtlich sind. Die Fehldiagnosekündigung macht dabei keine Ausnahme.
- 62 -
3. Nachträgliche
Erkenntnisse
Verdachtskündigung
bei
der
a) Nachschieben erst im Kündigungsschutzprozess
gewonnener Erkenntnisse über die im Kündigungszeitpunkt
vorliegenden objektiven Verdachtsmomente – 2. Senat
Keineswegs
klar
ist,
welcher
Zeitpunkt
für
die
Beurteilung
der
Rechtsbeständigkeit der Verdachtskündigung maßgebend ist. Zwar will der 2.
Senat auch für die Verdachtskündigung auf den Kündigungszeitpunkt abstellen,
also gerade keine Ausnahme von seiner ständigen Rechtsprechung machen.
Das Nachschieben erst im Prozess gewonnener Erkenntnisse über die zum
Kündigungszeitpunkt objektiv bestehenden Verdachtsmomente wird dabei aber
in ständiger Rspr. zugelassen.139
Demnach ist die Kündigung nur dann rechtsbeständig, wenn der Verdacht
gegen den Arbeitnehmer im Laufe des Kündigungsschutzprozesses bis zum
Schluss der
letzten
mündlichen
Verhandlung
in
der Tatsacheninstanz
fortbesteht. Es entscheidet der im Prozess gewonnene Eindruck unter
Berücksichtigung der sich zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers
ergebenden Tatsachen über die Wirksamkeit der Kündigung.140 Dies wird damit
begründet, wenn der Verdacht später ausgeräumt oder abgeschwächt werde,
habe die Unschuld oder der geringere Verdacht bereits im Zeitpunkt der
Kündigung objektiv vorgelegen. Diese Tatsache könne und müsse das Gericht
der Tatsacheninstanz berücksichtigen, und zwar auch entlastende Umstände,
die der Arbeitnehmer bei der Anhörung nicht erwähnt hat.
Soweit der Arbeitnehmer zu seiner Entlastung Tatsachen vortrage, die im
Zeitpunkt der Kündigung vorlagen, seien diese unabhängig davon zu
139
140
BAG (2 AZR 118/74), AP Nr 3 zu § 103 BetrVG 1972; BAG (2 AZR 164/94), NZA 1995, 269,
269; BAG (2 AZR 587/94), NZA 1996, 81, 81.
BAG, EzA § 626 BGB Nr. 5; BAG, EzA § 103 BetrVG 1971 Nr. 8.
- 63 berücksichtigen, ob sie dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannt waren
oder bekannt sein konnten.141 Tatsachen oder Kausalverläufe dagegen, die erst
nach diesem Zeitpunkt entstanden bzw. in Gang gesetzt worden seien, müssten
außer Betracht bleiben.142
Vorgehend zu dieser Entscheidung des 2. Senats vom 14.09.1994143 hatte das
LAG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 01.09.1993144 noch angenommen,
bei der Verdachtskündigung sei der Entlastungsbeweis des Arbeitnehmers nur
hinsichtlich der zum Kündigungszeitpunkt vorliegenden Verdachtsmomente zu
erheben.
Sich
aus
dem
weiteren
Geschehensablauf
ergebendem
Entlastungsvorbringen sei nicht nachzugehen. Die nachträgliche Reinigung vom
Verdacht begründe lediglich einen Wiedereinstellungsanspruch. Das LAG war
damit vom Leitsatz 4 der Entscheidung des 2. Senats vom 04.06.1964145
abgewichen.
Einem
im
Kündigungsschutzprozess
angebotenen
Entlastungsbeweis sei nicht nachzugehen, weil er allenfalls geeignet sei, den
Arbeitnehmer vom Vorwurf der behaupteten Tat zu entlasten, nicht aber die zum
Kündigungszeitpunkt bestehenden Verdachtsmomente auszuräumen. Für die
Glaubhaftigkeit eines Zeugen komme es ebenfalls allein auf den Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung an. Maßgeblich für die Kündigungswirksamkeit sei
der
Informationsstand
des
Arbeitgebers
im
Kündigungszeitpunkt.
Die
abweichende Ansicht des BAG sei nicht mit dem anerkannten Grundsatz
vereinbar, maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Wirksamkeit einer
Kündigung sei der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung.
141
BAG (2 AZR 164/94), NZA 1995, 269, 271 f.
142
BAG (2 AZR 164/94), NZA 1995, 269, 272.
143
BAG (2 AZR 164/94), NZA 1995, 269, 269 ff.
144
145
LAG Frankfurt (2 Sa1274/92), LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4 = BB
1994, 1150, 1150.
BAG (2 AZR 310/63), BAGE 16, 72, 72.
- 64 Nachfolgend hat der 2. Senat an seiner Auffassung festgehalten und bekräftigt,
die ständige Senatsrechtsprechung146, wonach für die rechtliche Beurteilung
der Kündigung der Erkenntnisstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung in
der Tatsacheninstanz mit der Konsequenz maßgeblich ist, dass auch
nachträgliches
Be-
und
Entlastungsvorbringen
hinsichtlich
bereits
im
Kündigungszeitpunkt vorliegender Tatsachen zu berücksichtigen ist, sei keine
Besonderheit der Verdachtskündigung. So sei etwa die Wirksamkeit einer
krankheitsbedingten Kündigung von einer negativen Gesundheitsprognose147
abhängig. Es möge ja sein, dass der kündigende Arbeitgeber nach seinen
Erkenntnissen im Kündigungszeitpunkt, etwa aufgrund entsprechender Angaben
des Arbeitnehmers, eine solch negative Gesundheitsprognose treffen durfte.
Gleichwohl sei der Arbeitnehmer im Prozess nicht gehindert, Tatsachen
vorzutragen, die - wenn auch unerkannt - im Kündigungszeitpunkt bereits
vorgelegen haben und die Prognose als unberechtigt erscheinen lassen. Die
Kündigung wegen einer Straftat möge sich auf eine nach dem Erkenntnisstand
im Kündigungszeitpunkt absolut eindeutige Beweislage stützen; nichts schütze
den Arbeitgeber davor, dass etwa sein Belastungszeuge während des
Prozesses seine
Rechtfertigungs-
Aussage ändert
oder
oder dass der Arbeitnehmer
Entschuldigungsgrund
vorbringt,
mit
einen
dem
im
Kündigungszeitpunkt nicht gerechnet werden konnte und den der Arbeitgeber
nicht zu widerlegen vermag. Umgekehrt möge ein Arbeitnehmer aufgrund des
zunächst angegebenen Kündigungsgrundes voll darauf vertrauen dürfen, dieser
werde sich im Prozess als unhaltbar herausstellen, und er möge seine
Dispositionen danach ausrichten; wenn es dem Arbeitgeber im Verlauf des
Prozesses
gelänge,
einen
anderen
stichhaltigen
Kündigungsgrund
nachzuschieben, sei die Klage des Arbeitnehmers abzuweisen. Wie der
Arbeitgeber
durch
das
Nachschieben
von
Tatsachen
bei
einer
Verdachtskündigung den zunächst unzureichenden Verdacht erhärten könne,
146
147
BAG (2 AZR 310/63), BAGE 16, 72, 81 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer
Handlung; BAG (2 AZR 118/74), BAGE 27, 113, 123 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972.
Das LAG Hamm (8 Sa 2071/98), NZA 2000, 320, 320, gebraucht treffender den Begriff
Fehlzeitenprognose.
- 65 müsse es auch dem Arbeitnehmer möglich sein, den zunächst berechtigt
erscheinenden Verdacht durch Tatsachenvortrag zu entkräften. Unberücksichtigt
müssten lediglich solche Tatsachen bleiben, die erst nach der Kündigung
entstanden sind, etwa weitere Vorfälle der Art, die den Verdacht begründeten,
oder umgekehrt eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers, die erneute
Vertrauensstörungen unwahrscheinlich macht.148
Nach dieser Rechtsprechung des 2. Senats ist nur der Arbeitnehmer auf einen
Anspruch auf Wiedereinstellung zu verweisen, dem seine Rehabilitation erst
gelingt, nachdem der Kündigungsschutzprozess rechtskräftig zu seinen
Ungunsten entschieden worden ist. Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer
wegen der zunächst aussichtslosen Lage davon absieht, einen Prozess zu
führen.149
b) Alleinige Maßgeblichkeit der zum Kündigungszeitpunkt
dem Arbeitgeber bekannten objektiven Verdachtsmomente
Die vom BGH in seiner Entscheidung vom 13.07.1956150 und dem
überwiegenden Teil der Lit.151 vertretene Gegenauffassung stellt ebenso wie
die vorgestellte Auffassung des LAG Frankfurt darauf ab, ob der Verdacht durch
die
im
Zeitpunkt
des
Ausspruchs
dem
Arbeitgeber
bekannten
Belastungsumstände begründet und hinreichend schwerwiegend war.152
148
BAG (2 AZR 164/94), NZA 1995, 269, 272.
149
MünchKomm BGB – Schwerdtner, § 626 BGB Rn 118.
150
BGH (VI ZR 88/55), AP Nr. 2 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht.
151
152
Belling/Künster, Anm. zu BAG (2 AZR 164/94), AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer
Handlung; Dörner, NZA 1992, 865, 870 f; Busch, MDR 1995, 217, 218; Weber, SAE 1996, 57,
61; Belling, RdA 1996, 223, 237 f; Walker, SAE 1998, 103, 105; Hoß, MDR 1998, 869, 872;
Berkowsky, NZA-RR 2001, 449, 455 f;
KR - Hillebrecht , § 626 BGB Rn 180; Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 1 Rn 266;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 582; Ascheid KSchR, Rn 165; Löwisch KSchG, 7. Aufl. 1997, § 1
Rn 210.
Kritisch zur Rspr. des BAG schon Grunsky, ZfA 1977, 170, 171; Moritz, NJW 1978, 402, 404.
- 66 Diese Stimmen wenden ein, die Wirksamkeit der Verdachtskündigung dürfe
nicht davon abhängen, ob es dem Arbeitgeber im Prozess gelingt, erst später
bekannt gewordene belastende Umstände nachzuweisen, oder ob der
Arbeitnehmer den Verdacht nachträglich ausräumen oder abschwächen kann.
Das
vom
BAG
zugelassene
Nachschieben
von
Belastungs-
und
Entlastungsgründen sei zwar unbestreitbar praktikabel, gebe aber den
zutreffenden Ausgangspunkt der Verdachtskündigung auf, wonach materieller
Kündigungsgrund in diesem Sonderfall der vom Arbeitgeber sorgfältig ermittelte
und begründete zwingende Verdacht ist, der die für die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage zerstört hat. Folgerichtig
sei deshalb nur die Frage entscheidend, ob durch das berechtigte Misstrauen
des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden ist. Nach dieser
Auffassung muss auch die Kündigung derjenigen Arbeitnehmer gerichtlicher
Überprüfung standhalten, bei denen im Verlaufe des Prozesses entlastende
Momente hervortreten, die das Vertrauensverhältnis zum Teil wiederherstellen.
Das gilt gerade auch dann, wenn damit das Misstrauen des Arbeitgebers in dem
Sinne außer Kraft gesetzt wird, dass eine hinreichende Grundlage für die
Verdachtskündigung rückblickend nicht mehr gegeben ist.
Zwar
können
nach
der
ständigen
Rechtsprechung
des
BAG153
Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits vorlagen,
unabhängig davon nachgeschoben werden, ob sie dem Kündigenden vor oder
nach der Kündigung bekannt geworden sind und ob sie mit den bisher geltend
gemachten Gründen in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.
Dieser
Grundsatz
wird
betriebsverfassungsrechtlich
lediglich
insoweit
eingeschränkt, dass der Arbeitgeber Gründe, die ihm bei der Kündigung bekannt
waren, die er aber dem Betriebsrat nicht genannt hat, nicht nachschieben darf,
weil sonst der Zweck des Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG
153
BAG (7 AZR 260/78), AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen (2 b der
Gründe); BAG (2 AZR 239/84), AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972 (B I 1 der Gründe); BAG (2
AZR 164/94), NZA 1995, 269, 271.
- 67 unterlaufen
würde.154
Auf
die
Verdachtskündigung
könne
diese
Rechtsprechung jedoch nicht übertragen werden, ohne den Kündigungsgrund
„Verdacht“
materiellrechtlich
zu
entwerten.
Ausgangspunkt
der
Verdachtskündigung sei nicht die zum Kündigungszeitpunkt vorliegende Tat,
über deren Urheberschaft man später streiten mag, sondern der Verdacht
selbst, also die zu diesem Zeitpunkt bekannten verdachtsbegründenden
Belastungsumstände.
Wolle
der
Arbeitgeber
sich
die
Möglichkeit
des
Nachschiebens von Belastungsumständen offen halten, so müsse er eine
Tatkündigung aussprechen. Der Arbeitgeber sei folgerichtig dann nicht
gehindert,
erst
nach
Ausspruch
der
Kündigung
bekannt
gewordene
Verdachtsmomente nachzuschieben, wenn er die Kündigung zusätzlich und
eigenständig wegen tatsächlicher Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
ausgesprochen hat.155 Spricht er ausschließlich eine Verdachtskündigung aus,
so müsse er sich an den im Zeitpunkt der Kündigung bestehenden
Verdachtsmomenten messen lassen, könne aber im umgekehrten Fall bei
Auftauchen von entlastenden Umständen auch darauf vertrauen, dass die von
ihm ausgesprochene Kündigung aus Gründen der Rechtssicherheit sich als
wirksam erweisen werde, wenn die damals bekannten Umstände die Kündigung
wegen des verdachtsbdingten Vertrauensfortfalls rechtfertigten.
Diese Sichtweise erweitert den Anwendungsbereich für einen möglichen
Wiedereinstellungsanspruch
zugunsten
der
Rechtssicherheit
im
Kündigungszeitpunkt. Stellt sich im Laufe des Kündigungsschutzprozesses die
Unschuld des Arbeitnehmers heraus, so bleibt die Kündigung wirksam und es
stellt sich lediglich die Wiedereinstellungsfrage.156
154
Dütz ArbR, Rn 361, 403.
155
BAG (2 AZR 587/94), NZA 1996, 81-84.
156
Busch, MDR 1995, 217, 222; MünchKomm BGB – Schwerdtner, § 626 Rn 118; Erman –
Küchenhoff, § 620 BGB Rn 73.
- 68 -
c) Stellungnahme
Die Ausnahme, die das BAG für den Fall der Verdachtskündigung macht, ist in
sich nicht stimmig. Der Verdachtskündigung wäre ihre Bedeutung als qualitativ
eigenständiger
abgesprochen.157
Kündigungsgrund
Überprüft
würde
demgemäß eine Tatkündigung, die unwirksam wäre, wenn sich die Tatbegehung
durch den Arbeitnehmer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisen
ließe.158
Das BAG richtet sich damit gegen die Verdachtskündigung an sich. Die
Verdachtskündigung würde auf der Ebene gerichtlicher Prüfung in eine
Tatkündigung umdefiniert. Der Arbeitgeber ist nach Auffassung des BAG frei,
eine unwirksame Verdachtskündigung auszusprechen, wirksam könnte dagegen
nur die Tatkündigung sein. Nur sie hielte gerichtlicher Überprüfung stand. Die
Kündigungsbefugnis wegen bloßen Verdachts müsste in der Konsequenz als
auflösend bedingt durch den späteren Unschuldsbeweis angesehen werden.159
Das will nicht einleuchten.
Der Eigenständigkeit der Kündigungsbefugnis wegen des bloßen Verdachts der
Tatbegehung entspricht auch ein eigenständiger gerichtlicher Prüfungsmaßstab.
Legt
man
die
zum
Kündigungszeitpunkt
objektiv
bestehenden
Verdachtsmomente der Überprüfung zugrunde und nicht allein die bekannten
Verdachtsmomente, wie sie sich für den Arbeitgeber nach sorgfältiger Ermittlung
im Kündigungszeitpunkt darstellen, so sind Maßstab der Prüfung letztlich
objektive
Beweisumstände,
die
in
ihrer
Gesamtheit
den
Tat-
oder
Unschuldsnachweis ermöglichen. Der qualitative Unterschied zwischen Tat- und
Verdachtskündigung würde in ein quantitatives Mehr oder Weniger der zu
ermittelnden
157
Beweistatsachen
umgedeutet.
Das
wird
dem Wesen der
So i.E. auch Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 114; Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 754; Belling,
RdA 1996, 223, 239; Walker, SAE 1998, 103, 107; Kaiser, ZfA 2000, 205, 210 f.
158
So i.E. auch Walker, SAE 1998, 103, 105.
159
Busch, MDR 1995, 217, 222.
- 69 Verdachtskündigung nicht gerecht, das das BAG so beschreibt, es handele sich
bei dem Verdacht um einen eigenständigen Kündigungsgrund, der nicht im
Vorwurf der begangenen Tat enthalten sei.
Maßgeblich muss also der vom Arbeitgeber selbst ermittelte Sachverhalt sein,
sein rein subjektiver Wissensstand. Dass er dabei jede zumutbare Sorgfalt
walten lassen muss, ist ein Gemeinplatz und Voraussetzung für die Wirksamkeit
der Verdachtskündigung. An darüber hinausgehenden Erkenntnissen, deren
Ermittlung im Kündigungszeitpunkt noch nicht möglich oder jedenfalls nicht
zumutbar war, muss der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss auch später
nicht messen lassen. Wer bei der Sachverhaltsermittlung jede zumutbare
Sorgfalt beachtet und die gleichwohl verbliebene Unsicherheit in zulässiger
Weise selbst zum Kündigungsgrund macht, braucht sich durch die spätere
Sachverhaltsaufklärung nicht eines Besseren belehren zu lassen.
Schließlich
weisen
auch
der
Gedanke
der
Rechtssicherheit
und
der
Praktikabilität der Kündigungsbefugnis in diese Richtung. Die Wirksamkeit der
Verdachtskündigung
darf
nicht
dem
Zufall
der
nachfolgenden
Sachverhaltsaufklärung preisgegeben werden.
Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass der Kündigungsgrund allein in den zum
Zeitpunkt der Kündigung objektiv bestehenden und dem Arbeitgeber nach
sorgfältiger
Sachverhaltsaufklärung
auch
bekannten
Umständen
der
Tatbegehung liegt, die für bzw. gegen die Urheberschaft des Arbeitnehmers
sprechen und in ihrer Gesamtheit auf den Wegfall des zur Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauens schließen lassen. Daran allein ist
die Wirksamkeit der Kündigung zu messen. Der besonderen Härte, dass einem
Unschuldigen gekündigt wird, kann nicht durch einem Rückgriff auf die
Kündigungswirksamkeit begegnet werden. Der Wiedereinstellungsanspruch ist
daher gerade für die Verdachtskündigung ein bedeutsames Korrektiv. Die gegen
- 70 die Verdachtskündigung bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken160
können
mit
Hilfe
angepasster
Voraussetzungen
eines
Wiedereinstellungsanspruchs gemildert werden, worauf noch einzugehen sein
wird.
160
Schütte, NZA 1991, Beil. 2, 17 ff; Dörner, NZA 1992, 865; Dörner, NZA 1993, 873; Naujok,
AuR 1998, 398, 399 ff.
- 71 -
C. Dogmatische Grundlage eines
Wiedereinstellungsanspruchs
I. Entwicklung der Rechtsprechung
Grundlegend für universelle – wenn auch vielkritisierte – Begründungsansätze
eines Wiedereinstellungsanspruchs ist die Entscheidung des 2. Senats vom
27.02.1997161,
die in lockerer Folge eine ganze Reihe unterschiedlicher
rechtsdogmatischer Erwägungen anführt (Korrektur einer prognosebedingten
einseitigen
Risikoverteilung,
Schutzzweck
des
§
1
KSchG,
rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitgebers, anspruchsbegründende
Wirkung des § 242 BGB, Vertrauensschutz, Recht des Arbeitnehmers aus Art.
12 GG, seinen Arbeitsplatz nicht grundlos zu verlieren), welche die spätere
Rechtsprechung mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung aufgreift. Da die
einzelnen
Fallgruppen
des
Wiedereinstellungsanspruchs
erhebliche
Unterschiede aufweisen, wird im Schrifttum bezweifelt, dass nur einer dieser
Ansätze die Rechtsgrundlage eines alle Fallkonstellationen umfassenden
Anspruchs liefern kann.162
Die Rechtsprechung hat sich bis heute nicht von dem Nebeneinander
verschiedener dogmatischer Ansätze verabschiedet. So enthält auch die
Entscheidung des 7. Senats vom 28.06.2000163 die unterschiedlichen
dogmatischen Erwägungen der Fürsorgepflicht, der praktischen Konkordanz von
Berufsfreiheit und Privatautonomie, sowie der notwendigen Korrektur einer
prognosebedingten einseitigen Risikoverteilung zulasten des Arbeitnehmers.
161
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1997, 757-760 =
BAGE 85, 194-207 = NJW 1997, 2257-2260 = DB 1997, 1414-1416 = MDR 1997, 749 = BB
1997, 1953-1955 = SAE 1998, 98-103. Siehe Zusammenfassung des Tatbestandes oben auf
Seite 7.
162
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 304.
163
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784.
- 72 Allen Ansätzen gemein ist die Entwicklung der Anspruchsgrundlage aus dem
Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, der aufgrund seines
Wortsinns und seiner Stellung im Gesetz grundsätzlich das Bestehen eines
Schuldverhältnisses voraussetzt164, weshalb überwiegend die Entstehung eines
Wiedereinstellungsanspruchs nach Ablauf der Kündigungsfrist verneint wird.165
II. Prinzipielle
Einwände
Wiedereinstellungsanspruch
gegen
einen
Ein Teil der Lit. vertritt die Auffassung, dass Prognoserisiko sei allein vom
Arbeitnehmer zu tragen. Eine nachträgliche Korrektur über einen wie auch
immer gearteten Wiedereinstellungsanspruch müsse generell ausscheiden166
oder
sei
allenfalls
auf
Sonderfälle
zu
begrenzen,
etwa
den
der
Verdachtskündigung167 oder den Fall einer vom Arbeitgeber übernommenen
Garantie für den Bestand des Kündigungsgrundes, die über den Ausspruch der
Kündigung, im Einzelfall auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinausweisen
könne.168 Selbst in der Rspr. wird vereinzelt von einer Aufweichung des
Beurteilungszeitpunktes für die Wirksamkeit der Kündigung gesprochen.169
Gegen eine Wiedereinstellungspflicht wird im Wesentlichen eingewandt, dass
das Arbeitsverhältnis nur zur Leistungserbringung und Leistungssicherung
verpflichte, nicht aber dazu, für die Zukunft beendete Leistungspflichten wieder
aufleben zu lassen. Der Arbeitgeber verhalte sich weder widersprüchlich, noch
verstoße er gegen Treu und Glauben, wenn er sich trotz Veränderung der
164
vom Stein, RdA 1991, 85, 91.
165
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 254 f.
166
AR-Blattei SD – Boemke, 220.10 Arbeitsvertrag Arbeitsverhältnis X, Rn 170 ff; Zoellner/Loritz,
S. 188.
167
So Kaiser, ZfA 2000, 205, 225.
168
Ricken, NZA 1998, 460, 464.
169
LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240, 247.
- 73 tatsächlichen Umstände auf die Wirksamkeit der Kündigung berufe und sich
deswegen weigere, den Arbeitnehmer über den Kündigungstermin hinaus zu
beschäftigen.170
Müsse der Arbeitgeber seine Kündigungsentscheidung im Ergebnis immer dann
korrigieren,
wenn
der
Kündigungsgrund
nachträglich
entfallen
ist,
so
widerspreche das der Intention des KSchG. Auf dem Umweg über den
Wiedereinstellungsanspruch
werde
die
Kündigung
von
einem
das
Arbeitsverhältnis beendenden Gestaltungsrecht zu einem Gestaltungsrecht mit
bloß suspendierender Wirkung. Das Arbeitsverhältnis wäre in der Konsequenz
für die Zeit suspendiert, innerhalb derer der Kündigungsgrund besteht und
endete frühestens mit dem Ablauf der Kündigungsfrist oder aber faktisch nie.171
Auch könnten gekündigte Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess durch
Hilfsantrag stets die Frage klären lassen, ob ein bestehender Kündigungsgrund
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortbestanden habe. Dadurch würden
betriebsbedingte Entlassungen erschwert und es entstehe ein Zustand
bedenklicher Rechtsunsicherheit.172 Im Übrigen wird eingewandt, das KSchG
selbst kenne – wie die Sonderregelung des § 21 VI SchwbG indirekt zeige –
keinen Wiedereinstellungsanspruch.173
170
vom Stein, RdA 1991, 85, 91 ff; von Bar, AcP 179 (1979), 452, 473.
171
Kaiser, ZfA 2000, 205, 225.
172
Ricken, NZA 1998, 460, 465.
173
Oetker, ZIP 2000, 643, 646.
- 74 -
III. Ansätze aus dem allgemeinen Vertragsrecht
1. Parallelen
zur
Neubegründung
Vertragsverhältnissen aus Treu und Glauben
von
Auch außerhalb des Arbeitsrechts gibt es Ansätze für die Neubegründung zuvor
durch Kündigung beendeter Vertragsverhältnisse auf der Grundlage von Treu
und Glauben. Für die strukturell vergleichbare Eigenbedarfskündigung im
Wohnraummietrecht gemäß § 573 I und II Nr. 2 BGB174 (§ 564b I und II Nr. 2
BGB a.F.) ist im Grundsatz anerkannt, dass für deren Rechtmäßigkeit auf den
Zeitpunkt der Kündigungserklärung abzustellen ist. Da das durch den
Kündigungsschutz
anerkannte
Bestandsinteresse
des
Mieters
bis
zur
Beendigung des Mietvertrages fortbestehe, müsse der Vermieter jedoch den
Mieter gemäß § 242 BGB auf einen vor der Beendigung entfallenden
Eigenbedarf hinweisen und sich zur Fortsetzung des Mietverhältnisses bereit
erklären.175
Die
Verletzung
dieser
Pflicht
führe
zu
einer
Schadensersatzverpflichtung176, es könne sogar ein Prozessbetrug vorliegen,
wenn der Vermieter ein Räumungsurteil deswegen erwirkt, weil er im Prozess
den zwischenzeitlichen Wegfall des Eigenbedarfs nicht angezeigt hat177. Der
Schutz des Mieters geht sogar soweit, dass ein Wegfall des Eigenbedarfs bis
zum
Ende
des
Räumungsrechtsstreits
Berücksichtigung
findet.178
Die
Eigenbedarfskündigung des Vermieters ist strukturell mit der betriebsbedingten
Kündigung des Arbeitgebers vergleichbar. Im einen wie im anderen Fall geht es
um die sozialen Belange des Mieters bzw. des Arbeitnehmers vor dem
Hintergrund der Zwecksetzung des Kündigungsschutzes, der den Mieter bzw.
174
175
Neugefasst durch das Mietrechtsreformgesetz zum 01.09.2001.
OLG Karlsruhe (3 Re-Miet 6/81), NJW 1982, 54, 55 f; OLG Zweibrücken, (2 Ss 159/82), NJW
1983, 694, 694; Seier, NJW 1988, 1617, 1622.
176
OLG Karlsruhe (3 Re-Miet 6/81), NJW 1982, 54, 55 f.
177
OLG Zweibrücken, (2 Ss 159/82), NJW 1983, 694, 694.
178
OLG Karlsruhe (11 U 60/92), NJW-RR 1994, 80, 80.
- 75 den Arbeitnehmer vor dem ungerechtfertigten Verlust der Wohnung bzw. des
Arbeitsplatzes schützen soll.
Dass auch insoweit die Rspr. keineswegs klar ist, darauf hat schon Seier179
hingewiesen. Auch Walker180 macht auf Ungenauigkeiten aufmerksam, die
unbeantwortet lassen, ob und inwieweit ein Wegfall des Eigenbedarfs auf die
Wirksamkeit
der
Eigenbedarfskündigung
zurückwirkt
oder
einen
Fortsetzungsanspruch bzw. Anspruch auf Neuabschluss begründet.181 Dass
„der Vermieter dem Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses“ anbieten
muss, und gleichsam „der weggefallene Kündigungsgrund nicht mehr Grundlage
der ausgesprochenen Kündigung“ sein kann182, lässt keinen klaren Schluss zu,
wie das Problem rechtsdogmatisch zu lösen ist.
Nicht anders entschied der BGH zu dem vergleichbaren Tatbestand des § 9 I Nr.
4 BKleingG, dass die Kündigung nicht mehr gerechtfertigt sei, wenn der
ursprünglich vorhandene Kündigungsgrund bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
entfalle. Halte der Verpächter trotzdem an der Kündigung fest, dann könne dies
eine unzulässige Rechtsausübung sein.183
Der
generalklauselartige
Charakter
von
§
242
BGB
erlaubt
zwar
Rechtsfortbildungen jeder Art, droht aber die Unterschiede zwischen den
einzelnen Fallgruppen zu nivellieren und die Wertungsmaßstäbe zu verdecken,
aus denen sich schließlich die Grenzen des Anspruchs ableiten lassen. Bereits
ausgeformtes Gesetzes- oder Richterrecht geht als Grundlage einer neuen
Rechtsfortbildung jedenfalls vor.184 Dass sich in anderen Rechtsbereichen
179
Seier, NJW 1988, 1617, 1622.
180
Walker, SAE 1998, 103, 104.
181
Für letzteres Seier, NJW 1988, 1617, 1622.
182
OLG Karlsruhe (11 U 60/92), NJW-RR 1994, 80, 80.
183
BGH (V ZR 116/90), BGHZ 113, 290, 295.
184
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 305.
- 76 vergleichbare auf die Neubegründung der vertraglichen Hauptpflichten eines
Dauerschuldverhältnisses bezogene Pflichten finden lassen, sagt für sich
genommen nichts darüber aus, ob § 242 BGB auch in der hier untersuchten
Konstellation die Anerkennung eines auf die Neubegründung vertraglicher
Hauptpflichten bezogenen Anspruchs ermöglicht, der andernfalls jedenfalls als
Ausprägung von § 242 BGB verneint werden müsste, solange er nicht
positivrechtlich anerkannt wird.
2. (Nachwirkende)
Fürsorgepflicht
Interessenwahrungspflicht
/
a) Begrifflichkeiten vertragsrechtlicher Ansätze
Am naheliegendsten erscheint zunächst die Möglichkeit, dass sich ein
Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung aus der allgemeinen
Fürsorgepflicht ableiten lässt, wie dies vom überwiegenden Teil der Rspr.185
und der Lit.186 vertreten wird. Leicht abweichend wird z.T. auch auf den
vertragsrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB187 oder
auf die durch die Wertungen des KSchG konkretisierte Fürsorgepflicht
abgestellt.188
Schließlich wird auch von einer Interessenwahrungspflicht gesprochen, die nicht
anders als die Fürsorgepflicht als Nebenpflicht des Arbeitsverhältnisses auch
über den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bis zur endgültigen
Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Inhalt fortbestehen soll, auf die
185
186
187
188
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757 = AP Nr.1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; LAG
Köln (7 Sa 60/96), RzK I 9a Nr 118; BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 254 = AP Nr. 2 zu §
1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
Soergel BGB – Kraft, § 611 Rn 214 m.w.N.; Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 114; Langer,
NZA 1991, Beil. 3, 23, 28; KR – Etzel, § 1 KSchG Rn 569.
Hueck, Anm. zu BGH AP Nr. 2 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Larenz, Anm. zu BAG AP Nr. 3
(1 AZR 29/55) und 4 (2 AZR 345/56) zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Kiel/Koch, Rn 857.
Annuß, BB 1998, 1582, 1587.
- 77 berechtigten Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, wobei
Umfang und Intensität nicht verbindlich feststünden, sondern aus einer
Abwägung zwischen den Interessen der Arbeitsvertragsparteien zu gewinnen
seien.189
Die Fürsorgepflicht ist wie die Interessenwahrungspflicht eine aus der
vertraglichen Abrede sich ergebende Nebenleistungspflicht, die als Oberbegriff
eine Mehrzahl von klagbaren Pflichten beschreibt, für die ein vertragliches
Erfüllungsinteresse
erkennbar
Hauptleistungsprogramms
ist,
die
aber
außerhalb
stehen.190
Bei
der
Fürsorge-
des
oder
Interessenwahrungspflicht handelt es sich um ein durch Schrifttum und
Rechtsprechung herausgearbeitetes Institut, das als ein Ausdruck der
gegenseitigen Treuepflichten aus dem besonderen Näheverhältnis zweier
Vertragspartner resultiert. Die aus dem Wesen und den näheren Umständen des
jeweiligen Vertragsverhältnisses entstehenden Nebenpflichten erhalten
so
lediglich ein besonderen Namen, ohne dass hieraus bereits ein Rückschluss auf
ihren Inhalt möglich wäre.191
All diese Ansätze sind trotz unterschiedlicher Begrifflichkeiten vertragsrechtlicher
Art
und
teilen
damit
den
Grundgedanken,
dass
es
sich
bei
der
Wiedereinstellungspflicht um eine den Arbeitgeber treffende vertragliche
Nebenpflicht handeln soll.
b) Begrenzung auf den Ablauf der Kündigungsfrist
Eine arbeitgeberseitige Wiedereinstellungspflicht soll demnach als extensive
Ausprägung der Fürsorge- bzw. Interessenwahrungspflicht aus dem in
Abwicklung
befindlichen
Arbeitsverhältnis
189
Oetker, ZIP 2000, 643, 646.
190
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 464.
191
Kaiser, ZfA 2000, 205, 220.
192
LAG Hamburg (2 Sa 90/89), DB 1991, 1180, 1180.
verstanden
werden.192
Der
- 78 Arbeitgeber sei gehalten, auf das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung
des Arbeitsplatzes Rücksicht zu nehmen, wenn ihm ohne Beeinträchtigung
seiner eigenen Belange eine Wiedereinstellung möglich sei.
Was den Inhalt und die Intensität der Fürsorgepflicht im Anschluss an eine
wirksame ordentliche Kündigung anbelangt, muss zwischen zwei Zeiträumen
unterschieden
werden:
Einerseits
der
Zeitraum
vom
Zugang
der
Kündigungserklärung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, in welchem das
Arbeitsverhältnis noch mit allen Rechten und Pflichten fortbesteht, weshalb man
eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers während
dieses Zeitraums zwanglos wird bejahen können. Andererseits die Zeit nach
Beendigung des Arbeitsverhältnisses, in der es an einer Vertragsbeziehung und
damit grundsätzlich auch an vertraglichen Pflichten fehlt.
Insoweit kann
allenfalls noch eine Nachwirkung der Fürsorgepflicht aus dem beendeten
Arbeitsverhältnis angenommen werden.193
Der 7. Senat des BAG hält eine vertragliche Nebenpflicht aus dem noch
fortbestehenden Arbeitsverhältnis, also vor Ablauf der Kündigungsfrist, für
anspruchsbegründend.
Zu
den
letztlich
auf
§
242
BGB
beruhenden
arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gehöre auch die Pflicht, auf die berechtigten
Interessen
des
Vertragspartners
Rücksicht
zu
nehmen.194
In
seiner
Entscheidung vom 06.08.1997195, der die obergerichtliche Rspr.196 zum Teil
gefolgt ist, betont der 7. Senat, dass die Fürsorgepflicht nur bei Widerlegung der
kündigungsbegründenden Prognose vor Ablauf der Kündigungsfrist einen
Wiedereinstellungsanspruch rechtfertigen könne. Die Fürsorgepflicht überdauere
zwar die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, betreffe aber nur das
Weiterbestehen bestimmter Nebenpflichten. Sie könne deshalb einen Anspruch
193
Oetker, ZIP 2000, 643, 645.
194
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784.
195
196
BAG, (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 254, siehe Zusammenfassung des Tatbestandes oben
auf Seite 8.
LAG Hamm (18 Sa 2523/97), NZA-RR 2000, 134, 134.
- 79 auf Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist
nicht erklären. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endeten auch die
vertraglichen
Interessenswahrungspflichten197
bzw.
die
(nachwirkende)
Fürsorgepflicht198 des Arbeitgebers. Nach Beendigung der Vertragsbeziehung
bestünden nur noch nachvertragliche Pflichten, die regelmäßig schwächer und
allenfalls
in
besonderen
Ausnahmefällen
geeignet
seien,
einen
Wiedereinstellungsanspruch zu begründen.199 Nachvertragliche Nebenpflichten
sollten lediglich die endgültige Beendigung der Vertragsbeziehungen der
Parteien absichern.200
Teilweise anders sehen das Oetker201 und von Bar202, die für eine
Beschränkung der Anspruchsentstehung auf den Ablauf der Kündigungsfrist
nicht gelten lassen wollen, dass die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
herangezogenen
Interessenwahrungspflichten
mit
der
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses ihr Ende finden. Vielmehr gelte für das Arbeitsverhältnis wie
für alle Schuldverhältnisse, dass dieses Nachwirkungen entfalte und eine
Verletzung nachvertraglicher Pflichten zu einer Schadensersatzpflicht führen
könne. Andererseits lasse sich aus der Culpa post pactum finitum lediglich ein
Schadensersatzanspruch und damit eine Pflicht zur Naturalrestitution ableiten.
Sie sei allein auf die Verletzung von Nebenpflichten zugeschnitten.203 Der
konstruktive
Ansatz
über
Interessenwahrungspflicht
ziele
die
nachwirkende
demgegenüber
Fürsorge-
bzw.
Sinne
einer
im
Nebenleistungspflicht darauf ab, unmittelbar einen Anspruch des Arbeitnehmers
197
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1785.
198
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255.
199
BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f = NJW 2001, 3429, 3429 f.
200
MünchKomm – Schwerdtner, Vorb. § 620 BGB Rn 406.
201
Oetker, ZIP 2000, 643, 648 f.
202
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 452 ff.
203
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 467.
- 80 auf
den
Abschluss
des
Arbeitsvertrages
begründen.204
zu
Die
Interessenwahrungspflicht reiche jedoch nicht aus, um den Arbeitgeber stets zu
verpflichten,
den
Arbeitnehmer
wieder
einzustellen,
auch
wenn
der
Kündigungsgrund nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt. Die
nachvertragliche Komponente der Interessenwahrungspflicht sei auf die
Abwicklung des Vertragsverhältnisses ausgerichtet.205 Die Wiedereinstellung
erstrebe jedoch das Gegenteil.206
Das LAG Hamburg207 will hingegen einen Wiedereinstellungsanspruch auch
nach Ablauf der Kündigungsfrist anerkennen und ihn auf eine Nachwirkung der
Fürsorgepflicht stützen. Die Annahme einer nachwirkenden Fürsorgepflicht sei
aus einer Verbindung der allgemeinen Fürsorgepflicht mit der Lehre der
nachvertraglichen Pflichten bei Dauerschuldverhältnissen entstanden. Obwohl
solchen Nachwirkungen regelmäßig nur der Charakter einer Nebenpflicht
eingeräumt werde, sei in bezug auf den Wiedereinstellungsanspruch eine
Ausdehnung
vorzunehmen,
um
der
besonderen
sozialen
Situation
im
Arbeitsverhältnis Rechnung zu tragen. Eine den Arbeitgeber unangemessen
belastende Ausdehnung seiner Fürsorgepflicht gelte es dadurch zu vermeiden,
dass im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen sei, ob der
Arbeitnehmer schutzbedürftig sei und tatsächlich ein überwiegendes Interesse
an der Wiedereinstellung habe und der Arbeitgeber andererseits nicht schon
betriebliche Maßnahmen getroffen habe, die eine Weiterbeschäftigung nahezu
unmöglich machen.
204
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 473; a.A. A. Hueck, FS Hedemann 1958, S. 131, 144 ff.
205
Larenz BGB SchR I, S. 141 f.
206
207
So auch Langer, NZA 1991, Beil. 3, 23, 26; Boewer, NZA 1999, 1177, 1778 f; Langbucher, ZfA
1999, 299, 305.
LAG Hamburg (2 Sa 90/89), DB 1991, 1180, 1180.
- 81 -
c) Neubegründung vertraglicher Hauptpflichten als
Rechtsfolge einer bloßen Nebenpflichtverletzung
Auch wenn man indes eine Anspruchsbegründung über die Fürsorge- bzw.
Interessenwahrungspflicht auf den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
beschränkt,
bleibt
die
Kernfrage
bestehen,
ob
die
Fürsorge-
bzw.
Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers überhaupt eine Wiederbegründung
des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann oder ob sie als vertragliche
Nebenpflicht nach Ausspruch der Kündigung nur noch dessen Abwicklung und
gerade nicht die Neubegründung von Hauptpflichten ermöglicht.
So wendet sich denn auch ein großer Teil der Lit.208 prinzipiell gegen die
Herleitung eines Wiedereinstellungsanspruchs aus vertraglichen Nebenpflichten,
gleich ob die Kündigungsfrist zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits abgelaufen ist
oder nicht.
Die Auflösung eines Rechtsverhältnisses durch wirksame Kündigung beseitige
grundsätzlich
seine
Wirkungen.
Zwar
könnten
in
gewissem
Umfang
Nachwirkungen eintreten, dafür müssten jedoch besondere Gründe vorliegen, in
erster Linie vertragliche Vereinbarungen. Wollte man Nachwirkungen allein aus
der allgemeinen Treue- und Fürsorgepflicht oder aus § 242 BGB herleiten, so
gelange man zu uferlosen, nur auf Billigkeitserwägungen gestützten und jede
Rechtssicherheit zerstörenden Folgerungen.
Überdies könne eine Pflicht zur Wiedereinstellung, also zur Erneuerung des
Vertrages, niemals eine bloße Nachwirkung des Vertrages sein, denn die
208
Larenz, Anm. zu BAG (1 AZR 29/55), AP Nr. 3 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Mohnen, RdA
1957, 405, 407; Moos, RdA 1962, 301, 303; von Bar, AcP 179 (1979) 452, 472 f; Mummenhoff,
SAE 1985, 305, 306 f; Eich, SAE 1988, 78, 80; vom Stein, RdA 1991, 85, 90; Ricken, NZA
1998, 460, 462 f; Walker, SAE 1998, 103, 105; Adam, ZTR 1999, 113, 114; Langenbucher, ZfA
1999, 299, 305; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 89; Kaiser, ZfA 2000, 205, 219 ff; Raab, RdA
2000, 147, 149;
MünchKomm BGB - Schwerdtner , Vor § 620 Rn 406; Soergel – Teichmann, § 242 BGB Rn
167 f.
- 82 Begründung von Hauptpflichten würde bedeuten, dass der Vertrag eben nicht
sein Ende gefunden habe.209 Im ungekündigten Dauerschuldverhältnis gehe es
den Nebenpflichten nur darum, die Erfüllung der Hauptleistungspflichten zu
sichern und andere Rechtsgüter des Vertragspartners zu schützen. Zwar
erkenne der Gesetzgeber nach Erlöschen der Hauptleistungspflichten eines
Arbeitsverhältnisses das Weiterbestehen von Nebenpflichten an, wenn er in § 2 I
Nr. 3 c ArbGG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten aus
Nachwirkungen eines Arbeitsverhältnisses begründet. So wird z.B. der
Arbeitgeber für verpflichtet gehalten, Auskünfte über den Arbeitnehmer an
Personen weiterzugeben, mit denen dieser in Verhandlungen über den
Abschluss eines Arbeitsvertrages steht.210 Es handele sich dabei aber
ausschließlich um nachwirkende Nebenpflichten211, die im Anschluss an eine
wirksame ordentliche Kündigung eine ungestörte, endgültige Beendigung der
vertraglichen Beziehungen der Parteien absichern sollen.212 Ihre Eigenheit
bestehe darin, dass sie als endbezogene Pflichten mit Zeitablauf immer
schwächer
würden bis sie schließlich
nachwirkender
Nebenpflichten
Arbeitsverhältnisses.
Bei
allen
ist
ganz aufhörten.
auch
keine
schuldrechtlichen
Die
Annahme
Besonderheit
Verträgen
des
können
nachwirkende Pflichten bestehen, aufgrund derer jeder Vertragsteil Sorge dafür
zu tragen hat, dass dem Vertragspartner keine Nachteile für die Zeit nach
Beendigung des Vertrages erwachsen.213 So sind auch dem Arbeitsverhältnis,
das durch die ihm immanente soziale Komponente stärker als andere
209
210
211
212
213
Mohnen, RdA 1957, 405, 407; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 89.
AR-Blattei – Krause, 220.2.1 Arbeitsvertrag
Arbeitsverhältnisses, Rn 263 m.w.N.
–
Arbeitsverhältnis
II
A,
Inhalt
des
Mummenhoff, SAE 1985, 305, 306 f; Ricken, NZA 1998, 460, 462; Langenbucher, ZfA 1999,
299, 305.
Moos, RdA 1962, 301, 303; Larenz, Anm. zu BAG (1 AZR 29/55) AP Nr. 3 zu § 611 BGB
Fürsorgepflicht; Soergel – Teichmann, § 242 BGB Rn 167 f.
Larenz BGB SchuldR I, § 10 II g.
- 83 Vertragstypen
geprägt
ist,
nachwirkende
Pflichten
nicht
prinzipiell
abzusprechen.214
Im gekündigten Dauerschuldverhältnis handele es sich nicht um Nachwirkungen
im eigentlichen Sinne, sondern um die Fortwirkung des vertraglichen
Schuldverhältnisses in dem Sinne, dass noch nicht alle Leistungspflichten erfüllt
und
damit
erloschen
Nebenpflichten
vertrage
seien.
sich
Die
aber
Endbezogenheit
nicht
mit
der
nachvertraglicher
Begründung
neuer
Hauptleistungspflichten.215 Sie könnten somit nicht als Anspruchsgrundlage
eines Wiedereinstellungsanspruchs fungieren.216
§ 242 BGB als Grundlage der Fürsorgepflicht sei Ausdruck der Vertragstreue
und verpflichte demgemäß die Beteiligten, sich im Hinblick auf das von ihnen
gegebene Leistungsversprechen konsequent zu verhalten. Soweit sich hieraus
Nebenpflichten ergäben, dienten diese der Sicherung des geschuldeten
Leistungserfolges
und
Vertragspartners
beim
dem
Schutz
der
Leistungsaustausch.
Rechtsgüter
Daher
des
lasse
anderen
sich
ein
Wiedereinstellungsanspruch auch nicht als Ausprägung der Pflicht zur
Vertragstreue konstruieren. Es könne schwerlich als Konsequenz der vom
Arbeitgeber einmal eingegangenen Vertragstreuepflicht angesehen werden,
dem Arbeitnehmer trotz wirksamer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch
Neuabschluss eines Vertrages die Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Dies
gelte erst recht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.217
214
215
216
217
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2240.
LAG Köln (12 Sa/ 403/96), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 5; Adam, ZTR 1999,
113, 114; Langenbucher, ZfA 1999, 299, 305; Raab, RdA 2000, 147, 149.
vom Stein, RdA 1991, 85, 90; MünchKomm BGB - Schwerdtner , Vor § 620 Rn 406; Larenz,
Anm. zu BAG AP Nr. 3 (1 AZR 29/55) und 4 (2 AZR 345/56) zu § 611 BGB Fürsorgepflicht;
von Bar, AcP 179 (1979) 452, 473; Eich, SAE 1988, 78, 80.
So LAG Hamburg (2 Sa 90/89), LAGE § 611 Einstellungsanspruch Nr. 2; Hambitzer, NJW
1985, 2239, 2240.
- 84 Dagegen wendet wiederum Hueck218 ein, dass selbst aus Verschulden bei
Vertragsverhandlungen nach §§ 241 II, 311 II, 280 I, 249 I BGB im Einzelfall im
Wege des Schadensersatzes vertragliche Hauptpflichten begründet werden
können. Dies ist der Fall, wenn ohne das zum Schadensersatz verpflichtende
Verhalten nachweisbar der Vertrag wirksam zustande gekommen wäre. In
diesen Fällen ist der andere Teil so zu stellen, wie er bei Erfüllung des Vertrages
gestanden hätte. So verhält es sich z.B., wenn der eine Vertragspartner in dem
anderen
schuldhaft
einen
Irrtum
über
die
Notwendigkeit
einer
Form
hervorgerufen und so den Abschluss eines formnichtigen Vertrages bewirkt
hat.219 Der schuldige Teil haftet dann im Wege der Naturalrestitution auf
Erfüllung, oder, wenn die Erfüllung unmöglich ist, auf Schadensersatz statt der
Leistung, also auf das positive Interesse.220 Hueck will daraus nun umgekehrt
den Schluss ziehen: Wenn ein schuldhaftes Verhalten vor Vertragsschluss dazu
führen kann, dass der schuldhaft Handelnde im Wege des Schadensersatzes
den Vertrag als zustande gekommen gelten lassen muss oder Mängel des
Vertrages nicht geltend machen darf, dass er also auf Erfüllung oder
Schadensersatz statt der Leistung haftet, so müsse das erst recht bei einem
entsprechenden Verhalten einer Partei vor, bei oder auch nach Auflösung des
Vertragsverhältnisses möglich sein. Damit lasse sich feststellen, dass die
Annahme
einer
Wiedereinstellungspflicht
nach
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses keine begriffliche Unmöglichkeit bedeute und ebenso wenig
mit dem Wesen der Vertragsauflösung oder allgemeinen Grundsätzen des
Privatrechts in Widerspruch stehe.221
Monjau222 will die den Arbeitgeber treffende Wiedereinstellungspflicht zudem
nur als Nebenpflicht gelten lassen. Ebenso wie die Nachwirkung von
218
Hueck FS Hedemann, 131, 145.
219
Hueck FS Hedemann, 131, 145; von Bahr, AcP 179 (1979), 452, 473 m.w.N.
220
Larenz BGB AT, § 7 II.
221
Hueck FS Hedemann, 131, 144 ff.
222
Monjau, BB 1962, 1439, 1440.
- 85 Nebenpflichten aus dem früheren Schuldverhältnis in Verbindung mit § 242 BGB
abgeleitet werde, gelte dies auch für die Verpflichtung zur Wiederbegründung
des Arbeitsverhältnisses. In Wirklichkeit würden durch die nachwirkende
Fürsorgepflicht
die
Hauptpflichten
aus
dem
Arbeitsvertrag,
nämlich
Dienstleistungs- und Lohnzahlungspflicht, nicht von selbst wieder in Kraft
gesetzt. Der Arbeitsvertrag entstehe nicht ohne weiteres neu. Vielmehr
begründe die nachwirkende Fürsorgepflicht nur den Anspruch auf Neuabschluss
wie aus einem Vorvertrag. Es bestehe eine aus dem früheren Vertrag mit
Rücksicht auf Treu und Glauben abzuleitende schuldrechtliche Verpflichtung
zum Neuabschluss eines Arbeitsvertrages. Wenn man so wolle sei dies nur
eine, wenn auch sehr weitreichende, Nebenpflicht aus dem früheren
Arbeitsvertrag, der beispielsweise auch als ausdrückliche Nebenverpflichtung
gleichzeitig einen Vorvertrag für einen späteren neuen Vertrag enthalten könnte,
wie dies etwa für Saison- und Kampagnearbeiter durchaus üblich sei.
Gegen eine bloße Nebenpflicht spricht, dass durch die Wiedereinstellung die
Wertung des wirksam beendeten Vertragsverhältnisses im einen wie im anderen
Falle wieder aufgehoben wird. Eine Pflicht zur Neubegründung der vertraglichen
Hauptpflichten will eben diese Hauptpflichten verwirklichen und ist daher keine
bloße Nebenpflicht.223
d) Stellungnahme
Das Grundproblem bleibt bestehen: Entweder man sieht in der Fürsorge- bzw.
Interessenwahrungspflicht
im
Hinblick
auf
ein
wirksam
gekündigtes
Arbeitsverhältnis nur eine bloße Abwicklungspflicht, die auf die Beendigung der
Vertragsbeziehung gerichtet ist und daher auch nicht als Rechtsgrundlage einer
Neubegründung
vertraglicher
Hauptpflichten
taugt,
oder
man
hält
die
Interessenwahrungspflicht im Einzelfall für ausreichend, die vertraglichen
223
So auch Kort, SAE 2001, 131, 133.
- 86 Hauptpflichten neu zu begründen, wenn letztlich der Kündigungsgrund keinen
Bestand hat und dem Arbeitgeber eine Wiedereinstellung zumutbar ist.
Dann aber will nicht recht einleuchten, warum der so verstandene Schutzzweck
ebenso wie die
Interessenwahrungspflicht selbst mit der Beendigung der
Vertragsbeziehung
stets
erreicht
bzw.
obsolet
geworden
sein
soll,
beispielsweise wenn nach betriebsbedingter Kündigung der Arbeitsplatz
unerwartet erhalten geblieben ist, allein der Arbeitgeber von diesem Umstand
Kenntnis hat, der Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Kündigungsfrist hiervon
erfährt und der Arbeitgeber eine Wiedereinstellung mit Hinweis auf den Ablauf
der Kündigungsfrist ablehnt, obwohl der Arbeitsplatz noch frei ist.
Um
mit
Hilfe
der
Fürsorge-
bzw.
Interessenwahrungspflicht
hier
ein
sachgerechtes Ergebnis zu erzielen, müsste man sich einerseits über den
Charakter der Nebenpflichten im gekündigten Dauerschuldverhältnis als bloße
Abwicklungspflichten hinwegsetzen und eine Pflicht zur Neubegründung des
Vertrages annehmen, und andererseits ein Erlöschen einer so weitreichenden
Pflicht mit dem Ende der Vertragsbeziehung verneinen. Das erscheint allerdings
kaum noch begründbar.
3. Verletzung einer allgemeinen Unterstützungs- und
Zusammenarbeitspflicht
während
laufender
Kündigungsfrist
Für den Fall, dass die kündigungsbegründende Prognose bereits innerhalb
laufender
Kündigungsfrist
Unterstützungs-
und
widerlegt
wird,
wird
Zusammenarbeitspflicht224
Wiedereinstellungsanspruchs
angeführt.
Diese
auch
zur
bestehe
die
allgemeine
Erklärung
auch
eines
innerhalb
laufender Kündigungsfrist in vollem Umfang fort. Sie beruhe auf der
gegenseitigen Treuepflicht, die jedem Schuldverhältnis immanent sei. Zur
224
vom Stein, RdA 1991, 85, 88.
- 87 Treuepflicht gehöre die gegenseitige Unterstützung225 und die Verpflichtung, mit
dem
Vertragspartner
zur
Verwirklichung
des
Vertragsziels
zusammenzuwirken.226 Gerade im Dauerschuldverhältnis Arbeitsverhältnis
seien die Pflichten besonders intensiv.227 Falls der Arbeitnehmer dem
Arbeitgeber wegen veränderter Umstände, die die Kündigung nun nicht mehr
rechtfertigen können, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses antrage, sei eine
Ablehnung dieses Angebots mit der den Arbeitgeber treffenden Unterstützungsund Zusammenarbeitspflicht nicht zu vereinbaren. Der Arbeitgeber verhalte sich
bei einer Ablehnung treuwidrig. Die Unterstützungspflicht verpflichte ihn, daran
mitzuwirken, dass der veränderten Situation Rechnung getragen, d.h. dass das
Arbeitsverhältnis fortgesetzt werde. Verletze der Arbeitgeber ohne besonderen
Grund diese Unterstützungspflicht, so stehe dem Arbeitnehmer wegen
schuldhafter Nebenpflichtverletzung ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I
BGB zu, der in Verbindung mit dem Gebot der Naturalrestitution aus § 249 S. 1
BGB zu einem Anspruch auf Einwilligung in die Vertragsfortsetzung führe. Eines
Rückgriffs auf die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht bedürfe es somit nicht.
Durch die Fortsetzungsvereinbarung werde ein Anschlussarbeitsverhältnis
begründet, dass dem Arbeitnehmer die lückenlose Fortsetzung der Tätigkeit im
Betrieb des Arbeitgebers ohne jeglichen Rechtsverlust ermögliche.228
Diese
mittels
schuldhafter
Nebenpflichtverletzung
zu
einem
Wiedereinstellungsanspruch gelangenden Auffassungen sind aber nichts
anderes als Hilfskonstruktionen, die in anderem Gewand mit der Rspr.
übereinstimmende Ergebnisse erzielen möchten229, dabei aber die wesentliche
Frage, warum nachträgliche Umstände auf den durch die wirksame Kündigung
geschaffenen Rechtszustand einwirken sollen und welchen konkreten Inhalt vor
225
Erman – Hanau, § 611 Rn 482; Staudinger BGB – Schmidt, § 242 Rn 755.
226
Weber, RdA 1980, 289, 297 f.
227
MünchKomm BGB – Roth, § 242 Rn 151.
228
vom Stein, RdA 1991, 85, 88.
229
Boewer, NZA 1999, 1121, 1129.
- 88 dem Hintergrund des wirksam ausgeübten Gestaltungsrechts eine bloße
Nebenpflicht noch haben kann, nicht beantworten.
Die Funktion einer solchen allgemeinen „Pflicht zur Unterstützung“ erscheint
überdies angesichts der im Arbeitsverhältnis liegenden Interessengegensätze
zweifelhaft, was einmal mehr zu beachten ist, wenn durch die Kündigung die
Beendigung des Vertrages bereits eingeleitet ist.230
4. Verbot widersprüchlichen Verhaltens - Venire contra
factum proprium
Schließlich wird auch versucht, die Wiedereinstellung aus dem Verbot
widersprüchlichen Verhaltens abzuleiten.231 Es handelt sich dabei um eine
Ausprägung des Vertrauensschutzgedankens.232 Auch insoweit liefert die Rspr.
des 2. Senats die Grundlage.233 Demnach kann die Berufung des Arbeitgebers
auf die Kündigung ein widersprüchliches Verhalten darstellen, dass als
Rechtsmissbrauch angesehen werden muss.234 Zu Recht kritisiert Oetker, dass
die Argumentation des 2. Senats hier nicht konsistent ist, da einerseits das
Verhalten des Arbeitgebers als missbräuchlich stigmatisiert wird, andererseits
aber Verhaltensanforderungen für den Arbeitgeber begründet werden. Dies
erweckt den Eindruck, dass zwei selbstständige Argumentationsstränge ohne
Not miteinander verknüpft werden. So erweist sich der Vorwurf des
Rechtsmissbrauchs als überflüssig, wenn es gelingt, die Verhaltenspflichten des
230
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 304 (dort FN 29).
231
Boewer, NZA 1999, 1121, 1128; Sibben, DB 2000, 2023, 2023.
232
Canaris Vertrauenshaftung, S. 287 ff; Soergel – Teichmann, § 242 BGB Rn 312 ff.
233
234
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung (unter B II 2 der
Entscheidungsgründe).
Ebenso LAG Köln (4 Sa 860/88), DB 1989, 1475, 1475, 1476; Preis, DB 1988, 1387, 1393.
- 89 Arbeitgebers zur Rechtsgrundlage für einen Wiedereinstellungsanspruch zu
erheben.235
Voraussetzung für die Annahme eines widersprüchlichen Verhaltens ist, dass
der Arbeitgeber in zurechenbarer Weise gegenüber dem Arbeitnehmer einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat236, zu dem er sich dann in Widerspruch
setzt. Ein solches Vertrauen könnte nun in der vom Arbeitgeber veranlassten
arbeitnehmerseitigen
Erwartung
Kündigungsschutzgesetz
geschützten
bestehen,
Rechtsgüter
die
durch
„Arbeitsplatz“
das
und
„Betriebszugehörigkeit“ nur dann zu verlieren, wenn der Zweck der Kündigung
Bestand hat.237 Dabei setzt widersprüchliches Verhalten auf der subjektiven
Seite weder unredliche Absichten noch ein Verschulden voraus.238
Ein dahingehendes Vertrauen ist jedoch nur schutzwürdig, wenn der Arbeitgeber
es auch zurechenbar hervorgerufen hat, indem er zwei sich ausschließende
Verhaltensweisen zeigt. Man könnte diesen Selbstwiderspruch darin sehen,
dass der Arbeitgeber einerseits seine Prognoseentscheidung der Kündigung
zugrunde legt, was für die betriebsbedingte Kündigung zur Konsequenz hat,
dass er bereits vor dem Zeitpunkt der betrieblichen Änderung die Kündigung
ausspricht, um den sonst fälligen Verzugslohn zu sparen, obwohl doch die innerund außerbetrieblichen Umstände, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen
können, allein aus seiner Sphäre stammen und vom Arbeitnehmer folglich auch
nicht nachprüfbar sind. Andererseits verweigert er dem Arbeitnehmer seine
Wiedereinstellung, wenn sich das allein von ihm zu durchschauende
prognoseimmanente Risiko verwirklicht. Damit verweist er den Arbeitnehmer auf
die Bestandskraft einer Kündigung, die er nicht um ihrer selbst willen, sondern
zur Verwirklichung einer eigenen Organisationsentscheidung ausgesprochen
235
Oetker, ZIP 2000, 643, 646.
236
BGH (III ZR 32/59), BGHZ 32, 273, 279.
237
Preis, DB 1988, 1387, 1393.
238
Boewer, NZA 1999, 1121, 1128.
- 90 hat, obwohl er seine freie unternehmerische Entscheidung mittlerweile
aufgegeben hat und der dauerhafte Verlust des Arbeitsplatzes daher sinnlos
erscheint.
Die Kündigungserklärung eines Arbeitgebers ist aber nichts weiter als die
Ausübung eines Gestaltungsrechts. Diesen schlichten Rechtsakt als Auslöser
eines schutzwürdigen Vertrauens beim Arbeitnehmer anzusehen, erscheint zu
weitgehend.239 Auch die Berufung des Arbeitgebers auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ist nicht rechtsmissbräuchlich, und sie schafft auch keinen
Vertrauenstatbestand, denn eine solche Berufung stellt lediglich einen Hinweis
auf den rechtmäßig eingetretenen Status Quo dar.240 Eher schon könnte man
umgekehrt annehmen, ein Widerspruch läge vor, wenn der Arbeitgeber an der
Kündigung nicht festhielte, sie also durch die Annahme eines neuen
Vertragsangebotes „zurücknimmt“.241 Der Arbeitgeber hält mit der Ablehnung
der
Wiedereinstellung
konsequent
an
seiner
einmal
getroffenen
Kündigungsentscheidung fest. Selbst wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer
die Kündigungsgründe nennt, beinhaltet dies nicht die Erklärung, nur bei
Bestehenbleiben dieser Gründe das Arbeitsverhältnis beenden zu wollen.
Ansonsten
müsste
man
auch
demjenigen
Arbeitnehmer
einen
Wiedereinstellungsanspruch wegen widersprüchlichen Verhaltens zubilligen, der
noch keinen Kündigungsschutz genießt, sofern nur der Arbeitgeber –
überflüssigerweise – bestimmte Gründe für die Kündigung genannt hat und
diese später entfallen.242 Dies wird zu Recht von niemandem vertreten.
Schließlich müssen auch im Anwendungsbereich des KSchG die Gründe, die
die Kündigung sozial rechtfertigen, nur objektiv vorliegen. Würde man auf
239
240
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 474; Preis, DB 1988, 1387, 1393; vom Stein, RdA 1991, 85, 87.
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757; vom Stein, RdA 1991, 85, 91; Zwanziger, BB 1997, 42, 42;
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 305, 307; Adam, ZTR 1999, 113, 114; Nicolai/Noack, ZfA 2000,
87, 94 f; Kaiser, ZfA 2000, 205, 222.
241
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 94.
242
Raab, RdA 2000, 147, 151.
- 91 erzeugtes Vertrauen abstellen, so gelänge man zu einem auf rein subjektive
Erwägungen gestützten Wiedereinstellungsanspruch.243
Wollte man einen anspruchsbegründenden Selbstwiderspruch des Kündigenden
darin sehen, dass er trotz Wegfalls des genannten Kündigungsgrundes an der
Kündigung festhält, so müsste man schließlich auch den kündigenden
Arbeitnehmer gegen seinen Willen auf eine Fortsetzung seiner Tätigkeit in
Anspruch nehmen können.244 Das erscheint jedoch fernliegend.245 Die den
Arbeitnehmer treffende Treupflicht ist im Hinblick auf den Bestand des
Arbeitsverhältnisses wegen der ihm eigenen sozialen Komponente keineswegs
ebenso stark ausgeprägt wie die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Beide
entsprechen einander nicht spiegelbildlich. Sie verfolgen jeweils unterschiedliche
Zwecke. Der Arbeitgeber hat die identitätsstiftende und unterhaltssichernde
Funktion des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer zu berücksichtigen,
dieser die berechtigten betrieblichen Interessen des Arbeitgebers etwa in bezug
auf die Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen und die Bewahrung des
Kredits der Firma.
Außerdem wäre es neu, allein aus dem Gedanken des Venire contra factum
proprium einen Anspruch auf den Abschluss eines neuen Vertrages herzuleiten.
Dieses
Rechtsinstitut
ist
klassischerweise
in
den
Bereich
der
rechtsvernichtenden Einwendungen einzuordnen. Aus dem Vertrauen auf das
243
Kort, SAE 2001, 131, 133.
244
Kaiser, ZfA 2000, 205, 224.
245
Anders sieht das Monjau, BB 1962, 1439, 1440 f, der auch einen Wiedereinstellungsanspruch
des Arbeitgebers anerkennen will. So wie der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers
sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ableiten lasse, lasse sich umgekehrt ein
entsprechender Anspruch des Arbeitgebers aus der komplementären Treuepflicht des
Arbeitnehmers ableiten, allerdings nur in besonders gelagterten Ausnahmefällen. Ein solcher
soll z.B. vorliegen, wenn eine Haushälterin zur Betreuung einer älteren Person auf Lebenszeit
angestellt sei und wegen des zunächst objektiv begründeten Verdachts einer ansteckenden
Krankheit wirksam kündige. Stelle sich nachträglich eine Fehldiagnose des behandelnden
Arztes
heraus,
dann
könne
ein
gegen
den
Arbeitnehmer
gerichteter
Wiedereinstellungsanspruch – zumal angesichts des herrschenden Arbeitskräftemangels (!) –
durchaus anerkannt werden.
- 92 Fortbestehen
des
Vertragsschluss
Vertrages
würde
ebenfalls
selbst
entstehen,
kein
Anspruch
sondern
auf
allenfalls
den
ein
Schadensersatzanspruch.246
Zwar kann im Einzelfall ein vom Arbeitgeber veranlasster Vertrauenstatbestand
entstehen, der unter dem Gesichtspunkt des Venire contra factum proprium
einen Wiedereinstellungsanspruch begründet. Ein Wiedereinstellungsanspruch
aus dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung ist aber nur anzuerkennen, wenn
ein besonderer, über den bloßen Ausspruch der Kündigung hinausgehender,
dem Arbeitgeber zurechenbarer Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist,
und eine umfassende Abwägung des beiderseitigen Vertrauens zugunsten des
Arbeitnehmers ausfällt.247 Dabei handelt es sich um besonders gelagerte Fälle,
die die grundsätzliche Frage nach der dogmatischen Herleitung eines
Wiedereinstellungsanspruchs nicht berühren.248
5. Rechtsmissbrauch und Reuerechtsausschluss
a) Fehlendes schutzwürdiges Eigeninteresse
Der 2. Senats249 vertritt die Auffassung, der Arbeitgeber verhalte sich
rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), wenn er bei Wegfall des betriebsbedingten
Kündigungsgrundes noch während der Kündigungsfrist den veränderten
Umständen nicht Rechnung trage. Er habe dem Arbeitnehmer die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses über dessen Ende hinaus anzubieten bzw. sich mit
einem entsprechenden Vertragsangebot des Arbeitnehmers einverstanden zu
erklären. Es sei allgemein anerkannt, dass in derartigen Fällen die Anwendung
des § 242 BGB ausnahmsweise anspruchsbegründende Wirkung haben könne.
246
Kaiser, ZfA 2000, 205, 222 m.w.N.
247
vom Stein, RdA 1991, 85, 92.
248
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2240.
249
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
- 93 Nach Walker250 soll es sich dabei inhaltlich um einen Fall handeln, in dem die
Geschäftsgrundlage für die Kündigung wegfällt.
Dient die Geltendmachung eines Rechts nicht den von Gesetz oder Vertrag
geschützten Interessen, so ist die Rechtsausübung rechtsmissbräuchlich.251 Ein
Rechtsmissbrauch aus dem Gesichtspunkt des fehlenden schutzwürdigen
Eigeninteresses ist einem Vertragspartner dann vorzuwerfen, wenn die
Ausübung eines Rechtes lediglich einen Vorwand für die Erreichung
vertragsfremder oder unlauterer Zwecke darstellt.252 Diese Auffassung beruht
auf dem allgemeinen Rechtssatz der unzulässigen Rechtsausübung, wonach
Treu und Glauben eine allen Rechten, Rechtsstellungen, Rechtslagen,
Rechtsinstituten und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung darstellen
(sog. Innentheorie).253 Die Geltendmachung eines an sich gegebenen Rechts,
die Ausnutzung einer an sich gegebenen Rechtsstellung im Widerspruch zu
Treu und Glauben ist Rechtsüberschreitung und damit rechtsmissbräuchlich und
unzulässig.254 Die unzulässige Rechtsausübung genießt keinen Rechtsschutz,
d.h. von der an sich bestehenden Rechtslage ist zum Nachteil der sich
unzulässig verhaltenden Partei und zugunsten der Gegenpartei abzuweichen.
Diese
Ausführungen
machen
auch
deutlich,
dass
der
Einwand
des
Rechtsmissbrauchs dogmatisch nicht mit einem Wiedereinstellungsanspruch
gleichgesetzt werden kann. Ersterer verhindert nur negativ die Veränderung des
bestehenden Zustandes, während der Wiedereinstellungsanspruch auf die
zukünftige Rechtslage verändernd einwirkt.255
250
Walker, SAE 1998, 103, 106.
251
Raab, RdA 2000, 147, 150.
252
Larenz BGB AT, § 20 II c, m.w.N.
253
Jauernig - Vollkommer, § 242 Rn 33.
254
OLG München (6 W 2892/90), MDR 1992, 572, 573.
255
Gentges Diss., S. 383.
- 94 Gleichwohl
wird
angeführt,
für
einen
Wiedereinstellungsanspruch
im
Zusammenhang mit dem Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens spreche vor
allem, dass für den Arbeitgeber in diesen Fällen kein schutzwürdiges
Eigeninteresse erkennbar sei, es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zu belassen. Nichts spreche gegen die Wiedereinstellung, wenn sich noch
während
des
Bestandes
des
Arbeitsverhältnisses
der
Prognoseirrtum
herausstelle und der Arbeitgeber im Vertrauen auf die Wirksamkeit der
Kündigung noch keine Dispositionen getroffen habe.256 Der Arbeitgeber müsse
sich vielmehr daran festhalten lassen, dass er das Arbeitsverhältnis aus
bestimmten Gründen auflösen wollte. Würde man ihm dagegen zugestehen,
auch nach Wegfall des eigentlichen Kündigungsgrundes ohne Bindung an das
bestehende
Arbeitsverhältnis
darüber
zu
entscheiden,
ob
die
Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für ihn vorteilhaft sei, käme dies der
Einräumung
eines
Reuerechts
nahe.
Der
Arbeitgeber
könne
die
Weiterbeschäftigung verweigern, weil ihn der gesamte Vertrag reue und er sich
gerade deshalb und nicht um des eigentlichen Kündigungsgrundes willen auf die
Wirksamkeit der Kündigung berufe.257
Dagegen
wird
eingewandt,
ein
Vorwurf
hinsichtlich
der
Verfolgung
vertragsfremder oder sonst unlauterer Zwecke sei dem Arbeitgeber nicht zu
machen. Ihm sei allenfalls ein Unterlassen vorzuwerfen, wenn er sich weigere,
einen neuen Vertrag abzuschließen. Da es also allein um die negative
Vertragsfreiheit des Arbeitgebers gehe, sei ihm mit der Ablehnung eines
erneuten
Vertragsschlusses
auch
die
Erreichung
vertragsfremder
Ziele
unmöglich. Ein Vertrag zwischen ihm und dem Arbeitnehmer bestehe ja gerade
nicht mehr. Mit seiner Weigerung, einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen,
verfolge der Arbeitgeber kein Ziel, das von der Rechtsordnung in irgendeiner
Form als rechtlich oder moralisch verwerflich angesehen werden könnte. Ihm
256
Boewer, NZA 1999, 1121, 1128.
257
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 759.
- 95 stehe im Gegenteil sogar das verfassungsmäßige Recht zu, sich das Personal,
mit dem er arbeiten wolle, weitgehend frei auszusuchen.258
b) Parallele zum Anfechtungsrecht
Der Gedanke eines fehlenden schutzwürdigen Eigeninteresses findet im
Anfechtungsrecht seine Entsprechung im Verbot der Ausnutzung einer
Anfechtungsmöglichkeit im Sinne eines Reuerechts. Auch insoweit fehlt es an
einem schutzwürdigen Eigeninteresse an der Ausnutzung der formal gegebenen
Rechtslage.
Der 2. Senat beruft sich ausdrücklich auf eine solche Parallele zwischen dem
nachträglichen Wegfall des Kündigungsgrundes und dem nachträglichen
Entgegenkommen des Anfechtungsgegners im Anschluss an die Ausübung des
Gestaltungsrechts. Wer ein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB geltend macht,
soll sich jedenfalls an seinem ursprünglichen Willen festhalten lassen müssen.
Der Anfechtungsgegner hat also bei der Irrtumsanfechtung die Möglichkeit, die
angefochtene Erklärung so gelten zu lassen, wie der Anfechtende selbst sie
verstanden hatte, um damit die Nichtigkeitsfolge abzuwenden.259 In dergleichen
Fällen werde es als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn der Anfechtende
eine spätere Änderung der Umstände, auf die der Anfechtungsgegner keinen
Einfluss hatte, zum Anlass nehmen wollte, es bei der nur nach dem
ursprünglichen Sachverhalt gerechtfertigten Rechtsfolge zu belassen, weil ihn
nunmehr das ganze Geschäft reue. Dient die Geltendmachung eines Rechts
nicht den von Gesetz oder Vertrag geschützten Interessen, so ist die
Rechtsausübung missbräuchlich. Der Ausschluss der Anfechtung ist folglich
258
259
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 94.
Larenz BGB AT, § 20 II c, m.w.N.; ebenso Schweizerisches Obligationenrecht Art. 25 Abs. 2;
zur Berücksichtigung eines nachträglichen Wegfalls des Eigenbedarfs bei der Kündigung eines
Mietverhältnisses OLG Karlsruhe, (3 Re-Miet 6/81), NJW 1982, 54, 54 und OLG Karlsruhe (11
U 60/92), NJW-RR 1994, 80, 80; zur Wandlung trotz inzwischen behobenen Sachmangels
BGHZ (VIII ZR 316/82) 90, 198, 198 ff.
- 96 innerhalb des § 242 BGB ein Anwendungsfall des Verbots der zweckwidrigen
Rechtsausübung.260
Der gleiche Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) sei dem Arbeitgeber vorzuwerfen,
der trotz des Wegfalls eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes noch
während der Kündigungsfrist eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit
seinem Arbeitnehmer ablehne, obwohl inzwischen für eine derartige Beendigung
des Arbeitsverhältnisses kein dringendes betriebliches Erfordernis mehr bestehe
und ihm deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei.261
Raab262 wendet dagegen ein, es sei wesensmäßig etwas ganz anderes, ob
jemand an einer bereits abgegebenen, wenn auch fehlerhaften Willenserklärung
festgehalten, oder ob jemand – wie beim Wiedereinstellungsanspruch gezwungen werden solle, eine ganz neue und anders geartete Willenserklärung
abzugeben.263 Die Möglichkeit, ein Vertragsangebot abzulehnen, beruhe auf
der Vertragabschlussfreiheit als Teil der Privatautonomie. Sofern nicht
ausnahmsweise ein Kontrahierungszwang264 bestehe, sei der Arbeitgeber darin
frei, ob und mit wem er ein Arbeitsverhältnis eingehe. Kennzeichnend für die
Privatautonomie sei, dass die Entscheidung allein von dem subjektiven Willen
abhänge, also zweckfrei getroffen werden könne. Daher könne es auch keine
zweckwidrige Ausübung des Rechtes geben.
Hierbei werden jedoch unterschiedliche Bezugspunkte gewählt. Einerseits –
beim Anfechtungsrecht – wird auf die auf den Vertragsschluss gerichtete
Willenserklärung abgestellt. Andererseits – bei der Frage nach einem
Wiedereinstellungsanspruch
–
wird
aber
260
Soergel – Teichmann, § 242 BGB Rn 302 ff.
261
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 759.
262
Raab, RdA 2000, 147, 150.
263
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 93.
264
Hierzu näher Busche Privatautonomie, S. 220 ff.
die
auf
Neubegründung
der
- 97 vertraglichen Hauptpflichten gerichtete Willenserklärung als Ausdruck der
Vertragsfreiheit des Arbeitgebers in den Blickpunkt gerückt. Dies räumt im
Ansatz indes auch Raab ein, ohne jedoch für die Frage eines möglichen
Rechtsmissbrauchs zwischen der Aufrechterhaltung der Kündigungsfolgen
einerseits und der Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses andererseits zu
differenzieren.265
Ein stimmiger Vergleich muss daher jeweils an den Vertragsschluss anknüpfen,
der die Parteien zusammenbrachte, bevor das Vertragsverhältnis durch
Anfechtung
bzw.
Kündigung,
also
jeweils
durch
die Ausübung
eines
Gestaltungsrechts, beendet wurde. Der das Gestaltungsrecht ausübende Teil
muss sich nun an der Zweckrichtung des Gestaltungsgrundes festhalten lassen.
Für das Arbeitsverhältnis würde das bedeuten, den Arbeitgeber auf seine
ursprüngliche Willenserklärung zu verweisen, mit der das Arbeitsverhältnis
begründet wurde, auch wenn hierzu rechtskonstruktiv die Begründung eines
neuen Arbeitsverhältnisses erforderlich wird.
Aus
der
anerkannten
Rspr.
zum
Anfechtungsrecht
könnte
demnach
möglicherweise der allgemeine Rechtsgedanke abgeleitet werden, dass das ein
Gestaltungsrecht dem Rechtsinhaber nicht um seiner selbst willen zusteht,
sondern vielmehr mit dem rechtlich anerkannten Gestaltungsgrund in der Weise
verknüpft ist, dass letzterer den Rahmen für die billigenswerte Ausübung des
Gestaltungsrechts vorgibt.
265
Raab, RdA 2000, 147, 150 (dort FN 28) räumt ein, allenfalls in bezug auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ließe sich von einer gesetzlich verliehenen Befugnis sprechen (die
insoweit also auch zweckwidrig und damit rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden kann), weil
die Kündigung durch das KSchG an gesetzliche Voraussetzungen geknüpft ist. Denkbar wäre
daher, die Aufrechterhaltung der Kündigung als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Das
Bekenntnis des 2. Senats (2 AZR 160/96 – NZA 1997, 757, 758), der Arbeitgeber könne sich
ohne den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auf die Wirksamkeit der Kündigung berufen,
versteht Raab jedoch als Absage an den Gedanken des Rechtsmissbrauchs bzgl. der
Nichtfortsetzung des Arbeitsverhältnisses, obwohl es sich hier – wie der 2. Senat zutreffend
feststellt – um zwei aus grundsätzlichen Erwägungen zu trennende Fragen handelt.
- 98 -
c) Stellungnahme
Es liegt durchaus auf einer Linie, wenn einerseits der Grund für die Anfechtung
nachträglich dadurch entfällt, dass der andere Teil die Willenserklärung so
gelten lassen will, wie der Erklärende sie (irrig) verstanden hat, und wenn
andererseits
der
Kündigungsgrund
nachträglich
entfällt
und
der
Kündigungsempfänger die Konsequenzen der Kündigung deshalb für die
Zukunft nicht mehr gelten lassen will, worauf sich der Kündigende einlassen
müsste.
Es fragt sich dann allerdings, ob die Privatautonomie in der Ausprägung der
Vertragsabschlussfreiheit nicht einer solchen Lösung entgegensteht. Richtig ist,
dass die Begründung eines Vertragsverhältnisses dem Arbeitgeber nicht ohne
weiteres
aufgezwungen
werden
kann.
Die
Entscheidung,
ob
ein
Arbeitsverhältnis begründet wird oder nicht, kann in der Tat zweckfrei getroffen
werden, wenn nicht ausnahmsweise ein Kontrahierungszwang eingreift. Ein
solcher kann hier aber nur aus der Begrenztheit der Kündigungsbefugnis
abgeleitet werden, will man die Parallele zum Reuerechtsausschluss bei der
Anfechtung nicht aus den Augen verlieren. Die wirksame Ausübung eines
Kündigungsrechts ist stets auch billigenswert und stellt als solche keinen
Rechtsmissbrauch dar. Etwas anderes kann für die Aufrechterhaltung der
Kündigungswirkung nur gelten, wenn auch hier die Zweckrichtung des
Gestaltungsrechts den Rahmen für ein zulässiges Verharren in der erreichten
Rechtsposition vorgibt. Gemein ist beiden Fallgestaltungen nämlich, dass der
das Gestaltungsrecht ausübende Vertragspartner sein Ziel, die Lösung der
vertraglichen Bindung, schon erreicht hat. Ein anderes Ergebnis kann daher nur
durch eine Korrektur der erlangten Rechtsposition erreicht werden. Hierfür
bedarf es in beiden Fällen einer eigenständigen Begründung, die deutlich macht,
warum das Festhalten an der erreichten Rechtslage ausnahmsweise den
Vorwurf des Rechtsmissbrauchs begründet.
- 99 Nicht von der Hand zu weisen ist auch der Einwand, eine Behauptung des
Inhalts, man habe es mit der Ausprägung eines allgemeinen Rechtsprinzips zu
tun, bedürfe zunächst einer Subsumption unter die abstrakt-generelle Definition
des Prinzips. Der Vergleich mit einer anderen Ausprägung desselben Prinzips
habe dagegen für sich nur indizielle Bedeutung.266
6. Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – § 826 BGB
Wenig
überzeugend
ist
Anspruchsbegründung
auch
der
Vorschlag,
heranzuziehen.
§
Von
826
einer
BGB267
zur
sittenwidrigen
Nichtwiedereinstellung des Arbeitnehmers könnte allenfalls in Extremlagen
ausgegangen werden. Voraussetzung wäre mehr als eine bloße Widerlegung
der kündigungsbegründenden Prognose, um die es hier geht.268
7. Stellungnahme
Die Fürsorgepflicht bzw. Interessenwahrungspflicht und ihre Nachwirkungen
können
die
Neubegründung
vertraglicher
Hauptpflichten
nicht
erklären.
Nebenpflichten ordnen nicht die Neubegründung von Hauptpflichten an. Das gilt
einmal mehr für die Nebenpflichten aus einem bereits wirksam gekündigten und
damit in Abwicklung befindlichen Dauerschuldverhältnis.
Nichts
anderes
gilt
für
die
sog.
allgemeine
Unterstützungs-
und
Zusammenarbeitspflicht, die sich inhaltlich hiervon nicht unterscheidet.
Schließlich
überzeugen
auch
die
praktischen
Ergebnisse
nicht,
da
vertragsrechtliche Ansätze zu einer generellen Anspruchsbegrenzung auf den
Ablauf der Kündigungsfrist zwingen.
266
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 93.
267
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 474; hierzu kritisch auch Busche Privatautonomie, S. 220 f.
268
Boewer, NZA 1999, 1121, 1129.
- 100 Auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens liefert keine allgemeine
Anspruchsgrundlage, sondern betrifft lediglich Einzelfälle.
Die
geschilderten
zum
Teil
wenig
überzeugenden
Versuche,
die
Anspruchsgrundlage aus den verschiedenen Ausformungen des Prinzips von
Treu und Glauben gemäß § 242 BGB herzuleiten, haben einzelne Stimmen wohl
zu recht zu der Überzeugung kommen lassen, dass sich die Suche nach einer
Anspruchsgrundlage für den Wiedereinstellungsanspruch aus § 242 BGB
letztlich als erfolglos erwiesen habe, weil sich aus den Pflichten des bereits
wirksam gekündigten Schuldverhältnisses unter keinem Gesichtspunkt die
Begründung eines neuen anderen Schuldverhältnisses erklären lasse.269
IV. Ansätze aus dem Arbeitsrecht im allgemeinen
1. Vertrauensschutz und Sphärengedanke
a) Auffassung des 2. Senats
Der
2.
Senat270
stellt
für
einen
Wiedereinstellungsanspruch
nach
betriebsbedingter Kündigung auch auf den Vertrauensschutz des Arbeitnehmers
ab, der zu Recht erwarte, dass es nur dann zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses komme, wenn bei Ablauf der Kündigungsfrist, also dem
vorgesehenen Beendigungszeitpunkt, der geltend gemachte betriebsbedingte
Kündigungsgrund fortbesteht. Umgekehrt habe der Arbeitgeber, wenn der
betriebsbedingte
Kündigungsgrund
noch
während
der
Kündigungsfrist
weggefallen sei, regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse daran, es bei der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen. Das Recht, aufgrund einer im
Kündigungszeitpunkt anzustellenden Prognose über die weitere betriebliche
Entwicklung Kündigungen auszusprechen, werde ihm nur in seinem eigenen
269
Adam, ZTR 1999, 113, 114.
270
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
- 101 Interesse eingeräumt. Dürfe er beispielsweise nicht erst im Zeitpunkt der
tatsächlichen
Betriebsstillegung,
sondern
schon
wegen
beabsichtigter
Betriebsstillegung so rechtzeitig kündigen, dass er alle Kündigungsfristen
einhalten könne, so spare er den sonst fälligen Annahmeverzugslohn. Unter
Berücksichtigung des Sphärengedankens verkehre sich diese Interessenlage
aber in ihr Gegenteil, wenn sich während des Laufs der Kündigungsfrist
herausstellt, dass sich der Arbeitgeber in seiner Prognose geirrt habe, weil ein
betriebsbedingter Kündigungsgrund weggefallen ist (z.B. weil ein plötzlich
erteilter Großauftrag anstatt der geplanten Betriebsstillegung eine Fortführung
des Betriebes ermöglicht). Stammten die inner- bzw. außerbetrieblichen Gründe
(Arbeitsmangel, Rationalisierungsmaßnahmen, Betriebsstillegung etc.), die nach
der unternehmerischen Prognose zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen sollten,
allein aus der Sphäre des Arbeitgebers, so sei nicht einzusehen, warum dieser
seinen eigenen Irrtum über das weitere betriebliche Schicksal zu seinen
Gunsten ausnutzen und gegen die Arbeitnehmer wenden dürfen sollte. In
diesem Fall fehle ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers, sich von den
betroffenen Arbeitnehmern zu trennen. Unter der Voraussetzung, dass die
Kündigungsfristen noch nicht abgelaufen sind, könne er regelmäßig auch keine
anderen
Dispositionen
getroffen
haben,
die
die
Interessenabwägung
möglicherweise beeinflussen könnten. Erst recht habe der Arbeitgeber kein
schutzwertes Interesse, seinen eigenen Irrtum bei der Beurteilung der weiteren
betrieblichen
Entwicklung
entscheiden,
ob
er
für
z.B.
sich
anstatt
auszunutzen
des
zunächst
und
nunmehr
wirksam
frei
zu
gekündigten
Arbeitnehmers einen jüngeren Arbeitnehmer zu einem geringen Lohn einstellen
oder gar, nachdem er von der Betriebsstillegung Abstand genommen hat, den
Betrieb anstatt mit der bisherigen mit einer neuen Belegschaft weiterführen
möchte. Ein Arbeitgeber, der ohne schutzwertes Interesse auch nach Wegfall
des
Kündigungsgrundes
auf
seiner
Kündigung
beharrt,
handele
rechtsmissbräuchlich.
b) Differenzierung nach Kündigungsgründen
Teilweise wird sogar vertreten, die Kombination aus Vertrauensschutz- und
Sphärengedanke erlaube auch nach Ablauf der Kündigungsfrist die Entstehung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs.
Verantwortungsbereich
des
Für
Kündigungsgründe
Arbeitgebers
schaffe
aus
dieser
dem
einen
- 102 Vertrauenstatbestand, der mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht
automatisch obsolet werde.271
Was den Umfang des Vertrauensschutzes anbelangt empfiehlt sich eine
Differenzierung nach den einzelnen Kündigungsgründen deshalb, weil das
weitere Schicksal eines Kündigungsgrundes von Umständen abhängt, die nicht
in gleicher Weise dem Risikobereich beider Parteien zuzuordnen sind. Je nach
Kündigungsgrund
trägt
der
Arbeitgeber
eine
ganz
unterschiedliche
Verantwortung für die Haltbarkeit der kündigungsbegründenden Prognose. Er
kann daher in ganz unterschiedlichem Maße Vertrauen auf eine mögliche
Wiedereinstellung erzeugen. Die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers und die
Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber
hängen also daran, inwieweit eine Verantwortung oder gar ein Einfluss einer der
beiden Vertragsparteien für die Haltbarkeit der kündigungsbegründenden
Prognose und die Beständigkeit des Kündigungsgrundes anzunehmen ist. Aus
diesem Grund will Preis272 sogar einen Wiedereinstellungsanspruch nur dann
anerkennen, wenn die Risikozurechnung für den jeweiligen Kündigungsgrund
eindeutig
zulasten
des
Arbeitgebers
geht,
was
namentlich
bei
der
betriebsbedingten und der Verdachtskündigung der Fall sein soll.
c) Kritik
Bedenklich stimmt zunächst die Formulierung des 2. Senats, der Arbeitgeber
nutze seinen eigenen Irrtum aus, indem er ihn gegen den Arbeitnehmer wende.
Diese Sichtweise impliziert ein vorwerfbares Verhalten des Arbeitgebers. Wenn
sich die weiteren Umstände anders als prognostiziert entwickeln und sich so das
der Prognose immanente Risiko verwirklicht, so hat das nichts mit einem Irrtum
des Arbeitgebers zu tun.273 Hätte sich der Arbeitgeber zum Prognosezeitpunkt
271
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2240; Hambitzer Diss., S. 136, 137.
272
Preis, Anm. zu LAG (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
273
Nägele, BB 1998, 1686, 1688.
- 103 geirrt, dann wäre die Prognose falsch und die Kündigung unwirksam. Wie
bereits erörtert stellt die Berufung auf die Wirksamkeit der Kündigung auch dann
keinen Rechtsmissbrauch dar, wenn sich die der Kündigung zugrunde liegenden
Verhältnisse geändert haben.
Gegen den Gedanken des Vertrauensschutzes als Rechtsgrundlage eines
Wiedereinstellungsanspruchs wird angeführt, ein Vertrauenstatbestand könne
nicht schon in der angeblichen Selbstbindung des Arbeitgebers und dem
angeblichen
Vertrauen
des
Arbeitnehmers
auf
den
Bestand
des
Kündigungsgrundes gesehen werden. Der Arbeitgeber binde sich hinsichtlich
des angegebenen Kündigungsgrundes ja keineswegs freiwillig, sondern erfülle –
meist gerade nicht freiwillig – die Vorgaben des KSchG.274 Man könnte sogar
umgekehrt das Gebot des Vertrauensschutzes zugunsten des Arbeitgebers
heranziehen, der im Grundsatz auf die Beständigkeit der einmal wirksam
erklärten Kündigung vertrauen darf.275
Voraussetzung für schutzwürdiges Vertrauen ist zum einen, dass der
Arbeitgeber durch ein zurechenbares Verhalten einen Vertrauenstatbestand
geschaffen hat, zum anderen, dass der Arbeitnehmer im Vertrauen auf diesen
Tatbestand
Dispositionen
vorgenommen
hat,
die
sich
nunmehr
nach
Enttäuschung seiner Erwartung für ihn als nachteilig erweisen.276 Es soll also
stets eine Vertrauensinvestition erforderlich sein. Nun könnte die Entstehung
eines Vertrauenstatbestandes in den Äußerungen gesehen werden, die der
Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Kündigung zu deren Begründung
anführt. Dann kann ein Vertrauenstatbestand (nur) entstehen, wenn der
Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe für die Kündigung nennt. Mache man
mit
dem
Vertrauensschutzargument
ernst,
274
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 95.
275
Raab, RdA 2000, 147, 152 f; Kort, SAE 2002, 131, 134.
276
so
müsste
man
einen
Canaris Vertrauenshaftung, S. 491 ff; Gentges Diss., S. 385; Soergel – Teichmann, § 242 Rn
316 ff.
- 104 Wiedereinstellungsanspruch ablehnen, wenn der Arbeitgeber sich zu den
Gründen der Kündigung nicht äußert. Es sei aber nicht einzusehen, warum nur
derjenige Arbeitnehmer schutzwürdig sein solle, der von den Gründen der
Kündigung Kenntnis hat. Im Übrigen werde der Arbeitnehmer durch das
Vertrauen in den Fortbestand der Kündigungsgründe auch nicht zu nachteiligen
Dispositionen
veranlasst.
Der
Nachteil
sei
die
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses infolge der Kündigung. Dieser Nachteil entstehe dem
Arbeitnehmer aber allein deshalb, weil das KSchG hinsichtlich der Wirksamkeit
der Kündigung den Zeitpunkt den Zugangs für maßgeblich erklärt. Die
Entstehung des Nachteils sei also unabhängig davon, wie der Arbeitnehmer sich
verhält und ob er auf den Fortbestand des Kündigungsgrundes vertraut und eine
Vertauensinvestition vornimmt.277
d) Stellungnahme
Über das Vertrauen auf den Kündigungsgrund gelangt man nicht zu einem
stimmigen
Ergebnis,
wenn
die
Vertrauensinvestition
fälschlich
auf
die
Kündigungsentscheidung fixiert wird. Die für den Wiedereinstellungsanspruch
maßgebliche Frage ist, ob der Arbeitgeber in der rechtmäßig erlangten
Rechtsposition verharren darf oder ob er auf die weitere Entwicklung der
Interessenlage und ein mögliches Wiedereinstellungsverlangen reagieren muss.
Vertrauenstatbestand sind dann nicht die vom Arbeitgeber genannten Gründe,
sondern die Erwartung des Arbeitnehmers, er werde seinen Arbeitsplatz nicht
grundlos endgültig verlieren. In der Tat fehlt es dann regelmäßig an einer
Vertrauensinvestition, weil der Arbeitnehmer im Hinblick auf den erwarteten
dauerhaften Verlust des Arbeitsplatzes keine Dispositionen trifft, die sich
nunmehr als nachteilig erweisen und gerade durch die Zuerkennung eines
Wiedereinstellungsanspruchs kompensiert werden könnten.
277
Raab, RdA 2000, 147, 151.
- 105 -
2. Freie Wahl des Arbeitsplatzes - Art. 12 I GG
a) Begründungsmuster der Rspr.
Der 2. Senat führt zur Begründung einer Wiedereinstellungspflicht auch das
Recht auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes an. Es sei fraglich, ob eine
Auslegung des geltenden Rechts, die sanktionslos zulasse, dass der
Arbeitgeber den betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer nach Wegfall des
Kündigungsgrundes innerhalb der Kündigungsfrist nicht wieder einstellt,
verfassungsrechtlich unbedenklich und mit dem Recht auf eine freie Wahl des
Arbeitsplatzes vereinbar wäre.278 Das letztlich durch Art. 12 I GG geschützte
Recht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz und damit seinen sozialen
Besitzstand nicht grundlos zu verlieren, würde in unerträglicher Weise
beeinträchtigt, wenn der Arbeitgeber allein im Hinblick darauf, dass die
Rechtsprechung bei der Prüfung des Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt des
Kündigungsausspruchs abstellt, nunmehr ohne rechtfertigenden Grund frei über
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheiden könnte.279
Dieser Ansatz ist zustimmend von Oetker280 aufgegriffen worden.
Schließlich hat sich auch 7. Senat281 neben der Fürsorgepflicht auf Art. 12 I GG
berufen. Der Arbeitnehmer habe auch nach Ausspruch einer rechtlich
begründeten Kündigung regelmäßig noch ein Interesse daran, seinen
Arbeitsplatz nicht mit Ablauf der Kündigungsfrist zu verlieren. Dieses Interesse
des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes sei durch Art. 12 I GG
nicht nur bis zum Ausspruch einer Kündigung, sondern auch noch danach bis
zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschützt. Allerdings werde der dem
Staat
obliegenden
Schutzpflicht
grundsätzlich
durch
278
vgl. BverfG (1 BvR 14/93), RzK I 8 m ee Nr. 36.
279
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
280
Oetker, ZIP 2000, 643, 646.
281
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784.
das
staatliche
- 106 Kündigungsschutzrecht hinreichend Rechnung getragen. Der Verlust des
Arbeitsplatzes
werde
daher
auch
dem
Arbeitnehmer
regelmäßig
von
Verfassungs wegen zugemutet, wenn eine Kündigung den Erfordernissen des
Kündigungsschutzgesetzes standhalte. Bei der betriebsbedingten Kündigung sei
aber eine Ausnahme geboten. Die Vorverlagerung des Prüfungszeitpunktes vom
Ende des Arbeitsverhältnisses auf den häufig viele Monate früher liegenden und
nicht
nur
von
der
Dauer
der
Kündigungsfrist,
sondern
auch
vom
Willensentschluss des Arbeitgebers abhängigen Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung sei zwar sowohl aus methodischen Gründen – die Wirksamkeit einer
rechtsgestaltenden Willenserklärung wie der Kündigung müsse zum Zeitpunkt
ihres Zugangs feststellbar sein – wie auch aus Gründen der Rechtssicherheit,
Verlässlichkeit und Klarheit geboten. Zugleich verlange sie aber nach einem
Korrektiv in den Fällen, in denen sich die maßgeblichen Umstände entgegen der
Prognose nachträglich ändern. Als geeignetes Korrektiv sieht der 7. Senat die
vertragliche Nebenpflicht zum erneuten Abschluss eines Arbeitsvertrages an.
Dabei ergebe sich eine Grundrechtskollision, da nicht nur das durch Art. 12 I GG
geschützte Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt am Erhalt seines
Arbeitsplatzes zu beachten sei, sondern auch das durch Art. 2 I GG geschützte
Interesse des Arbeitgebers, nicht zu einem Vertragsschluss mit einem
Arbeitnehmer gezwungen zu werden, den er nicht weiterbeschäftigen wolle. Das
sich
hiernach
stellende
Problem
der
praktischen
Konkordanz
zweier
kollidierender Grundrechtspositionen könne durch eine die konkreten Umstände
berücksichtigende Abwägung der beiderseitigen Interessen gelöst werden. Eine
Verletzung der aus den Grundrechten erwachsenden Schutzpflicht liege dann
vor, wenn der Staat nicht einmal das Mindestmaß an Schutz gewährleiste, das
bei der Abwägung mit den kollidierenden Interessen des Gemeinwohls oder
anderer Grundrechtsträger zu erwarten sei.
Demnach sei Grundlage des Wiedereinstellungsanspruchs eine vertragliche, die
Vorgaben des KSchG und der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 12 I GG
Rechnung tragende Nebenpflicht.
b) Schutzpflichtfunktion und Interessenkollision
Dem Wiedereinstellungsanspruch soll nicht entgegenstehen, dass sich die auf
zutreffender Grundlage angestellte Prognose ohne ein Verschulden als
Fehlprognose herausstellt, denn dies vermöge an der Grundlosigkeit der
- 107 Kündigung aus Ex-Post-Sicht nichts zu ändern. Die Kündigung als solche sei
ohnehin ihrem Inhalt nach wertfrei.282 Die Widerlegung der Prognose liefere für
den Arbeitnehmer keinen ausreichenden Plausibilitätsnachweis dafür, seinen
Arbeitsplatz als wirtschaftliche Grundlage seiner Existenzsicherung endgültig zu
verlieren, obwohl für ihn nach wie vor eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
besteht.283
Ob Art. 12 I GG als Rechtsgrundlage eines Wiedereinstellungsanspruchs in
Frage kommt, ist indes ein Problem des Untermaßverbots.284 Ist der
Gesetzgeber der ihm obliegenden Schutzpflicht durch die positivrechtlichen
Regelungen des Kündigungsschutzes bereits ausreichend nachgekommen, so
verbietet sich die Ableitung individueller Ansprüche aus Art. 12 I GG.
Vertreten wird, aus dieser grundrechtlichen Schutzpflicht lasse sich ableiten,
dass das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers zumindest während der
Kündigungsfrist zu beachten sei und damit wenigstens gebiete, den Wegfall des
Kündigungsgrundes zu berücksichtigen. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass
sich
diese
Schutzpflicht
Wiedereinstellungsanspruchs
nur
durch
die
Anerkennung
verwirklichen
lasse.
eines
Ein
Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers sei erst dann durch die
grundrechtliche Schutzpflicht zwingend gefordert, wenn andernfalls der vom
Grundrecht
vorgezeichnete
Schutzzweck
grundlegend
verfehlt
würde.
Insbesondere in dem Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
komme dies nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.285
282
BAG (2 AZR 347/88), NZA 1989, 962, 962.
283
Boewer, NZA 1999, 1121, 1123.
284
Dieterich, RdA 1995, 129, 134.
285
Oetker, ZIP 2000, 643, 645; Dieterich, RdA 1995, 129, 134.
- 108 Andere Stimmen in der Lit. lehnen Art. 12 I GG als Rechtsgrundlage eines
Wiedereinstellungsanspruch generell ab.286 Wenn nach allgemeiner Meinung
der Gesetzgeber mit dem Kündigungsschutzgesetz anerkanntermaßen seinen
ihm aus der Schutzfunktion der Grundrechte folgenden Obliegenheiten in
hinreichendem Maße nachgekommen sei287, so sei für eine weitere Anwendung
von Art. 12 I GG kein Raum mehr.288 Zudem lasse sich aus Art. 12 GG eben
nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Abschluss eines Arbeitsvertrages
herleiten. Dem stehe seine Vertragsfreiheit entgegen. Ähnliches habe auch das
BVerfG in seiner – sehr umstrittenen – Entscheidung zur Übernahme eines
Auszubildenden
festgestellt
und
daher
dem
Kläger
nur
wegen
der
Besonderheiten des Einzelfalles (Verletzung von Art. 5 I GG) einen
Übernahmeanspruch zugestanden.289
Außerdem
wird
darauf
geschlechtsbedingten
hingewiesen,
Diskriminierung
dass
bei
auch
im
Einstellungen
Bereich
immer
der
wieder
verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen Einstellungsanspruch des wegen
seines Geschlechts abgewiesenen Bewerbers geltend gemacht wurden290,
weshalb
sich
der
Gesetzgeber
in
§
611a
BGB
für
einen
Entschädigungsanspruch entschieden hat, ja sogar entscheiden musste.291
286
287
Otto FS Kraft (1998), 451, 464; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 91; Kaiser, ZfA 2000, 205, 229;
Adam, MDR 2000, 1442, 1443.
BVerfG (1 BvR 1341/90), BverfGE 84, 133, 146 f; BVerfG (1 BvR 1341/90) AP Nr. 70 zu Art.
12 GG.
288
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 91; Raab, RdA 2001, 248, 250.
289
BVerfG (1 BvR 126/85), NJW 1992, 2409, 2409 f; dazu Dieterich, NZA 1996, 673, 676.
290
Scholz, SAE 1984, 250, 251.
291
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 91.
- 109 -
c) Stellungnahme
(1) Keine Verletzung des Untermaßverbots
Art. 12 I GG schützt zwar den einzelnen Arbeitnehmer auch in seinem
Entschluss,
den
eingenommenen
Arbeitsplatz
beizubehalten.292
Die
Berufswahlfreiheit bedeutet aber weder ein Recht auf die Bereitstellung eines
Arbeitsplatzes
noch
eine
Bestandsgarantie
für
den
einmal
gewählten
Arbeitsplatz.293 In der Situation des entfallenen Kündigungsgrundes kommt Art.
12 I GG zudem - ebenso wie bei der Kündigung - eine Doppelfunktion zu.
Einerseits geht es um das geschützte Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt
seines Arbeitsplatzes, andererseits um das ebenfalls durch Art. 12 I GG
geschützte Interesse des Arbeitgebers, sein Unternehmen nach seinen
Vorstellungen mit dem von ihm ausgewählten Personal zu führen.294 Das
unternehmerische Interesse kann sich problemlos auf Art. 12 I GG, im Übrigen
auch auf Art. 2 I GG als Abwehrrechte gegen staatlichen Zwang stützen. Für
den Gesetzgeber stellt sich damit ein Problem praktischer Konkordanz. Die
kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen
und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam
werden.295 Von einer Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten kann nur in
einer Lage gesprochen werden, in der eine Grundrechtsposition den Interessen
des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in
Anbetracht von Bedeutung und Tragweite des Grundrechts von einem
angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann.296 Der
Bestandsschutz
seines
Arbeitsverhältnisses
hat
für
den
Arbeitnehmer
unbestritten eine gewichtige Bedeutung. Der Arbeitsplatz ist wirtschaftliche
292
BVerfG (1 BvR 1341/90), BVerfGE 84, 133, 146 f; BVerfG (1 BvR 1397/93), BVerfGE 92, 140,
150 ff; BVerfG (1 BvL 15/87), EzA § 23 KSchG Nr. 17.
293
BVerfG (1 BvL 15/87), ZIP 1998, 705, 706; Scholz, ZfA 1981, 265, 274 ff.
294
Alp Diss., S. 20 ff, 191.
295
BVerfG (1 BvR 567 und 1044/89), ZIP 1993, 1775, 1780 f.
296
BVerfG (1 BvL 15/87), ZIP 1998, 705, 706.
- 110 Existenzgrundlage, von dem Lebenszuschnitt und Wohnumfeld abhängen,
ebenso gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl. Die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses stellt dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht
in Frage.297 Den Bestandsschutz vor unberechtigten Eingriffen zu bewahren, ist
aber bereits der Sinn der bestehenden kündigungsschutzrechtlichen Normen.
Das Untermaßverbot berücksichtigt den weiten Gestaltungsspielraum des
Gesetzgebers.
Das auf staatlichen Schutz gerichtete Bestandsinteresse des Arbeitnehmers
wahrt der Gesetzgeber daher hinreichend durch das KSchG und § 626 BGB,
weshalb jedenfalls die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 12 I GG keine
weitergehenden Ansprüche begründen kann.298 Wer das anders sieht, müsste
behaupten,
dass
ohne
einen
Wiedereinstellungsanspruch
das
verfassungsrechtlich gebotene Schutzminimum unterschritten wäre. Das ist
jedoch nicht begründbar.299
(2) Arbeitsplatzwahlfreiheit der externen Bewerber
Neben der ambivalenten Funktion, die Art. 12 I GG für Arbeitnehmer und
Arbeitgeber nach einem Wegfall des Kündigungsgrundes hat, ist auch der Kreis
der externen Arbeitsplatzbewerber in die Überlegungen mit einzubeziehen.
Erreicht der Wiedereinstellungsanspruch ein Mehr an Bestandsschutz und
Arbeitsplatzwahlfreiheit für die Beschäftigten, so verringert er in gleicher Weise
die
Aussicht
der
einzunehmen.300
externen
Bewerber,
den
Arbeitsplatz
ihrer
Wahl
Wer einen Arbeitsplatz seiner Wahl erlangt und die
Voraussetzungen des kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutzes erfüllt,
297
BVerfG (1 BvL 15/87), ZIP 1998, 705, 707.
298
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 473; Kaiser, ZfA 2000, 205, 230.
299
300
Gegen die Heranziehung von Art. 12 GG daher zutreffend Ricken, NZA 1998, 460, 463;
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 91; Kaiser, ZfA 2000, 205, 229 ff; Raab, RdA 2001, 248, 250.
Reuter, RdA 1973, 345, 353; Schwerdtner, ZfA 1977, 47, 76 f; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87,
100; Kaiser, ZfA 2000, 205, 230 f.
- 111 wird durch den ihm von Gesetzes wegen gewährten Kündigungsschutz
gegenüber externen Bewerbern privilegiert. Je weiter die mit dem erreichten
Bestandsschutz verknüpfte Rechtsstellung gezogen wird, desto enger ist die
Berufswahlfreiheit
der
Personengruppen
schließlich
externen
Bewerber
um
beschränkt,
dieselben
da
es
Arbeitsplätze
beiden
geht.
Der
Wiedereinstellungsanspruch beschränkt den durch Art. 12 I GG grundsätzlich
geschützten Nachfragewettbewerb nach Arbeitsplätzen nicht nur zugunsten
bestehender,
sondern
Arbeitsverhältnisse.
Eine
sogar
noch
solche
zugunsten
Ausweitung
wirksam
des
gekündigter
durch
das
KSchG
vorgesehenen Bestandsschutzes ist zwar verfassungsrechtlich nicht bedenklich,
da sie den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt nicht wesentlich erschwert.301
Nicht überzeugend ist aber eine Heranziehung von Art. 12 I GG zur Erklärung,
denn Art. 12 I GG spiegelt eben das Spannungsfeld der verschiedenen
beteiligten Interessen wider, ohne für dessen Auflösung ein Präjudiz zu liefern.
Dem Grundrecht kann allenfalls entnommen werden, dass sich im Hinblick auf
den nachträglichen Wegfall des Kündigungsgrundes eine undifferenzierte
Lösung verbietet, die den Interessen des einen ungeachtet der Interessen des
anderen in seiner Berufsfreiheit Betroffenen den Vorzug gibt. So schwach wie
die h.M. den Wiedereinstellungsanspruch durch die Anerkennung zeitlicher und
sachlicher Grenzen ausgestaltet hat, stellt er gegenüber einer Verlagerung des
Problems
in
differenzierende
den
Bereich
Lösung
dar.
der
Kündigungswirksamkeit
Auf
der
Suche
nach
Anspruchsgrundlage hilft Art. 12 I GG indes nicht weiter.
301
Kaiser, ZfA 2000, 205, 231 m.w.N.
eine
einer
solche
tragfähigen
- 112 -
3. Gleichbehandlungsgrundsatz
Schließlich wird auch versucht, aus dem für das Arbeitsrecht bedeutsamen
Grundsatz
der
Gleichbehandlung
eine
Wiedereinstellungspflicht
des
Arbeitgebers abzuleiten.302
Ein solcher Anspruch kann von vornherein nur Fälle erfassen, bei denen
aufgrund einer personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigung
mehreren Arbeitnehmern gekündigt worden ist, wenn später vergleichbare
Arbeitnehmer
wieder
eingestellt
wurden.
Wurde
nur
einem
einzelnen
Arbeitnehmer gekündigt, ist eine Gleichbehandlung schon faktisch nicht
möglich.303
Die Gleichbehandlung bezieht sich auf Angehörige desselben
Betriebes, die durch den Gedanken der Betriebsgemeinschaft innerlich
verbunden sind.304 Insoweit wird angeführt, der Arbeitgeber dürfe nicht
willkürlich einzelne Arbeitnehmer von der Wiedereinstellung ausnehmen, wenn
er seine bisherigen Arbeitnehmer im Wesentlichen wiedereinstellt.
Auch in den verbleibenden Fällen der Kündigung mehrerer Arbeitnehmer ergibt
sich jedoch sachlich nur ein schmaler möglicher Anwendungsbereich. Nur bei
einer
kündigungsbegründenden
gleichartigen
Pflichtverletzung
oder
betrieblichen Gründen fehlt es nicht an einem kollektiven Bezug, so dass das
Problem einer willkürlichen Differenzierung innerhalb der Betriebsgemeinschaft
auftaucht, um das es dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
geht.305
Dieser
Begründungsansatz
spräche
insoweit
für
eine
Wiedereinstellungspflicht des Arbeitgebers bei Wegfall des Kündigungsgrundes
302
BAG (2 AZR 152/54), AP Nr. 3 zu § 242 BGB Gleichbehandlung.
303
vom Stein, RdA 1991, 85, 92.
304
Langer, NZA 1991, Beil. 3, 23, 28 f.
305
Preis, NZA 1997, 1256, 1267.
- 113 noch während laufender Kündigungsfrist, wenn der Arbeitgeber willkürlich
einzelne Arbeitnehmer wieder einstellt und andere nicht.306
Die Voraussetzung der innerlichen Verbundenheit durch den Gedanken der
Betriebsgemeinschaft trifft im Unterschied dazu bei entlassenen Arbeitnehmern
nicht
mehr
zu.
Nach
Ablauf
Gleichbehandlungsgrundsatz
nicht
der
Kündigungsfrist
als
kann
Rechtsgrundlage
der
eines
Wiedereinstellungsanspruchs dienen, denn die Gleichbehandlungspflicht obliegt
dem Arbeitgeber nur im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses, nicht
aber vor Begründung oder nach Beendigung einer derartigen Rechtsbeziehung.
Dementsprechend ist der Arbeitgeber weder bei der erstmaligen Einstellung
noch
bei
der
Wiedereinstellung
Arbeitsverhältnisses
zur
nach
wirksamer
Gleichbehandlung
Beendigung
verpflichtet.307
des
Die
Einstellungsentscheidung bleibt damit die privatautonome Entscheidung des
Arbeitgebers.
Auch zur Erklärung einer Wiedereinstellungspflicht des Betriebserwerbers nach
einem Betriebsübergang taugt der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht, da es an
einer vertraglichen Beziehung des Arbeitnehmers zum Erwerber fehlt.308
Es bleibt festzustellen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz aufgrund seines
engen
Anwendungsbereichs
Wiedereinstellungsanspruchs
als
Anspruchsgrundlage
ausscheiden
muss.
eines
Der
Gleichbehandlungsgrundsatz hilft insbesondere dann nicht weiter, wenn der
Arbeitgeber nicht einzelne Arbeitnehmer gleichheitswidrig wieder einstellt,
sondern die Wiedereinstellung gekündigter Arbeitnehmer generell ablehnt.
306
Unklar Langenbucher, ZfA 1999, 299, 305, die den Gleichbehandlungsgrundsatz wegen der
Voraussetzung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses als dogmatische Grundlage des
Wiedereinstellungsanspruchs für generell ungeeignet hält.
307
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2240; vom Stein, RdA 1991, 85, 92.
308
Oetker, ZIP 2000, 643, 650; i.E. auch Langenbucher, ZfA 1999, 299, 305.
- 114 -
4. Fazit
Auch
die
aus
dem
Begründungsansätze
Einzelüberlegungen
Arbeitsrecht
taugen
–
nicht
–
als
trotz
im
allgemeinen
zum
universelle
Wiedereinstellungsanspruchs. So sind sowohl der
Teil
stammenden
beachtenswerter
Anspruchsgrundlage
eines
Sphärengedanke und der
Rechtsgedanke schutzwürdigen Vertrauens geeignet, die materiellrechtliche
Notwendigkeit einer Prognosekorrektur zu verdeutlichen, ohne aber die Qualität
einer Anspruchsgrundlage zu gewinnen. Gleiches gilt für den arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz. Schließlich ist Art. 12 GG geeignet, den
Interessengegensatz zu beschreiben, ohne dabei aber eine Lösung vorzugeben.
V. Ansätze aus dem Kündigungsschutzrecht
1. Praktische Konkordanz von Vertrauensschutz und
Rechtssicherheit
Meinel/Bauer309 wollen den Wiedereinstellungsanspruch als Frage praktischer
Konkordanz zweier gleichrangiger konträrer Rechtsprinzipien ausloten. Durch
die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs solle der Interessenkonflikt
gelöst werden, der aus dem Widerstreit zweier grundlegender Rechtsprinzipien
entstehe, die das Kündigungsschutzrecht beide bestätige, der materiellen
Gerechtigkeit
in
Gestalt
des
Vertrauensschutzes
einerseits
und
der
Rechtssicherheit andererseits.
Die Annahme einer Rückwirkung von Umständen, die sich nach Zugang der
Kündigungserklärung ergeben haben, auf die Wirksamkeit der Kündigung,
würde zwar der materiellen Gerechtigkeit zugunsten des Arbeitnehmers zum
Durchbruch verhelfen, der aufgrund der das Arbeitsrecht bestimmenden
sozialen Komponente i.d.R. darauf vertrauen dürfe, endgültig nur dann aus dem
309
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 576.
- 115 Arbeitsverhältnis ausscheiden zu müssen, wenn der Kündigungsgrund Bestand
hat. Jedoch würde das Prinzip der Rechtssicherheit ausgehöhlt, weil die
Wirksamkeit der Kündigung dem Zufall der weiteren Entwicklung preisgegeben
würde. Nicht anders sei es zu bewerten, wollte man einen unumschränkten
Wiedereinstellungsanspruch
anerkennen,
ohne
dabei
auch
Arbeitgeberinteressen angemessen zu berücksichtigen.
Wollte
man
andererseits
nachträglich
sich
ergebende
prognosewidrige
Umstände völlig außer Acht lassen, so würde man das Prinzip der
Rechtssicherheit, wie es der Normierung eines Gestaltungsrechts durch das
KSchG zugrunde liegt, überbewerten und die materielle Gerechtigkeit aus den
Augen verlieren.
Einen Ausgleich beider Rechtsprinzipien verspreche die eingeschränkte
Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs, der den Konflikt im Sinne
praktischer Konkordanz der gegeneinander stehenden Rechtsprinzipien lösen
könne.
2. Korrektur der prognosebedingten Risikoverteilung oder
Prinzip der Rechtssicherheit
a) Korrekturbedürftigkeit des Prognoserisikos –
Sphärengedanke
Der Wiedereinstellungsanspruch wird nach einer auch vom 2. Senat310
vertretenen Ansicht als Kompensation einer für den Arbeitnehmer nachteiligen
Risikoverteilung angesehen.311 Ein solcher Wiedereinstellungsanspruch stelle
ein notwendiges Korrektiv dafür dar, dass die Rechtsprechung allein aus
Gründen der Rechtssicherheit, Verlässlichkeit und Klarheit bei der Prüfung des
310
311
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG (2 AZR 140/97),
NZA 1998, 701, 704.
So auch LAG Berlin (6 Sa 68/98), ARST 1999, 140, 140.
- 116 Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstelle und
schon eine Kündigung aufgrund einer Prognoseentscheidung (z.B. "wegen
beabsichtigter
Betriebsstillegung")
zulasse,
obwohl
der
Verlust
des
Arbeitsplatzes, vor dem die Arbeitnehmer durch § 1 KSchG geschützt werden
sollen, erst mit der Entlassung, also dem Ablauf der Kündigungsfrist eintritt.
Das Risiko der Unaufklärbarkeit bei der Verdachtskündigung liege regelmäßig
beim Arbeitnehmer. Das Risiko einer Fehlprognose über die weitere betriebliche
Entwicklung und die voraussichtlichen Beschäftigungsmöglichkeiten nach Ablauf
etwaiger
Kündigungsfristen
liege
aufgrund
des
Prinzips
der
freien
Unternehmerentscheidung ebenfalls beim Arbeitnehmer.312 Auch das Risiko
einer Fehlprognose über künftige Fehlzeiten bei der krankheitsbedingten
Kündigung trage stets der Arbeitnehmer, da positive Entwicklungen nach
Ausspruch der Kündigung deren Wirksamkeit nicht berühren.313 Somit stelle der
Wiedereinstellungsanspruch nach Treu und Glauben eine Korrektur dieser
Risikoverteilung für den Fall der Entkräftung der Prognose dar. Damit sei der
Wiedereinstellungsanspruch gleichsam die Kehrseite der Anerkennung einer
kündigungsbegründenden
Prognose
des
Arbeitgebers.314
Der
Wiedereinstellungsanspruch könnte mithin als konsequente Fortsetzung des
dem KSchG zugrunde liegenden Prinzips einer materiellen Interessenabwägung
erscheinen, welche während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses zu
beachten sei und deshalb nicht bereits durch den bloßen Ausspruch einer
Kündigung unbeachtlich werde.315
Dagegen wird eingewandt, der Gesetzgeber habe mit dem geltenden
Kündigungsrecht eine abschließende gesetzliche Risikoverteilung verbunden,
312
Hillebrecht, ZIP 1985, 257, 258.
313
BAG (2 AZR 118/89), DB 1990, 431, 431 f.
314
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 755.
315
Annuß, BB 1998, 1582, 1587.
- 117 die es rechtfertige, bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes dem
Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch zu versagen.316
b) Korrekturbelastetes prognosebedingtes Kündigungsrecht?
Prognoseprinzip
und
Wiedereinstellungsanspruch
gehören
demnach
zusammen. Wo das Prognoseprinzip anerkannt wird, kann dann auch ein
Wiedereinstellungsanspruch aus dogmatischer Sicht nicht prinzipiell verneint
werden. Z.T. wird dies auf die Formel gebracht, der Arbeitgeber habe den Preis
dafür zu zahlen, dass er bereits aufgrund einer im Kündigungszeitpunkt
anzustellenden Prognose kündigen dürfe, ohne den Zeitpunkt des tatsächlichen
Wegfalls des Arbeitsplatzes abwarten zu müssen und dann mit Lohnansprüchen
aus Annahmeverzug belastet zu sein.317 Für die betriebsbedingte Kündigung
mag das zutreffen. Für den Bereich der personen- und verhaltensbedingten
Kündigung sind daran allerdings Zweifel angebracht, zumal insoweit die
kündigungsbegründenden Umstände aus dem Verantwortungsbereich des
Arbeitnehmers stammen und ein weiteres Abwarten für den Arbeitgeber gerade
als nicht mehr zumutbar angesehen wird. Zudem ist auch einzuwenden, dass es
sich nicht um eine rechtskonstruktive Begründung handelt318, sondern eher um
eine Erwägung materieller Gerechtigkeit, die ohne eine dogmatische Einordnung
nicht auskommt.
Auch
wenn
man
auf
das
nach
heute
h.M.
anerkannte,
dem
Kündigungsschutzgesetz immanente Prognoseprinzip319 abstelle, könne daraus
keine Begründung für einen gesetzesimmanenten Wiedereinstellungsanspruch
gewonnen werden: Wenn man dem Arbeitgeber jedenfalls bei betriebsbedingten
Kündigungen das Kündigungsrecht zugestehe, weil seiner Prognose nach eine
316
Ricken, NZA 1998, 460, 463; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 90 f; Kaiser, ZfA 2000, 205, 224.
317
Boewer, NZA 1999, 1121, 1126.
318
Annuß, BB 1998, 1582, 1587.
319
Grundlegend Preis Prinzipien, S. 322 ff.
- 118 künftige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer im Betrieb nicht mehr
besteht, so folge daraus zwangsläufig eine zu respektierende gesetzliche
Risikoverteilung.
Gestehe
man
dem
Arbeitgeber
aus
Gründen
der
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu, sich auf eine Prognose zu berufen, so
bedeute das denknotwendig auch eine Freistellung von dem Risiko, dass sich
die Prognose, wie es in ihrer Natur liegt, als falsch herausstellt.320 Die
Zubilligung eines Wiedereinstellungsanspruchs wegen nachträglicher Änderung
der der Prognose zugrunde liegenden Umstände würde das Prognoseprinzip
letztlich konterkarieren und die durch seine prinzipielle Anerkennung gewonnene
Rechtssicherheit wieder beseitigen.321
c) Parallele zur Korrektur der prognosebedingten
Risikoverteilung beim Aufhebungsvertrag nach den Regeln
über die Störung der Geschäftsgrundlage
Der
2.
Senat
zieht
Aufhebungsvertrages
auch
an
eine
geänderte
Parallele
zur
Verhältnisse.
Anpassung
Während
eines
ein
Aufhebungsvertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage
anzupassen wäre, bliebe es für den gekündigten Arbeitnehmer bei seiner
Entlassung, weil die Rspr. für die soziale Rechtfertigung der Kündigung allein
auf den Zeitpunkt des
Kündigungsausspruchs abstellt. Es würde den
Schutzzweck des § 1 KSchG missachten, wollte man allein im Hinblick darauf,
dass die Vertragsbeendigung nicht durch einen Aufhebungsvertrag, sondern
eine Kündigung, also eine einseitige Willenserklärung erfolgt, dem betroffenen
Arbeitnehmer
eine
solche
Anpassung
an
die
veränderten
Umstände
versagen.322
320
321
322
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 91.
Zwanziger, BB 1997, 42, 44; Hergenröder, Anm. zu BAG (2 AZR 140/97), EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellung Nr. 3; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 91.
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 759.
- 119 Demnach kann für die Prognosekorrektur bei einer Kündigung nichts anderes
gelten als für die nachträgliche Korrektur von Aufhebungsverträgen durch das
Institut der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB. Der
Arbeitnehmer darf nach einem Aufhebungsvertrag, durch den er einverständlich
auf seinen Kündigungsschutz verzichtet hat, nicht besser stehen, als nach einer
Kündigung.
Auch dem Aufhebungsvertrag liegt in den meisten Fällen eine Prognose
zugrunde, da hier oft die Vertragsparteien einer notwendigen betriebsbedingten
Kündigung zuvorkommen und das Arbeitsverhältnis in Erwartung des baldigen
Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit einverständlich auflösen wollen. Eine
Störung der Geschäftsgrundlage begründet sich dann daraus, dass der
Arbeitnehmer
seinen
Willensentschluss
auf
den
baldigen
Wegfall
der
Beschäftigungsmöglichkeit gestützt hat und den Vertrag nicht abgeschlossen
hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Beschäftigungsmöglichkeit wider
erwarten fortbesteht. Der Arbeitgeber muss sich redlicherweise auf diese
Geschäftsgrundlage einlassen, da sie der gemeinsamen Erwartung entsprach.
Dennoch macht es einen Unterschied, ob die Erwartung des Arbeitnehmers bei
Abschluss eines Aufhebungsvertrages sich als falsch herausstellt, oder ob ein
einseitiges
Rechtsgeschäft
des
Arbeitgebers
die
Gestaltungswirkung
unabhängig vom Willen des Arbeitnehmers herbeiführt. Im letzteren Fall werden
die Vorstellungen des Arbeitnehmers über die arbeitgeberseitigen Gründe für die
Kündigung zum Teil schlicht für unerheblich erklärt.323
Der Gedanke des 2. Senats überzeugt insoweit, wie nicht recht einleuchten will,
warum die Rechtsposition des Arbeitnehmers im Falle einer vertraglichen
Beendigung eine bessere sein soll als im Falle der einseitigen Kündigung. Wer
sich seines Kündigungsschutzes freiwillig durch Vertrag begibt, verdient
keineswegs mehr Schutz als derjenige, der die arbeitgeberseitige Kündigung
323
Raab, RdA 2000, 147, 150.
- 120 abwartet. Das neuerdings auch positivrechtlich anerkannte Institut der Störung
der Geschäftsgrundlage ist dabei trotz der systematischen Stellung des § 313
BGB keinesfalls auf Verträge beschränkt; es dient (freilich außerhalb des
unmittelbaren Anwendungsbereichs von § 313 BGB) auch zur Korrektur
einseitiger Willenserklärungen. Der Grund für die Aufnahme in den 3. Abschnitt
des BGB bestand darin, dass der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift
vor allem im Vertragsrecht verortet wird. Möglich gewesen wäre allerdings auch
eine Einfügung im Anschluss an § 242 BGB, weil der Wegfall der
Geschäftsgrundlage einen besonderen Anwendungsfall dieser Bestimmung
bildet und nicht nur für Verträge von Bedeutung ist. Mit der ausdrücklichen
Aufnahme in das BGB sollten lediglich die zum Rechtsinstitut gewordenen
Grundsätze zum Fehlen und zum Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen ihrer
erheblichen Bedeutung positiv verankert werden, ohne das Institut inhaltlich zu
verändern.324 Der Rechtsgedanke lässt damit prinzipiell auch eine Übertragung
auf einseitige Willenserklärungen wie die Kündigung zu.
Unklar bleibt auch nach diesem Ansatz, worauf der Wiedereinstellungsanspruch
rechtskonstruktiv letztlich beruhen soll.
3. Schutzzweck des Kündigungsschutzgesetzes
Oetker325und
Preis326
wollen
die
innere
Rechtfertigung
des
Wiedereinstellungsanspruchs auch aus dem KSchG selbst ableiten. Hieraus
lasse sich entnehmen, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nur unter den
dort genannten Voraussetzungen verlieren solle. Da die mit einer ordentlichen
Kündigung verbundene Kündigungsfrist dazu führt, dass der Arbeitsplatzverlust
nicht mit dem Zugang der Kündigungserklärung deckungsgleich ist, verlange der
Zweck der in § 1 II KSchG genannten Rechtfertigungsgründe, dass deren
324
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
325
Oetker, ZIP 2000, 643, 646 f.
326
Preis, DB 1988, 1387, 1393.
- 121 Voraussetzungen auch dann noch erfüllt sind, wenn der Arbeitsplatzverlust
eintritt. Einer Veränderung der kündigungsbegründenden Umstände bis zum
Ablauf der Kündigungsfrist sei deshalb Rechnung zu tragen. Dies bestätigte
auch die durch das KSchG konkretisierte grundrechtliche Schutzpflicht aus Art.
12 I GG, der es nicht um den Schutz vor der Kündigung als solcher, sondern um
die Absicherung vor dem Verlust des Arbeitsplatzes gehe. Nicht die formale
Durchtrennung des Vertragsbandes, sondern der unfreiwillige Arbeitsplatzverlust
stehe aus grundrechtlicher Sicht im Vordergrund und gebiete es, den Wegfall
des Kündigungsgrundes zumindest bis zum Eintritt des Arbeitsplatzverlustes zu
berücksichtigen.
Nicolai/Noack327 merken kritisch an, das Kündigungsschutzgesetz bezwecke
allein den Schutz des Arbeitnehmers vor einer sachlich nicht gerechtfertigten,
einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und keineswegs einen
generellen Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Dementsprechend könnte
man den Zweck des Kündigungsschutzgesetzes schon dann als erfüllt ansehen,
wenn ein Kündigungsgrund i.S.d. § 1 II und III KSchG zum Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigung objektiv vorliegt.
4. Systemimmanente
Rechtsfortbildung
Kündigungsschutzgesetzes
des
Einen weiteren am Schutzzweckzusammenhang des KSchG orientierten Ansatz
beschreibt Raab328. Gehe es dem Wiedereinstellungsanspruch darum, im
Interesse des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses nachträglichen
Änderungen des Kündigungssachverhaltes doch noch zu rechtlicher Relevanz
zu verhelfen, so sei der Versuch, hierfür zivilrechtliche, insbesondere
vertragsrechtliche Kategorien heranzuziehen, von vornherein zum Scheitern
verurteilt.
Wenn
die
Notwendigkeit
der
Anerkennung
327
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 90.
328
Raab, RdA 2000, 147, 151 ; ihm folgend Kort, SAE 2002, 131, 134.
eines
- 122 Wiedereinstellungsanspruchs darauf beruhe, dass es nach dem KSchG für die
Wirksamkeit
der
Kündigung
auf
den
Zeitpunkt
des
Zugangs
der
Kündigungserklärung ankommt, nachträgliche Änderungen also nach dem
KSchG nicht mehr zur Kenntnis genommen werden, so sei die Ursache
demnach im Gesetz selbst zu suchen. Die Lösung lasse sich wiederum nur aus
dem KSchG selbst entnehmen, und sei es im Wege der systemgerechten
Fortentwicklung des Gesetzes.
Es liege eine verdeckte Regelungslücke329 vor, weil der Zweck des Gesetzes,
dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zu erhalten, sofern nicht besondere Gründe
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, mit den gesetzlichen
Instrumenten
nicht
vollständig
erreicht
werden
könne.
Der
Wiedereinstellungsanspruch sei in der Lage, diese Lücke zu schließen. Er lasse
einerseits die Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Er biete andererseits dem
Arbeitgeber die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, wenn das
Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
entfallen sei. Der Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Wegfall des
Kündigungsgrundes
stelle
sich
demnach
als
eine
systemimmanente
Rechtsfortbildung zur Verwirklichung des gesetzlich geschützten Interesses des
Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dar.330
Ob es sich hier wirklich um eine verdeckte Regelungslücke handelt, die im Wege
einer systemimmanenten Rechtsfortbildung geschlossen werden müsste, wird
allerdings bezweifelt. Raab selbst macht darauf aufmerksam, dass die
richterliche Rechtsfortbildung regelmäßig nur Randkorrekturen ermöglicht. Ihre
Anwendung setze die Erforderlichkeit der Vermeidung von Rechtsfolgen voraus,
die mit den Grundwertungen der gesetzlichen Regelung schlechthin unvereinbar
sind. Lassen sich hingegen aus dem Gesetz keine eindeutigen Wertungen
ableiten, sei Zurückhaltung geboten. Dies gelte insbesondere, wenn im
329
Näheres zur verdeckten Regelungslücke Choi Diss., S. 127.
330
Raab, RdA 2000, 147, 152.
- 123 Widerstreit zweier Interessen, die beide im Prinzip vom Gesetz geschützt
werden, das Gleichgewicht neu justiert werden soll. Den Interessenausgleich
neu zu definieren sei in erster Linie Sache des Gesetzgebers.331 Der Richter
sollte einem Zustand, den er für sozial ungenügend hält, nicht durch Schaffung
neuer Ansprüche abhelfen, wenn für ihren Inhalt und ihre Begrenzung der
positivrechtliche Rahmen fehlt. Dem Richterrecht fehle es zudem an einer
abstrakt-generellen Verfestigung, so dass der Richter die Stetigkeit seiner
Normsetzung unter Berufung auf die Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung
allein nicht gewährleisten könne.332 Auch Kort333 gibt zu bedenken, es fehle an
einem
konkreten
Nachweis
der
von
Raab
behaupteten
verdeckten
Regelungslücke, hält den Ansatz im Übrigen aber für tragfähig und will den
Anspruch daher ebenfalls am ehesten als systemimmanente Rechtsfortbildung
des KSchG eingeordnet sehen.
5. Fazit
Der Versuch einer Ableitung des Anspruchs im Wege praktischer Konkordanz
der widerstreitetenden Interessen ist für sich genommen nicht konkret genug
und hat keinen rechtskonstruktiven Charakter.
Die Annahme einer systemimmanenten Rechtsfortbildung des KSchG hat die
Einsicht für sich, dass das dort verankerte Prognoseprinzip letztlich den
Hintergrund für die erörterten materiellen Gerechtigkeitserwägungen bietet.
Sieht man
den Wiedereinstellungsanspruch als ein Korrektiv für das
Prognoseprinzip an, so liegt es nahe, seine Rechtfertigung aus dem KSchG
selbst zu entwickeln. So bedarf der Schutzzweck des KSchG einer näheren
Betrachtung. Es ist durchaus möglich, die Risikozuweisung durch das
Prognoseprinzip nicht als endgültig zu verstehen. Dies ließe Raum für
331
Raab, RdA 2000, 147, 165.
332
In diese Richtung schon Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388 f.
333
Kort, SAE 2002, 131, 134.
- 124 nachträgliche Korrekturen, ohne Überlegungen aus allgemeinen Rechtsquellen
zur
Ergänzung
der
speziellen
kündigungsschutzrechtlichen
Regeln
heranzuziehen.
VI. Ansätze aus dem Betriebsübergangsrecht
vermeintlichen Betriebsstillegungen
bei
1. Ausgangspunkt
Die Wiedereinstellungsfrage stellt sich auch nach einer Kündigung wegen
beabsichtigter Betriebs(teil)stillegung, wenn der Betrieb(steil) später doch noch
veräußert werden konnte.
Ein
unerwarteter
Betriebsübergang
kann
Ausgangspunkt
für
Wiedereinstellungsüberlegungen sein, soweit sich die kündigungsbegründende
Prognose des Wegfalls von Arbeitsplätzen nicht bestätigt.
a) Reichweite des Kündigungsverbots aus § 613a IV 1 BGB
§ 613a wurde 1972 in das BGB eingefügt334 und schließlich 1980 durch das in
Umsetzung der EG-Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14.02.1977335
ergangene EG-Anpassungsgesetz336 um Absatz IV ergänzt. Z. Zt. gilt die
Betriebsübergangsrichtlinie in der Neufassung der Richtlinie 2001/23/EG des
Rates vom 12.03.2001337.
Absatz IV 1 BGB enthält ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.d. §§ 13 III
KSchG,
334
335
134
BGB,
stellt
also
nicht
bloß
einen
Unterfall
der
sozial
BGBl. I 1972, 13, 40.
RdA 1977, 162, 162 f; geltende Fassung gemäß Richtlinie 98/50/EG, EuGH Slg. 1985, 469,
475 = ZIP 1985, 824.
336
BGBl. I 1980, 1308, 1309.
337
Abl. L 82, von 22.03.2001, S. 16.
- 125 ungerechtfertigten Kündigung dar.338 Er zielt auf die Verhinderung von
Kündigungen im Vorfeld eines sich abzeichnenden Betriebs(teil)übergangs und
ist auch auf solche Arbeitsverhältnisse anwendbar, die (noch) nicht unter das
KSchG fallen.339
Das BAG340 geht von der Unwirksamkeit einer Kündigung „wegen des
Betriebsübergangs“ nach § 613a IV 1 BGB aus, wenn der Betriebsübergang
Beweggrund für die Kündigung war, das Motiv der Kündigung also wesentlich
durch den Betriebsinhaberwechsel bedingt war. Eine Kündigung erfolge wegen
des Betriebsübergangs, wenn dieser der tragende Grund für die Kündigung
gewesen sei, was nicht der Fall sei, wenn es neben dem Betriebsübergang
einen sachlichen Grund gebe, der aus sich heraus die Kündigung zu
rechtfertigen vermöge.341
Wie § 613a IV 2 BGB deutlich macht, steht dieses besondere Kündigungsverbot
einer betriebsbedingten Kündigung nicht im Wege, die zwar aus Anlass des
Betriebsübergangs erklärt wird, ihre innere Rechtfertigung aber in Umständen
findet, die unabhängig vom Betriebsübergang bestehen, die also auch bei
fiktiver Fortführung des Betriebs(teils) durch den Veräußerer diesem einen
betriebsbedingten Kündigungsgrund nach § 1 KSchG geben würden. Die
Funktion des § 613a IV 1 BGB liegt darin, eine Umgehung des durch § 613a I
BGB
garantierten
Bestandsschutzes
bei
einem
Inhaberwechsel
zu
verhindern.342 Sein Wortlaut stellt zunächst klar, dass der Betriebsübergang als
solcher keinesfalls ein betriebsbedingter Kündigungsgrund ist, damit der
338
339
340
BAG (2 AZR 530/83), NZA 1985, 593, 593; Sandmann, SAE 1997, 157, 157; Berscheid, MDR
1998, 1129, 1130; Sandmann, SAE 2000, 295, 297; Fischer, DB 2001, 331, 334; Lipinski, NZA
2002, 75, 76 f.
Lipinski, NZA 2002. 75, 76 m.w.N.
BAG (2 AZR 127/94), NZA 1997, 148, 149 m.w.N.; BAG (8 AZR 306/97), NZA 1999, 147, 147;
So auch: Langenbucher, ZfA 1999, 299, 300 m.w.N.; Lipinski, NZA 2002, 75, 77.
341
Zu anderen Sichtweisen instruktiv Lipinski, NZA 2002, 75, 77 m.w.N.
342
BAG (2 AZR 530/82), AP Nr. 40 zu § 613a BGB; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, 2 Rn 36 f.
- 126 Erwerber ungekündigte und damit bestandsgeschützte Arbeitsverhältnisse nach
§ 613a I 1 BGB übernimmt. § 613a BGB wahrt so die Identität von Arbeitsplatz
und Arbeitsverhältnis unabhängig vom Betriebsinhaberwechsel.
b) Verhältnis von § 613a IV 1 BGB und § 1 KSchG
Nach dem Vorgesagten erscheint allerdings zweifelhaft, worin die eigenständige
Funktion des Kündigungsverbots aus § 613a IV 1 BGB liegen soll, wenn darauf
abgestellt wird, ob es unabhängig vom Betriebsübergang einen sachlichen
Grund gibt, der aus sich heraus die Kündigung zu rechtfertigen vermag.
Der Prüfungsmaßstab, dem die Kündigung im Anwendungsbereich des KSchG
unterworfen wird, ist damit die Frage, ob ein dringendes betriebliches Erfordernis
die Kündigung im Sinne des § 1 KSchG rechtfertigt oder nicht.343 Dass der
Betriebsübergang selbst eine solches Erfordernis nicht darstellt, ist ein
Gemeinplatz und bedarf folglich keiner Bestätigung durch § 613a IV 1 BGB.344
Fällt der Arbeitnehmer aber nicht in den Anwendungsbereich des KSchG, weil
sein Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate besteht oder weil nicht mehr als
fünf Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt werden (§§ 1 I, 23 I 2 und 3 KSchG),
darf der Arbeitgeber also im Prinzip frei von jedem Rechtfertigungszwang
kündigen, dann hat § 613a IV 1 BGB die Funktion eines eigenständigen
Kündigungsverbots. Eine arbeitgeberseitige Kündigung ist demnach unwirksam,
wenn sie der Arbeitgeber subjektiv gerade mit dem objektiv vorliegenden
Betriebsübergang begründet, also eine Motivation offenbart, die von § 613a IV 1
BGB nicht toleriert wird. Selbiges gilt, wenn der Arbeitnehmer die Klagefrist des
§ 4 KSchG verstreichen lässt. Er kann sich danach nur noch mit dem Vortrag an
das Arbeitsgericht wenden, der Arbeitgeber habe ihm allein aus Gründen des
343
Kindscher Diss., S. 53 ff und 201.
344
Sandmann, SAE 1997, 157, 158.
- 127 Betriebsübergangs gekündigt und verstoße damit gegen § 613a IV 1 BGB (§ 13
III KSchG).
§
613a
IV
BGB
kommt
mithin
eine
Funktion
als
eigenständiges
Kündigungsverbot nur insoweit zu, wie die Regelung nicht vom KSchG
überlagert wird, und auch dann nur, wenn der Arbeitgeber die sachfremde von §
613a
IV
1
BGB
missbilligte
Motivation
offenbart,
allein
wegen
des
Betriebsübergangs selbst zu kündigen.345
c) Wirksamkeit der Kündigung und unerwarteter
Betriebsübergang
Das Kündigungsverbot hilft allerdings dann nicht weiter, wenn sich an die
wirksame
Kündigung
beabsichtigter
aus
betrieblichen
Betriebsstillegung)
Gründen
unvorhersehbar
(insbesondere
ein
wegen
Betriebsübergang
anschließt und Arbeitsplätze deshalb prognosewidrig erhalten bleiben.
Der
Kündigungsgrund
entfällt
nachträglich,
sobald
ein
nachfolgender
unerwarteter Betriebsübergang feststeht und in diesem Sinne „greifbare
Formen“ angenommen hat. Bloße Zweifel über die Durchführung der
Betriebs(teil)stillgegung reichen nicht aus. In der Lit. wird diesbezüglich schon
seit langem das Bestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs diskutiert.346 Der
Anspruch auf Wiedereinstellung soll in dem Zeitpunkt entstehen, in dem sich die
Umstände so ändern, dass eine betriebsbedingte Kündigung wirksam nicht mehr
hätte erklärt werden können.
345
Sandmann, SAE 1997, 157, 158 f.
346
Willemsen, ZIP 1986, 477, 484; Loritz, RdA 1987, 65, 71.
- 128 -
2. Richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB – 8.
Senat
Der für Fragen des Betriebsübergangs hauptsächlich zuständige 8. Senat sieht
im Betriebsübergang aufgrund der europarechtlichen Vorgaben und des sie
umsetzenden § 613a BGB eine besondere Fallgestaltung. Er hat sich insoweit
auf eine richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB berufen.
In seiner Entscheidung vom 13.11.1997347 stand der 8. Senat vor dem
besonderen Problem, einen Wiedereinstellungsanspruch in einem Sonderfall
des Betriebsübergangs im Sinne der Rspr. des EuGH348 zu begründen, der sich
der 8. Senat bereits durch Urteil vom 22.05.1997349 angeschlossen hatte. Der
EuGH sieht in einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine
gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine übernahmefähige
wirtschaftliche Einheit im Sinne der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG350.
Demnach liegt ein Betriebsübergang auch dann vor, wenn in Branchen, in denen
es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt (z.B. Reinigungs-,
Bewachungs-,
Betreuungsaufgaben),
ein
anderer
Arbeitgeber
sich
zur
Übernahme eines nach Anzahl und Sachkunde dauerhaft verbundenen
wesentlichen Teils der Hauptbelegschaft bzw. einer organisierten Gesamtheit
von Arbeitnehmern des bisherigen Arbeitgebers entschließt.351 Dies geschieht
typischerweise im Anschluss an eine rechtsgeschäftliche Neuvergabe eines
Dienstleistungsauftrags (Funktionsnachfolge) an einen Wettbewerber des
bisherigen Arbeitgebers. Übernimmt der Auftragsnachfolger die zur Abwicklung
347
348
BAG (8 AZR 295/95), AP Nr. 169 zu § 613 a BGB = NZA 1998, 251, 253.
EuGH von 11.03.97 – Es. C-13/95, Slg. 1997, I-1259 (Ayse Süzen / Zehnacker
Gebäudereinigung) = NZA 1997, 433 ff = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie 77/187 = NJW 1997,
2039 ff = EuZW 1997, 244 ff = DB 1997, 628 ff.
349
BAG (8 AZR 101/96), NZA 1997, 1050, 1050 = ZIP 1997, 1555, 1555.
350
Vormals Richtlinie 77/187/EWG i.d.F. der Richtlinie 98/50/EG.
351
Näher hierzu Annuß, NZA 1998, 70, 71 ff.
- 129 des Auftrags bisher eingesetzten Arbeitnehmer, so löst er die Rechtsfolgen des
§ 613a BGB aus.
Nach dieser Rspr. soll ein Anspruch auf Fortsetzung des bisherigen
Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen unter Wahrung des
sozialen Besitzstandes aus dem spezifischen Schutzzweck des § 613a I, IV
BGB folgen, der insoweit richtlinienkonform auszulegen sei. Der Übergang der
Arbeitsverhältnisse tritt in diesen Fällen ipso iure ein und ist nicht von einer
Willensentschließung des Betriebsübernehmers abhängig. Während die vom
bisherigen Arbeitgeber nicht gekündigten Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes auf
den Betriebsübernehmer übergehen, haben die gekündigten Arbeitnehmer
demnach
einen
Anspruch
auf
Abschluss
eines
Arbeitsvertrages
zu
unveränderten Arbeitsbedingungen und unter Wahrung ihres Besitzstandes.
Dieser soll auch den bereits entlassenen Arbeitnehmern zustehen, um ein den
europarechtlichen
Vorgaben
sicherzustellen.352
So
will
genügendes
der
8.
Senat
Maß
an
vermeiden,
Bestandsschutz
dass
sich
der
Funktionsnachfolger allzu leicht aus der ihm nach § 613a BGB erwachsenden
Pflichtenstellung befreit, indem er mit dem Abschluss neuer Arbeitsverträge mit
der
bisherigen
Arbeitsverhältnisse
Belegschaft
zuwartet.
einfach
Es
bis
gehört
zur
im
Beendigung
Übrigen
zum
der
alten
typischen
Erscheinungsbild eines Betriebsübergangs durch Übernahme des wesentlichen
Teils der Belegschaft, dass der Schwellenwert der einzustellenden Arbeitnehmer
(also der „wesentliche Teil“ bzw. eine „organisierte Gesamtheit“) zu einem
Zeitpunkt überschritten wird, in dem bereits alle Kündigungsfristen abgelaufen
sind. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass der 8. Senat gerade an dieser
Fallgruppe eine Erstreckung des Wiedereinstellungsanspruchs auf die Zeit nach
Ablauf der Kündigungsfrist verdeutlicht hat.353
352
353
BAG (8 AZR 295/95), AP Nr. 169 zu § 613 a BGB = NZA 1998, 251, 251; BAG (8 AZR
729/96), AP Nr. 172 zu § 613 a BGB; BAG (8 AZR 265/97), AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969
Wiedereinstellung = NZA 1999, 311, 311 = EzA Nr. 171 zu § 613a BGB.
Krause, ZfA 2001, 67, 100.
- 130 -
3. Schrifttum
Die Lit. ist der Herleitung des Wiedereinstellungsanspruchs aus einer
richtlinienkonformen Auslegung des § 613a I 1 BGB teilweise beigetreten354
oder erreicht das gleiche Ergebnis über eine teleologische Extension des § 613a
I
BGB
ohne
Zuhilfenahme
des
Schutzzwecks
der
Betriebsübergangsrichtlinie355. Daneben werden weitere Ansätze vertreten.
a) Fürsorge- / Interessenwahrungspflicht
Oetker356 stellt auf die Fürsorge- bzw. Interessenwahrungspflicht aus dem
wirksam gekündigten Arbeitsverhältnis ab, mit der Konsequenz, dass der
Wiedereinstellungsanspruch in der Konstellation des Betriebs(teil)übergangs
keiner
eigenständigen
dogmatischen
Begründung
bedarf,
sofern
der
Betriebsübergang noch vor Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen wird. Der
Erbwerber tritt gemäß § 613a I 1 BGB in alle zum Veräußerer bestehenden
Arbeitsverhältnisse ein, also auch in diejenigen, die vor dem Betriebsübergang
(aufgrund geplanter Betriebsstillegung) bereits wirksam gekündigt wurden, deren
Kündigungsfrist aber erst nach Übergang des Betriebs(teils) abläuft.357 Der
gesetzlich angeordnete Vertragspartnerwechsel358 bewirkt, dass der neue
Betriebsinhaber Schuldner aller Verbindlichkeiten aus dem Arbeitsverhältnis
wird, auch hinsichtlich solcher, die vor dem Übergang entstanden sind.359 Da
der Erwerber ohne Einschränkungen an die Stelle des bisherigen Arbeitgebers
tritt, richten sich gegen ihn auch die gegenüber dem Betriebsveräußerer
entstandenen Interessenwahrungspflichten. Hält man diese Pflichten für
354
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 103; Meyer, BB 2000, 1032, 1033.
355
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 317.
356
Oetker, ZIP 2000, 643, 647; Oetker, DZWIR 2000, 461, 461.
357
BAG (5 AZR 800/76), AP Nr. 11 zu § 613a BGB; ErfK – Preis, § 613a Rn 41.
358
359
BAG (10 AZR 937/93), NZA 1995, 742, 742 f, und Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456,
sprechen abweichend von einer gesetzlich geregelten Beendigung des Arbeitsverhältnisses
verbunden mit dem gesetzlichen Übergang auf den neuen Betriebsinhaber.
ErfK – Preis, § 620 Rn 45; Oetker, ZIP 2000, 643, 647.
- 131 anspruchsbegründend, dann muss der Erwerber den gekündigten, aber noch
nicht entlassenen Arbeitnehmer, der seine Wiedereinstellung verlangt, in ein
neues Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des alten übernehmen. Da keine
Unterbrechung eintritt, handelt es sich beim Wiedereinstellungsanspruch um
einen sog. Fortsetzungsanspruch. Eines eigenständig auf § 613a I und IV BGB
gestützten Fortsetzungsanspruchs bedarf es dann nicht.
Dieser – hier für den Regelfall bereits abgelehnte – Ansatz lässt allerdings einen
Wiedereinstellungsanspruch für die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs
bereits entlassenen Arbeitnehmer nicht entstehen. Die nachvertragliche
Interessenwahrungspflicht besteht ja lediglich gegenüber dem Veräußerer als
bisherigen
Vertragspartner.
Sie
kann
auch
nach
Beendigung
der
Vertragsbeziehung mangels Fortbestehens nicht mehr auf den Erwerber
übergehen.
b) Venire contra factum proprium
Der Grundsatz des Venire contra factum proprium kann insoweit nicht
herangezogen werden, da sich der Erwerber nicht widersprüchlich verhält, wenn
er eine Wiedereinstellung ablehnt. Er muss sich an dem Makel des Wegfalls des
betriebsbedingten Kündigungsgrundes nicht festhalten lassen, da er nicht
gekündigt, vielmehr ein bereits gekündigtes Arbeitsverhältnis übernommen hat.
Damit hat er nur die eine von zwei möglicherweise entgegengesetzten
Verhaltensweisen
gezeigt.
In
einem
solchen
Verhalten
liegt
kein
Widerspruch.360
360
Wenig überzeugend ist dagegen die von Langenbucher, ZfA 1999, 299, 308, gegebene
Begründung, der Arbeitgeber verhalte sich nicht widersprüchlich, denn in seinem Betrieb falle
der Arbeitsplatz ja nach wie vor weg. Anspruchsgegner ist der Betriebserwerber, für den
Veräußerer handelt es sich um einen Fall der Unmöglichkeit.
- 132 -
c) Richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB
Nicolai/Noack361
bemühen
im
Anschluss
an
den
8.
Senat
eine
richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB. Zu Recht wird darauf
hingewiesen, dass für eine Eingrenzung dieses Ansatzes auf die Fälle der
Übernahme des wesentlichen Teils der Belegschaft, wie vom 8. Senat vertreten,
keine Notwendigkeit besteht.362
Das von der Betriebsübergangsrichtlinie363 verfolgte Konzept der Erhaltung von
Arbeitsverhältnissen, wenn die ihnen zugeordneten Arbeitsplätze von einem
Betriebsübergang betroffen sind, lasse sich mit der Gestaltungswirkung der
Kündigung gemäß der kündigungsschutzrechtlichen Situation in Deutschland
nur unzureichend vereinbaren. Die Betriebsübergangsrichtlinie fordere daher
insoweit die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs, wie dies zur
Erhaltung der Einheit von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis im Falle des
Betriebsübergangs erforderlich sei. Nur so sei eine Harmonisierung von
europäischem und nationalem Recht möglich.364
Dieses Ergebnis lasse sich auch aus der Erwägung der notwendigen
Gleichbehandlung der jeweiligen Betriebserwerber erschließen. Es sei nicht
einzusehen, warum ein Erwerber, der erst nach dem Ausspruch von
Kündigungen durch den Veräußerer einen Betrieb übernimmt, besser gestellt
werden sollte als der Erwerber, der vor diesem Zeitpunkt mit dem Veräußerer
über eine Betriebsübernahme verhandelt, so dass der bevorstehende
Betriebsinhaberwechsel schon greifbare Formen angenommen hätte und damit
nicht mehr wirksam betriebsbedingt gekündigt werden könnte. Wer eine
funktionsfähige unternehmerische Einheit übernehme, müsse damit rechnen und
361
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 98.
362
Oetker, ZIP 2000, 643, 650; Kittner/Däubler/Zwanziger - Zwanziger, § 613a Rn 126.
363
Richtlinie 2001/23/EG, vormals Richtlinie 77/187/EWG i.d.F. der Richtlinie 98/50/EG.
364
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 98.
- 133 sich damit abfinden, dass die zum Betrieb gehörenden Arbeitnehmer dann mit
übergehen; ein anderes Ergebnis für einige Erwerber würde sonst zu einer
Wettbewerbsverzerrung führen.365
d) Teleologische Extension des § 613a BGB
Langenbucher366 will den Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter
Kündigung
und
unerwartetem
Betriebsübergang
auf
eine
teleologische
Extension des § 613a BGB stützen. § 613a BGB verwirkliche den Schutz von
Arbeitsverhältnissen durch ihren gesetzlichen Übergang auf den Erwerber eines
Betriebes, wenn die zugehörigen Arbeitsplätze fortbestehen.367 Für den
Arbeitnehmer bedeute dies, dass er sich bei einem Betriebsinhaberwechsel auf
die Kontinuität seiner Stelle verlassen könne, wenn diese unter im Wesentlichen
gleichen Bedingungen weiter existiert. Für den Erwerber liege hierin eine
gesetzlich
angeordnete
Unternehmen
Beschränkung
übernimmt,
sei
seiner
zunächst
Vertragsfreiheit.
einmal
den
dort
Wer
ein
beschäftigten
Arbeitnehmern verpflichtet. § 613a BGB habe dabei nur den Normalfall der
Veräußerung eines funktionsfähigen Unternehmens im Auge, nicht den
Ausnahmefall der überraschenden Veräußerung eines Unternehmens, welches
eigentlich
stillgelegt
werden
sollte.
Sind
die
Arbeitnehmer
vor
dem
Betriebsübergang aber bereits wirksam gekündigt, so können entsprechend
auch nur gekündigte Arbeitsverhältnisse als solche auf den Erwerber
übergehen. Der Übergang des nicht länger bestandsgeschützten wirksam
gekündigten Arbeitsverhältnisses könne die Kontinuität von Arbeitsplatz und
Arbeitsverhältnis aber nicht sicherstellen. Langenbucher sieht darin eine
Schutzlücke,
die
der Wiedereinstellungsanspruch
schließe.
Bleiben
die
Arbeitsplätze der bereits wirksam gekündigten Arbeitnehmer wegen des
unerwarteten Betriebsübergangs erhalten, so soll nach Sinn und Zweck der
365
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 98 f.
366
Langenbucher, SAE 1998, 145, 147 f; Langenbucher, ZfA 1999, 299, 303, 309.
367
So auch Pietzko Diss., S. 36.
- 134 Vorschrift auch hier die Kontinuität von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis
gewahrt bleiben. Für das mit dem erhalten gebliebenen Arbeitsplatz verbundene
Arbeitsverhältnis ordne § 613a BGB in diesem Fall zweierlei an: Seine
vertragliche Wiederbegründung und die Sicherung der vor der Kündigung
bestehenden
Arbeitsbedingungen
und
sozialen
Besitzstände.
Der
Wiedereinstellungsanspruch komplettiere auf diese Weise den Schutz der
Arbeitnehmer nach § 613a I, IV BGB.368
Raab369
verfolgt
den
gleichen
Wiedereinstellungsanspruch könne sich nur
sachlichen
Ansatz.
Ein
aus einer Fortbildung der
gesetzlichen Regelung, also aus § 613a BGB, ergeben. Voraussetzung sei,
dass die gesetzliche Regelung den Bestandsschutz bei nachträglichem
Betriebsübergang nach ihrer eigenen Teleologie nur lückenhaft gewährleiste
und daher der Ergänzung durch einen Wiedereinstellungsanspruch bedürfe.
Wenn es nach wirksamer Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstillegung
unerwartet zu einem Betriebsübergang kommt, trete die Situation ein, die § 613a
BGB gerade verhindern wollte: Obwohl der Betrieb als organisatorische Einheit
erhalten bleibt und nur die Person des Betriebsinhabers wechselt, verliert der
bereits gekündigte Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz. Diese Schutzlücke könne
durch einen Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers
geschlossen werden. Der Wiedereinstellungsanspruch lasse sich damit aus dem
Schutzzweck des § 613a BGB begründen, ohne dass es hierzu der vom 8.
Senat herangezogenen europarechtskonformen Auslegung bedürfe.
Ähnlich argumentiert auch der 2. Senat, der neben den vorgenannten
allgemeinen Begründungsansätzen auf eine mögliche Gesetzesumgehung des §
613a IV 1 BGB aufmerksam macht, wenn der Arbeitgeber einen Betrieb
übertragen könnte, dessen Arbeitsverhältnisse sämtlich wirksam gekündigt sind.
Komme es zu einer Betriebsübernahme, die nach § 613a IV 1 BGB keine
368
Zustimmend für die Situation nach Ablauf der Kündigungsfrist Schubert, ZIP 2002, 554, 559.
369
Raab, RdA 2000, 147, 159.
- 135 Kündigung zulässt, so handele der Arbeitgeber erst recht rechtsmissbräuchlich,
wenn er sich nicht mit dem ihm zumutbaren Weiterbeschäftigungsverlangen des
Arbeitnehmers einverstanden erklärt.370
4. Stellungnahme
Klärungsbedürftig bleibt, ob sich aus § 613a BGB eventuell im Wege einer
richtlinienkonformen Auslegung oder aber durch die Anerkennung einer
teleologischen Extension ein Ansatz für den Wiedereinstellungsanspruch
gewinnen lässt. Ein aus § 613a BGB gewonnener Ansatz wäre zwar nicht
verallgemeinerungsfähig, müsste aber als Hinweis darauf zu verstehen sein,
dass
prognosebedingte
Wiedereinstellungsansprüche
dem
geltenden
Arbeitnehmerschutzrecht jedenfalls nicht fremd sind.
a) Keine Vorgaben der Betriebsübergangsrichtlinie
2001/23/EG für einen Wiedereinstellungsanspruch
(1) Zielsetzung der Richtlinie
Zu Recht geht die Lit. davon aus, dass Art. 3 I der Betriebsübergangsrichtlinie
(ebenso wie § 613a I BGB) ausdrücklich nur bestimmt, dass die zum Zeitpunkt
des
Übergangs
bestehenden
Arbeitsverhältnisse
auf
den
Erwerber
übergehen.371 Demgegenüber findet sich keine explizite Aussage über einen
Wiedereinstellungsanspruch.
Greift
man
auf
möglicherweise
die
Zielsetzung
zwei
Aspekte
der
für
Richtlinie
die
zurück,
so
sprechen
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs in dem Fall, dass sich – wie im deutschen
Kündigungsschutzrecht
–
aufgrund
rechtsdogmatischer
370
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
371
Langenbucher, SAE 1998, 145, 147; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 97.
Einwände
ein
- 136 rückwirkender Einfluss auf die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen
verbietet.
Zum einen findet sich in der Präambel der Betriebsübergangsrichtlinie die
Aussage, es seien Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem
Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche
gewährleisten. Zum anderen regelt Art. 4 I der Richtlinie ein Kündigungsverbot,
wonach der Übergang eines Unternehmens bzw. Betriebsteils als solcher für
den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung darstellt (S. 1).
Das
Kündigungsverbot
soll
gleichwohl
etwaigen
Kündigungen
aus
wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen
im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegenstehen (S. 2).
Anders gewendet könnte daraus geschlossen werden, dass ein Arbeitnehmer
seinen Arbeitsplatz im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang dann nicht
verlieren darf, wenn sein Arbeitsplatz trotz eventueller wirtschaftlicher,
technischer oder organisatorischer Umstellungen, die Änderungen im Bereich
der Beschäftigung mit sich bringen, nicht wegfällt, sondern erhalten bleibt.
Die Rspr. des 8. Senats372 und ein Teil der Lit.373 gehen davon aus, dass diese
Zielsetzung der Richtlinie und damit ihre Wirksamkeit erheblich beeinträchtigt
würde, wenn man in Anbetracht der besonderen kündigungsschutzrechtlichen
Situation in Deutschland keinen Wiedereinstellungsanspruch anerkennt. Denn
einerseits werde dem Arbeitnehmer eine Kündigungsmöglichkeit aufgrund einer
bloßen Prognose über zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten eingeräumt und
andererseits für die Frage nach der Wirksamkeit einer betriebsbedingten
Kündigung allein auf den Zeitpunkt ihres Zugangs abgestellt.
372
373
BAG (8 AZR 295/95), AP Nr. 169 zu § 613 a BGB = NZA 1998, 251, 252; BAG (8 AZR
729/96), AP Nr. 172 zu § 613 a BGB; BAG (8 AZR 265/97), AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969
Wiedereinstellung = NZA 1999, 311, 313 = EzA Nr. 171 zu § 613a BGB.
Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 455; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 98.
- 137 -
(2) Keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Auslegung
des § 613a BGB
Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB in Richtung auf einen
Wiedereinstellungsanspruch würde allerdings voraussetzen, dass die nationale
Vorschrift
das
Anliegen
der
Richtlinie
bezogen
auf
gekündigte
Arbeitsverhältnisse nur unzureichend verwirklicht. Zumindest müsste ein
Rückgriff auf die Richtlinie erforderlich sein, um Zweifelsfragen zu beseitigen.374
Zwar lässt sich die Kontinuität von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis, die als
ratio hinter der Betriebsübergangsrichtlinie und § 613a BGB steckt, in bezug auf
zuvor wegen beabsichtigter Betriebsstillegung gekündigte Arbeitsverhältnisse
nach dem Wortlaut des § 613a BGB nicht verwirklichen.
Eine richtlinienkonforme Auslegung nationaler Vorschriften verlangt aber
entweder eine schon dem Wortlaut nach nur unvollständige Umsetzung der
Richtlinie, die deshalb mit der nationalen Rechtsordnung in Widerspruch steht,
oder einen Zweifel bzw. eine Lücke in der zur Umsetzung erlassenen Norm, die
durch Rückgriff auf die Richtlinie beseitigt werden könnte.375 Vorliegend kann
es nur um eine Lücke bei der Verwirklichung des Schutzzwecks der Richtlinie
durch die Fassung der Umsetzungsnorm gehen. Der Schutzbereich von § 613a
IV BGB könnte eine Inkongruenz zu dem der Richtlinie aufweisen und eine
Harmonisierung nur durch die Zuerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs
zu realisieren sein.
Fraglich ist jedoch, ob sich der Richtlinie ein solcher umfassender Schutz
entnehmen lässt, der auch auf zuvor aus billigenswerten aber unbeständigen
Beweggründen gekündigte Arbeitsverhältnisse zu erstrecken ist. Dies würde
voraussetzen, dass sich ein weitergehender Regelungsgehalt der Richtlinie
aufgrund der Besonderheiten gerade des deutschen Kündigungsschutzrechts
374
Lipinski, NZA 2002, 75, 76.
375
Götz, NJW 1992, 1849, 1853; Lutter, JZ 1992, 593, 594, 597-98.
- 138 nicht durch eine bloße wortlautgetreue Umsetzung, wie sie durch die Schaffung
des § 613a BGB erfolgt ist, verwirklichen lässt.
Die Betriebsübergangsrichtlinie bestimmt in Art. 3 I, dass nur die Rechte aus
einem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis übergehen.
Eine Kündigung aus anderen Gründen gestattet ausdrücklich Art. 4 I 2 der
Richtlinie. Schließlich regelt Art. 3 IV b) HS 2 der Richtlinie sogar den sozialen
Mindestschutz „der Personen, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus
dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer Rechte oder
Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter...“. Nach dem Regelungsziel der
Richtlinie ist also die einmal ausgesprochene Kündigung rechtswirksam und die
Arbeitnehmer gehen entweder in gekündigter Stellung oder aber gar nicht auf
den
Erwerber
über,
wenn
dem
Betriebsübergang
eine
wirksame
betriebsbedingte Kündigung vorangegangen war. § 613a I, IV BGB enthält daher
keine Lücke, die durch richtlinienkonforme Auslegung geschlossen werden
könnte. Die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs geht also
jedenfalls über das Anliegen der Richtlinie hinaus.376 Dem europäischen Recht
lässt sich nur die Selbstverständlichkeit entnehmen, dass vom bisherigen
Betriebsinhaber gekündigte Arbeitsverhältnisse auf den Betriebsübernehmer
übergehen, wenn die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 613a IV BGB
unwirksam ist.377
376
377
Langenbucher, SAE 1998, 145, 147; Peters/Thüsing, Anm. zu BAG (8 AZR 295/95), EzA §
613a BGB Nr. 154.
Hanau, ZIP 1999, 324, 325 f.
- 139 -
b) Teleologische Extension des § 613a BGB als tauglicher
Erklärungsansatz dieser Fallgruppe
(1) Schutzzweckzusammenhang bei Erhaltenbleiben des
Arbeitsplatzes
Die teleologische Extension führt – wie auch die Analogie378 – zur Anwendung
einer Vorschrift über die Grenzen ihres Wortlauts hinaus. Die Analogie fordert
dabei eine wirkliche Lücke im Gesetz. Diese wird geschlossen und der Regelung
damit zur Vollständigkeit verholfen, indem eine im Gesetz für einen Tatbestand
vorgesehene Regel auf einen ähnlichen ungeregelten Tatbestand übertragen
wird. Bei der Analogie soll es sich deshalb noch um Gesetzesauslegung
handeln.379
Die teleologische Extension geht dagegen lediglich vom Vorliegen einer
verdeckten Regelungslücke aus, ohne deren Schließung aber der Normzweck
zumindest teilweise verfehlt würde.380 Bei der teleologischen Extension soll es
sich nicht mehr um Auslegung, sondern um Rechtsfortbildung handeln. Diese
Rechtsfortbildung soll dazu dienen, den Zweck und Grundgedanken des
Gesetzes besser zu verwirklichen, wobei das extensiv interpretierte Gesetz nur
als Vorbild herangezogen wird. Von einer solchen Rechtsfortbildung könnte man
indes einfach Abstand nehmen, da eine vollständige wenn auch nicht in jeder
Hinsicht zweckgerechte Regelung bereits vorliegt. Im Unterschied dazu muss
eine echte Regelungslücke beseitigt werden, um die Anwendbarkeit des
Gesetzes auf alle Einzelfälle sicherzustellen. Es ist allerdings oftmals schwierig,
die Frage zu entscheiden, ob überhaupt eine echte Regelungslücke als
Voraussetzung für eine Analogie vorliegt.381
378
Palandt – Heinrichs, Einleitung Rn 40.
379
Huber, JZ 2003, 1, 14.
380
Larenz Methodenlehre, S. 216 ff; Pawlowski Methodenlehre, Rn 453, 497 ff.
381
Huber, JZ 2003, 1, 10 f.
- 140 Bei der teleologischen Extension muss bedacht werden, dass durchaus auch die
im Gesetz verankerte Grenze seines Regelungsbereichs den Zweck haben
kann, der Verfolgung des eigentlichen Gesetzeszweckse eine Schranke zu
ziehen. Das gilt jedenfalls insoweit, wie sich auch für die Begrenzung des
Grundgedankens der Norm Sachgründe finden lassen, die in keinem
Wertungswiderspruch zum Hauptanliegen der Regelung stehen. Berücksichtigt
man auch solche gegenteleologischen Gesichtspunkte, so kommt meist auch
die teleologische Extension nicht ohne eine wertende Interessenabwägung
aus.382
Vorliegend deutet nichts auf eine echte Regelungslücke. Gekündigte und bereits
beendete Arbeitsverhältnisse bedürfen nicht zwingend einer besonderen
Behandlung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang. Es fehlt der
Regelung des § 613a BGB jedenfalls äußerlich nicht an Vollständigkeit, wenn
ein
zunächst
unvorhergesehener
Betriebsübergang
diese
Tatbestände
unberührt lässt.
Der Wortlaut des § 613a I 1 BGB erfasst gekündigte Arbeitsverhältnisse nur als
solche und bereits beendete überhaupt nicht. Ob es sich dabei um eine
verdeckte Regelungslücke handelt oder um eine gewollte Begrenzung des
Wirkungsbereichs der Norm, kann nur im Hinblick auf die Schutzrichtung und
den Normzweck des § 613a BGB bestimmt werden.
Der Normzweck des § 613a BGB besteht darin, den Bestand der
Arbeitsverhältnisse unabhängig vom Übergang des Betriebs(teils) an das
Erhaltenbleiben der Arbeitsplätze zu koppeln.383 Das Kündigungsverbot des §
613a IV 1 BGB lässt sich demnach positiv gewendet so verstehen, dass das
Erhaltenbleiben
des
Arbeitsplatzes
auch
den
Fortbestand
des
Arbeitsverhältnisses des auf ihm vor dem Betriebsübergang beschäftigten
382
383
Herzberg, NJW 1990, 2525, 2526.
So im Anschluss an Langenbucher, ZfA 1999, 299, 306 ff: Oetker, ZIP 2000, 643, 650; Fischer,
DB 2001, 331, 332; Kittner/Däubler/Zwanziger - Zwanziger, § 613a BGB Rn 127.
- 141 Arbeitnehmers zur Folge haben muss.384 Wurde ein Arbeitsverhältnis wirksam
gekündigt, so steht dem auf diesem Arbeitsplatz beschäftigten Arbeitnehmer ein
Wiedereinstellungsanspruch
ursprünglichen
Prognose
zu,
wenn
unerwartet
der
Arbeitsplatz
erhalten
bleibt
entgegen
und
damit
der
der
Kündigungsgrund nachträglich entfällt. Keine Rolle spielt dagegen, ob der
Betriebsübergang vor oder nach dem Ablauf der Kündigungsfrist stattfindet.
Im Normalfall des § 613a BGB übernimmt der Erwerber einen funktionsfähigen
Betrieb ohne gleichsam neue Organisationsentscheidungen mit dem Ergebnis
des Wegfalls von Arbeitsplätzen zu treffen. § 613a I BGB verpflichtet ihn dann,
in sämtliche Arbeitsverhältnisse einzutreten, die diesem Betrieb zuzuordnen
sind. Den besonderen Fall einer zuvor geplanten Betriebsstillegung, die der
Veräußerer bereits teilweise verwirklicht hat, hat das Gesetz jedoch nicht im
Blick gehabt. Die Funktion der Vorschrift wird daher konsequent zu Ende
gedacht, wenn der Erwerber verpflichtet wird, die übernommenen Arbeitsplätze
mit den auf ihnen zuvor beschäftigten Arbeitnehmern zu besetzen, um so die
vom Gesetz gewollte Kopplung von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis wieder
herzustellen. Langenbucher spricht insoweit zu Recht von einer teleologischen
Extension des § 613a BGB385, die über den Wortlaut hinaus die Verwirklichung
des gesetzlichen Leitbildes auch in einem atypischen Fall verwirklicht. Ob die
Arbeitnehmer, denen in Erwartung des Wegfalls ihrer Arbeitsplätze gekündigt
wurde, zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits entlassen waren, ist
dagegen unerheblich, da unabhängig vom Entlassungstermin die Zwecksetzung
des § 613a I 1 und IV 1 BGB noch erreicht werden kann.386 Während § 613a I 1
und IV 1 BGB in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich nur den Übergang
von Arbeitnehmern in ihrem derzeit bestehenden Status ermöglicht, erlaubt
seine teleologische Erweiterung, auch solche Arbeitnehmer zu schützen, die
384
So i. E. auch Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 100, die allerdings eine richtlinienkonforme
Auslegung bemühen wollen (mit hier abgelehnter Ausweitung auf andere Fallgestaltungen).
385
Siehe oben unter C.VI.3 „Schrifttum“ auf Seite 130.
386
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 317.
- 142 sich zum Zeitpunkt eines Betriebsübergangs in gekündigter Stellung befinden
oder deren Kündigungsfrist bereits vollständig abgelaufen ist, wenn deren
Arbeitsplätze infolge des Betriebsübergangs fortbestehen.387
Ein Unbehagen gegen die Ausformung des § 613a I 1 und IV 1 BGB als
Grundlage für einen Wiedereinstellungsanspruch könnte damit begründet
werden, dass – wie erörtert388 – § 613a IV 1 BGB im Anwendungsbereich des
KSchG – um den es hier gerade geht – keine eigenständige Funktion als
Kündigungsverbot zukommt. Müsste man nicht annehmen, dass eine Vorschrift,
die
im
Anwendungsbereich
des
Kündigungsschutzgesetzes
keine
(eigenständige) Funktion hat, dann auch nicht zur Begründung einer
Wiedereinstellungspflicht herangezogen werden kann? Ein Unterschied ergibt
sich aber daraus, dass die Wiedereinstellung dem Arbeitnehmer weniger Rechte
vermittelt als der unmittelbare Kündigungsschutz.389 Dass § 613a IV 1 BGB
keine eigenständige Kündigungsschutzregelung enthält, sagt für sich genommen
noch
nichts
über
die
Wiedereinstellungsanspruchs
Möglichkeit
als
ein
der
Weniger
Entstehung
gegenüber
eines
dem
Kündigungsschutz. Dem Kündigungsverbot bei Fehlen eines dringenden
betrieblichen Erfordernisses geht es um eine Missbrauchskontrolle bei
gleichzeitiger Garantie unternehmerischer Gestaltungsfreiheit. Dabei geht es
allein um die Kündigungsbefugnis zum Kündigungszeitpunkt. Demgegenüber
will § 613a IV 1 BGB das besondere soziale Bestandsinteresse am
Erhaltenbleiben
der
Arbeitsplätze
beim
Betriebsübergang
betonen.
Der
Vorschrift geht es um die Herstellung von Ergebnisgleichheit mit dem Fall, dass
der
Veräußerer
selbst
den
Betrieb
fortgeführt
hätte.
Der
Wiedereinstellungsanspruch als Anspruch auf begrenzte Beseitigung der
Kündigungsfolgen ist das Instrument, um diese Ergebnisgleichheit auch dann
387
388
389
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 326; so auch Raab, RdA 2000, 147, 159; Oetker, ZIP 2000,
643, 650; Kittner/Däubler/Zwanziger - Zwanziger, § 613a BGB Rn 127.
Siehe oben unter C.VI.1.b) „Verhältnis von § 613a IV 1 BGB und § 1 KSchG“ auf Seite 126.
Siehe oben unter B.I.2.c) „Praktische Auswirkungen gegenüber der Anerkennung eines
Wiedereinstellungsanspruchs“ auf Seite 22.
- 143 praktisch umzusetzen, wenn der prognosebedingte Kündigungsschutz sie
wegen der ihm immanenten Schwächen nicht ausreichend sicherstellen kann.
Der Wiedereinstellungsanspruch findet neben seiner allgemeinen Rechtfertigung
daher in § 613a IV 1 BGB eine besondere Stütze, wenn wider Erwarten
Arbeitsplätze im Zuge eines unerwarteten Betriebsübergangs nicht wegfallen,
sondern erhalten bleiben. § 613a IV 1 BGB enthält damit nicht nur ein
Kündigungsverbot, sondern seiner Schutzrichtung entsprechend auch ein
Wiedereinstellungsgebot. Kann der Sachverhalt des Betriebsübergangs vom
Kündigungsverbot rechtstechnisch nicht mehr erfasst werden, ist aber der
Schutzzweckzusammenhang
gegeben,
weil
der
Arbeitsplatz
beim
Betriebserwerber noch vorhanden ist, so tritt eine Wiedereinstellungspflicht an
die Stelle des Kündigungsverbots.
§ 613a I 1 und IV 1 BGB kann deshalb ergänzend in die dogmatische Herleitung
des Wiedereinstellungsanspruchs einbezogen werden.
(2) Keine Anwendbarkeit bei bloß anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeit
Der auf den Erhalt von Arbeitsplätzen begrenzte Schutzzweck des § 613a BGB
macht deutlich, dass sich hieraus keine Antwort auf die Frage nach einer
Wiedereinstellung gewinnen lässt, wenn zwar der Arbeitsplatz wie zunächst
prognostiziert
wegfällt,
sich
aber
unerwartet
eine
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit ergibt, was ebenfalls zu einer Widerlegung der
kündigungsbegründenden Prognose führt. Oetker spricht insoweit von einem
dem § 613a BGB immanenten Defizit.390 § 613a I und IV BGB enthält auch in
teleologischer Auslegung für diesen Fall keine positive Aussage. Sein
Anwendungsbereich beschränkt sich wie dargelegt auf die Wahrung der Identität
von Arbeitsplatz und damit verbundenem Arbeitsverhältnis. Jenseits dessen liegt
390
Oetker, ZIP 2000, 643, 650.
- 144 der Fall, dass unerwartet ein anderer funktional gleichwertiger Arbeitsplatz
erhalten bleibt oder neu entsteht.
Allerdings lässt sich § 613a I, IV BGB die negative Aussage entnehmen, dass
sich die Betriebsveräußerung als solche und damit auch der Wechsel in der
Inhaberschaft
anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten
auf
den
Betriebserwerber kündigungsschutzrechtlich neutral verhält. Einem denkbaren
Wiedereinstellungsanspruch auf einen anderen Arbeitsplatz, der unabhängig
von einer Sonderverbindung gegen den Veräußerer begründet wäre, dürfte
damit auch die Betriebsveräußerung nicht entgegenstehen. Demnach verbietet
es sich auch nicht, hinsichtlich anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten eine
Wiedereinstellungspflicht nach allgemein Regeln anzuerkennen, zumal es sich
auch
im
Betriebsübergangsrecht
um
einen
Unterfall
des
Wiedereinstellungsanspruchs handelt.
VII. Ansätze aus dem Bereich der
Druckkündigung
Verdachts- und
1. Verdachtskündigung
a) Grundlagen der Kündigungsbefugnis
(1) Voraussetzungen der Verdachtskündigung
Nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung, sondern bereits der Verdacht, eine
strafbare
Handlung
oder
eine sonstige
schwere
Nebenpflichtverletzung
begangen zu haben, kann nach der st. Rspr.391 und der herrschenden Ansicht
in der Lit.392 ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein,
391
392
BAG (2 AZR 164/94), DB 1995, 534, 534 f = SAE 1996, 52, 52; BAG (2 AZR 799/93), SAE
1996, 49, 49; LAG Berlin (9 Sa 116/95), ZTR 1996, 329, 329.
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 754; Appel/Gerken, AuR 1995, 201, 203; Bengelsdorf, AuA 1995,
196, 196; Busch, MDR 1995, 217, 217 ff; Belling, RdA 1996, 223, 225; Lücke, BB 1997, 1842,
- 145 wenn der Verdacht das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige
Vertrauen in die Rechtschaffenheit des Arbeitnehmers zerstört oder in anderer
Hinsicht eine unerträgliche Belastung des Arbeitsverhältnisses darstellt.
Der wegen begangener Tat aufgrund unsicherer Beweislage kündigende
Arbeitgeber kann sich auch noch spätestens im Kündigungsschutzprozess
zumindest hilfsweise darauf berufen, dass er die Kündigung notfalls auch wegen
des verbleibenden dringenden Tatverdachts aufrecht erhalten will. Ist der
Tatvorwurf selbst nicht begründet, so hat das Arbeitsgericht dann weiter zu
prüfen, ob die Kündigung deswegen gerechtfertigt ist, weil bereits die den
Verdacht begründenden und erwiesenen Tatsachen ausreichen, um das
Vertrauen in die Redlichkeit bzw. Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers zu
zerstören.393
An die Voraussetzungen einer Kündigung wegen des Verdachts einer strafbaren
Handlung werden strenge Anforderungen gestellt, um die Gefahr, dass einem
Unschuldigen gekündigt wird, in hinnehmbaren Grenzen zu halten. Der Verdacht
muss daher objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet sein.394 Der
Verdacht muss dringend sein, d.h. eine Prüfung muss ergeben, dass der
verdächtigte Arbeitnehmer mit großer Wahrscheinlichkeit die Tat begangen hat.
Dabei ist u.a. von Bedeutung, ob der Verdächtige durch schuldhaftes Verhalten
erhebliche Gründe für den Verdacht gegeben und sich nicht um die Aufklärung
der ihm zur Last gelegten Tat bemüht hat. Der Arbeitgeber muss darüber hinaus
alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben, wozu auch
die Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers gehört.395 Die strafbare
Handlung, auf die sich der Verdacht bezieht, muss auch selbst schwer sein. Das
BAG hat ausdrücklich in seiner Entscheidung vom 26. Februar 1987396 betont,
1845; Zwanziger, BB 1997, 42, 44 f; Ricken, NZA 1998, 460, 464; Dütz, Rn 333; KR –
Hillebrecht, § 626 BGB Rn 166 f, Rn 181 f; Schaub, S. 1015; Brox/Rüthers ArbR, Rn 51.
393
Busch, MDR 1995, 217, 221.
394
Bengelsdorf, AuA 1995, 196, 197.
395
396
BAG (2 AZR 283/86), NZA 1987, 699, 700; LAG Rheinl.-Pfalz, NZA 1987, 561, 561;
Bengelsdorf, AuA 1995, 196, 197; Ring ArbR, Rn 385.
BAG (2 AZR 170/86), RzK I 8c Nr. 13.
- 146 dass schwer wiegend nicht nur der Verdacht, sondern auch die strafbare
Handlung bzw. die
Pflichtverletzung sein müsse, deren der Arbeitnehmer
verdächtigt wird.397
(2) Kündigungsanforderung: Verdacht der Tatbegehung
Anders als bei den übrigen verhaltensbedingten Kündigungsgründen kommt es
nicht auf den objektiven Kündigungssachverhalt an, sondern auf den durch
sorgfältige Ermittlungen gewonnenen subjektiven Wissenstand des Arbeitgebers
zum Zeitpunkt der Kündigung398, dessen tatsächliche Umstände dieser wie bei
den anderen Kündigungsgründen auch im Prozess mit beweiskräftiger
Plausibilität darzulegen hat, da nur objektive Tatsachen den Verdacht
begründen und die Vertrauenskrise auslösen können.399 Ist trotz aller
zumutbaren Aufklärungsbemühungen keine Gewissheit darüber zu erzielen, ob
der verdächtige Arbeitnehmer die Tat begangen hat, so verzichtet man auf einen
wirklichen
Kündigungsgrund.
Die
Unsicherheit
über
die
tatsächlichen
Voraussetzungen eines Kündigungsgrundes wird selbst zum Kündigungsgrund
erhoben. Darin liegt die Besonderheit der Verdachtskündigung.400 Ihre äußere
Rechtfertigung erlangt die Verdachtskündigung durch den bloßen Verdacht der
Tatbegehung selbst. Ihre Problematik liegt in der Nichtaufklärbarkeit des
Tatvorwurfs im Zeitpunkt der Kündigung.
(3) Kündigungsrechtfertigung: verdachtsbedingter
Vertrauenswegfall
Eine andere Frage ist aber, worin letztlich der eigentliche Kündigungsgrund zu
sehen ist. Das BAG äußert sich hierzu nicht klar. Teilweise wird auf den
Verdacht im Sinne der objektiv zum Kündigungszeitpunkt vorliegenden
397
Busch, MDR 1995, 217, 217; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 210 ff.
398
Joachim, AuR 1964, 38; Grunsky, ZfA 1977, 170-171; Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 113.
399
BAG (2 AZR 587/94), NZA 1996, 81, 82 f; Boewer, NZA 1999, 1121, 1123.
400
Zwanziger, BB 1997, 42, 45.
- 147 Verdachtsmomente abgestellt401, teilweise auch auf den Fortfall des für die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauens, oft werden
beide Aspekte nebeneinander gestellt.402
Die außerordentliche Kündigungsbefugnis setzt gemäß § 626 I BGB voraus,
dass
Tatsachen
vorliegen,
aufgrund
derer
dem
Kündigenden
unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht
einmal mehr bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Der
auf objektiven Umständen beruhende Verdacht ist ein Minus zur Gewissheit der
Tatbegehung. Die Verdachtskündigung ist demnach eine Tatkündigung mit
verminderten Anforderungen an die Überzeugung des Gerichts von der
Tatbegehung.403 Vor diesem Hintergrund wird die Verdachtskündigung als
Ausnahmefall innerhalb des Kündigungsschutzrechts begriffen.404
Belling405 bestreitet eine solche Sonderrolle der Verdachtskündigung mit dem
Hinweis, nicht der Verdacht selbst, sondern allein der verdachtsbedingte
Vertrauenswegfall auf Arbeitgeberseite mache den Kündigungsgrund aus. Um
nichts anderes gehe es auch bei der Tatkündigung. Nicht die objektive
Tatbegehung,
sondern
der
mit
ihr
typischerweise
einhergehende
Vertrauensverlust sei der wahre Kündigungsgrund. Die objektive Tatbegehung
rechtfertige den zwangsläufigen Schluss auf den subjektiven Vertrauenswegfall.
Diese Automatik habe letztlich die Funktion einer Beweiserleichterung in Gestalt
einer auf Erfahrung beruhenden Vermutung.
401
402
Nach der hier vertretenen Auffassung kommt es wie erörtert auf diese objektiv vorliegenden
Verdachtsmomente nur insoweit an, wie sie dem Arbeitgeber zum Kündigungszeitpunkt bereits
bekannt waren, siehe oben unter B.II.3.c) „Stellungnahme“ auf Seite 68.
Siehe nur BAG (2 AZR 164/94), AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA
1995, 269, 269; BAG (2 AZR 587/94), NZA 1996, 81, 83 f.
403
Belling, RdA 1996, 223, 224.
404
Gentges Diss., S. 259, 261.
405
Belling, RdA 1996, 223, 224 ff.
- 148 -
(4) Inhalt des Prognoseprinzips bei der Verdachtskündigung
Zumindest oberflächlich betrachtet ist der Wiedereinstellungsanspruch nach
Verdachtskündigung eines später rehabilitierten Arbeitnehmers eine Fallgruppe
des
auf
der
Widerlegung
einer
Prognse
beruhenden
Wiedereinstellungsanspruchs. Es geht hier ebenfalls darum, dass ein objektiv
gegebener Kündigungsgrund – wenn man den bloßen durch objektive
Tatsachen belegten Verdacht mit der ganz h.M. als solchen ausreichen lässt –
im Verlauf der weiteren Entwicklung entfällt.
Problematisch ist jedoch, ob das spätere Entfallen des Kündigungsgrundes, also
die Verdachtsentkräftung bzw. Rehabilitierung des Arbeitnehmers, auch hier auf
der Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose beruht und mit ihr
zusammenfällt. Andernfalls läge hier ein Sonderfall vor.
Diese Frage lässt sich nur mit Blick auf den Inhalt der kündigungsbegründenden
Prognose bei der Verdachtskündigung beantworten.
(a) Prognose über den späteren Tatnachweis gegen den in
Verdacht geratenenen Arbeitnehmer?
Verschiedene in der Lit.406 vertretene Auffassungen nehmen an, dass sich die
vom Arbeitgeber anzustellende Prognose auf den späteren Nachweis der
Tatbegehung durch den Arbeitnehmer bezieht.
Verdachtskündigung
und
betriebsbedingte
Kündigung
gehörten
in
eine
gemeinsame Gruppe. Auch bei der betriebsbedingten Kündigung gehe es
darum, dass der Arbeitgeber aufgrund der Prognose des zukünftigen Wegfalls
der Beschäftigungsmöglichkeit so rechtzeitig kündigen dürfe, dass er die
Kündigungsfrist bis zum Wegfall dieser Beschäftigungsmöglichkeit einhalten
kann
406
und
damit
den
ansonsten
nach
§
615
BGB
zu
zahlenden
Schütte, NZA 1991, Beil. 2, 17, 21; Weber, SAE 1996, 57, 60; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575,
577; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 626 BGB Rn 230; Gentges Diss., S. 59, 217 ff, 250 ff.
- 149 Annahmeverzugslohn einspart. Verdachts- und betriebsbedingte Kündigung
haben demnach gemein, dass der Arbeitgeber aufgrund einer Prognose
vorzeitig kündigt, obwohl er auch die Sachverhaltsaufklärung bzw. den
tatsächlichen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit abwarten könnte. Insoweit
wird teilweise von einer Veränderungsprognose gesprochen, weil die zukünftige
Veränderung
der
Tatsachen
Gegenstand
der
Prognose
und
alleiniger
Kündigungsgrund sei.407 Bei der Verdachtskündigung brauche der Arbeitgeber
nicht abzuwarten, bis sich der Verdacht bestätige, sondern er dürfe bereits
aufgrund
eines
Kündigungsgrund
dahingehenden
sei
der
Wahrscheinlichkeitsurteils
Verdacht
im
Sinne
der
kündigen.
prognostizierten
Tatbegehung.408
(b) Prognose über die Wiederholungsgefahr?
Denkbar erscheint es auch, die Prognose auf die Gefahr einer Wiederholung
des Fehlverhaltens zu beziehen. Darf der Arbeitgeber den in Verdacht
geratenenen
Arbeitnehmer
mangels
besserer
Erkenntnisse
im
Kündigungszeitpunkt praktisch für den Täter halten, so spricht er eine im Kern
verhaltensbedingte
Kündigung
verhaltensbedingten
ankommt,
ist
indes
aus.
Kündigung
unklar.
auf
Das
Ob
die
es
bei
dem
Grundfall
Wiederholungsgefahr
müsste
dann
einmal mehr
der
überhaupt
für die
Verdachtskündigung gelten, weil einerseits der Verdacht eben bloß ein Verdacht
ist und andererseits die vorgeworfene Tat meist so schwerwiegend sein wird,
dass bereits das einmalige Fehlverhalten die Vertrauensgrundlage für eine
weitere Zusammenarbeit der Vertragspartner zerstört.
407
408
Gentges Diss., S. 59, 217 ff; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 577.
Schütte, NZA 1991, Beil. 2, 17, 21; Gentges Diss., S. 250 ff; Weber, SAE 1996, 57, 60;
Kittner/Däubler/Zwanziger, § 626 BGB Rn 230.
- 150 (c) Prognose über die Haltbarkeit der wesentlichen
Verdachtsmomente?
Weiterer möglicher Anknüpfungspunkt für das Prognoseprinzip bei der
Verdachtskündigung ist das Bestehenbleiben der im Kündigungszeitpunkt vom
Arbeitgeber sorgfältig ermittelten wesentlichen Verdachtsmomente. Dabei wird
nicht auch gleichzeitig die Tatbegehung prongostiziert. Stellt man wie erörtert
den durch den Verdacht selbst bedingten Vertrauensfortfall in den Mittelpunkt,
dann darf der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt aufgrund der eigenen
sorgfältigen
Ermittlungen
davon
ausgehen,
dass
die
wesentlichen
Verdachtsmomente Bestand haben werden. Entfallen die Verdachtsmomente
später aber aufgrund weiterer (für die Kündigungswirksamkeit unbeachtlicher)
Erkenntnisse, so wird diese Prognose widerlegt. Die Vertrauensgrundlage ist
wieder hergestellt, eine weitere Zusammenarbeit erscheint trotz Wirksamkeit der
Verdachtskündigung möglich.
(d) Stellungnahme
Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der
Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund
dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist.
Würde man dem Arbeitgeber für die Verdachtskündigung eine Prognose über
den zukünftigen Tatnachweis abverlangen, so würde die Tatbegehung indirekt
selbst zum Kündigungsgrund. Nicht der bloße Verdacht und der schon mit ihm
verbundene Vertrauenswegfall würde dann die Kündigung tragen, sondern nur
die Erwartung, dass sich in Zukunft ein Tatkündigungsgrund herausstellt.
Im Übrigen folgt das Prognoseprinzip aus den kündigungsschutzrechtlichen
Bestimmungen selbst. Bei der Verdachtskündigung handelt es sich lediglich um
einen Unterfall der verhaltensbedingten Kündigung. Der verhaltensbedingte
Kündigungsgrund unterfällt aber dem Prognoseprinzip in der Weise, dass eine
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber unzumutbar sein würde.
So braucht der Vorwurf eines schweren vertragswidrigen Verhaltens vom
Arbeitgeber
nicht
bewiesen
zu
werden,
sofern
jedenfalls
das
Vertrauensverhältnis bereits durch den Verdacht als solchen in der Weise
gestört ist, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber
letztlich unzumutbar geworden ist. Das Prognoseelement kann bei der
- 151 Verdachtskündigung also nicht anders als bei den anderen Kündigungsgründen
bestimmt werden. Es geht auch hier darum, dass die Kündigungsbefugnis aus §
1
II
1
und
2
KSchG
an
das
Fehlen
einer
zumutbaren
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bzw. im Falle der entfristeten Kündigung aus
wichtigem Grund gemäß § 626 I BGB an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geknüpft
ist.
Die Kündigungsbefugnis bei der Verdachtskündigung setzt auch nicht voraus,
dass die Verdachtsmomente einem Wahrheitsbeweis zugänglich sein werden.
Es geht hier gerade auch um die häufigen Fällen, in denen ein Tatnachweis
endgültig nicht gelingen kann. Die Prognose eines späteren Tatnachweises
wäre daher oft schon gar nicht möglich.
Der verdachtsbedingte Verlust der Vertrauenswürdigkeit verlangt eine große
Wahrscheinlichkeit dafür, dass der gekündigte Arbeitnehmer eine Straftat oder
entsprechende Pflichtverletzung begangen hat. Der Verdacht muss mithin nicht
nur möglich, sondern dringend und schwer wiegend sein.409 Darauf, ob später
der Tatnachweis gelingt und daher auch eine Tatkündigung sich als
rechtsbeständig erwiesen hätte, kann es nicht ankommen. Die Gegenauffassung
verwischt die Grenzen von Verdachts- und Tatkündigung.410 Hier gilt also, was
bereits
gegen
das
Nachschieben
von
Belastungsumständen
im
Kündigungsschutzprozess festzustellen war.
Auch die Rspr. geht daher zutreffend davon aus, dass sich die Prognose bei der
Verdachtskündigung auf die Unzumutbarkeit einer Vertragsfortsetzung für den
Arbeitgeber bezieht411 und nicht auf einen späteren Tatnachweis.
409
LAG Hamburg (4 Sa 18/98), n.v., nachgehend BAG (2 AZR 454/99), RzK I 8c Nr. 54.
410
So i.E. auch Belling, RdA 1996, 223, 226; Zwanziger, BB 1997, 42, 44 f.
411
LAG Hamburg (4 Sa 38/97), NZA-RR 1999, 469, 470.
- 152 Da die Verdachtsmomente selbst bereits das notwendige Vertrauen zerstört
haben, kann es auch auf eine Wiederholungsgefahr nicht ankommen, selbst
wenn man das für die verhaltensbedingte Kündigung im allgemeinen bejahen
sollte.
Gegenstand der Prognose ist daher allein der zukünftige Fortbestand der
wesentlichen kündigungsbegründenden Verdachtsmomente. Diese Prognose ist
stimmig und rechtfertigt die Kündigung, wenn der Arbeitgeber die strengen
Anforderungen an seine Aufklärungsarbeit erfüllt hat. Wird er trotzdem später
eines Besseren belehrt, stellt sich die Wiedereinstellungsfrage. Erkennt man den
Wiedereinstellungsanspruch an, so beruht er ebenfalls auf der Widerlegung der
kündigungsbegründenden Prognose.
b) Dogmatische Begründungsansätze für den
Wiedereinstellungsanspruch
Die Besonderheiten der Verdachtskündigung, die die Rspr. seit jeher dazu
veranlasst haben, Wiedereinstellungsansprüche anzuerkennen, haben zu
eigenständigen Überlegungen auf der Suche nach einer dogmatischen
Begründung geführt. Die wichtigsten Ansätze werden im Folgenden dargestellt.
(1) Nachwirkende Fürsorgepflicht
Die Rehabilitierung eines schuldlos in Verdacht geratenen Arbeitnehmers mit
Hilfe seiner Wiedereinstellung wird von der Rspr. vor allem aus einer den
Arbeitgeber treffenden nachwirkenden Fürsorgepflicht abgeleitet.412 Dass hier
allein auf die Nachwirkung der Fürsorgepflicht abgestellt wird, erklärt sich aus
dem nach Auffassung der Rspr. zulässigen – hier abgelehnten – Nachschieben
erst
im
Kündigungsschutzprozess
gewonnener
Erkenntnisse
über
die
Tatbegehung, weshalb es bei der Wiedereinstellungsproblematik dann nur noch
412
BAG (3 AZR 329/76), AP Nr. 1 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch; BAG (2 AZR 24/83), NZA
1984, 226, 227; LAG Frankfurt (2 Sa1274/92), LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung
Nr 4 = BB 1994, 1150, 1150.
- 153 um solche Umstände geht, die nach Abschluss des Kündigungsschutzprozesses
bekannt geworden sind und deshalb auch nach Auffassung der Rspr. die
Wirksamkeit der Kündigung nicht mehr berühren. Bei der außerordentlichen
Verdachtskündigung fehlt es im Übrigen schon an einer Kündigungsfrist,
weshalb ausschließlich Nachwirkungen der Fürsorgepflicht in Betracht kommen.
Entscheidend für diese Rspr. ist der Umstand, dass der Arbeitgeber ein
besonderes Kündigungsrecht für sich beansprucht, dessen Voraussetzungen
später entfallen. Anstatt die Aufklärung des Verdachts abzuwarten und dann
gegebenenfalls eine Kündigung wegen erwiesener Straftat vorzunehmen,
kündigt er allein aufgrund des bloßen Verdachts und weist damit das Risiko der
Unaufklärbarkeit dem Arbeitnehmer zu. Als Ausgleich soll dem Arbeitnehmer
eine Rückkehr auf den verlorenen Arbeitsplatz zugebilligt werden, unabhängig
davon, ob der Arbeitgeber einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat oder
nicht. Die Lit. ist dem teilweise gefolgt.413
Nach der hier vertretenen Auffassung, die Wirksamkeit der Verdachtskündigung
allein nach den zum Kündigungszeitpunkt bekannten Umständen zu beurteilen,
stellt sich das Wiedereinstellungsproblem u.U. bereits im noch bestehenden
Arbeitsverhältnis, also vor Ablauf der Kündigungsfrist, weshalb hier sowohl die
Fürsorgepflicht als auch deren Nachwirkungen als Anspruchsgrundlage in
Betracht kämen.
Im Wege der Nachwirkung kann eine aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
resultierende Wiedereinstellungsverpflichtung indes nur begründet werden,
wenn sie schon während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu bejahen war.
Wenn der Arbeitgeber im noch bestehenden Arbeitsverhältnis aus dem
Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nicht zur Wiedereinstellung verpflichtet ist,
dann kann nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nichts anderes gelten.
Die vorangestellten allgemeinen Einwände gegen die Heranziehung der
413
vom Stein Diss., S. 98 ff; Hueck/v.Hoyningne-Huene KSchG, § 1 Rn 266; Dütz ArbR, Rn 100.
- 154 Fürsorgepflicht treffen indes auch auf den Fall der letztlich unberechtigten
Verdachtskündigung zu. So kann die Verletzung einer Nebenpflicht auch hier
aus prinzipiellen Gründen keinen Anspruch auf die Neubegründung der
Hauptpflichten erklären. Zudem müsste man im Regelfall der außerordentlichen
Verdachtskündigung eine derart weitreichende Nebenpflicht dort behaupten, wo
ein Schuldverhältnis schon gar nicht mehr besteht.
(2) Sittenwidrigkeit der Nichtwiedereinstellung - §§ 826, 249
S. 1 BGB
Im
Zusammenhang
mit
der
Ausräumung
des
Verdachts
Verdachtskündigung wird die Auffassung vertreten, dass
bei
einer
dann, wenn der
Arbeitsplatz noch frei ist, die Nichtwiedereinstellung des Arbeitnehmers
sittenwidrig sei und damit aus § 826 BGB i.V.m. § 249 S. 1 BGB ein
Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers begründet werden könne.414
Die Annahme eines vertraglichen oder deliktischen Schadensersatzanspruchs,
der
nach
§
249
S.
1
BGB
im Wege
der
Naturalrestitution
Wiedereinstellungsanspruch begründet, ist grundsätzlich möglich.415
einen
Die
entscheidende Frage liegt aber darin, ob die Wiedereinstellung eines
Arbeitnehmers nach Verdachtsentkräftung einem sittlichen Gebot entspricht. Ein
sittliches Gebot setzt allgemeine, ethisch fundierte Verhaltensnormen voraus.416
Gegen die Annahme eines solchen sittlichen Gebotes spricht aber, dass die
Kündigung wirksam war und daher der Status Quo der Rechtsordnung
entspricht. Ein bloßes Verharren in dieser Rechtsposition stellt keinen Verstoß
gegen ethische Verhaltensnormen dar.417 Nun kann man hier ebenfalls mit der
dem Arbeitgeber eingeräumten überschießenden Rechtsmacht argumentieren.
Stellt sich die Unbegründetheit des Verdachts heraus, so könnte man das
414
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 474.
415
Hueck FS Hedemann, S. 136 f m.w.N.
416
Sack, NJW 1985, 761, 765 m.w.N.
417
vom Stein, RdA 1991, 85, 93.
- 155 korrekturlose Verharren in der eingetretenen Rechtslage als ein illoyales
Verhalten ansehen. Entsteht mit der Entkräftung des Verdachts eine Situation,
die bei der Verdachtskündigung zwar gedanklich ohne weiteres auftreten kann,
die aber nicht dem Leitbild der Kündigungsbefugnis entspricht, so kann sich
hieraus möglicherweise ein sittliches Gebot entwickeln. Die Annahme eines
Wiedereinstellungsgebots verträgt sich aber nicht mit der Annahme eines ohne
weiteres bestehenden Wiedereinstellungsanspruchs als Rechtsfolge eines
sittenwidrigen Verhaltens. Hierfür wäre zunächst die Verletzung des Gebots
notwendig,
Anwendung
also
des
die
§
Ablehnung
826
BGB
des
Wiedereinstellungsverlangens.
setzt
damit
die
Verletzung
Die
eines
Kontrahierungszwanges voraus, begründet aber nicht dessen Bestehen.
(3) Aufopferungsanspruch - § 904 S. 2 BGB entspr.
Zwanziger418 verweist auch auf den Aufopferungsgedanken. Muss ein
Unbeteiligter wegen höherrangiger privatrechtlicher Interessen Anderer Eingriffe
in höchstpersönliche Rechtsgüter hinnehmen und erleidet er einen Schaden, so
muss der Begünstigte Ersatz leisten. Dieser allgemeine Rechtsgedanke lasse
sich aus § 904 S. 2 BGB herleiten und betreffe auch den Arbeitsplatz, der zwar
nicht als absolutes Recht anerkannt, aber durch das KSchG gegenüber dem
Arbeitgeber besonders geschützt sei.
Müsse der Arbeitnehmer aufgrund eines unzutreffenden Vorwurfs auf seinen
Arbeitsplatz
verzichten,
so
rechtfertige
dies
die
Gewährung
eines
Aufopferungsanspruchs, der auf Wiedereinstellung gerichtet sei.
Der so verstandene Aufopferungsgedanke müsste folgerichtig auch auf andere
Fallgestaltungen des Wegfalls des Kündigungsgrundes anwendbar sein, denn
nicht nur im Fall des letztlich haltlosen Verdachtskündigungsgrundes muss sich
der Arbeitnehmer wegen anderer privatrechtlicher Interessen einen Eingriff in
418
Zwanziger, BB 1997, 42, 45.
- 156 sein
„Recht
am
Arbeitsplatz“
gefallen
lassen.
Der
dabei
eintretende
Rechtsverlust ist jedoch ein ganz anderer als der, den § 904 BGB beschreibt. §
904 BGB schützt allein absolute Rechtsgüter, die gegen jedermann verteidigt
werden können. Muss ein Unbeteiligter ausnahmsweise einen Eingriff in eines
seiner
Rechtsgüter
hinnehmen,
verschuldensunabhängiger
so
wird
dem
Eingreifenden419
Schadensersatzanspruch
auferlegt.
ein
Auf
obligatorische Rechtspositionen wie die des Arbeitnehmers ist die Vorschrift
nicht übertragbar. Die Stellung des Vertragspartners besteht von vornherein nur
in dem Umfang, wie sie Vertrag und Gesetz gewähren. Interessenkollisionen
kann nicht durch eine quasi-Verdinglichung der Rechtsposition des einen
Vertragspartners abgeholfen werden, ohne die Rechtsstellung des anderen zu
unterlaufen. § 904 S. 2 BGB ist damit als Anspruchsgrundlage ungeeignet.
(4) Rechtsmissbrauch bei Nichtachtung des
Rehabilitationsinteresses
Auch der Gedanke der Wiedergutmachung und Rehabilitation wird zur
Begründung der Wiedereinstellungspflicht angeführt.420 Die Nichtbeachtung
eines Rehabilitationsinteresses durch Verweigerung einer Wiedereinstellung
kann demnach als rechtsmissbräuchlich verstanden werden.
Der unberechtigterweise in den Verdacht einer schweren Verfehlung geratene
Arbeitnehmer
hat tatsächlich zu keinem Zeitpunkt eine Vertragsverletzung
begangen und dennoch seinen Arbeitsplatz verloren. Ein solcher unschuldiger
Arbeitnehmer, der selbst die Unbegründetheit des Verdachts genau kennt,
könne
berechtigterweise darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber
nach
Entkräftung des Verdachts die aus seiner zutreffenden Sicht unberechtigte
Kündigung revidiert und ihn so rehabilitiert. Auch sei ein solches Vertrauen in die
Wiedereinstellung vom Arbeitgeber zurechenbar hervorgerufen: Durch die
419
420
MünchKomm – Säcker, § 905 BGB Rn 18.
Langer, NZA 1991, Beil. 3, 23, 27; Walker, SAE 1998, 103, 105; Ricken, NZA 1998, 460, 464;
Raab, RdA 2000, 147, 148; Zöllner/Loritz ArbR, § 16 II 2 c.
- 157 Inanspruchnahme des Kündigungsrechts wegen bloßen Verdachts bei unklarem
Sachverhalt
verzichte
er
bewusst
darauf,
dem
Arbeitnehmer
eine
Vertragsverletzung nachzuweisen und folgerichtig eine Sachverhaltsaufklärung
abzuwarten. Damit schaffe er erst die Möglichkeit, dass ein völlig unschuldiger
Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verliere und deshalb auf eine Rehabilitierung
angewiesen sei.
(5) Schutzwürdiges Vertrauen auf die Nichtausnutzung einer
überschiessenden Rechtsmacht
Schließlich
wird
auch
darauf
hingewiesen,
dass
die
Möglichkeit
der
Verdachtskündigung dem Arbeitgeber eine überschießende Rechtsmacht
einräumt.421 Der Arbeitgeber verlagert das Risiko der Unaufklärbarkeit auf den
Arbeitnehmer, weil er die Verdachtsbestätigung nicht abwarten mag (und ihm
dies auch nicht zumutbar ist). Damit könnte ein entsprechendes schutzwürdiges
Rehabilitationsinteresse des Arbeitnehmers verbunden sein. Der gegen den
Arbeitnehmer gerichtete Verdacht, einen schweren Vertragsbruch begangen zu
haben und die Wirksamkeit der damit begründeten Kündigung beeinträchtigt
seine Ehre und sein berufliches Fortkommen ebenso wie der Nachweis der
begangenen Tat. Diesen hat der Arbeitgeber jedoch nicht erbringen können. Mit
der Verdachtsentkräftung ist ein Tatnachweis gänzlich unmöglich geworden. Vor
diesem Hintergrund könnte es als illoyal angesehen werden, wenn der
Arbeitgeber eine Rehabilitierung schuldig bleibt. Wenn der Arbeitnehmer schon
hinnehmen
muss,
dass
ein
bloßer
Verdacht,
also
ein
naturgemäß
vorübergehender Zustand, ein wichtiger Grund zur Kündigung ist, dann könnte
auch ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründet sein, dass sein
Vertragspartner die diskriminierenden Folgewirkungen ausgleicht, soweit der
arbeitgeberseitige
Interessenvorrang,
Verdachtskündigungsbefugnis
eingeräumt
um
dessentwillen
wurde,
sich
ihm
nachträglich
die
als
unberechtigt herausstellt. Das Wiedereinstellungsvertrauen des Arbeitnehmers
421
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 474; Kaiser, ZfA 2000, 205, 225.
- 158 wäre dem Arbeitgeber somit berechtigterweise zurechenbar. Die Kündigung
aufgrund des bloßen Verdachts gibt den Interessen des Arbeitgebers auf Kosten
der Interessen des Arbeitnehmers den Vorzug. Diese Wertung kann demnach
nach Verdachtsentkräftung keinen Bestand mehr haben.
Eine solche Sichtweise würde jedoch zu der Schlussfolgerung zwingen, die
Ausübung der Sonderkündigungsbefugnis sei dem Arbeitgeber nicht möglich,
ohne gleichzeitig einen Vertrauenstatbestand mit dem Inhalt zu setzen, dass der
endgültige Verlust des Arbeitsplatzes an den Bestand der Verdachtsmomente
gebunden sein soll. Dabei handelt es sich streng genommen jedoch um eine
reine Fiktion. Man müsste dem Arbeitgeber konsequenterweise das Recht
einräumen, im Einzelfall keinen Vertrauenstatbestand zu schaffen, nämlich
durch
ausdrückliche
Erklärung
gegenüber
dem
Arbeitnehmer,
keine
Wiedereinstellung vornehmen zu wollen, wenn sich der Verdacht nicht
bestätigen sollte. Das ist aber nicht sachgerecht, weil die Pflicht zur
Rehabilitierung nicht in das Belieben des Arbeitgebers gestellt werden kann.
(6) Gedanke der Wiedergutmachung: Menschenwürde,
allgemeines Persönlichkeitsrecht, Sozialstaatsprinzip –
Artt. 1 I, 2 I, 20 I GG
Nach einem ähnlichen Ansatz lässt sich die Wiedereinstellungsverpflichtung des
Arbeitgebers auf verfassungsrechtliche Wertungen stützen.
Neben dem Sozialstaatsprinzip wird insbesondere die Menschendwürde,
jedenfalls
aber
herangezogen.
das
Der
allgemeine
Persönlichkeitsrecht des
Arbeitnehmer
werde
durch
Arbeitnehmers
eine
wirksame
Verdachtskündigung ebenso stigmatisiert wie durch eine Tatkündigung oder
eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung. Stelle sich im Nachhinein seine
Unschuld heraus, so habe er ein Recht auf Rehabilitierung. Da reiner Geldersatz
- 159 dem
kaum
genügen
könne,
müsse
dem
Arbeitnehmer
ein
Wiedereinstellungsanspruch zugestanden werden.422
Daneben wird auch vertreten, es sei ein zwingendes Gebot sozialstaatlicher
Erwägungen (Artt. 20 I, 28 I GG), dem unberechtigt wegen Verdachts einer
schweren
Verfehlung
Gekündigten
einen
Wiedereinstellungsanspruch
zuzubilligen. Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung müsse die
Sozialstaatsklausel noch hinter dem Prinzip der Rechtssicherheit zurückstehen.
Erweise sich der Verdacht aber als unbegründet, so kehre sich diese Rangfolge
um.423 Die Bedeutung der Sozialstaatsklausel für den Arbeitnehmer wird jedoch
vorwiegend so beschrieben, sie solle vor allem die existenziellen Bedürfnisse
des
Arbeitnehmers
angemessen
und
würdig
sichern.
Sie
sei
daher
Auslegungshilfe in Fragen des Lohnes, der Sicherung bei Krankheit,
Mutterschaft und Alter, des Schutzes vor Überbeanspruchung und vor leiblichen
und sittlichen Gefahren, kurz der Wahrung der Menschenwürde und Beseitigung
von Lebensangst und Not. Daher kommt ihr nur in sehr engen Grenzen eine
anspruchsbegründende Kraft zu, wenn der Gesetzgeber den aus ihr folgenden
Schutzauftrag nicht ausreichend wahrgenommen, mithin das Untermaßverbot
verletzt hat.424
(7) Kritische Würdigung der Wiedereinstellungspflicht
Auch gegen die Wiedereinstellungspflicht des Arbeitgebers nach wirksamer
Verdachtskündigung und Verdachtsentkräftung werden zum Teil, obwohl es sich
um die erste und am weitesten akzeptierte Fallgruppe handelt, prinzipielle
Einwände erhoben.
422
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 101 f.
423
Belling, RdA 1996, 223, 238.
424
Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 389 m.w.N.
- 160 Kaiser425 führt an, die Wiedereinstellungspflicht erscheine nur auf den ersten
Blick plausibel. Dass der Arbeitgeber einer Straftat verdächtigt werde, habe nicht
der
Arbeitgeber
Lebensrisiko,
zu
nicht
verantworten,
anders,
als
sondern
wenn
der
gehöre
zum
Arbeitnehmer
allgemeinen
Opfer
eines
Verkehrsunfalls oder eines Raubes und infolgedessen erwerbsunfähig werde.
Der Wiedereinstellungsanspruch lasse sich auch zeitlich und sachlich kaum
begrenzen, könne andererseits jedoch keineswegs unbeschränkt bestehen.
Die arbeitsrechtliche Verdachtskündigung sei dem Fall426 vergleichbar, dass
wegen des Verdachts der Gefährdung der Rückerstattung durch den
Darlehensnehmer das Darlehensversprechen nach § 490 BGB (§ 610 BGB
a.F.)427 außerordentlich gekündigt wird.428 Diesbetreffend habe der BGH
jedoch zutreffend entschieden, dass spätere Umstände, die die Gefährdung der
Rückerstattung
ausschließen,
die
endgültige
Darlehensverhältnisses nicht berühren.429 Auch
Auflösung
des
das aufgrund Widerrufs
erloschene Darlehensversprechen lebt nicht wieder auf, wenn der Verdacht der
Vermögensgefährdung wegfällt.430
§
490
BGB
regelt
indes
keinen
der
arbeitsrechtlichen
Wiedereinstellungsproblematik vergleichbaren Fall. Es handelt sich lediglich um
eine Zweifelsregel, die Vertragsauslegung geht vor. Zudem geht es auch nicht
um den bloßen Verdacht, sondern um den objektiven Tatbestand der
Verschlechterung der Vermögensverhältnisse und einer darauf beruhenden
Gefährdung der Rückerstattung des Anspruchs. Auch liegt die außerordentliche
425
Kaiser, ZfA 2000, 205, 228.
426
BGH (III ZR 297/88), NJW-RR 1990, 110, 111.
427
Neugefasst durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl.
2001 I 3138 ff) zum 01.01.2002.
428
Kaiser, ZfA 2000, 205, 229.
429
BGH (III ZR 213/84), WM 1985, 1493, 1493 (unter 2 b).
430
Staudinger – Hopt/Mühlberg, § 609 BGB Rn 112; MünchKomm – Westermann, § 610 BGB Rn
8.
- 161 Kündigung des ausbezahlten Darlehens auf einer anderen Ebene und enthält
keinen
allgemeinen
Rechtsgedanken,
den
man
auf
die
besondere
kündigungsschutzrechtliche Situation im Arbeitsrecht übertragen könnte.
Des
weiteren
wird
die
Befürchtung
geäußert,
eine
arbeitsrechtliche
Wiedereinstellungspflicht – auch wenn sie nur den Fall der Verdachtskündigung
betreffe – könnte zu weitergehenden Annahmen für die Beendigung anderer
Dauerschuldverhältnisse und damit zu einer schweren Gefährdung der
Rechtssicherheit führen. So sei die Argumentation geeignet, auch in anderen
Fällen des nachträglichen Wegfalls eines Kündigungsgrundes, z.B. der
Ausheilung einer Krankheit oder der Verbüßung einer Freiheitsstrafe, wegen der
gekündigt
worden sei, einen
Anspruch auf Erneuerung des früheren
Vertragsverhältnisses einzuräumen. Folgerichtig müsste dann auch bei
Auflösung einer Gesellschaft aus wichtigem Grund, etwa wegen des Verdachts
der unredlichen Geschäftsführung durch einen Gesellschafter (§ 133 I HGB), ein
Anspruch auf Wiedererrichtung der Gesellschaft bestehen.431
Gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zum entkräfteten Verdacht auf
Fallgestaltungen außerhalb des Kündigungsschutzrechts spricht aber, dass auf
besondere Problemlagen Rücksicht nehmende Ausnahmeregelungen allenfalls
durch den Rückgriff auf ein gemeinsames Prinzip auch in einem anderen
Rechtsgebiet Geltung beanspruchen könnten.
Zudem bestehen andere Kündigungsgründe wie Krankheit oder Freiheitsstrafe
im Zeitpunkt der Kündigung als Tatsachen und können daher erst im späteren
Verlauf (Ex nunc) entfallen. In den Entscheidungen des BGH und des BAG
dagegen liegt zur Zeit der Kündigung lediglich ein Verdacht vor, also die bloße
Annahme eines Sachverhalts. Die Rechtfertigung für die Wiedereinstellung liegt
nicht im späteren Fortfall unbestritten eingetretener Tatsachen, sondern in der
Falschheit der Annahme, der Entkräftung des Verdachts. Man könnte vielleicht
431
Molitor, SAE 1957, 5, 6 f; Hueck FS Hedemann, 131, 132.
- 162 einwenden, auch der Verdacht sei eine Tatsache, wenn auch nur eine
subjektive, und diese subjektive Tatsache habe eben damals die Kündigung
gerechtfertigt, weshalb die Kündigung wirksam ist und nicht durch eine
Wiedereinstellungspflicht
entwertet
werden
dürfe.
Es
bleibt
aber
der
Unterschied, dass in den einen Fällen die Kündigung auch bei vollständiger
Kenntnis des objektiven Sachverhalts zulässig gewesen wäre, während in den
Fällen der Verdachtskündigung nur die mangelnde Aufklärung des Sachverhalts
die Kündigung ermöglichte, bei voller Kenntnis der Tatsachen dagegen die
Kündigung nicht hätte erfolgen dürfen. Tritt nachträglich diese vollständige
Kenntnis ein, so stellt sich heraus, dass dem Arbeitnehmer durch die Kündigung
ein objektives Unrecht zugefügt worden ist. Dem Arbeitgeber ist daraus kein
Vorwurf zu machen, denn die Verdachtskündigung ist nur zulässig, nachdem
arbeitgeberseits alle zumutbaren Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung
genutzt wurden, ohne dass sich die wahre Sachlage erweisen ließ. Das ändert
jedoch nichts daran, dass die Kündigung objektiv betrachtet ein Unrecht
darstellt,
das
nur
aufgrund
des
mangelnden
menschlichen
Erkenntnisvermögens zu entschuldigen ist. Es handelt sich also bei der
Wiedereinstellung um eine Wiedergutmachung dieses objektiv geschehenen
Unrechts, das rechtliche Geltung beanspruchen kann und muss.432
c) Ausgestaltung des Wiedereinstellungsanspruchs
(1) Anforderungen an die Rehabilitierung –
„Reinigungsbeweis“ und Einstellung eines
Ermittlungsverfahrens
Kündigt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen des Verdachts einer
strafbaren
Handlung,
so
führt
die
Einstellung
des
staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahrens gegen den Arbeitnehmer (§ 170 II 1 StPO) nach
Auffassung des 2. Senats allein weder zur Unwirksamkeit der Kündigung noch
432
Mohnen, RdA 1957, 405, 407; Hueck FS Hedemann, 131, 142 f.
- 163 zu einem Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers.433 Damit revidiert
der 2. Senat seine frühere Auffassung434, wonach insbesondere ein
strafgerichtlicher Freispruch zur Verdachtsentkräftung führen könne.
Eine Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach § 170
II 1 StPO begründe keine, erst recht keine im arbeitsgerichtlichen Verfahren
nicht widerlegbare Vermutung für die Unschuld des Arbeitnehmers. Sie beruhe
im Wesentlichen auf der Prognose des Staatsanwalts, ob er selbst nach dem
derzeitigen Sachstand wahrscheinlich am Ende einer Hauptverhandlung zum
Antrag auf Verurteilung gelangen würde. Auch eine Einstellung nach dem
Opportunitätsprinzip sei möglich. Ein Strafklageverbrauch trete durch die
Einstellung nach § 170 II 1 StPO nicht ein. Das Ermittlungsverfahren könne
vielmehr jederzeit auch bei gleicher Sach- und Rechtslage wieder aufgenommen
werden.435 Ein Vertrauensschutz auf den Bestand der Einstellungsverfügung
bestehe nicht. Eine irgendwie geartete Rechtskraftwirkung komme der
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 II 1 StPO nicht zu.
Gehe die Staatsanwaltschaft bei einem bestimmten Verfahrensstand davon aus,
die Straftat sei dem verdächtigten Arbeitnehmer jedenfalls nicht beweisbar, so
hindere dies den Arbeitgeber nicht, im Arbeitsgerichtsverfahren den Beweis für
eine vollendete Straftat oder zumindest einen entsprechenden Tatverdacht zu
führen. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 II 1 StPO sei
damit auch nicht annähernd einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld
vergleichbar und keinesfalls geeignet, den Verdacht einer strafbaren Handlung
auszuräumen.436
Diese Ausführungen verdienen Zustimmung.
433
BAG (2 AZR 620/96), NZA 1997, 1340, 1340 = RdA 1998, 62, 63.
434
BAG (2 AZR 14/91), RzK I 8 c Nr. 24.
435
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, § 170 Rn 9; Löwe/Rosenberg StPO – Rieß, § 170 Rn 45.
436
BAG (2 AZR 620/96), NZA 1997, 1340, 1342; Busch, MDR 1995, 217, 223.
- 164 Es stellt sich nur noch die Frage, ob der wegen des Verdachts einer schweren
Verfehlung gekündigte Arbeitnehmer den vollen Beweis seiner Unschuld
antreten muss, um einen Wiedereinstellungsanspruch zu erlangen. Nach dem 2.
Senat kann ein Anspruch auf Wiedereinstellung in Betracht kommen, wenn dem
Arbeitnehmer wegen Verdachts einer strafbaren Handlung gekündigt worden ist
und sich später seine Unschuld herausstellt oder zumindest nachträglich
Umstände bekannt werden, die den bestehenden Verdacht beseitigen.437
Demnach bedarf es nicht zwingend eines Unschuldsbeweises.438 Zum Teil wird
in der Lit. aber auch ein voller Unschuldsbeweis gefordert.439
Will man nicht der Verdachtskündigung als solcher ihre Berechtigung
absprechen,
so
dürfen
an
die
Voraussetzungen
eines
Wiedereinstellungsanspruchs, der die Grundlage für eine Rehabilitierung
darstellt,
keine
Kündigungsgrund
überhöhten
Verdacht
Anforderungen
auf
Seiten
des
gestellt
werden.
Arbeitgebers
Dem
entspricht
spiegelbildlich die Entkräftung des Verdachts auf Seiten des Arbeitnehmers. Die
Entkräftung eines Verdachts ist aber etwas anderes als der Beweis des
Gegenteils. Es muss gerade auch bei der Kündigung ohne wirklichen (Tat)Kündigungsgrund ausreichen, dass die kündigungsbegründenden Umstände
entfallen, der Verdacht also entkräftet wird.440 Die Entkräftung des Verdachts
muss allerdings die maßgeblichen Verdachtsmomente wirklich ausräumen. Sie
bloß zu erschüttern oder in Zweifel zu ziehen reicht nicht aus. Der
Reinigungsbeweis ist daher der praktische Regelfall einer Verdachtsentkräftung.
Eine genauere Differenzierung wird nur in Sonderfällen notwendig.
437
438
BAG (2 AZR 14/91), RzK II 3 Nr. 20; BAG (2 AZR 620/96), NZA 1997, 1340, 1342.
So auch BAG (1 AZR 29/55), AP Nr. 3 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Bengelsdorf, AuA 1995,
196, 199; Belling, RdA 1996, 223, 238, m.w.N.
439
Kittner/Däubler/Zwanziger – Zwanziger, Einleitung Rn 390d.
440
Belling, RdA 1996, 223, 238.
- 165 -
(2) Verhalten des verdächtigen Arbeitnehmers
Für die Verdachtskündigung besonders wichtig ist der allgemeine Grundsatz,
dass eine nachvertragliche Pflicht zur Wiedereinstellung wegen Wegfalls des
Kündigungsgrundes nur dann entstehen kann, wenn der Arbeitnehmer unter
keinem Gesichtspunkt seine Kündigung zu vertreten hat.441 Hat bei der
Verdachtskündigung der Arbeitnehmer den Verdacht letztlich selbst verursacht
oder den bestehenden Verdacht durch sein Verhalten bestärkt, so kann er sich
u.U. nicht auf eine Wiedereinstellungspflicht des Arbeitgebers berufen, wenn er
sich damit widersprüchlich verhalten würde.442 Unter Umständen kann die
Kündigung dann sogar als verhaltensbedingte Kündigung wegen Verletzung der
dem Arbeitnehmer obliegenden Pflichten erklärt werden. Das ist z.B. der Fall,
wenn der Arbeitnehmer sich weigert, an der Aufklärung von angeblich im Betrieb
begangenen Straftaten oder Pflichtverletzungen mitzuwirken.443 Überlegungen
zur Verdachtskündigung haben sich dann erledigt.444 Zu weit geht es
demgegenüber, wenn behauptet wird, im Regelfall habe der Arbeitnehmer die
Tatumstände geschaffen, aus denen der Arbeitgeber zu Recht auch unter
kritischer Wertung der Begleitumstände die Kündigung ausgesprochen habe und
aussprechen durfte.445 Eine dahingehende Vermutungsregel gibt es nicht.
Ebenso gut könnte man grundsätzlich dem Arbeitgeber den Vorwurf mangelnder
Sachverhaltsaufklärung machen.
(3) Ehrenerklärung und Wiedereinstellungsanspruch
Andere Stimmen sehen den Wiedereinstellungsanspruch als überschiessende
Rechtsfolge an und wollen den Arbeitnehmer statt dessen auf einen Anspruch
auf Zeugniskorrektur und gegebenenfalls auf Abgabe einer Ehrenerklärung
441
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2240.
442
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 754; Zwanziger, BB 1997, 42, 45.
443
Joachim, AuR 1964, 33, 33; Schütte, NZA 1991, Beil. 2, 17, 17.
444
Naujok, AuR 1998, 398, 398.
445
So Gaul, NZA 1993, 865, 872.
- 166 verweisen.446 Die Rehabilitierung des Arbeitnehmers erfordere nicht zwingend
seine Wiedereinstellung, oftmals reiche schon aus, dass der Arbeitgeber das
bereits erteilte Zeugnis ändere.447
Die einzig überzeugende und wirksame Ehrenerklärung ist indes die
Wiedereinstellung. Wo sie vorgenommen wird, erübrigt sich in der Regel jede
verbale Ehrenerklärung. Ohne einen Anspruch auf Wiedereinstellung ist eine
wirkliche Rehabilitierung des Gekündigten im Arbeitsleben und insbesondere bei
den ehemaligen Kollegen nicht zu erreichen. Der Verdacht ist erst dann vom
Tisch,
wenn die auf
ihn gestützte überschießende Rechtsmacht
des
Arbeitgebers ihr Ende findet, der Arbeitnehmer also die Möglichkeit hat, aus
eigener
Rechtsmacht
an
seinen
Arbeitsplatz
zurückzukehren.
Ob
der
Arbeitnehmer davon Gebrauch macht, obliegt seiner freien Entscheidung. Er
kann die Sache – im Hinblick etwa auf ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis und
eine Anschlussbeschäftigung – mit einer schriftlichen Ehrenerklärung auf sich
beruhen lassen, er muss es aber nicht.
Einer Ehrenerklärung kann eine zusätzliche Funktion zukommen, wenn eine
Wiedereinstellung nicht möglich oder vom Arbeitnehmer nicht gewünscht ist
oder wenn die Rehabilitierung des Arbeitnehmers eine Erklärung gegenüber
einem größeren Kreis verlangt, etwa gegenüber der Belegschaft oder
Geschäftspartnern, u.U. sogar gegenüber der Presse.448
Die Rehabilitierung stellt die Kehrseite der aus Anlass des Verdachts
eingeleiteten rechtlichen und tatsächlichen Schritte dar. Keineswegs kann daher
eine bloß verbale Erklärung als Rehabilitierung ausreichen.
446
447
448
von Bar, AcP 179 (1979), 452, 473.
Larenz, Anm. zu BAG (1 AZR 29/95), AP Nr. 3 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Kaiser, ZfA
2000, 205, 228.
Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 115.
- 167 -
2. Druckkündigung
Die Druckkündigung eines Arbeitnehmers erhält ihre soziale Rechtfertigung
dadurch, dass Dritte (etwa die Belegschaft oder Kunden) unter Androhung von
Nachteilen
(Androhung
von
Eigenkündigungen,
Verweigerung
der
Zusammenarbeit, Abbruch der Geschäftsbeziehungen) die Entlassung eines
Arbeitnehmers verlangen.449
Ist der so erzeugte Druck durch einen verhaltensbedingten oder einen in der
Person des Arbeitnehmers liegenden Grund objektiv gerechtfertigt, so liegt es im
Ermessen des Arbeitgebers, eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung
aussprechen.450 Es handelt sich dann nicht wirklich um eine besondere
Fallgruppe, da der Druck nur den äußeren Anlass für die Kündigung darstellt, die
der Arbeitgeber unter verhaltens- bzw. personenbedingten Aspekten voll zu
verantworten hat.
Liegen solche personen- oder verhaltensbedingten Gründe nicht vor, kommt nur
eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht.451 Diese (betriebsbedingte)
Druckkündigung im engeren Sinne ist nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber
sich schützend vor den Arbeitnehmer gestellt452 und alles ihm sonst mögliche
erfolglos versucht hat. Die Kündigung muss für ihn die einzige Möglichkeit zur
Abwendung unzumutbarer eigener Nachteile sein.453
Ob
die
Druckkündigung
Kündigungsgrund
i.e.S.
überhaupt
ordentlicher
anerkannt
449
Ring ArbR, Rn 386.
450
Berkowsky, NZA-RR 2001, 449, 452.
451
als
werden
oder
außerordentlicher
kann,
ist
noch
nicht
BAG (2 AZR 563/85), AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 2 a
der Gründe, m.w.N.; BAG (2 AZR 201/90), NZA 1991, 468, 468.
452
Berkowsky, NZA-RR 2001, 449, 452 m.w.N.
453
Lipinski, NZA 2002, 75, 79 m.w.N.; KR – Becker, § 1 KSchG Rn 270.
- 168 abschließend
geklärt.454
Das
vorausgeschickt
kommen
als
mögliche
Anspruchsgrundlagen eines Wiedereinstellungsanspruchs im Wesentlichen die
gleichen Ansätze in Betracht, wie sie auch für die Verdachtskündigung diskutiert
werden.
Beide Fälle haben gemein, dass bereits das Kündigungsrecht dem Arbeitgeber
nur
ausnahmsweise
zugestanden
wird,
um
einem
zerstörten
Vertrauensverhältnis oder einer besonderen Zwangslage Rechnung zu tragen,
obwohl die Voraussetzungen des naheliegenden „normalen“ Kündigungsrechts
aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen nicht vorliegen.
Auch die Druckkündigung zeichnet sich wie die Verdachtskündigung dadurch
aus, dass der Arbeitnehmer im Interesse des Betriebes die Lösung des
Arbeitsverhältnisses hinnehmen muss, obwohl er sich nicht vertragswidrig
verhalten hat. Auch hier könnte man daher den Arbeitgeber als zur
Wiedereinstellung des Arbeitnehmers verpflichtet ansehen, wenn der Druck
aufhört und damit der besondere Kündigungsgrund seine rechtfertigende Kraft
verliert.455 Auch hier geht es – nicht anders als bei der Verdachtskündigung –
um die Prognose des Bestehenbleibens der besonderen Umstände, die eine
Weiterbeschäftigung ausnahmsweise unzumutbar machen. Der Arbeitgeber
prognostiziert im Kündigungszeitpunkt, dass die Zwangslage bestehen bleibt
und sich daher
für den betroffenen Arbeitnehmer auch in Zukunft keine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr wird finden lassen. Diese Prognose
erweist
sich
als
haltlos,
wenn
die
Zwangslage
aufhört,
womit
Wiedereinstellungsanspruch denkbar wird.456
454
Ablehnend Berkowsky, NZA-RR 2001, 449, 452 f.
455
MünchKomm – Emmerich, Vor § 275 Rn 319 m.w.N; MünchArbR I – Buchner, § 37 Rn 112
456
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 306.
der
- 169 -
3. Stellungnahme
a) Rehabilitierungsanspruch auf der Grundlage von Artt. 1 I, 2
I GG
Der nachträgliche Rechtfertigungsfortfall für Verdachts- und Druckkündigung
liegt aus den erörterten Gründen strukturell auf einer Ebene.
Eine überzeugende Handhabung für die Wiedereinstellungspflicht in diesen
Fällen kann nur unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten gelingen. Der
betroffene Arbeitnehmer muss hier auch Umstände gegen sich gelten lassen,
die sich nicht zweiflsfrei in seine Sphäre einordnen lassen.
Die im Ergebnis unberechtigte Verdachtskündigung beeinträchtigt die Ehre des
Arbeitnehmers und sein berufliches Fortkommen letztlich grundlos. Ebenso stellt
die Druckkündigung eine Kränkung für den Arbeitnehmer dar, der über den
Umweg einer betrieblichen Zwangswirkung Umstände als Kündigungsgrund
akzeptieren muss, die für sich genommen ohne diese Zwangswirkung keinen
Kündigungsgrund abgeben würden.
So wird nach letztlich unberechtigter Verdachtskündigung wegen Diebstahls von
Arbeitgebereigentum dem Arbeitnehmer die Entkräftung des Verdachts nichts
nützen, wenn er trotzdem aufgrund des unverrückbaren Beurteilungszeitpunkts
an der wirksamen Kündigung festgehalten wird. Auch bleibt er in seinem
beruflichen Fortkommen behindert.
Ebenso stellen die kündigungsbegründenden tatsächlichen Umstände bei der
Druckkündigung nicht selten eine das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen
berührende Diskriminierung dar, z.B. wenn aus völlig sachfremden Gründen
Kunden
das
Geschäft
Zusammenarbeit ablehnen.
meiden
oder
Arbeitskollegen
eine
weitere
- 170 Zu Recht wird daher auch von einem Wiedergutmachungsanspruch für
objektives
Unrecht
gesprochen.457
Die
Sonderkündigung
beinhaltet
zwangsläufig auch einen stigmatisierenden Vorwurf gegen den Arbeitnehmer.
Diese diskriminierende Folgewirkung muss sich der Arbeitgeber zurechnen
lassen, wenn er von der Sonderkündigungsbefugnis Gebrauch macht, auch
wenn er die Kündigung nicht beabsichtigt, sondern bedauert. In diesen Fällen ist
das bloße Verharren in der erlangten Rechtsposition ausnahmsweise illoyal,
wenn der Arbeitgeber eine Rehabilitierung schuldig bleibt, nachdem der
Verdacht entkräftet oder die betriebliche Zwangswirkung überwunden ist. Der
Rehabilitierungsgedanke
baut
auf
der
Einsicht
auf,
dass
Sonderkündigungsgründe dem Arbeitgeber eine überschießende Rechtsmacht
verleihen, die aufgrund ihrer Zweckbindung nicht unabhängig von der weiteren
Entwicklung bestehen bleiben kann.
Die Wiedereinstellungspflicht konkretisiert also die Pflicht zur Rehabilitierung des
Arbeitnehmers.
Sie
ergibt
sich
insoweit
aus
dessen
allgemeinem
Persönlichkeitsrecht (Artt. 1 I, 2 I GG). Die auf die Ausübung der
Sonderkündigungsbefugnis zurückgehenden diskriminierenden Folgewirkungen
berühren den Arbeitnehmer in seiner Individualsphäre, zu der auch das
berufliche Wirken gehört.458 Eine Grundrechtsverletzung wird daraus, wenn
dem besonderen Kündigungsrecht nachträglich die Grundlage entzogen wird,
der Arbeitgeber sich aber weigert, den Arbeitnehmer in angemessener Weise,
also durch seine Wiedereinstellung, zu rehabilitieren. Anders gewendet lässt
sich
aus
dem
Untermaßverbot
hinsichtlich
des
allgemeinen
Persönlichkeitsrechts die Anerkennung des Wiedereinstellungsanspruchs in
diesen Fällen ableiten. Aufgrund der Anwendung des Prognoseprinzips ist
andererseits die Heranziehung eines fallgruppenübergreifenden Ansatzes auch
hier nicht ausgeschlossen.
457
Mohnen, RdA 1957, 405, 407; Hueck FS Hedemann, 131, 142 f.
458
Palandt – Thomas, § 823 Rn 178 m.w.N.
- 171 -
b) Anlehnung der Fehldiagnosekündigung an die
Verdachtskündigung?
Zu weit geht es aber, wenn das LAG Hamm den Fall der nachträglichen
Aufdeckung einer Fehldiagnose mit der entkräfteten Verdachtskündigung in der
Weise gleichsetzen will, dass es behauptet, es handele es sich wie auch bei der
Verdachtskündigung um eine besondere Fallgestaltung, die eines besonderen
Korrektivs bedürfe.459
Das würde nämlich den Schluss nahe legen, auch in diesem Fall habe unter
Berücksichtigung des erst später gewonnen Erkenntnisstandes bereits zum
Kündigungszeitpunkt ein Kündigungsgrund nicht vorgelegen.
Prinzipielle Unterschiede zur Verdachtskündigung sind aber nicht von der Hand
zu weisen:
Der Verdacht ist ein Sonderkündigungsgrund, weil es sich um einen – nicht
unbedenklichen – Vorgriff zur Tatkündigung handelt. Insoweit ist das
Kündigungsrecht des Arbeitgebers von vornherein mit einer möglichen
Rehabilitierungsnotwendigkeit belastet. Die krankheitsbedingte Kündigung hat
bewiesene vergangene Fehlzeiten zur Grundlage. Sie stellt damit keinen
Sonderkündigungsgrund dar.
Der
Rehabilitierungsgedanke
versagt.
Dem
Arbeitnehmer
wird
nichts
vorgeworfen, dessen er sich erwehren müsste. Es ist nicht etwa so, dass dem
Arbeitnehmer sein eigentlicher Gesundheitszustand und die daraus zu
ziehenden Schlussfolgerungen bekannt gewesen wären, er den Arbeitgeber
jedoch nicht hätte überzeugen können. Vielmehr haben sich beide Vertragsteile
auf die Fehldiagnose verlassen. Hier waren beide Vertragsteile über die „IstSituation“ im Kündigungszeitpunkt im Irrtum. Stellt sich später eine andere
459
Siehe hierzu bereits oben unter B.II.2.c) „Maßgeblichkeit des subjektiven Kenntnisstandes des
Arbeitgebers – LAG Hamm“ auf Seite 53.
- 172 Sachlage heraus, so hat keiner der Vertragspartner das bessere Recht auf
seiner Seite. Von einer Rehabilitierungsnotwendigkeit, die sich aus dem
allgemeinen
Persönlichkeitsrecht
des
Arbeitnehmers
und
seiner
Menschenwürde ableiten ließe, kann insoweit keine Rede sein.
Schließlich stammt die Fehldiagnose aus der Sphäre des Arbeitnehmers. Ihm ist
dieses Risiko daher eher zuzuordnen als dem Arbeitgeber. Ganz anders bei der
Verdachtskündigung.
Insoweit
beruft
sich
der
Arbeitgeber
auf
einen
Sonderkündigungsgrund, weil er eine weitere Sachverhaltsaufklärung für
äußerst unwahrscheinlich hält und halten darf. Wer aber die Voraussetzungen
einer Tatkündigung nicht abwartet, schafft in seiner eigenen Sphäre ein
kündigungsimmanentes Risiko.
VIII. Vorschlag für eine kündigungsschutzrechliche
Begründung
1. Prognosebedingter Wiedereinstellungsanspruch
Die Anspruchsgrundlage für einen Wiedereinstellungsanspruch muss sich
entsprechend
seiner
Grundlage,
dem
kündigungsschutzrechtlichen
Prognoseprinzip, aus dem KSchG selbst gewinnen lassen. Die Versuche einer
anderen – insbesondere vertragsrechtlichen Begründung – basieren wie erörtert
auf wenig überzeugenden Annahmen und zwingen zu einer Begrenzung des
Anspruchs auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses, was zu wenig
sachgerechten Ergebnissen führen kann und den Anspruch der Willkür gezielter
Unternehmensplanung aussetzt.
Die als Voraussetzung für eine Rechtsfortbildung erforderliche Regelungslücke
im Gesetz ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen dem normativen Ziel des
sozialen
Rechtfertigungszwangs
einerseits
und
der
verwendeten
prognosegestützten Rechtfertigungstechnik andererseits.
§ 1 II KSchG formuliert die Kündigungsgründe objektiv und mit Blick auf die
Zukunft: „bedingt ist“ / „weiterbeschäftigt werden kann“. Ein Hinweis auf die
jeweilige Perspektive bzw. die Erkenntnisgrundlage fehlt dagegen. Die
Vorstellung des Gesetzes ist die eines mit idealem Wissen ausgestatteten
- 173 objektiven Dritten. Diese Annahme ist aber mit der Rechtsgestaltungsbefugnis,
die das Gesetz dem Arbeitgeber durch sein Kündigungsrecht einräumt, nicht
vereinbar.
Die Anerkennung eines in Voraussetzungen und Rechtsfolgen begrenzten
Wiedereinstellungsanspruchs löst diesen Konflikt mit Rücksicht auf die
berechtigten Interessen beider Vertragspartner. Die Rechtsgrundlage des
Wiedereinstellungsanspruchs
sind
daher
die
prognoseabhängigen
Kündigungsschutzbestimmungen selbst. Es ist letztlich der in § 1 II KSchG
angelegte Widerspruch, der nicht anders als durch eine rechtstechnisch korrekt
erreichte Relativierung der Kündigungsfolgen gelöst werden kann.
Durch die dem Arbeitgeber eingeräumte Gestaltungsbefugnis nimmt das KSchG
nur eine vorläufige Risikozuweisung an den Arbeitnehmer vor, die zwar das
Prinzip der Rechtssicherheit in den Vordergrund stellt, nach ihrer eigenen
Terminologie aber den endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu
rechtfertigen vermag. Denn ob eine Kündigung durch objektive Gründe wirklich
„bedingt ist“, die einer „Weiterbeschäftigung“ tatsächlich „entgegenstehen“, lässt
sich im Kündigungszeitpunkt aufgrund des dem Kündigungsschutzrecht
immanenten Prognoseprinzips noch nicht abschließend beurteilen.
Die in § 1 II KSchG festgeschriebene Objektivierung und Zukunftsausrichtung
der Kündigungsrechtfertigung verlangt daher nach einem Korrektiv insoweit, wie
die rechtsgestaltenden Folgen des Gestaltungsaktes (wirksame Kündigung) die
Haltbarkeit des Gestaltungsgrundes (Kündigungsrechtfertigung) überdauern.
Das vom Gesetz mit der Anerkennung eines Gestaltungsrechts in den
Vordergrund gestellte Prinzip der Rechtssicherheit verlangt andererseits eine
Begrenzung dieses Korrektivs in der Weise, dass die Korrektur hinter dem ohne
die Kündigung hypothetisch bestehenden Rechtszustand zurückzubleiben hat.
§ 1 II KSchG gewährt damit einen durch das vorrangige Prinzip der
Rechtssicherheit
begrenzten
Anspruch
auf
begrenzte
Beseitigung
der
Kündigungsfolgen. Nichts anderes ist der Wiedereinstellungsanspruch. Durch
ihn
gelingt
die
Lösung
des
Konflikts
zwischen
dem
unbedingten
Gestaltungsrecht des Arbeitgebers im Kündigungszeitpunkt einerseits und der
objektivierten Zukunftsgebundenheit der Kündigungsgründe andererseits.
- 174 Das Prinzip der Rechtssicherheit verlangt dabei zunächst die Anerkennung
sachlicher und zeitlicher Grenzen für die Anspruchsentstehung. Der dennoch
entstandene Anspruch ist wiederum insoweit einer inhaltlichen Begrenzung
unterworfen, wie die Anspruchsvoraussetzungen erst nach Eintritt der
Kündigungswirkung
entstehen,
weshalb
der
Anspruch
nicht
auf
die
Vergangenheit zurückwirken kann.
Mit dem Wiedereinstellungsanspruch wird damit für den Ausnahmefall eines
nachträglichen Wegfalls des Kündigungsgrundes durch Widerlegung der
kündigungsbegründenden
Prognose
ein
Mittelweg
beschritten
zwischen
materiellrechtlich-faktischer Wirksamkeit und Unwirksamkeit der Kündigung,
gleich so, wie das KSchG mit der objektivierten Zukunftsgebundenheit der
Kündigungsgründe dem Arbeitgeber einen im Kündigungszeitpunkt nicht
nachzuweisenden Rechtfertigungszwang auferlegt und ihm dennoch um der
Rechtssicherheit willen ein Gestaltungsrecht einräumt.
Damit ergibt sich der Wiedereinstellungsanspruch aus dem Schutzzweck des §
1 II KSchG; Anspruchsgrundlage ist eine rechtsfortbildende teleologische
Extension der Vorschrift.
Da das Korrektiv erst eingreift, sobald die Rechtfertigung der Kündigung im
Verlauf der weiteren Entwicklung keinen Bestand mehr hat, sind Ansprüche
(insbesondere auf Entgeltzahlung) ausgeschlossen, die vor diesem Zeitpunkt
aufgrund der Wirksamkeit der Kündigung nicht zur Entstehung gelangen
konnten. Die Wiedereinstellung kann daher für die Vergangenheit nicht auf die
Herstellung
des
„Status
Quo
Ante“
gerichtet
sein.
Soweit
der
Wiedereinstellungsanspruch in der Rechtsfolge den Zustand nicht erreicht, wie
er bei hypothetischer Unwirksamkeit der Kündigung bestünde, kommen
allenfalls Sekundäransprüche in Betracht, die aus dem allgemeinen Schuldrecht
des BGB eigenständig zu begründen sind. Hierauf wird noch einzugehen sein.
2. Ergänzende Überlegungen
Betriebsübergang
nach
prognosewidrigem
Auch der zusätzlich in § 613a BGB verankerte Wiedereinstellungsanspruch nach
unerwartetem Betriebsübergang ist ein prognosebedingter Anspruch auf
Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten.
- 175 Nach einem Betriebsübergang kann sich der Wiedereinstellungsanspruch nur
gegen den Erwerber richten, weil der Veräußerer den Anspruch mangels
Beschäftigungsmöglichkeit
nicht
erfüllen
kann.
Mit
vertragsrechtlichen
Kategorien kann das nicht erklärt werden, weil zwischen Arbeitnehmer und
Betriebserwerber keine Sonderverbindung besteht. Eine Extension des § 1 II
KSchG
kann
aber
auch
hier
die
Anspruchsgrundlage
für
einen
Wiedereinstellungsanspruch liefern. Maßgeblich ist dabei nur das Entstehen
einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, womit die Prognose widerlegt wird. Der
Umstand, dass die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht beim ursprünglichen
Vertragspartner, sondern beim Betriebserwerber auftaucht, steht dem nicht
entgegen. Dies ergibt sich als negative Aussage aus dem Schutzzweck des §
613a I 1 und IV 1 BGB.460 Der Betriebsübergang als solcher ist damit
kündigungsschutzrechtlich bedeutungslos und steht daher auch einem aus § 1 II
KSchG
gewonnenen
Wiedereinstellungsanspruch
auf
einen
anderen
Arbeitsplatz nicht entgegen. Bleibt der Arbeitsplatz des Gekündigten dagegen
prognosewidrig erhalten, so ergibt sich aus § 613a I 1 und IV 1 BGB eine
weitere eigenständige Anspruchsgrundlage, die ihrer eigenen Zwecksetzung
folgt. Der Schutzzweck des § 613a I 1 und IV 1 BGB, den Bestand der
Arbeitsverhältnisse unabhängig vom Übergang des Betriebs(teils) an den Erhalt
der
Arbeitsplätze
zu
koppeln,
wird
mit
der
Anerkennung
des
Wiedereinstellungsanspruchs auch in den Fällen konsequent verwirklicht, in
denen nach § 613a I 1 BGB nur noch ein wirksam gekündigtes Arbeitsverhältnis
als eben solches bzw. nach dem Entlassungstermin kein Arbeitsverhältnis mehr
auf den Erwerber übergehen kann.
§ 613a I 1 und IV 1 BGB überlagert insoweit die allgemeine aus § 1 II KSchG
gewonnene Anspruchsgrundlage bei prognosewidrigem Erhaltenbleiben des
Arbeitsplatzes nach unerwartetem Betriebsübergang.
460
Siehe oben unter C.VI.4.b)(2) „Keine
Beschäftigungsmöglichkeit“ auf Seite 143.
Anwendbarkeit
bei
bloß
anderweitiger
- 176 Man wird den Wiedereinstellungsanspruch im Betriebsübergangsrecht - soweit
es um das prognosewidrige Erhaltenbleiben des Arbeitsplatzes geht - daher auf
beide Normen stützen können.
3. Ergänzende Überlegungen
Druckkündigung
nach
Verdachts-
und
Gleiches gilt für die den Arbeitgeber treffenden Wiedereinstellungspflichten nach
wirksamer aber im Ergebnis haltloser Verdachts- und Druckkündigung. Die
Wiedereinstellungspflicht
beruht
hier
auf
der
Widerlegung
der
kündigungsbegründenden Prognose mit dem Inhalt, die Verdachtsmomente
bzw. die betriebliche Zwangswirkung werde in Zukunft fortbestehen und sei
daher nur im Wege der Kündigung abwendbar.
Zu dem allgemeinen Gedanken eines Korrektivs für die die Unwägbarkeiten des
Prognoseprinzips tritt hier der Rehabilitierungsgedanke auf der Grundlage des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artt. 1 I, 2 I GG) hinzu. Damit kann auch
erklärt werden, warum ein Wiedereinstellungsanspruch in diesen Fällen etwa in
Bezug auf seine sachlichen und zeitlichen Grenzen großzügiger gehandhabt
werden muss als in den übrigen Fällen. Auf die Einelheiten wird noch
einzugehen sein.
- 177 -
D. Erfordernis einer
bestandsschutzvernichtenden
Arbeitgeberkündigung
Das Prognoseprinzip als Grundlage des Wiedereinstellungsanspruchs ist indes
nur bei einer Arbeitgeberkündigung zu beachten, durch die ein unter den
Anwendungsbereich des KSchG fallendes Arbeitsverhältnis beendet werden
soll. Wird das Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung, sondern durch
Aufhebungsvertrag oder Auslaufen einer Befristungsregelung beendet, spielt
das kündigungsschutzrechtliche Prognoseprinzip dagegen keine Rolle, was
wegen
der
inneren
Verknüpfung
von
Prognoseprinzip
und
Wiedereinstellungsanspruch nicht ohne Folgen bleiben kann.
I. Einwendung fehlenden Kündigungsschutzes
Die Prognose muss die Kündigung tragen, d.h. das Arbeitsverhältnis muss vor
der Kündigung in seinem Bestand geschützt sein. So gehen Rspr.461 und Lit.462
zutreffend davon aus, dass die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes
stets
Voraussetzung
Wiederaufleben
eines
des
Anspruchs
auf
Wiedereinstellung
Bestandsschutzes
mit
ist.
Hilfe
Ein
eines
Wiedereinstellungsanspruchs setzt also voraus, dass das Arbeitsverhältnis
überhaupt in seinem Bestand geschützt war, bevor dieser Bestandsschutz durch
wirksame
arbeitgeberseitige
Kündigung
überwunden
wurde.
Das
Kündigungsschutzgesetz, das durch das ihm immanente Prognoseprinzip die
Grundlage
461
462
für
den
Wiedereinstellungsanspruch
liefert,
schützt
das
LAG Frankfurt (9 Sa 1077/99), ZInsO 2000, 625, 625; LAG Hamm (8 Sa 878/00), LAGE § 824
BGB Nr 1.
Otto FS Kraft (1998), S. 451, 453; Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 756; Senne, AuA 1992, 301,
303; Beckschulze, DB 1998, 417, 418; Boewer, NZA 1999, 1121, 1128, 1130; Raab, RdA
2000, 147, 153; Oetker, ZIP 2000, 643, 647.
- 178 Arbeitsverhältnis innerhalb seines Anwendungsbereichs allein gegen die
arbeitgeberseitige Kündigung, nicht gegen Beendigungstatbestände anderer Art.
Rechtliche Relevanz kann stets auch nur die nachträgliche Widerlegung einer
kündigungsbegründenden
Prognose
erlangen.
Die
Falsifizierung
einer
Prognose, auf die es mangels Rechtfertigungsnotwendigkeit gar nicht ankam,
gibt dem Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Wiedereinstellung. Durch den
Vollzug des Wiedereinstellungsanspruchs wird dem Arbeitnehmer folglich ein
Rechtszustand wieder eingeräumt, den er zuvor bereits innehatte und unter
Anwendung des kündigungsschutzrechtlichen Prognoseprinzips verloren hat.
Vereinzelt wird angenommen, dass Nichtbestehen des allgemeinen oder
besonderen
Kündigungsschutzes
gebe
dem
Arbeitgeber
gegen
die
Geltendmachung des Anspruchs lediglich die Einrede der unzulässigen
Rechtsausübung (dolo-agit bzw. dolo-petit).463 Dem kann jedoch nicht gefolgt
werden. Da in diesen Fällen die Begleitumstände der Kündigung für das
Gestaltungsrecht nicht von Belang sind, kann auch die weitere Entwicklung
dieser Begleitumstände keine Relevanz erlangen. Auf die Geltendmachung
einer Einrede kann es dabei nicht ankommen. Kann der Arbeitgeber ohne jeden
Rechtfertigungszwang frei kündigen, so ist kein Grund denkbar, warum er zur
Wiedereinstellung verpflichtet sein sollte und ein hierauf gerichtetes Verlangen
eigens durch Erhebung einer Einrede abwehren müsste.
Dagegen ist es keineswegs erforderlich, dass sich der Arbeitnehmer zuvor
gegen die ausgesprochene Kündigung mit der Kündigungsschutzklage zur Wehr
setzt, denn es will nicht einleuchten, warum man vom Arbeitnehmer die
Anstrengung eines aussichtslosen Prozesses fordern sollte. Vereinzelt wird
jedoch die Auffassung vertreten, eine Kündigungsschutzklage sei deshalb
sinnvoll, weil der Arbeitgeber andernfalls im berechtigten Vertrauen auf die
463
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 756.
- 179 Wirksamkeit der Kündigung über den Arbeitsplatz disponieren könnte.464 Dem
ist jedoch nicht so. Der Arbeitgeber wird durch die Erhebung einer
aussichtslosen
Kündigungsschutzklage sein
grundsätzlich
schutzwürdiges
Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung nicht einbüßen, denn diese bleibt
wirksam. Er kann deshalb grundsätzlich auch über den freien Arbeitsplatz
disponieren, nachdem der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage
erhoben
hat,
solange
er
im
Vertrauen
auf
den
Fortbestand
des
Kündigungsgrundes handelt.
Zu beachten ist schließlich, dass auf die Nachwirkungen des in seinem Bestand
geschützten Arbeitsverhältnisses ebenso wenig im Vorwege verzichtet werden
kann wie auf den Kündigungsschutz selbst. Der zwingende Charakter des
Kündigungsschutzgesetzes strahlt auch auf den mit ihm zusammenhängenden
Wiedereinstellungsanspruch aus.465 So wie auf den noch nicht entstandenen
Kündigungsschutz antizipiert nicht verzichtet werden kann, um unbillige
Ergebnisse
privatrechtlicher
Gestaltungsmacht
in
bezug
auf
strukturell
unterlegende Vertragspartner zu vermeiden, so kann auch auf einen
Wiedereinstellungsanspruch nicht schon bei Abschluss des Arbeitsvertrages
verzichtet werden.466 Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann sich der
Arbeitnehmer
durch
Aufhebungsvertrag467
oder
nach
einer
Arbeitgeberkündigung durch Abwicklungsvertrag den Bestandsschutz bzw.
Kündigungsschutz
als
Grundvoraussetzung
für
einen
Wiedereinstellungsanspruch – regelmäßig gegen eine Abfindung – „abkaufen“
lassen. Hiergegen bestehen ebenso wenig Bedenken wie gegen eine freiwillige
Eigenkündigung.
464
Boewer, NZA 1999, 1121, 1131.
465
Oetker, ZIP 2000, 643, 647.
466
467
Anders Rolfs, ZfA 1999, 403, 465 f, der einen Verzicht außerhalb von vorformulierten
Vertragstexten für zulässig hält.
Siehe hierzu gleich unter D.III „Prognosekorrektur nach anderen Beendigungstatbeständen“
auf Seite 184.
- 180 -
II. Prognosekorrektur
Arbeitsverhältnis?
bei
befristetem
Der Wiedereinstellungsanspruch wurde von der Rspr. indes nur nach wirksamer
Kündigung anerkannt. Einer Ausweitung auf die Konstellation des Wegfalls des
sachlichen Grundes für eine wirksame Befristung nach deren Ablauf lehnt die
Rspr. dagegen ab: Auch die mehrfach nicht eingetretene Prognose, dass ein
bislang freigestelltes Betriebsratsmitglied an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt,
rechtfertige ohne besondere zusätzliche vertrauensbildende Umstände keinen
Einstellungsanspruch seines Vertreters mit befristetem Arbeitsvertrag. Die von
der Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch bei einem Prognoseirrtum
nach betriebsbedingter Kündigung entwickelten Rechtsgrundsätze seien bei
wirksamer
Befristung
eines
Arbeitsvertrages
nicht
entsprechend
anzuwenden.468
Dem ist zuzustimmen.469
Für eine Parallele zum Wiedereinstellungsanspruch im Kündigungsfall spricht
zwar, dass es in beiden Fallgestaltungen um eine bloße Prognoseentscheidung
geht.
Auf
den
ersten
Blick
scheint
daher
eine
Übertragung
dieser
Rechtsprechung auf befristete Arbeitsverhältnisse nahe zu liegen.470 Nach § 14
I TzBfG ist für die Befristung ein sachlicher Grund erforderlich, dem regelmäßig
ebenso wie der betriebsbedingten Kündigung eine Prognose zugrunde liegt,
beispielsweise der vorübergehende Vertretungsbedarf (§ 14 I 2 Nr. 2 TzBfG).
Diese Prognose kann ebenso wie die der Kündigung zugrunde liegende
Prognose nachträglich widerlegt werden, insbesondere dann, wenn sich statt
eines vorübergehenden ein dauerhafter Bedarf ergibt und damit der sachliche
468
469
470
LAG Düsseldorf (11 Sa 469/99), DB 2000, 222, 222; LAG Niedersachsen (5 Sa 289/00),
LAGE § 620 BGB Nr. 64.
So auch LAG Düsseldorf (3 Sa 1781/99), NZA-RR 2000, 456, 456; Hunold, NZA-RR 2000,
505, 514; Bauer, BB 2001, 2526, 2527.
Bejahend daher Manske, FA 1998, 143, 144.
- 181 Grund
für
die
Befristung
wegfällt.
Eine
solche
Widerlegung
der
Befristungsprognose berührt die Wirksamkeit der Befristung nicht, denn
Beurteilungszeitpunkt
des
Befristungsgrundes
ist
der
Zeitpunkt
der
Befristungsabrede.471 Danach eintretende Umstände müssen unberücksichtigt
bleiben.472
Nun könnte man sogar argumentieren, bei Zeitverträgen mit mehrjähriger
Laufzeit sei das Risiko eines Prognosefehlers für den Arbeitnehmer erheblich
schwerwiegender, da es - anders als bei in der Regel überschaubaren
Kündigungsfristen - um Zeiträume erheblichen Umfangs gehe. Von daher seien
die der Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch zugrunde liegenden
Erwägungen umso mehr am Platze und stelle sich die Prognose zum Wegfall
der
Beschäftigungsmöglichkeit
ebenso
wie
bei
Abschluss
eines
Aufhebungsvertrages als Geschäftsgrundlage der Zeitbefristung dar.
Rechtlicher Ausgangspunkt der Betrachtung ist indes nicht die weitgehende
Parallelität der Prognoseentscheidungen, sondern der ihnen jeweils zugrunde
liegende
Rechtsstatus
des
Beschäftigten.473
Im
Falle
rechtswirksamer
Befristung ist der Bestandsschutz von Anfang an einer zeitlichen Beschränkung
unterworfen, ein das Befristungsende überdauernder Bestandsschutz besteht
nicht. Zu keiner Zeit befindet sich der Arbeitnehmer in einer auf die unbefristete
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zielenden und von der Rechtsordnung
insoweit geschützten Position, sondern in einem Bestand "auf Zeit". Mehr wird
ihm kraft Individualvereinbarung in Anwendung des § 620 I BGB nicht
eingeräumt, soweit es sich nicht um einen Umgehungstatbestand mit der Folge
des
§
16
TzBfG
handelt.
Will
der
Wiedereinstellungsanspruch
bei
Prognosefehlern im wirksam gekündigten Arbeitsverhältnis den Arbeitnehmer
unter
den
gegebenen
Voraussetzungen
471
ErfK – Müller-Glöge, § 620 BGB Rn 46.
472
Boewer, NZA 1999, 1177, 1180.
473
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 577 f.
wieder in
den
ursprünglichen
- 182 Rechtszustand
–
Bestehen
eines
unbefristeten,
ungekündigten
Arbeitsverhältnisses – zurückführen, so kann eine solche Korrektur im Falle der
wirksamen Befristungsabrede zu keinem weitergehenden Rechtsstatus führen,
als dem Arbeitnehmer vertragsgemäß zustand, nämlich dem Arbeitsverhältnis
auf Zeit.474 Die Überführung des zeitlich wirksam befristet eingestellten
Arbeitnehmers in ein neues, unbefristetes Arbeitsverhältnis stellt sich von daher
nicht als korrigierende Wiederherstellung des ursprünglichen Vertragszustandes,
sondern als ein "aliud" dar, auf welches zu keiner Zeit in Anbetracht der
Wirksamkeit der Befristungsabrede ein von der Rechtsordnung gewährter
Anspruch bestand. Bei anderer Betrachtungsweise wäre dem Arbeitgeber die
Entscheidung über das "Ob" sowie den geeigneten Vertragspartner eines
unbefristeten Arbeitsverhältnisses aus der Hand genommen.475
Zutreffend geht das BAG476 daher davon aus, dass eine Verpflichtung des
Arbeitgebers zur Verlängerung eines wirksam befristeten Arbeitsvertrages nur
ausnahmsweise, nämlich bei Vorliegen eines besonderen Rechtsgrundes
anzuerkennen ist. Der bloße Wegfall des Befristungsgrundes reicht hierfür nicht
aus.
Vielmehr
muss
der
Arbeitgeber
bei
Abschluss
des
befristeten
Arbeitsvertrages oder während seiner Laufzeit bei dem Arbeitnehmer die
berechtigte Erwartung geweckt haben, in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis
übernommen zu werden. Lehnt er dennoch eine anschließende unbefristete
Einstellung ab, so setzt er sich in Widerspruch zu seinem Vorverhalten und dem
von ihm geschaffenen Vertrauenstatbestand. Insoweit handelt es sich lediglich
um eine Selbstbindung des Arbeitgebers im Einzelfall. Ein Verstoß hiergegen
führt
gegebenenfalls
nach
den
Grundsätzen
des
Verschuldens
bei
Vertragsschluss zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß §§
474
475
476
LAG Düsseldorf (3 Sa 1781/99), NZA-RR 2000, 456, 458 = AR-Blattei ES 380 Nr 66 = LAGE §
620 BGB Nr 63.
LAG Düsseldorf (11 Sa 469/99), DB 2000, 222, 222 f; LAG Düsseldorf (3 Sa 1781/99), NZARR 2000, 456, 458.
BAG (2 AZR 325/88), NZA 1989, 719, 719; BAG (7 AZR 936/94), NZA 1996, 87, 89 f.
- 183 241 II, 311 II Nr. 1, 280 I, 249 BGB. Dieser ist auf den Abschluss eines
unbefristeten Arbeitsvertrages gerichtet.477
Eine völlig andere Sichtweise vertritt Kaiser.478 Ein Wiedereinstellungsanspruch
könne dem Arbeitnehmer im befristeten Arbeitsverhältnis nicht mit der
Begründung vorenthalten werden, er habe nie eine rechtlich geschützte Position
in bezug auf den Arbeitsplatz besessen. Die Frage des Bestandsschutzes hänge
gerade vom Bestehen oder Nichtbestehen des sachlichen Grundes für die
Befristung ab. Sei ein sachlicher Grund Voraussetzung für die Befristung, weil
ansonsten der Bestandsschutz nach dem KSchG umgangen würde, so sei der
Bestand des Arbeitsverhältnisses nur deshalb nicht geschützt, weil die
Befristung sachlich gerechtfertigt war. Ob dies bei Änderung der die Befristung
tragenden Umstände gelten solle, sei dann gerade die Frage.
Hinsichtlich der Wirksamkeit einer Befristung des Arbeitsvertrages kann aber
nichts anderes gelten als für die Wirksamkeit einer Kündigung. Auch insoweit
kommt es auf die Umstände zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts
an. War zum damaligen Zeitpunkt ein die Befristung rechtfertigender sachlicher
Grund nach § 14 I TzBfG gegeben oder nach § 14 II TzBfG nicht erforderlich, so
handelt es sich um eine wirksame Befristung, die nur einen eingeschränkten
Bestandsschutz vermittelt, der durch Zeitablauf suspendiert wird. Entfällt später
der Grund für die Befristung, so kann das nicht nachträglich dem Arbeitnehmer
zu einer Rechtsposition verhelfen, die er nie innehatte. Ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis kommt nur zustande, wenn die Voraussetzungen für eine
wirksame Befristung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorlagen (§ 16
TzBfG). Wollte man das anders sehen, so wäre der wirksam befristete
Arbeitsvertrag in Wirklichkeit ein durch den Wegfall des Befristungsgrundes
auflösend bedingter unbefristeter Arbeitsvertrag.
477
Boewer, NZA 1999, 1177, 1180.
478
Kaiser, ZfA 2000, 205, 227 f (dort FN 91).
- 184 -
III. Prognosekorrektur
nach
Beendigungstatbeständen?
anderen
1. Problemstellung
Denkbar ist auch eine Ausweitung des Wiedereinstellungsanspruchs auf andere
Beendigungstatbestände
als
die
arbeitgeberseitige
Kündigung.
Aufhebungsvertrag und Arbeitnehmerkündigung können aus verschiedenen
Erwägungen für korrekturbedürftig gehalten werden, wobei sich die Frage stellt,
inwieweit hierfür der Wiedereinstellungsanspruch eine probate Problemlösung
sein kann und darf.
Ein Beispiel hierfür liefert der unvorhergesehene Betriebsübergang, bei dem die
Privatautonomie der Vertragsparteien und das zwingende Recht des § 613a
BGB gegeneinander stehen:
Selbstverständlich steht es dem Arbeitnehmer auch im Hinblick auf einen
späteren Betriebsübergang grundsätzlich jederzeit frei, selbst zu kündigen oder
einen Aufhebungsvertrag abzuschließen und sich damit auch einer möglichen
Wiedereinstellungsoption zu begeben.479 Damit könnte jedoch der Schutzzweck
des § 613a BGB in Konflikt geraten, die Kontinuität von Arbeitsplatz und
Arbeitsverhältnis bei einem Betriebsübergang gegen eine Arbeitgeberkündigung
und
möglicherweise
sogar
gegen
einen
Aufhebungsvertrag
oder
eine
Eigenkündigung des Arbeitnehmers zu verteidigen.
Werden beide Vertragspartner im Anschluss an die Vereinbarung eines
Aufhebungsvertrages wegen beabsichtigter Betriebsstillegung von einem
unerwarteten Betriebsübergang überrascht, so könnte
Wiedereinstellungsanspruch
als
Rechtsfolge
Geschäftsgrundlage (§ 313 III BGB) eingreifen.
479
Fischer, DB 2001, 331, 333.
möglicherweise ein
eines
Wegfalls
der
- 185 Abgesehen
davon
könnte
ein
wirksamer
Aufhebungsvertrag
der
Arbeitgeberkündigung gleichgeachtet und damit ebenfalls zur Grundlage eines
Wiedereinstellungsanspruchs werden.
Schließlich
ist
auch
auf
mögliche
Probleme
im
Hinblick
auf
ein
Informationsungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien bei Abschluss eines
Aufhebungsvertrages oder einer Arbeitnehmerkündigung einzugehen.
2. Allgemeiner Rechtsgedanke einer Gleichbehandlung
auf individualrechtlicher Ebene?
Denkbar
wäre
es,
eine
Wiedereinstellung
auch
bei
wirksamem
Aufhebungsvertrag für den Fall, dass der Kündigungsgrund nachträglich entfällt,
mit dem Gebot der Gleichbehandlung zu begründen, zumal es dem geltenden
Recht nicht fremd ist, die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch
Kündigungen und Aufhebungsverträge in gleicher Weise zu erfassen,
beispielsweise in § 112a I 2 BetrVG und dem nach der Richtlinie 98/59/EG
neugefassten § 17 KSchG. Das BAG fordert außerdem eine Gleichbehandlung
im Rahmen von Sozialplanabfindungen.480
Diese eine Gleichbehandlung anordnenden Normen reichen aber für sich allein
nicht
aus,
um
einen Wiedereinstellungsanspruch
begründen,
die
durch
Aufhebungsvertrag
und
für
nicht
Arbeitnehmer
durch
zu
Kündigung
ausgeschieden sind, denn die Zweckrichtung dieser gesetzlich angeordneten
Gleichstellungen ist eine andere. § 112a I 2 BetrVG481 ist wie auch § 17
KSchG482 auf die Wahrung der kollektiven Interessen aller von einer
Betriebseinschränkung bzw. einem Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer
bezogen. Sie haben vor allem das Ziel, arbeitgeberseitigen Bestrebungen, die
480
BAG (10 AZR 885/94), AP Nr. 96 zu § 112 BetrVG 1972.
481
Kraft, SAE 1996, 240, 241.
482
KR – Weigand, § 17 KSchG Rn 9.
- 186 Sozialplanpflicht bzw. Anzeigepflicht für Massenentlassungen zu vermeiden, im
Interesse aller Arbeitnehmer den Boden entziehen. Ganz anders verhält es sich
mit dem Wiedereinstellungsanspruch, der auf die Wahrung der Interessen des
einzelnen Arbeitnehmers abzielt und mit der Wahrung kollektiver Rechte nichts
zu tun hat.483 Für eine Gleichbehandlung unterschiedlicher individualrechtlicher
Beendigungstatbestände
fehlt
es
daher
schon
an
einem
geeigneten
Anknüpfungspunkt.
3. Aufhebungsverträge im Zusammenhang mit einem
Betriebsübergang
a) Wiedereinstellungsanspruch beim bestandskräftigen
echten Aufhebungsvertrag trotz unerwarteten
Betriebsübergangs?
(1) Begrenzter Schutzzweck des § 613a BGB
Der 8. Senat hat für den Fall, dass ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit
einem
Betriebsübergang
Aufhebungsvertrages
aus
dem
endgültig
Arbeitsverhältnis
ausgeschieden
aufgrund
war,
eines
keinen
Wiedereinstellungsanspruch gegen den Betriebsübernehmer gewährt, solange
die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages nicht wegen Anfechtung, Wegfalls
der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grunde beseitigt worden
ist.484 Dem hat sich das LAG Bremen angeschlossen, weil § 613a BGB bei
einem wirksamen Aufhebungsvertrag keinen Anspruch auf Fortsetzung gegen
den Betriebserwerber gewähre.485
483
484
485
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 112.
BAG (8 AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB (unter III 2 der
Gründe).
LAG Bremen (1 Sa 291/98), AuR 1999, 316, 316 f.
- 187 Auch die Lit. erkennt grundsätzlich keinen Wiedereinstellungsanspruch an, wenn
der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung einen Aufhebungsvertrag mit
sofortiger Beendigungswirkung akzeptiert.486
Für den Regelfall kann dem nicht widersprochen werden. Eine einverständliche
Vertragsaufhebung ist etwas anderes als eine einseitige Kündigungserklärung.
Durch den Aufhebungsvertrag verzichtet der Arbeitnehmer auf seinen
Kündigungsschutz. Dann ist es wertungsgerecht, auch die Wiedereinstellung in
diesen Fällen zu verneinen. Auch für den Sonderfall des Betriebsübergangs gilt
nichts anders. Durch die Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs in
den Fällen des § 613a BGB soll der Arbeitnehmer vor den Folgen einer
prognosebedingten Kündigung wegen Betriebsstillegung geschützt werden,
wenn sich die Prognose im Verlauf der weiteren Entwicklung als nicht mehr
haltbar erweist und es zu einem Betriebsübergang kommt. In solchen Fällen ist
auch ein Aufhebungsvertrag gegebenenfalls nach den Regeln über die Störung
der Geschäftsgrundlage anzupassen (§ 313 I BGB) oder wegen Wegfalls der
Geschäftsgrundlage i.e.S. rückabzuwickeln (§ 313 III BGB). Solange hierfür die
Voraussetzungen nicht vorliegen, bleibt es bei der wirksamen einverständlichen
Aufhebung des Vertragsverhältnisses. Wer sich seines Kündigungsschutzes
wirksam
freiwillig
entäußert,
entzieht
damit
auch
einem
möglichen
Wiedereinstellungsanspruch die Grundlage, da hierfür die Aufhebung des
Bestandsschutzes durch wirksame Arbeitgeberkündigung vorausgesetzt wird.
Ein Arbeitgeber, der den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses nicht durch
eigene rechtsgestaltende Erklärung liquidiert hat, kann auch nicht zu seiner
Wiederherstellung verpflichtet sein. Da Aufhebungsverträge regelmäßig auch die
Zahlung von Abfindungen vorsehen, wird man in der Regel davon ausgehen
müssen, dass sich der Arbeitnehmer seinen Kündigungsschutz und damit auch
eine mögliche Wiedereinstellung vertraglich hat „abkaufen“ lassen. Unabhängig
davon gebietet es die Privatautonomie, für Rechtsgestaltungsakte bestehende
486
Nägele, BB 1998, 1686, 1688; Fischer, DB 2001, 331, 332; Meyer, BB 2000, 1032, 1036;
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 112 f.
- 188 Schutzregelungen nicht eins zu eins auf vertragliche Übereinkünfte zu
übertragen.
Für
den
Arbeitnehmer,
dem
die
Schließung
eines
Aufhebungsvertrages angeboten wird, ist im Prinzip nichts einfacher, als „nein“
zu sagen, wenn er sich die aus dem Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses
sich ergebenden Ansprüche offen halten will.
Auch die Besonderheiten des Betriebsübergangsrechts führen zu keinem
anderen Ergebnis. Die Arbeitsvertragsparteien können ihr Arbeitsverhältnis im
Zusammenhang mit einem Betriebsübergang auch ohne Vorliegen eines
sachlichen Grundes wirksam durch Aufhebungsvertrag auflösen, wenn die
Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem
Betrieb gerichtet ist.487
Auch von einer Gesetzesumgehung kann dabei folglich keine Rede sein.
Kündigungsbeschränkungen werden durch Aufhebungsverträge nicht unzulässig
umgangen, sondern zulässig vermieden. Wer nicht stiehlt, umgeht nicht § 242
StGB, sondern vermeidet ihn; wer nicht kündigt, sondern Aufhebungsverträge
schließt, umgeht nicht die Kündigungsbeschränkungen, sondern vermeidet
sie.488
Für
Arbeitnehmer,
Arbeitsverhältnis
die
aufgeben,
europarechtlichen
Arbeitsverhältnisses
Gründen
gegen
aufgrund
eigenen
besteht
auch
einen
den
Willensentschlusses
keine
Anspruch
auf
Betriebserwerber
ihr
Notwendigkeit,
aus
Fortsetzung
des
einzuräumen.
Die
Betriebsübergansrichtlinie489 und § 613a IV 1 BGB schützen den Arbeitnehmer
487
BAG (8 AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 320.
488
So treffend Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821.
489
Richtlinie 77/187/EWG idF Richtlinie 98/50/EG.
- 189 vor einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs; Aufhebungsverträge
werden weder untersagt noch in ihrer Wirkung eingeschränkt.490
Für die (u.U. arbeitgeberseitig veranlasste) Eigenkündigung kann es nicht
anders sein. Hier betätigt der Arbeitnehmer einmal mehr einen autonomen
Willensentschluss. Gelingt es dem Arbeitnehmer nicht, seine Willenserklärung
beispielsweise durch Anfechtung zu beseitigen, so muss er sich an dem
freiwilligen Verzicht auf das Arbeitsverhältnis festhalten lassen, selbst wenn
später ein hypothetischer arbeitgeberseitiger Kündigungsgrund entfallen sollte,
auf den es mangels Arbeitgeberkündigung aber nicht ankam.
(2) Parallele zum Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers
Ist ein Aufhebungsvertrag im Zusammenhang mit einem bevorstehenden
Betriebsübergang auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem
Betrieb gerichtet, so ist die Vereinbarung auch ohne Vorliegen eines sachlichen
Grundes wirksam, verstößt also nicht gegen die §§ 613a, 134 BGB.491 Dies hat
die (nur auf den ersten Blick seltsame) Konsequenz, dass der Arbeitnehmer sein
Arbeitsverhältnis zwar beenden (Privatautonomie), nicht jedoch verschlechtern
darf
(gesetzliches
Verbot).492
Will
ein
Arbeitnehmer
weder
beim
Betriebsveräußerer noch beim Betriebserwerber weiterarbeiten, so begegnet es
keinen
Bedenken,
wenn
er
mit
dem
Betriebsveräußerer
einen
Aufhebungsvertrag abschließt. So, wie der Arbeitnehmer durch Widerspruch
gegen den bevorstehenden Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den
Betriebserwerber dessen Fortbestand in Frage stellen kann, weil beim
Betriebsveräußerer dann ein betriebsbedingter Kündigungsgrund entsteht, kann
er auch gleich einen Aufhebungsvertrag schließen. Die auf das endgültige
Ausscheiden des Arbeitnehmers gerichtete Vereinbarung fällt nicht in den
490
491
492
BAG (8 AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 324; LAG Bremen (1 Sa 291/98), AuR 1999, 316, 316 f.
BAG (3 AZR 154/95), NZA 1996, 207, 208; BAG (8 AZR 654/95), NZA 1999, 262, 262; BAG (8
AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 320 und 323 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB.
Nicolai, ZfA 1999, 617, 635.
- 190 Schutzbereich
des
§
613a
IV
BGB,
der
keinen
Schutz
vor
einer
einverständlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund
bezweckt, sondern den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses lediglich möglich
machen will.493
b) Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 III BGB) beim echten
Aufhebungsvertrag
(1) Voraussetzungen
Beim Aufhebungsvertrag kann ein Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 III
BGB) eingreifen, wenn Grundlage des Vertrages die beiderseitige Erwartung
des
bevorstehenden
Wegfalls
der
Beschäftigungsmöglichkeit
war,
die
Vertragsparteien also einer arbeitgeberseitigen Kündigung zuvorkommen
wollten, die andernfalls unvermeidbar gewesen wäre.
Voraussetzung für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage ist dann, dass sich
nach
Abschluss
des
Aufhebungsvertrages
das
Erhaltenbleiben
einer
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit wider Erwarten herausstellt, etwa weil sich für
den stillzulegenden Betrieb unerwartet ein Betriebsübernehmer gefunden hat.
Zwar kann einem Arbeitnehmer stets zugemutet werden, bei einem sich
abzeichnenden Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit eine arbeitgeberseitige
Kündigung abzuwarten, also nicht vorschnell das Arbeitsverhältnis aufzugeben.
Eine
Verstoß
gegen
diese
Obliegenheit
kann
durchaus
(zumindest
sozialversicherungsrechtliche494) Konsequenzen haben.
493
494
So im Anschluss an Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821 f: BAG (8 AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 323;
Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 455.
Nach verschärfter Weisungslage bei der Bundesanstalt für Arbeit aufgrund
Durchführungsanweisung 1.532 Abs. 1 (NZA 1997, 430), sind Eigenkündigung und
Aufhebungsvertrag auch dann nicht als wichtiger Grund anzusehen, der dem Eintritt einer
Sperrzeit i.S.von § 144 I Nr. 1 SGB III entgegensteht, wenn sich der Arbeitnehmer zutreffend
darauf beruft, dass ihm andernfalls arbeitgeberseitig gekündigt worden wäre. Gemäß § 144 III
2 Nr. 1 SGB III tritt folglich eine Sperrzeit von mind. 3 Wochen auch dann ein, wenn der
- 191 Damit ist aber die Frage nach einem möglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage
noch nicht präjudiziert. Regelmäßig wird es nämlich so sein, dass der
Arbeitnehmer beim Abschluss des Aufhebungsvertrages von einem endgültigen
Wegfall seines Arbeitsplatzes ausgeht.495 Entscheidend kommt es hier auf die
Vertragsauslegung an. Geht der Parteiwille dahin, unabhängig von der weiteren
Entwicklung einen endgültigen Schlussstrich unter die vertragliche Beziehung zu
setzen,
so
besteht
keine
Veranlassung,
die
Wirksamkeit
eines
Aufhebungsvertrages in Zweifel zu ziehen, wenn sich die betrieblichen
Umstände, mit denen der Vertrag gerade nicht stehen und fallen sollte,
nachträglich ändern. Wer sich frei von Zwängen zu einer Aufhebung seines
Arbeitsverhältnisses entschließt, weil er z.B. einen anderen Arbeitsplatz
gefunden hat oder eine seit langem gehegte Planung verwirklicht, sich
selbstständig zu machen, hat keinen Wiedereinstellungsanspruch bei Wegfall
eines fiktiven Kündigungsgrundes, weil dieser nicht zur Geschäftsgrundlage des
Vertrages geworden ist.496
Bezieht sich der Parteiwille jedoch darauf, gerade der gegenwärtigen
betrieblichen Situation gerecht zu werden und einer arbeitgeberseitigen
Kündigung zuvorzukommen, wofür es verschiedene Gründe geben kann,
beispielsweise dass wegen einer arbeitgeberseitigen Kündigung Nachteile für
das berufliche Fortkommen befürchtet werden, dann spricht nichts dagegen,
sorgsam
zu
prüfen,
ob
die
Voraussetzungen
für
einen Wegfall
der
Geschäftsgrundlage gegeben sind:
Es muss sich um Umstände handeln, die nicht Vertragsbestandteil geworden
sind und die sich nach Vertragsschluss entscheidend verändert haben.
Arbeitslose die bevorstehende Arbeitgeberkündigung nicht abwartet, sondern sein
Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag selbst löst und dadurch vorsätzlich die
Arbeitslosigkeit herbeiführt.
495
496
Hergenröder, Anm. zu BAG (2 AZR 140/97), EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr.
3.
Meyer, BB 2000, 1032, 1036.
- 192 Die Parteien müssten, wenn sie die Änderung vorausgesehen hätten, den
Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen haben.
Das Festhalten am unveränderten Vertrag muss für den einen Teil unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen
oder gesetzlichen Risikoverteilung, unzumutbar sein.497
In der Regel wird es sich bei der Unabsehbarkeit der weiteren Entwicklung um
einen Umstand handeln, der ohnehin in das vertraglich übernommene Risiko
des Arbeitnehmers fällt, sofern dieser nach der getroffenen Vereinbarung einen
finanziellen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes erhält.498 Dann ist ein
Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen. Diese Regelvermutung hat
jedoch allenfalls den Charakter eines ersten Anscheins. Der Einzelfall kann
anders liegen.
Auch
wenn
rechtstechnisch
eine
Lösung
über
den
Wegfall
der
Geschäftsgrundlage problematisch erscheint, so überzeugt doch das Ergebnis,
die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages, dessen Abschluss im Einzelfall durch
die Erwartung zukünftiger Umstände und die mit ihnen nach der Vorstellung der
Parteien einhergehenden Zwänge motiviert war, nicht unabhängig von der
weiteren
Entwicklung
dieser
Umstände
zu
beurteilen,
soweit
die
Voraussetzungen einer Geschäftsgrundlage gegeben sind.
(2) Rechtsfolge
Für die Wiedereinstellungsproblematik kommt es nun darauf an, welche
Rechtsfolge der Wegfall der Geschäftsgrundlage beim Aufhebungsvertrag
herbeiführt, und inwieweit davon der Erwerber betroffen ist. Beim noch zu
erörternden
Parallelproblem
des
Abwicklungsvertrags
nach
wirksamer
Kündigung muss das Arbeitsverhältnis in jedem Fall neu begründet werden,
497
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
498
Moll/Reufels, EWiR 1999, 995, 996.
- 193 denn auch bei Unwirksamkeit des Abwicklungsvertrages bleibt die zuvor erklärte
wirksame Kündigung bestehen. Beim Aufhebungsvertrag ist dagegen eine
Wiedereinstellung gar nicht erforderlich, wenn sich dessen Unwirksamkeit im
noch bestehenden Arbeitsverhältnis herausstellt, das dann problemlos über das
zunächst vereinbarte Ende hinaus fortgesetzt werden kann.
Hierzu bedarf es nach § 313 III 1 BGB einer Erklärung, durch die der
Arbeitnehmer das ihm zustehende gesetzliche Rücktrittsrecht ausübt. Eine
vorrangige Vertragsanpassung (§ 313 I und II BGB) kommt hier nicht in
Betracht,
da
sich
anders
die
letztlich
grundlos
verloren
gegangene
Existenzgrundlage des Arbeitnehmers nicht wieder herstellen lässt.
Würde
die
Unwirksamkeit
auf
den
Zeitpunkt
der
Vornahme
des
Aufhebungsvertrages zurückwirken, ginge es stets um eine bloße Fortsetzung
des
Arbeitsverhältnisses.
Der
Wegfall
der
Geschäftsgrundlage
lässt
Rechtsfolgen allerdings stets erst Ex nunc eintreten. Wenn mit dem
Betriebsübergang
sich
zeitgleich
der
Rückgewährschuldverhältnis umwandelt,
Aufhebungsvertrag
weil
in
ein
dessen Geschäftsgrundlage
entfällt, kann die Rechtsfolge des § 613a I 1 BGB für den Betriebserwerber nur
dann noch eingreifen, wenn das Arbeitsverhältnis nicht schon beendet ist. Der
Erwerber
tritt
dann
„ipso
iure“
in
das
zum
Veräußerer
bestehende
Arbeitsverhältnis ein, es handelt sich um einen gesetzlich angeordneten
Vertragspartnerwechsel.499
Der Aufhebungsvertrag kann die von ihm
angestrebte Rechtsfolge in diesem Fall gar nicht erst herbeiführen, wenn er mit
einer Auslauffrist verbunden worden ist und vor seinem Wirksamwerden durch
einen unvorhergesehenen Betriebsübergang überholt wird. In diesem Fall
bewirkt der Wegfall der Geschäftsgrundlage, dass das Arbeitsverhältnis nicht
beendet, sondern mit dem Erwerber fortgesetzt wird.
499
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 253.
- 194 Hat der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis aber bereits beendet, bevor es
unvorhergesehen zu einem Betriebsübergang kommt, so bedarf es eines
Wiedereinstellungsanspruchs, um die vertraglichen Hauptpflichten mit Wirkung
Ex nunc neu zu begründen. Diesen als Rechtsfolge des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage zu sehen, bereitet allerdings Schwierigkeiten, denn die
erforderliche Neubegründung vertraglicher Hauptpflichten ist etwas anderes als
die in §§ 313 III 1, 346 I BGB vorgesehene Rückgewähr empfangener
Leistungen. Die Wiederherstellung des „Status Quo Ante“ ließe sich schon eher
über einen Schadensersatzanspruch begründen. Der Besonderheit, dass es
beim Aufhebungsvertrag nicht um den „Normalfall“ eines Leistungsaustausches
geht, sondern um die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses, muss
folgerichtig auch in der Ausgestaltung der Rechtsfolge Rechnung getragen
werden, weshalb ein Wiedereinstellungsanspruch nach arbeitsrechtlichem
Aufhebungsvertrag über den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit Rücksicht auf
die Entwicklung des Instituts aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) wohl vertretbar
sein dürfte.
c) Sonderproblem des vom Arbeitgeber veranlassten
Aufhebungsvertrages bzw. der von ihm veranlassten
Eigenkündigung - § 123 BGB
(1) Informationsasymmetrie
Neben dem Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen nachträglicher Veränderung
der maßgeblichen
Umstände
Gesetzesumgehung
i.S.v.
§
ist auch
134
BGB
die
oder
Annahme
eine
einer objektiven
Anfechtbarkeit
des
Aufhebungsvertrages gemäß § 123 I BGB denkbar, wenn zwischen den
Vertragspartnern eine Informationsasymmetrie besteht.
Ausgangspunkt ist folgender: Der Arbeitgeber weiß im Unterschied zum
Arbeitnehmer vom bevorstehenden Betriebsübergang oder dessen Rechtsfolgen
und nutzt diesen Informationsvorsprung, um einen Aufhebungsvertrag oder eine
Eigenkündigung zu erreichen und so die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu
umgehen.
- 195 -
(2) Entsprechende Anwendung von § 613a BGB?
Es ist vorgeschlagen worden, echte (also auf das endgültige Ausscheiden des
Arbeitnehmers gerichtete) Aufhebungsverträge am Schutzzweck des § 613a
BGB zu messen, wenn sie auf Druck des Arbeitgebers geschlossen werden.500
Man könnte diesen Gedanken ebenso auf vom Arbeitgeber veranlasste
Eigenkündigungen anwenden und mit Hilfe von § 613a I 1 und IV 1 BGB einen
Wiedereinstellungsanspruch rechtfertigen.
(a) Gleichbehandlung von „veranlasster“ Eigenkündigung bzw.
„veranlasstem“ Aufhebungsvertrag mit der
Arbeitgeberkündigung?
Eine Ausdehnung der den Arbeitgeber treffenden Wiedereinstellungspflicht auf
den Fall der vom Arbeitgeber „veranlassten“ Eigenkündigung oder des von ihm
„veranlassten“ Aufhebungsvertrages könnte mit dem Argument verteidigt
werden, der Arbeitgeber dürfe sich nicht durch die Art und Weise der
rechtstechnischen
Gestaltung
des
Beendigungstatbestandes
einer
Wiedereinstellungspflicht entziehen. Im Anwendungsbereich zwingenden Rechts
sei Umgehungstatbeständen wirksam vorzubeugen.501 Wenn und soweit bei
Arbeitgeberkündigung ein Wiedereinstellungsanspruch anzuerkennen ist, dürfe
auch
bei
vom
Arbeitgeber
veranlassten
Eigenkündigungen
oder
Aufhebungsverträgen nichts anderes gelten.502 Es komme jeweils auf die
Motive an, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben und nicht
auf die Form.503 Der arbeitgeberseitigen Kündigung stehe es daher gleich,
wenn ein Arbeitnehmer aufgrund der Mitteilung des Arbeitgebers, den Betrieb
oder einen Teil hiervon zu schließen, im Hinblick auf den bevorstehenden
Wegfall des Arbeitsplatzes von sich aus das Arbeitsverhältnis kündigt. Gleiches
500
KR – Pfeiffer, § 613a BGB Rn 115a; Erman – Hanau, § 613a BGB Rn 71, 120; Hanau, ZIP
1999, 324, 325.
501
So Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 576.
502
Nägele, BB 1998, 1686, 1687; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 577.
503
Nägele, BB 1998, 1686, 1689.
- 196 müsse gelten, wenn der Arbeitnehmer im Vorfeld einer angekündigten
betriebsbedingten
Kündigung
der
einvernehmlichen
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses zustimmt.504
(b) Parallele zur Anwendung des arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatzes im Hinblick auf
differenzierende Sozialplanansprüche?
Hierfür könnte auch eine ähnliche Argumentation des BAG im Hinblick auf eine
unterschiedliche Behandlung bei Sozialplanansprüchen streiten.
Werden
Arbeitnehmer
Abfindungszahlungen
im
Hinblick
unterschiedlich
auf
behandelt,
Sozialplanansprüche
je
nachdem,
ob
auf
das
Arbeitsverhältnis durch Arbeitgeberkündigung oder durch eine Eigenkündigung
oder einen Aufhebungsvertrag beendet wurde, so soll nach dem 10. Senat ein
Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz dann
vorliegen, wenn der Arbeitgeber diese Beendigungstatbestände veranlasst hat.
Der
Arbeitnehmer
kann
vom
Arbeitgeber
zum
Abschluss
eines
Aufhebungsvertrages oder einer Eigenkündigung in der Weise „veranlasst“
werden, dass der Arbeitgeber final auf die Entschließung des Arbeitnehmers
einwirkt, mit dem Ziel, ihn zu einer solchen Willenserklärung zu bestimmen.505
Eine Veranlassung soll nur dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt,
selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, um so eine
sonst notwendig werdende Kündigung zu vermeiden. Ein bloßer Hinweis des
Arbeitgebers auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendige
Betriebsänderungen oder der Rat, sich eine neue Stelle zu suchen, genügen
nicht.506 Der 10. Senat geht mithin davon aus, dass die „Veranlassung“ bzw.
das „Bestimmen“ zu einer Eigenkündigung oder der Zustimmung zu einem
504
Nägele, BB 1998, 1686, 1687.
505
Kraft, SAE 1996, 240, 242.
506
BAG (10 AZR 885/94), SAE 1996, 236, 236.
- 197 Aufhebungsvertrag die an sich gegebene sachliche Differenzierung beseitige
und sie deshalb gleichheitswidrig und damit unwirksam mache.
In
Übertragung
dieser
Rspr.
könnte
man
annehmen,
auch
für
den
Wiedereinstellungsanspruch dürfe nicht zwischen einer Arbeitgeberkündigung
und diesen Beendigungstatbeständen differenziert werden, wenn sie nur auf
Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer arbeitgeberseitigen
Kündigung zustande kamen und der Arbeitnehmer hierzu bestimmt worden ist.
(c) Vertragsfreiheit in den Grenzen des § 123 BGB
Dabei handelt es sich jedoch um einen besonderen Problemkreis. Die
„Veranlassung“ des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages oder einer
Eigenkündigung kann unter dem Gesichtspunkt des § 123 I BGB ein
Anfechtungsrecht begründen, wenn eine arglistige Täuschung (beispielsweise
über die Ernsthaftigkeit der Stillegungsabsicht / das Bevorstehen eines
Betriebsübergangs) oder eine widerrechtliche Drohung (mit einer unberechtigten
Kündigung, die ein verständiger Arbeitgeber nicht ernsthaft erwogen hätte)
vorliegt.507
Auch an der Berechtigung einer Gleichbehandlung von arbeitgeberseitig
„veranlassten“
Aufhebungsverträgen
und
Eigenkündigungen
mit
Arbeitgeberkündigungen im Hinblick auf Sozialplanansprüche werden schließlich
Zweifel erhoben. Denn wenn der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer
Betriebsänderung normalerweise keine Möglichkeit hat, den Arbeitnehmer zu
einer Eigenkündigung oder zum Abschluss von Aufhebungsverträgen zu
zwingen oder auch nur Druck auf ihn auszuüben, ist nicht einzusehen, warum
z.B. der Hinweis auf eine Verschlechterung der betrieblichen Situation und auf
möglicherweise erforderlich werdende Kündigungen, verbunden mit der
Anregung
507
von
Eigenkündigungen
So auch Hanau, ZIP 1999, 324, 325.
oder
des
Abschlusses
von
- 198 Aufhebungsverträgen ein Verhalten darstellen soll, dass eine Gleichbehandlung
ganz unterschiedlicher Beendigungsformen rechtfertigt.508 Um die Grenzen
zulässiger und unzulässiger Gestaltungsformen auszuloten, stehen andere
Korrektive bereit. Neben einer Anfechtungsmöglichkeit ist auch ein Wegfall der
Geschäftsgrundlage denkbar. Beide treffen den Regelsachverhalt sicherlich
nicht.509 Innerhalb dieser Grenzen sind die Vertragspartner gerade frei in ihrer
Entscheidung, das Arbeitsverhältnis einverständlich aufzuheben und die damit
möglicherweise
verbundenen
Nachteile
für
den
Arbeitnehmer
finanziell
auszugleichen oder dies nicht zu tun. Im Falle einer Eigenkündigung darf zudem
der Arbeitgeber regelmäßig davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer bereits
einen anderen Arbeitsplatz gefunden hat.
Eine Rechtsfortbildung, die auch den echten Aufhebungsvertrag oder gar die
(vom
Arbeitgeber
veranlasste)
Arbeitnehmerkündigung
in
den
Anwendungsbereich des § 613a BGB mit einbezöge, lässt sich weder auf §
613a BGB, noch auf die Betriebsübergangsrichtlinie stützen und würde von dem
allgemeinen Prinzip abweichen, dass zwingende Kündigungsschutzvorschriften
nicht
für
Aufhebungsverträge
gelten,
letztere
vielmehr
Ausdruck
der
Vertragsfreiheit und daher allenfalls anfechtbar sind.510
(d) Objektive Gesetzesumgehung - §§ 613a, 134 BGB?
Fischer511 schlägt vor, eine objektive Umgehung des § 613a BGB anzunehmen,
wenn allein der Arbeitgeber von dem nahenden Betriebsübergang weiß, den
Arbeitnehmer hierüber nicht informiert und unter Hinweis auf den baldigen
Wegfall des Arbeitsplatzes wegen angeblicher Stillegung des Betriebes den
Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder eine Eigenkündigung erreicht.
Insoweit handele es sich um einen mit dem Normzweck unvereinbaren
508
Kraft, SAE 1996, 240, 242.
509
So auch Moll/Reufels, EWiR 1999, 995, 996.
510
Hanau, ZIP 1999, 324, 325.
511
Fischer, DB 2001, 331, 333.
- 199 Gestaltungsmissbrauch. Der Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes
wird
zunächst
nur
dem
Arbeitgeber
bekannt
sein.
Nutzt
er
diesen
Informationsvorsprung aus, um die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu umgehen,
so sei der Aufhebungsvertrag bzw. die Eigenkündigung gemäß § 134 i.V.m. §
613a I 1 BGB nichtig.
Eine i.S.v. § 613a V BGB ordnungsgemäße Unterrichtung beseitige das Risiko
einer Umgehung von § 613a BGB, da hiernach der Arbeitnehmer frei
entscheiden könne, ob er auf den durch die Vorschrift vermittelten Schutz
verzichten wolle oder nicht. Angesichts der objektiven Umgehung des § 613a
BGB solle man den Arbeitnehmer nicht allein auf ein Anfechtungsrecht
verweisen.
Gegen die Annahme einer objektiven Gesetzesumgehung spricht jedoch die
bereits vertiefte Überlegung, dass § 613a BGB und die ihm zugrunde liegende
Betriebsübergangsrichtlinie im Hinblick auf echte Aufhebungsverträge keine
positive Aussage enthalten, und zwar auch dann nicht, wenn die Umstände des
Zustandekommens
des
Aufhebungsvertrages
zweifelhaft
sind.
Ist
der
Aufhebungsvertrag selbst mit einem Mangel behaftet, so ist dem Arbeitnehmer
als Vertragspartner auch zuzumuten, sich darauf im Wege der Anfechtung zu
berufen. Erweist sich dann der Aufhebungsvertrags dennoch als wirksam, so
kann auch keine Gesetzesumgehung vorliegen. Erweist er sich als nichtig (§ 142
I BGB), so greift unmittelbar § 613a I 1 BGB ein. Im Übrigen würde die
Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB sonst auch dann eingreifen, wenn der
Arbeitnehmer bereits nicht mehr an einer Weiterbeschäftigung interessiert ist,
während ihm ein Anfechtungsrecht ebenso wie das Widerspruchsrecht des §
613a VI BGB ein Wahlrecht einräumt.
(3) Fazit
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die arbeitgeberseitige „Veranlassung“
des Arbeitnehmers zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder zu einer
Eigenkündigung nicht die Anwendung des § 613a BGB, auch nicht in der
Ausformung
eines
Willenserklärung
des
Wiedereinstellungsanspruchs,
Arbeitnehmers
unter
rechtfertigt.
Berücksichtigung
Hat
die
allgemeiner
zivilrechtlicher Regeln Bestand, so stehen die Beendigungstatbestände
„Aufhebungsvertrag“
und
„Eigenkündigung“
der
Entstehung
eines
- 200 Wiedereinstellungsanspruchs
entgegen.
Hat
die
Willensäußerung
des
Arbeitnehmers keinen Bestand, so kann entweder § 613a I 1 BGB noch direkt
eingreifen oder nach dem Vorgesagten auch ein Wiedereinstellungsanspruch
entstehen.
- 201 -
E. Reichweite der
Wiedereinstellungspflicht
I. Unerwartet erhalten gebliebener, frei gewordener
und neu entstandener Arbeitsplatz
Für den Anwendungsbereich des Anspruchs von Bedeutung sind schließlich die
sachlichen Anforderungen an den Fortfall des Kündigungsgrundes. In
Ergänzung zu den drei Grundarten der sozial gerechtfertigten Kündigung nennt
§ 1 II KSchG in seinen Sätzen 2 und 3 weitere sog. absolute Kündigungsgründe.
So
kann
ein
grundsätzlich
gegebener
betriebs-,
personen-
oder
verhaltensbedingter Grund, der es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, den
Arbeitnehmer auf seinem Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen, trotzdem keine
soziale Rechtfertigung beanspruchen, wenn sich eine anderweitige zumutbare
Beschäftigungsmöglichkeit auf Betriebs- oder Unternehmensebene finden ließe
oder
zumutbare
Umschulungs-
oder
Fortbildungsmaßnahmen
eine
Weiterbeschäftigung unter geänderten Arbeitsbedingungen ermöglichen und der
Arbeitnehmer sich mit der Veränderung einverstanden erklärt.
Entfällt nun der einmal gegebene Kündigungsgrund allein dann, wenn sich das
Arbeitsverhältnis genau so wieder herstellen ließe, wie es vor der Kündigung
bestand? Kann der Arbeitnehmer auch die Beschäftigung auf einem anderen
Arbeitsplatz verlangen? Richtet sich der Wiedereinstellungsanspruch damit auch
auf die Herstellung eines anderen Arbeitsverhältnisses?
Praktisch ist vor allem der Fall, dass der Arbeitnehmer auf einen anderen
Arbeitsplatz eingestellt werden möchte, der erst nach seiner Kündigung
unvorhergesehen frei geworden ist oder aber völlig neu geschaffen wurde.
II. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit entspr. § 1
II 2 Nr. 1 b) und Nr. 2 b) KSchG
Die
klassischen
Fälle
des
Wiedereinstellungsanspruchs
betrafen
stets
Fallgestaltungen, in denen ein Arbeitnehmer auf „seinen“ Arbeitsplatz wieder
einsgestellt werden wollte, der entgegen der arbeitgeberseitigen Prognose im
- 202 Kündigungszeitpunkt doch erhalten geblieben war, etwa, weil der Betrieb nicht
wie beabsichtigt stillgelegt, sondern unerwartet fortgeführt worden war oder sich
unerwartet ein Betriebsübernehmer fand.
Die Verknüpfung des Wiedereinstellungsanspruchs mit dem durch § 1 KSchG
intendierten Bestandsschutz lässt aber auch eine Wiedereinstellung auf einen
anderen als den vom Arbeitnehmer vormals besetzten Arbeitsplatz zu. Wenn
wegen § 1 II 2 Nr. 1 b) bzw. Nr. 2 b) KSchG die Kündigung sich auch deshalb
als
unwirksam
erweisen
kann,
weil
sich
eine
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb
des
Unternehmens
ergibt,
dann
will
nicht
einleuchten,
die
Wiedereinstellungspflicht auf den Fall des erhalten gebliebenen Arbeitsplatzes
zu beschränken, zumal das Prognoseprinzip auch die Nichtabsehbarkeit
anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten mit einbezieht.512 Eine solche
anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit entsteht beispielsweise dann, wenn
unvorhergesehen ein sozial schutzwürdigerer Arbeitnehmer auf eigenen
Wunsch aus dem Betrieb ausscheidet und der freigewordene Arbeitsplatz für
einen der Gekündigten funktional in Frage kommt.513
Entscheidend muss es darauf ankommen, dass in diesen Fällen die Kündigung
unter Berücksichtigung der nachträglich sich ergebenden Umstände wirksam
nicht mehr hätte erklärt werden können.514
So hat auch der 7. Senat in der Entscheidung vom 06.08.1997515 die
Wiedereinstellungsklage zu geänderten Vertragsbedingungen (Beschäftigung
des vormals als Wagenpfleger tätigen Arbeitnehmers als Fahrer516) nicht
512
So auch Furier, AiB 1999, 246, 247.
513
Hinrichs, AiB 1997, 615, 616.
514
BAG (2 AZR 369/89), AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (B II 5 der
Gründe m.w.N.); Berkowsky Kündigung, § 3 Rn 42 ff.
515
BAG (7 AZR 557/96), MDR 1998, 422 ff = NZA 1998, 254 ff.
516
Siehe Zusammenfassung des Tatbestandes oben auf Seite 8.
- 203 beanstandet. Die Klage erwies sich nach Auffassung des Senats schließlich nur
deshalb als unbegründet, weil die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit sich
erst nach Ablauf der Kündigungsfrist ergeben hatte. In seiner Entscheidung vom
28.06.2000517 hat der 7. Senat im Anschluss an Boewer518 schließlich
feststellt, dass ein Wiedereinstellungsanspruch nicht nur dann anzunehmen ist,
wenn wider Erwarten der bisherige Arbeitsplatz doch erhalten bleibt, sondern
auch, wenn sich eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit auf einem
unvorhergesehen frei gewordenen oder neu geschaffenen Arbeitsplatz ergibt,
auf den der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne Änderung des Arbeitsvertrages
einseitig
könnte.519
umsetzen
Eine
derartige
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit hätte nämlich, sofern sie bei Ausspruch der
Kündigung bereits vorhanden gewesen wäre, der Wirksamkeit der Kündigung
gemäß
§
1
II
2
Nr.
1
b
KSchG
entgegengestanden.
Für
die
kündigungsbegründende Prognose kommt es darauf an, ob zum maßgeblichen
Zeitpunkt überhaupt eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht
oder nicht. Bezogen auf die Wirksamkeit der Kündigung ist der maßgebliche
Zeitpunkt für das Vorhandensein eines geeigneten freien Arbeitsplatzes der
Zugang
der
Kündigungserklärung.
Gegenstand
des
Wiedereinstellungsanspruchs sind auch solche Beschäftigungsmöglichkeiten,
die
bis
zum
entstehen.520
Zeitpunkt
Auf
der
letzten
welchem
mündlichen
Arbeitsplatz
Tatsachenverhandlung
diese
zumutbare
Beschäftigungsmöglichkeit entsteht, darf dagegen folgerichtig keine Rolle
spielen.
517
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784.
518
Boewer, NZA 1999, 1121, 1132.
519
520
So i.E. auch Beckschulze, DB 1998, 417, 419, der zu Recht die theorätische Möglichkeit der
Wiedereinstellung auf einen anderen Arbeitsplatz zu anderen Arbeitsbedingungen, die sich
nicht in den Grenzen des Direktionsrechts bewegen, ablehnt.
BAG (7 AZR 891/98), NZA 2000, 894, 897.
- 204 Die Gegenansicht mahnt zur Zurückhaltung, um die dem Arbeitgeber nach
wirksamer
Kündigung
zu
gewährende
Rechtssicherheit
nicht
zu
weit
einzuschränken, und weist auf praktische Probleme hin.
Es gibt in einem größeren Unternehmen nicht „den Arbeitgeber“, sondern
unterschiedlich strukturierte Formen der Personalverwaltung mit verschiedenen
Entscheidungsträgern, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass der Wegfall
eines Kündigungsgrundes durch die Widerlegung der kündigungsbegründenden
Prognose überhaupt stets demjenigen Entscheidungsträger bewusst wird, dem
die
Kündigungsentscheidung
oblag.
Bleibt
ein
Arbeitsplatz
nach
betriebsbedingter Kündigung unerwartet erhalten, so wird das dem die
Kündigungsentscheidung verantwortenden Entscheidungsträger regelmäßig
problemlos auch bewusst werden, weshalb er dem zuvor gekündigten
Arbeitnehmer seine Wiedereinstellung anbieten kann. Anders verhält es sich
aber mit unerwarteten anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten in einem
anderen Betrieb desselben Unternehmens (vgl. § 1 II 2 KSchG). Insoweit
werden erhebliche Informationsprobleme befürchtet, die sich wohl bei einer
zentralen Personalabteilung im Unternehmen noch beherrschen ließen, wenn
diese sicherstellt, dass ihr alle im Unternehmen frei werdenden und neu
geschaffenen Stellen gemeldet werden, damit sie überprüfen kann, ob diese
Arbeitnehmern angeboten werden müssen, denen zuvor betriebsbedingt
gekündigt wurde. Eine kaum zu bewältigende Situation entstehe jedoch, wenn
es sich um ein dezentral organisiertes Unternehmen handele, das seinen
Betriebsleitern eine selbstständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis
einräume.
Die
Rechtsprechung
könne
dazu
zwingen,
an
dieser
Verselbstständigung von Betrieben erhebliche Abstriche vorzunehmen, wenn
sich „der Arbeitgeber“ nicht vorhalten lassen wolle, er habe einen freien
Arbeitsplatz bösgläubig bzw. in Kenntnis des Wiedereinstellungsverlangens
treuwidrig mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt. Um dieses Problem zu
vermeiden,
sei
zumindest
in
diesen
Unternehmen
ein
zentrales
- 205 Informationssystem erforderlich, das Auskunft über die in anderen Betrieben
gekündigten Arbeitnehmer sowie die freien Arbeitsplätze gibt.521
In größeren Unternehmen würden sich zudem durch Personalfluktuation nahezu
stets freie Stellen finden, zumal hierbei auch freie Stellen in anderen Betrieben
desselben Unternehmens zu berücksichtigen sind (§ 1 II 2 Nr. 1 b) und Nr. 2 b)
KSchG). Es würde zu weit gehen, wenn der Arbeitgeber gezwungen würde, sich
auch in bezug auf nach Zugang der Kündigung überraschend frei werdende
Stellen mit dem Arbeitnehmer darüber auseinander zu setzen, ob der
Arbeitnehmer auf diesem Arbeitsplatz – unter Umständen nach entsprechender
Umschulung – beschäftigt werden könnte. Der Arbeitgeber habe vielmehr ein
berechtigtes Interesse daran, die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung nur
punktuell, nämlich zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, mit der vom
KSchG geforderten Intensität prüfen zu müssen. Etwas anderes könne nur
gelten, wenn sich die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des gekündigten
Arbeitnehmers auf dem frei gewordenen Arbeitsplatz dem Arbeitgeber geradezu
aufdrängen
müsste,
also
Wiedereinstellungsanspruch
in
Evidenzfällen.
des
Allein
Arbeitnehmers
insoweit
im
Hinblick
könne
ein
auf
eine
anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit begründet sein.522
Die
Außerachtlassung
nicht
evidenter
anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten für die Wiedereinstellung ist nach der hier
vertretenen Auffassung weder praktikabel noch vor dem Hintergrund des
Prognoseprinzips begründbar oder aus dem Prinzip der Rechtssicherheit
ableitbar.
Eine
andere
Möglichkeit
bestünde
indes
darin,
das
beschriebene
Informationsproblem, das sich ja nur bei dezentral organisierten Unternehmen
größeren Zuschnitts im Falle einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit
521
Oetker, ZIP 2000, 1787, 1788 f.
522
Raab, RdA 2000, 147, 154.
- 206 ergeben kann, durch eine Berücksichtigung der Interessen des Einzelfalls im
Rahmen einer wertenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen.
Im
Ausnahmefall
könnte
dann
auch
eine
die
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit vernichtende Disposition als schutzwürdig anerkannt
werden, die nach (pauschalierter) Kenntnisnahme des Arbeitgebers vom Wegfall
des Kündigungsgrundes bzw. nach dem Wiedereinstellungsverlangen des
Arbeitnehmers in einem anderen Betrieb des Unternehmens vorgenommen wird
als dem, aus dem der seine Wiedereinstellung verlangende Arbeitnehmer
stammt. Dispositionen in anderen Betrieben wären also generell gutgläubig,
wenn man davon ausginge, dass der entlassende Betrieb anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben nicht beachten bräuchte.
Diese Sichtweise widerspricht aber der unternehmensbezogenen Prüfungspflicht
aus § 1 II 2 Nr. 1 b) KSchG. Eine solche die Unternehmensgröße und –struktur
berücksichtigende Gesamtabwägung wäre auch nicht sachgerecht. Sie würde
dem Arbeitgeber erlauben, die eigenen Informations- und Organisationsdefizite
gegen den Arbeitnehmer zu wenden.
Das aufgezeigte Informationsproblem wird zudem oft schon gar nicht praktisch.
Zunächst ist zu bedenken, dass der für seinen Wiedereinstellungsanspruch
darlegungs- und beweispflichtige Arbeitnehmer diesen auch für ihn schwer zu
durchschauenden Zusammenhang vor Gericht darzulegen und nach den
Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast auch zu beweisen
hat. Um eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb
des Unternehmens aufzuzeigen, die dem Arbeitgeber seine Weiterbeschäftigung
in zumutbarer Weise erlaubt, müsste der Arbeitnehmer über Informationen
verfügen bzw. sich solche verschafft haben, deren Berücksichtigung für den
Arbeitgeber
auf
der
anderen
Seite
unzumutbar
wäre,
weshalb
die
Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen würde. Das ist kaum
vorstellbar.
Man wird daher feststellen müssen, dass dem Arbeitnehmer die Berufung auf
eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb eines
dezentral organisierten Unternehmens ohnehin nur äußerst selten gelingen wird.
Wenn dies ausnahmsweise doch vorkommt, er also in der Lage sein sollte, eine
Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmers zu
- 207 benennen, dann war es auch „dem Arbeitgeber“ zumutbar, diese Umstände, die
schließlich seinem Verantwortungsbereich entstammen, nicht unberücksichtigt
zu lassen. Der Einwand, in größeren Unternehmen würden sich durch
Personalfluktuation nahezu stets freie Stellen finden, verkennt, dass die bloß
abstrakte
Wahrscheinlichkeit
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Wiedereinstellungsanspruchs
nicht
einer
für
anderen
die
ausreicht.
zumutbaren
Geltendmachung
Bei
der
des
betriebsbedingten
Kündigung muss der Arbeitnehmer vielmehr nach den Grundsätzen über die
abgestufte Darlegungs- und Beweislast dem Beweis zugängliche Anhaltspunkte
vortragen,
die
eine
fortbestehende
oder
neu
entstandene
zumutbare
Beschäftigungsmöglichkeit plausibel machen. Seiner Substanziierungspflicht
genügt der Arbeitnehmer dabei nur, wenn er hierfür klare Anhaltspunkte liefert.
Der Arbeitgeber hat auch kein berechtigtes Interesse, die Möglichkeit einer
Weiterbeschäftigung nur punktuell zu überprüfen. Durch die Erwägung anderer
zumutbarer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt, die
regelmäßig im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer erfolgen sollte, ist der Kreis
möglicher Alternativen abgesteckt. Inwieweit es zumutbar erscheint, die
Entwicklung solcher Alternativen nach dem Ausspruch der Kündigung weiter zu
verfolgen, ist eine Frage der zeitlichen Grenzen des Anspruchs. Die Auffassung,
unerwartete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten seien nur in Evidenzfällen für
die Entstehung von Wiedereinstellungsansprüchen relevant, ist nicht praktikabel.
Ob eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung evident ist oder nicht, wird sich
gerade am Wiedereinstellungsverlangen des Arbeitnehmers zeigen. Weist ein
Arbeitnehmer auf eine unerwartete Beschäftigungsmöglichkeit hin, so spricht
nichts dafür, dem Arbeitgeber den Einwand der angeblichen Unzumutbarkeit der
Berücksichtigung dieser Beschäftigungsmöglichkeit zu gewähren, will man nicht
den arbeitsrechtlichen Sphärengedanken in sein Gegenteil verkehren.
Schließlich
wird
die
Berücksichtigung
anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten noch mit dem Hinweis darauf abgelehnt, in dieser
Konstellation sei nicht der Kündigungsgrund entfallen, sondern eine weitere
- 208 Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung.523
Eine Unterscheidung zwischen Kündigungsgrund und sonstiger sozialer
Rechtfertigung der Kündigung ist jedoch verfehlt. Wie schon aufgezeigt wurde,
achtet das Gesetz den betriebsbedingten Wegfall des Arbeitsplatzes und das
Nichtvorhandensein anderer zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten gleich (§
1 II 1 und 2 KSchG). Entscheidend kommt es darauf an, ob „betriebliche
Erfordernisse“
einer
Nichtvorhandensein
einer
„Weiterbeschäftigung“
entgegenstehen.
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
macht
Das
den
Kündigungsgrund aus. Allein hierauf bezieht sich die vom Arbeitgeber
anzustellende Prognose.524
Das Entstehen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit führt damit
ebenso zur Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose wie der Erhalt
des Arbeitsplatzes. Daher macht es für den seine Wiedereinstellung fordernden
Arbeitnehmer im Rahmen der funktionalen Austauschbarkeit von Arbeitsplätzen
keinen prinzipiellen Unterschied, ob sein Arbeitsplatz seiner Identität nach
erhalten geblieben ist oder nicht.
III. Zumutbare
Umschulungsoder
Fortbildungsmaßnahmen entspr. § 1 II 3 KSchG
Nicht
ganz
unproblematisch
ist
die
Einbeziehung
anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten schließlich deshalb, weil es bei ihrer Anerkennung
nicht zwangsläufig sein Bewenden haben muss. Die Verknüpfung der
Wiedereinstellungspflicht mit dem durch § 1 KSchG intendierten Bestandsschutz
könnte zu der Schlussfolgerung zwingen, dass auch eine sich nachträglich
herausstellende
523
524
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
nach
zumutbaren
Oetker, ZIP 2000, 643, 643, 650.
Siehe oben unter F.I „Prinzipielle Korrekturmöglichkeit bei allen Kündigungsgründen“ auf Seite
211.
- 209 Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen525 (§ 1 II 3 KSchG) einen
Wiedereinstellungsanspruch auslöst. Ebenso kann auch die soziale Auswahl (§
1 III KSchG) nach Zugang der Kündigungserklärung aufgrund nachträglicher
Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen bei dem auswahlrelevanten
Personenkreis in einem neuen Licht erscheinen.526
Da es dem Wiedereinstellungsanspruch um den durch § 1 KSchG intendierten
Bestandsschutz nur insoweit geht, wie er durch eine Prognose (über den
zukünftigen Beschäftigungsbedarf, zukünftige Belastungen der betrieblichen
Abläufe, Wiederholungsgefahr) und die mit ihr notwendig verbundenen Risiken
gefährdet wird, sind die Grenzen jedoch vorgezeichnet. Die Kündigung verlangt
vom Arbeitgeber auch die Negativprognose, dass in absehbarer Zeit nach
Zugang der Kündigung keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht.
Daher ist die Einbeziehung solcher anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten
konsequent. Vom Prognoseprinzip nicht erfasst wird dagegen die soziale
Auswahl
nach
§
1
III
Wiedereinstellungsanspruch
KSchG,
weshalb
ausscheiden
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten
nach
muss.
ein
hierauf
Eine
zumutbaren
bezogener
Einbeziehung
Umschulungs-
von
oder
Fortbildungsmaßnahmen könnte aber geboten sein. Da die Prognosekorrektur
das
Spiegelbild
der
Prognose
ist
und
die
Überwindung
des
kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutzes auch die Prognose fehlender
Umschulungs-
und
Fortbildungsmaßnahmen
verlangt, muss
man
diese
folgerichtig in den Wiedereinstellungsanspruch mit einbeziehen.
Das mit dieser Feststellung verbundene Wiedereinstellungspotential dürfte
jedoch
kaum
ins
Gewicht
fallen.
Denn
wenn
eine
zumutbare
Fortbildungsmöglichkeit gegeben ist, dann bestand sie meist auch schon im
Kündigungszeitpunkt
und
gehört
dementsprechend
allein
in
den
Kündigungsschutzprozess. Für eine Wiedereinstellung kommen aber ebenfalls
525
Vgl. die eingehende Erörterung bei Gaul, BB 1995, 2422 ff.
526
Kaiser, ZfA 2000, 205, 231 f; Oetker, ZIP 2000, 1787, 1788.
- 210 solche neu entstandenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Frage, für die der
Arbeitnehmer erst nach einer zumutbaren Qualifizierung funktional geeignet
erscheint.
- 211 -
F. Fallgruppen des
Wiedereinstellungsanspruchs
I. Prinzipielle
Korrekturmöglichkeit
Kündigungsgründen
Es
fragt
sich
zunächst,
ob
nach
allen
einem
bei
allen
Rechtfertigungszwang
unterliegenden Kündigungen durch den Arbeitgeber die Möglichkeit eines
nachträglichen Anspruchs auf Wiedereinstellung anzuerkennen ist, oder ob
bereits
grundsätzliche
Erwägungen
gegen
die
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs sprechen. Wie erörtert sieht die Rspr. seit langem
die Verdachtskündigung und seit 1997 auch die betriebsbedingte Kündigung als
Fallgruppen
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
an.
Auch
bei
der
krankheitsbedingten Kündigung ist der Wiedereinstellungsanspruch erwogen
worden.527 Im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung werden Geltung und
Reichweite des Prognoseprinzips sowie eine mögliche Wiedereinstellungsoption
kontrovers diskutiert.528 Geht man wie gezeigt zutreffend davon aus, dass der
Wiedereinstellungsanspruch den Schutzzweck des KSchG verwirklicht, indem
das
vorrangige
Prinzip
der
Rechtssicherheit
zugunsten
des
kündigungsschutzrechtlichen Prognoseprinzips relativiert wird, so ist der so
verstandene
prognosebedingte
Wiedereinstellungsanspruch
auf
einen
allgemeinen Grundgedanken bezogen, der wie auch das Prognoseprinzip selbst
nicht von vornherein auf bestimmte Fallgruppen begrenzt werden kann.529
Die unterschiedlichen Funktionen, die das Prognoseprinzip für die einzelnen
Kündigungsgründe erfüllt, machen im Folgenden eine nach Fallgruppen
527
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 757; BAG (2 AZR 639/98), NZA 1999, 1328, 1328.
528
Preis Prinzipien, S. 328 ff; MünchArbR II – Berkowsky, § 130 Rn 78-80.
529
So auch Hinrichs, AiB 1997, 615, 616; Nägele, BB 1998, 1686, 1687; Furier, AiB 1999, 246,
248.
- 212 differenzierte
Betrachtung
des
Anwendungsbereichs
des
Wiedereinstellungsanspruchs erforderlich.
II. Betriebsbedingte Kündigung
1. Fehlprognose und widerlegte Prognose
Die Rspr. stellt den Unterschied zwischen falscher und widerlegter Prognose
keineswegs immer klar heraus. So hat das LAG Düsseldorf530 beispielsweise
formuliert: „Das Bundesarbeitsgericht hat dem Arbeitnehmer einen solchen
(Wiedereinstellungs-)Anspruch zuerkannt, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer
von ihm getroffenen Prognose wirksam betriebsbedingt kündigt, sich aber noch
im Verlauf der Kündigungsfrist herausstellt, dass die Prognose falsch war.“
Bei der abschließenden Bewertung von kündigungsbegründenden Prognosen
ergibt sich eine Dreiteilung:
a) Fehlprognose
Eine Fehlprognose liegt vor, wenn die Unternehmerentscheidung aus ihrer
eigenen Logik heraus nicht zum Wegfall des betroffenen Arbeitsplatzes führt,
dem Arbeitgeber also von Anfang an klar sein müsste, dass die von ihm
beabsichtigte Betriebsänderung die Kündigung nicht rechtfertigt. Der Arbeitgeber
hat sich also entweder von Anfang an geirrt oder die betrieblichen
Veränderungen für die Kündigung nur vorgeschoben. In diesem Fall ist die
Prognose (von Anfang an) falsch und die auf sie gestützte Kündigung
unwirksam.
Um eine Fehlprognose handelt es sich auch dann, wenn sich der Arbeitgeber
zur Kündigung sämtlicher Arbeitnehmer wegen eines sich abzeichnenden
530
LAG Düsseldorf (7 Sa 1329/99), LAGE § 620 BGB Nr. 62a.
- 213 Auftragsmangels
entschließt,
sich
aber
den
jederzeitigen
Abruf
von
Arbeitskräften auch vor dem Ablauf des erwarteten Stillegungszeitraums
vorbehält und von dieser Regelung auch Gebrauch macht. In diesem Fall spricht
eine tatsächliche Vermutung gegen das Vorliegen der unternehmerischen
Entscheidung, den Betrieb für eine nicht unerhebliche Zeit einzustellen. In einem
solchen
Falle
versucht
der
Arbeitgeber
bei
bestehendem
Willen
zur
Betriebsfortführung lediglich, das unternehmerische Risiko unzulässig auf die
Belegschaft abzuwälzen.531
b) Neue Unternehmerentscheidung trotz zutreffender
Prognose
Die prognostizierten Auswirkungen der betrieblichen Veränderungen wären
tatsächlich eingetreten, der Arbeitgeber entscheidet sich aber nach Ausspruch
der Kündigung anders, ohne dass sich die der Prognose zugrunde liegenden
Umstände seitdem
verändert hätten. Er unterlässt also die Maßnahme
grundlos. Beispiel: Die Absicht zur Stillegung des Betriebes wird aufgegeben,
der Betrieb weitergeführt.
In diesem Fall ist die Kündigung unwirksam, da sich der Arbeitgeber
widersprüchlich,
gegebenenfalls
sogar
rechtsmissbräuchlich
verhält.
Die
Kündigung kann nur auf zukünftige betriebliche Veränderungen gestützt werden,
deren
Verwirklichung
feststeht
und
diesem
Sinne
greifbare
Formen
angenommen hat. Man könnte statt dessen davon ausgehen, die Prognose sei
ja seinerzeit richtig gewesen und die Unternehmerentscheidung frei, also Sache
des Arbeitgebers. Es bleibt aber dabei, dass die Prognose nur dann die
Kündigung
zu
rechtfertigen
Unternehmerentscheidung
vermag,
nicht
völlig
wenn
der
grundlos
Arbeitgeber
die
revidiert.
Ein
Wiedereinstellungsanspruch kann dem Grunde nach nur entstehen, wenn die
unternehmerische Entscheidung wegen neu hinzutretender Umstände, die zum
531
LAG Berlin (11 Sa 141/96), BB 1999, 1877, 1877 f.
- 214 Zeitpunkt der Kündigung noch nicht absehbar waren, an die veränderte Situation
angepasst wird.532 Verwirft der Arbeitgeber sein unternehmerisches Konzept,
auf das er die Kündigung gestützt hat, grundlos, so verhält er sich
widersprüchlich. Objektiv ist diese Situation nicht von der zu unterscheiden, in
der der Arbeitgeber ein scheinbar neues unternehmerisches Konzept zur
Rechtfertigung der Kündigung nur vorschiebt, es aber zu keinem Zeitpunkt
ernsthaft verwirklichen will. In letzterem Fall verhielte er sich sogar
rechtsmissbräuchlich. Die Kündigung muss in solchen Fällen unwirksam sein,
weil sich herausgestellt hat, dass die geplante Betriebsänderung zum
Kündigungszeitpunkt noch keine greifbaren Formen angenommen hatte.
Hierdurch wird der Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung
nicht verschoben. Die weitere Entwicklung dient nur dazu, den inneren
Tatbestand des greifbaren unternehmerischen Konzepts im Zeitpunkt der
Kündigung zu ermitteln. Mit dem Prognoseprinzip hat das nichts zu tun, weil die
Prognose über zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten ein abgesichertes
unternehmerisches Konzept voraussetzt, an dem es hier gerade fehlt.
So stellt auch Boewer richtig heraus, es sei für den Ausgangspunkt des
Wiedereinstellungsanspruchs stets davon auszugehen, dass sich wegen einer
Veränderung der tatsächlichen Umstände nach Ausspruch der Kündigung eine
Prognosekorrektur als notwendig erweise, was nicht der Fall sei, wenn sich im
Nachhinein
ohne
Veränderung
der
Umstände
eine
unrichtige
Prognosebeurteilung herausstelle. In diesem Fall sei die Kündigung bereits
sozialwidrig und damit unwirksam.533
Die obergerichtliche Rspr. sieht das z.T. anders, wenn sie undifferenziert bei
einem
unternehmerischen
Sinneswandel
eine
Wiedereinstellungspflicht
annimmt. So geht das LAG Hamm im Grundsatz noch zutreffend davon aus, es
bestehe ein Anspruch auf Wiedereinstellung dann, wenn sich während des
532
Berscheid, ZinsO 1998, 159, 171.
533
Boewer, NZA 1999, 1121, 1130.
- 215 Laufs der Kündigungsfrist eine bei Ausspruch der Kündigung noch nicht
absehbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt. Eine solche Fallgestaltung
sieht das LAG Hamm allerdings unzutreffend bereits dann als gegeben an, wenn
der Arbeitgeber zunächst einen Entschluss zur Betriebsstillegung fasst, dann
betriebsbedingt kündigt und sich anschließend noch während des Laufs der
Kündigungsfrist auf eine Fortführung des Betriebes besinnt. Sei eine
betriebsbedingte Kündigung wegen eines allgemeinen Personalabbaus "Stellenstreichung" - erfolgt, so setze ein Wiedereinstellungsanspruch voraus,
dass der Arbeitgeber den Beschluss zur Stellenstreichung wieder aufgebe und
sich zu einer Neubesetzung der zunächst gestrichenen Stelle entscheide.534
Nicht weniger problematisch äußert sich das LAG Bremen. Es geht davon aus,
ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bestehe nicht nur dann,
wenn innerhalb laufender Kündigungsfrist sich die einer Prognose zugrunde
liegenden Tatsachen ändern, sondern auch dann, wenn in dieser Zeit der
Arbeitgeber aus anderen Gründen an seiner unternehmerischen Entscheidung,
die zur Kündigung geführt hat, nicht festhält, z.B. wenn er seine Entscheidung,
nur noch mit Entleihkräften zu arbeiten, nicht aufrechterhält und wieder eigene
Arbeitnehmer einstellt.535
Diese undifferenzierte Sicht hat sich auch ein Teil des Schrifttums zu eigen
gemacht. Auf den Grund für das Unterbleiben der prognostizierten betrieblichen
Auswirkungen soll es demnach gar nicht ankommen: „Das strikte Abstellen auf
den Zugang der Kündigung wird vielfach als ungerecht empfunden, wenn die
ursprünglichen Planungen – aus welchem Grund auch immer – nicht verwirklicht
werden und der jeweilige Arbeitsplatz auch nach Ablauf der Kündigungsfrist
fortbestehen wird“.536
534
LAG Hamm (19 Sa 658/99), BB 2000, 308, 310.
535
LAG Bremen (4 Sa 114/97 + 117/97), DB 1998, 1338, 1338 f.
536
Annuß, BB 1998, 1582, 1586.
- 216 Es muss aber dabei bleiben, dass die Freiheit zur willkürlichen Änderung eines
unternehmerischen
Konzepts
dem
Arbeitgeber
keine
Narrenfreiheit
für
betriebsbedingte Kündigungen gewährt. Vielmehr muss sich der Arbeitgeber im
Kündigungsschutzprozess an der Ernsthaftigkeit seines eigenen Konzepts
messen lassen. Gibt er es grundlos auf, so ist bereits die Kündigung unwirksam,
weil
die
greifbaren
Unternehmerentscheidung
Formen
angenommen
im
Kündigungszeitpunkt
hatte.
Insoweit
stellt
noch
sich
keine
ein
Wiedereinstellungsproblem nicht.
c) Widerlegte Prognose
Schließlich bleibt für den Wiedereinstellungsanspruch nur die Variante, in der die
auf zutreffender Grundlage angestellte (stimmige) Prognose durch nach
Ausspruch der Kündigung prognosewidrig neu hinzutretende oder nicht
eintretende Tatsachen widerlegt wird. Die Unternehmerentscheidung wird
wegen dieser neuen Umstände korrigiert. Dieser Fall liegt etwa vor, wenn sich
nach der Entscheidung zur Stillegung einer Betriebsabteilung unerwartet ein
Betriebsübernehmer meldet oder der geplante Stellenabbau wegen nachhaltig
verbesserter Auftragslage unterbleibt. In diesem Fall ist die Kündigung wirksam.
Dem Arbeitgeber ist hier im Unterschied zu den ersten beiden Fällen kein
Vorwurf zu machen. Dem Arbeitnehmer kann ein Wiedereinstellungsanspruch
zustehen.
2. Anforderungen an die Widerlegung der Prognose Gewissheit einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Bei betriebsbedingten Kündigungen wird eine Wiedereinstellungspflicht des
Arbeitgebers angenommen, wenn sich die betrieblichen Verhältnisse nach
Ausspruch der Kündigung so ändern, dass nunmehr die Prognose des Wegfalls
des Arbeitsplatzes oder die Prognose des Nichtentstehens einer anderweitigen
- 217 zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit widerlegt wird.537 Wie auch bei den
anderen Kündigungsgründen stellt sich die Frage, welche qualitativen
Anforderungen an eine Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose zu
stellen sind.
Für den Normalfall der betriebsbedingten Kündigung ist die Widerlegung der
Prognose regelmäßig an äußeren Umständen, beispielsweise die unerwartete
Fortführung einer nach ursprünglicher Planung stillzulegenden Betriebsabteilung
oder
einen
unerwarteten
Betriebsübergang
festzumachen.
Der
Wiedereinstellungsanspruch wird erst ausgelöst, wenn die Widerlegung der
Prognose bewiesen ist.538 Ein bloßes Wahrscheinlichkeitsurteil reicht nicht aus,
da sonst eine Gegenkorrektur des Wiedereinstellungsanspruchs notwendig
werden könnte, wenn sich die Prognose doch als richtig erweist, also einen
Wiederbeendigungsanspruch.539 Die so entstehende Rechtsunsicherheit wäre
nicht zu verantworten.
3. Wiedereinstellung nach Betriebsübergang
a) Klassischer Betriebsübergang
Beim klassischen Betriebsübergang wird eine wirtschaftliche (Teil-)Einheit durch
rechtsgeschäftliche Vereinbarung mit dem Veräußerer in der Weise auf ihn
übertragen, dass alle materiellen und immateriellen Betriebsmittel der
Wirtschaftseinheit veräußert werden.
Es macht dabei keinen Unterschied, ob es sich um einen Produktionsbetrieb
handelt, dessen Identität aufgrund der wesentlichen materiellen Betriebsmittel
wie Maschinen, Grundstücke und Moblilien bestimmt wird oder um einen
537
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 760; BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
538
Preis Prinzipien, S. 356.
539
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578.
- 218 Handels- oder Gewerbebetrieb, dessen Identität sowohl durch materielle als
auch immaterielle Betriebsmittel wie den Kundenstamm geprägt wird.540
Aus Arbeitgebersicht verursacht die klassische Veräußerung des Betriebs(-teils)
keine größeren Probleme, da aufgrund der Verhandlungen mit dem Erwerber
das Vorliegen eines Betriebsübergangs unmittelbar beurteilt werden kann.
(1) Ausgangspunkt – Kenntnis der Vertragsparteien
In den klassischen Fällen der Veräußerung eines Betriebs(-teils) wird der
Veräußerer schon aus eigenem Interesse die Mitarbeiter regelmäßig über den
bevorstehenden Betriebsübergang informieren. Nur so kann er bereits im
Vorfeld die Anzahl der dem Betriebübergang widersprechenden Arbeitnehmer
abschätzen und damit auch Schlussfolgerungen für seine Pflicht zum Abschluss
eines Interessenausgleichs bzw. Sozialplans ziehen, falls die Widersprüche zu
einer Überschreitung des Schwellenwertes nach § 112a I BetrVG führen
würden. Dazu kommt noch, dass auch der Erwerber ein Interesse an der
rechtzeitigen Information der Mitarbeiter hat, um zu erfahren, welche
Arbeitsverhältnisse auf ihn übergehen und welche aufgrund von Widersprüchen
nicht.541 Die neu geregelte Unterrichtungspflicht von Veräußerer und Erwerber
nach § 613a V BGB greift diese Interessenlage auf.
(2) Zeitpunkt der Widerlegung der Prognose
Der unerwartete Betriebsübergang widerlegt die Prognose nicht erst mit seinem
Vollzug. Es reicht aus, dass der Übergangstatbestand greifbare Formen
angenommen
hat.542
Korrespondierend
zur
Kündigungsbefugnis
wegen
beabsichtigter Betriebs(teil)stillegung muss es ausreichen, dass es nach neuer
Sachlage nunmehr sicher zu einem in seinen Grundzügen bereits feststehenden
540
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 312 f m.w.N.
541
Meyer, NZA 2000, 297, 302.
542
Kleinebrink, FA 1999, 138, 139.
- 219 Betriebs(teil)übergang
kommen
wird.
Dies
ist
konsequent,
weil
die
kündigungsbegründende Prognose, es werde zu einer Stillegung und nicht zu
einem Betriebsübergang kommen, schon im Kündigungszeitpunkt als falsch zu
beurteilen gewesen wäre, wenn der Betriebsübergang zu diesem Zeitpunkt
bereits greifbare Formen angenommen hätte. Gleiches muss dann auch für die
Frage nach der Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs gelten. Der
Anspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in dem erstmals eine arbeitgeberseitige
Kündigung rechtmäßig nicht mehr hätte erklärt werden können, weil ein
Betriebübergang nunmehr aus objektivierter Arbeitgebersicht greifbar ist.
b) Betriebsübergang durch Übernahme des wesentlichen Teils
des Personals
(1) Rechtsprechung zur willentlichen Übernahme eines nach
Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals in
den Fällen der Funktionsnachfolge
Die Fallgruppe des Betriebsübergangs durch die Übernahme eines nach Zahl
und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals ist in der Rspr. des 8. Senats
inzwischen anerkannt.543
Der 8. Senat hat bekanntlich die Obersätze des EuGH zu den Voraussetzungen
eines Betriebsübergangs nach der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom
12.03.2001544 auch für die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des §
613a I BGB übernommen545, nachdem der EuGH durch die Ayse-SüzenEntscheidung546 deutlich gemacht hat, dass es den bislang in der Rspr. des
543
544
545
546
BAG (8 AZR 676/97), NZA 1999, 420, 420; BAG (8 AZR 500/97), ZinsO 1999, 420, 420.
Abl. L 82, von 22.03.2001, S. 16, zuvor Richtlinie 77/187/EWG in der Neufassung der Richtlinie
98/50/EG.
BAG (8 AZR 101/96), AP Nr. 154 zu § 613a BGB = NZA 1997, 1050 ff. = NJW 1997, 3188 ff =
ZIP 1997, 1555 ff ; Buchner, JZ 1999, 593, 594 f; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 449.
EuGH von 11.03.97 – Es. C-13/95, Slg. 1997, I-1259 (Ayse Süzen / Zehnacker
Gebäudereinigung) = NZA 1997, 433 ff = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie 77/187 = NJW 1997,
2039 ff = EuZW 1997, 244 ff = DB 1997, 628 ff.
- 220 BAG zu § 613a BGB vorherrschenden Betriebsbegriff als zu eng547 ansah, um
den Anforderungen der Betriebsübergangsrichtlinie gerecht zu werden. Seitdem
bezieht das BAG auch das Personal in die Prüfung einer nach § 613a BGB
übergangsfähigen Wirtschaftseinheit mit ein.548 Bedeutung für die Frage nach
dem Vorliegen eines Betriebsübergangs gewinnt damit neben der Art des
Betriebes und dem Übergang der materiellen und immateriellen Betriebsmittel
auch die Übernahme der Hauptbelegschaft und Kundschaft sowie der Grad der
Ähnlichkeit der vor und nach dem Betriebsübergang verrichteten Tätigkeiten. Im
Dienstleistungsbereich,
wo
es
im
Wesentlichen
auf
den
Einsatz
der
menschlichen Arbeitskraft ankommt, kann daher auch schon die Übernahme
eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals, der durch
eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, einen Betriebsübergang
auslösen.549 Es handelt sich dabei um mehr als eine bloße Funktionsnachfolge,
welche allein nicht die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs erfüllt.550
Nach vormaliger Ansicht des BAG durften bei der Bestimmung des für § 613a
BGB maßgeblichen Betriebs(teil)begriffs die Arbeitnehmer und die mit ihnen
bestehenden Arbeitsverhältnisse für den Betriebsbegriff nicht berücksichtigt
werden. Dies begründete das BAG mit dem Argument, der Übergang der
Arbeitsverhältnisse sei nicht Tatbestandsmerkmal, sondern Rechtsfolge des §
613a BGB, weshalb es bei Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Definition des
übergangsfähigen Betriebs(teils) zu einer nach allgemeinen Grundsätzen
unzulässigen Konfusion von Tatbestand
547
und Rechtsfolge kommen müsse
Zunächst war durch die zu weit gehende (hierzu Buchner, JZ 1999, 593 ff) Christel-SchmidtEntscheidung des EuGH vom 14.04.1994 (Rs C-392/92, AP Nr. 106 zu § 613a BGB) eine
erhebliche Diskrepanz zwischen EuGH- und BAG-Rechtsprechung aufgreten. Der EuGH hatte
die Auffassung vertreten, eine bloße Funktionsübernahme müsse als Betriebsübergang im
Sinne der Richtlinie 77/187/EWG gelten, was mit dem Betriebsbegriff des BAG zu § 613a BGB
völlig unvereinbar war. Beide Gerichte trafen sich in den folgenden Entscheidungen auf einer
mittleren Linie unter Anerkennung der abgemilderten EuGH-Rechtsprechung.
548
Zuerst BAG von 11.12.1997 (8 AZR 729/96), NZA 1998, 534, 534.
549
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 252.
550
BAG (8 AZR 156/96), NZA 1996, 869, 869 f.
- 221 (Konfusionsargument).551 Folglich musste das BAG nach materiellen oder
immateriellen Betriebsmitteln suchen, um einen Betrieb oder Betriebsteil
annehmen zu können, was im betriebsmittelarmen Dienstleistungsbereich zu
erheblichen Problemen führte und das BAG mitunter zwang, selbst belanglosen
Betriebsmitteln „betriebswesentliche Bedeutung“ zuzuerkennen.552 Mittlerweile
wird das Konfusionsargument als überholt angesehen, geht es doch auf der
Tatbestandsseite allein um eine durch eine gemeinsame Tätigkeit verbundene
organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern bzw. einen nach Zahl und
Sachkunde
wesentlichen
Rechtsfolgenseite
individualrechtlichen
das
Teil
der
Belegschaft,
Arbeitsverhältnis
Bedeutung,
erfasst
als
während
solches,
wird.553
In
also
auf
in
der
seiner
betriebsmittelarmen
Dienstleistungsunternehmen erweist sich die Suche nach einem materiellen
oder immateriellen „Substrat“ des Übergangs als Spiel mit wenig überzeugenden
Fiktionen. Einerseits greift es zu kurz, nur auf materielle Betriebsmittel
abzustellen, wenn Arbeitnehmer ihre Leistung mit problemlos austauschbaren
Betriebsmitteln erbringen oder letztere gar entbehrlich sind. Andererseits
überzeugt es ebenso wenig, das „Know-how“ als immaterielles Betriebsmittel in
den Vordergrund zu rücken, sofern keine Spezialkenntnisse erforderlich sind,
was bei den Reinigungstätigkeiten der entschiedenen Fälle deutlich wurde.554
(2) Gestreckter Tatbestand des Betriebsübergangs
Im Zuge dieses Rechtsprechungswandels kommt im betriebsmittelarmen
Dienstleistungsbereich auch der Übernahme der Arbeitnehmer Gewicht für das
Vorliegen eines Betriebsüberganges zu. Ein Betriebsübergang kann sich somit
zu einem gestreckten Tatbestand entwickeln, dessen Voraussetzungen zum
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht vorliegen müssen, aber später
551
BAG (5 AZR 30/84), AP Nr. 42 zu § 613a BGB = BB 1986, 193, 193; BAG (7 AZR 519/86), AP
Nr. 69 zu § 613a BGB.
552
BAG (2 AZR 781/93), AP Nr. 104 zu § 613a BGB.
553
Annuß, BB 1998, 1582, 1583.
554
Langenbucher, SAE 1998, 143, 148.
- 222 eintreten
können,
wenn
nämlich
ein
Teil
der
ursprünglich
wegen
Betriebsstillegung wirksam gekündigten Arbeitnehmer wieder eingestellt wird.
Damit ist nachträglich der Tatbestand eines Betriebsübergangs gegeben, wenn
durch die Einstellung eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des
Personals von einer Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit
ausgegangen werden muss. In dieser Situation soll nach dem 8. Senat ein
Wiedereinstellungsanspruch
eingreifen,
wofür
eine
richtlinienkonforme
Auslegung des § 613a BGB angeführt wird.555 Es wurde bereits gezeigt, dass
auch in diesen Fällen eine richtlinienkonforme Auslegung in Richtung auf einen
Wiedereinstellungsanspruch nicht möglich ist. Auch insoweit ergibt sich die
Anspruchsgrundlage aus einer teleologischen Extension des § 613a I 1, IV 1
BGB i.V.m. § 1 II KSchG.556
Bei der Funktionsnachfolge handelt es sich um Fälle der rechtsgeschäftlichen
Neuvergabe von Aufträgen im Dienstleistungsbereich durch einen Dritten
(Auftraggeber) an einen Wettbewerber des bisherigen Arbeitgebers. Der
Auftragsverlust
Arbeitnehmer
rechtfertigt
wegen
zunächst
betriebsbedingte
Nichtfortführbarkeit
des
Kündigungen
Betriebs(-teils).
der
Endet
ein
Dienstleistungsauftrag und liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass
der neue Auftragnehmer eine durch die gemeinsame Tätigkeit verbundene
organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern bzw. einen nach Zahl und
Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernehmen und damit einen
Betriebsübergang auslösen wird, so kann der alte Auftragnehmer grundsätzlich
denjenigen
Arbeitnehmern
Auftragsverlustes
kündigen,
wirksam
für
die
betriebsbedingt
er
mangels
wegen
des
Neuaufträgen
keine
Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat.557
555
BAG (8 AZR 295/95), AP Nr. 169 zu § 613a BGB (unter II. 3c); BAG (8 AZR 265/97), NZA
1999, 311, 311.
556
Siehe oben unter C.VI.4 „Stellungnahme“ auf Seite 135.
557
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 251 = MDR 1998, 420, 420 = ZIP 1998, 344, 344.
- 223 Entschließt sich in einem zweiten Schritt der neue Auftragnehmer zur
Übernahme eines nach Anzahl und Sachkunde dauerhaft verbundenen
wesentlichen Teils der Hauptbelegschaft558 bzw. einer organisierten Gesamtheit
von Arbeitnehmern559 des bisherigen Auftragnehmers, so kann es nach der
Rspr. von EuGH und BAG dadurch nachträglich zu einem Betriebsübergang
kommen.
Für
den
Fall
einer
durch
die
willentliche
Übernahme
der
Hauptbelegschaft und nicht durch die Übernahme materieller und / oder
immaterieller Betriebsmittel begründeten Übernahme des Betriebes oder
Betriebsteiles im Anschluss an den Wechsel des beauftragten Unternehmens
löse der tatbestandliche Betriebsübergang einen Fortsetzungsanspruch der
gekündigten und auch der bereits entlassenen Arbeitnehmer aus. Vor dem
Ablauf der jeweiligen Kündigungsfristen trete der Übergang der übrigen
Arbeitsverhältnisse in diesem Falle „ipso iure“ ein, weshalb ein entsprechender
Willensentschluss des Betriebsübernehmers nicht erforderlich sei. Den bereits
entlassenen Arbeitnehmern stehe ein gegen den Erwerber gerichteter
„Fortsetzungsanspruch“ zu, der auf die vertragliche Neubegründung des
Arbeitsverhältnisses gerichtet sein soll.560
(3) Willentliche Übernahme von Arbeitnehmern und
Kontrahierungszwang
Der
Willensentschluss
des
Betriebsübernehmers
betrifft
allein
die
Voraussetzungen des Betriebsüberganges selbst und nicht seine Rechtsfolgen.
Ebenso wie es dem Unternehmer freisteht, ob er materielle und / oder
immaterielle Betriebsmittel des Veräußerers übernimmt und damit einen
Betriebsübergang auslöst, steht es dem Auftragsnachfolger frei, ob er willentlich
die Hauptbelegschaft des früheren Auftragnehmers übernimmt oder nicht.
558
EuGH von 11.03.97 – Es. C-13/95, Slg. 1997, I-1259 (Ayse Süzen / Zehnacker
Gebäudereinigung) = NZA 1997, 433 ff = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie 77/187 = NJW 1997,
2039 ff = EuZW 1997, 244 ff = DB 1997, 628 ff.
559
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 251.
560
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 253.
- 224 Entscheidet er sich für die Übernahme der Hauptbelegschaft, so gehen nicht nur
alle ungekündigten Arbeitsverhältnisse der im Betrieb oder Betriebsteil
beschäftigten Arbeitnehmer des früheren Auftragnehmers auf ihn über, sondern
er löst damit auch den Fortsetzungs- bzw. Wiedereinstellungsanspruch der
gekündigten bzw. entlassenen Arbeitnehmer aus. Ein Beispiel hierfür kann die
Neuvergabe eines Reinigungsauftrags sein, wenn sich der neue Dienstleister zu
einer
Weiterbeschäftigung
einer
großen
Zahl
der
bisher
beim
Konkurrenzanbieter beschäftigen Arbeitnehmer entschließt.561
Folglich hat es der neue Auftragnehmer grundsätzlich in der Hand, ob er selbst
die Rechtsfolge des § 613a BGB auslösen will oder nicht. Dies gilt zumindest für
alle
einfach
gelagerten
Tätigkeiten
(Reinigung,
Wartung,
Bewachung,
Versorgung) bei denen es für die alsbaldige Auftragsübernahme nicht darauf
ankommt, sich das Know-how der bisher mit der Aufgabe betrauten
Arbeitnehmer durch deren Übernahme anzueignen. Insoweit wird dem
Arbeitgeber zu raten sein, auf die Übernahme der mit den Arbeiten bisher
beschäftigten Arbeitnehmer zu verzichten und statt dessen neue Arbeitskräfte
einzustellen,
womit
er
einen
Betriebsübergang
ausschließt.
Diese
Einflussmöglichkeit wird vereinzelt als bedenklich angesehen, da die Intention
des § 613a BGB, den (Fort-)Bestand der Arbeitsverhältnisse zu sichern, in ihr
Gegenteil verkehrt werde.562
(4) Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit durch
Übernahme des wesentlichen Teils des Personals im
Anschluss an eine Funktionsnachfolge
Ein Betriebsübergang setzt nach der Rechtsprechung des EuGH563 zu Art. 1
der Betriebsübergangsrichtlinie, der sich das BAG kurz danach in mehreren
561
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 252 f.
562
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 315.
563
EuGH von 11.03.1997 (Rs. C-13/95), NZA 1997, 433 = ZIP 1997, 516.
- 225 Entscheidungen564 und seitdem fortlaufend565 angeschlossen hat, die Wahrung
der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus.
Der Begriff Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen
und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit
mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist,
müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen
berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung
namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige
Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter,
der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige
Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie
der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten
Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.
Eine Einheit darf allerdings nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die
Identität der Einheit ergibt sich auch aus den anderen Merkmalen wie ihrem
Personal,
ihren
Führungskräften,
ihrer
Arbeitsorganisation,
ihren
Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden
Betriebsmitteln. In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche
Arbeitskraft ankommt, kann eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine
gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit
darstellen.
Die Wahrung der Identität ist auch anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber
einerseits die betreffende Tätigkeit weiterführt, und andererseits einen nach Zahl
und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger
gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt die bloße
564
565
BAG (8 AZR 197/94), NZA 1995, 1155 ff = ZIP 1995, 1540 ff; BAG (8 AZR 198/94), BuW 1995,
738 ff; BAG (8 AZR 199/94), WiPra 1996, 168 ff; BAG (8 AZR 200/94), WiPra 1996, 184 ff.
BAG (8 AZR 159/98), NZA 1999, 704 ff = ZInsO 1999, 483 ff = ZIP 1999, 1318 ff.
- 226 Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer (Funktionsnachfolge)
keinen Betriebsübergang dar.
Es hängt von der Struktur eines Betriebes oder Betriebsteils ab, welcher nach
Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft gegebenenfalls
übernommen werden muss, um von der Übernahme einer bestehenden
Arbeitsorganisation ausgehen zu können.566 Haben die übernommenen bzw.
später wieder eingestellten Arbeitnehmer einen geringeren Qualifikationsgrad
und sind sie mithin leicht austauschbar, so kommt deren „Know-how“ keine
entscheidende Bedeutung für die Identität der wirtschaftlichen Einheit zu.567
Dann muss eine hohe Zahl von ihnen beschäftigt werden, um auf einen
Fortbestand
der
vom
bisherigen
Arbeitgeber
geschaffenen
Arbeitsplatzorganisation und mithin auf einen Betriebsübergang schließen zu
können. Sind die Arbeitsplätze dagegen durch Spezialwissen und die
Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt, so kann wegen ihrer Sachkunde die
Übernahme
eines
geringeren
aber
unter
„Know-how“-Gesichtspunkten
wesentlichen Teils der Belegschaft zur Annahme eines Betriebsübergangs
ausreichen.568
Voraussetzung ist stets, dass sich der neue Auftragnehmer durch die
Übernahme von Personal die beim bisherigen Auftragnehmer bestehende
Arbeitsorganisation
zunutze
macht.
Verändert
er
hingegen
die
Arbeitsorganisation derart, dass die bisherige Aufgabenzuweisung nicht erhalten
bleibt und die Arbeitnehmer ihr angesammeltes Erfahrungswissen nicht
566
BAG (8 AZR 729/96), NZA 1998, 534, 535; BAG (8 AZR 676/97), NZA 1999, 420, 421 f; BAG
(8 AZR 500/97), ZInsO 1999, 420, 420 f.
567
BAG (8 AZR 676/97), NZA 1999, 420, 421 f; BAG (8 AZR 500/97), ZInsO 1999, 420, 420 f.
568
BAG (2 AZR 781/93), NZA 94, 612, 612 f.
- 227 verwerten können, so kann auch die Erhaltung der Identität des Personals
keinen Betriebsübergang begründen.569
(5) Prozessuale Besonderheiten
(a) Prozessvarianten
Der Arbeitnehmer könnte eine Kündigungsschutzklage gegen den alten
Auftragnehmer erheben, um die Rechtmäßigkeit der Kündigung feststellen zu
lassen. Die Kündigungsschutzklage wäre jedoch abzuweisen, wenn der alte
Auftragnehmer aus der Ex-Ante-Sicht des Kündigungszugangs auf zutreffender
tatsächlicher Grundlage prognostizieren durfte, es werde nach der Übernahme
des Dienstleistungsauftrags durch den Wettbewerber nicht zur Einstellung eines
nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals kommen, sondern
vielmehr zur Stillegung seines Betriebs(teils). In diesem Fall hat der
Betriebs(teil)übergang aus der objektvierten Arbeitgebersicht zum Zeitpunkt der
Kündigung noch keine greifbaren Formen angenommen, weshalb das
Kündigungsverbot aus § 613a IV 1 BGB nicht einschlägig, vielmehr das
allgemeine Kündigungsrecht aus § 613a IV 2 BGB gegeben war.
Der Arbeitnehmer könnte zum andern neben dem Kündigungsschutzantrag
hilfsweise
einen
Wiedereinstellungsanspruch
gegen
den
mutmaßlichen
Betriebs(teil)erwerber geltend machen. Dessen Erfolg hinge davon ab, ob es
dem
Arbeitnehmer
behaupteten
gelingt,
die
Betriebsübergangs
tatbestandlichen
darzulegen
und
Voraussetzungen
im
Bestreitensfalle
des
zu
beweisen, was ihn vor erhebliche praktische Problem stellen dürfte. Auf der
sicheren
Seite
steht
der
Arbeitnehmer
nur,
wenn
er
sowohl
Kündigungsschutzklage gegen seinen bisherigen Arbeitgeber erhebt als auch
den Anspruch auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages gegen den
mutmaßlichen
569
Betriebsübernehmer
geltend
macht.
Dabei
steht
der
BAG (8 AZR 101/96), AP Nr. 154 zu § 613a BGB (unter II 2); BAG (8 AZR 729/96), AP Nr. 172
zu § 613a BGB; BAG (8 AZR 676/97), NZA 1999, 420, 421 f.
- 228 Arbeitnehmer in einem Dilemma: In einem Verfahren unterliegt er bestimmt.
Unter Umständen verliert er beide Prozesse, wenn der vermeintliche
Übernehmer
doch
keinen
wesentlichen
Teil
der
früheren
Belegschaft
übernommen hat.570
(b) Parteiwechsel im laufenden Kündigungsschutzverfahren
Beruft sich der Arbeitnehmer im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses auf
den Betriebsübergang und will er den Rechtsstreit gegen den mutmaßlichen
Betriebsübernehmer weiterführen, so stellt sich die Frage, ob hinsichtlich des
Klagegegners ein echter Parteiwechsel stattfindet. Nach Auffassung des BAG
kann der Betriebsübernehmer entsprechend § 265 II 2 ZPO nur mit Zustimmung
des alten Arbeitgebers den Prozess übernehmen.571 Das LAG Hamm geht
dagegen davon aus, dass im Anwendungsbereich des § 613a BGB ein
vollständiger
Austausch
der
Vertragsparteien
stattfindet,
weshalb
der
Betriebsübernehmer einer Einbeziehung in den Prozess nicht widersprechen
könne und an die bisherigen Prozessergebnisse
prozessökonomischen
Gründen
sollte
sich
gebunden bleibe.572 Aus
der
materiellrechtliche
Vertragspartnerwechsel auch prozessual auswirken mit der Konsequenz, den
Betriebserwerber in den Prozess mit einzubeziehen.
Der
Eintritt
des
Betriebserwerbers in den Arbeitsvertrag bezieht sich auch auf den gekündigten
Zustand und die sich daraus ergebenden Rechtsfragen. Deshalb ist es auch
nicht erforderlich, dass der alte Arbeitgeber im Prozess verbleibt.573
570
571
572
573
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310.
Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation im Zusammenhang mit dem AÜG BAG (7 AZR 437/97),
NZA 2000, 102 ff.
LAG Hamm (4 Sa 1258/94), LAGE § 613a BGB Nr. 60; LAG Hamm (4 Sa 141/96), LAGE §
91a ZPO Nr. 6.
Instruktiv hierzu Fischer, DB 2001, 331, 334.
- 229 -
(6) Kritische Würdigung des Betriebsübergangs in den Fällen
der Funktionsnachfolge
Gegen
die
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
nach
Funktionsnachfolge und Übernahme des wesentlichen Teils der Belegschaft
wird
eingewandt,
die
freiwillige
privatautonome
Übernahme
einzelner
Arbeitnehmer des bisherigen Auftragnehmers durch den Auftragsnachfolger
werde nachträglich aufgehoben, wenn dieser am Ende – augrund des von der
Rspr.
fingierten
Betriebsübergangs
–
doch
gezwungen
wäre,
diese
Arbeitnehmer zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen, obwohl
bereits
andere
Arbeitsbedingungen
vereinbart
worden
sind.574
Diese
Ausstrahlungswirkung auf bereits neu begründete Arbeitsverhältnisse ist in der
Tat die logische Konsequenz aus der Anerkennung der Fallgruppe des
Betriebsübergangs durch Übernahme des wesentlichen Teils der Belegschaft.
Schließlich wird in diesem Zusammenhang sogar von einer Perversion des §
613a
BGB
und
der
Betriebsübergangsrichtlinie
gesprochen.
Ein
im
Dienstleistungsbereich sinnvolles Angebot des Auftragsnachfolgers an einen
Teil der beim Konkurrenten beschäftigen Belegschaft zur Begründung eines
neuen
Arbeitsverhältnisses
Betriebsübergang
birgt
auszulösen,
stets
sobald
ein
die
Gefahr
nach
Zahl
in
und
sich,
einen
Sachkunde
wesentlicher Teil der Belegschaft freiwillig und zu anderen (schlechteren)
Arbeitsbedingungen übernommen wird. Tritt der Auftragsnachfolger in der
Konsequenz mit einem Mal auch in die Arbeitsverhältnisse mit denjenigen
Arbeitnehmern ein, die er gar nicht übernehmen will und für die er gar keine
Verwendung hat, so müsse er erst wieder kündigen, wobei er den Restriktionen
des KSchG unterliegt. Schließlich bliebe es auch bei den unwirtschaftlichen
Arbeitsbedingungen des Auftragsvorgängers, so dass der Betrieb eventuell
sogar wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit wieder aufgegeben werden müsste.
Will der Auftragsnachfolger dies sicher verhindern, so könne ihm nur geraten
574
Hanau, ZIP 1998, 1817, 1817 f; Fischer, DB 2001, 331, 333.
- 230 werden, überhaupt keine Arbeitnehmer des bisherigen Auftragnehmers zu
übernehmen. Ist der Auftragsnachfolger einerseits auf die Übernahme eines
Teils der bisherigen Belegschaft aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen, weil
nur sie durch die schon vorhandenen Kenntnisse über die Aufgabenerledigung
eine von Anfang an wirtschaftliche Abwicklung ermöglichen, will er aber
andererseits das Risiko der Anwendung des § 613a BGB nicht eingehen, so
könne dies in der Konsequenz sogar zu einer völligen Betriebsstillegung führen,
die Auftragsübernahme also von Anfang an unmöglich machen. Die eigentlich
auf den Erhalt der Arbeitsplätze angelegte Vorschrift des § 613a BGB bewirke
so das genaue Gegenteil.575
Der Schutz der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang könne deshalb zu
einer
Alles-oder-Nichts-Situation
führen.
Entweder
finde
sich
ein
Betriebserwerber, der bereit sei, alle Arbeitnehmer einschließlich ihrer
erworbenen Rechte und Forderungen zu übernehmen, oder es finde sich gar
kein Übernehmer, und der Betrieb, den der bisherige Inhaber nicht weiterführen
will, werde geschlossen. Interessenten, die zwar an einem großen Teil der
Belegschaft interessiert seien, aber nicht die volle Konsequenz des § 613a BGB
tragen könnten oder wollten, kämen nicht zum Zuge, und zwar auch dann nicht,
wenn als Alternative nur die Entlassung aller Arbeitnehmer in Betracht
kommt.576
Auch die vom EuGH gewählte rechtstechnische Begründung für die Annahme
eines Betriebsübergangs durch die bloße Übernahme von Personal durch einen
Mitbewerber im Dienstleistungsbereich wird als geradezu fiktive Ausweitung des
Begriffs des „Know-how“ kritisiert, mit dessen Hilfe man ein immaterielles
Substrat definiere, das dann einen Betriebsübergang begründen solle. Stelle
man dagegen auf das tatsächlich vorhandene „Know-how“ ab, so müsse das
sachlich ungerechtfertigte Ergebnis akzeptiert werden, dass ein solches Team,
575
Hanau, ZIP 1998, 1817, 1818; Edenfeld, AuA 1998, 161, 165; Raab, RdA 2000, 147, 164.
576
Hanau, ZIP 1998, 1817, 1818; Sandmann, SAE 2000, 295, 301.
- 231 wenn sich ihm ein eindeutiges „Know-how“ nicht zuordnen lässt, nicht in den
Schutzbereich des § 613a BGB fällt.577
Langenbucher578
schlägt
vor,
die
Vertragsabschlussfreiheit
des
Auftragsübernehmers dadurch vor Schaden zu bewahren, dass dieser bei einer
Neuausschreibung der zur Erledigung des Dienstleistungsauftrags benötigten
Stellen regelmäßig nicht zur Wiedereinstellung verpflichtet sein soll. In diesem
Fall habe der Auftragsnachfolger auch dann nicht willentlich einen nach Zahl und
Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernommen, wenn sich bei ihm
aufgrund der freien Ausschreibung zufällig der wesentliche Teil der früheren
Belegschaft melde, um seiner bisherigen Tätigkeit nachzugehen. Wer einen
neuen Auftrag akquiriere, habe ein schutzwertes Interesse daran, ihn nach
seinen
eigenen
Vorstellungen
erfüllen
zu
können.
Zur
Freiheit
des
Vertragsschlusses gehöre auch die Möglichkeit, unter Bewerbern auszuwählen
und sich ungebunden für diejenigen zu entscheiden, die geeignet erscheinen.
Ein Kontrahierungszwang sei bloß in besonderen Ausnahmesituationen
anzuerkennen. Wenn der Auftragsnachfolger eine Übernahme der Belegschaft
(durch die externe Stellenausschreibung) aber abgelehnt habe, würde ein
Wiedereinstellungsanspruch den endgültig gekündigten Arbeitnehmern einen
unangemessenen Vorteil gegenüber solchen Bewerbern verschaffen, die sich
erstmalig um die ausgeschriebene Stelle bewerben. Anders müsse man nur
entscheiden,
wenn
dem
Auftragsübernehmer
eine
Umgehungsabsicht
nachzuweisen sei, er die Stellenausschreibung also nur vorgeschoben und auf
anderem Wege Kontakt mit den gekündigten Arbeitnehmern aufgenommen
hätte.
Damit würde jedoch ein völlig atypischer Verlauf zum Regelfall erhoben. Denn
dass der neue Auftragnehmer einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen
Teil des Personals seines Konkurrenten praktisch unwissend unter Beibehaltung
577
Dieterich, NZA 1996, 673, 680.
578
Langenbucher, ZfA 1999, 299, 324 f.
- 232 der bisherigen Arbeitsplatzorganisation wieder einstellt, dürfte kaum vorstellbar
sein. Sein Wissen um die vorhergehende Beschäftigung der von ihm neu
eingestellten Arbeitnehmer allein führt bereits zur willentlichen Übernahme des
wesentlichen Teils der Belegschaft im Sinne der EuGH-Rspr., auch wenn die
Eigenschaft als „wesentlicher Teil“ vom Auftragsnachfolger ebenso wenig
erkannt wird wie die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs. Selbst wenn es
einmal vorkommen sollte, dass sich der Auftragsnachfolger nach einer externen
Neuausschreibung sämtlicher Stellen unversehens mit dem wesentlichen Teil
der alten Belegschaft konfrontiert sähe, so würde es doch immer noch auf seiner
freien Entscheidung beruhen, ob er die erprobte Arbeitsplatzorganisation
beibehält oder verändert. Verändert er sie nicht, so sind die Voraussetzungen
erfüllt, die tatbestandlich den Betriebsübergang auslösen. Die möglichen
negativen Folgen für die Fortführbarkeit des Betriebes aufgrund der Rechtsfolge
bisheriger Arbeitsbedingungen und übergegangenen Kündigungsschutzes muss
der Auftragsnachfolger dann gegen sich gelten lassen. In diesem Fall den
Nachweis einer eigenständigen Umgehungsabsicht zu fordern liefe auf die
Forderung nach einem negativen Rechtsfolgewillen hinaus, auf den es – wie
sonst auch – bei Kenntnis aller objektiven Umstände nicht ankommen kann.
Zuzugeben ist allerdings den Bedenken einer möglichen Unwirtschaftlichkeit und
Nichtfortführbarkeit des Dienstleistungsbetriebs, wenn der Auftragsübernehmer
auch nach Abschluss anderslautender Verträge durch die von ihm sicher nicht
erwarteten Rechtsfolgen der Betriebsübernahme vollumfänglich auf die alten
Arbeitsbedingungen zurückgeworfen wird. Diese Konsequenz ist aber als Folge
des Rechtsprechungswandels zum Betriebsübergang nicht zu vermeiden.
c) Sanierungsnotwendigkeit und Wiedereinstellungspflicht
(1) Beurteilungszeitpunkt für das Kündigungsverbot aus §
613a IV 1 BGB
Ein nachträglicher Betriebsübergang steht einer wirksamen Kündigung zur
Verfolgung
eines
Rationalisierungskonzepts
oder
wegen
beabsichtigter
Betriebsstillegung nicht entgegen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung eine
ernsthafte Stillegungsabsicht bestand und der nachfolgende Betriebsübergang
zu diesem Zeitpunkt noch keine greifbaren Formen angenommen hatte (§ 613a
IV 2 BGB).
- 233 Stand aber die Übernahme des Betriebes zum Zeitpunkt der Kündigung schon
fest oder hatte der Betriebsübergang in Gestalt von Verhandlungen zwischen
Veräußerer und Erwerber bereits „greifbare Formen“ angenommen und kommt
es
nach
Ausspruch
der
Kündigung
dann
tatsächlich
zu
einer
völlig
unveränderten Übernahme des Betriebes, so handelt es sich grundsätzlich um
eine unwirksame Kündigung „wegen des Betriebsübergangs“ gemäß § 613a IV
1 BGB.579
(2) Verwirklichung von Rationalisierungskonzepten i.S.v. §
613a IV 2 BGB durch den Veräußerer oder den Erwerber Parallelbetrachtung
(a) Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts
Ein besonderer Fall liegt dann vor, wenn der Betriebsübergang zum Zeitpunkt
der Kündigung schon greifbare Formen angenommen hat, der Veräußerer aber
aufgrund einer mit dem Erwerber getroffenen Absprache gleichwohl kündigt, weil
– nach erklärter Ansicht von Veräußerer und Erwerber – sich eine
übergangsfähige wirtschaftliche Einheit nur mit Hilfe einer personellen Sanierung
herstellen lässt und der Betrieb andernfalls stillgelegt werden müsste.
Die ganz h.M. lässt als Kündigungsgrund im Sinne von § 613a IV 2 BGB
genügen, dass der Veräußerer im Vorfeld eines Betriebsübergangs ein
Sanierungskonzept auf Geheiß des Betriebserwerbers verwirklicht, um den
Betrieb veräußerungsfähig zu machen, wenn der Gekündigte in dem neuen
unternehmerischen Konzept des Erwerbers keinen Platz mehr findet (sog.
„Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts“).580
579
580
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 312; Raab, RdA 2000, 147, 159.
BAG (2 AZR 477/81), AP Nr. 34 zu § 613a BGB;
Meyer, BB 2000, 1032, 1035; Raab, RdA 2000, 147, 160; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Hanau,
ZIP 1984, 141, 143;
- 234 Tragender Grund für die Kündigung in diesen Fällen sei nicht der angestrebte
und
später
auch
vollzogene
Betriebsübergang.
Vielmehr
sei
der
Betriebsübergang nur eine notwendige zusätzliche Voraussetzung für den Erhalt
des
Betriebes.
Der
Zweckzusammenhang
zwischen
Kündigung
und
Betriebsübergang erscheine demnach zweitrangig. Auch nach Auffassung des
8. Senats genügt das für die Anwendung des § 613a IV 1 BGB nicht.581 Diese
Auffassung hat in der Lit. Zustimmung erfahren. Ein Verstoß gegen das
Kündigungsverbot aus § 613a IV 1 BGB liege dann nicht vor, wenn der
Arbeitgeber etwaige Kündigungen auf eine soziale Rechtfertigung nach § 1 II 1
KSchG stütze, die betriebsbedingt auch unabhängig vom Betriebsübergang
bestehe.582
Voraussetzung für eine Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts
ist allein, dass die Person des Erwerbers feststeht und der Erwerber ein Konzept
für die Fortführung des Betriebes entwickelt hat, das als unternehmerische
Organisationsentscheidung umsetzungsfähig ist, aus dem sich mithin ergibt, ob
und
in
welchem
Arbeitnehmer
Rahmen
entfällt.583
Erwerberkonzepts
ist
wie
die
Die
Beschäftigungsmöglichkeit
Veräußererkündigung
jede
betriebsbedingte
für
einzelne
aufgrund
eines
Kündigung
einer
Missbrauchskontrolle zu unterziehen, wobei insbesondere zu prüfen ist, ob die
gekündigten Arbeitnehmer aufgrund des neuen unternehmerischen Konzepts
dauerhaft entbehrt werden können.
Um Missbrauchsmöglichkeiten zulasten des Arbeitnehmers zu vermeiden, muss
die zwischen Veräußerer und Erwerber abgesprochene Umstrukturierung oder
Rationalisierung nach dem Erwerberkonzept allerdings schon bei Ausspruch der
Kündigung durch den Veräußerer greifbare Formen angenommen haben, damit
Erman – Hanau, § 613a BGB Rn 126, Soergel – Raab, § 613a BGB Rn 189; Staudinger –
Richardi/Annuß, § 613a BGB Rn 251; KR – Pfeiffer, § 613a BGB Rn 113; Kindscher Diss., S.
141 ff und 203.
581
582
583
BAG (8 AZR 127/94), NZA 1997, 148, 149.
Wollenschläger/Pollert, ZfA 1996, 547, 565 (dort FN 115);instruktiv Sandmann, SAE 1997,
157, 158 f.
KR – Etzel, § 1 KSchG Rn 592; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 566d.
- 235 überprüft
werden
kann,
ob
die
Beschäftigungsmöglichkeit
mit
dem
Betriebsübergang auch tatsächlich wegfällt.584 Darüber hinaus ist zu verlangen,
dass
der
geplante
Betriebsübergang
zum
Kündigungszeitpunkt
durch
rechtsverbindlichen Vorvertrag oder aufgrund eines aufschiebend bedingten
Übernahmevertrags rechtlich fixiert ist.585
Das Eingreifen des Kündigungsverbotes aus § 613a IV 1 BGB verlangt
demgegenüber,
dass
der
Betriebsübergang,
also
der
Wechsel
des
Betriebsinhabers, das tragende Motiv und nicht nur äußerer Anlass für die
Kündigung ist.586 Demnach greift das Kündigungsverbot erst ein, wenn der
bisherige Betriebsinhaber das Arbeitsverhältnis allein587 deshalb kündigt, weil er
persönlich den Betrieb nicht weiterführen will, obwohl feststeht, dass ein anderer
den Betrieb als intakte Organisationseinheit übernehmen und fortführen wird.588
In diesem Fall beruht die Kündigung nicht auf betrieblichen Notwendigkeiten,
sondern ist allein durch den Wechsel in der Person des Betriebsinhabers
bedingt.
(b) Rationalisierungskonzept nach unerwartetem
Betriebsübergang
Nun kann auch nach wirksamer Stillegungskündigung und unerwartetem
Betriebsübergang der Erwerber ein Sanierungskonzept beabsichtigen, dass
nicht die Wiedereinstellung sämtlicher Arbeitnehmer erlaubt, weil ein Teil der
ehedem vorhandenen Arbeitsplätze vom Erwerber nicht aufrecht erhalten
werden soll. Fraglich ist, ob ein
584
585
Wiedereinstellungsanspruch dann nur im
BAG (2 AZR 477/81), NJW 1984, 627, 629 f = AP Nr. 34 zu § 613a BGB; Loritz, RdA 1987, 65,
84; Meyer, BB 2000, 1032, 1035; Lipinski, NZA 2002, 75, 79.
Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 433; Willemsen, ZIP 1983, 411, 414 ff; Vossen, BB 1984,
1557, 1560; Lipinski, NZA 2002, 75, 79.
586
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 251; BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 312.
587
Instruktiv hierzu Lipinski, NZA 2002, 75, 77.
588
BAG (8 AZR 159/98), NZA 1999, 704, 705.
- 236 Hinblick auf solche Arbeitsplätze entsteht, die nach den Vorstellungen des
Erwerbers erhalten bleiben sollen.
In seiner Entscheidung vom 27.02.1997589 benennt der 2. Senat zur
Erläuterung einer schutzwürdigen Disposition beispielhaft den Fall, dass nach
beabsichtigter Betriebsstillegung und darauf beruhender wirksamer Kündigung
eines Teils oder auch der gesamten Belegschaft sich ein potentieller
Betriebsübernehmer meldet, der die Übernahme und Fortführung des Betriebes
unter
der
Voraussetzung
anbietet,
dass
Rationalisierungsmaßnahmen
durchgeführt oder die Arbeitsbedingungen zuungunsten der Arbeitnehmer
verändert werden. Die Kündigungen sind und bleiben wirksam, wenn die Absicht
der Betriebsstillegung zum Kündigungszeitpunkt bereits ernsthaft und endgültig
bestand.590 Für die Entstehung von Wiedereinstellungsansprüchen können die
Pläne des Übernehmers indes nicht außer Betracht bleiben.
Insoweit
will
der
2.
Senat
für
die
Wiedereinstellungsfrage
die
Interessenabwägung ausnahmsweise zugunsten des Arbeitgebers entscheiden.
Bei den auf der beabsichtigten Betriebsstillegung beruhenden Kündigungen
handele es sich insoweit um vorrangig zu berücksichtigende schutzwürdige
Dispositionen, wie geeignete Arbeitsplätze nach dem neuen unternehmerischen
Konzept des Erwerbers nicht mehr zu Verfügung stehen. Dem Arbeitgeber
könne es aber zumutbar sein, den wirksam gekündigten Arbeitnehmern die
Wiedereinstellung zu Arbeitsbedingungen anzubieten, zu denen ein Interessent
zum Betriebserwerb bereit ist. Für den Arbeitgeber unzumutbar sei es dagegen,
den wirksam gekündigten Arbeitnehmern die Fortsetzung des bisherigen
Arbeitsverhältnisses zumindest zu den bisherigen Arbeitsbedingungen unter
Wahrung der sozialen Besitzstände anzubieten, wenn ohne die Rationalisierung
589
590
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760;Vgl. zur Kündigungsmöglichkeit in diesen Fällen:
BAG (8 AZR 127/94), NZA 1997, 148, 148.
BAG (2 AZR 651/95), NZA 1997, 92, 93.
- 237 oder die Absenkung der Arbeitsbedingungen der Verkauf scheitern und es zu
der von Anfang an geplanten Betriebsstillegung kommen müsste.591
§
613a IV 1 BGB sei nicht einschlägig, wenn die Kündigung der
Rationalisierung
(Verkleinerung)
des
Betriebes
zur
Verbesserung
der
Verkaufschancen an einen Betriebsübernehmer diene und der Betrieb ohne die
Rationalisierung stillgelegt werden müsste.592 Folgerichtig ist dann auch gegen
einen Wiedereinstellungsanspruch zu entscheiden, wenn die Kündigung wegen
beabsichtigter Stillegung wirksam ist, die Stillegung dann aber unterbleibt und
der Betriebsübernehmer ein Rationalisierungskonzept verfolgt, in welchem der
Gekündigte keinen Platz mehr findet. Beide Aussagen folgen aus § 613a IV 2
BGB.
In der selben Entscheidung hat der 2. Senat andererseits im Grundsatz betont,
es müsse von einer objektiven Gesetzesumgehung des § 613a IV 1 BGB
ausgegangen
werden,
wenn
der
Arbeitgeber
seinen
Irrtum
über
die
Notwendigkeit einer Betriebsstillegung ausnutzen und nach § 613a BGB einen
Betrieb übertragen könnte, dessen Arbeitsverhältnisse sämtlich wirksam
gekündigt sind. Der Wille des Arbeitgebers, in einem derartigen Fall im Ergebnis
praktisch den sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers zu „versilbern“, sei nach §
242 BGB unbeachtlich.593
(c) Vergleich zwischen beiden Konstellationen
Mit der Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts wird auf der
Ebene der Kündigungswirksamkeit das gleiche Problem angesprochen, wie bei
einem Rationalisierungskonzept nach unerwartetem Betriebsübergang auf der
Ebene des Wiedereinstellungsanspruchs.
591
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
592
BAG (8 AZR 127/94), NZA 1997, 148, 148.
593
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
- 238 Der erste Fall präjudiziert den zweiten, denn wenn eine Kündigung trotz sicher
bevorstehenden Betriebsübergangs aus vorrangigen betriebsbedingten Gründen
wirksam ist, dann kann bei nachträglich eintretender gleicher objektiver
Sachlage erst recht keine Wiedereinstellung beim Erwerber verlangt werden
(Arg. a maiore ad minus).
Vorgeschlagen wird daher für die Wiedereinstellungsfrage eine „als-ob“Betrachtung: Hätte der Arbeitgeber die Kündigung wegen beabsichtigter
Betriebsstillegung nicht ausgesprochen und würde nun ein potentieller
Betriebsübernehmer den Erwerb von Rationalisierungsmaßnahmen abhängig
machen, so könnte der Arbeitgeber betriebsbedingt ohne Verstoß gegen § 613a
IV 1 BGB kündigen.594 Es würde sich dann um eine nach ganz h.M. bei
bevorstehendem
Betriebsübergang
zulässige
Kündigung
des
alten
Betriebsinhabers mit dem Ziel der Verwirklichung eines Sanierungskonzepts des
Erwerbers
handeln,
also
eine
Veräußererkündigung
aufgrund
eines
Erwerberkonzepts.595 Ein notwendiger Personalabbau soll nicht allein durch
den Betriebsübergang verzögert werden.596 Es kann nämlich keine Rolle
spielen, ob die Idee der Sanierung des Unternehmens vom Unternehmer selbst,
von einem Dritten oder vom Erwerber entwickelt wurde.597
Wenn nun der Arbeitgeber bereits das unternehmerische Konzept eines
späteren
Betriebsübernehmers
durch
rechtsbeständige
betriebsbedingte
Kündigungen umsetzen kann, dann kann auch kein Wiedereinstellungsanspruch
anerkannt werden, wenn es nach einer Kündigung wegen beabsichtigter
Betriebsstillegung unvorgesehen zu einem Betriebsübergang kommt und nach
594
595
So BAG (8 AZR 127/94), NZA 1997, 148, 148 und 150.
BAG (2 AZR 477/81), AP Nr. 34 zu § 613a BGB; Hanau, ZIP 1984, 141, 143; Erman – Hanau,
§ 613a BGB Rn 126, Soergel – Raab, § 613a BGB Rn 189; Staudinger – Richardi/Annuß, §
613a BGB Rn 251; KR – Pfeiffer, § 613a BGB Rn 113; Meyer, BB 2000, 1032, 1035; Raab,
RdA 2000, 147, 160; Lipinski, NZA 2002, 75, 79.
596
BAG (2 AZR 477/81), BAGE 43, 13, 21; Meyer, BB 2000, 1032, 1035.
597
Sandmann, SAE 1997, 157, 160.
- 239 dem Konzept des Erwerbers für die betreffenden
Arbeitnehmer kein Bedarf
mehr besteht.598
Argumentiert wird auch, man würde den Arbeitgeber ansonsten dazu zwingen,
zunächst
eine
Wiedereinstellung
vorzunehmen,
um
den
eingestellten
Arbeitnehmer sogleich wieder zu kündigen. Eine Wiedereinstellung sei dem
Arbeitgeber
daher
unzumutbar,
kündigungsbegründenden
wenn
Prognose
bei
er
trotz
Widerlegung
der
Fortbestand
des
unterstelltem
Arbeitsverhältnisses erneut wirksam kündigen könnte. Sei der Betriebserwerber
zur Übernahme nur unter veränderten Vertragsbedingungen bereit, so müsse
auch der Wiedereinstellungsanspruch zu geänderten Vertragsbedingungen
entstehen, da bei hypothetischem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eine
entsprechende Änderungskündigung möglich wäre.599
Würde man den rechtswirksam gekündigten Arbeitnehmern einen Anspruch auf
Wiedereinstellung
einräumen,
so
würde
das
Ziel
der
wirksamen
betriebsbedingten Kündigungen, den Betrieb veräußerungsfähig zu machen,
vereitelt.600
Folglich
würde
es
zu
der
von
Anfang
an
geplanten
Betriebsstillegung kommen, der Schutzzweck des § 613a IV BGB, den Erhalt
der Arbeitsplätze zu sichern, würde in sein Gegenteil verkehrt.
Liegt ein vernünftiges Sanierungskonzept vor, so handelt es sich demnach nicht
um eine Kündigung „wegen“ des Betriebsübergangs und mithin nicht um einen
Verstoß gegen § 613a IV 1 BGB. Die für die Kündigung maßgeblichen
Umstände, nämlich die Nichtweiterführbarkeit ohne vorherige personelle
Sanierung bleiben unverändert und bedingen die Kündigung weiterhin
598
Hanau, ZIP 1998, 1817, 1820; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578 f.
599
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578.
600
Tretow, ZinsO, 2000, 309, 314.
- 240 unabhängig vom erfolgten Betriebsübergang. Wollte man anders entscheiden,
so liefe auch die gesetzliche Vermutung aus den §§ 125 I, 128 II InsO leer.601
Wie erörtert hält der 2. Senat die „Disposition“ des Erwerbers für schutzwürdig
und will so eine Wiedereinstellung nach unerwartetem Betriebsübergang
verneinen, wenn im Erwerberkonzept für eine Weiterbeschäftigung des
Arbeitnehmers kein Platz mehr ist. Zu Recht wird aber bezweifelt, ob in einem
solchen Fall überhaupt der Kündigungsgrund weggefallen ist, zumal sowohl
hinsichtlich
der
zunächst
prognostizierten
„Betriebsstillegung“
als
auch
hinsichtlich des tatsächlich eingetretenen Betriebsübergangs bei gleichzeitiger
„personeller Sanierung“ der eigentliche Kündigungsgrund, nämlich die fehlende
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
aus
betriebsbedingten
Gründen,
letztlich
bestehen bleibt.602
Eine andere Frage ist, ob der Veräußerer in einem solchen Fall gezwungen sein
kann, an denjenigen Interessenten zu verkaufen, der den Betrieb mit den
meisten Arbeitnehmern fortführen möchte. Dies kann jedoch nicht verlangt
werden.603 Wenn der Betriebsinhaber jede neue Organisationsentscheidung mit
der
Folge
des
dauerhaften
Wegfalls
von
Arbeitsplätzen
als
freie
Unternehmerentscheidung verantworten und entsprechend kündigen kann, dann
kann ihm auch nicht verwehrt sein, das Unternehmen an einen beliebigen
Betriebsübernehmer zu veräußern, um den optimalen wirtschaftlichen Erfolg zu
realisieren, gleich welches neue unternehmerische Konzept der Erwerber
verfolgt und welche Auswirkungen dies auf den Fortbestand der Arbeitsplätze
hat. Der Betriebsübergang verengt nicht die unternehmerischen Möglichkeiten
und die Kündigungsbefugnis von Veräußerer und Erwerber, er erweitert sie aber
auch nicht.
601
Berscheid, ZinsO 1998, 159, 172; Tretow, ZinsO 2000, 309, 314.
602
Ricken, NZA 1998, 460, 465.
603
So auch Sandmann, SAE 1997, 157, 159.
- 241 Schließlich bedarf auch die Annahme einer näheren Überprüfung, ob sich über
den Wiedereinstellungsanspruch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
erreichen lässt, etwa, weil der Betriebsübernehmer sie zur Bedingung für die
Fortführung des Betriebes macht.
Insgesamt kritisch wird angemerkt, ein potentieller Betriebsübernehmer habe es
in der Hand, Wiedereinstellungsansprüche dadurch abzuwehren, dass er die
Übernahme von der vorherigen Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen
abhängig macht. Übernahmeangebote könnten in Zukunft regelmäßig nur noch
unter Rationalisierungsvorbehalt abgegeben werden. Auch sei ein konstruierter
Betriebsübergang zur Abwehr von Wiedereinstellungsansprüchen durchaus
denkbar.604
(3) Stellungnahme
Wollte man ein jedes unter der Bedingung eines Rationalisierungskonzepts
stehende Übernahmeangebot als rechtshindernde Einwendung gegen die
Entstehung von Wiedereinstellungsansprüchen zulassen, so stellt sich die
Frage, wie dann noch eine praktikable Abgrenzung eines zulässigen
„Rationalisierungskonzepts nach unerwartetem Betriebsübergang“ in Anlehnung
an die Figur der „Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts“ von
der
verbotenen
Nichtwiedereinstellung
„wegen
des
Betriebsübergangs“
vorgenommen werden und einem Rechtsmissbrauch vorgebeugt werden kann.
Richtig ist aber folgendes: Die Wiedereinstellung darf ihre Grundlage, den mit
dem Betriebsübergang einhergehenden Wegfall des Kündigungsgrundes
Betriebsstillegung, nicht zerstören. Richtig ist auch, dass der Arbeitgeber nicht
schlechter stehen darf, als er stünde, wenn er auf die Kündigung wegen
beabsichtigter
bevorstehenden
604
Betriebsstillegung
verzichtet
Betriebsübergangs
Ricken, NZA 1998, 460, 465.
und
gekündigt
erst
hätte,
aus
Anlass
um
den
des
Betrieb
- 242 veräußerungsfähig zu machen. Andererseits können Zahl und Inhalt der
wiederzubegründenden
Arbeitsverhältnisse
nicht
in
das
Belieben
eines
Interessenten zum Betriebserwerb gestellt werden, obwohl sich an dessen
subjektiven Willen die Frage entscheidet, ob der Betrieb stillgelegt werden muss
oder nicht. Das gebietet der Schutzzweck des § 613a IV 1 BGB, Bestand und
Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse unabhängig vom Betriebsübergang zu
gewährleisten. Nicht überzeugen kann deshalb die undifferenzierte Auffassung
des 2. Senats, dem Arbeitgeber könne es allenfalls zumutbar sein, den wirksam
gekündigten Arbeitnehmern die Wiedereinstellung zu Arbeitsbedingungen
anzubieten, zu denen ein Interessent zum Betriebserwerb bereit ist.605 Frühere
Entscheidungen hatten dagegen zutreffend festgestellt, ein Kündigungsgrund
ergebe sich nicht schon daraus, dass ein Interessent den Erwerb des Betriebes
von Kündigungen abhängig mache.606 Gleiches muss dann auch für die
Wiedereinstellung gelten. Auch wenn die Betriebsübernahme mit dem Willen
des potentiellen Erwerbers steht und fällt, kann dieser sich die mit einem
Betriebsübergang verbundenen Rechtsfolgen nicht aussuchen.
Kann der Veräußerer grundsätzlich betriebsbedingte Beendigungs- oder
Änderungskündigungen vornehmen, um den Betrieb(steil) übergangsfähig zu
machen, so kann er bzw. der Betriebserwerber das gleiche unternehmerische
Konzept auch mit Wirkung gegen die wegen beabsichtigter Betriebsstillegung
gekündigten Arbeitnehmer verfolgen. Der eigentliche Grund dafür, dass die
gekündigten Arbeitnehmer das neue unternehmerische Konzept gegen sich
gelten lassen müssen, wird man im Fortbestehen des Kündigungsgrundes
sehen müssen. Eine Kündigung wegen „beabsichtigter Betriebsstillegung“
bezeichnet die Nichtfortführbarkeit des Betriebes unter den gegenwärtigen
Bedingungen als innere Rechtfertigung der Kündigung. Ergibt sich danach eine
Fortführbarkeit
unter
anderen
Bedingungen,
so
entsteht
allenfalls
ein
Wiedereinstellungsanspruch unter den Voraussetzungen dieses geänderten
605
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
606
BAG (2 AZR 477/81), MDR 1984, 171, 171 f; BAG (8 AZR 127/94), MDR 1997, 174, 174 f.
- 243 unternehmerischen Konzepts, ohne dass es darauf ankommt, ob das neue
Konzept vom bisherigen Arbeitgeber oder von einem Betriebserwerber
verwirklicht wird. Ergibt sich demnach ein verringerter Personalbedarf, so ist der
betriebsbedingte Kündigungsgrund für diejenigen Arbeitnehmer, die unter
Berücksichtigung ihrer funktionalen Austauschbarkeit auf den noch vorhandenen
oder neu entstandenen Arbeitsplätzen nicht weiterbeschäftigt werden können,
nicht entfallen, sondern er besteht fort. Ein Wiedereinstellungsanspruch entsteht
für diese Arbeitnehmer dem Grunde nach gar nicht erst, ohne dass es auf das
Korrektiv der Zumutbarkeit ankäme, wie ein Teil der Lit.607 im Anschluss an den
2. Senat608 meint.
Keineswegs ausreichend ist aber, dass der Betriebserwerber in spe die
Betriebsübernahme ohne ausreichenden Sachgrund von der Verschlechterung
der
Arbeitsbedingungen
der
Arbeitnehmer
abhängig
macht,
denn
die
Betriebsübernahme selbst darf sich nach der Wertung des § 613a IV BGB nicht
nachteilig auf die Arbeitsverhältnisse auswirken.
Die Kündigung des Veräußerers ist aufgrund des Prognoseprinzips unter
erleichterten Voraussetzungen möglich, da die Kündigung wegen beabsichtigter
Betriebsstillegung sich leichter begründen lässt als die aus Ex-Post-Sicht
eigentliche angezeigte Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts.
Bei beabsichtigter Stillegung bedarf es weder der Darlegung eines neuen
organisatorischen Konzepts noch einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten.
Diese Diskrepanz hat wegen § 613a IV BGB Auswirkungen auf eine mögliche
Wiedereinstellungspflicht, die auch der Betriebserwerber gegen sich gelten
lassen muss.
Der Betriebsübernehmer darf in der Konsequenz den Druck, der von seinem
bedingten Übernahmeangebot ausgeht oder ausgegangen ist, nicht auf die vom
607
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578 f.
608
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
- 244 Veräußerer
gekündigten
Arbeitnehmer
abwälzen.
Nicht
das
bedingte
Übernahmeangebot hindert die Entstehung von Wiedereinstellungsansprüchen,
sondern
nur
ein
verändertes
unternehmerisches
Konzept,
das
bei
hypothetischem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses auch zur Kündigung
berechtigen würde.
Der
Betriebserwerber
muss sich für die Wiedereinstellungsfrage nach
unerwartetem Betriebsübergang zunächst so behandeln lassen, als habe er
selbst und nicht sein Rechtsvorgänger – unter Außerachtlassung des
Betriebsübergangs – nach Erklärung wirksamer Stillegungskündigungen wegen
veränderter Umstände einen Entschluss zur Betriebsfortführung gefasst, denn
der Betriebsübergang darf sich als solcher nicht auswirken. In einem zweiten
Schritt muss er dann die Nichtwiedereinstellung von Arbeitnehmern so
rechtfertigen, wie er deren Kündigung hätte rechtfertigen müssen, wenn die
Fortführung
des
Betriebes
(durch
wen
auch
immer)
bereits
im
Kündigungszeitpunkt festgestanden hätte.
Die wirksame Kündigung aufgrund der beabsichtigten Betriebsstillegung war
allein aufgrund der Darlegung möglich, die Stillegungsabsicht bestehe endgültig
und ihre Umsetzung habe bereits greifbare Formen angenommen. Die
Betriebsübernahme
schafft
nun
nachträglich
einen
anderen
Rechtfertigungszwang. Diesem muss sich der Betriebserwerber im Hinblick auf
etwaige Wiedereinstellungsansprüche in gleicher Weise stellen, wie es der
Betriebsveräußerer schon bei der Kündigung hätte tun müssen, wenn er selbst
den Entschluss zur Fortführung des Betriebes mit verringertem Personalbestand
gefasst und diesbezüglich gekündigt hätte.
Beendigungskündigungen
zum
Zwecke
der
Personalreduzierung
bzw.
Leistungsverdichtung sind an strengen Voraussetzungen zu messen, gleich, ob
sie der schlichten Sanierung des Betriebes oder der (übertragenden) Sanierung
im Rahmen eines Betriebsübergangs dienen.
Nach zutreffender Auffassung des BAG gehört die Entscheidung, den
Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, zu den unternehmerischen
Maßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und damit den
entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lassen können. Eine solche
Unternehmerentscheidung
ist
allerdings
zwingend
hinsichtlich
ihrer
- 245 organisatorischen
Durchführbarkeit
und
des
Begriffs
der
„Dauer“
zu
verdeutlichen, damit das Gericht u.a. prüfen kann, ob sie nicht offensichtlich
unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Keinesfalls ausreichend ist es, wenn
der Arbeitgeber den Kündigungsentschluss nur in andere Worte fasst und eine
freie
unternehmerische
Entscheidung
behauptet.609
So
ist
die
bloße
Entscheidung, die Lohnkosten zu senken, keine von den Gerichten als
vorgegeben
hinzunehmende,
Unternehmerentscheidung.
Unternehmerentscheidung
grundsätzlich
Durch
die
(Kündigungsursache)
bindende
Gleichsetzung
und
von
Personalabbau
(Kündigungsfolge) wäre praktisch das Kausalitätserfordernis zwischen der
Unternehmerentscheidung und dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses
aufgehoben.610
Erst wenn der Arbeitgeber aufgrund des Motivs, Lohnkosten einzusparen,
konkrete
Maßnahmen
unternehmerische
im
betrieblichen
Entscheidung
vor,
Bereich
die
beschließt,
entweder
den
liegt
eine
Wegfall
des
Arbeitsplatzes oder die Änderung der Arbeitsbedingungen rechtfertigen kann.611
Andernfalls würde man dem Arbeitgeber die Befugnis einräumen, die Kündigung
praktisch mit sich selbst zu begründen. Daher gilt folgendes: Je näher die
eigentliche Organisationsentscheidung an den bloßen Kündigungsentschluss
rückt, um so mehr muss der Arbeitgeber durch Tatsachenvortrag verdeutlichen,
dass ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer tatsächlich entfallen
ist.612
Der Arbeitgeber darf sich nicht auf die Entscheidung zur Leistungsverdichtung
allein berufen. Er muss die Auswirkungen dieser Entscheidung auf den Betrieb
609
Sandmann, SAE 1997, 157, 159; Bader, NZA 1997, 905, 914.
610
Boeddinghaus, AuR 2001, 8, 10.
611
LAG Düsseldorf (3 Sa 641/00), ZMV 2001, 90, 90 f.
612
BAG (2 AZR 141/99), DB 1999, 1399, 1399; BAG (2 AZR 522/98), DB 1999, 1910, 1910 f.
- 246 und auf das Beschäftigungsbedürfnis des zu entlassenden Arbeitnehmers im
einzelnen darlegen, so dass der Arbeitnehmer hierzu vortragen und das Gericht
eine Überprüfung vornehmen kann. Dabei sollte gegebenenfalls auch ein
entsprechender
Beschluss
–
der
nicht
notwendigerweise
den
gesellschaftsrechtlichen Anforderungen genügen muss613 – vorgelegt werden
können.614
Für Änderungskündigungen zum Zwecke der Entgeltabsenkung gilt nichts
anderes.
Eine grundsätzlich freie unternehmerische Entscheidung liegt nach der Rspr.
dann
nicht
vor,
wenn
sich
der
Arbeitgeber
allein
zum
Abbau
von
Arbeitsentgelten oder betrieblichen Sozialleistungen mit Entgeltcharakter
entschließt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Änderungs- oder
eine Beendigungskündigung handelt.615 Andernfalls könnte der Arbeitgeber die
ausgesprochene
Kündigung,
abgesehen
von
Fällen
offensichtlichen
Rechtsmissbrauchs stets erfolgreich mit dem Hinweis verteidigen, sie stelle eine
nicht zu überprüfende Unternehmerentscheidung dar.616 Deshalb nimmt die
ständige Rechtsprechung im Anschluss an Hillebrecht617
an, dass eine
Änderungskündigung zur Entgeltkürzung nur in Betracht kommt, wenn sonst der
Betrieb stillgelegt oder die Belegschaft reduziert werden müsste.618 In der Lit.
vertretene
Gegenansichten
halten
eine
Änderungskündigung
zur
Entgeltanpassung dagegen bereits dann für rechtens, wenn sachliche Gründe
613
BAG (2 AZR 414/97), DB 1998, 1568, 1569.
614
Schiefer, DB 2000, 669, 672.
615
LAG Berlin (9 Sa 14/98), NZA-RR 1998, 498, 499; kritisch Brenneis Diss., S. 98 ff.
616
LAG Berlin (9 Sa 56/97), LAGE Nr. 27 zu § 2 KSchG m.w.N.
617
Hillebrecht, ZIP 1985, 257, 260.
618
BAG (2 AZR 84/98), NZA 1999, 255, 256; BAG (2 AZR 91/98), NZA 1999, 471, 473.
- 247 vorliegen619, eine angemessene Rentabilität erreicht werden soll620 oder das
Unternehmen mit Verlust arbeitet621.
Dem ist die Rechtsprechung zu Recht nicht gefolgt. Hält man die
Änderungskündigung auch dann für sozial gerechtfertigt, wenn sie nicht dazu
dient, die Beendigungskündigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
im Einzelfall abzuwenden, so gibt man dem Arbeitgeber das Recht, seine
finanziellen
Verpflichtungen
gegenüber
dem
Arbeitnehmer
aus
rein
wirtschaftlichen Motiven nicht zu erfüllen. Finanzielle Verpflichtungen gegenüber
den Arbeitnehmern haben aber grundsätzlich keine andere Qualität als
Verpflichtungen gegenüber Lieferanten oder Banken bzw. Drittunternehmen. Der
Zwang zu sparen ist ebenso wenig ein Grund zur Entgeltkürzung wie zur
Kürzung von Forderungen anderer Vertragspartner. Der Arbeitnehmer hat nicht
versprochen, je nach den wirtschaftlichen Erfordernissen des Unternehmens zu
unterschiedlichem Entgelt zu arbeiten.622
Die Änderungskündigung kann daher nur gerechtfertigt sein, wenn ein
verständig denkender Unternehmer sonst das Unternehmen nicht weiterführen
würde oder konkrete Tätigkeiten mit der Folge von Beendigungskündigungen
aufgäbe.623 Insbesondere reicht es also nicht aus, dass das Unternehmen
Verluste gemacht hat.624 Vor diesem Hintergrund ist eine Änderungskündigung
mit dem Primärziel der Entgeltabsenkung i.d.R. sozial nicht gerechtfertigt. Auf
der anderen Seite kann die Unrentabilität jedoch ein dringendes betriebliches
Erfordernis darstellen, wenn so nach dem Ultima-Ratio-Prinzip625 andernfalls
619
620
Lieb ArbR, Rn 404; Mayer, AiB 1998, 441, 455.
Löwisch/Bernads, Anm. zu BAG (2 AZR 294/97), EzA § 2 KSchG 1969 Nr. 6; Preis, NZA 1995,
241, 249; Rieble, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 3, 34, 36 f.
621
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 779.
622
LAG Berlin (14/98), NZA-RR 1998, 498, 499.
623
Hromadka, NZA 1996, 1, 10; Schiefer, DB 2000, 669, 674; Boeddinghaus, AuR 2001, 8, 11.
624
LAG Berlin (9 Sa 14/98), NZA-RR 1998, 498, 499.
625
Zur Kritik am ultima-ratio-Prinzip siehe Rüthers, NJW 1998, 1433, 1434.
- 248 unvermeidbare Beendigungskündigungen vermieden werden.626 Dabei ist
immer auf die wirtschaftliche Situation des Gesamtbetriebes und nicht auf die
eines unselbstständigen Betriebsteils abzustellen.627
Wenn aber ein verständig denkender Unternehmer das Unternehmen nur
weiterführen oder zum Zwecke der Weiterführung übernehmen würde, wenn
zugleich eine personelle Sanierung mittels nach diesen Grundsätzen wirksamen
Änderungs- und / oder Beendigungskündigungen vorgenommen wird, so kann
darin
ein
verändertes
und
von
den
Arbeitsgerichten
zu
billigendes
unternehmerisches Konzept liegen, das zwar von dem ursprünglichen Konzept
der Betriebsstillegung abweicht, aber insoweit diesem gleichzuachten ist und
damit auch insoweit nicht zu einer Widerlegung der Prognose des Wegfalls von
Beschäftigungsmöglichkeiten führt, wie sich für einen Teil der Arbeitnehmer
auch hiernach keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit eröffnet. Der eigentliche
Kündigungsgrund ist in diesen Fällen nicht die beabsichtigte Betriebsstillegung,
sondern der mit ihr notwendig einhergehende Wegfall einer zumutbaren
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Ergibt sich auch nach dem geänderten
unternehmerischen Konzept keine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, so
bleibt der Kündigungsgrund letztlich trotz des unerwarteten Betriebsübergangs
bestehen,
weshalb
es
schon
an
der
Grundvoraussetzung
für
einen
Wiedereinstellungsanspruch fehlt.
Auch
wenn
sich
so
die
mit
einer
fingierten
oder
tatsächlichen
Betriebsübernahme verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten nicht ausschließen
lassen, muss zumindest klar sein, dass die mit einem Übernahmeangebot
verbundenen personellen Sanierungswünsche allein keine Auswirkungen auf die
Kündigungsbefugnis bzw. Wiedereinstellungsverpflichtung des Veräußerers und
Erwerbers
haben.
Die
mit
der
subjektiven
Determinierung
des
unternehmerischen Konzepts verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten sind
626
Schiefer, DB 2000, 669, 674.
627
BAG (2 AZR 91/98), DB 1999, 536, 536 f.
- 249 zwar
jeder
betriebsbedingten
Kündigung
eigen.
Bei
der
unerwarteten
Betriebsübernahme verschärft sich das Problem jedoch. Die erste wichtige
Frage ist dabei schon im Kündigungsschutzprozess zu klären: War die
Kündigung wirklich durch eine im Kündigungszeitpunkt noch ernsthaft
beabsichtigte Betriebsstillegung bedingt, die, obgleich sie nicht verwirklicht
wurde, schon damals greifbare Formen angenommen hatte, so wird meist auch
einleuchten,
dass
eine
unvorhergesehene
Betriebsübernahme
ein
unternehmerisches Konzept voraussetzt, das auch eine personelle Sanierung
mit einbezieht. Der insoweit beweisbelastete Betriebsübernehmer muss im
Rechtsstreit um die Wiedereinstellung dann darlegen, dass erstens ein
schlüssiges unternehmerisches Konzept für die Weiterführung des Betriebes mit
geringerem Personalbestand besteht, und dass zweitens gerade der seine
Wiedereinstellung verlangende Arbeitnehmer darin keinen Platz mehr findet, sei
es auf dem von ihm zuvor besetzten oder einem neu entstandenen Arbeitsplatz,
auf dem seine Weiterbeschäftigung dem Erwerber möglich und zumutbar ist.
Der Arbeitgeber hat mit Beweiskraft darzulegen, dass die eigentliche
Organisationsentscheidung
sich
nicht
im
Personalabbau
oder
der
Verschlechterung von Arbeitsbedingungen erschöpft, dass sie organisatorisch
durchführbar ist und den Beschäftigungsbedarf damit dauerhaft senkt und
schließlich das neue Konzept auch unter Berücksichtigung sozialer Aspekte der
verlangten Wiedereinstellung entgegensteht, so dass der Arbeitnehmer hierzu
vortragen und das Gericht prüfen kann, ob die Entscheidung offensichtlich
unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist oder gar ein Rechtsmissbrauch
vorliegt. Genügt der beklagte Arbeitgeber seiner Substanziierungspflicht nicht,
so ist zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass der Kündigungsgrund
entfallen und seine Wiedereinstellung grundsätzlich möglich und zumutbar ist.
- 250 -
d) Geltendmachung gegen den Erwerber
(1) Fortsetzungs- / Wiedereinstellungsanspruch gegen den
Erwerber
Das Fortsetzungs- bzw. Wiedereinstellungsverlangen ist nach allgemeiner
Ansicht gegenüber dem Betriebserwerber zu erklären und soll nicht von
Bedingungen abhängig gemacht werden dürfen, die der Betriebserwerber nicht
beeinflussen kann.628 Der Erwerber ist ausschließlich passiv legitimiert, wenn
es erst nach Ablauf der Kündigungsfrist unerwartet zu einem Betriebsübergang
kommt.629 Nichts anderes gilt dann, wenn es bereits vor Ablauf der
Kündigungsfrist zu einem Betriebsübergang kommt und der Arbeitnehmer erst
danach Klage auf Abschluss eines Fortsetzungsarbeitsvertrages erhebt. Die
Klage gegen den Erwerber
enthält zugleich
einen Verzicht auf
das
Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses.630
Unzulässig ist dagegen eine bedingte Klageerhebung gegen den möglichen
Betriebsübernehmer. Im selben Prozessrechtsverhältnis können Sachanträge in
einem Eventualverhältnis stehen, eine bedingte subjektive Klagenhäufung ist
jedoch unzulässig.631
(2) Wiedereinstellungsanspruch gegen den Veräußerer
Wenn in Rspr.632 und Lit.633 angenommen wird, der Anspruch auf
Wiedereinstellung könne sich auch gegen den Veräußerer richten, so ist damit
628
BAG (8 AZR 265/97), MDR 1999, 551 = NZA 1999, 311; BAG (8 AZR 265/97), DB 1999, 485,
485;
Dornieden, AiB 1998, 410, 410; Berscheid, ZinsO 1998, 159, 170; Berscheid, MDR 1998,
1129, 1131; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456; Raab, RdA 2000, 147, 163; Tretow, ZinsO
2000, 309, 314.
629
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 251.
630
Boewer, NZA 1999, 1177, 1183; Moll/Reufels, EWiR 1999, 995, 996.
631
BAG (8 AZR 729/96), NZA 1998, 534, 534; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456.
632
BAG (2 AZR 160/96), BB 1997, 1953, 1954 f.
- 251 allein der begrenzte Zeitraum angesprochen, der zwischen der Widerlegung der
ursprünglich gerechtfertigten kündigungsbegründenden Prognose des früheren
Arbeitgebers und der tatsächlichen Betriebsübernahme liegt.634 Muss der
bisherige Arbeitgeber im Verlauf der weiteren Entwicklung nach Ausspruch der
Kündigung nunmehr zwingend davon ausgehen, dass es zu einem Übergang
des nach seiner ursprünglichen Planung stillzulegenden Betriebsteils kommt, so
erweist sich damit die kündigungsbegründende Prognose als falsch und es
entsteht materiellrechtlich ein Anspruch auf Wiedereinstellung beim früheren
Arbeitgeber, solange sich dort noch eine Beschäftigungsmöglichkeit ergibt, weil
der
absehbare
Betriebsübergang
noch
nicht
stattgefunden
hat.
Der
Wiedereinstellungsanspruch beim Veräußerer entsteht, sobald der (unerwartete)
Betriebsübergang in dem Sinne greifbare Formen annimmt, dass sein Eintreten
und die Person des Erwerbers feststeht. Sobald beim bisherigen Arbeitgeber
keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr vorhanden ist, kann eine Klage auf
Wiedereinstellung nur noch gegen den Erwerber gerichtet werden.635 Die vor
diesem Zeitpunkt gegen den Veräußerer gerichtete Klage wird durch den
nachfolgenden Betriebsübergang nicht berührt. Kommt es während des
Prozesses
zum
Betriebsübergang,
so
finden
die
§§
265,
325
ZPO
entsprechende Anwendung.636 Klagt der Arbeitnehmer gegen seinen bisherigen
633
634
635
636
Annuß, BB 1998, 1582, 1586; Kleinebrink, FA 1999, 138, 141.
Zu undifferenziert dagegen Langenbucher, ZfA 1999, 299, 323, die einen
Wiedereinstellungsanspruch gegen den bisherigen Arbeitgeber mit dem Ziel der Überleitung
des ungekündigten Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber gemäß § 613a I 1 BGB generell als
sinnlos ablehnt.
Damit verbietet sich nach dem Vollzug des Betriebsübergangs auch eine
Wiedereinstellungsklage gegen den Veräußerer unter gleichzeitiger Erklärung eines
Widerspruchs gegen den Betriebsübergang. Die Wiedereinstellungsklage ginge nämlich schon
tatbestandlich ins Leere, weil es für den betriebsbedingten Kündigungsgrund des Veräußerers
keinen Unterschied macht, ob die Beschäftigungsmöglichkeit wegen beabsichtigter
Betriebsstillegung oder wegen abgeschlossener Veräußerung des Betriebes entfällt. Die
Ausübung des Widerspruchsrechts zu einem Zeitpunkt, zu welchem die Betriebsveräußerung
bereits vollzogen ist, führt zum Erhaltenbleiben des Kündigungsgrundes. Der Kündigungsgrund
entfällt durch den unerwarteten Betriebsübergang also nur auflösend bedingt durch die
Ausübung des Widerspruchsrechts. Richtet der Arbeitnehmer seine Wiedereinstellungsklage
gegen den Veräußerer in Kenntnis des bereits vollzogenen Betriebsübergangs, so wird man
darin eine konkludente Ausübung des Widerspruchsrechts erkennen können. Die Klage ist
deshalb – entsprechend der Rspr. des BAG – ohne weiteres als unbegründet abzuweisen,
mag auch ein Anspruch gegen den Erwerber begründet sein.
Boewer, RdA 2001, 380, 403.
- 252 Arbeitgeber
wegen
eines
bevorstehenden
Betriebsübergangs
auf
Wiedereinstellung, so bleibt der bisherige Arbeitgeber passiv legitimiert. In
entsprechender Anwendung der §§ 265, 325 ZPO ist der Rechtsnachfolger an
die Entscheidung gebunden.637 Die Rechtskraftwirkung dieser Entscheidung
hindert den Betriebserwerber jedoch nicht daran, sich auf den fehlenden
Betriebsübergang nach § 613a BGB zu berufen. Dann wird eine weitere Klage
gegen den Betriebsübernehmer erforderlich.638
Praktisch
wird
der
gegen
den
Veräußerer
gerichtete
Wiedereinstellungsanspruch auch, wenn dieser seine Pläne ändern und den
Betrieb länger oder in erweitertem Umfang fortführen muss, um dem Erwerber
zum vereinbarten Termin eine intakte organisatorische Einheit übertragen zu
können. Will der Veräußerer zunächst stufenweise Personal bis zur geplanten
Stillegung abbauen, weil er noch die bereits angenommenen Aufträge abwickeln
will, und zeigt sich dann ein Interessent bereit, den Betrieb fortzuführen, so kann
sich
für
den
Veräußerer
die
Notwendigkeit
ergeben,
den
bisherigen
Betriebsumfang wieder herzustellen, um einen Wertverlust zu verhindern und
den Verkauf nicht zu gefährden. Will er hierzu Einstellungen bis zur alten
Personalstärke vornehmen, so ist er verpflichtet, zunächst denjenigen
Arbeitnehmern die Wiedereinstellung anzubieten, denen er zuvor wegen
beabsichtigter Betriebsstillegung gekündigt hat.639
637
BAG (2 AZR 507/92), NZA 1994, 260, 261 f; Fischer, DB 2001, 331, 334.
638
Boewer, NZA 1999, 1177, 1183.
639
Raab, RdA 2000, 147, 163.
- 253 -
e) Wiedereinstellungsanspruch bei übertragender Sanierung
durch den Insolvenzverwalter
Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob ein Wiedereinstellungsanspruch
auch dann in Betracht kommt, wenn der Insolvenzverwalter den Betrieb(steil)
nach personeller Sanierung veräußert (sog. "übertragende Sanierung"640).
(1) Geltung der Betriebsübergangsrichtlinie und des § 613a
BGB in der Insolvenz
Fraglich ist zunächst, ob die Betriebsübergangsrichtlinie einerseits und § 613a
BGB andererseits bei einer "übertragenden Sanierung" in der Insolvenz
überhaupt anwendbar sind.
Der EuGH verneint eine Anwendung der Betriebsübergangsrichtlinie in der
Insolvenz. Die Nichtanwendung der Betriebsübergangsrichtlinie v. 14.02.1977 im
Insolvenzfalle ist vom Gerichtshof mit der "ernsthaften Gefährdung'' der sozialen
Ziele des Art. 117 EGV und damit begründet worden, dass eine solche
Anwendung sanierungsfeindlich wirken kann. Der europäische Gesetzgeber hat
den Bedenken gegen die Anwendung der Betriebsübergangsrichtlinie auf
Betriebsübertragungen
in
der
Insolvenz
Rechnung
getragen
und
die
Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Anlass genommen, die bisherige
Richtlinie zu ändern. Nach Art. 4a641 der Richtlinie 98/50/EG gelten Art. 3 und
Art. 4 der Richtlinie 77/187/EWG, also die Vorschriften über die Kündigung,
zwingende Eintrittspflicht des Neuinhabers und Haftungsübernahme für
Altverbindlichkeiten, generell nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben
oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter
der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle, worunter auch ein von einer
640
641
Begriff eingeführt von Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328, 336, der damit ursprünglich nur den
Fall beschrieb, dass die nichthaftenden Träger eines insolventen Unternehmens eine neue
Gesellschaft allein mit dem Ziel gründen, das insolvente Unternehmen zu erwerben.
Inzwischen wird so auch der Erwerb durch ein bereits bestehendes (insbes. Konkurrenz-)
Unternehmen beschrieben (BFH, DB 1986, 1803, 1803).
entspricht Art. 5 der Richtlinie 2001/23/EG.
- 254 zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann,
ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der
Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde, "sofern die
Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen''.642
Demnach ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten jedenfalls nicht verpflichtet
sind, bei der Veräußerung im Insolvenzverfahren einen Bestandsschutz
vorzusehen.643 Der Ausnahmetatbestand für Zahlungsunfähigkeitsverfahren
räumt den Mitgliedsstaaten größere Gestaltungsspielräume ein und will dadurch
möglichen kontraproduktiven Wirkungen der Richtlinie bei ihrer Anwendung auf
notleidende Unternehmen vorbeugen.644
Rspr.645 und Lit.646 stimmen darin überein, dass die Betriebsübergangsrichtlinie
insoweit keine Änderungen des geschriebenen Rechts durch den Gesetzgeber
fordert und daher die Rspr. des BAG uneingeschränkt aufrechterhalten und im
Anwendungsbereich der Insolvenzordnung fortgeführt werden kann.647
(2) Geltung des § 613a BGB in der Insolvenz
Damit stellt sich die Frage, ob § 613a BGB als mögliche Rechtsgrundlage eines
Wiedereinstellungsanspruchs überhaupt zur Anwendung gelangt, wenn die
Veräußerung durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Diese Frage kann als geklärt
gelten. Nach zutreffender ganz h.M. ist § 613a BGB auch bei einer Veräußerung
des Betriebes durch den Insolvenzverwalter anwendbar.648 Über § 128 InsO ist
642
LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240, 241.
643
Berscheid, ZinsO 1998, 159, 172; Schubert, ZIP 2002, 554, 559.
644
BR-Drs. 896/94, S. 11 f Rn 23.; Franzen, DZWIR 2000, 247, 249.
645
LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240, 240 f.
646
Bergwitz, DB 1999, 2005, 2008; Franzen, DZWIR 2000, 247, 249.
647
Franzen, DZWIR 2000, 247, 248 f; Tretow, ZinsO 2000, 309, 309.
648
LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240, 240 f; Tretow, ZinsO 2000, 309, 310; Raab,
RdA 2000, 147, 160; Schubert, ZIP 2002, 554, 557; Kittner/Däubler/Zwanziger - Zwanziger, §
613a BGB Rn 159; Soergel – Raab, § 613a BGB Rn 67 m.w.N.
- 255 die Anwendung des § 613a BGB in der Insolvenz vom Gesetzgeber
vorausgesetzt und damit anerkannt worden. Zur Förderung der übertragenden
Sanierung, die als gleichwertige Alternative neben der Liquidation steht, hat der
Gesetzgeber mit § 128 InsO eine Vorschrift geschaffen, welche die aus der
Weitergeltung des § 613a BGB in der Insolvenz entstehenden Nachteile für
übertragende Sanierungen abmildert, so dass diese Vorschrift - trotz der
Regelung des Art 4a649 der Richtlinie 98/50/EG - auch unter der neuen
Betriebsübergangsrichtlinie
für
Betriebsveräußerungen
in
der
Insolvenz
fortgilt.650
(3) Bedeutung des § 613a IV 1 BGB in der Insolvenz
Für die Arbeitgeberinsolvenz bewirkt allerdings § 128 InsO, dass dem
Arbeitnehmer die erfolgreiche Berufung auf § 613a IV 1 BGB weitgehend
unmöglich gemacht wird, da er die Vermutung des § 125 InsO nicht zu
entkräften vermag oder durch den Beschluss nach § 126 InsO im
Kündigungsschutzverfahren präjudiziert ist.651 In der Insolvenz gilt für die
Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 613a IV 1 BGB darüber hinaus stets
eine dreiwöchige Klageerhebungsfrist nach § 113 II InsO.
(4) Konsequenzen für den Wiedereinstellungsanspruch im
Falle der Betriebsveräußerung in der Insolvenz
(a) Rspr. - Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz
Legt man die Rechtsprechung des 8. Senats652 zu den Voraussetzungen eines
Betriebsübergangs durch die Einstellung eines nach Zahl und Sachkunde
649
650
651
652
entspricht Art. 5 der Richtlinie 2001/23/EG.
LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240, 240 f; Kittner/Däubler/Zwanziger - Zwanziger,
§ 613a BGB Rn 159; Tretow, ZinsO 2000, 309, 310.
Bichlmeier/Oberhofer, AIB 1997, 161, 169; DKK BetrVG – Däubler, § 128 InsO Rn 4; Tretow,
ZinsO 2000, 309, 311.
BAG (8 AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 323 f.
- 256 wesentlichen Teils des Personals zugrunde, so wird man die Frage nach einem
Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz verneinen müssen. Der 8. Senat
stellt entscheidend darauf ab, dass nach Art. 5 der Richtlinie 2001/23/EG keine
europarechtlichen
Vorgaben
bestehen;
das
Kündigungsverbot
der
Betriebsübergangsrichtlinie, welches der Sache nach die Grundlage für eine
entsprechende Rechtsfortbildung des BAG zum Wiedereinstellungsanspruch
darstellt, gilt hier schlicht nicht.653 Damit fehlt es im Insolvenzfall am
europarechtlichen
Unterbau
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
nach
unerwartetem Betriebsübergang, wie ihn der 8. Senat zur Begründung
herangezogen hat. Eine richtlinienkonforme Extension des § 613a I, IV BGB
verbietet sich folgerichtig dort, wo die Richtlinie keine positive Aussage enthält.
Die Rspr.654 lehnt es daher generell ab, einen Fortsetzungsanspruch in Fällen
der Betriebsübernahme im Insolvenzverfahren des Veräußerers anzuerkennen.
Die Rspr. zum Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang beruhe auf
der Notwendigkeit, die deutsche Zivilrechtsdogmatik und die europarechtlichen
Vorgaben möglichst weitgehend zu harmonisieren. Deshalb habe das BAG
einerseits die vom alten Betriebsinhaber ausgesprochenen Kündigungen nach
den Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens beurteilt. Zum Ausgleich
habe
es
den
Arbeitnehmern
Arbeitsverhältnisses
zugebilligt,
einen
wenn
Anspruch
der
auf
Fortsetzung
Betriebsübergang
erst
des
nach
Beendigung der Arbeitsverhältnisse vollzogen worden sei. Im Falle des im
Insolvenzverfahren vollzogenen Betriebsübergangs bestehe jedoch keine
Notwendigkeit, einen solchen Fortsetzungsanspruch anzuerkennen. Gemäß
Artikel
5
Abs.
1
der
Richtlinie
2001/23/EG
finde
die
Richtlinie
im
Insolvenzverfahren nur Anwendung, wenn die Mitgliedstaaten dies vorsähen.
Eine solche Regelung zum Fortsetzungsanspruch des wirksam entlassenen
Arbeitnehmers habe weder der deutsche Gesetzgeber noch die Rechtsprechung
653
654
St. Rspr. seit EuGH Slg. 1985, 469, 478 – Abels; Franzen, DZWIR 2000, 247, 250.
BAG (8 AZR 324/97), ZIP 1999, 320, 324; LAG Bremen (1 Sa 291/98), AuR 1999, 316, 316 f;
LAG Frankfurt (11 Sa 908/99), ZinsO 2002, 48, 48.
- 257 geschaffen.655
Deshalb
bestehe
keine
Notwendigkeit,
einen
solchen
Fortsetzungsanspruch für Fälle der Betriebsübernahme im Insolvenzverfahren
des Veräußerers anzuerkennen.
Ein Teil der Lit. ist dem gefolgt.656
(b) Schrifttum
Oetker657 führt dagegen aus, während des Insolvenzverfahrens entfalle lediglich
ein
vermeintlicher
Zwang
des
Gemeinschaftsrechts,
den
Wiedereinstellungsanspruch über § 613a BGB zu gewähren. Das schließe
jedoch
nicht
aus,
einen
derartigen
Anspruch
auch
während
des
Insolvenzverfahrens unabhängig von den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben
aus § 613a I 1 und IV 1 BGB abzuleiten oder diesen auf allgemeine Grundlagen,
insbesondere die Interessenwahrungspflichten, zu stützen.
Berscheid658 bejaht zwar einen Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz,
will ihn aber zeitlich auf den Ablauf der Höchstkündigungsfrist des § 113 I 2 InsO
begrenzen. Die Bejahung eines Wiedereinstellungsanspruchs nach Fristablauf
würde
den
Vorstellungen
des
Gesetzgebers
zuwiderlaufen,
mit
der
Kündigungsfrist von höchstens 3 Monaten zum Monatsende für die Kündigung
von Arbeitsverhältnissen in der Insolvenz einen Ausgleich zwischen den
sozialen Belangen der Arbeitnehmer und dem Befriedigungsinteresse der
Insolvenzgläubiger schaffen zu wollen.659
655
So auch Boewer, NZA 1999, 1177, 1180.
656
Boewer, NZA 1999, 1177, 1180; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 99.
657
Oetker, DZWIR 2000, 461, 462.
658
Berscheid, MDR 1998, 1129, 1131 f.
659
Ebenso Imping, MDR 1999, 125, 130.
- 258 Hanau660 geht davon aus, das europäische Recht lasse sich zwar insoweit nicht
in allen Einzelheiten zur Grundlage einer richtlinienkonformen Auslegung des §
613a BGB machen, da die Richtlinie 2001/23/EG in Art. 5 I lediglich eine
Ermächtigung, aber keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ausspricht, die
übertragende Sanierung zu fördern. Im Rahmen richtlinienkonformer Auslegung
könnten die nationalen Gerichte aber stärker als bisher berücksichtigen, dass
die Richtlinie der Erhaltung von Arbeitsplätzen dient und deshalb nicht
kontraproduktiv angewendet werden soll. Da sich das BAG seit 1997 bei der
Auslegung des § 613a BGB eng an die EuGH-Rspr. zur Richtlinie anlehnt, sei es
konsequent, auch die Zielbestimmung der Richtlinie zu übernehmen und auf die
Vermeidung kontraproduktiver Wirkungen gerade in der Insolvenz besonders zu
achten. Auch sei die Rspr. des EuGH zur Ausweitung des Tatbestandes des
Betriebsübergangs in den Fällen der Funktionsnachfolge bei bloßer Übernahme
des wesentlichen Teils der Belegschaft nur im Zusammenhang damit
verständlich, dass die Richtlinie für den Insolvenzfall nicht zwingend gilt, so dass
sich dort, wo die Gefahr am größten sei, auch keine kontraproduktiven
Wirkungen ergeben könnten. Auch das neue Insolvenzrecht tendiere schließlich
dazu, im Interesse der Rechtssicherheit den individuellen Kündigungsschutz zu
beschränken
und
die
Kündigung
der
Arbeitsverhältnisse
durch
den
Insolvenzverwalter zu erleichtern (vgl. §§ 125, 126, 128 InsO). Auch diese
Sonderbestimmungen
wertet
Hanau
als
Argument
gegen
einen
Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz, weil sonst die durch sie
gewonnene Rechtssicherheit wieder preisgegeben würde.
Hiergegen wendet Raab661 ein, die genannten Vorschriften der InsO schafften
Rechtssicherheit nur insoweit, als die Wirksamkeit der Kündigung, bezogen auf
den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, die die Entscheidung des
Arbeitgebers gemäß § 126 InsO zugrunde legt, nur noch eingeschränkt
angezweifelt werden könne. Nachträgliche Veränderungen fänden gemäß §§
660
Hanau, ZIP 1998, 1817, 1819 f; ders. ZIP 1999, 324, 325.
661
Raab, RdA 2000, 147, 160.
- 259 125 I 2, 127 I 2 InsO durchaus Berücksichtigung. Dem Gesetz lasse sich
demnach nicht die Wertung entnehmen, dass der Rechtssicherheit des
Erwerbers uneingeschränkt der Vorrang gebühre. Daher werde man einen
Wiedereinstellungsanspruch bei einer Veräußerung im Insolvenzverfahren wohl
nicht generell ausschließen können.
(c) Stellungnahme
Wollte man einen Wiedereinstellungsanspruch ablehnen, so entstünde also
jedenfalls kein Widerspruch zum europäischen Recht. Andererseits steht das
europäische Recht der Annahme eines auf nationaler Rechtsgrundlage
basierenden Wiedereinstellungsanspruchs auch nicht entgegen, wie Art. 5 I der
Richtlinie ausdrücklich betont („Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes
vorsehen...“). Die Betriebsübergangsrichtlinie verhält sich demnach gegenüber
einem auf § 613a I 1 und IV 1 BGB, § 1 II KSchG gestützten
Wiedereinstellungsanspruchs neutral.
Damit stellt sich die Frage, ob § 613a IV 1 BGB auch bei übertragender
Sanierung
durch
den
Insolvenzverwalter
die
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs fordert.
Zunächst überzeugt der Einwand Hanaus, die Sonderbestimmungen der §§ 125
- 128 InsO, die die Kündigungsbefugnis des Insolvenzverwalters durch
Beschränkung des individuellen Kündigungsschutzes erleichtern, sprächen
tendenziell gegen einen Wiedereinstellungsanspruch, weil die so erreichte
Rechtssicherheit durch einen Wiedereinstellungsanspruch nicht wieder zur
Disposition gestellt werden dürfe.
Es bleibt allerdings bei der Geltung des § 613a BGB in der Insolvenz und – wie
Raab zutreffend ausführt – auch dabei, nachträglich hinzutretende Ereignisse
nicht an den Vermutungen der Rechtswirksamkeit der Kündigung gemäß §§ 125
– 127 InsO zu messen (§§ 125 I 2, 127 I 2 InsO).
Die
besseren
Gründe
sprechen
daher
für
die
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs auch nach übertragender Sanierung durch den
Insolvenzverwalter. Wegen §§ 125 I 2, 127 I 2 InsO ist die nachträgliche
Änderung von Umständen stets beachtlich.
- 260 -
III. Verhaltensbedingte Kündigung
1. Geltung und Inhalt des Prognoseprinzips
Hinsichtlich der verhaltensbedingten Kündigung662 ist oft überlegt worden, ob
überhaupt ein Wiedereinstellungsanspruch denkbar ist. Das erscheint zunächst
plausibel,
denn
auch
Anwendungsbereich
die
des
verhaltensbedingte
Prognoseprinzips,
Kündigung
das
die
fällt
Basis
in
den
für
die
Wiedereinstellungspflicht darstellt. Das BAG hat zumindest seit 1988663 deutlich
herausgestellt, dass auch im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung das
Prognoseprinzip
gilt.664
Der
Kündigungszweck
sei
zukunftsbezogen
ausgerichtet, weil mit der verhaltensbedingten Kündigung das Risiko weiterer
Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden solle.665 Entscheidend sei, ob
eine Wiederholungsgefahr besteht oder ob das vergangene Ereignis sich auch
künftig weiter belastend auswirkt.666 Letztere Alternative wird im Schrifttum
auch auf die Formel gebracht, aufgrund des eingetretenen Vertrauensbruchs
dürfe eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter keinen Umständen mehr zu
erwarten sein.667
Eine Gegenansicht ist der Auffassung, die verhaltensbedingte Kündigung erhalte
ihre Rechtfertigung dadurch, dass dem Arbeitgeber im Hinblick auf die
Pflichtverletzungen
in
der
Vergangenheit
die
Fortsetzung
des
Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist. Eine Prognose erübrigt sich
662
663
Zu deren Fallgruppen instruktiv Hoß, MDR 1998, 869 ff.
BAG (2 AZR 215/88), AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; BAG (2 AZR 375/90), BAGE
67, 75, 81 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG (2 AZR
604/90), AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
664
Ebenso BverfG (1 BvR 1397/93), AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX.
665
BAG (2 AZR 357/95), NZA 1997, 487, 487.
666
667
BAG (2 AZR 215/88), AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung, (II 2 d bb der Gründe), BAG
(2 AZR 604/90), AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 690.
Erman – Hanau, § 626 Rn 29; Preis S. 328 f.
- 261 damit.668 Eine andere Gegenansicht hält die kündigungsbegründende Prognose
in den Fällen der Tatkündigung aus Gründen der Risikozurechnung für
unwiderlegbar.669
2. Abmahnung und Prognoseprinzip
Im Bereich willensgesteuerten Verhaltens besteht das besondere Problem bei
der Anwendung des Prognoseprinzips darin, dass dem Arbeitgeber bei der
Kündigung eine Wahrscheinlichkeitsthese über das weitere Verhalten seines
Vertragspartners
abverlangt
wird,
obwohl
oft
schon
die
eingetretene
Vertragsverletzung die Möglichkeit einer zukünftigen Verhaltensänderung nahe
legt und damit der Annahme einer Wiederholungsgefahr oder auch nur einer
Fortwirkung der Vertragsverletzung entgegensteht. Die Abmahnung hat für die
verhaltensbedingte
Kündigung
daher
die
Funktion,
eine
sichere
Prognosegrundlage zu schaffen. Abmahnungserfordernis und das allgemein
anerkannte Prognoseprinzip bedingen sich in diesem Sinn. Das Prognoseprinzip
wiederum
verweist
auf
den
Zukunftsbezug
der
zu
beurteilenden
Vertragsstörung. Weil "zurückliegende Ereignisse als solche die Kündigung nicht
zu rechtfertigen (vermögen), mögen sie an sich noch so schwerwiegend sein
..."670, entscheidet eine Prognose über die Fortwirkung der Vertragsverletzung.
Der Arbeitgeber kann die kündigungsbegründende Prognose nur mit dem
Vortrag begründen, in Zukunft sei mit weiteren Störungen zu rechnen. I.d.R. liegt
diese Voraussetzung nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer nach einer
vorangegangenen Abmahnung ein beanstandetes Verhalten weiter fortsetzt. In
der Regel wird erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit
668
Kraft, ZfA 1994, 463, 475 f; Rüthers, NJW 1998, 1433, 1435 ff; Rüthers/Müller, Anm. zu BAG
(2 AZR 604/90), EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41; Wank, Anm. zu BAG
(2 AZR 24/83), AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Raab, RdA 2000, 147, 153;
Zöllner/Loritz ArbR, § 23 V 3.
669
Preis, Anm. zu LAG (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
670
Herschel FS Müller, S. 191, 202.
- 262 dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu
verhalten wird.671 Durch das Abmahnungserfordernis kann auch ein Ereignis,
das allein keinen Kündigungsgrund abgibt, im Zusammenhang mit einer
einschlägigen Wiederholung zu der erforderlichen Schwere gelangen, denn die
Schwere der Vertragsstörung und die Wiederholungsgefahr ergänzen sich zum
Kündigungsgrund. Mit der Abmahnung zeigt der Arbeitgeber, dass ihm eine
abschließende negative Prognose noch nicht möglich ist. Hat er das aber selbst
zu erkennen gegeben, dann kann er eine spätere negative Prognose nur durch
neue Tatsachen belegen.672
Demgemäß ist eine Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall
besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer sie als nicht
erfolgversprechend angesehen werden konnte.673
Das Abmahnungserfordernis ist dabei nicht auf Kündigungsgründe zu
beschränken, die sich als Störungen im Leistungsbereich auswirken. Auch bei
Störungen im Ordnungs- und Vertrauensbereich kann eine Abmahnung sinnvoll
und daher auch erforderlich sein. Ist von der Regel auszugehen, dass jedes
willensbestimmte Verhalten eines Arbeitnehmers für die Zukunft abänderbar und
deswegen abmahnungsfähig und -bedürftig ist, so kann grundsätzlich auch bei
Störungen im Vertrauensbereich eine Abmahnung ihrer Funktion gerecht
werden. Da es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, verlorenes Vertrauen
wieder zurückzugewinnen, ist ein grundsätzlicher Ausschluss der Abmahnung
bei
darauf
Störungen im Vertrauensbereich verfehlt. Zu Recht wird in der Lit.674
hingewiesen,
dass
auch
jede
Schlechtleistung
zu
einer
Vertrauensstörung führt, weil dadurch die Erwartung des Arbeitgebers
671
672
673
674
Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 1 Rn 284.
BAG (2 AZR 563/85), AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 2 a
der Gründe, m.w.N.; BAG (2 AZR 201/90), NZA 1991, 468, 471.
BAG (3 AZR 5O/75), AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG (7 AZR
75/78), AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
Hoß, MDR 1998, 869, 871; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rdn. 279 m.w.N.
- 263 enttäuscht wird, der Arbeitnehmer werde seine Arbeit vertragsgemäß erfüllen, so
dass nur ein gradueller, nicht aber ein grundsätzlicher Unterschied zwischen
Störungen im Vertrauensbereich und Störungen im Leistungsbereich besteht.
Wenn auch bei einer primären Erschütterung der notwendigen Vertrauenslage
eher als bei einer schwerpunktmäßigen Störung des Leistungsbereichs die
abschließende negative Prognose angebracht sein mag, die Wiederherstellung
des notwendigen Vertrauensverhältnisses sei nicht mehr möglich und die
Abmahnung sei deswegen nicht die geeignete und folglich eine entbehrliche
Maßnahme, ist mithin auch bei Störungen im Vertrauens- oder Ordnungsbereich
vor Ausspruch einer Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens zunächst
grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich. So können schwer wiegende
Ereignisse wie Körperverletzungen gegen den Arbeitgeber oder auch schwer
wiegende Straftaten zu seinen Lasten einen irreparablen Vertrauensverlust zur
Folge haben, der dann auch ohne Wiederholungsgefahr eine Kündigung
rechtfertigt; jedoch ist gleichermaßen denkbar, dass durch ein schwer
wiegendes Fehlverhalten kein irreparabler Vertrauensverlust eintritt.675 Wenn
die herrschende Meinung zu Recht dem Prognoseprinzip der Kündigung eine
überragende Bedeutung zumisst und der Kündigung kein Sanktionscharakter
zukommen soll, so muss auch bei einer Vertrauensstörung in Folge etwa eines
Vermögensdeliktes zu prüfen sein, ob mit Hilfe einer Abmahnung die Grundlage
dafür gelegt werden kann, dass in Zukunft vertragskonformes Verhalten zu
erreichen ist oder ob das erforderliche Vertrauen unwiederbringlich verloren ist.
Vertrauen ist keine feststehende Größe, sondern es kann sich entwickeln und es
kann auch neu aufgebaut werden.676
675
676
Herschel FS Müller, S. 191, 202.
LAG Hamburg (4 Sa 18/98), n.v., nachgehend BAG (2 AZR 454/99), RzK I 8c Nr. 54; ArbG
Ludwigshafen (3 Ca 2096/00), FA 2001, 146, 146.
- 264 -
3. Verfehlungen im Bereich vertraglicher Hauptpflichten –
Störungen im Leistungsbereich
Bei den in der Praxis häufigsten Fällen der verhaltensbedingten Kündigung geht
es
um
Verfehlungen,
die
die
arbeitsvertraglichen
Hauptpflichten
des
Arbeitnehmers betreffen. Hier liegt die Störungsquelle im Leistungsbereich677,
nicht im Ordnungs- oder Vertrauensbereich.
Insoweit ist eine Widerlegung der Prognose durch eine Verhaltensänderung
nach Zugang der Kündigungserklärung durchaus vorstellbar. Nägele benennt
den Fall, dass einem Arbeitnehmer wegen Leistungsdefiziten gekündigt wurde
und er noch innerhalb der Kündigungsfrist durch entsprechende Fortbildungsoder Trainingsmaßnahmen seine Fähigkeiten und Kenntnisse so erweitert, das
die reklamierten Leistungsdefizite nicht mehr zu befürchten sind.678 Auch
Nachlässigkeiten
wie
häufiges
Zuspätkommen
können
sich
später
verbessern.679 Dabei mag man allerdings bezweifeln, ob dies verlässlich und
dauerhaft geschieht. Regelmäßig wird sich das Leistungsverhalten des
Arbeitnehmers nach Ausspruch einer Kündigung gerade nicht verbessern. Ist
das ausnahmsweise doch einmal der Fall, so ist für den Arbeitgeber meist nicht
erkennbar, worauf dieser plötzliche Sinneswandel beruht, ob hier vielleicht auf
eine Verbesserung der eigenen Position im Arbeitsgerichtsverfahren spekuliert
wird.
Daher
wird
man
kündigungsbegründenden
Leistungsbereich
die
Prognose
anerkennen
Möglichkeit
nur
können,
bei
die
einer
solchen
sich
in
Widerlegung
der
Verfehlungen
der
Nähe
im
von
personenbedingten Kündigungsgründen befinden. Dies ist insbesondere dann
der Fall, wenn sich Defizite in den Fähigkeiten und Kenntnissen des
Arbeitnehmers,
also
in
seinen
persönlichen
Eigenschaften,
durch
Fortbildungsmaßnahmen beheben lassen, und der Arbeitnehmer sich im
677
Hoß, MDR 1998, 869, 869.
678
Nägele, BB 1998, 1686, 1687.
679
Hinrichs, AiB 1997, 615, 616.
- 265 Zusammenhang mit der Kündigung hierzu durchringt. Im Übrigen wird es dem
Arbeitnehmer nicht gelingen, die Prognose (nach außen erkennbar) zu
widerlegen. Eine Wiedereinstellung ist daher regelmäßig ausgeschlossen.
4. Verfehlungen im Bereich vertraglicher Nebenpflichten –
Störungen im Ordnungs- und Vertrauensbereich
An der Tragweite des Prognoseprinzips sind Zweifel dann berechtigt, wenn eine
Verfehlung vorliegt, die sich nicht auf den Leistungsbereich bezieht, sondern den
Ordnungs- oder Vertrauensbereich betrifft. Derlei Verfehlungen verwirklichen
nicht selten den Tatbestand eines Strafgesetzes (beispielsweise Diebstahl,
Spesenbetrug, Missbrauch von Kontrolleinrichtungen).680 Insoweit wird auch
von einer Tatkündigung gesprochen.
a) Unbeachtliches Wohlverhalten während der
Kündigungsfrist
Wird durch die Verletzung von Nebenpflichten das Vertrauen in Mitleidenschaft
gezogen, so stellt sich zunächst die Frage, ob der Arbeitnehmer durch
tadelloses Verhalten zwischen Zugang der Kündigungserklärung und Ablauf der
Kündigungsfrist
den
teilweisen
Wegfall
des
verhaltensbedingten
Kündigungsgrundes und in der Folge einen Anspruch auf den Abschluss eines
Anschlussarbeitsvertrages erreichen kann. Eine in der Lit. vertretene Ansicht681
verneint dies. Das Fehlverhalten und der eingetretene Vertrauensbruch könnten
durch tadelloses Verhalten während der Kündigungsfrist nicht ungeschehen
gemacht werden. Nach a.A.682 ist ein Wegfall der kündigungsbegründenden
Umstände auf diesem Wege möglich, wenn es dem Arbeitnehmer gelingt, die
negative Prognose zu entkräften.
680
681
682
Hoß, MDR 1998, 869, 869.
Wank, Anm. zu BAG (2 AZR 24/83), AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Raab, RdA
2000, 147, 153.
vom Stein, RdA 1991, 85, 89.
- 266 Hierzu bedarf es jedoch gravierender Gründe. Die Prognose noch während
laufender Kündigungsfrist durch vorbildliches Verhalten zu widerlegen wird
nahezu unmöglich sein. War ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund so
scherwiegend, dass er auch ohne eine Abmahnung die Kündigung trägt oder
liegt bereits eine einschlägige Abmahnung vor, so wird zutreffend darauf
hingewiesen, der Arbeitnehmer hätte früher daran denken müssen, sich
vertragsgetreu zu verhalten.683
Denkbar
ist
aber,
dass
sich
während
der
längeren
Zeitspanne
der
Weiterbeschäftigung nach § 102 V BetrVG, bei dem das Arbeitsverhältnis kraft
fortbesteht684,
Gesetz
oder
während
der
Zeit
eines
allgemeinen
Weiterbeschäftigungsanspruchs nach dem Obsiegen in der ersten Instanz685
ergibt, dass eine Wiederholungsgefahr nicht mehr vorliegt oder dass ein
Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber neu aufgebaut wird. Dann entsteht
eventuell
ein
auf
Fortsetzung
des
Arbeitsverhältnisses
gerichteter
Wiedereinstellungsanspruch. Der Korridor für solche Überlegungen dürfte
allerdings recht schmal sein, denn Grundlage der wirksamen Kündigung ist ein
Vertrauensbruch von einigem Gewicht bzw. ein solcher nach einschlägiger
Abmahnung. Hat der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist und innerhalb
einer
anschließenden
Zeit
der
Weiterbeschäftigung
das
Ende
seines
Arbeitsverhältnisses vor Augen, so wird schon deshalb ein demonstratives
Wohlverhalten kaum einen verlässlichen Schluss auf die zwanglose Einstellung
des Arbeitnehmers zum beanstandeten Verhalten zulassen. Eine Widerlegung
der kündigungsbegründenden Prognose durch ein Wohlverhalten während der
Zeit
des
allgemeinen
oder
betriebsverfassungsrechtlichen
Weiterbeschäftigungsanspruchs kann daher nur im atypischen Ausnahmefall
angenommen werden. Der Regelfall lässt auch hier keine Wiedereinstellung zu.
683
Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
684
Schaub, § 123 VIII 14 c.
685
Dütz ArbR, Rn 372.
- 267 -
b) Schwere Verfehlung und widerlegte Wiederholungsgefahr
Es liegt auf der Hand, dass die an die Wiederholungsgefahr zu stellenden
Anforderungen mit der Schwere der begangenen Verfehlung abnehmen. Ein
besonderes Problem entsteht, wenn der Kündigungsgrund eine schwere
Verfehlungen im strafbaren Bereich darstellt (z.B. Vermögensdelikte mit großer
Schadenshöhe, schwere Beleidigung, vorsätzliche Körperverletzung), die
zunächst
nicht
zu
beanstandende
Prognose
einer
nicht
ganz
unwahrscheinlichen Wiederholungsgefahr aber im weiteren Verlauf widerlegt
wird.
Zunächst ist festzuhalten, dass ohne den Nachweis der Tatbegehung im
Unterschied
zur
Verdachtskündigung
eine
Tatkündigung
auch
dann
ausgeschlossen ist, wenn schwerwiegende Verdachtsmomente bestehen. Der
Arbeitgeber muss sich entscheiden, ob er die Tat als bewiesen ansieht und
deshalb
eine
Tatkündigung
ausspricht,
oder
ob
er
sich
auf
die
Verdachtskündigung beruft. Stellt sich im Kündigungsschutzprozess heraus,
dass die Tat vom Arbeitnehmer nicht begangen wurde, so führt das nicht wie bei
der wirksamen Verdachtskündigung zu einem Anspruch auf Wiedereinstellung,
sondern zur Unwirksamkeit der verhaltensbedingten Tatkündigung. Insoweit
handelt es sich nicht um ein Problem des Wiedereinstellungsanspruchs. Zur
Wiedereinstellungsproblematik gelangt man nur in den Fällen, in denen die Tat
begangen wurde, die kündigungsbegründende Prognose – soweit man eine
solche auch hier für erforderlich hält – sich aber im Verlauf der weiteren
Entwicklung als nicht länger haltbar erweist.
Wenn auch ein einwandfreies Verhalten während der Kündigungsfrist (oder bei
der entfristeten Kündigung im Privatleben) schwerlich zu einer Erschütterung der
Prognose führen dürfte, so handelt es sich dennoch um ein praktisches
Problem, da dem Delinquenten auch der Zufall zu Hilfe kommen kann, etwa
wenn bei Tätlichkeiten im Betrieb das Tatopfer um seine Versetzung bittet oder
- 268 aus dem Betrieb ausscheidet, der Griff in die Kasse zu einer Neuverteilung der
Aufgaben im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung führt oder der
Arbeitnehmer in Zukunft überwacht wird oder schließlich die schwere
Beleidigung ausgesprochen und damit der Konflikt erledigt ist. In diesen Fällen
ist der Schluss von vergangenem Verhalten, dem ja nur Indizwirkung686
zukommen soll, auf eine künftige Wiederholungsgefahr keineswegs mehr
zwingend.
Möglicherweise sind in den schwerwiegenden Fällen der Tatkündigung aber die
Grenzen
des
Prognoseprinzips
erreicht.
Damit
wäre
auch
einer
Wiedereinstellung die Grundlage entzogen. Es wurde schon gezeigt, dass sich
das Prognoseprinzip in den Fällen der verhaltensbedingten Kündigung auf den
Aspekt der Wiederholungsgefahr reduziert. Bei schweren (typischerweise
strafbaren) Verfehlungen ist eine Wiedereinstellung daher schon im Ansatz
bedenklich, wenn man die Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit –
Wiederholungsgefahr hin oder her – als zerstört ansieht. Dabei macht es keinen
Unterschied, ob die Verfehlung belastende Auswirkungen auf den Betriebsablauf
hat oder zumindest betriebliche Interessen beeinträchtigt, denn gewisse Dinge
braucht sich der Arbeitgeber um seiner selbst willen nicht bieten zu lassen.687
Man kann das Problem rechtskonstruktiv auf der Ebene des Prognoseprinzips
lösen, indem man hier die Notwenigkeit einer kündigungsbegründenden
Prognose über eine mögliche Wiederholungsgefahr verneint, die Tatkündigung
also aus dem Anwendungsbereich des Prognoseprinzips ausklammert.
Stattdessen könnte man die Widerlegung der Prognose generell verneinen, sie
also als unwiderlegbar ansehen, sofern nur die Tat eine entsprechende Schwere
aufweist (so die h.M.).
686
LAG Hamburg (4 Sa 38/97), NZA-RR 1999, 469, 470 f.
687
Adam, NZA 1998, 284, 286.
- 269 Schließlich
sprechen
Zumutbarkeitserwägungen
gegen
eine
Wiedereinstellungspflicht des Arbeitgebers in diesen Fällen.
(1) Prognoseprinzip, Sanktionsprinzip, Prinzip der
Zukunftsbezogenheit
Für Störungen im Ordnungs- und Vertrauensbereich ist noch nicht abschließend
geklärt,
ob
das
Prognoseprinzip
uneingeschränkt
gelten
soll,
und
bejahendenfalls welchen Inhalt es hat. Die h.M. geht davon aus, das
Prognoseprinzip setze jedenfalls voraus, dass eine Wiederholung oder
zumindest Fortwirkung der Störungen des Arbeitsverhältnisses auch in Zukunft
zu erwarten sein müsse.688 Bei einer schweren Vertragsverletzung wird
zumindest die Fortwirkung der Störung regelmäßig bejaht. Die M.M. geht
dagegen davon aus, dass verhaltensbedingte Kündigungen wegen ihres (von
der
h.M.
bestrittenen)
Sanktionscharakters
unabhängig
von
einer
arbeitgeberseitigen Prognose Wirksamkeit beanspruchen.689 Eine vermittelnde
Ansicht will sowohl das Prognoseprinzip als auch das Sanktionsprinzip
heranziehen.690 Demnach bedarf es vor der Kündigung keiner Prognose mehr,
wenn ihr eine Abmahnung vorausgegangen ist. Die Abmahnung beinhalte eine
Positivprognose, die sich als falsch herausgestellt habe, wenn der Arbeitnehmer
danach wieder negativ in Erscheinung trete. Wenn eine Abmahnung
ausgesprochen worden ist, sei die Kündigung aufgrund einer deutlich
gewordenen
Fehlprognose
bei
der
Einstellung
des
Arbeitnehmers
gerechtfertigt.691
688
689
BAG (2 AZR 649/94), NZA 1995, 517, 520; Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG – Link, § 1
Rn 130; Preis, DB 1990, 630, 634; MünchKomm – Schwerdtner, Vorb. § 620 BGB Rn 231.
Rüthers/Müller, Anm. zu BAG (2 AZR 604/90), EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung
Nr. 41; Kraft, ZfA 1994, 463, 475 f.
690
Gentges Diss., S. 242; Wank, RdA 1993, 79, 83 f (m.w.N. in FN 92).
691
Gentges Diss., S. 242.
- 270 Dies ist aber nicht mehr als eine Fiktion. Der eine Abmahnung aussprechende
Arbeitgeber stellt keineswegs eine positive Prognose des Inhalts an, eine
Vertragsverletzung der vorliegenden Art werde sich nicht wiederholen. Die
Abmahnung ist als Vorstufe zur Kündigung eine Notwendigkeit. Sie hat eine
Beanstandungs- und eine Warnfunktion.692 Man wird den auf eine spätere
Kündigung zusteuernden Arbeitgeber nicht zwingen können, zuvor eine positive
Prognose anzustellen. Eher schon könnte man in der Abmahnung eine negative
Prognose sehen, da sich der Arbeitgeber die Kündigung gerade offen hält.
Zutreffend misst die Rspr. der Abmahnung für das Prognoseprinzip eine andere
Bedeutung bei. Das vertragsrechtliche Instrument der Abmahnung dient wie
beschrieben dazu, eine sichere Prognosegrundlage für eine spätere Kündigung
zu schaffen.
Ein weiterer Ansatz will zwischen der Zukunftsbezogenheit und dem
Prognoseprinzip
unterscheiden.
Ein
Kündigungsgrund
sei
stets
zukunftsbezogen, aber nicht immer bedürfe es hierzu einer Prognose. Es gebe
Vorfälle, die so schwerwiegend seien, dass eine Wiederholungsgefahr oder
fortwirkende Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses ohne weiteres
unterstellt werden könne, weshalb in solchen Fällen eine Kündigung zu
rechtfertigen sei, ohne sich den Vertretern des Sanktionsmodells anschließen zu
müssen. In Fällen groben Fehlverhaltens sei bei der Negativprognose nämlich
ein strengerer Maßstab anzulegen, nach dem eine Kündigung schon dann
möglich sein könne, wenn die Wiederholungsgefahr oder Folgewirkungen nicht
auszuschließen seien, wovon stets auszugehen sei, so dass sich eine Prognose
erübrige.693
Ein in diesem Sinne zwingender Schluss von vergangenem auf zukünftiges
Verhalten spricht aber nicht nur gegen das Prognoseprinzip, sondern ebenso
gegen die
Zukunftsbezogenheit der
692
Tschöpe, BB 2002, 778, 779.
693
Adam, NZA 1998, 284, 285.
Kündigungsentscheidung.
Auf
eine
- 271 Zukunftsbezogenheit der Kündigungsentscheidung wäre dann nur
noch zu
schließen, wenn man darauf abstellen wollte, dass die Kündigung eines
Dauerschuldverhältnisses dieses beendet und damit zwangsläufig auch etwas
mit der Zukunft der Beziehungen der Vertragspartner zu tun hat. Die wirksame
Kündigung löst das Arbeitsverhältnis für die Zukunft auf. Die These, jede
Kündigung sei auf die Zukunft bezogen, ist insoweit banal.694
Auch das Sanktionsprinzip ist mit der h.M. abzulehnen, weil strafrechtliches
Denken im Zivilrecht keine Stütze findet. Auch kann von einer arbeitsrechtlichen
Kündigung keine spezialpräventive Wirkung ausgehen, weil sich diese auf das
künftige Verhalten in ein und demselben Arbeitsverhältnis beziehen müsste.695
Die Möglichkeit, aus verhaltensbedingten Gründen kündigen zu können, ist nicht
geschaffen worden, um ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten zu
bestrafen. Ein Sühne- oder Strafcharakter der verhaltensbedingten Kündigung
ist strikt abzulehnen.696 Unvertretbar ist es auch, mit der Kündigung "ein
Exempel statuieren" zu wollen697 oder allgemeine generalpräventive Zwecke zu
verfolgen698. Im gewaltenteiligen Rechtsstaat ist nicht der Arbeitgeber berufen,
ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu sanktionieren. In Anbetracht des
Gewaltmonopols des Staates ist der Ausspruch von Strafen den Strafgerichten
vorbehalten.699
(2) Unwiderlegbarkeit der kündigungsbegründenden
Prognose
Auch
schwere
Verletzungen
vertraglicher
Nebenpflichten
wie
erheblich
ehrverletzende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber, die auch ohne
694
Rüthers, NJW 1998, 1433, 1435.
695
Adam, NZA 1998, 284, 285.
696
LAG Hamm (16 Sa 112/86), LAGE Nr. 26 zu § 626 BGB.
697
Weiss, Anm. zu BAG (2 AZR 30/81), EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10.
698
MünchKomm - Schwerdtner, § 626 BGB Rdnr. 28.
699
ArbG Hamburg (21 Ca 154/98), AiB 1999, 177, 177 f.
- 272 Wiederholungsgefahr einen Kündigungsgrund darstellen sollen, können als
zukunftsbezogen gesehen werden, wenn man in diesen Fällen von einer
unwiderlegbaren Vermutung der Fortwirkung der Vertragsverletzung ausgeht,
womit die Zukunftsbezogenheit der Kündigung auch ohne Wiederholungsgefahr
bestünde. Zu Recht wird darauf
hingewiesen, dass die Annahme einer
unwiderleglichen Vermutung zum gleichen Ergebnis führt wie die These vom
Sanktionscharakter. Da der Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht überragende
Bedeutung zukomme und eine für den Arbeitnehmer positive Prognose bei einer
schweren Verfehlung im Ordnungs- oder Vertrauensbereich ausgeschlossen sei,
bedürfe
es
insoweit
auch
keiner
gesetzlichen
Bestimmung.
Die
Unwiderlegbarkeit der Vermutung einer belastenden Fortwirkung der Verfehlung
für das Arbeitsverhältnis ergebe sich aus der Natur der Sache.700
Folgt man diesem Ansatz, ist ein nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrundes
durch Widerlegung der negativen Prognose in diesen Fällen allerdings
ausgeschlossen. Die Kündigung trägt sich dann allein aus den vergangenen
Umständen, ist also tatsächlich nicht mehr prognosebedingt.
Im Schrifttum wird neben der in diesen Fällen oft gerade fehlenden
Wiederholungsgefahr alternativ darauf abgestellt, ob das vorausgegangene
Verhalten
des
Arbeitnehmers
erhebliche
Belastungswirkungen
für
den
dauernden Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zeitigt. Eine Negativprognose
im Vertrauensbereich setze voraus, dass keine Wiederherstellung des
Vertrauens erwartet werden könne.701
In diese Richtung weist auch die Rspr., wenn zwar die Zukunftsbezogenheit des
Kündigungszwecks betont aber dennoch darauf abgestellt wird, „ob eine
700
Adam, NZA 1998, 284, 285.
701
Boewer, NZA 1999, 1121, 1124.
- 273 Wiederholungsgefahr besteht oder ob sich das vergangene Ereignis auch
zukünftig belastend auswirkt“.702
Was
die
„zukünftigen
belastenden
Auswirkungen“
der
vergangenen
Vertragsverletzungen mit dem Prognoseprinzip zu tun haben, bleibt unklar. Ein
auch formales Abrücken vom Prognoseprinzip kommt für die Rspr. gleichwohl
nicht in Betracht. Im Gegenteil: Es verbiete sich, die endgültige Zerstörung des
für eine weitere Zusammenarbeit notwendigen Vertrauens in derartigen Fällen
einfach spekulativ zu unterstellen. Ein solches Vorgehen liefe auf eine Sanktion
früheren vertragsverletzenden Verhaltens hinaus. Der Sanktionsgedanke sei
dem
Vertragsrecht
jedoch
fremd.
Einer
vergangenen
schuldhaften
Vertragsverletzung komme nicht mehr und nicht weniger als eine Indizwirkung
für die Gefahr zukünftiger Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses zu.703
Im Ergebnis führt die Formel von den „zukünftigen belastenden Auswirkungen“
allerdings dazu, dass auf eine wirkliche Wiederholungsgefahr verzichtet wird,
wenn nur das in der Vergangenheit liegende Ereignis, welches den Anlass für
die Kündigung bietet, derart schwerwiegend erscheint, dass auch zukünftig der
Arbeitgeber mit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in unzumutbarer
Weise belastet würde. Das Prognoseprinzip wird für den Fall schwerer Verstöße
im Ordnungs- oder Vertrauensbereich also faktisch
aufgegeben. Dass eine
vergangene schwere Vertragsverletzung trotz fehlender Wiederholungsgefahr
belastend in die Zukunft fortwirkt, ist zwar ein Gemeinplatz, hierzu bedarf es
jedoch keiner Prognose. Eine Prognose würde sich in der Frage nach der
Wiederholungsgefahr erschöpfen und abhängig von der Antwort müsste der
Kündigungsgrund als gegeben oder nicht gegeben angesehen werden. So
spricht Adam704 folgerichtig auch nur von der Zukunftsbezogenheit der
Kündigung und will das Prognoseprinzip bei schweren Vertragsverstößen nicht
702
BAG (2 AZR 649/94), NZA 1995, 517, 520.
703
LAG Hamburg (4 Sa 38/97), NZA-RR 1999, 469, 471 f.
704
Adam, NZA 1998, 284, 286.
- 274 anerkennen.
Auch
verhaltensbedingte
Rüthers705
Kündigung
lehnt
ab,
das
wenn
Prognoseprinzip
die
für
die
Vertragsverstöße
des
Arbeitnehmers von solcher Schwere und solchen unmittelbaren Folgen für den
Bestand des Arbeitsverhältnisses sind, dass die bereits vorliegenden Ereignisse
in Vergangenheit und Gegenwart die fristlose oder fristgemäße Beendigung des
Arbeitsverhältnisses
rechtfertigen.
Das
Erfordernis
einer
zusätzlichen
Zukunftsprognose könne dazu führen, die Reste von Privatautonomie bei der
Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu beseitigen.
Eine Prognose, die unwiderlegbar ist, ist keine Prognose mehr, sondern eine
bereits im Beurteilungszeitpunkt feststehende Tatsache. Das Prognoseprinzip
hat gerade die Funktion, eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts
oder Nichteintritts eines zukünftigen Ereignisses zu treffen, die sich im Bereich
der
verhaltensbedingten
Kündigungsgründe
nur
auf
die
Gefahr
einer
Wiederholung des Fehlverhaltens beziehen kann. Die h.M. ist daher eine wenig
überzeugende Fiktion, die die Nichtanwendung des Prognoseprinzips im Bereich
der
Tatkündigung
verschleiern
soll,
weil
hiergegen
bzw.
gegen
das
Sanktionsmodell gewichtige Einwände gesehen werden.
(3) Nichtgeltung des Prognoseprinzips für die Tatkündigung
– Kein Wiedereinstellungsanspruch
Geht man also zutreffend davon aus, dass die verhaltensbedingte Tatkündigung
bei entsprechender Schwere der Tat keine Prognose erfordert, um die
fristgemäße oder fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen,
so muss auch eine Wiedereinstellungsanspruch ausscheiden, da die Kündigung
unabhängig von der weiteren Entwicklung die endgültige Beendigung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.
Die Einwände gegen das sog. Sanktionsmodell stehen dem nicht entgegen. Es
geht nicht darum, ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten des
705
Rüthers, NJW 1998, 1433, 1435.
- 275 Arbeitnehmers zu bestrafen und damit wie auch immer geartete präventive
Wirkungen zu erzeugen. Zutreffend ist, dass strafrechtliches Denken im
Zivilrecht keine Stütze findet. Maßstab der Kündigung ist daher auch bei der
Tatkündigung die Perspektive des verständigen Arbeitgebers, der sich um seiner
selbst willen nicht jedes Fehlverhalten seines Vertragspartners gefallen lassen
muss und die Verbindung lösen darf, wenn ein Grund vorliegt, der eine
Weiterbeschäftigung
als
Verhaltensprognose
wird
dauerhaft
unzumutbar
insoweit
relativiert,
erscheinen
als
die
lässt.
Die
erforderliche
Wahrscheinlichkeit der Wiederholung des Fehlverhaltens mit ansteigender
Schwere der Verfehlung abnimmt. Dann spricht aber nichts dagegen, eine
Prognose über die Wiederholungsgefahr für entbehrlich zu halten, wenn schon
im Kündigungszeitpunkt die Grenze der Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber
erreicht oder überschritten ist.
Damit lässt sich festhalten, dass nach einer Tatkündigung bei erheblicher
Schwere der Tat ein Wiedereinstellungsanspruch schon aus rechtskonstruktiven
Gründen nicht denkbar ist, weil das Prognoseprinzip keine Anwendung findet.
Wie schwer die Tat sein muss, ist indes eine Frage des Einzelfalles.
c) Schwere der zu fordernden Tat – Missbrauchsprävention
mittels Ausklammerung von Alltagserscheinungen
Die Tat, die unabhängig von einer arbeitgeberseitigen Prognose die Kündigung
rechtfertigt, muss eine erhebliche Schwere aufweisen, um den endgültigen
Verlust des Arbeitsplatzes unabhängig von der weiteren Entwicklung zu
rechtfertigen und damit verbundenen Missbrauchsgefahren vorzubeugen.
Bei
geringfügigen
Straftaten
handelt
es
sich
oft
um
sachfremde
Kündigungsgründe, die für die auf anderen Beweggründen beruhende
Kündigung
nur
vorgeschoben
Alltagserscheinungen
(unerlaubtes
im
Telefonieren,
werden.
Arbeitsleben
Anfertigen
Im
Übrigen
strafrechtliche
von
Kopien).
können
zahlreiche
Relevanz
haben
Werden
solche
Verhaltensweisen vom Arbeitgeber über längere Zeit stillschweigend geduldet,
können sie keinen Kündigungsgrund abgeben, solange er nicht die Übung
ausdrücklich beendet.
- 276 Bei vorsätzlichen Straftaten von einigem Gewicht entscheiden die Umstände des
Einzelfalles
darüber,
ob
das
objektivierte
Vertrauensverhältnis
der
Vertragspartner bereits durch das in der Vergangenheit liegende Ereignis
endgültig zerstört, dem Arbeitgeber mithin eine weitere Zusammenarbeit
endgültig nicht mehr zumutbar ist. Dabei spielt der Rang des betroffenen
Rechtsguts (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum) ebenso eine Rolle wie das
für eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erforderliche Maß an Vertrauen
und
Verantwortung,
ebenso
die
bisherige
Dauer
der
störungsfreien
Zusammenarbeit. Bei Eingriffen in höchstpersönliche Rechtsgüter kann i.d.R.
ohne weiteres von einer endgültigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses
ausgegangen werden.
d) Fazit
Da das Prognoseprinzip grundsätzlich auch für die verhaltensbedingte
Kündigung gilt, kann die Möglichkeit eines Wiedereinstellungsanspruchs nicht
gänzlich verneint werden. Das Prognoseprinzip spielt hier jedoch oftmals nur
eine untergeordnete oder sogar keine Rolle, weshalb nur in Ausnahmefällen ein
Wiedereinstellungsanspruch anzuerkennen ist.
Dabei bestehen bei Verfehlungen im Leistungsbereich, die eine unvorsätzliche
steuerbare
Minderleistung
des
Arbeitnehmers
betreffen
(z.B.
fehlende
Spezialkenntnisse), noch die besten Chancen auf Wiedereinstellung. Auch
hierbei handelt es sich jedoch um den Ausnahmefall.
Bei Verfehlungen im Vertrauensbereich, die zwar einen Kündigungsgrund
darstellen,
aber
nicht
zu
besonderer
Schwere
gelangen,
ist
eine
Prognosewiderlegung nur ausnahmsweise bei langen Kündigungs- und
Weiterbeschäftigungsfristen überhaupt denkbar.
Bei schweren Verfehlungen im Bereich des Tatkündigungsrechts gilt das
Prognoseprinzip
nicht,
weshalb
ein
Wiedereinstellungsanspruch
bereits
rechtskonstruktiv nicht begründbar ist.
Ein Wiedereinstellungsanspruch nach verhaltensbedingter Kündigung spielt
daher zu Recht in der Praxis kaum eine Rolle.
- 277 -
IV. Personenbedingte Kündigung
1. Wirksamkeit der Kündigung
Weil die personenbedingte Kündigung die Fähigkeit und Eignung des
Arbeitnehmers betrifft, die geschuldete Leistung zu erbringen, kann das Fehlen
dieser Fähigkeit oder der Eignung im Kündigungszeitpunkt oder deren
erhebliche
Beeinträchtigung
eine
personenbedingte
Kündigung
dann
rechtfertigen, wenn mit der alsbaldigen Wiederherstellung der Fähigkeit und
Eignung zur ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung nicht gerechnet
werden kann (erste Stufe des Prognoseprinzips).
Darüber hinaus muss die fehlende oder beeinträchtigte Fähigkeit und Eignung
zur
Erbringung
der
Arbeitsleistung
zu
konkreten
Störungen
des
Arbeitsverhältnisses führen, die im Zeitpunkt der Kündigung noch andauern,
bzw. auch künftig zu befürchten sind und durch eine Umsetzung nicht beseitigt
werden können (zweite Stufe des Prognoseprinzips).
In der dritten Stufe ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen
ist, ob der Arbeitgeber die aufgrund des personenbedingten Kündigungsgrundes
eingetretenen Störungen des Arbeitsverhältnisses (erhebliche Beeinträchtigung
betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen) weiterhin hinnehmen muss, oder
ob die Kündigung aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers als
billigenswert und angemessen erscheint.706
Dieser dreistufige Prüfungsaufbau gilt grundsätzlich auch für alle Formen der
krankheitsbedingten Kündigung, die den mit Abstand wichtigsten Fall der
706
LAG Rheinland-Pfalz (7 Sa 61/99), EzA-SD 1999, Nr 21, 7-9.
- 278 personenbedingten Kündigung darstellt. Bei sonstigen personenbedingten
Kündigungsgründen handelt es sich dagegen eher um Randprobleme.707
Die krankheitsbedingte Kündigung setzt stets zunächst eine sog. „negative
Gesundheitsprognose“708 voraus, die verlangt, dass zum Kündigungszeitpunkt
objektive Tatsachen auf weitere Fehlzeiten im bisherigen Umfang schließen
lassen
(erste
Stufe
des
Prognoseprinzips).
Dabei
sind
vergangene
Arbeitsunfähigkeitszeiten insoweit zu berücksichtigen, wie sie tatsächlich
indizielle Wirkung auch für künftige Erkrankungen haben können. Das BAG
erleichtert dem Arbeitgeber die Darlegung zunächst, indem es häufigen
Fehlzeiten in der Vergangenheit eine indizielle Bedeutung für eine negative
gesundheitliche
Konstitution
in
der
Zukunft
beimisst.
Eine
darüber
hinausgehende Beweiserleichterung mit Hilfe eines Anscheinsbeweises auf der
Grundlage von Erfahrungssätzen lehnt das BAG jedoch ab.709
Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des
Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen
Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.710 Diese kann durch
Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftliche Belastungen hervorgerufen
werden (zweite Stufe des Prognoseprinzips).
Schließlich ist eine besonders sorgfältige Interessenabwägung vorzunehmen,
die ergeben muss, dass die zu erwartenden erheblichen betrieblichen
Beeinträchtigungen
707
708
trotz
aller
dem
Arbeitgeber
zuzumutenden
Tschöpe, BB 2001, 2110, 2115.
Bereits das Erfordernis einer gesicherten negativen Gesundheitsprognose ist nicht völlig
unumstritten. Rüthers, NJW 1998, 1433, 1436, weist darauf hin, dass medizinisch gesicherte
negative Gesundheitsprognosen seltene Ausnahmen seien.
709
BAG (2 AZR 347/82), NZA 1984, 93, 95; BAG (2 AZR 19/89), BB 1990, 553, 553.
710
Zur Konkretisierungspflicht siehe Liebig Diss., S. 72 ff, 189.
- 279 Überbrückungsmaßnahmen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden
Belastung führen.711
Dabei stellt die Kündigung aus Anlass einer Langzeiterkrankung / dauerhaften
Arbeitsunfähigkeit712
wiederum
den
praktisch
wichtigsten
Fall
der
krankheitsbedingten Kündigung dar. Erster Unterfall ist die sichere dauernde
Leistungsunfähigkeit, die dann als Kündigungsgrund taugt, wenn sich kein
anderer zumutbarer und leidensgerechter freier (oder durch
grundsätzlich
zumutbare Umsetzung freizumachender) Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer
finden lässt. Bei sicherer dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne
weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
auszugehen.713
Zweiter
Unterfall
ist
die
völlige
Ungewissheit
der
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, die dann einer sicheren dauernden
Leistungsunfähigkeit gleichsteht, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer
anderen Prognose nicht gerechnet werden kann.714 Dieser Zeitraum sei in
Anlehnung an § 14 II TzBfG in dem Sinne absehbar, dass er gegebenenfalls
durch die Einstellung einer Ersatzkraft mit einem befristeten Arbeitsverhältnis
überbrückt werden könne.715 Solche festen Zumutbarkeitsgrenzen für die Dauer
von Fehlzeiten werden andererseits von der Rspr. im Interesse einer
größtmöglichen
Einzelfallgerechtigkeit
z.T.
auch
abgelehnt.716
Die
Anforderungen an die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers dürfen jedoch auch
711
BAG (2 AZR 62/83), AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; Schiefer, DB 2000, 669, 671;
kritisch Kasper, NJW 1994, 2979, 2980, mit dem Hinweis, der Arbeitgeber werde von der Rspr.
gleich einem delphischen Orakel zur Anstellung dreier Prognosen gezwungen, um seine
Kündigungsbefugnis zu rechtfertigen. Es sei nicht angängig, dem Arbeitgeber prozessual eine
Zukunftserforschung zu Beweiszwecken aufzuerlegen, und dies zu einem Thema, das
typischerweise außerhalb der eigenen Sphäre des Arbeitgebers liege, weil es die künftige
Gesundheit seines Vertragspartners betreffe.
712
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 978 f.
713
BAG (2 AZR 431/89), BB 2000, 49, 49.
714
BAG (2 AZR 401/89), AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG (2 AZR 431/98), NZA
1999, 978, 980.
715
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980.
716
BAG (7 AZR 295/78), BB 1980, 938, 939 f.
- 280 nicht überzogen werden, um die Belastung der betrieblichen Organisation in
zumutbaren Grenzen zu halten.717
Weitere Fälle der krankheitsbedingten Kündigung sind die Kündigung wegen
lang
anhaltender
Erkrankung
und
die
Kündigung
wegen
häufiger
Kurzerkrankungen, sowie die krankheitsbedingte Minderleistung.718
Maßgeblich ist dabei wie sonst auch allein der Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigung. Spätere Entwicklungen können nicht mehr berücksichtigt werden.
Die Einzelheiten wurden bereits erörtert.719
2. Entwicklung
der
Rechtsprechung
Wiedereinstellungsanspruch
zum
Das LAG Hamburg hat am 10.02.1998720 im Anschluss an die grundlegende
Entscheidung des 2. Senats vom 27.02.1997721 die dort für den Bereich der
betriebsbedingten Kündigung entwickelten Grundsätze auch auf den Bereich der
krankheitsbedingten Kündigung erstreckt. Entfalle bei der krankheitsbedingten
Kündigung noch während der Kündigungsfrist die Grundlage für die negative
Gesundheitsprognose,
so
könne
dies
wie
Kündigung,
der
Grund
für
den
bei
der
bei
einer
betriebsbedingten
prognostizierten
Fortfall
der
Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers entfällt, zur Folge haben, dass
der Arbeitgeber sich rechtsmissbräuchlich verhalte, wenn er eine Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses ablehnt. Das LAG Hamburg verweist dabei auf die
Ausführungen des 2. Senats, der – obwohl er es mit einer betriebsbedingten
717
718
719
Rüthers, NJW 1998, 1433, 1436.
Instruktiv zu den verschiedenen krankheitsbedingten Kündigungsgründen Tschöpe, BB 2001,
2110 ff.
Siehe oben unter B.II.2 „Nachträgliche Erkenntnisse bei der krankheitsbedingten Kündigung“
auf Seite 49.
720
LAG Hamburg (3 Sa 40/97), LAGE § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr 2.
721
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 757.
- 281 Kündigung zu tun hatte – als Beispiel für ein Überwiegen der schutzwürdigen
Interessen
des
Arbeitgebers
wegen
vorrangiger
Dispositionen
eine
Neubesetzung des Arbeitsplatzes nach einer krankheitsbedingten Kündigung in
gutem Glauben an die Wirksamkeit der Kündigung angeführt hatte.722
Nachfolgend zur Entscheidung des LAG Hamburg hat der 2. Senat am
17.06.1999723 die Anwendung der Regeln zum Wiedereinstellungsanspruch auf
die krankheitsbedingte Kündigung im Grundsatz bestätigt, jedoch auf den
Unterschied hingewiesen, dass insoweit der Arbeitnehmer die Verantwortlichkeit
für die Entwicklung der kündigungsbegründenden Umstände trage, weil sie aus
seiner Sphäre stammen. An die Widerlegung der Prognose sei daher ein
verschärfter Maßstab anzulegen, wonach eine Wiedereinstellung allenfalls dann
in Betracht komme, wenn nach dem Vorbringen des Arbeitnehmers nunmehr
von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen sei.724 Zuvor hatte sich
der 2. Senat bereits durch Entscheidung vom 29.04.1999725 zu dem Fall einer
medizinisch indizierten Korrektur der zunächst negativen Gesundheitsprognose
wegen einer Langzeiterkrankung geäußert und sich darin für die grundsätzliche
Anerkennung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
auch
nach
krankheitsbedingter Kündigung ausgesprochen. In diesem Sinne ist in der Lit.
auch die Entscheidung vom 17.06.1999 verstanden worden.726
Der 7. Senat hat in seiner Entscheidung vom 27.06.01727 dagegen ausdrücklich
offengelassen, ob ein Wiedereinstellungsanspruch bei einer krankheitsbedingten
Kündigung überhaupt anzuerkennen ist.
722
723
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
BAG (2 AZR 639/98), NZA 1999, 1328, 1328 = EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch
Nr. 4.
724
Siehe hierzu die Zusammenfassung des Tatbestandes oben auf Seite 11.
725
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980.
726
Tschöpe, BB 2001, 2110, 2113.
727
BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f.
- 282 -
3. Sphärenbezogenheit
der
Wiedereinstellungsanspruch
Möglicherweise
muss
ein
Kündigung
und
Wiedereinstellungsanspruch
bei
der
krankheitsbedingten Kündigung schon deshalb prinzipiell verneint werden, weil
der Kündigungsgrund und die ihn widerlegenden Umstände hier im Unterschied
zum
Wiedereinstellungsfall nach betriebsbedingter Kündigung nicht aus der
Sphäre des Arbeitgebers, sondern aus der des Arbeitnehmers stammen.728 In
diese Richtung weisen Stimmen aus dem Schrifttum.729 So will z.B. Preis730
nur dort, wo sich der Arbeitgeber die Widerlegung der Prognose – etwa die
seines
eigenen
Vertrauensarztes
–
zurechnen
lassen
muss,
einen
Wiedereinstellungsanspruch anerkennen.
Der 2. Senat konnte die Frage in seiner Entscheidung vom 17.06.1999 offen
lassen, da der Vortrag des Arbeitnehmers jedenfalls nicht für die seiner
Auffassung nach erforderliche positive Gesundheitsprognose ausgereicht
hat.731 Das LAG Hamburg732 hat den Gedanken der Sphärenbezogenheit des
Wiedereinstellungsanspruchs
aufgegriffen,
ihn
aber
für
den
Fall
der
krankheitsbedingten Kündigung relativiert. Insoweit sei zwar zutreffend, dass für
die Entscheidung der Frage, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des
Arbeitgebers anzunehmen sei, auch von Belang sei, aus wessen Sphäre die zu
prognostizierenden
Umstände
stammten.
So
werde
bei
einer
verhaltensbedingten Kündigung eine Änderung der Prognose hinsichtlich
künftigen
728
729
730
731
732
Fehlverhaltens
grundsätzlich
nicht
zu
einem
Anspruch
auf
Näheres zur Sphärenbezogenheit des krankheitsbedingten Kündigungsgrundes bei Tschöpe,
BB 2002, 778, 778.
Nicolai, SAE 2000, 98, 101; Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 1; Boewer, NZA 1999, 1121, 1130; Gentges Diss., S. 342 ff, 374 f;
zurückhaltend KR – Etzel, § 1 KSchG Rn 350.
Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
BAG (2 AZR 639/98), SAE 2000, 93, 97 (Vgl. Zusammenfassung des Tatbestandes oben auf
Seite 11).
LAG Hamburg (3 Sa 40/97), LAGE § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr 2.
- 283 Wiedereinstellung gegen den Arbeitgeber führen können. Krankheiten des
Arbeitnehmers seien aber im Arbeitsverhältnis nicht in gleicher Weise wie ein
Verhalten des Arbeitnehmers allein dessen Rechtssphäre zuzuordnen, wie sich
unmittelbar auch aus der gesetzlichen Regelung der Entgeltfortzahlungspflicht
ergebe. Richtig sei deshalb nur, je mehr der Kündigungsgrund der Risikosphäre
des Arbeitgebers zuzurechnen sei und je schutzwerter das Vertrauen des
Arbeitnehmers dahingehend sei, dass er sein Arbeitsverhältnis nur aus Gründen
verliert, die auch auf Dauer Gültigkeit haben, um so eher werde einem
Wiedereinstellungsanspruch stattzugeben sein. Dies ändere aber nichts daran,
dass
auch
im
Falle
der
krankheitsbedingten
Kündigung
bei
einer
Prognosekorrektur ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers aus §
242 BGB in Betracht komme, weil das Risiko von Erkrankungen und auch einer
Fehleinschätzung
der
zukünftigen
Entwicklung
hinsichtlich
weiterer
Erkrankungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nicht allein der Risikosphäre
des Arbeitnehmers zuzuordnen sei.733
In der Lit. wird ebenfalls bezweifelt, ob der Sphärengedanke für die
personenbedingte Kündigung überhaupt herangezogen werden und ob dies in
der Konsequenz zu einer Verneinung des Wiedereinstellungsanspruchs führen
kann.734
Abgesehen
davon,
dass
auch
eine
mögliche
betriebliche
Krankheitsursache die krankheitsbedingte Kündigung erforderlich machen kann
und somit die für die Kündigung bzw. die Wiedereinstellung relevanten
Umstände auch aus der Sphäre des Arbeitgebers stammen können, vermag die
Abgrenzung von Risikosphären allein die Wiedereinstellungsfrage nicht zu
präjudizieren.
Dies würde nämlich voraussetzen, dass es schon bei der Kündigung um die
Überwälzung von Risiken aus der Sphäre des anderen Vertragspartners geht,
die mit Hilfe der Wiedereinstellung auszugleichen sind. Nicht einmal für den
733
So auch Preis Prinzipien, S. 356 f.
734
Raab, RdA 2000, 147, 153.
- 284 Bereich der betriebsbedingten Kündigung ist das zutreffend, denn auch insoweit
bürdet nicht etwa der Arbeitgeber sein unternehmerisches Risiko durch eine
verfrühte Kündigung dem Arbeitnehmer auf. Vielmehr dient die Kündigung
lediglich der unternehmerischen Interessenwahrung, da ihm die Zahlung des
Annahmeverzugslohns nach der gesetzlichen Wertung nicht zugemutet wird. Die
prognosebedingte Kündigung erfolgt daher nicht verfrüht, sondern rechtzeitig,
um eigene unzumutbare Nachteile zu vermeiden. Daher kann es auch nicht
darum gehen, den Arbeitgeber nachträglich in die Verantwortung für Risiken zu
nehmen, die er zunächst mit der Kündigung auf den Arbeitnehmer abgewälzt
hätte. Richtig ist, dass das KSchG die zutreffende Risikoabgrenzung bereits
vornimmt. Der Arbeitgeber trägt Risiken lediglich unterhalb der Grenze zum
Kündigungsgrund. Auf die Herkunft der Risiken stellt das KSchG nicht ab. Der
mit einer Abgrenzung von Risikosphären verbundene Verantwortungsgedanke
würde zudem zu der Schlussfolgerung zwingen, nur wenn der Arbeitgeber die
tatsächlichen Umstände der Wiedereinstellung verschuldet habe, sei er mit einer
Wiedereinstellungspflicht belastet. Das Verschuldensprinzip ist dem KSchG
jedoch fremd. Wer ein zulässiges Gestaltungsrecht ausübt, hat weder dessen
tatsächliche Voraussetzungen verschuldet noch trägt er für die eintretende
Rechtsfolge
die
Verantwortung
im
haftungsrechtlichen
Sinne.
Der
Sphärengedanke würde überbewertet, würde man auf ihn den generellen
Ausschluss einer Wiedereinstellungspflicht stützen.
4. Entbehrlichkeit der
Vertragsverletzung?
Prognose
wegen
vergangener
Die Lit. macht allerdings noch einen weiteren Aspekt geltend, der gegen eine
Vergleichbarkeit mit der weitgehend anerkannten Wiedereinstellungsfallgruppe
nach betriebsbedingter Kündigung sprechen soll: Bei der verhaltens- und der
krankheitsbedingten Kündigung sei eben im Unterschied zur betriebsbedingten
Kündigung bereits in der Vergangenheit eine erhebliche Störung des
- 285 Vertragsverhältnisses eingetreten, die es rechtfertige, den Arbeitgeber von dem
Risiko eines Wiedereinstellungsanspruchs zu entlasten.735
Auch hierbei handelt es sich letztlich um den Sphärengedanken in der Form des
Verschuldensprinzips. Diese Begründung richtet sich überdies gegen das
Prognoseprinzip
an
Gesundheitsprognose
sich.
bzw.
Wenn
die
allgemeine
Fehlzeitenprognose736
Ansicht
zur
die
negative
Grundlage
der
krankheitsbedingten Kündigung macht, wonach geklärt werden muss, ob mit
einer Veränderung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist737, kann die
Widerlegung der Prognose nicht mit der Begründung für unerheblich erklärt
werden, dass die vergangenen Störungen des Vertragsverhältnisses allein die
Beendigungswirkung rechtfertigen würden.
Kündigung
unterscheiden
sich
im
Krankheits- und betriebsbedingte
Hinblick
auf
die
Reichweite
des
Prognoseprinzips nicht grundlegend.
5. Voraussetzungen des Wiedereinstellungsanspruchs
nach krankheitsbedingter Kündigung
Die im Kündigungszeitpunkt objektiv gerechtfertigte Fehlzeitenprognose kann
sich durch die weitere Entwicklung nach dem Kündigungszeitpunkt als nicht
mehr haltbar herausstellen.
Dabei ist unklar, welche Anforderungen an die Widerlegung der Prognose zu
stellen sind.
735
736
737
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 577; Nicolai, SAE 2000, 98, 102.
Siehe oben unter B.II.2.e)(1) „Maßgeblichkeit einer Fehlzeitenprognose aus Arbeitgebersicht
anstelle einer künstlich objektivierten negativen Gesundheitsprognose“ auf Seite 59.
vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Bitter/Kiel, RdA 1995, 26, 30.
- 286 -
a) Entkräftung der negativen Fehlzeitenprognose
Preis nimmt an, die Widerlegung der Prognose erfordere lediglich, dass sich die
Ex-Ante-Beurteilung aufgrund veränderter Umstände als unrichtig erwiesen
hat.738
b) Widerlegung der negativen durch eine positive
Fehlzeitenprognose
Nach der vom 2. Senat in der Entscheidung vom 17.06.1999739 und vom 7.
Senat in der Entscheidung vom 27.06.2001740 vertretenen Auffassung reicht die
Entkräftung der „negativen Gesundheitsprognose“ durch die beweiskräftige
Widerlegung der sie begründenden Umstände alleine nicht aus, um einen
Widereinstellungsanspruch auszulösen.
Für
einen
Wiedereinstellungsanspruch
nach
einer
wirksamen
krankheitsbedingten Kündigung genüge es nicht, dass der darlegungs- und
beweispflichtige
Arbeitnehmer
Gesundheitsprognose
Tatsachen
erschüttern;
vortrage,
vielmehr
die
die
komme
negative
ein
Wiedereinstellungsanspruch allenfalls dann in Betracht, wenn nach dem
Vorbringen des Arbeitnehmers von einer positiven Gesundheitsprognose
auszugehen sei.741 Es sei erforderlich, dass die Besorgnis der wiederholten
Erkrankung ausgeräumt werde. Dafür trage der Arbeitnehmer die Darlegungsund Beweislast.742
738
739
740
741
742
Preis Prinzipien, S. 356 f.
BAG (2 AZR 639/98), AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit: Siehe Zusammenfassung des
Tatbestandes auf Seite 11.
BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f = NJW 2001, 3429, 3429 f.
BAG (2 AZR 639/98), NZA 1999, 1328, 1328 = SAE 2000, 93, 93 = NJW 2000, 2762, 2762 =
AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = EzA-SD 1999, Nr. 20, 9-12 = EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellungsanspruch Nr. 4 = ARST 2000, 108, 108 = ZBVR 2000, 106, 106 = ARBlattei ES 1000 Nr. 196 = DB 1999, 1399, 1399 = BB 1999, 1437, 1437.
BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f = NJW 2001, 3429, 3429 f.
- 287 Diese Umkehrung der kündigungsbegründenden negativen Prognose in ihr
positives
Gegenteil
sei
zwingende
Voraussetzung
des
Wiedereinstellungsanspruchs nach wirksamer krankheitsbedingter Kündigung,
weil andernfalls dem Arbeitgeber die Annahme des Vertragsangebotes nicht
zumutbar sei. Für die wichtigste Fallgruppe der Kündigung wegen häufiger
Kurzerkrankungen sei folgerichtig zu fordern, dass die Besorgnis weiterer
Kurzerkrankungen völlig ausgeräumt sei.743
Bei Boewer findet sich die nur scheinbar übereinstimmende Formel, der
Arbeitnehmer müsse nunmehr den Nachweis führen, dass der bisherige
Arbeitsvertrag auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus störungsfrei und
unbelastet fortgesetzt werden könne. Bloße Zweifel an der ursprünglich
vertretbaren Prognose reichten keineswegs aus. An anderer Stelle lässt es
Boewer genügen, wenn der Arbeitnehmer eine beweiskräftige Grundlage dafür
schaffe, die negative Gesundheitsprognose auszuschließen.744
Vereinzelt hat sich die Lit. der Auffassung des 2. Senats angeschlossen. Würde
man schon die Widerlegung der negativen Gesundheitsprognose ausreichen
lassen, so würde der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt entgegen den
allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen und unter Missachtung des
Gebots der Rechtssicherheit doch nach hinten verschoben. Solange ein – wenn
auch vermindertes – Risiko bestehe, dass es im weiteren Verlauf des
Arbeitsverhältnisses zu Störungen kommt, bestehe das Interesse an der
Vertragsbeendigung fort.745
c) Stellungnahme
In der eine positive Prognose ablehnenden Lit. wird zu Recht die Frage gestellt,
ob hiermit nicht letztlich doch dem Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer
743
BAG (2 AZR 639/98), SAE 2000, 93, 97.
744
Boewer, NZA 1999, 1121, 1130.
745
Raab, RdA 2000, 147, 153.
- 288 krankheitsbedingter Kündigung eine Absage erteilt wird.746 Zumindest im
Bereich der Suchtkrankheiten verlangt es wohl eine Art „Wunderheilung“747, um
dem
Arbeitnehmer
nach
in
diesen
Fällen
niemals
absolut
sicherer
Heilbehandlung zu einem Anspruch auf Wiedereinstellung zu verhelfen.748
Auch für die Fallgruppe der häufigen Kurzerkrankungen wäre dem Arbeitnehmer
die Erfüllung der ihm obliegenden Widerlegungspflicht praktisch unmöglich,
wenn selbst früher „erlittene Erkältungskrankheiten von einer entsprechenden
Krankheitsneigung zeugen“.749
Die Prognose wird nicht erst dadurch widerlegt, dass sich das Gegenteil
ereignet. Ausreichend ist ein Abweichen des weiteren tatsächlichen Verlaufs der
Dinge von der prognostizierten Entwicklung in der Weise, dass nach neuer
Sachlage eine Kündigung rechtmäßig nicht mehr hätte ausgesprochen werden
können. Für eine Korrektur des einseitig zulasten des Arbeitnehmers gehenden
Prognoserisikos muss es daher ausreichen, dass die Prognose im Laufe der
weiteren Entwicklung widerlegt wird. Ist die Prognose in diesem Sinne nicht
mehr haltbar und der Kündigungsgrund daher entfallen, so muss der Arbeitgeber
das Risiko tragen, dass er zunächst mit der Kündigung gegen den Arbeitnehmer
gerichtet hat.
Die Bestandskraft der Kündigung und deren alleiniger Beurteilungszeitpunkt im
Zugang
der
Kündigungserklärung
steht
dem
nicht
entgegen.
Der
Wiedereinstellungsanspruch relativiert stets die Wirkung der wirksamen
Kündigung, gleich wie hoch die Anforderungen an die Entkräftung der Prognose
gestellt werden. Würde man für die Wiedereinstellung verlangen, dass der
Arbeitnehmer mit Beweiskraft darlegt, es bestehe auch kein vermindertes Risiko
746
Nicolai, SAE 2000, 98, 101; dieselbe ZfA 2000, 87, 101.
747
Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
748
Nicolai, SAE 2000, 98, 101.
749
BAG (2 AZR 639/98), SAE 2000, 93, 96.
- 289 mehr, dass es im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu Störungen
kommt, so würde man seine Darlegungslast überspannen, denn auch der
gesunde Arbeitnehmer kann eine solche Gewähr nicht bieten. Problematisch ist
allerdings, welche Anforderungen an die Entkräftung der negativen Prognose zu
stellen sind. Hierbei darf man es sich nicht zu einfach machen, ohne aber den
zutreffenden
Beurteilungsmaßstab
aufzugeben,
die
Entkräftung
der
Fehlzeitenprognose, die die Kündigung ursprünglich rechtfertigte.
d) Anforderungen an die Widerlegung der Fehlzeitenprognose
am Beispiel der Kündigung wegen Alkoholsucht
Welche
Anforderungen
im
einzelnen
an
die
Widerlegung
der
Fehlzeitenprognose zu stellen sind, muss einer sorgfältigen Einzelfallprüfung
überlassen
bleiben.
Das
schon
für
die
verhaltensbedingte
Kündigung
bedeutsame Problem, ob bei schwerwiegenden Kündigungsgründen auch mit
einer Unwiderlegbarkeitsvermutung gearbeitet werden kann, um Auswüchse des
Prognoseprinzips auf der Wiedereinstellungsebene zu vermeiden, lässt sich
beispielhaft an der Rspr. zur Kündigung wegen Alkoholsucht verdeutlichen.
Bei Vorliegen von Suchtkrankheiten handelt es sich um personenbedingte
Kündigungsgründe, da es
an einem vorwerfbaren Verhalten fehlt. Eine
verhaltensbedingte Kündigung muss daher von vornherein ausscheiden. In
manchen Fällen ist die Abgrenzung allerdings schwierig, weshalb dem
Arbeitgeber auch geraten wird, die Kündigung gegebenenfalls sowohl auf
personenbedingte, als auch auf verhaltensbedingte Gründe zu stützen.750
Die Rspr. zur Kündigung wegen Alkoholsucht wirft die Frage auf, ob bei
Suchtkrankheiten nicht die Prognose in der praktischen Konsequenz für
unwiderlegbar
gehalten
wird,
was
auf
eine
prognoseunabhängige
Kündigungsbefugnis hinausläuft. In diese Richtung argumentiert das LAG
750
Hoß, MDR 1998, 869, 870.
- 290 Schleswig-Holstein in seiner Entscheidung vom 24.07.2001751, wenn es
ausführt, es könne sich aus den Besonderheiten der Trunksucht die
Notwendigkeit ergeben, an die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung
der Alkoholabhängigkeit geringere Anforderungen zu stellen.752 Es sei Sache
des
Arbeitnehmers
darzulegen,
dass
nunmehr
tatsächlich
eine
Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass
es sich beim Alkoholismus um eine Dauerkrankheit handele. Selbst wenn es
dem Arbeitnehmer gelungen sein sollte, dauerhaft abstinent zu leben, begründe
das noch keinen Wiedereinstellungsanspruch. Ein solcher könne sich nur
ergeben, wenn der Arbeitgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand
geschaffen habe.
Damit wird freilich einem Wiedereinstellungsanspruch eine Absage erteilt. Die
mögliche Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs auf der Grundlage
eines
vom
Arbeitgeber
im
Einzelfall
gesetzten
besonderen
Vertrauenstatbestandes ist ein Gemeinplatz und geht am Problem vorbei, ob der
Antritt einer Therapie verbunden mit fortgesetzter Abstinenz für eine
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose ausreicht oder nicht.
Nach a.A. soll bereits die Kündigung unwirksam sein, wenn der Arbeitnehmer
zum Kündigungszeitpunkt therapiebereit ist. Da die Kündigung nur das letzte
Reaktionsmittel auf Vertragsstörungen ist, müsse der Kündigung z.B. wegen
Alkoholsucht stets eine Androhung der Kündigung für den Fall vorausgehen,
dass der Arbeitnehmer sich nicht in eine Entziehungskur begibt. Die Folgen der
Verweigerung eines Wiedereinstellungsanspruches in diesen Fällen würden
durch das Erfordernis der vorherigen Androhung der Kündigung abgemildert.
751
752
LAG Schleswig-Holstein (3 Sa 317/01), EzA-SD 2001, Nr 23; AuA 2001, 516, 516 f.
So auch BAG (2 AZR 210/86), AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG ( 2 AZR 123/99),
EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 2 = NZA 2000, 141, 143.
- 291 Für die wirksame, weil zuvor erfolglos angedrohte Kündigung bedürfe es keines
Wiedereinstellungsanspruchs.753
Der 2. Senat ist in seiner Entscheidung vom 17.06.1999754 aber davon
ausgegangen,
dass
die
in
der
Kündigungsfrist
durchgeführte
Entziehungstherapie zwar die ursprünglich gegebene negative Prognose
erschüttert, jedoch keine positive Prognose dahin begründet habe, die
fortbestehende Alkoholkrankheit des Klägers werde künftig nicht mehr zum
Ausbruch kommen und zu Fehlzeiten führen. Dass bei Alkoholikern auch nach
einer zunächst erfolgreichen Entziehungskur eine hohe Rückfallquote besteht,
sei allgemein bekannt und damit auch gerichtsbekannt. Der für eine geänderte,
d. h. positive Gesundheitsprognose als Voraussetzung eines eventuellen
Wiedereinstellungsanspruchs darlegungs- und beweispflichtige Kläger habe
nichts dafür vorgetragen, dass in seinem speziellen Fall kein ernstliches
Rückfallrisiko (mehr) bestehe. Nach der hier vertretenen Auffassung kann eine
positive Gesundheitsprognose wie erörtert nicht verlangt werden; maßgeblich
sind
die
Anforderungen
an
eine
Widerlegung
der
negativen
Gesundheitsprognose, die eigentlich eine Fehlzeitenprognose ist. Nach Boewer
soll die Prognose nicht allein damit widerlegt sein, dass der Arbeitnehmer nach
Ausspruch der Kündigung signalisiert, sich wegen seiner Alkoholkrankheit
therapieren zu lassen.755 Selbst für den seltenen Fall, dass eine Therapie vor
Ablauf der Kündigungsfrist bereits abgeschlossen ist, gelte wegen der hohen
Rückfallgefahr das gleiche.
Richtig ist, dass zumindest während der Kündigungsfrist der Vorgang in den
seltensten Fällen einen Abschluss gefunden haben wird, so dass der Erfolg in
Richtung auf eine gesundheitliche Stabilisierung weiterhin offen bleibt. So hat
753
BAG (2 AZR 336/90), EzA Nr. 33 zu § 1 KSchG Krankheit; Zwanziger, BB 1997, 42, 43.
754
BAG (2 AZR 639/98), SAE 2000, 93, 97.
755
Boewer, NZA 1999, 1121, 1130.
- 292 auch das LAG Hamburg756 in der dem Urteil des 2. Senats vom 17.06.1999
vorgehenden Entscheidung vom 10.02.1998 es für das Bestehen eines
Wiedereinstellungsanspruchs
ausreichen
lassen,
dass
die
negative
Gesundheitsprognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist entfällt. Dies
gelte auch für den Fall, dass ein bisher nicht therapiewilliger alkoholkranker
Arbeitnehmer sich nach Ausspruch einer Kündigung dazu entschließt, sich einer
Entzugskur
zu
unterziehen.
Ob
der
Arbeitgeber
tatsächlich
zur
Wiedereinstellung verpflichtet sei, könne nur anhand aller Umstände des
Einzelfalles entschieden werden. Zutreffend weist das LAG Hamburg darauf hin,
dass allein die nach Zugang der Kündigung getroffene Entscheidung des
Alkoholkranken, eine (in diesem Fall dreiwöchige) Entzugskur zu beginnen und
deren
tatsächliche
Durchführung
den
Kündigungsgrund
nicht
in
einer
vergleichbaren Weise entfallen lässt, wie dies z. B. bei einer betriebsbedingten
Kündigung wegen Auftragsmangels bei einem plötzlich erteilten Großauftrag
oder bei einer betriebsbedingten Kündigung wegen geplanter Betriebsstillegung
bei einer sich unvorhergesehen ergebenden und dann auch realisierten
Möglichkeit der Betriebsveräußerung der Fall ist. Die Entscheidung für eine
Entzugskur und deren Beginn berechtige zwar grundsätzlich zu der Hoffnung,
dass der Arbeitnehmer seine Alkoholkrankheit auch auf Dauer unter Kontrolle
bringen kann. Andererseits sei dies aber keineswegs gewährleistet und es
müsse in einem nicht unerheblichen Prozentsatz der Fälle mit einem Rückfall
gerechnet werden. Insofern unterscheide sich der vorliegende Fall einer
Prognoseänderung bei einer krankheitsbedingten Kündigung während des Laufs
der Kündigungsfrist auch nicht unerheblich etwa von dem Fall, dass ein wegen
hoher Fehlzeiten gekündigter Arbeitnehmer sich während der Kündigungsfrist
zur Durchführung einer Risikooperation entschließt, die erfolgreich verläuft und
unmittelbar zur Ausheilung eines Dauerleidens führt, oder dass aufgrund einer
während der Kündigungsfrist getroffenen Diagnose ein Dauerleiden nunmehr
kurzfristig erfolgreich medikamentös behandelt werden kann. Dieser Unterschied
in der Qualität der Prognoseänderung rechtfertige es allerdings nicht, bei
756
LAG Hamburg (3 Sa 40/97), LAGE § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr 2.
- 293 Alkoholkranken generell eine Wiedereinstellungspflicht zu verneinen. Vielmehr
sei nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden, ob die Prognose als
widerlegt und der Kündigungsgrund als entfallen anzusehen sei. Das LAG
Hamburg rekurriert im Rahmen einer wertenden Interessenabwägung auf die vor
der Kündigung vom Arbeitgeber hingenommenen Belastungen und nennt
beispielhaft das Bemühen des Arbeitgebers, auf den Arbeitnehmer mit der
Zielsetzung einer Stabilisierung seines Gesundheitszustandes einzuwirken, die
vom
Arbeitgeber
bereits
hingenommenen
Fehlzeiten
und
betrieblichen
Belastungen sowie eine möglicherweise gesteigerte Schutzwürdigkeit des
Arbeitnehmers. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kommt das LAG
Hamburg zu der für den Arbeitnehmer abschlägigen Entscheidung, zu der später
auch der 2. Senat gekommen ist, ohne dass es die Darlegung einer positiven
Gesundheitsprognose vom Arbeitnehmer forderte. Dem Arbeitgeber könne in
Anbetracht des Umstandes, dass er erst unmittelbar vor Ablauf der
Kündigungsfrist
im
Gütetermin
von
der
seit
16
Jahren
bestehenden
Alkoholkrankheit des Klägers und der begonnenen Entziehungskur erfuhr, kein
rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, wenn er an der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses festhalte.
Selbst wenn man für die Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
auf eine wertende Interessenabwägung757 abstellt, kann das Ergebnis jedoch
nicht davon abhängen, wie leicht oder schwer es sich der Arbeitgeber vor
Ausspruch der (ohne Zweifel wirksamen) Kündigung gemacht hat.
Konsequent wäre es, auf eine wertende Interessenabwägung auch hier zu
verzichten, da das Bemühen des Arbeitgebers, die Kündigung zu vermeiden,
nach Ausspruch einer wirksamen Kündigung keine Rolle mehr spielen kann und
den
Arbeitgeber
Bestandsschutzes
757
nach
des
Überwindung
des
Arbeitsverhältnisses
Hierzu näher Berkowsky Kündigung, § 5 Rn 19 ff.
kündigungsschutzrechtlichen
nur
noch
eine
allgemeine
- 294 Verantwortlichkeit für einen (vom Arbeitnehmer trotz aller Schwierigkeiten zu
beweisenden) Wegfall des Kündigungsgrundes trifft.
Fragt man nur nach solchen Umständen des Einzelfalles, die die ursprünglich
gerechtfertigte Fehlzeitenprognose möglicherweise entkräften könnten, so bleibt
auch kein Raum mehr für andere Überlegungen, die mit der besonderen
Problematik der Suchtkrankheiten zu tun haben. So kann es für einen
Alkoholkranken regelmäßig von nicht unerheblicher Bedeutung für eine
Stabilisierung des Heilerfolges sein, dass er nach Abschluss der Therapie einen
Arbeitsplatz hat. Das LAG Hamburg stellt hierzu fest, die Beklagte hätte
Wesentliches für den Kläger getan, wenn sie entsprechend der Anregung des
Arbeitsgerichts im Gütetermin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortgesetzt
hätte. Sie hätte damit auch ein Stück Verantwortung für die Allgemeinheit
übernommen, die neben dem Alkoholkranken die Folgen eines durch
Arbeitslosigkeit mit verursachten Rückfalls zu tragen hat. Aus den dargelegten
Umständen des vorliegenden Falles und weil der Beginn einer Entzugskur bei
einem Alkoholkranken noch keine sichere Heilung bedeutet, sei es aber nicht
gerechtfertigt, das Verhalten der Beklagten vorliegend als rechtsmissbräuchlich
einzustufen.
Die Ausführungen des 2. Senats lassen dagegen erkennen, dass er die positive
Prognose deshalb für erforderlich hielt, weil gerade in den Fällen von
Suchtkrankheiten wegen der evidenten Rückfallgefahren Unsicherheiten darüber
bestehen, wann die überaus schwer wiegende negative Prognose wirklich als
widerlegt anzusehen ist. Vom dogmatischen Ansatz her unzutreffend ist aber die
Annahme, man müsse mehr als nur die Widerlegung der negativen Prognose
fordern. Die (vollständige) Entkräftung der Fehlzeitenprognose muss auch bei
Suchtkrankheiten
ausreichen,
weil
als
Voraussetzung
anders
der
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
zutreffende
Ausgangspunkt
des
Wiedereinstellungsanspruchs aufgegeben würde.
Da dem Arbeitgeber eine gesteigerte Rücksichtnahme auf die soziale Dimension
der Alkoholkrankheit nicht zugemutet werden kann, bleibt es bei der
(abgestuften) Darlegungslast des Arbeitnehmers, der zumindest plausibel
machen
muss,
Rückfallgefahr
warum
weitgehend
die
begonnene
ausschließt.
Der
Entziehungsbehandlung
Hinweis
auf
eine
eine
bereits
abgeschlossene Maßnahme dürfte dafür regelmäßig nicht ausreichen. Insoweit
- 295 kommt es neben den begonnenen Bemühungen auf einen realistischen
Behandlungsplan an und darauf, inwieweit die behandelnden Ärzte eine
Wahrscheinlichkeit zur dauernden Alkoholkarenz als gegeben ansehen.
Gleichwohl trifft eine Widerlegung der Fehlzeitenprognose den Regelfall nicht,
da auch das uneingeschränkte Bemühen des Arbeitnehmers die Rückfallgefahr
nicht in erheblichem Maße senken dürfte. Ausnahmefälle könnten indes bei
überwundenen Lebenskrisen und einer vorbehaltlosen Herangehensweise des
Betroffenen bejaht werden. Die Fehlzeitenprognose ist dann widerlegt, wenn der
Arbeitnehmer Umstände vorträgt, die die Rückfallgefahr soweit schrumpfen
lassen, dass sie in die Nähe eines allgemeinen Lebensrisikos gerät, mit dem
ohne weiteres auch bei anderen Arbeitnehmern zu rechnen wäre. Das gilt
einmal mehr für Arbeitsplätze, die ein hohes Maß an Stress- oder
Frustrationstoleranz voraussetzen oder wenn andere betriebliche Umstände
vorliegen, die eine bestehende Krankheitsneigung verstärken könnten, so dass
eine auch betriebliche Krankheitsursache nicht völlig ausgeschlossen werden
kann.
Wegen der fehlenden Pauschalierbarkeit individueller Krankheitsbilder wäre es
dagegen verfehlt, von einer generell unwiderlegbaren Prognose auszugehen
oder eine Prognose gleich für entbehrlich zu halten. Sachgerechte Ergebnisse
lassen sich nur mit Blick auf den Einzelfall erzielen.
- 296 -
G. Grenzen der Wiedereinstellungspflicht
Der
Wiedereinstellungsanspruch
ist
denknotwendig
mit
einem
Kontrahierungszwang verbunden, stellt also einen Eingriff in die dem
Arbeitgeber von Verfassungs wegen garantierte Vertragsabschlussfreiheit dar.
Zu beachten ist auch, dass das Arbeitsverhältnis zuvor im Einklang mit der
Rechtsordnung beendet wurde. Damit die Wiedereinstellungsverpflichtung nicht
die
Grenze
zur
Unverhältnismäßigkeit
überschreitet,
bedarf
es
einer
Einschränkung des Anspruchs in sachlicher und zeitlicher Hinsicht, und zwar vor
allem dann, wenn der Arbeitgeber aus Gründen zum Vertragsschluss verpflichtet
werden soll, die nicht von ihm in zurechenbarer Weise verursacht wurden bzw.
nicht in seinen Verantwortungsbereich gehören oder ihn eine Wiedereinstellung
in der praktischen Konsequenz unverhältnismäßig hart treffen würde. Der
Arbeitnehmer
muss
sich
hingegen
mit
seinem
Interesse
an
der
Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten durchsetzen, wenn seinem
Vertragspartner die Wiedereinstellung ohne eigene wesentliche Nachteile
möglich wäre und dieser sich demgemäß obliegenheits- oder gar pflichtwidrig
verhält, wenn er gleichwohl an dem durch die wirksame Kündigung
geschaffenen Rechtszustand festhält.758
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die konkrete Ausgestaltung von
Grenzen des Wiedereinstellungsanspruchs zur Vermeidung einer vorbehaltlosen
und vollständigen Beseitigung der Kündigung von Bedeutung ist. Entsprechend
seiner rechtskonstruktiven Ausrichtung an § 1 II KSchG handelt es sich um
einen durch das vorrangige Prinzip der Rechtssicherheit begrenzten Anspruch
auf begrenzte Beseitigung der Kündigungsfolgen, weshalb einerseits die
Anspruchsentstehung durch ein objektiviertes vorrangiges Interesse des
Arbeitgebers gehindert und andererseits der ohne die Kündigung hypothetisch
bestehende Rechtszustand als Rechtsfolge des Anspruchs nicht erreicht werden
758
Vgl. Oetker, ZIP 2000, 643, 645.
- 297 kann.759 Keinesfalls darf dabei in einem wie hier für das Kündigungsschutzrecht
zentralen Bereich die Rechtsfindung allein den „Umständen des Einzelfalles“
preisgegeben werden, ohne zugleich verbindliche Maßstäbe zu schaffen.
I. Sachliche
Grenzen
Wiedereinstellungsanspruchs
des
1. Eingeschränkte Dispositionsfreiheit
Eine Wiedereinstellung wird für den Arbeitgeber dann zum Problem, wenn er –
trotz des Wegfalls des ursprünglichen Kündigungsgrundes – zum Zeitpunkt des
Wiedereinstellungsverlangens
Beschäftigungsmöglichkeit
für
nicht
den
über
Arbeitnehmer
eine
verfügt.
geeignete
Dies
kann
verschiedene Gründe haben:
Der Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer bis zu seinem Ausscheiden
beschäftigt war, ist möglicherweise mit einem externen Arbeitnehmer neu
besetzt worden oder die Arbeitsaufgaben wurden nach dem Ausscheiden des
Arbeitnehmers so verdichtet, dass sein Arbeitsplatz weggefallen ist.
Möglich ist auch, dass der Arbeitgeber durch die Neubesetzung eines anderen
zwischenzeitlich
freigewordenen
oder
neu
entstandenen
geeigneten
Arbeitsplatzes in demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb desselben
Unternehmens einer Wiedereinstellung des Arbeitnehmers auf eben diesem
anderen Arbeitsplatz zuvorkommt.760
759
760
Siehe oben unter C.VIII „Vorschlag für eine kündigungsschutzrechliche Begründung“ auf Seite
172.
Siehe oben unter E „Reichweite der Wiedereinstellungspflicht“ auf Seite 201.
- 298 -
a) Zumutbarkeit und Interessenabwägung
Der seine Wiedereinstellung verlangende Arbeitnehmer muss die Verfügbarkeit
des von ihm vor dem Ausscheiden bekleideten oder eines anderen geeigneten
gleichwertigen Arbeitsplatzes behaupten, auf dem seine Wiedereinstellung dem
Arbeitgeber möglich und zumutbar ist bzw. im Falle des zwischenzeitlichen
(erneuten) Wegfalls des Arbeitsplatzes möglich und zumutbar gewesen wäre.
Der entstandene Wiedereinstellungsanspruch ist von der weiteren Entwicklung
bis zu seiner Geltendmachung aber nicht unabhängig. Das vom BAG
befürwortete Kriterium der Zumutbarkeit lässt Raum für die Berücksichtigung
zwischenzeitlicher Dispositionen des Arbeitgebers, die zum Wegfall der
Beschäftigungsmöglichkeit
führen
und
damit
einer
Wiedereinstellung
tatbestandlich entgegenstehen.761
Existiert
ein
geeigneter
freier
Arbeitsplatz
zum
Zeitpunkt
des
Wiedereinstellungsverlangens noch, so ist der Arbeitgeber zu der ihm
zumutbaren Wiedereinstellung verpflichtet. Das gleiche gilt, wenn ein geeigneter
freier Arbeitsplatz bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entsteht.762
Ist der Arbeitsplatz aber wiederum entfallen oder ist er zwischenzeitlich
anderweitig
besetzt
worden,
so
muss
über
die
Zumutbarkeit
der
Wiedereinstellung anhand einer Interessenabwägung entschieden werden, für
die es klarer Bezugspunkte bedarf.
Der 2. Senat bringt das grundsätzlich auf die Formel, einen Anspruch auf
Wiedereinstellung habe der Arbeitnehmer nur, wenn unter Berücksichtigung der
Umstände
des
Einzelfalles
sein
schutzwertes
Interesse
an
der
Wiederherstellung des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses vor dem
761
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
762
BAG (7 AZR 891/98), NZA 2000, 894, 897.
- 299 Interesse des Arbeitgebers den Vorrang verdiene, es bei der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zu belassen.763
Ein überwiegendes Interesses des Arbeitgebers aus sachlichen Gründen ist
anzunehmen,
wenn
dieser
im
Hinblick
auf
die
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses bereits schutzwürdige Dispositionen getroffen hat.764 Im
Übrigen verdient das Interesse des Arbeitnehmers den Vorzug.
Hierfür ist wesentlich, dass sich der Wiedereinstellungsanspruch nicht in
Widerspruch zu der gesetzlichen Wertentscheidung setzen darf, wonach die
wirksame Kündigung ihre Gestaltungswirkung bereits im Zeitpunkt ihres
Zugangs entfaltet und daher auch zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses
führt. Der Arbeitgeber muss demgemäß darauf vertrauen können, dass er mit
Ablauf
der
Kündigungsfrist
von
seinen
Verpflichtungen
aus
dem
Arbeitsverhältnis frei wird und seine Privatautonomie wieder hergestellt ist. Die
vorrangige Berücksichtigung schutzwürdiger Dispositionen stellt sicher, dass die
Belastung mit einer Wiedereinstellungspflicht nur in Frage kommt, soweit der
Arbeitgeber eines Vertrauensschutzes nicht bedarf.765
b) Freie Unternehmerentscheidung und Wegfall von
Arbeitsplätzen
Eine
schutzwürdige
Disposition
kann
neben
der
Neubesetzung
von
Arbeitsplätzen auch in der Rationalisierung von Arbeitsprozessen mit der Folge
des Wegfalls von Arbeitsplätzen liegen. 766
763
764
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 760; Belling, RdA 1996, 223, 238; Walker, SAE 1998,
103, 106; Manske, FA 1998, 143, 146.
765
Raab, RdA 2000, 147, 153.
766
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 704.
- 300 Wie ein solcher Wegfall von Arbeitsplätzen erreicht wird, ist Sache freier
unternehmerischer Entscheidung. Ebenso wie bei der Kündigung selbst das
unternehmerische Konzept keiner arbeitsgerichtlichen Überprüfung zugänglich
ist, begegnet es auch keinen Bedenken, wenn sich der Arbeitgeber nach dem
Wegfall
des
ursprünglichen
Kündigungsgrundes
entschließt,
eine
beschäftigungswirksame Aufgabe in Zukunft einzustellen, zu rationalisieren oder
von einem Dritten wahrnehmen zu lassen. Selbst die Umwandlung von
Arbeitsverhältnissen in freie Mitarbeiterverhältnisse ist möglich, solange der
Kündigungsgrund entweder Bestand hat oder der Arbeitgeber im Hinblick auf
sein Entfallen jedenfalls gutgläubig ist.
Ein geändertes unternehmerisches Konzept steht also der Wiedereinstellung
von Arbeitnehmern entgegen, die – trotz obsolet gewordenem ursprünglichen
Kündigungsgrund – aufgrund dessen entbehrt werden können.
Kein geändertes unternehmerisches Konzept liegt dagegen vor, wenn sich der
Arbeitgeber nach dem Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes
entschließt, die freien unerwartet erhalten gebliebenen Arbeitsplätze nicht
wiederzubesetzen, sondern stattdessen Leiharbeitnehmer (§§ 11, 12 AÜG)
einzusetzen. Hier wäre auch eine Kündigung als sog. Austauschkündigung
sozial ungerechtfertigt. Dann kann es aber nicht hingenommen werden, dass der
Arbeitgeber
die
unerwartete
Entwicklung
hinsichtlich
zukünftiger
Beschäftigungsmöglichkeiten ausnutzt, um ein Ergebnis zu erreichen, dass im
Wege der Kündigung nicht erreichbar gewesen wäre.767
c) Dispositionen vor dem Ablauf der Kündigungsfrist
Ist nach betriebsbedingter Kündigung die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen,
so ist mit dem 2. Senat im Grundsatz davon auszugehen, dass der Arbeitgeber
regelmäßig keine schutzwürdigen Dispositionen getroffen haben kann, die die
767
Boewer, NZA 1121, 1131.
- 301 Interessenabwägung zu seinen Gunsten beeinflussen könnten.768 Vor dem
Ende des Arbeitsverhältnisses bleibt der Arbeitsplatz regelmäßig besetzt. Der
Arbeitgeber kann jedoch dann bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist über den
Arbeitsplatz disponieren, wenn der Arbeitnehmer vor dem rechtlichen Ende des
Arbeitsverhältnisses aus dem Betrieb endgültig ausgeschieden ist.
Eine rechtliche Disposition über den Arbeitsplatz ist darüber hinaus bereits vor
dem Ausscheiden des Arbeitnehmers möglich, wenn der Arbeitgeber einen
Vertrag über ein neues Arbeitsverhältnis mit späterem Eintrittstermin abschließt.
Der Arbeitgeber betätigt seine Dispositionsfreiheit und ist folglich nicht daran
gehindert, im Hinblick auf den baldigen Ersatzbedarf bereits rechtliche
Bindungen einzugehen.
d) Genereller Vorrang arbeitgeberseitiger Dispositionen oder
Pflicht zur Freikündigung bei mangelnder
Schutzwürdigkeit?
Sind im Unternehmen zum Zeitpunkt des Wiedereinstellungsbegehrens keine
gleichwertigen
Arbeitsplätze
mehr
frei,
so
wird
nur
vereinzelt
davon
ausgegangen, dass die Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs generell
ausgeschlossen sei. Insoweit wird vorgetragen, das wirksam gekündigte
Arbeitsverhältnis
genieße
keinen
Bestandsschutz
mehr,
auch
nicht
in
abgeschwächter Form.769 Demnach könne der Arbeitgeber nach Treu und
Glauben nur die Wiedereinstellung auf einen noch oder wieder freien
Arbeitsplatz verlangen. Sonst müsste ein anderer Arbeitnehmer entlassen
werden, was sich aus keinem Gesichtspunkt rechtfertigen ließe.770 Es sei für
den Arbeitgeber unzumutbar, wenn er bei seiner Auswahlentscheidung über die
Wiedereinstellung auf unerwartet erhalten gebliebene Arbeitsplätze auch noch
bzw. wieder besetzte Arbeitsplätze berücksichtigen und damit u.U. auch einen
768
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 760.
769
AR-Blattei SD – Boemke 220.10 Arbeitsvertrag – Arbeitsverhältnis Rn 170 f.
770
Zwanziger, BB 1997, 42, 45.
- 302 Arbeitsplatz freikündigen müsse, um den Wiedereinstellungsanspruch eines
bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmers erfüllen zu können. Der Arbeitgeber
sehe sich dann möglicherweise zwei Klagen ausgesetzt, die ein und denselben
Arbeitsplatz
beträfen,
nämlich
Wiedereinstellungsklage.771
Im
einer
Kündigungsschutz-
Übrigen
könnten
und
einer
erhebliche
betriebsverfassungsrechtliche Probleme entstehen, wenn der Betriebsrat sich
nicht kooperativ zeige und sowohl der Kündigung mit der Rechtsfolge des
betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 V
BetrVG als auch der Wiedereinstellung gemäß § 99 II Nr. 3 BetrVG nicht
zustimme. Die Vorteile der Möglichkeit, schon aufgrund einer Prognose
kündigen zu können, würden so teilweise wieder zunichte gemacht. 772
Diese Auffassung richtet sich gegen das Prinzip der Interessenabwägung an
sich, da hiernach die Interessen des Arbeitgebers stets den Vorrang genießen.
Jede
Disposition
über
einen
geeigneten
Arbeitsplatz
würde
den
Wiedereinstellungsanspruch vereiteln, ohne dass es auf die Schutzwürdigkeit
der Disposition ankäme. Mitunter wird angenommen, dass die Erfüllung des
Wiedereinstellungsanspruchs unmöglich geworden sei und der Arbeitnehmer
daher nur noch einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen könne, der
analog § 611a III BGB auf drei Monatsverdienste begrenzt sei.773 Die damit
einhergehende Missbrauchsgefahr ist allerdings nicht hinnehmbar. Erkennt man
einen Anspruch auf Wiedereinstellung dem Grunde nach an, so widerspricht es
diesem Ergebnis, die Verwirklichung des Anspruchs wiederum in das Belieben
des Anspruchsgegners zu stellen, obwohl der Arbeitnehmer u.U. sogar schon
ein Wiedereinstellungsverlangen an den Arbeitgeber gerichtet hat oder
zumindest dem Arbeitgeber bei Neubesetzung des Arbeitsplatzes der Wegfall
des Kündigungsgrundes und die Unkenntnis des Arbeitnehmers hiervon bekannt
ist.
771
Hergenröder, Anm. zu BAG (2 AZR 140/97), EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanpruch Nr. 3.
772
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 108.
773
KPK KSchG – Meisel, § 1 Rn 470.
- 303 Die Rspr.774 und die h. Lit.775 gehen daher zutreffend davon aus, dass eine
zwischenzeitlich
Arbeitsplatzes
vom
Arbeitgeber
schutzwürdig
sein
vorgenommene
müsse,
um
den
Neubesetzung
dem
Grunde
des
nach
bestehenden Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers zu vereiteln. Offen
bleibt dabei zunächst, welche Kriterien für die Frage nach der Schutzwürdigkeit
von Dispositionen herangezogen werden sollen und ob die Kriterien der
Schutzwürdigkeit sich vorzugsweise an den Kenntnisstand der Beteiligten
anlehnen oder nach einer wertenden Interessenabwägung richten sollen.
Verneint man die Schutzwürdigkeit einer Disposition über den Arbeitsplatz, so
muss der Umstand, dass keine Beschäftigungsmöglichkeit zur Verfügung steht,
für den Anspruch auf Wiedereinstellung außer Betracht bleiben. Damit entsteht
für den Arbeitgeber die Notwendigkeit, den vorschnell neubesetzten Arbeitsplatz
freizukündigen, um den Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers zu
erfüllen. Die dabei auftretenden Probleme dürften sich jedoch kaum als so
schwerwiegend darstellen, wie dies in der Lit. teilweise dargestellt wird. Das
Arbeitsverhältnis des neu eingestellten Arbeitnehmers ist zum Zeitpunkt der
(rechtzeitigen) Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs im Regelfall
noch nicht in seinem Bestand geschützt, da die sechsmonatige Wartefrist des §
1 I KSchG noch nicht erfüllt sein dürfte. Die behauptete Gefahr, dass der
Betriebsrat sowohl der Kündigung widerspricht als auch der Wiedereinstellung
nicht zustimmt, ist eher theoretischer Natur und relativiert sich, wenn man
bedenkt, dass ein Widerspruch des Betriebsrats gegen eine Kündigung eine
betriebliche Alltagserscheinung darstellt und ein Mitbestimmungsrecht bei der
Verwirklichung
des
Widereinstellungsanspruchs
nach
§
99
BetrVG
möglicherweise gar nicht besteht, was noch zu erörtern sein wird. Die Annahme,
dem Arbeitgeber werde die Wiedereinstellung bei Fehlen eines geeigneten
Arbeitsplatzes ohne weiteres unmöglich, trifft ebenfalls nicht zu. Der Tatbestand
774
775
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760; BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1785.
Hueck FS Hedemann, S. 150; Preis S. 455; Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 755; Meyer, NZA
2000, 297, 307.
- 304 der Unmöglichkeit setzt voraus, dass der geschuldete tatsächliche oder
rechtliche
Leistungserfolg
nicht
mehr
bewirkt
werden
kann.
Der
Wiedereinstellungsanspruch richtet sich jedoch auf die Annahme eines
Vertragsangebots und damit auf die Abgabe einer Willenserklärung. Der
Abschluss eines Arbeitsvertrages ist aber unabhängig davon möglich, ob der
Arbeitnehmer sinnvoll beschäftigt werden kann oder nicht, denn der Arbeitgeber
trägt auch sonst das Verwendungsrisiko.776
e) Schutzwürdigkeit arbeitgeberseitiger Dispositionen
(1) Schutzwürdigkeit von Dispositionen vor der Widerlegung
der kündigungsbegründenden Prognose
Nimmt
der
Arbeitgeber
kündigungsbegründenden
bereits
Prognose
vor
der
Widerlegung
Dispositionen
vor,
die
der
die
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit entfallen lassen, indem er z.B. den Arbeitsplatz
des
krankheitsbedingt
Arbeitnehmer
neu
gekündigten
besetzt
oder
Arbeitnehmers
die
mit
Arbeitsaufgabe
einem
der
externen
verbliebenen
Beschäftigten so verdichtet, dass der Arbeitsplatz wegfällt, so handelt er stets
auch im guten Glauben an den Fortbestand des Kündigungsgrundes. Eine
solche Disposition ist schutzwürdig und steht daher einer Wiedereinstellung auf
den wiederbesetzten Arbeitsplatz entgegen.
Die fort- oder wiederbestehende Beschäftigungsmöglichkeit ist grundsätzlich
Voraussetzung eines Wiedereinstellungsanspruches. Ist ein gleichwertiger
Arbeitsplatz zum Zeitpunkt des Wegfalls des Kündigungsgrundes nicht mehr
vorhanden, so wird die Interessenabwägung regelmäßig zugunsten des
Arbeitgebers
ausfallen.
Der
Arbeitgeber
kann
vor
Wegfall
des
Kündigungsgrundes grundsätzlich von der endgültigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ausgehen und entsprechende Dispositionen treffen, die
776
Raab, RdA 2000, 147, 156.
- 305 zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen.777 In diesem Fall entsteht ein
Wiedereinstellungsanspruch mit der Widerlegung der kündigungsbegründenden
Prognose gar nicht erst.
Keine Bedeutung hat diese Überlegung indes für die betriebsbedingte
Kündigung, bei der es sachlogisch keine Dispositionen vor dem Wegfall des
Kündigungsgrundes geben kann.
(2) Eingeschränkte Schutzwürdigkeit von Dispositionen nach
der Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
(a) Schutzwürdigkeit gutgläubiger Dispositionen des
Arbeitgebers
Nach dem Wegfall des Kündigungsgrundes besteht die Dispositionsfreiheit des
Arbeitgebers dagegen nicht mehr unbeschränkt. Für die Schutzwürdigkeit
solcher Dispositionen wird in Übereinstimmung mit dem 2. Senat danach zu
differenzieren sein, ob der Arbeitgeber in gutem Glauben an den Fortbestand
der Kündigungsgründe gehandelt hat oder aber bösgläubig war.778 Die im
Grundsatz
bestehende
Dispositions-
und
Vertragsabschlussfreiheit
des
Arbeitgebers genießt nicht mehr den höheren Rang gegenüber dem
Wiedereinstellungsinteresse des Arbeitnehmers, sobald sich der Arbeitgeber in
Kenntnis des Wegfalls des Kündigungsgrundes bewusst für einen externen
Arbeitnehmer und gegen den letztlich grundlos Gekündigten entscheidet.
777
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 755.
778
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997,757, 760; Ricken, NZA 1998, 460, 465.
- 306 (b) Maßstab für den guten Glauben an den Fortbestand des
Kündigungsgrundes
i)
Keine Bösgläubigkeit schon bei (grob) fahrlässiger
Unkenntnis vom Wegfall des Kündigungsgrundes – Keine
Anwendung von §§ 122 II, 932 II BGB entspr.
Offengelassen hat der 2. Senat die Frage, welcher Maßstab für die Annahme
eines guten Glaubens des anderweitig über den Arbeitsplatz disponierenden
Arbeitgebers zugrunde zu legen ist. Möglich wäre eine Anlehnung an § 122 II
BGB mit der Folge, dass bereits die fahrlässige Unkenntnis des Arbeitgebers
von der Widerlegung der Prognose und dem damit einhergehenden Wegfall des
Kündigungsgrundes eine schutzwürdige Disposition unmöglich machen würde.
Orientiert man sich dagegen an der Regelung des § 932 II BGB, so führt erst die
grob fahrlässige Unkenntnis dazu, dass die arbeitgeberseitige Disposition als
nicht vorgenommen und der von ihr betroffene Arbeitsplatz für das nachfolgende
Wiedereinstellungsverlangen weiterhin behandelt werden müsste, als sei er
noch immer unbesetzt.
ii)
Bösgläubigkeit erst bei positiver Kenntnis des Arbeitgebers
- §§ 892, 162 II BGB entspr.
Eine widerspruchsfreie Lösung erfordert wohl aber eine Anlehnung an § 892
BGB mit der Folge, dass der Arbeitgeber erst mit positiver Kenntnis vom Wegfall
des Kündigungsgrundes seine Schutzbedürftigkeit verliert. Der Grund ist darin
zu sehen, dass bereits bei der Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung nicht
entscheidend ist, ob der Arbeitgeber den Kündigungsgrund kennt, sondern nur,
ob ein solcher Kündigungsgrund objektiv vorliegt. Wenn die Rspr. aber vom
Arbeitgeber nicht die Kenntnis des Kündigungsgrundes verlangt, dann kann sie
ihm auch nicht vorhalten, wenn der Kündigungsgrund nachträglich weggefallen
ist, dass er dieses fahrlässig nicht zur Kenntnis genommen habe.779
779
Ricken, NZA 1998, 460, 465.
- 307 Den gleichen Maßstab für die Bösgläubigkeit wird man dem Rechtsgedanken
des § 162 I und II BGB entnehmen können. Der 2. Senat hat in seiner
Entscheidung vom 21.09.2000780 unter anderen Vorzeichen betont, dem
Arbeitgeber
sei
die
Berufung
auf
das
Fehlen
einer
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus dem in § 162 I und II BGB normierten
Rechtsgedanken
verwehrt,
wenn
er
diesen
Zustand
selbst
treuwidrig
herbeigeführt habe. Auch der 7. Senat hat in seiner Entscheidung vom
28.06.2000781 den Rechtsgedanken aus § 162 BGB herangezogen. Dem
Arbeitgeber könne die Berufung auf das Fehlen eines freien Arbeitsplatzes aus
dem in § 162 I und II BGB normierten allgemeinen Rechtsgedanken verwehrt
sein, nachdem niemand aus einem von ihm selbst treuwidrig herbeigeführten
Ereignis Vorteile herleiten dürfe.
Zwar kann das treuwidrige Herbeiführen eines Bedingungseintritts i.S.v. § 162 II
BGB bereits bei bloß fahrlässigem oder sogar schuldlosem Verhalten
angenommen werden.782 Da es hier jedoch um das Verhältnis zweier
Vertragspartner geht, von denen zumindest einer über die Entwicklung im Bilde
ist, kann nicht dem einen (Arbeitgeber) die treuwidrige Vereitelung der
Wiedereinstellung des anderen vorgeworfen werden, solange ihm nur
Fahrlässigkeit zur Last fällt, während der wegen angeblicher Treuwidrigkeit zu
begünstigende Vertragspartner (Arbeitnehmer) positive Kenntnis hat, ohne
seinerseits tätig zu werden. Der Wegfall des Kündigungsgrundes tritt nämlich
stets in der Sphäre einer der beiden Vertragspartner ein, der daher als erster
positive Kenntnis erlangt. Handelt es sich dabei um den Arbeitgeber, so ist er
wegen positiver Kenntnis ohne weiteres bösgläubig. Handelt es sich um den
Arbeitnehmer, so steht es ihm frei, seinem Vertragspartner positive Kenntnis zu
verschaffen,
was
er
in
der
Regel
780
BAG (2 AZR 440/99), NZA 2001, 255, 255.
781
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1782.
782
Palandt – Heinrichs, § 162 Rn 3.
mit
der
Äußerung
eines
- 308 Wiedereinstellungsverlangens tut. Unterlässt er dies, kann er daraus zu seinen
Gunsten keine treuwidrige Vereitelung einer Wiedereinstellung herleiten.
Folglich schadet dem Arbeitgeber für Dispositionen, die er nach der Widerlegung
der Prognose trifft, nur die positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen,
auf denen der Wegfall des Kündigungsgrundes beruht.783 In einer jüngeren
Entscheidung des 7. Senats findet sich denn auch zutreffend der Maßstab der
positiven Kenntnis für die Bösgläubigkeit des Arbeitgebers.784
(c) Schutzwürdigkeit von Dispositionen nach betriebsbedingter
Kündigung oder generelle Bösgläubigkeit?
Versteht man nun zutreffend „Gutgläubigkeit“ im Sinne von „positiver Kenntnis“
für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit von Dispositionen, so führt das im
Bereich der betriebsbedingten Kündigung dazu, dass jede Disposition über
unvorhergesehen erhalten gebliebene oder neu entstandene Arbeitsplätze nicht
schutzwürdig ist und folglich für den Wiedereinstellungsanspruch außer Betracht
bleiben muss.
Eine Neubesetzung kann erst erfolgen, nachdem wieder Arbeitsplätze vakant
werden, nachdem also der betriebliche Grund für die Kündigung entfallen ist. Zu
diesem Zeitpunkt besteht der Wiedereinstellungsanspruch aber bereits, denn die
Verpflichtung, einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen, entsteht im Zeitpunkt
des Wegfalls des Kündigungsgrundes.785
Der Arbeitgeber, der eine Neubesetzung des betriebsbedingt freigekündigten
Arbeitsplatzes vornimmt, weiß um die tatsächlichen Voraussetzungen, die den
Wegfall des Kündigungsgrundes bedingen, denn er weiß, dass sich entweder
die Prognose des Wegfalls des Arbeitsplatzes oder die des Fehlens einer
783
Senne, AuA 1992, 301, 302; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578.
784
BAG (7 AZR 891/98), NZA 2000, 894, 894.
785
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241; vom Stein, RdA 1991, 85, 88.
- 309 anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestätigt hat. Er ist also in bezug
auf den Wiedereinstellungsanspruch bösgläubig. Folglich ist die von im
vorgenommene Disposition in keinem Fall schutzwürdig.786 Der nach
betriebsbedingter Kündigung entstehende Einstellungsbedarf hinsichtlich eines
aus der Sicht des Gekündigten funktional gleichwertigen Arbeitsplatzes kann
daher nur im Wege der Wiedereinstellung des Gekündigten gedeckt werden.787
So verbietet schließlich die Natur des betriebsbedingten Kündigungsgrundes
zwischenzeitlich anderweitige Dispositionen über erhalten gebliebene oder neu
entstandene Arbeitsplätze788, wovon erkennbar auch der 2. Senat in seiner
grundlegenden Entscheidung vom 27.02.1997789 ausgeht.
Der Arbeitgeber vereitelt damit die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers
bösgläubig und kann sich auf die Neubesetzung des Arbeitsplatzes nicht
berufen, wenn er nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung und Wegfall des
Kündigungsgrundes einen erhalten gebliebenen geeigneten Arbeitsplatz mit
einem
externen
oder
einem
weniger
schutzbedürftigen
gekündigten
Arbeitnehmer wieder besetzt, ohne zuvor dem gekündigten Arbeitnehmer die
Möglichkeit einer Wiedereinstellung gegeben zu haben.
Es
bleibt
festzuhalten,
dass
vor
dem
Wegfall
des
betriebsbedingten
Kündigungsgrundes Dispositionen unmöglich (keine Beschäftigungsmöglichkeit)
und nach diesem Zeitpunkt nicht schutzwürdig sind (generelle Bösgläubigkeit
des
den
Beschäftigungsbedarf
Wiedereinstellung
nach
erkennenden
betriebsbedingter
Arbeitgebers).
Kündigung
Für
spielt
die
ein
Dispositionsschutz durch Einstellung externer Arbeitnehmer folglich keine Rolle.
786
So i.E. auch Furier, AiB 1999, 246, 248.
787
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578; Raab, RdA 2000, 147, 156.
788
Boewer, NZA 1999, 1121, 1131.
789
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
- 310 (d) Vorrang „bösgläubiger“ Rationalisierungskonzepte
Es fragt sich aber, wie im Hinblick auf die Bösgläubigkeit des Arbeitgebers
Rationalisierungsmaßnahmen zu beurteilen sind, die dafür sorgen, dass der
zunächst entfallene Kündigungsgrund doch wieder eintritt. Auch die positive
Kenntnis vom Wegfall des Kündigungsgrundes hindert den Arbeitgeber nicht
daran,
durch
freie
unternehmerische
Entscheidung
ein
(neues)
Rationalisierungskonzept zu verfolgen, in dem der Gekündigte dauerhaft keinen
Platz mehr findet.790 Der Arbeitgeber schafft vor oder nach dem Wegfall des
ursprünglichen Kündigungsgrundes so praktisch einen Auffangkündigungsgrund.
Ein Wegfall des Kündigungsgrundes tritt dann gar nicht erst ein oder ist lediglich
vorläufiger Natur.
Nach
betriebsbedingter
Kündigung
wird
das
eine
(gescheiterte)
unternehmerische Konzept gegen ein anderes ausgetauscht, das dem
Gekündigten ebenfalls keine Weiterbeschäftigung ermöglicht. Denkbar ist ein
solches Vorgehen aber auch nach anderen (entfallenen) Kündigungsgründen,
bspw. wenn nach Wegfall des krankheitsbedingten Kündigungsgrundes und
Kenntnisnahme durch den Arbeitgeber der geeignete Arbeitsplatz eingespart
wird. Es fehlt hier schlicht an einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, weshalb
ein Wiedereinstellungsanspruch regelmäßig gar nicht erst zur Entstehung
gelangt.
An
das
Vorliegen
eines
solchen
ernst-
und
dauerhaften
Rationalisierungskonzepts sind dabei die gleichen strengen Anforderungen zu
stellen wie für die betriebsbedingte Kündigung.
Anders
liegt
es
nur,
wenn
für
einen
Zwischenzeitraum
von
einer
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auszugehen war. Dann ist ein Anspruch auf
Wiedereinstellung dem Grunde nach entstanden mit der Konsequenz, dass man
den Arbeitgeber für verpflichtet halten könnte, den Arbeitnehmer hierüber zu
790
Die Anforderungen an ein solches Konzept sind für das Betriebsübergangsrecht bereits
eingehend
erörtert
worden
unter
F.II.3.c)
„Sanierungsnotwendigkeit
und
Wiedereinstellungspflicht“ auf Seite 232.
- 311 informieren (Aufklärungspflicht) und sich auf ein Angebot des Arbeitnehmers auf
Abschluss
eines
neuen
(Wiedereinstellungspflicht).
verwirklicht,
so
ist
Arbeitsvertrages
Wird
der
der
auch
einzulassen
Wiedereinstellungsanspruch
Arbeitgeber
bei
erneutem
Wegfall
darauf
des
Kündigungsgrundes auf eine erneute Kündigung verwiesen. Wird der Anspruch
bis zum erneuten Wegfall des Kündigungsgrundes nicht verwirklicht, ist aber der
Arbeitgeber mit der Aufklärungs- oder der Wiedereinstellungspflicht in
Schuldnerverzug
geraten,
so
entstehen
Schadensersatzansprüche
nach
allgemeinen Regeln.
Mithin
genießen
Rationalisierungskonzepte
als
freie
unternehmerische
Entscheidungen stets den Vorrang gegenüber einem entgegenstehenden
Wiedereinstellungsinteresse des Arbeitnehmers, unabhängig davon, ob der
Arbeitgeber noch gut- oder bereits bösgläubig ist. Der Mangel des guten
Glaubens
zwingt
lediglich
zur
richtigen
Auswahlentscheidung
unter
verschiedenen Arbeitnehmern, wenn nach dem Willen des Arbeitgebers ohnehin
eine Einstellung ansteht. Demgegenüber wird die unternehmerische Freiheit in
ihrem Kernbereich nicht angetastet.
f)
Pflicht zur „umfassende Interessenabwägung“?
In Rspr.791 und Lit.792 wird z.T. eine umfassende Interessenabwägung
befürwortet, innerhalb derer
die für oder gegen die Schutzwürdigkeit einer
arbeitgeberseitigen Disposition sprechenden Umstände des Einzelfalles gemäß
dem Grundsatz von Treu und Glauben gewichtet werden sollen. Eine den
Arbeitgeber unangemessen belastende Ausdehnung seiner Fürsorgepflicht gelte
es
dadurch
zu
vermeiden,
dass
im
Rahmen
einer
umfassenden
Interessenabwägung zu prüfen sei, ob der Arbeitnehmer schutzbedürftig sei und
tatsächlich ein überwiegendes Interesse an der Wiedereinstellung habe und der
791
792
BAG (1 AZR 29/55), BAGE 3, 332, 338; LAG Köln (4/2 Sa 860/88), DB 1989, 1475, 1476, BAG
(7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1782.
Hambitzer, Diss. S. 84 f; Oetker, ZIP 2000, 1787, 1788 f; Kukat, BB 2001, 576, 578.
- 312 Arbeitgeber andererseits nicht schon betriebliche Maßnahmen getroffen habe,
die eine Wiedereinstellung nahezu unmöglich machen.793 Auch komme es für
die Frage nach einer Informationspflicht über einen erhalten gebliebenen
Arbeitsplatz
oder
eine
unvorhergesehen
sich
ergebende
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit gemäß § 242 BGB jeweils auf die Umstände des
Einzelfalles an.794 Unabhängig vom Kenntnisstand des Arbeitgebers zum
Zeitpunkt der anderweitigen Disposition könne es stets auch andere legitime
Gründe für eine Interessenabwägung zu seinen Gunsten geben.795 In diesen
Fällen sei dem Arbeitgeber die Wiedereinstellung unzumutbar. Die Zumutbarkeit
wird
danach
als
eigenständige
Anspruchsvoraussetzung
des
Wiedereinstellungsanspruchs begriffen.796
Das für eine Ausrichtung am Einzelfall bemühte Kriterium der Zumutbarkeit ist
indes ein unbestimmter Rechtsbegriff von hohem Abstraktionsniveau, aus dem
sich
keine
subsumtionsfähige
Aussage
ableiten
lässt.797
Das
Zumutbarkeitskriterium und das Gebot einer umfassenden Interessenabwägung
meinen schließlich das gleiche.798
Um der Gefahr einer Abwägung nach bloßen Billigkeitsgesichtspunkten
vorzubeugen, bedarf es der Festschreibung konkreter sachlicher und zeitlicher
Grenzen, die als negative Anspruchsvoraussetzungen dem Anspruch Kontur
geben. So erlauben die dargestellten sachlichen Grenzen eine sachgerechte
Entscheidung im Einzelfall, die keines weiteren Korrektivs bedarf. Es ist keine
Notwendigkeit
ersichtlich,
daneben
noch
eine
eigenständige
Interessenabwägung zu befürworten, will man nicht die Rechtssicherheit und –
793
LAG Hamburg (2 Sa 90/89), DB 1991, 1180, 1180.
794
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1782.
795
Oetker, ZIP 2000, 1787, 1789.
796
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 757.
797
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 578.
798
Vgl. Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241.
- 313 klarheit für beide Seiten relativieren.799 Auch Überlegungen zu besonderen
Fallgestaltungen lassen sich schließlich hinreichend konkretisieren, damit sich
eine unbestimmte wertende Gesamtabwägung erübrigt.
2. Betriebsbedingte Kündigung mehrerer Arbeitnehmer Wiedereinstellung nach sozialen Gesichtspunkten?
a) Problemstellung
Wurde mehreren Arbeitnehmern gekündigt und sind einige vergleichbare und
funktional austauschbare Arbeitsplätze weggefallen, andere dagegen bestehen
geblieben, so stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber frei entscheiden kann,
welchen Arbeitnehmern er die Wiedereinstellung anbietet oder ob er unter den
Arbeitnehmern, denen eine Wiedereinstellung dem Grunde nach zusteht, eine
sachgerechte Auswahl treffen muss.
Für den seine Wiedereinstellung verlangenden Arbeitnehmer sind solche
anderweitigen
Beschäftigungsmöglichkeiten
vergleichbar,
die
ihm
arbeitgeberseits in Ausübung des Direktionsrechts durch Um- oder Versetzung
zugewiesen werden könnten.800 Nicht gleichwertig sind Arbeitsplätze, auf denen
der Arbeitnehmer nur mit Hilfe einer Änderungskündigung beschäftigt werden
könnte oder solche höherwertigen Arbeitsplätze, die eine Beförderung
erforderlich machen.801
Das Problem der Sozialauswahl wird nach wirksamer betriebsbedingter
Kündigung praktisch, wenn das neue unternehmerische Konzept dazu führt,
dass nur ein Teil der freigekündigten Arbeitsplätze entgegen der ursprüngliche
799
800
801
Kritisch auch Senne, AuA 1992, 301, 303.
BAG (2 AZR 580/88), BAGE 62, 116, 123; BAG (2 AZR 369/89), BAGE 65, 61, 76; LAG Hamm
(12 Sa 1150/00), LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 35 m.w.N; BAG (2 AZR 142/99), BB
2000, 1148, 1148; Gaul, BB 1995, 2422, 2422.
BAG (2 AZR 327/94), BB 1995, 732, 732; Tschöpe, BB 2000, 2630, 2632; Pollmann Diss., S.
26 ff, 156; Lammermann Diss., S. 71 ff, 244; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, 13 Rn 152.
- 314 Planung erhalten bleibt und deshalb neu zu besetzen ist. Besetzt der
Arbeitgeber die unerwartet erhalten gebliebenen Arbeitsplätze mit zuvor wirksam
gekündigten Arbeitnehmern, ohne dass ihm dabei wegen einer nicht
sachgerechten Personalauswahl ein Vorwurf zu machen ist, so bleibt der
Kündigungsgrund in Gestalt des endgültigen Wegfalls von Arbeitsplätzen für die
übrigen nicht berücksichtigten Arbeitnehmer bestehen. Für diese entsteht ein
Anspruch auf Wiedereinstellung also gar nicht erst.
Bejaht man dagegen die Notwendigkeit einer Sozialauswahl und wird die
Wiedereinstellungsentscheidung des Arbeitgebers den mit ihr verbundenen
Qualitätsanforderungen nicht gerecht, so kann sich grundsätzlich jeder sozial
schutzwürdigere Arbeitnehmer auf die fehlerhafte Sozialauswahl berufen,
solange der Arbeitgeber sie nicht korrigiert hat.
Will
der
Arbeitgeber
bei
seiner
Wiedereinstellungsentscheidung
den
Anforderungen an eine sachgerechte Sozialauswahl entsprechen, so steht er
einerseits vor dem Problem, welchen Anforderungen die Sozialauswahl zu
genügen hat, nämlich entweder § 1 III KSchG analog oder lediglich den §§ 315,
242 BGB. Andererseits muss der Arbeitgeber wissen, welche Gruppe von
Arbeitnehmern in die Sozialauswahl mit einzubeziehen ist, nämlich entweder nur
die für eine Wiedereinstellung in Betracht kommenden Arbeitnehmer oder
darüber hinaus auch die im Betrieb verbliebenen Beschäftigten.
b) Entwicklung der Rspr.
Der 2. Senat hat zunächst durch seine Entscheidungen vom 15.3.1984802 und
vom 21.02.1985803 eine analoge Anwendung des § 1 III KSchG auf den
Wiedereinstellungsanspruch, allerdings für die Situation nach Ablauf der
Kündigungsfrist, abgelehnt. Das geltende Arbeitsrecht kenne weder eine
802
BAG (2 AZR 24/83), NZA 1984, 226, 227.
803
BAG (2 AZR 311/84), DB 1985, 1746, 1746 = JuS 1987, 893, 893.
- 315 „sozialwidrige Einstellung“ noch eine „sozial ungerechtfertigte Nichteinstellung“.
Anders
als
bei
der
Beendigung
habe
bei
der
Begründung
eines
Arbeitsverhältnisses der Grundsatz der Vertragsfreiheit den Vorrang vor der
Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte. Eine entsprechende Anwendung des
§ 1 III KSchG bei Einstellungen würde auf eine unzulässige Rechtsfortbildung
hinauslaufen, für die es im geltenden Recht keine erweiterungsfähigen Ansätze
gebe.
Dagegen wurde zu Recht eingewandt, der Arbeitgeber betätige bei der
Befriedigung des Wiedereinstellungsanspruchs nicht seine Vertragsfreiheit,
sondern erfülle ein rechtliches Gebot, weshalb auch soziale Gesichtspunkte zu
berücksichtigen seien.804 Der Arbeitgeber sei zumindest an das Willkürverbot
gebunden.805
Das LAG Köln806 vertritt den Standpunkt, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl
soziale Gesichtspunkte (Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen)
deshalb berücksichtigen müsse, weil seine Fürsorgepflicht bei den sozial
schutzwürdigeren Arbeitnehmern stärker ausgeprägt sei.
Inzwischen lässt der 2. Senat807 ausdrücklich offen, ob an der Ablehnung einer
analogen Anwendung des § 1 III KSchG überhaupt oder unter welchen weiteren
Voraussetzungen festgehalten werden könne und betont statt dessen, selbst
wenn § 1 III KSchG nicht entsprechend anzuwenden sei, sei der Arbeitgeber in
seiner Auswahlentscheidung nicht völlig frei. Er sei verpflichtet, soziale Belange
der
betroffenen
Arbeitnehmer
mit
zu
berücksichtigen.
Erst
die
Auswahlentscheidung des Arbeitgebers konkretisiere, welchem Arbeitnehmer
ein Wiedereinstellungsanspruch zu versagen sei und welche der vom
804
Mummenhoff, SAE 1985, 305, 308.
805
Mummenhoff, SAE 1985, 305, 307; Mummenhoff, JuS 1987, 893, 896.
806
LAG Köln (4/2 Sa 860/88), DB 1989, 1475, 1476.
807
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 704; BAG (2 AZR 757/98), NZA 2000, 531, 533 f.
- 316 Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigungen damit im Ergebnis zur Entlassung
der betroffenen Arbeitnehmer führe. Es sei in der Rspr.808 inzwischen
anerkannt,
dass
eine
derartige
Auswahlentscheidung
des
Arbeitgebers
zumindest entsprechend § 315 I BGB nach billigem Ermessen zu treffen sei
und, um nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen, ohne
Vorrang
der
betrieblichen
Interessen
soziale
Belange
angemessen
berücksichtigen müsse.
Soweit die betroffenen Arbeitnehmer für eine Weiterbeschäftigung innerhalb des
geänderten Unternehmenskonzepts gleichermaßen geeignet sind, könne der
Arbeitgeber nicht frei wählen, welchem der gekündigten Arbeitnehmer er die
nach wie vor bestehenden Arbeitsplätze anbiete. Er habe vielmehr, wenn auf
derartige Fälle nicht überhaupt § 1 III KSchG analog anzuwenden sei,
zumindest unter den betroffenen Arbeitnehmern eine den §§ 242, 315 BGB
genügende Auswahlentscheidung anhand betrieblicher Belange und sozialer
Gesichtspunkte vorzunehmen.809 Die jüngere Rspr. des 2. Senats macht
deutlich, dass dieser der Frage nach dem Maßstab der Sozialauswahl keine
wesentliche Bedeutung beimisst: Bei der Auswahl der wiedereinzustellenden
Arbeitnehmer
habe
Betriebszugehörigkeit
der
Arbeitgeber
und
als
soziale
Unterhaltspflichten
Gesichtspunkte
der
Arbeitnehmer
Alter,
zu
berücksichtigen; es könne dabei dahinstehen, ob die Berücksichtigung sozialer
Belange bei der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers nur dem Maßstab der
§§ 242, 315 BGB genügen müsse oder an den schärferen Anforderungen des §
1 III KSchG zu messen sei.810
Der 7. Senat vertritt die Auffassung, dass der Arbeitgeber bei der von ihm zu
treffenden Auswahlentscheidung lediglich an die Generalklauseln gebunden sei.
808
BAG (2 AZR 320/94), AP Nr. 66 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG (2 AZR
1019/94), AP Nr. 55 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BAG (8 AZR 914/93), BAGE 79,
128, 136.
809
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 704.
810
BAG (2 AZR 757/98), ZIP 2000, 676, 678.
- 317 Der Arbeitgeber habe anhand betrieblicher Belange und sozialer Gesichtspunkte
eine den §§ 242, 315 BGB genügende Auswahlentscheidung zu treffen. Die
Frage, ob aus der Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers die Verpflichtung
zur Wiedereinstellung gerade eines bestimmten Arbeitnehmers folge, lasse sich
nicht allein nach den Kriterien des § 1 III KSchG, sondern gemäß § 242 BGB nur
unter
Berücksichtigung
sämtlicher
Umstände
des
jeweiligen
Einzelfalls
beantworten.811 Die Grundsätze des § 1 III KSchG ließen sich nicht ohne
weiteres auf den Wiedereinstellungsanspruch übertragen, denn es gehe anders
als in § 1 III KSchG nicht darum, wem gegenüber die einseitige
rechtsgestaltende Kündigungserklärung abzugeben bzw. zu unterlassen ist,
sondern mit welchem Arbeitnehmer ein Vertrag zu schließen ist, der nicht nur
eine Willenserklärung des Arbeitgebers, sondern auch die des Arbeitnehmers
voraussetze, weshalb ohnehin nur die Arbeitnehmer in Betracht kämen, die dem
Arbeitgeber gegenüber ihren Willen zur Wiedereinstellung bekundet haben. Für
den Sonderfall des Wiedereinstellungsanspruchs nach unvorhergesehenem
Betriebsübergang hat sich auch der 8. Senat dem angeschlossen.812
Soweit ersichtlich, hat sich das BAG in keinem Fall die Mühe gemacht, mögliche
Unterschiede in der Anwendung von § 1 III KSchG und den §§ 315, 242 BGB für
die Wiedereinstellung praktisch aufzuzeigen. Des gleichen wurde auch das
Problem
der
Vergleichsgruppe
für
die
Sozialauswahl
noch
nicht
entscheidungserheblich. Die Auswirkungen dürften dennoch von einigem
Gewicht sein, da gerade beim unerwarteten Betriebsübergang nach Ausspruch
von Stillegungskündigungen eine erhebliche Zahl von Arbeitnehmern betroffen
sein kann.
811
812
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1782 und 1785; nachfolgend auch LAG Berlin (6 Sa
2799/00), LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr 59.
BAG (8 AZR 265/97), ZIP 1999, 670, 672.
- 318 -
c) Maßstab der §§ 315, 242 BGB
Auch
in
der
Lit.
wird
verschiedentlich
die
Überprüfung
anhand
der
Generalklauseln der §§ 315 und 242 BGB als vorzugswürdig angesehen.813 Als
wesentliches Argument wird angeführt, dass das arbeitsvertragliche Band zuvor
rechtmäßig gelöst wurde, weshalb eine dem § 1 III KSchG vergleichbare
Situation nicht gegeben sei.814
d) Maßstab des § 1 III KSchG analog
Im Unterschied zu der aufgezeigten Tendenz der Rspr. und eines Teils des
Schrifttums
in
Generalklauseln
Richtung
unter
auf
eine
Überprüfung
Berücksichtigung
der
lediglich
jeweiligen
anhand
der
Umstände
des
Einzelfalles will ein beträchtlicher Teil des Schrifttums815 die Grundsätze über
die Sozialauswahl bei Kündigungen gemäß § 1 III KSchG auf den
Wiedereinstellungsanspruch analog anwenden, wobei sich wie auch bei der
Kündigungsentscheidung
die
Frage
stellt,
ob
betriebliche
Interessen
ausschließlich im Rahmen von § 1 III 2 KSchG zu berücksichtigen sind, was die
h.M.816 folgerichtig bejaht. Die Gegenauffassung817 will die Sozialauswahl nach
813
814
815
816
817
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757; Senne, AuA 1992, 301, 303; Otto FS Kraft (1998), 451, 466;
Oetker, ZIP 2000, 643, 651; Kukat, BB 2001, 576, 577.
Oetker, ZIP 2000, 643, 651.
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241 f; Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611
BGB Einstellungsanspruch Nr. 1; Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757; Zwanziger, BB 1997, 42,
43; Nägele, BB 1998, 1686, 1688; Hergenröder, Anm. zu BAG (2 AZR 140/97), EzA § 1
KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 3; Manske, FA 1998, 143, 147; Boewer, NZA 1999,
1177, 1179; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 579; Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 107 f; Günzel,
DB 2000, 1227, 1229;
KR – Etzel, § 1 KSchG Rn 569; ErfK – Preis, § 613a BGB Rn 111; HK KSchG –
Weller/Dorndorf, § 1 Rn 947; Kittner/Däubler/Zwanziger - Zwanziger, § 613a BGB Rn 129;
Kiel/Koch, Rn 864.
BAG (2 AZR 21/82), EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21; BAG (2 AZR 61/83),
EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33; BAG (2 AZR 140/84), EzA § 1 KSchG
Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35;
Dudenbostel, DB 1984, 826, 828; Boewer, NZA 1999, 1177, 1179; KR – Becker, § 1 KSchG
Rn 360 m.w.N.
Buchner, DB 1984, 504, 508 f.
- 319 § 1 III 1 KSchG durch Berücksichtigung weiterer betrieblicher Interessen
relativieren, was allerdings auf eine Aushöhlung der anerkannten Sozialkriterien
hinausläuft.818
Die analoge Anwendung von § 1 III KSchG führt insbesondere zur
Berücksichtigung
der
Sozialkriterien
Alter,
Betriebszugehörigkeit
und
Unterhaltspflichten. Nur zwingende betriebliche Erfordernisse ließen eine von
sozialen Gesichtspunkten abweichende Auswahl nach § 1 III 2 KSchG zu. Dies
hätte den Vorteil, dass eigene Kriterien für die soziale Auswahl bei der
Wiedereinstellung, wie sie bei einer Anwendung der §§ 242, 315 BGB notwendig
wären,
nicht
entwickelt
werden
müssten.819
Da
es
dem
Wiedereinstellungsanspruch darum geht, den kündigungsschutzrechtlichen
Bestandsschutz wieder aufleben zu lassen, drängt sich außerdem die Parallelität
zur Sozialauswahl bei der Kündigungsentscheidung geradezu auf.820
Der
Wiedereinstellungsanspruch
steht
zwar
rechtskonstruktiv
einer
Neueinstellung näher als einer Kündigung, weil ein neuer Arbeitsvertrag
abgeschlossen wird. Da sich aber der Wiedereinstellungsanspruch zur
Rechtspflicht des Arbeitgebers verdichtet hat, handelt es sich hinsichtlich der
arbeitnehmerseitigen Erwartung auf tatsächliche Beschäftigung um eine der
Kündigung vergleichbare Interessenlage.821 Preis822 will indes § 1 III KSchG
818
Buchner, NZA 1984, 504, 508 f, begründet diese Auffassung damit, § 1 III 1 KSchG setze nur
voraus, dass soziale Gesichtspunkte „ausreichend berücksichtigt“ werden, was noch lange
nicht impliziere, dass allein nach diesem Gesichtspunkt zu entscheiden sei. Es müsse
verhindert werden, dass der Betrieb nach einem Personalabbau bezüglich Altersstruktur und
Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter hinter dem bisherigen Bild der Belegschaft zurückbleibt.
Wollte man aber dem Vorschlag von Buchner entsprechend dem Arbeitgeber bei
Massenkündigungen eine unbestimmte Befugnis zur Nichtberücksichtigung der Sozialkriterien
einräumen, so bestünde im Gegenteil die Gefahr, dass sich der Arbeitgeber gerade vom
leistungsschwächeren Teil der Belegschaft löst. Hinweise für einen praktikablen Mittelweg gibt
Buchner nicht.
819
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 108.
820
Boewer, NZA 1999, 1177, 1179.
821
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 579.
822
Preis, Anm. zu LAG (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1.
- 320 nur vor dem Ablauf der Kündigungsfrist analog anwenden und betont, bei
derartig eng begrenzten Anspruchssituationen gehe es im Kern noch um
Bestandsschutz und nicht schon um Wiedereinstellung. Nach Ablauf der
Kündigungsfrist sei der Arbeitgeber hinsichtlich einer Neubegründung des
Arbeitsverhältnisses freier.
e) Kein freies Ermessen
Schließlich
wird
Betriebsübergang
noch
sei
die
Auffassung
jegliche
Pflicht
vertreten,
zur
nach
unerwartetem
Sozialauswahl
bei
der
Wiedereinstellung abzulehnen, um den Erwerber nicht mit sämtlichen Risiken
einer
fehlerhaften
Auswahl
zu
belasten
und
damit
eine
erhebliche
Rechtsunsicherheit zu schaffen. Die Wiedereinstellung stehe im freien
Ermessen des Arbeitgebers. Stelle der Arbeitgeber den „falschen“ Arbeitnehmer
ein und klage der „richtige“ Arbeitnehmer auf Wiedereinstellung, so müsste
ansonsten der Erwerber dem zu Unrecht abgelehnten Arbeitnehmer für den
gesamten Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 615 BGB den
Annahmeverzugslohn zahlen, weil es sich aufgrund der Ex-Tunc-Wirkung des
Wiedereinstellungsanspruchs in diesen Fällen um eine nahtlose Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses handele.823 Wie noch zu zeigen sein wird, muss eine ExTunc-Wirkung des Wiedereinstellungsanspruchs jedoch ausscheiden. Würde
man die Wiedereinstellung beliebiger Arbeitnehmer zulassen, so wäre zudem
der
vom
KSchG
intendierte
Bestandsschutz
gerade
für
die
sozial
schutzbedürftigeren Arbeitnehmer für die Wiedereinstellungsfrage qualitativ in
sein Gegenteil verkehrt. Der Wiedereinstellungsanspruch wäre ein Anspruch der
sozial stärksten, womit dem Arbeitgeber erlaubt wäre, was schon der 2. Senat in
seiner grundlegenden Entscheidung vom 27.02.1997 verhindert wissen wollte,
823
Raab, RdA 2000, 147, 162.
- 321 nämlich im Ergebnis praktisch den sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers zu
„versilbern“.824
f)
Vergleichsgruppe der Sozialauswahl
Neben dem Maßstab der Sozialauswahl stellt sich auch die Frage nach der
Vergleichsgruppe von Arbeitnehmern, die in eine solche Auswahl einzubeziehen
sind.
Meinel/Bauer825 wollen hierzu einen Vergleich mit der Situation eines
hypothetischen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses heranziehen. Hätte der
Arbeitgeber auf die Kündigung verzichtet, die Widerlegung der Prognose
abgewartet und erkannt, dass unerwartet die Beschäftigungsmöglichkeit nicht für
alle Arbeitnehmer, sondern nur für einen Teil entfällt, so wäre eine
Sozialauswahl zur Kündigung der Arbeitnehmer erforderlich geworden, die
demnach tatsächlich endgültig entbehrt werden können. Hierbei hätte nicht nur §
1 III KSchG direkt Anwendung gefunden, sondern die Sozialauswahl hätte sich
auch auf die vergleichbare Gesamtbelegschaft gerichtet. Die durch den
Wiedereinstellungsanspruch korrigierte Fehlprognose dürfe nun zu keinem
anderen Ergebnis führen, deshalb sei nicht nur § 1 III KSchG entsprechend
anzuwenden, sondern als Bezugspunkt der Prüfung sei auch auf die
Gesamtbelegschaft abzustellen, nicht nur auf die gekündigten Arbeitnehmer.
Nach
der
Gegenauffassung
Sozialauswahl
gehören
in die
die
gekündigten
ausschließlich
Vergleichsgruppe
Arbeitnehmer,
für
die
deren
Kündigungsgrund nachträglich entfallen ist826 und die dem Arbeitgeber
gegenüber ihren Willen zur Wiedereinstellung bekundet haben827, weil sonst die
824
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
825
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 579.
826
827
So i.E. auch Günzel, DB 2000, 1227, 1229, der als Argument aber lediglich anführt, die
unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers dürfe nicht ausgehöhlt werden.
Tschöpe, BB 2000, 2630, 2636.
- 322 allein in den Kündigungsschutzprozess gehörende Frage nach der richtigen
Sozialauswahl bei der Kündigung im Wiedereinstellungsprozess erneut
aufgegriffen würde.828
g) Stellungnahme
(1) Sozialauswahl analog § 1 III KSchG
Durch die Verwirklichung des Wiedereinstellungsanspruchs muss die personelle
Situation wieder herstellbar sein, die sich auch ergeben hätte, wenn die weitere
Entwicklung nach Ausspruch der Kündigung bereits von Anfang an zutreffend
prognostiziert und letztlich überflüssige Kündigungen vermieden worden wären.
So ist z.B. eine (wegen Betriebsfortführung oder Betriebsübergangs) obsolet
gewordene Absicht zur Betriebs(teil)stillegung nach Art einer „als-ob“Betrachtung völlig außer Acht zu lassen.829 Hierfür bedarf es der Anwendung
von § 1 III KSchG analog als Maßstab für die Sozialauswahl. Damit kann
zumindest idealtypisch eine personelle Ergebnisgleichheit erreicht werden, die
es
rechtfertigt,
von
einer
„Korrektur“
der
Prognose
mit
Hilfe
des
Wiedereinstellungsanspruchs zu sprechen. Da es hier letztlich um die
Anspruchsinhaberschaft als solche
und nicht bloß um die inhaltliche
Ausgestaltung des Anspruchs geht, kann der Maßstab kein anderer sein als für
die Kündigungsentscheidung. Anders könnte der Wiedereinstellungsanspruch
seine Funktion als individualrechtliches Korrektiv der Prognosekündigung nicht
erfüllen, da er einzelnen Arbeitnehmern entgegen den Wertungen des KSchG
gänzlich vorenthalten bliebe.830
828
Boewer, NZA 1999, 1177, 1179.
829
So i.E. wohl auch Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 107.
830
Deshalb kann hiergegen auch nicht das Wesen des Wiedereinstellungsanspruchs als
Anspruch auf nur begrenzte Aufhebung der Kündigungswirkungen eingewandt werden. Der
Anspruch verwirklicht seine Funktion nämlich auf individualrechtlicher Ebene, weshalb
sachgerechte Ergebnisse im Einzelfall erzielt werden müssen. Eine Abweichung von
kündigungsschutzrechtlichen Regeln darf deshalb nicht zu einem Totalausschluss einzelner
Arbeitnehmer von der Anspruchsinhaberschaft führen.
- 323 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es anders als bei § 1 III KSchG in
seiner direkten Anwendung nicht darum geht, wem gegenüber die einseitige
rechtsgestaltende Kündigungserklärung abzugeben bzw. zu unterlassen ist,
sondern mit welchem Arbeitnehmer ein Vertrag zu schließen ist, der nicht nur
eine Willenserklärung des Arbeitgebers, sondern auch die des Arbeitnehmers
voraussetzt. Daher kommen für die Auswahlentscheidung grundsätzlich ohnehin
nur die Arbeitnehmer in Betracht, die dem Arbeitgeber gegenüber ihren Willen
zur Wiedereinstellung bekundet haben831 oder dies mangels Kenntnis vom
Wegfall des Kündigungsgrundes aus dem Einfluss- und Verantwortungsbereich
des Arbeitgebers noch nicht tun konnten. Für eine Sozialauswahl außer Betracht
bleibt, wer eine Wiedereinstellung erklärtermaßen nicht will.
Die personelle Situation, die bestünde, wenn die weitere Entwicklung nach
Ausspruch der Kündigung bereits von Anfang an zutreffend prognostiziert und in
weiser Voraussicht auf letztlich überflüssige
Kündigungen verzichtet worden
wäre, wird so also in aller Regel im Ergebnis nicht erreicht, sie muss jedoch bei
idealtypischem Verlauf denkbar bleiben.
(2) Regelmäßig keine Einbeziehung der Gesamtbelegschaft
in die Sozialauswahl – Vergleich unter den für eine
Wiedereinstellung in Betracht kommenden Arbeitnehmern
Die Sozialauswahl kann sich schon aus sachlogischen Gründen ausschließlich
auf die wirksam gekündigten Arbeitnehmer beziehen. Eine Einbeziehung auch
der
nicht
gekündigten
Arbeitnehmer
würde
zu
einer Neuauflage
des
Kündigungsschutzprozesses führen und zu einer Austauschkündigung dort
zwingen, wo gemäß § 7 KSchG auch eine stimmige Sozialauswahl
unwiderlegbar vermutet wird. Findet sich nämlich unter den im Betrieb
verbliebenen Arbeitnehmern ein sozial weniger schutzwürdiger funktional
austauschbarer Arbeitnehmer, so war bereits die Kündigung unwirksam. Eine
fehlerhafte Sozialauswahl, die der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess
831
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1785.
- 324 geltend zu machen versäumt hat, kann nicht über eine Wiedereinstellungsklage
nochmals auf die Tagesordnung gesetzt werden.832 Eine Einbeziehung der
Gesamtbelegschaft in die soziale Auswahl bei der Wiedereinstellung ist
entgegen der Auffassung von Meinel/Bauer833
regelmäßig auch gar nicht
erforderlich, um eine personelle Ergebnisgleichheit mit dem Fall einer späteren
Kündigung aufgrund bestätigter Prognose noch erzielen zu können. Da die
Gesamtbelegschaft bereits bei der sozialen Auswahl im Zeitpunkt der
Kündigungsentscheidung berücksichtigt wird, impliziert die Wirksamkeit der
Kündigung als Ausgangspunkt des Wiedereinstellungsanspruchs bereits, dass
es sich bei den gekündigten Arbeitnehmern zum Zeitpunkt der Kündigung um
die sozial weniger schutzbedürftigen unter den funktional austauschbaren
Arbeitnehmern handelt. Folglich bedarf es auch nur noch einer Auswahl unter
den gekündigten Arbeitnehmern, die für eine Wiedereinstellung in Frage
kommen.
(3) Ausnahmsweise Einbeziehung der Gesamtbelegschaft in
die Sozialauswahl bei zunächst beabsichtigter
Betriebsstillegung mit der Konsequenz einer fehlenden
Sozialauswahl im Kündigungszeitpunkt
Insoweit anders zu beurteilen ist aber der Wiedereinstellungsanspruch nach
einer Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstillegung und anschließendem
unerwarteten Betriebsübergang. Da allen Arbeitnehmern der betrieblichen
Einheit gekündigt wird, erübrigt sich insoweit eine Sozialauswahl bei der
Kündigung.
Vielmehr
findet
Wiedereinstellungsentscheidung
erstmals
statt,
eine
wenn
die
Einstellung aller vormals Beschäftigten ausreichen.
832
Boewer, NZA 1999, 1177, 1179.
833
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 579.
Sozialauswahl
bei
der
Arbeitsplätze
nicht
zur
- 325 Da sich die Reihenfolge der Kündigungen nach der Länge der Kündigungsfristen
bestimmt, wird gerade den sozial schwächeren Arbeitnehmern, die regelmäßig
über eine längere Kündigungsfrist verfügen, zuerst gekündigt.
Demgemäß könnte man für die Wiedereinstellung eine soziale Auswahl unter
sämtlichen Arbeitnehmern für erforderlich halten. Sie würde auch diejenigen
Arbeitnehmer mit einbeziehen, denen bis zu dem Zeitpunkt, in dem der
Betriebsübergang greifbare Formen annahm, noch nicht gekündigt war und
folgerichtig auch nicht mehr wirksam gekündigt werden konnte. Dies sind gerade
die sozial am wenigsten schutzbedürftigen Arbeitnehmer mit der kürzesten
Kündigungsfrist. Deshalb lässt sich eine Einbeziehung der Gesamtbelegschaft in
diesem Fall nicht vermeiden, was eine Freikündigung von besetzten
Arbeitsplätzen
(Austauschkündigung)
erforderlich
machen
kann.
Die
Gesamtbelegschaft ist also dann Vergleichsgruppe für die Sozialauswahl, wenn
die Kündigungsentscheidung von einer Sozialauswahl unabhängig war, weil der
Arbeitgeber ein Stillegungskonzept verfolgte und daher die sukzessive
Kündigung sämtlicher Arbeitnehmer plante, jedoch die letzten Kündigungen
nicht mehr erklären konnte, weil sich zuvor schon der Betriebsübergang (oder
auch die Fortführbarkeit des Betriebes in eigener Regie) abzeichnete.
(4) Gegenausnahme in den Fällen des Betriebsübergans
durch willentliche Einstellung eines wesentlichen Teils
der Belegschaft des Funktionsvorgängers
Für
den
Sonderfall
des
Wiedereinstellungsanspruchs
nach
willentlicher
Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft werden dagegen
diejenigen Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl mit einbezogen, durch deren
willentliche
Einstellung
der
Funktionsnachfolger
den
Betriebsübergang
überhaupt erst ausgelöst hat. Zwar erfordert auch hier die Kündigung wegen
beabsichtigter Betriebsstillegung keine Sozialauswahl, weshalb auf den ersten
Blick die Interessenlage die gleiche zu sein scheint wie beim klassischen
Betriebsübergang. Jedoch folgt hier ein anderes Ergebnis aus der Überlegung,
- 326 dass mit der Übernahme des wesentlichen Teils der Belegschaft privatautonom
Arbeitsverhältnisse
begründet
wurden.
Die
dabei
betätigte
Vertragsabschlussfreiheit darf nicht nachträglich dadurch entwertet werden,
dass für die Wiedereinstellung auch die Arbeitsverhältnisse in die Sozialauswahl
mit einbezogen werden, die den Betriebsübergang erst ausgelöst haben.834 Der
Arbeitgeber würde sonst seine Vertragsabschlussfreiheit gleich in zweifacher
Weise bereuen müssen. Zum einen durch die Auslösung des Betriebsübergangs
mittels Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des
Personals und danach ein weiteres Mal durch den Zwang zur Kündigung
übernommener weniger schutzwürdiger Arbeitnehmer. Dies erscheint nicht
sachgerecht, nachdem als Konsequenz des Betriebsübergangs bereits der
Zwang entstanden ist, die bisherigen Arbeitsbedingungen auch für die
übernommenen Arbeitnehmer wieder einzuführen.835 Bei Einbeziehung der
Gesamtbelegschaft würde man schlimmer noch einer Konfusion das Wort reden,
wenn der Wiedereinstellungsanspruch in der Rechtsfolge seinen eigenen
Tatbestand beseitigen würde, weil ausgerechnet denjenigen Arbeitnehmern im
Wege der Austauschkündigung wieder gekündigt werden müsste, durch deren
freiwillige Einstellung der Betriebsübergang erst ausgelöst worden war.
(5) Sozialauswahl ohne Rücksicht auf unterschiedliche
Entgeltansprüche oder Sozialanwartschaften
Einer Einbeziehung funktional austauschbarer Arbeitnehmer stehen auch nicht
etwa unterschiedliche Entgeltansprüche oder Sozialanwartschaften entgegen.
Insbesondere
eine
erhebliche
Gehaltsdifferenz
zwischen
den
Arbeitsplatzinhabern vor der Kündigung steht einer Wiedereinstellung des
schutzwürdigeren besser bezahlten Arbeitnehmers auf dem anderen (unerwartet
erhalten gebliebenen oder neu entstandenen) Arbeitsplatz nicht entgegen. Eine
solche Gehaltsdifferenz wird nämlich oft gerade auf dem höheren Lebensalter
834
835
Raab, RdA 2000, 147, 164.
Vgl. oben unter F.II.3.b)(6) „Kritische Würdigung des Betriebsübergangs in den Fällen der
Funktionsnachfolge“ auf Seite 229.
- 327 und der damit meist einhergehenden größeren Berufserfahrung, also auf dem
sozialen
Gesichtspunkt
als
solchem
beruhen.
An
der
funktionalen
Austauschbarkeit der Arbeitnehmer und der Zumutbarkeit der Wiedereinstellung
des schutzwürdigeren von ihnen ändert ein höherer Gehaltsanspruch nichts.836
Der Arbeitgeber hat also bei der Wiedereinstellung soziale Gesichtspunkte nach
Maßgabe des § 1 III KSchG analog zu berücksichtigen und dabei regelmäßig
nur die für eine Wiedereinstellung in Betracht kommenden gekündigten
Arbeitnehmer,
im
Ausnahmefall
aber
die
Gesamtbelegschaft,
in
die
Sozialauswahl mit einzubeziehen.
h) Darlegungs- und Beweislast
Im Wiedereinstellungsrechtsstreit trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und
Beweislast dafür, dass ein wieder eingestellter Arbeitnehmer unter sozialen
Gesichtspunkten vor dem Kläger vorrangig zu berücksichtigen war.837
3. Fehlerhafte
Disposition
Austauschkündigungsbefugnis
und
a) Konsequenzen fehlerhafter Dispositionen
Eine Austauschkündigung wird erforderlich, wenn eine arbeitgeberseitige
Disposition über den Arbeitsplatz als nicht schutzwürdig gelten muss, gleich, ob
ein externer Arbeitnehmer bösgläubig eingestellt oder ein zuvor gekündigter
Arbeitnehmer unter Verletzung von § 1 III KSchG analog wieder eingestellt
wird.838
Der
Arbeitgeber
kann
den
fehlerhaft
besetzten
Arbeitsplatz
betriebsbedingt freikündigen und unter den ihre Wiedereinstellung wegen
836
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1781 f.
837
LAG Bremen (4 Sa 114/97 + 117/97), DB 1998, 1338, 1338 f.
838
Ähnlich Preis Prinzipien, S. 356; Kiel/Koch, Rn 868.
- 328 vorrangiger
sozialer
Schutzbedürftigkeit
verlangenden
funktional
austauschbaren Arbeitnehmern den sozial schutzwürdigsten wieder einstellen.
Solange der Arbeitgeber nach bösgläubiger Einstellung eines externen
Arbeitnehmers sich zur eigentlich gebotenen Wiedereinstellung nicht bereit
erklärt hat, kann sich jeder für diesen Arbeitsplatz geeignete Arbeitnehmer, der
dem Grunde nach einen Anspruch auf Wiedereinstellung hat, darauf berufen.
Solange der Arbeitgeber nach freiwilliger Wiedereinstellung seine fehlerhafte
Sozialauswahl nicht korrigiert hat, kann sich jeder Arbeitnehmer auf einen
Wiedereinstellungsanspruch berufen, der sozial schutzwürdiger ist als einer der
wieder eingestellten Arbeitnehmer, für dessen Arbeitsplatz er ebenfalls
funktional in Betracht kommt.
Verlangen mehrere Arbeitnehmer die Wiedereinstellung auf einen fehlbesetzten
Arbeitsplatz, so verlieren die übrigen Arbeitnehmer ihren Anspruch, sobald der
Arbeitgeber
unter
Beachtung
der
Sozialauswahl
die
ihn
treffenden
Wiedereinstellungsgebote erfüllt hat. Die Ansprüche sind insoweit von
vornherein auflösend bedingt durch die Korrektur der fehlerhaften Sozialauswahl
(arg. e § 158 II BGB). Der Arbeitgeber ist dabei zur Austauschkündigung
berechtigt, aber nicht verpflichtet. Er kann eine fehlerhafte Einstellung bzw.
Wiedereinstellung auch korrigieren, indem er demjenigen Arbeitnehmer eine
zusätzliche Einstellung ermöglicht, der eigentlich hätte wieder eingestellt werden
müssen.
b) Recht zur Austauschkündigung
Hingegen
wird
die
Austauschkündigung
z.T.
als
für den
Arbeitgeber
unzumutbares Risiko angesehen, das es deshalb als Konsequenz eines
Wiedereinstellungsanspruchs zu vermeiden gelte.839 Die Notwendigkeit einer
Austauschkündigung ist in diesen Fällen indes unvermeidbar. Sie ist die logische
839
Bartel, SAE 1998, 318, 318.
- 329 Folge des nur eingeschränkten Dispositionsschutzes. So hat auch der 2. Senat
in seiner Entscheidung vom 21.09.2000840 unter anderen Vorzeichen die
Gefahr einer möglichen Belastung des Arbeitgebers mit einem zweiten
Arbeitsverhältnis auf einem Arbeitsplatz nicht für generell untragbar gehalten
und ausgeführt, gegen die Gefahr, im Kündigungsschutzprozess zu unterliegen
und dann u.U. neben dem bisherigen Stelleninhaber auch die Ersatzkraft
beschäftigen zu müssen, hätte sich der Arbeitgeber in geeigneter Weise (z.B.
durch befristeten Arbeitsvertrag mit der Ersatzkraft) absichern müssen.
Der gleiche Senat betont allerdings in seiner Entscheidung vom 18.10.2000841
wiederum in anderem Zusammenhang, dass mit § 1 II 2 Nr. 1 b) KSchG die
Möglichkeit einer Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz vorausgesetzt
werde, dieser also unbesetzt sein müsse, während andererseits eine
Austauschkündigung mit dem Ziel der Übernahme eines Betriebsratsmitglieds
nach Teilstillegung in eine andere Betriebsabteilung desselben Unternehmens
zur Wahrung von Mandat und demokratischer Legitimation des Betriebsrats
zulässig sein soll, um dem Schutzzweck des § 15 V KSchG zu entsprechen.
Die Lit. äußert sich z.T. ablehnend gegenüber einer Freikündigungspflicht
sowohl im Bereich des § 1 KSchG als auch im Sonderfall des § 15 KSchG. Das
Merkmal „freier Arbeitsplatz“ erscheine in beiden Fällen nicht im Gesetz, weil es
selbstverständlich sei. Es sei nicht die Aufgabe der Gerichte, im Wege der
Rechtsfortbildung eine Freikündigungspflicht zu entwickeln.842
Damit ist die Frage nach einer Austauschkündigung zur Verwirklichung der
Wiedereinstellungspflicht jedoch noch nicht vorgeprägt. Richtig ist, dass die
Vorschrift des § 1 II 2 Nr. 1 b) KSchG, nämlich die Pflicht zur
Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Wege der Versetzung
840
BAG (2 AZR 440/99), NZA 2001, 255, 258 f.
841
BAG (2 AZR 494/99), SAE 2002, 1, 3.
842
Wank, SAE 2002, 7, 8 f.
- 330 als milderes Mittel gegenüber der Kündigung, einen freien Arbeitsplatz
voraussetzt. Insoweit muss auch eine Freikündigung ausscheiden. Ist ein
solcher freier Arbeitsplatz aber nicht vorhanden, stellt sich das Problem der
Sozialauswahl nach § 1 III KSchG nach zutreffender h.M.843 unter allen
funktional
austauschbaren
Arbeitnehmern,
gleich,
ob
sie
von
der
Unternehmerentscheidung unmittelbar betroffen sind, also beispielsweise in der
stillzulegenden
Betriebsabteilung
gearbeitet
haben,
oder
nicht.
In
die
Sozialauswahl mit einbezogen werden also auch Arbeitnehmer, deren
Arbeitsplatz von der Unternehmerentscheidung nicht betroffen wird, die
beispielsweise in einer anderen Betriebsabteilung arbeiten, deren Arbeitsplatz
aber im Wege der Umsetzung auch von einem geeigneten Arbeitnehmer aus der
stillzulegenden Betriebsabteilung besetzt werden könnte. Die Gegenansicht844
nimmt zu Unrecht einen teleologischen Zusammenhang mit der Konsequenz an,
dass sich die Sozialauswahl auf diejenigen Arbeitnehmer beschränkt, deren
verrichtete Tätigkeit Gegenstand der unternehmerischen Entscheidung ist.
Damit
werden
die
kündigungsschutzrechtlichen
Konsequenzen
des
arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgabengebietes und das Direktionsrecht des
Arbeitgebers
vernachlässigt
und
die
Sozialauswahl
unangemessen
eingeschränkt. § 1 III 2 KSchG nimmt Rücksicht auf berechtigte betriebliche
Bedürfnisse.
Wo
solche
nicht
vorhanden
sind,
besteht
auch
kein
durchgreifendes Argument für eine weitere Einschränkung der Sozialauswahl.
Die
Freikündigung
von
Arbeitsplätzen
ist
also
ein
Normalfall
des
Kündigungsschutzrechts, wenn beispielsweise im Rahmen der Sozialauswahl
nach § 1 III KSchG einem sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer aus
einer anderen Betriebsabteilung gekündigt wird, damit ein schutzwürdigerer
Arbeitnehmer aus der stillzulegenden Abteilung dorthin umgesetzt werden kann.
Diese
Grundwertung
bleibt
Wiedereinstellungsanspruchs
Entstehung
des
auch
erhalten,
wenn
auf
der
Wiedereinstellungsanspruchs
der
Ebene
Arbeitgeber
nach
bösgläubig
843
KR- Etzel, § 1 KSchG Rn 631 m.w.N.; MünchArbR II – Berkowsky, § 139 Rn 33 ff.
844
Wank, SAE 2002, 7, 10.
des
der
über
- 331 Beschäftigungsmöglichkeiten anderweitig disponiert oder die Kriterien der
Sozialauswahl bei der Wiedereinstellung nicht berücksichtigt.
Die
Austauschkündigungsbefugnis
beruht
auf
einem
betriebsbedingten
Kündigungsgrund, da der Arbeitgeber einem Kontrahierungszwang ausgesetzt
ist. Dieser schafft ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung, weil
die Weiterbeschäftigung des fehlerhaft neu eingestellten Arbeitnehmers, für den
sich eine Beschäftigungsmöglichkeit in Zukunft nicht mehr finden lässt, nach den
Wertungen des KSchG nicht hingenommen werden braucht. Durch die
(bevorstehende) Realisierung der den Arbeitgeber treffenden Einstellungspflicht
entfällt also die Beschäftigungsmöglichkeit für den fehlerhaft eingestellten
Arbeitnehmer. Die erforderliche Austauschkündigung ist eine Kündigung wie
jede andere und unterliegt daher auch dem Mitbestimmungsrecht nach § 102
BetrVG. Die mit der gegebenenfalls bestehenden Notwendigkeit einer
Austauschkündigung einhergehende Gefahr einer zeitweisen „personellen
Überforderung“ des Arbeitgebers ist ein unternehmerisches Alltagsrisiko, nicht
anders als die Gefahr, den allgemeinen oder den betriebsverfassungsrechtlichen
Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 V BetrVG bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Kündigungsrechtsstreits erfüllen zu müssen.845
Nach der Logik der Wiedereinstellungspflicht unter gleichzeitiger Gewährung
einer Austauschkündigungsbefugnis ausgeschlossen ist es dagegen, dem
Arbeitgeber zu erlauben, dem wieder eingestellten Arbeitnehmer sogleich wieder
zu kündigen, weil keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Das Recht,
gegebenenfalls eine betriebsbedingte Kündigung gegenüber dem wieder
eingestellten Arbeitnehmer auszusprechen, erwirbt der Arbeitgeber erst wieder,
wenn er zuvor einen auf Dauer angelegten Arbeitsplatz für diesen Arbeitnehmer
geschaffen
hat,
sei
es
durch
eine
Austauschkündigung
oder
durch
Neueinrichtung eines weiteren Arbeitsplatzes. Entfällt dieser wiederum,
845
Vgl. oben unter G.I.1.d) „Genereller Vorrang arbeitgeberseitiger Dispositionen oder Pflicht zur
Freikündigung bei mangelnder Schutzwürdigkeit“ auf Seite 301.
- 332 bestehen gegen eine betriebsbedingte Kündigung des wieder Eingestellten
keine Bedenken.
c) Rechte des von der Austauschkündigung betroffenen
Arbeitnehmers
Unzutreffend ist der Einwand, das Geschehen dürfe sich nicht unmittelbar
zulasten eines Dritten, nämlich des neu eingestellten und wieder zu
kündigenden Arbeitnehmers, auswirken.846 Für den Dritten handelt es sich um
ein aus der Arbeitgebersphäre stammendes Risiko, dass sich meist ohnehin auf
die Probezeit beschränken wird und daher bei fehlendem Kündigungsschutz
nicht erheblich ins Gewicht fällt. Gegen eine Kündigungsberechtigung spricht
auch nicht etwa, dass der Arbeitgeber die nicht schutzwürdige Neubesetzung
des Arbeitsplatzes zu verantworten hat, weil sie seinem Risikobereich angehört.
Für derartige Überlegungen bietet das KSchG keine Grundlage, denn
maßgeblich ist die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit; dass eine solche
entfällt, wird im Falle eines anderweitigen
Kontrahierungszwangs nicht zu
bestreiten sein.
Statt dessen wird man den Arbeitgeber nach nicht schutzwürdiger Disposition
und Austauschkündigung für verpflichtet halten müssen, dem neu eingestellten
Arbeitnehmer wegen Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht aus den §§ 241 II,
311 II Nr. 1, 280 I, 249 BGB das negative Interesse847 zu ersetzen, weil der
bösgläubige Arbeitgeber nicht darauf hatte vertrauen dürfen, dass die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses des zuvor gekündigten Arbeitnehmers
Bestand haben würde. Die erforderliche Pflichtverletzung besteht in der
unterbliebenen Aufklärung des Bewerbers über das Risiko einer späteren
betriebsbedingten Kündigung, falls ein für den Arbeitsplatz in Frage kommender
Arbeitnehmer später seine Wiedereinstellung verlangt. Der Ersatzanspruch für
846
847
So Belling, RdA 1996, 223, 238.
Löwisch, NZA 2001, 465, 467; Begründung des Regierungsentwurfs zu § 280 I (BT-Drucks.
14/6040).
- 333 den
hierdurch
adäquat-kausal
verursachten
Schaden
deckt
dann
die
Konsequenzen aus der Eingehung des Arbeitsverhältnisses ab. So kann
beispielsweise der Schaden erfasst werden, der dem gekündigten Arbeitnehmer
dadurch entsteht, dass er ein bestehendes Arbeitsverhältnis gekündigt oder ein
anderes Vertragsangebot ausgeschlagen hat.848 Kein Schadensersatzanspruch
entsteht dann, wenn der neu eingestellte Arbeitnehmer bei Vertragsschluss die
tatsächlichen Umstände gekannt hat, aus denen sich das Risiko einer
betriebsbedingten Austauschkündigung ergibt, also über den Umstand des
entfallenen Kündigungsgrundes des vormaligen Arbeitsplatzinhabers aufgeklärt
wurde.
4. Mitbestimmung nach § 99 I BetrVG?
Umstritten ist, ob eine Wiedereinstellung als „Einstellung“ der Mitbestimmung
des Betriebsrats nach § 99 I 1 Alt. 1 BetrVG unterliegt. Das BAG hat sich zu
dieser Frage noch nicht geäußert.
Zum Teil wird angenommen, ein Anwendungsfall des § 99 I BetrVG sei vom
Schutzzweck her nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber den Anspruch des
Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung realisiert und damit lediglich ein rechtliches
Gebot erfüllt.849
Die ein Mitbestimmungsrecht bejahende Lit.850 geht dagegen davon aus, dass
der Arbeitnehmer in Vollzug des Wiedereinstellungsanspruchs neu in den
Betrieb eingegliedert und damit der mitbestimmungspflichtige Tatbestand der
Einstellung verwirklicht werde.
848
849
850
Ähnlich Raab, RdA 2000, 147, 156 f.
Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 116; Hambitzer, Diss., S. 145 f; Kleinebrink, FA 1999, 138,
140; Kukat, BB 2001, 576, 577.
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 758; Nägele, BB 1998, 1686, 1689; Furier, AiB 1999, 246, 249.
- 334 Ziemann851 will für den Anwendungsbereich des § 99 BetrVG differenzieren:
Handele es sich um die Verwirklichung des Wiedereinstellungsanspruchs im
engeren Sinne, also die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses durch
Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages, soll der Anwendungsbereich des § 99 I
BetrVG eröffnet sein. Wenn dagegen der sog. Fortsetzungsanspruch verwirklicht
werde, worunter Ziemann den Anspruch auf ununterbrochene Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses durch vertragliche Aufhebung der Kündigungsfolgen
versteht, so bestehe keine Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung des
Verfahrens nach § 99 BetrVG.
Eine Einstellung i.S.v. § 99 I BetrVG liegt vor, wenn Personen in den Betrieb
eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten
Arbeitnehmern
den
arbeitstechnischen
Zweck
des
Betriebes
durch
weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen.852
Nun kann man annehmen, die Situation einer (erneuten) „Eingliederung“ in den
Betrieb könne zumindest dann von vornherein nicht entstehen, wenn der
Arbeitnehmer den Betrieb nicht verlassen hat, weil der Kündigungsgrund noch
während des Laufs der Kündigungsfrist entfallen ist und sich der Arbeitgeber zur
Weiterbeschäftigung - u.U. bis zur Klärung eines Wiedereinstellungsanspruchs
– bereit erklärt hat.853
Die Gegenauffassung854 führt an, der Betriebsrat sei ja auch bei der
Fortsetzung eines befristeten Arbeitsverhältnisses über den Beendigungstermin
und bei einer Weiterbeschäftigung über die vertraglich vereinbarte Altersgrenze
hinaus zu beteiligen, da der Arbeitgeber hier eine neue Entscheidung über die
851
852
Ziemann, MDR 1999, 716, 720.
BAG (1 ABR 9/94), DB 1995, 382, 382; BAG (1 ABR 74/96), NZA 1997, 1297, 1297; BAG (1
ABR 63/97), NZA 1998, 1352, 1353 f.
853
Boudon, BAG (7 AZR 557/96), EWiR 1998, 323, 324.
854
Kaiser, ZfA 2000, 205, 234 (dort auch FN 117).
- 335 Besetzung
des
treffe855.
Arbeitsplatzes
Dann
könne
aber
für
den
Wiedereinstellungsanspruch ein Mitbestimmungsrecht erst recht nicht verneint
werden.
Ob der Arbeitnehmer zwischenzeitlich den Betrieb verlassen hatte oder nicht,
wäre indes belanglos, wenn ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 I BetrVG schon
aus anderen Gründen prinzipiell zu verneinen wäre.
Der im Falle des Wiedereinstellungsanspruchs einem Kontrahierungszwang
unterliegende
Arbeitgeber
kann
der
tatsächlichen
Eingliederung
eines
Arbeitnehmers praktisch nicht ausweichen.856 Dies gilt einmal mehr im Falle
einer rechtskräftigen Verurteilung gemäß § 894 ZPO.
In den Fällen,
Neubesetzung
in denen ein Arbeitsplatz wegen nicht schutzwürdiger
erst
freigekündigt
werden
muss,
droht
außerdem
eine
Zustimmungsverweigerung aufgrund von § 99 II Nr. 3 BetrVG, weil „die
Besorgnis besteht, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb
beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden“. Der hierauf folgende Konflikt vor
dem Arbeitsgericht (§ 99 IV BetrVG) ist überflüssig, wenn sich das ArbG (wie
meist)
bereits
mit
der
Frage
nach
dem
Bestehen
eines
Wiedereinstellungsanspruchs zu beschäftigen hatte.
Probleme können darüber hinaus z.B. auch in Fällen der Verdachtskündigung
auftauchen. Dass der Arbeitnehmer von dem Verdacht gereinigt ist, mag
Auffassung des Arbeitsgerichts und gegebenenfalls auch des Strafgerichts sein.
Die
sich
an
den
Betriebsrat
wendende
Belegschaft
sieht
das
aber
möglicherweise anders. Geht es um vermeintliche oder wechselseitige
Tätlichkeiten
855
856
oder
Beleidigungen,
so
könnte
sich
der
Betriebsrat
als
Richardi BetrVG, § 99 Rn 34 f; FKHE BetrVG § 99 Rn 36 f; DKK BetrVG – Kittner, § 99 Rn 45;
Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG - Schlochauer, § 99 Rn 23; Stege/Weinspach BetrVG, §
99-101 Rn 19 ff.
Oetker, ZIP 2000, 643, 652.
- 336 Interessenvertretung der De-facto-Belegschaft auf § 99 II Nr. 6 BetrVG berufen
und damit den (beigelegten) Konflikt erneut auf die Tagesordnung setzen.
Von diesen praktischen Problemen abgesehen ist zu bedenken, dass der
Wiedereinstellungsanspruch seiner Schutzrichtung nach darauf abzielt, den
kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz wiederaufleben zu lassen, womit
ein
der
Feststellung
der
Unwirksamkeit
der
Kündigung
vergleichbarer
Sachverhalt vorliegt, bei dem die tatsächliche Beschäftigung im Betrieb lediglich
unterbrochen worden ist.857 Trifft den Arbeitgeber ein Kontrahierungszwang, so
fehlt es zudem an dem von § 99 I BetrVG teleologisch vorausgesetzten
Entscheidungsspielraum. Vergleichbar ist die Verpflichtung des Arbeitgebers zur
Weiterbeschäftigung von Jugend- und Auszubildendenvertretern nach § 78a
BetrVG, für die ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht zu verneinen ist.858
Entsprechendes
ist
auch
für
die
vom
Arbeitnehmer
erzwungene
Weiterbeschäftigung während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses
anerkannt.859 Eine mitbestimmungspflichtige „Einstellung“ i.S.v. § 99 I BetrVG
ist daher zu verneinen, wenn ein Gesetz die Entstehung oder Fortsetzung eines
Arbeitsverhältnisses vorschreibt.860
Zu Recht überwiegen daher die eine Mitbestimmung verneinenden Stimmen.861
Das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG kann auch aus seinem
Zweckzusammenhang heraus in den Fällen des Wiedereinstellungsanspruchs
857
Boewer, NZA 1999, 1177, 1182.
858
FKHE BetrVG, § 99 Rn 43; Boewer, NZA 1999, 1177, 1182.
859
FKHE BetrVG, § 99 Rn 39; Richardi BetrVG, § 99 Rn 42.
860
Oetker, ZIP 2000, 643, 652.
861
Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 116; Langer, NZA 1991, Beil. 3, 23, 29; Boewer, NZA 1999,
1177, 1182; Oetker, ZIP 2000, 643, 652;
Hambitzer Diss., S. 145 f; Richardi BetrVG, § 99 Rn 42; MünchArbR III – Matthes, § 344 Rn
21; GK-BetrVG – Kraft, § 99 Rn 20, 31; FKHE BetrVG, § 99 Rn 38; DKK BetrVG – Kittner, § 99
Rn 47.
- 337 nicht anerkannt werden. Dort, wo der Arbeitgeber nichts zu bestimmen hat, hat
auch der Betriebsrat nichts mitzubestimmen.862
5. Wiedereinstellung
trotz
Abwicklungsvertrag
Abkehrvereinbarung / Abfindungsvergleich
/
a) Bedeutung für den Wiedereinstellungsanspruch
Die Problematik um den Wiedereinstellungsanspruch verschärft sich, wenn der
Arbeitnehmer sich nach Ausspruch der Kündigung auf vertraglicher Ebene mit
dem Arbeitgeber über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und seine
Abwicklung einigt. Im Unterschied zum Aufhebungsvertrag kann hier die
Grundkonstellation des Wiedereinstellungsanspruchs vorliegen, wenn nach
wirksamer Kündigung der Kündigungsgrund entfällt.
Wenn aber schon die wirksame Kündigung der Wiedereinstellung nicht im Wege
steht, dann könnte in diesen Fällen jedenfalls die vertragliche Einigung einen
späteren Wiedereinstellungsanspruch ausschließen.
Der
Abwicklungsvertrag
dient
der
Abwicklung
des
gekündigten
Arbeitsverhältnisses.863 Er enthält regelmäßig eine Klageverzichtserklärung
Der
Begriff
gegen
einen
entsprechenden
Abfindungsanspruch.864
„Abkehrvereinbarung“ bezeichnet ebenfalls Verträge, durch die nach erfolgter
Arbeitgeberkündigung noch während des Laufs der Kündigungsfrist das
Arbeitsverhältnis (regelmäßig gegen Zahlung einer Abfindung) einverständlich
mit sofortiger Beendigungswirkung aufgehoben wird.
862
GK-BetrVG – Kraft, § 99 Rn 31; FKHE BetrVG, § 99 Rn 38; vgl. DKK BetrVG – Kittner, § 99 Rn
47.
863
Schiefer, DB 2000, 669, 669.
864
ArbG Düsseldorf (7 Ca 4497/99), DB 2000, 2022, 2022.
- 338 Ein „Abfindungsvergleich“ schließlich dient der Beilegung des Streits über die
Wirksamkeit
einer
Kündigung
und
führt
als
Prozessvergleich
zur
vergleichsweisen Erledigung des Kündigungsrechtsstreits.
Sinnvollerweise
bietet
sich
der
Begriff
„Abwicklungsvertrag“
als
zusammenfassende Bezeichnung für sämtliche Verträge an, die nach einer
Arbeitgeberkündigung
eine
einvernehmliche
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses herbeiführen und damit die Unsicherheit über die
Wirksamkeit der Kündigung beheben, gleich ob dies unmittelbar im Anschluss
an eine arbeitgeberseitige Kündigung oder erst später vergleichsweise im
Kündigungsrechtsstreit geschieht.865 Voraussetzung ist aber stets, dass
entweder die Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses noch nicht abgelaufen oder aber die Kündigungsschutzklage
erhoben worden ist. Nur dann handelt es sich um eine in bezug auf das
Arbeitsverhältnis und den Kündigungsschutz relevante Verzichtsleistung des
Arbeitnehmers, die die Frage aufwirft, ob trotzdem noch eine Wiedereinstellung
in Betracht kommt. Regelmäßig nur unter dieser Voraussetzung verfügt der
Arbeitnehmer auch über eine Verhandlungsposition, die es ihm ermöglicht, die
Zahlung einer Abfindung zu erreichen, indem die Meinungsverschiedenheit über
die Wirksamkeit der Kündigung beigelegt wird.
Kein Abwicklungsvertrag liegt vor, wenn der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber
eine Vorfeldabsprache getroffen hat. Werden bereits vor Ausspruch der
Kündigung die näheren Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zwischen den Vertragsparteien einvernehmlich abgesprochen, so erreichen die
Parteien in Wahrheit eine Vertragsbeendigung durch Aufhebungsvertrag. Die
dann ausgesprochene Kündigung ist materiellrechtlich unwirksam, weil sie der
vertragsförmigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachfolgt.866
865
Hümmerich, BB 1999, 1868, 1869.
866
Hümmerich, BB 1999, 1868, 1868.
- 339 -
b) Verzichtswirkung des wirksamen Abwicklungsvertrages
Nun kann beim Abwicklungsvertrag ganz ähnlich argumentiert werden wie beim
Aufhebungsvertrag, für den ja – wie erörtert867 –
in aller Regel auch ein
Wiedereinstellungsanspruch ausscheiden muss.
So wird angenommen, durch den Abschluss eines Abwicklungsvertrages
verzichte der Arbeitnehmer auf den gesetzlichen Kündigungsschutz, auf den er
sich fortan nicht mehr berufen könne. Diese Verzichtserklärung erfasse auch
den
Wiedereinstellungsanspruch,
der
in
abgeschwächter
Form
den
kündigungsrechtlichen Bestandesschutz wieder zur Geltung bringen soll. Nicht
die arbeitgeberseitige Kündigung, sondern der vertragliche Verzicht auf den mit
der Kündigung eigentlich verbundenen Kündigungsschutz überwinde hier den
Bestandsschutz
des
Arbeitsverhältnisses.
Auch
der
besondere
Kündigungsschutz bei Betriebsübergängen nach § 613a IV 1 BGB werde durch
den Abschluss einer wirksamen Abkehrvereinbarung entwertet, weshalb ein
Wiedereinstellungsanspruch auch hier grundsätzlich ausscheiden müsse.868
Im Unterschied zum Aufhebungsvertrag handelt es sich hier aber um Fälle, in
denen das bestandsgeschützte Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber zunächst
wirksam
gekündigt
wurde.
Der
Bestandsschutz
wurde
also
durch
arbeitgeberseitige Kündigung in Frage gestellt, bei Wirksamkeit der Kündigung
sogar überwunden. Der arbeitnehmerseitige Verzicht auf den Kündigungsschutz
wirkt nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung nicht so schwer, wie dies bei
einem Aufhebungsvertrag der Fall ist, wo nicht nur auf den Kündigungsschutz,
sondern auch auf das bestandsgeschützte Arbeitsverhältnis als solches
verzichtet wird. Beim Aufhebungsvertrag ist dementsprechend regelmäßig
davon auszugehen, dass die Vertragsparteien einen endgültigen Schlussstrich
unter ihre vertragliche Beziehung setzen wollten. Daher kann der Wegfall der
867
868
Siehe oben unter D.III „Prognosekorrektur nach anderen Beendigungstatbeständen“ auf Seite
184.
Boewer, NZA 1999, 1177, 1180.
- 340 Geschäftsgrundlage für den Abwicklungsvertrag eher praktisch werden als für
den Aufhebungsvertrag. Gelingt es, über den Wegfall der Geschäftsgrundlage
den Abwicklungsvertrag zu beseitigen, so bleibt es bei der wirksamen
Kündigung, weshalb dann ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht kommt.
Dennoch gilt: Solange nicht der Abwicklungsvertrag suspendiert ist, steht der
freiwillige Verzicht auf den Kündigungsschutz einer Wiedereinstellung entgegen.
Durch die Abgabe einer Verzichtserklärung verlässt der Arbeitnehmer den
Schutzbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht durch bloße Passivität (§ 7
KSchG), sondern durch ausdrückliche Erklärung. Ein späterer Wegfall des
Kündigungsgrundes
muss
bei
Wirksamkeit
des
Abwicklungsvertrages
unberücksichtigt bleiben, wenn der Arbeitnehmer im Abwicklungsvertrag das
Risiko der nicht vorhersehbaren weiteren Entwicklung einseitig übernommen
hat.869 Der Arbeitnehmer bringt in diesem Fall einen umfassenden Verzicht auf
den Kündigungsschutz und alle denkbaren Ansprüche in die Einigung mit ein,
die damit im Zusammenhang stehen. Ein Wiedereinstellungsanspruch kann
dann nicht zur Entstehung gelangen, obwohl eine bestandsschutzvernichtende
Arbeitgeberkündigung als Grundvoraussetzung des Anspruchs vorliegt.
Einem Abwicklungsvertrag kann oft schon durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB)
ein
solcher
Verzicht
auf
einen
möglichen
Wiedereinstellungsanspruch
entnommen werden. Der Wortlaut kann wie folgt lauten: „Der Arbeitnehmer, (...),
erhebt gegen die Kündigung vom ... , die er bereits erhalten hat, keine
Einwendungen und verzichtet auch auf ein Recht, das Fortbestehen des
Arbeitsverhältnisses geltend zu machen; eine mit diesem Ziel erhobene Klage
wird er nicht führen.“870 Hierdurch kommt hinreichend zum Ausdruck, dass der
Arbeitnehmer einen endgültigen Schlussstrich unter die vertragliche Beziehung
mit dem Arbeitgeber gezogen hat.871 Dies muss dann auch für einen möglichen
869
Sibben, DB 2000, 2023, 2024.
870
Vgl. ArbG Düsseldorf (7 Ca 4497/99), DB 2000, 2022, 2022 (dort FN 1).
871
Beckschulze, DB 1998, 417, 418.
- 341 Anspruch auf Wiedereinstellung gelten, denn der Wiedereinstellungsanspruch ist
ein
Korrektiv
der
Kündigung,
das
letztlich
auf
die
Aufhebung
der
Kündigungswirkung bzw. den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abzielt. Bei
einem unklaren Wortlaut der Vereinbarung kann als Indiz auch die Höhe der
vereinbarten Abfindung herangezogen werden. Ein solcher Verzicht ist
schließlich auch rechtlich möglich, da es sich nicht um einen Verzicht auf ein
zukünftiges
„Recht“
handelt,
sondern
lediglich
um
einen
Annex
zur
Kündigung.872
Ein
Wiedereinstellungsanspruch
kommt
also
im
Anschluss
an
einen
Abwicklungsvertrag nur in Betracht, wenn die Parteien mit der Möglichkeit eines
späteren Wegfalls des Kündigungsgrundes nicht gerechnet hatten und diesen
Fall folglich weder ausdrücklich noch implizit zum Vertragsgegenstand machen
wollten. Dann muss aber zunächst die Wirksamkeit des Abwicklungsvertrages
überwunden werden.
Die Unwirksamkeit des Abwicklungsvertrages könnte insbesondere auf § 779
BGB oder einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 III BGB gestützt
werden.
c) Anwendung von § 779 BGB?
Gemäß § 779 BGB ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit
der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens
beseitigt wird (Vergleich), unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags
als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht
und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden
sein würde. Dabei muss der gemeinsame Irrtum das gegenwärtige Bestehen
des Sachverhalts betreffen, nicht dagegen die zukünftige Entwicklung.873 Eine
872
873
ArbG Düsseldorf (7 Ca 4497/99), DB 2000, 2022, 2022 f.
Palandt – Thomas, § 779 BGB Rn 15; Staudinger – MAuRger, § 779 Rn 65; Staudinger –
Schmidt, § 242 Rn 1445.
- 342 Unwirksamkeit des Vergleichs nach § 779 I BGB kommt daher nicht in Betracht,
wenn die Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs alle
Umstände bedacht haben, die zum damaligen Zeitpunkt vorlagen und sich eine
Änderung dieser Umstände erst nach dem Abschluss des Vergleichs ergibt, wie
dies bei der Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose der Fall ist.
Die Regelung des § 779 BGB hilft daher für das hier beschriebene Problem nicht
weiter.
d) Wegfall der Geschäftsgrundlage
Der nach Abschluss eines Abwicklungsvertrages unerwartete Wegfall des
Kündigungsgrundes durch Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
kann aber u.U. unter den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 III BGB
subsumiert werden.874
Geschäftsgrundlage sind nach der ständigen Rechtsprechung die bei Abschluss
eines Vertrages zu Tage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen
und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen einer Partei oder die
gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien vom Vorhandensein oder vom
künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien
hierauf aufbaut.875 Hieran soll sich auch unter der Geltung des § 313 BGB n.F.
nichts ändern.876
(1) Auslegung des Abwicklungsvertrages
Dass die Parteien des gekündigten Arbeitsverhältnisses die Unsicherheit über
die Wirksamkeit der Kündigung und mögliche Folgewirkungen im Vertragswege
874
875
876
Staudinger – Schmidt, § 242 Rn 1124, 1442, 1445; Kort, SAE 2001, 131, 137.
BAG (2 AZR 269/92), AP Nr. 27 zu § 611 BGB Artzt-Krankenhaus-Vertrag m.w.N; BAG (7 AZR
904/98), ZIP 2000, 1781, 1786.
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
- 343 beilegen können, ist ein Gemeinplatz. Ob von einer solchen Vereinbarung aber
ein möglicherweise zukünftig entstehender Anspruch auf Wiedereinstellung
erfasst wird, oder ob die Parteien einen solchen Sonderfall gerade nicht bedacht
haben und schon gar nicht regeln wollten, ist eine Frage der Vertragsauslegung.
Die Geschäftsgrundlage entfällt nicht, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das zu
übernehmen einer der Vertragspartner sich verpflichtet hat.
(a) Risikozuweisung an den Arbeitnehmer
Nach Auffassung des 7. Senats wird die Auslegung eines Abfindungsvergleichs,
durch den die Parteien den Streit über die Wirksamkeit der Kündigung und
deren das Arbeitsverhältnis beendigende Wirkung gerade beilegen wollen,
häufig ergeben, dass ein Wiedereinstellungsanspruch nicht bestehen soll. Eine
solche Vereinbarung, gleich ob sie implizit oder gar ausdrücklich getroffen wird,
begegne keinen durchgreifenden Bedenken. Könne der Arbeitnehmer mittels
Aufhebungsvertrags sogar über seinen Kündigungsschutz disponieren und
damit auch einer Wiedereinstellung die Grundlage entziehen, so spreche nichts
dagegen,
nach
arbeitgeberseitiger
Kündigung
die
entstandene
Rechtsunsicherheit durch Vergleich endgültig beizulegen.877
Bei Abfindungsvergleichen in Kündigungsschutzprozessen könne jedenfalls
nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, Geschäftsgrundlage sei die
gemeinsame Vorstellung der Parteien, bis zu dem vereinbarten Ende des
Arbeitsvertrages werde der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers entfallen sein und
sich auch keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ergeben. Vielmehr
könne gerade auch diese Ungewissheit der künftigen Entwicklung bei dem
Vergleich bereits Berücksichtigung gefunden haben.878 Es sei zu bedenken,
dass der Vergleich gerade zu den Geschäften gehöre, die ihrem Typus nach die
877
878
Unwirksam wäre dagegen selbstverständlich eine Verzichtserklärung auf einen möglichen
späteren Wiedereinstellungsanspruch bereits im Arbeitsvertrag, da dieser nicht anders zu
beurteilen wäre als ein vorheriger Verzicht auf den Kündigungsschutz, so zutreffend Adam,
MDR 2000, 1442, 1443.
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1786.
- 344 Übernahme
gewisser
Risiken
beinhalten
sollen.879
Vereinbarten
die
Arbeitsvertragsparteien einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich für den
Verlust des mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Besitzstandes, so bringen
sie nach Auffassung des 7. Senats damit regelmäßig zum Ausdruck, das
Arbeitsverhältnis nicht im Anschluss an seine Beendigung zu unveränderten
Bedingungen fortsetzen zu wollen. Jedenfalls gebiete in einem solchen Fall die
Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers regelmäßig auch bei nachträglicher
Änderung des bei Ausspruch der Kündigung zugrunde gelegten Sachverhalts
nicht den Abschluss eines Fortsetzungsvertrages.880
Nicht anders sieht es das LAG Hamm. Wurde einem Arbeitnehmer
betriebsbedingt gekündigt und haben die Arbeitsvertragsparteien während des
Laufs der Kündigungsfrist einen Abwicklungsvertrag geschlossen, der u. a.
vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt endet und
mit der Erfüllung des Abwicklungsvertrages alle gegenwärtigen und zukünftigen
Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis und aus dessen Beendigung
ausgeglichen und abgegolten sind, so erfasse eine derartige Ausgleichsklausel
auch einen Anspruch auf Wiedereinstellung und Weiterbeschäftigung. Ein
derartiger Vertrag könne zwar wegen Störung der Geschäftsgrundlage
anzupassen bzw. rückabzuwickeln sein. Davon sei aber regelmäßig nicht
auszugehen, denn die Ausgleichsklausel erfasse ihrem Wortlaut nach auch den
streitgegenständlichen
Anspruch
auf
Wiedereinstellung
und
Weiterbeschäftigung. Ein Anspruch auf Wiedereinstellung sei eben ein solcher
zukünftiger Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis.881 Würde man einen Wegfall
der Geschäftsgrundlage zulassen, so würde der Sinn solcher Vergleiche, einen
879
Staudinger – Schmidt, § 242 Rn 1124.
880
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1785.
881
LAG Hamm (19 Sa 658/99), BB 2000, 308, 308 f.
- 345 endgültigen Schlussstrich unter die Unklarheiten über den Bestand des
Arbeitsverhältnisses zu ziehen, ausgehebelt.882
Demnach
soll
eine
Regelvermutung
dafür
sprechen,
dass
der
Abfindungsvergleich eine implizite Risikozuweisung an den Arbeitnehmer für
den Fall eines nachträglichen Wegfalls des Kündigungsgrundes enthält. Ein
hieraus sich ansonsten ergebender Wiedereinstellungsanspruch wäre dann mit
abgegolten. Dies gilt einmal mehr, wenn der Arbeitnehmer für den endgültigen
Verlust des Arbeitsplatzes eine angemessen hohe Abfindung erhält.
(b) Risikozuweisung an den Arbeitgeber
Anhand der gleichen Kriterien in eine andere Richtung argumentiert der 2. Senat
in seiner Entscheidung vom 04.12.1997883. Die gemeinsamen Vorstellungen
beider
Parteien
von
der
Stillegung
der
Betriebsabteilung
(Glockenmesserfertigung), auf denen ihr Geschäftswille aufbaute, hätten sich
während des Laufs der Kündigungsfrist geändert. Während bei Ausspruch der
Kündigung und noch bei Abschluss des Prozessvergleichs beide Parteien
übereinstimmend von der Stillegung der entsprechenden Betriebsabteilung
ausgingen, habe sich die Beklagte nach Abschluss des Vergleichs überraschend
entschlossen, die Abteilung doch fortzuführen. Das Parteivorbringen enthalte
auch
keinen
Anhaltspunkt
dafür,
dass
die
Abänderung
des
Stillegungsbeschlusses durch die Beklagte zu dem vom Kläger mit dem
Vergleichsabschluss übernommenen Risiko zählen sollte. Es seien zwar Fälle
denkbar,
in
denen
auch
ein
möglicherweise
später
entstehender
Wiedereinstellungsanspruch durch einen Abfindungsvergleich mit abgegolten
sei, etwa wenn bei einer Kündigung wegen Betriebsstillegung der Arbeitnehmer
bei Vergleichsabschluss davon Kenntnis habe, dass nunmehr die Möglichkeit
einer Betriebsübernahme besteht. Im vorliegenden Fall spreche jedoch nichts
882
883
Zwanziger, BB 1997, 42, 45.
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703 f. Vgl. hierzu die Zusammenfassung des
Tatbestandes oben auf Seite 9.
- 346 dafür, dass die Parteien beim Abschluss des Vergleichs, insbesondere bei der
Berechnung der Abfindungshöhe, die Möglichkeit in Erwägung gezogen hätten,
die Beklagte könnte ihren Stillegungsbeschluss abändern.
Im Unterschied zu dem vom 7. Senat entschiedenen Fall machte die
Abfindungshöhe nur gut 7 Monatsverdienste aus, die Grenze des § 10 I KSchG
war deutlich unterschritten worden, weshalb es insofern naheliegender war,
davon auszugehen, dass eine mögliche Wiedereinstellungsoption durch den
Abfindungsvergleich nicht mit abgegolten sein sollte. Der 2. Senat ließ die Frage
letztlich
offen,
weil
sich
im
vorliegenden
Fall
jedenfalls
eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nur für 5 von ehedem 11 Arbeitnehmern ergab
und die diesbezügliche Auswahlentscheidung des Arbeitgebers selbst nach dem
strengeren Maßstab des § 1 III KSchG nicht rechtsfehlerhaft war. Aus seinen
Ausführungen wird jedoch deutlich, dass der 2. Senat hier von einer
umgekehrten Regelvermutung ausgeht, wenn er annimmt, es spreche „nichts
dafür, dass die Parteien beim Abschluss des Vergleichs, insbesondere bei der
Berechnung der Abfindungshöhe die Möglichkeit in Erwägung gezogen hätten,
die Beklagte könnte ihren Stillegungsbeschluss abändern.“
Auch die zustimmende Lit. betont, die Parteien eines Abfindungsvergleichs
hätten
ja
die
Möglichkeit,
den
vom
Senat
bestätigten
Wiedereinstellungsanspruch zu verhindern. Dies habe der Senat auch
angedeutet. Es müsse im Vergleich nur zum Ausdruck kommen, dass mit der
Abfindung
auch
ein
später
möglicherweise
Wiedereinstellungsanspruch abgegolten sein soll.884
884
Krasshöfer, EWiR 1998, 773, 774.
entstehender
- 347 (c) Einbeziehung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten in
die Geschäftsgrundlage
Laut Krasshöfer885 soll die Geschäftsgrundlage des Vergleichs nur der vom
Arbeitgeber angegebene Kündigungsgrund sein, nicht aber eine unvorhersehbar
entstehende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit. Da folglich die endgültige
Aufgabe des Arbeitsverhältnisses ohne Rücksicht auf andere Arbeitsplätze
vereinbart
wurde,
komme
bei
Entstehen
anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten ein Wegfall der Geschäftsgrundlage, die sich
insoweit als autark erweise, nicht in Betracht.
Anders äußert sich der 7. Senat, der die Frage zugunsten einer Auslegung des
Parteiwillens im Einzelfall bewusst offen lässt: Es könne vorliegend dahinstehen,
ob bei Abschluss des Vergleichs die den Geschäftswillen tragende gemeinsame
Vorstellung beider Parteien dahin ging, es werde nicht nur beim Wegfall des
konkreten Arbeitsplatzes bleiben, sondern es werde sich darüber hinaus auch
keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer mehr
ergeben.886
Ob für den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur auf das unerwartete
Erhaltenbleiben des vom Arbeitnehmer zuvor besetzten Arbeitsplatzes oder
auch
auf
eine
unerwartet
Beschäftigungsmöglichkeit
abzustellen
sich
ist,
ergebende
ist
allein
eine
anderweitige
Frage
der
Vertragsauslegung. Der 7. Senat stellt zutreffend auf den Parteiwillen ab. Es
kann auch nicht darauf ankommen, ob der Arbeitgeber überhaupt einen
Kündigungsgrund angibt, wozu er nicht verpflichtet ist. Der Kündigung als
solcher lässt sich immer auch die Behauptung des Fehlens einer zumutbaren
anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit entnehmen. Gleiches wird dann im
Regelfall
auch
für
die
Geschäftsgrundlage
eines
Abwicklungsvertrages
angenommen werden können. Eine Beschränkung der Geschäftsgrundlage auf
885
Krasshöfer, EWiR 1998, 773, 774 f.
886
BGH (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1787.
- 348 den Wegfall des vom Arbeitnehmer eingenommenen Arbeitsplatzes ist also
möglich, wird aber nur zu bejahen sein, wenn sich der Abrede als solcher unter
Berücksichtigung
Arbeitsverhältnis
der
näheren
endgültig
Umstände
ohne
entnehmen
Rücksicht
lässt,
auf
dass
das
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeiten beendet werden sollte, etwa weil der Arbeitnehmer
an einer Weiterbeschäftigung nach Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz
kein Interesse hat.
Eine andere (vorliegend bejahte887) Frage ist dann, ob das Entstehen einer
anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit, wenn es den Abwicklungsvertrag zu
Fall bringt, auch einen Wiedereinstellungsanspruch auslösen kann.
(d) Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag und
Abfindungshöhe
Die Beseitigung des Vertrages kommt im Übrigen nur in Betracht, wenn der von
den neuen Umständen nachteilig betroffenen Partei ein Festhalten an dem
Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann (§ 313 III 1 Alt. 2 BGB). Der Wegfall
der Geschäftsgrundlage wird rechtlich nur dann erheblich, wenn und soweit das
Festhalten an der ursprünglichen Regelung zu einem „untragbaren mit Recht
und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen
würde“.888
Bei
einer
sich
nachträglich
unvorhergesehen
ergebenden
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit soll nach Auffassung des 7. Senats das
Festhalten am Vertrag für den Arbeitnehmer keineswegs regelmäßig zu
untragbaren Ergebnissen führen. Jedenfalls dann, wenn durch eine Abfindung
ein als angemessen erscheinender Ausgleich geschaffen werde, sei häufig auch
das Festhalten an dem Vergleich für den Arbeitnehmer nicht unzumutbar. Für
die Beurteilung der Angemessenheit des Ausgleichs soll die in § 10 I und II
KSchG, § 113 I und II BetrVG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische
Wertung herangezogen werden. Jedenfalls wenn die nach § 10 I und II KSchG
887
Siehe oben unter E „Reichweite der Wiedereinstellungspflicht“ auf Seite 201.
888
BGH (VII ZR 24/92), BGHZ 121, 378, 393; BGH (IX ZR 85/94), BGHZ 128, 230, 238.
- 349 vorgesehenen Schwellenwerte überschritten werden, der Arbeitnehmer also
eine Abfindung in Höhe von mehr als 12 bzw. mehr als 15 oder 18
Monatsverdiensten erhält, ist demnach davon auszugehen, dass es sich um
einen angemessenen Ausgleich für den endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes
handelt und folglich dem Arbeitnehmer durch den Vertrag das Risiko dafür
zugewiesen werden soll, dass sich der Kündigungsgrund als nicht beständig
erweist.
(e) Keine wertende Gesamtabwägung – Stufenverhältnis
zwischen den Voraussetzungen für eine Beseitigung des
Abwicklungsvertrages und den Voraussetzungen des
Wiedereinstellungsanspruchs
Der 7. Senat will für die Beurteilung, ob eine Disposition schutzwürdig ist, die der
Arbeitgeber vor dem Wiedereinstellungsverlangen des Arbeitnehmers vornimmt,
auf eine wertende Gesamtabwägung abstellen und hat dabei in der
Entscheidung vom 28.06.2000889 zulasten des Arbeitnehmers auch einen
geschlossenen Abwicklungsvertrag herangezogen. Eine Disposition über den
Arbeitsplatz soll trotz vorhandener Kenntnis des Arbeitgebers vom Wegfall des
Kündigungsgrundes schutzwürdig sein, wenn der Arbeitnehmer durch einen
Abwicklungsvertrag in Gestalt eines Prozessvergleichs für den Verlust seines
Arbeitsplatzes eine hohe Abfindung erhalten hat und deshalb davon auszugehen
sei,
dass
der
Vergleich
das
Risiko
eines
eventuellen Wegfalls
des
Kündigungsgrundes nach dem Willen der Parteien dem Arbeitnehmer zuweise
und folglich ein Wegfall oder auch nur eine Störung der Geschäftsgrundlage
ausscheiden müsse. Erhalte der Arbeitnehmer für den Verlust seines
Arbeitsplatzes eine hohe Abfindung, so werde es meist auch nicht als treuwidrig
erscheinen, wenn der Arbeitgeber im Hinblick hierauf die Information des
889
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1785 f.
- 350 Arbeitnehmers
über
eine
sich
unvorhergesehen
ergebende
Beschäftigungsmöglichkeit unterlasse.890
Diese Auffassung des 7. Senats ist vereinzelt auf Zustimmung gestoßen.891
Konsequent wäre es dagegen gewesen, die Vereitelung der anderweitigen
Beschäftigungsmöglichkeit durch Wiedereinstellung einer sozial stärkeren
Arbeitnehmerin als nicht schutzwürdig anzusehen, da eine anderweitige
Disposition nach betriebsbedingter Kündigung sachlogisch stets voraussetzt,
dass
sich
der
Arbeitgeber
über
den
Wegfall
des
betriebsbedingten
Kündigungsgrundes im klaren und in diesem Sinne bösgläubig ist, weshalb er
nicht im guten Glauben an den Fortbestand des Kündigungsgrundes gehandelt
haben
kann.892
Die
Vereitelung
der
zumutbaren
Beschäftigungsmöglichkeit
muss
folgerichtig
Wiedereinstellungsanspruch
außer
Betracht
anderweitigen
für
bleiben,
den
die
Beschäftigungsmöglichkeit gilt als fortbestehend. Daher kommt es entscheidend
auf die Auslegung des Abwicklungsvertrages und auf die Frage an, ob dieser
einer Wiedereinstellung entgegensteht oder über die Grundsätze des Wegfalls
der Geschäftsgrundlage anzupassen ist.893 Der 7. Senat kommt statt dessen zu
dem Ergebnis, die anderweitige Disposition über den Arbeitsplatz sei nach
Abwägung
aller
Abfindungsvergleichs,
Umstände
nicht
des
Einzelfalles,
„treuwidrig“
insbesondere
und
stehe
daher
des
einer
Wiedereinstellung des Klägers entgegen.
So wird nach dem Maßstab der „Treuwidrigkeit“ in einer wertenden
Gesamtabwägung über die Wiedereinstellung nach Abwicklungsvertrag und
bösgläubiger
Wiederbesetzung
des
890
BGH (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1787.
891
Oetker, ZIP 2000, 1787, 1789.
892
893
Siehe hierzu oben unter G.I.1.e)(2)(c)
betriebsbedingter Kündigung“ auf Seite 308.
zunächst
erhalten
„Schutzwürdigkeit
Ähnlich kritisch auch Blomeyer EWiR 2000, 1067, 1068.
von
gebliebenen
Dispositionen
nach
- 351 Arbeitsplatzes entschieden. Die Frage nach der Reichweite und Bestandskraft
eines geschlossenen Abwicklungsvertrages ist aber sorgsam von der Frage
nach der Schutzwürdigkeit einer zwischenzeitlichen Disposition zu trennen, da
insoweit ein Stufenverhältnis besteht. Nur wenn die Geschäftsgrundlage für den
Abwicklungsvertrag
entfallen
ist,
die
Möglichkeit
eines
Wiedereinstellungsanspruchs also wieder offen steht, stellt sich die Frage nach
der
Schutzwürdigkeit
Abwicklungsvertrag
anspruchshindernden
einer
nicht
zwischenzeitlichen
Disposition.
rückabgewickelt
ist,
Verzicht
dar.
Erst
die
stellt
Solange
er
Beseitigung
ein
einen
des
Abwicklungsvertrages lässt den Wiedereinstellungsanspruch entstehen, der
seinerseits durch die Vornahme schutzwürdiger Dispositionen auflösend bedingt
ist.
(f) Vorrang einer Vertragsauslegung nach den Umständen des
Einzelfalls anstelle einer Regelvermutung
Bei der Vertragsauslegung sind Schematisierungen zu vermeiden. Weder der
Rspr. des 2. noch der des 7. Senats ist trotz unterschiedlicher Perspektiven eine
klare Regelvermutung zugunsten eines der beiden Vertragspartner zu
entnehmen. Sie wäre auch verfehlt. Die jeweilige vertragliche Übereinkunft ist
darauf zu überprüfen, wie weit das Zugeständnis reichen soll, das der
Arbeitnehmer einer vertraglichen Regelung beisteuert, ob es sich also um eine
endgültige oder lediglich situationsbezogene Vereinbarung handeln soll. Die
Verzichtsleistung des Arbeitnehmers wird man im Zweifel um so großzügiger
auslegen können, je wertvoller die Gegenleistung des Arbeitgebers ausfällt.
Dass hierbei unter Berücksichtigung der Schwellenwerte aus § 10 KSchG auch
die Höhe der dem Arbeitnehmer als Gegenleistung zugedachten Abfindung in
den Blick genommen wird, ist daher nicht zu beanstanden. Dies kann aber
letztlich nur ein Indiz sein neben weiteren. Eine höhere Abfindung kann eben
nicht nur damit erklärt werden, dass der Arbeitnehmer im Gegenzug auf alle
Folgewirkungen aus der Beendigung des Arbeitsvertrages einschließlich eines
möglichen Wiedereinstellungsanspruchs verzichtet. Welchen Wert das Opfer
hat, das der Arbeitnehmer einer vertraglichen Einigung beisteuert, hängt auch
davon ab, ob und welche Angaben der Arbeitgeber zum Kündigungsgrund und
zur weiteren betrieblichen Entwicklung macht. Schließlich spielen auch die
weiteren Berufschancen des auf den Arbeitsmarkt verwiesenen Arbeitnehmers
eine Rolle. Eine hohe Abfindung kommt ebenfalls in Betracht, wenn der vom
- 352 Arbeitgeber
dargelegte
Kündigungsgrund
wenig
plausibel
oder
schwer
beweisbar ist oder der Arbeitnehmer seine Stellung trotz hoher sozialer
Schutzwürdigkeit aufgibt. Der Abwicklungsvertrag wird darüber nur unvollständig
Auskunft
geben.
Das
macht
eine
sorgfältige
Einzelfallprüfung
aller
Begleitumstände erforderlich.
(2) Beseitigung des Abwicklungsvertrags als Rechtsfolge
des Wegfalls der Geschäftsgrundlage –
Wiedereinstellungsanspruch nach allgemeinen Regeln
Problematisch ist es indes, den Wiedereinstellungsanspruch als Rechtsfolge des
Wegfalls der Geschäftsgrundlage begründen zu wollen.894
Die Gewährung eines Wiedereinstellungsanspruchs stellt keine Anpassung des
Abwicklungsvertrages an geänderte Umstände dar, vielmehr steht die
Wirksamkeit des Abwicklungsvertrages einem Wiedereinstellungsanspruch
entgegen.895 Ähnlich sieht das auch der 7. Senat896 im Anschluss an
Nicolai/Noack897. Damit scheidet jedenfalls eine Vertragsanpassung i.S.v. § 313
I BGB aus.
Ergibt die Auslegung, dass die jeweilige Vereinbarung eine Risikozuweisung an
den Arbeitgeber enthält, ist also mit anderen Worten der endgültige Verlust der
Existenzgrundlage des Arbeitnehmers nicht um jeden Preis gewollt, sondern in
der Erwartung einer bestimmten (betrieblichen) Entwicklung, dann steht auch
der Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs nichts im Wege, sobald der
Arbeitnehmer das seinerseits Erforderliche zur Rückabwicklung des Vertrages
getan hat. Der Wiedereinstellungsanspruch bedarf dann auch keiner Herleitung
894
Siehe hierzu bereits oben unter D.III.3.b) „Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 III BGB)
beim echten Aufhebungsvertrag“ auf Seite 190.
895
Otto FS Kraft (1998), 451, 464.
896
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1786.
897
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 110.
- 353 aus den Regeln des Rücktrittsrechts (§§ 313 III, 346 ff BGB). Zwar treten die
Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht von selbst ein, jedoch
wird bereits die arbeitnehmerseitge Forderung der Wiedereinstellung auch zur
Geltendmachung des Rechts aus § 313 III BGB ausreichen, wenn zuvor ein
Abwicklungsvertrag geschlossen wurde. Über die Figur des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage kann dann die gänzliche Aufhebung des vertraglich
Vereinbarten erreicht werden.898 Ausreichend ist insoweit, dass der Vertrag als
solcher der Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs nach allgemeinen
Regeln nicht mehr im Wege steht. Die Beseitigung des Abwicklungsvertrages
lässt die Kündigung unberührt, womit der Weg für Folgewirkungen aus dem
KSchG offen steht. Die Anspruchsgrundlage lässt sich auch in diesem Fall aus
einer teleologischen Extension des § 1 II KSchG gewinnen.899
(3) Keine zeitliche Begrenzung eines Wegfalls der
Geschäftsgrundlage auf den Lauf der Kündigungsfrist
Nicht überzeugend ist die implizite Annahme des 7. Senats900, ein Wegfall der
Geschäftsgrundlage komme in diesen Fällen nur bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist in Betracht.901
Ob die Erwartung der Vertragsparteien bzgl. des Wegfalls einer zumutbaren
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit tatsächlich auf den Ablauf der Kündigungsfrist
begrenzt ist, ist ebenso Sache der Vertragsauslegung wie die Ausgangsfrage,
ob die Parteien nicht überhaupt eine Beendigung des Vertragsverhältnisses
898
899
900
901
Kort, SAE 2001, 131, 137.
Daher unterscheidet sich die hier untersuchte Konstellation von der oben erörterten Frage, ob
ein Wiedereinstellungsanspruch als Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
eingreifen kann, wenn anstelle einer Kündigung ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde.
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1786.
Der 7. Senat drückt das folgendermaßen aus: „Bei Abfindungsvergleichen in
Kündigungsschutzprozessen kann jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden,
Geschäftsgrundlage sei die gemeinsame Vorstellung der Parteien, bis zu dem vereinbarten
Ende des Arbeitsvertrages werde der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers entfallen sein und sich
auch keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ergeben.“
- 354 ohne Rücksicht auf die weitere Entwicklung wollten. Offen würde sonst überdies
bleiben, was für Aufhebungsverträge gelten soll, denen anders als bei
Abwicklungsverträgen keine Kündigung vorhergeht. Keinesfalls darf derjenige
Arbeitnehmer schlechter stehen, der eine arbeitgeberseitige Kündigung abwartet
und erst danach eine vertragliche Übereinkunft über die Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses schließt. Wenn also bei Abwicklungsverträgen an
den
Lauf
der
Kündigungsfrist
angeknüpft
würde,
dann
müsste
bei
Aufhebungsverträgen eine fiktive Kündigungsfrist als zeitliche Grenze des
Wegfalls der Geschäftsgrundlage gewählt werden. Das erscheint nicht plausibel.
Besteht eine gemeinsame Erwartung der Parteien, dass es an einer
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit fehlt, so ist diese Erwartung regelmäßig mit
der
kündigungsbegründenden
Prognose
gleichen
Inhalts
identisch.
Geschäftsgrundlage ist dann m.a.W., dass die kündigungsbegründende
Prognose
des
Arbeitgebers
Beschäftigungsmöglichkeiten
über
nicht
das
widerlegt
Fehlen
wird.
Der
zukünftiger
Wegfall
der
Geschäftsgrundlage und der Wegfall des Kündigungsgrundes betreffen dann
den gleichen sachlichen Gesichtspunkt.
(4) Keine Wiedereinstellung ohne Rückabwicklung des
Abwicklungsvertrages
Möglicherweise
bedarf
Abwicklungsvertrages
es
mehr,
keiner
Anpassung
wenn
die
bzw.
Aufhebung
Parteien
an
des
einen
Wiedereinstellungsanspruch nicht gedacht haben. Denn wenn die Möglichkeit
des
Wegfalls
des
Kündigungsgrundes
Abkehrvereinbarung ist, dann will nicht
gar
nicht
Gegenstand
der
ohne weiteres einleuchten, warum
dieser Vertrag im Falle seiner Wirksamkeit und Nichtkorrigierbarkeit einer
Wiedereinstellung entgegenstehen sollte. Die Grundvoraussetzungen eines
Wiedereinstellungsanspruchs
liegen
ja
vor,
nämlich
die
wirksame
arbeitgeberseitige Kündigung eines ehedem in seinem Bestand geschützten
Arbeitsverhältnisses und der Wegfall des Kündigungsgrundes. Wenn sich also
die
Abkehrvereinbarung
gegenüber
einem
möglichen
Wiedereinstellungsanspruch neutral verhält, könnte man annehmen, dass sie
die Position des Arbeitnehmers insoweit auch nicht schwächt.
- 355 So tendiert Hümmerich902 zu der Auffassung, Rechtssicherheit durch einen
Abwicklungsvertrag
trete
nicht
ein,
wenn
der
Arbeitnehmer
einen
Wiedereinstellungsanspruch habe. Der Wiedereinstellungsanspruch bestehe
unabhängig davon, ob ein Abwicklungsvertrag in Form eines Prozessvergleichs
geschlossen worden sei.
Dagegen steht allerdings die Überlegung, dass der Arbeitnehmer, wenn auch
nicht wie beim Aufhebungsvertrag vordergründig auf sein Arbeitsverhältnis, so
jedenfalls nach erfolgter Kündigung auf seinen Kündigungsschutz verzichtet hat.
Ob dann eine Wiedereinstellung ohne weiteres oder erst nach Suspendierung
der Vereinbarung möglich ist, hängt von der dogmatischen Grundlage des
Anspruchs
ab.
Hält
man
mit
der
hier
vertretenen
Auffassung
die
Bestandsschutzregelungen des KSchG für anspruchsbegründend, so entzieht
jede Abkehrvereinbarung, solange sie als wirksam anzusehen ist, einem
Anspruch auf Wiedereinstellung die Grundlage, denn an die Stelle des
Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses tritt nach der Kündigung eben der
Kündigungsschutz.
Überdies entbehrt die Unterscheidung zwischen einem Verzicht auf das
Arbeitsverhältnis
als
solchem
und
einem
Verzicht
lediglich
auf
den
Kündigungsschutz nach erfolgter Kündigung nicht einer gewissen Künstlichkeit.
Aufhebungsvertrag und Abwicklungsvertrag sind sich zumindest insoweit
ähnlich, als sich jeweils der Arbeitnehmer vom Arbeitsverhältnis aktiv distanziert.
Als Ausgangslage ergibt sich einerseits (regelmäßig) die Drohung mit einer
Kündigung, andererseits die bereits vorgenommene aber in bezug auf ihre
Rechtfertigung zweifelhafte Kündigung. Diese Sachverhalte unterscheiden sich
nicht so grundlegend, dass es gerechtfertigt wäre, sie als Hindernis für einen
Wiedereinstellungsanspruch völlig anders zu beurteilen.
902
Hümmerich, BB 1999, 1868, 1872.
- 356 Auch aus praktischer Sicht wäre es kaum überzeugend, dem Arbeitnehmer
einen
Wiedereinstellungsanspruch
ohne
weiteres
mit
der
Begründung
zuzugestehen, ein zuvor geschlossener Abfindungs- bzw. Prozessvergleich
treffe in bezug hierauf keine auch nur implizite Regelung und könne daher
daneben bestehen bleiben. Der Arbeitnehmer könnte trotz Wiedereinstellung
seine Abfindung behalten und damit einen Rechtszustand herbeiführen, der über
das hinausgeht, was bei hypothetischem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses
hätte verlangt werden können. Der Wiedereinstellungsanspruch würde so in
seiner Funktion als Anspruch auf begrenzte Korrektur der Kündigungswirkungen
verkannt. Um eine solche überschiessende Rechtsfolge zu vermeiden, kann ein
Wiedereinstellungsanspruch nur über eine Rückabwicklung des Abfindungsbzw. Prozessvergleichs erreicht werden, was jedenfalls zur Rückzahlung der
Abfindung zwingt. Ohne einen Wegfall der Geschäftsgrundlage gibt es nach
einem Abwicklungsvertrag keine Wiedereinstellung.
Eine Verurteilung erfolgt in diesem Fall Zug um Zug gegen Rückgabe der
Abfindungszahlung. Es handelt sich um die in § 894 I 2 ZPO i.V.m. § 726 ZPO
vorgesehene Fallgestaltung. Die Annahmeerklärung des beklagten Arbeitgebers
wird demnach zu dem Zeitpunkt fingiert, in dem eine vollstreckbare Ausfertigung
des rechtskräftigen Urteils erteilt ist. Zuvor muss der Kläger nach § 726 I und II
ZPO den Beweis der Rückzahlung der Abfindung geführt haben.903
(5) Darlegungs- und Beweislast
Für einen Wegfall der
Darlegungs-
und
Geschäftsgrundlage trägt stets der Arbeitnehmer die
Beweislast.904
Er
muss
darlegen,
dass
mit
dem
Abwicklungsvertrag das Arbeitsverhältnis nicht unabhängig von der betrieblichen
Situation
aufgelöst werden sollte.905 Nur wenn es ihm gelingt, eine
903
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1783.
904
LAG Köln (7 Sa 396/98), ARST 1999, 141, 141.
905
So auch Beckschulze, DB 1998, 417, 418.
- 357 Risikozuweisung für die Änderung nachträglicher Umstände an den Arbeitgeber
schlüssig darzulegen, können diese Umstände die Geschäftsgrundlage
erschüttern.
Ergibt
die
Auslegung
des
Abwicklungsvertrages
jedoch,
dass
die
Vertragsparteien unabhängig von der weiteren Entwicklung einen endgültigen
Schlussstrich unter die vertraglichen Beziehungen setzen wollten, so ist die
Geschäftsgrundlage des Abwicklungsvertrages autark und wird daher auch bei
einem nachträglichen Wegfall des Kündigungsgrundes nicht berührt. Eine
Wiedereinstellung ist dann ausgeschlossen.
Um die Relativität der Geschäftsgrundlage in bezug auf die gegenwärtige
betriebliche
Situation
darzulegen,
muss
es
ausreichen,
dass
der
Abwicklungsvertrag auf den angegebenen Kündigungsgrund verweist, also
insbesondere auf den (sich abzeichnenden) Wegfall einer zumutbaren
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Lässt sich eine solche Motivation der
Vertragsparteien
erkennen,
auf
die
gegenwärtige
betriebliche
Situation
Rücksicht nehmen zu wollen, so bleibt die Geschäftsgrundlage zerbrechlich und
kann abhängig von der weiteren Entwicklung entfallen.
6. Sachliche Grenzen im Überblick
Zusammenfassend lässt sich zu den sachlichen Grenzen des Anspruchs im
Wesentlichen folgendes festhalten:
1. Vorrang schutzwürdiger Dispositionen
1.1 Vor der Anspruchsentstehung
Arbeitgeberseitige
Dispositionen
vor
der
Anspruchsentstehung
sind
schutzwürdig. Es handelt sich um rechtshindernde Einwendungen gegen
einen
Wiedereinstellungsanspruch,
weil
hierdurch
eine
Beschäftigungsmöglichkeit für den Gekündigten vereitelt wird.
1.2 Nach der Anspruchsentstehung
Gutgläubige
arbeitgeberseitige
Dispositionen
sind
auch
nach
der
Anspruchsentstehung schutzwürdig und genießen daher den Vorrang
gegenüber dem Wiedereinstellungsinteresse des Arbeitnehmers. Es handelt
sich
um
rechtsvernichtende
Einwendungen
gegen
den
- 358 Wiedereinstellungsanspruch. Der Arbeitgeber ist gutgläubig, solange er die
tatsächlichen Umstände nicht kennt, auf denen die Widerlegung der
kündigungsbegründenden Prognose beruht.
1.3
Kein
Dispositionsschutz
für
Neueinstellungen
nach
betriebsbedingter Kündigung
Für den Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung spielt
ein Dispositionsschutz durch Einstellung externer Arbeitnehmer keine Rolle.
Vor der Anspruchsentstehung, also vor dem Eintritt der prognosewidrigen
Umstände, kann die Neueinstellung eines externen Arbeitnehmers in bezug
auf
den
erst
später
entstehenden
Wiedereinstellungsanspruch
aus
sachlogischen Gründen keine schutzwürdige Disposition sein.
Nach
der
Anspruchsentstehung
ist
die
Einstellung
eines
externen
Arbeitnehmers generell nicht schutzwürdig, da sie ein Einsehen in den
erneuten
Beschäftigungsbedarf
und
damit
die
Bösgläubigkeit
des
Arbeitgebers voraussetzt.
1.4 Vorrang von Rationalisierungskonzepten
Ein Rationalisierungskonzept, das den dauerhaften Wegfall von Arbeitsplätzen
bedingt, genießt als freie unternehmerische Entscheidung stets den Vorrang
gegenüber
einem
entgegenstehenden
Wiedereinstellungsinteresse
des
Arbeitnehmers, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch gut- oder bereits
bösgläubig ist. Der Mangel des guten Glaubens zwingt lediglich zur richtigen
Auswahlentscheidung unter verschiedenen Arbeitnehmern, wenn nach dem
Willen des Arbeitgebers ohnehin eine Einstellung ansteht. Demgegenüber
wird die unternehmerische Freiheit in ihrem Kernbereich nicht angetastet.
2. Sozialauswahl
Wurde mehreren Arbeitnehmern betriebsbedingt gekündigt und sind einige
vergleichbare und funktional austauschbare Arbeitsplätze weggefallen, andere
dagegen erhalten geblieben, so hat der Arbeitgeber den in Betracht
kommenden Arbeitnehmern eine Wiedereinstellung in der Reihenfolge
sozialer Gesichtspunkte analog § 1 III KSchG anzubieten. Vergleichsgruppe
sind diejenigen Arbeitnehmer, die ihren Wiedereinstellungsanspruch weder
verwirkt
noch
auf
ihn
verzichtet
haben.
Die
Einbeziehung
der
Gesamtbelegschaft in die Sozialauswahl ist ausnahmsweise dann geboten,
wenn wegen beabsichtigter Betriebsstillegung ohne Rücksicht auf soziale
- 359 Gesichtspunkte sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt wurde; dies gilt nicht für
die Wiedereinstellungspflicht im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang
wegen Funktionsnachfolge und Einstellung eines nach Zahl und Sachkunde
wesentlichen Teils des Personals.
3. Austauschkündigungsbefugnis
Die Pflicht, den Inhaber des Wiedereinstellungsanspruchs auf einen bereits
bösgläubig oder unter Verletzung sozialer Gesichtspunkte anderweitig
besetzten Arbeitsplatz wieder einzustellen, gibt dem Arbeitgeber unter den
funktional austauschbaren Arbeitnehmern ein Recht zur betriebsbedingten
Austauschkündigung.
Gegenüber
Betroffenen
dann
besteht
dem
von
gegebenenfalls
der
Austauschkündigung
eine
Verpflichtung
zum
Schadensersatz aus den §§ 241 II, 311 II Nr. 1, 280 I, 249 BGB.
Der Arbeitgeber besitzt – auch wenn er auf eine Austauschkündigung
verzichtet – gegenüber dem aufgrund des Anspruchs wieder Eingestellten
solange kein Recht zur betriebsbedingten Kündigung, bis er einen auf Dauer
angelegten Arbeitsplatz für diesen Arbeitnehmer geschaffen hat, sei es durch
eine Austauschkündigung oder durch Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes.
Entfällt diese wieder hergestellte Beschäftigungsmöglichkeit wiederum,
bestehen gegen eine betriebsbedingte Kündigung des wieder Eingestellten
keine Bedenken.
4. Keine Mitbestimmung
Bei der Verwirklichung des Wiedereinstellungsanspruchs besteht kein
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 I BetrVG. Wo der
Arbeitgeber nichts zu bestimmen hat, hat auch der Betriebsrat nichts
mitzubestimmen.
5. Abwicklungsverträge
Ein nach der Kündigung geschlossener Abwicklungsvertrag steht der
Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs entgegen, solange er nicht
wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unwirksam und gegebenenfalls
durch Rückzahlung einer Abfindung rückabgewickelt ist (§§ 313 III, 346 ff
BGB). Ob ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht kommt, ist eine
Frage der Vertragsauslegung und damit Sache des Einzelfalls.
- 360 -
II. Zeitliche Grenzen des Wiedereinstellungsanspruchs
1. Problemstellung
Grundlage
–
Reichweite
der
dogmatischen
Die zeitlichen Grenzen des Anspruchs auf Wiedereinstellung sind von großer
Bedeutung für seinen praktischen Anwendungsbereich. Es geht dabei um den
Ausgleich der schutzwürdigen Interessen beider Vertragsteile.
Der Arbeitnehmer hat nach dem Wegfall des Kündigungsgrundes ein Interesse
an der vertraglichen Wiederbegründung seiner Existenzgrundlage durch die
Beseitigung der zukünftigen Folgen der aus seiner Sicht grundlosen Kündigung.
Für ihn macht es keinen Unterschied, ob der Anspruch noch während laufender
Kündigungsfrist (als sog. Fortsetzungsanspruch) oder später (als sog. echter
Wiedereinstellungsanspruch) entsteht.906
Der
Arbeitgeber
kann
sich
demgegenüber
auf
die
Wirksamkeit
der
ausgesprochenen Kündigung berufen. Sein Interesse richtet sich auf die
Erlangung von Rechtssicherheit und Dispositionsfreiheit für die Zukunft.907
Dabei
geht
es
um
zwei
Fragen:
Die
Frage,
wie
lange
ein
Wiedereinstellungsanspruch durch Wegfall des Kündigungsgrundes noch
entstehen kann, und die Frage, wie lange ein entstandener Anspruch auf
Wiedereinstellung noch geltend gemacht werden kann.908
Die erste Frage ist durch das kündigungsschutzrechtliche Prognoseprinzip
vorgeprägt, jedenfalls wenn man mit der hier vertretenen Auffassung die
Rechtsgrundlage für den Wiedereinstellungsanspruch aus § 1 II KSchG gewinnt.
906
Zwanziger, BB 1997, 42, 45.
907
KR – Friedrich, § 4 KSchG Rn 10.
908
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 756; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 579.
- 361 Auf die Darstellung der unterschiedlichen Ansichten soll gleichwohl nicht
verzichtet werden, um eine Plausibilitätskontrolle zu ermöglichen.
Die zweite Frage betrifft dagegen das grundsätzliche Problem der zeitlichen
Grenzen einer zulässigen Rechtsausübung.
2. Frist für die Entstehung des Anspruchs
Zur materiellrechtlichen Frage, wie lange der Wiedereinstellungsanspruch durch
das Ausbleiben prognostizierter bzw. das Hinzutreten prognosewidriger
Umstände noch entstehen kann, sollen zunächst die verschiedenen Ansichten
vorgestellt werden. Rspr. und Lit. orientieren sich dabei vorwiegend an
Fallgestaltungen nach betriebsbedingter Kündigung.
a) Entwicklung der Rechtsprechung des BAG
Grundlegend für den Wiedereinstellungsanspruch ist die Entscheidung des 2.
Senats vom 27.02.1997909, die einen Wiedereinstellungsanspruch nach
betriebsbedingter Kündigung annimmt, wenn es noch während des Laufs der
Kündigungsfrist zu einem unerwarteten Betriebsübergang kommt, soweit der
Arbeitgeber – wie regelmäßig vor Ablauf der Kündigungsfrist – noch keine
schutzwürdigen
Dispositionen
getroffen
hat und ihm die unveränderte
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.
Der 7. Senat hat einen Wiedereinstellungsanspruch wegen erst nach
Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintretender Umstände für den gesamten
Bereich
der
betriebsbedingten
Kündigung
abgelehnt,
sofern
nicht
der
Arbeitgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.910
909
910
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255 = AP Nr 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung;
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784 f.
- 362 Der 2. Senat des BAG911
nimmt an, dass ein Wiedereinstellungsanspruch
gekündigter Arbeitnehmer besteht, wenn im Zeitpunkt zwischen Ausspruch einer
Kündigung und dem Kündigungstermin ein bei Ausspruch der Kündigung noch
nicht abzusehender Betriebsübergang stattfindet oder die Betriebsabteilung
entgegen
der
ursprünglichen
Wiedereinstellungsanspruch
soll
Stillegungsabsicht
entstehen,
fortgeführt
wenn
nach
wird.
Kein
Ablauf
der
Kündigungsfrist ein neuer Kausalverlauf in Gang gesetzt wird, also z.B. bei einer
sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung unvorhergesehen nach
Ablauf
der
Kündigungsfrist
im
Betrieb
eine
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit entsteht. Unentschieden blieb die Frage, ob ein
Wiedereinstellungsanspruch auch dann entstehen kann, wenn der Arbeitgeber
erst nach Ablauf der Kündigungsfrist die Unternehmerentscheidung, die zur
Entlassung geführt hat, aufhebt oder ändert.
Nach Ablauf der Kündigungsfrist soll also jedenfalls eine anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit als sog. „neuer Kausalverlauf“ außer Betracht
bleiben912, während der unerwartete Erhalt des Arbeitsplatzes, auf dem der
Arbeitnehmer vormals beschäftigt war, möglicherweise auch nach Ablauf der
Kündigungsfrist, einen Wiedereinstellungsanspruch auslösen soll.913
Die Differenzierung zwischen neuem und altem Kausalverlauf macht indes
keinen Sinn. Der 2. Senat versucht, seine Rspr. mit der des 7. Senats zu
harmonisieren, der für den Fall einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit,
die sich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist ergab, die Entstehung eines
Wiedereinstellungsanspruchs verneint hat.914 In den Entscheidungsgründen
weist
911
der
7.
Senat
jedoch
deutlich
darauf
dass
er
einen
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1997, 757, 757;
BAG (2 AZR 140/97), AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1998, 701, 701.
912
So i.E. auch BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 254.
913
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
914
hin,
Auf die Entscheidung BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254 ff, wird vom 2. Senat ausdrücklich
verwiesen.
- 363 Wiedereinstellungsanspruch
wegen
erst
nach
Beendigung
des
Arbeitsverhältnisses eintretender Umstände jedenfalls für den Bereich der
betriebsbedingten Kündigung generell ablehnt.915
Der 2. Senat benennt gleichwohl mehrere Gesichtspunkte, die für die
Anerkennung der Anspruchsentstehung auch nach Ablauf der Kündigungsfrist
sprechen könnten. So wird darauf hingewiesen, die Verneinung eines solchen
Wiedereinstellungsanspruchs hätte z.B. zur Folge, dass der Arbeitgeber bei
einer Massenkündigung wegen Betriebsstillegung, wenn er sich später doch zur
Fortführung des Betriebes entschließt, nur die Arbeitnehmer wieder einzustellen
hätte, deren Kündigungsfrist im Zeitpunkt der Änderung seines Entschlusses
noch nicht abgelaufen war. Problematisch wäre es auch, wenn nach Auslaufen
der Kündigungsfristen aufgrund einer geplanten Stillegung und damit verfolgter
"personeller Sanierung" ein Betriebsübernehmer nicht zur Wiedereinstellung
verpflichtet wäre.916
Der für Fragen des Betriebsübergangs hauptsächlich zuständige 8. Senat hat
schließlich aber die Entstehung eines Fortsetzungsanspruch nach § 613a BGB
bei willentlicher Übernahme des wesentlichen Teils der Belegschaft in den
Fällen der Funktionsnachfolge auch auf die Zeit nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses
erstreckt,
genügendes
des
Maß
um
ein
den europarechtlichen
Bestandsschutzes
bei
Vorgaben
Betriebsübergängen
zu
gewährleisten.917 Selbst ein bereits entlassener Arbeitnehmer soll so einen
Anspruch auf Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses gegen den Erwerber
erhalten.918
915
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255.
916
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
917
Vgl. oben unter C.VI.2 „Richtlinienkonforme Auslegung des § 613a BGB“ auf Seite 128.
918
BAG (8 AZR 295/95), AP Nr. 169 zu § 613 a BGB = NZA 1998, 251, 251 = DB 1998, 316, 316
= MDR 1998, 420, 420 = BAGE 87, 115, 115; BAG (8 AZR 729/96), AP Nr. 172 zu § 613 a
BGB; BAG (8 AZR 265/97), AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1999, 311,
- 364 Für andere Kündigungsgründe lehnt sich die Rspr. an die Überlegungen zur
betriebsbedingten Kündigung an. So hat der 7. Senat in seiner Entscheidung
vom 27.06.2001919 entschieden, ein wegen Krankheit wirksam gekündigter
Arbeitnehmer könne eine Wiedereinstellung jedenfalls dann nicht verlangen,
wenn die nachträgliche überraschende grundlegende Besserung seines
Gesundheitszustands erst nach Ablauf der Kündigungsfrist eingetreten ist.
Der 2. Senat hält dagegen die Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs
nach krankheitsbedingter Kündigung auch nach Ablauf der Kündigungsfrist für
möglich.920
b) Anspruchsentstehung nur innerhalb laufender
Kündigungsfrist – h.M.
(1) Anspruchsentstehung vor Ablauf der Kündigungsfrist –
Gleichlauf von Kündigungsfrist und
Wiedereinstellungsoption entsprechend dem
Rechtsgedanken des § 1 III KSchG
In
der
Rspr.921
bejahenden922
und
Lit.923
der
den
Wiedereinstellungsanspruch
besteht
Einigkeit
darüber,
prinzipiell
dass
ein
Wiedereinstellungsanspruch zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
entstehen kann.
Der auf die Interessenwahrungspflicht abstellende 7. Senat formuliert das so:
„Im
noch
bestehenden
Arbeitsverhältnis
hat
der
Arbeitgeber
seine
311 = DB 1999, 485, 485 = BB 1999, 589, 589 = MDR 1999, 551, 551= EzA Nr. 171 zu § 613a
BGB.
919
BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f.
920
BAG (2 AZR 431/98), NZA 1999, 978, 980 m.w.N.
921
BAG (2 AZR 160/96), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG (7 AZR 557/96),
AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG (2 AZR 140/97), AP Nr. 4 zu § 1 KSchG
1969 Wiedereinstellung; BAG (8 AZR 265/97), AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung;
BAG (2 AZR 757/98), AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl.
922
Prinzipiell verneinende Stimmen siehe FN 14.
923
Siehe FN 13.
- 365 Verpflichtungen so zu erfüllen, seine Rechte so auszuüben und die im
Zusammenhang
mit
dem
Arbeitsverhältnis
stehenden
Interessen
des
Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Belange des
Betriebes und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach
Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann.“924
Je nach Länge der Kündigungsfristen der betroffenen Arbeitnehmer steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass sich die Prognose des Arbeitgebers über die
zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten noch vor deren Ablauf als falsch
herausstellt. Über solche längeren Kündigungsfristen verfügen gerade die sozial
schwächeren Arbeitnehmer, die ein höheres Lebensalter und eine längere
Betriebszugehörigkeit aufweisen, und die deshalb durch § 1 III 1 HS 1 KSchG
besonders geschützt werden, der verlangt, dass unter den funktional
austauschbaren Arbeitnehmern grundsätzlich zuerst die jeweils sozial stärkeren
Arbeitnehmer
auf
Wertentscheidung
den
des
Arbeitsmarkt
Gesetzgebers
verwiesen
wäre
es
werden.
unvereinbar,
Mit
dieser
wenn
der
Arbeitgeber die Möglichkeit hätte, billigere, jüngere und sozial stärkere
Arbeitnehmer einzustellen, obwohl die sozial schwächeren Arbeitnehmer noch
im Betrieb tätig sind oder jedenfalls noch in einem Arbeitsverhältnis stehen.925
Der Wiedereinstellungsanspruch kann so nach Auffassung von Zwanziger926
aus einer erweiternden Auslegung des § 1 III KSchG abgeleitet werden, denn er
kommt – weil auf den Ablauf der Kündigungsfrist begrenzt – gerade den sozial
schwächeren Arbeitnehmern mit typischerweise längeren Kündigungsfristen
zugute.
924
925
926
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255.
LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1; Zwanziger, BB 1997,
42, 43.
Zwanziger, NJW 1995, 916, 918; Zwanziger, BB 1997, 42, 43.
- 366 -
(2) Unbeachtlichkeit der Widerlegung der Prognose nach
Ablauf der Kündigungsfrist
(a) Überblick
Nach Auffassung des 7. Senats927 und der in der Lit. herrschenden Ansicht928
ist nach Ablauf der Kündigungsfrist
der Wegfall des Kündigungsgrundes
regelmäßig unbeachtlich.
Die Rspr. der Instanzgerichte ist dem z.T. gefolgt929 oder lässt die Frage nach
der
zeitlichen
Grenze
der
Anspruchsentstehung
bei
mangelnder
Entscheidungserheblichkeit offen, wenn z.B. formuliert wird, es sei nicht
ausreichend, wenn sich die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit jedenfalls „erst
Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist“ ergibt.930
(b) Begründung über vertragsrechtliche Ansätze
Der
Grund
wird
von
der
h.M.
darin
gesehen,
dass
sich
ein
Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist dogmatisch nicht
mehr begründen lasse. Der Arbeitgeber habe nur im Rahmen eines (noch)
bestehenden Arbeitsverhältnisses veränderten Umständen nach Treu und
Glauben
927
928
Rechnung
zu
tragen.
Außerhalb
eines
bestehenden
BAG (7 AZR 557/96), AP Nr 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1998, 254, 254;
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784 f; BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f =
NJW 2001, 3429, 3429 f.
Preis Prinzipien, S. 355; Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 1; vom Stein, RdA 1991, 85, 91; Ricken, NZA 1998, 460, 464;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn 645; Annuß, BB 1998, 1582, 1586; Beckschulze, DB 1998, 417,
418; Stoffels, ZfA 1998, 49, 114; Bartel, SAE 1998, 318, 318 f; Boudon, BAG (7 AZR 557/96),
EWiR § 1 KSchG 1/98, 323 f; Kania, Anm. zu BAG (2 AZR 160/96), EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1; Meyer, NZA 2000, 297, 300; Schiefer, DB 2000, 669, 673;
Oetker, ZIP 2000, 643, 648 f; Kort, SAE 2001, 131, 132.
929
LAG Köln (12 Sa 403/96), LAGE Nr. 5 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch.
930
LAG Köln (11 Sa 1610/98), FA 2000, 201, 201.
- 367 Vertragsverhältnisses sei weder eine Anwendung von § 242 BGB möglich, noch
bestünden Fürsorge- oder Interessenwahrungspflichten.931
Voraussetzung für diese Begründung ist also, dass man mit der h.M. die
Anspruchsgrundlage für den Wiedereinstellungsanspruch unmittelbar aus dem
Vertragsverhältnis ableitet, also insbesondere aus dessen Fürsorge- bzw.
Interessenwahrungspflichten. Die Einzelheiten wurden bereits erörtert.932
Schließlich wird auch der Gedanke der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens
gegen die
Anerkennung eines erst nach
wirksamer Beendigung des
Arbeitsverhältnisses entstehenden Wiedereinstellungsanspruchs angeführt933,
da materielle Anhaltspunkte für eine in jedem Falle notwendige zeitliche
Begrenzung einer nachvertraglichen Wiedereinstellungspflicht sich ansonsten
nicht feststellen ließen.934 Die Gegenauffassung935, die darauf verweist, dass
eine gewisse Rechtsunsicherheit im Interesse einer dogmatisch schlüssigen und
gerechten Lösung hingenommen werden müsse, bleibe den Nachweis für die
dogmatische Schlüssigkeit dieser Lösung gerade schuldig.936
(c) Reichweite des kündigungsschutzrechtlichen
Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses
Boewer937 geht im Anschluss an Preis938 davon aus, dass sich die zeitliche
Begrenzung der Anspruchsentstehung exakt aus dem in § 1 II KSchG
931
932
933
LAG Köln (4/2 Sa 860/88), DB 1989, 1475, 1476; BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135
f = NJW 2001, 3429, 3429 f.
Siehe oben unter C.III.2 „(Nachwirkende) Fürsorgepflicht / Interessenwahrungspflicht“ auf Seite
76.
Bartel, SAE 1998, 318, 318 f; Hergenröder, Anm. zu BAG (2 AZR 140/97), EzA § 1 KSchG
Wiedereinstellungsanspruch Nr. 3.
934
Annuß, BB 1998, 1582, 1587.
935
Walker, SAE 1998, 103, 107.
936
Annuß, BB 1998, 1582, 1587.
937
Boewer, NZA 1999, 1177, 1178.
938
Preis Prinzipien, S. 355.
- 368 geregelten Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses ableiten lässt. Nur
innerhalb dieses Bestandsschutzes könne der Arbeitnehmer darauf vertrauen,
dass der Arbeitgeber die zur Begründung des Arbeitsverhältnisses führende
Kündigung revidiert, wenn sie sich nachträglich bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist als überflüssig erweist. Nur insoweit könne man den Arbeitgeber
einem Kontrahierungszwang unterwerfen, wenn die Zweckdetermination der
Kündigung ins Leere läuft. Das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers gehe mit
dem endgültigen Erlöschen der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis unter
(§
362
BGB).
Der
mit
dem
Kontrahierungszwang
verbundene
Wiedereinstellungsanspruch diene als Instrument, um einen funktionsfähigen
Bestandsschutz
des
Arbeitsverhältnisses
zu
erreichen.
Es
gehe
dem
Wiedereinstellungsanspruch um die Rettung eines Vertrages, der eigentlich
durch wirksame Kündigung erlöschen muss. Dieser Denkansatz werde durch §
1 II 1 und 2 KSchG unterstützt. Die Systematik des Gesetzes ziele darin auf die
Möglichkeit einer unmittelbaren, d.h. nahtlosen Weiterbeschäftigung des
Arbeitnehmers ab. Nur ausnahmsweise wolle der Gesetzgeber in § 1 II 3 KSchG
von dieser Bewertung durch eine entsprechende Anwendung des § 1 II 2 KSchG
abweichen.
Dieser Sichtweise stehe es nicht entgegen, wenn das BAG939 für die
Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung darauf abstellt, ob auch in
absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist kein freier Arbeitsplatz
vorhanden ist, sofern die Überbrückung dem Arbeitnehmer zugemutet werden
kann,
was
der
Fall
ist,
wenn
die
Einarbeitungszeit
eines
anderen
Stellenbewerbers nicht überschritten wird.940
Demnach soll die Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt markieren,
jenseits dessen eine nahtlose Weiterbeschäftigung – um die es dem
kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz gerade gehe – nicht mehr möglich
939
BAG (2 AZR 327/94), NZA 1995, 521, 521.
940
Boewer, NZA 1999, 1177, 1178 (dort FN 14).
- 369 und ein Anspruch auf Wiedereinstellung daher dem Kündigungsschutzgesetz
nicht zu entnehmen sei.
(d) Kritik
Dass es dem kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz stets um eine
nahtlose Weiterbeschäftigung geht, lässt sich aus § 1 II 2 KSchG indes nicht
entnehmen. Dort ist von einer zumutbaren Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an
einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen die Rede. Nach der Rspr. des BAG
ist dafür nicht Voraussetzung, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
unmittelbar im Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist besteht. Vielmehr
soll
der
Arbeitgeber
bereits
im
Kündigungszeitpunkt
auch
solche
Beschäftigungsmöglichkeiten als milderes Mittel gegenüber der Kündigung
berücksichtigen, die sich innerhalb eines zumutbaren Überbrückungszeitraums
nach dem intendierten Entlassungstermin ergeben. Die Rspr. zur Zumutbarkeit
eines Überbrückungszeitraums im Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist
steht der Sichtweise von Boewer also durchaus entgegen. Es handelt sich auch
nicht um einen außer Acht zu lassenden Ausnahmefall. Das könnte man
allenfalls
für
die
Regelung
des
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
§
1
nach
II
3
KSchG,
also
für
Umschulungs-
eine
oder
Fortbildungsmaßnahmen, annehmen.
Kritisch
wird
auch
angemerkt,
die
zeitliche
Begrenzung
der
Anspruchsentstehung auf den Ablauf der Kündigungsfrist bewirke, dass
Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit in dreifacher Hinsicht besser
gestellt seien als andere Arbeitnehmer mit geringerer Betriebszugehörigkeit,
nämlich bei der Sozialauswahl gemäß § 1 III KSchG, der Länge der
Kündigungsfrist nach § 622 BGB und schließlich sogar bei der Aussicht auf den
späteren Erwerb eines Wiedereinstellungsanspruchs. Diese Sichtweise führe zu
einer Überbewertung der Dauer der Betriebszugehörigkeit, die jedenfalls im
Hinblick auf den Wiedereinstellungsanspruch nicht gerechtfertigt sei. Der
- 370 Wiedereinstellungsanspruch
könnte
so
zum
Closed-Shop-Anspruch
der
Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit werden.941
Außerdem
wird
vorgetragen,
eine
zeitliche
Begrenzung
der
Anspruchsentstehung auf den Ablauf der Kündigungsfrist führe zu einer
ungerechtfertigten
Privilegierung
einzelner
Arbeitnehmer(gruppen).942
Es
erscheine widersinnig, gerade aus der Kündigung, deren Rechtswirkungen
durch den Wiedereinstellungsanspruch beseitigt werden sollen, eine zeitliche
Grenze abzuleiten. Es leuchte auch nicht recht ein, warum bei einem Wegfall
des Grundes für eine betriebsbedingte Kündigung der Arbeitgeber, der es bei
der Beendigung mehrerer gekündigter Arbeitsverhältnisse belassen will,
gegenüber einem Arbeitnehmer, bei dem die Kündigungsfrist noch nicht
abgelaufen war, rechtsmissbräuchlich handeln soll, nicht aber gegenüber einem
anderen gekündigten Arbeitnehmer, dessen Kündigungsfrist vielleicht gerade
abgelaufen war. Auch nach Ablauf der Kündigungsfrist könne sich das Verhalten
des Arbeitgebers , der anstelle des entlassenen Arbeitnehmers einen anderen
Arbeitnehmer einstellen will, als rechtsmissbräuchlich bzw. als Verstoß gegen
Treu und Glauben erweisen.943
c) Anspruchsentstehung auch nach Ablauf der
Kündigungsfrist – M.M.
(1) Überblick
Nur
von
einer
M.M.
vertreten
wird
die
Auffassung,
dass
der
Wiedereinstellungsanspruch auch auf Umstände gestützt werden kann, die erst
nach dem Entlassungstermin entstehen.
941
Nägele, BB 1998, 1686, 1688.
942
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 106 f.
943
Walker, SAE 1998, 103, 106.
- 371 Seit seiner Entscheidung vom 04.12.1997 lässt der 2. Senat944 die Frage
ausdrücklich offen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen auch
bei einer Aufhebung oder Änderung der Unternehmerentscheidung nach Ablauf
der
Kündigungsfrist
ein
Wiedereinstellungsanspruch
des
betroffenen
Arbeitnehmers entstehen kann.945
Die Verneinung eines solchen Wiedereinstellungsanspruchs hätte nach
Auffassung des 2. Senats z.B. zur Folge, dass der Arbeitgeber „bei einer
Massenkündigung wegen Betriebsstillegung, wenn er sich später doch zur
Fortführung des Betriebes entschließt, nur die Arbeitnehmer wieder einzustellen
hätte, deren Kündigungsfrist im Zeitpunkt der Änderung seines Entschlusses
noch nicht abgelaufen war.“946
Anlehnend an die Rspr. des 8. Senats zum Wiedereinstellungsanspruch nach
einem unerwarteten Betriebsübergang947 fügt der 2. Senat hinzu, problematisch
wäre es auch, wenn nach Auslaufen der Kündigungsfristen aufgrund einer
geplanten
Stillegung
und
damit
verfolgter
„personeller
Sanierung“
ein
Betriebsübernehmer nicht zur Wiedereinstellung verpflichtet wäre.948
Auch ein Teil der Lit.949 will einen Wiedereinstellungsanspruch auch dann noch
bejahen, wenn sich die kündigungsbegründenden Umstände erst nach Ablauf
der Kündigungsfrist und damit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
geändert haben. Dass die Kündigungsfrist eine starre zeitliche Grenze für den
Wiedereinstellungsanspruch markieren soll, sei nicht recht einzusehen. Diesem
944
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
945
Siehe Zusammenfassung des Tatbestandes auf Seite 9.
946
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
947
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 252.
948
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
949
Hambitzer Diss., S. 89 ff, 92, 131; Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241; Walker, SAE 1998, 103,
106; Papenheim, ZMV 1998, 241, 241; Dornieden, AiB 1998, 410, 410; Meinel/Bauer, NZA
1999, 575, 579 f; Furier, AiB 1999, 246, 247; Raab, RdA 2000, 147, 154; KR – Etzel, § 1
KSchG Rn 518; MünchArbR II – Berkowsky, § 130 Rn 90.
- 372 Kriterium fehle jeglicher Gerechtigkeitsgehalt. Der Bestandsschutz könnte damit
von der mehr oder weniger zufälligen zeitlichen Abfolge der Ereignisse
abhängen.950
(2) Dauer des Kündigungsschutzprozesses bzw. Frist nach §
4 KSchG
Schließlich
könnte
man
auch
auf
die
Dauer
des
folgenden
Kündigungsschutzprozesses bzw. ohne einen solchen auf die Frist des § 4
KSchG als zeitliche Grenze der Anspruchsentstehung abstellen.
Der 7. Senat wendet sich – ohne nähere Begründung - ausdrücklich gegen
diese Sichtweise.951
Für das Ende des Kündigungsschutzprozesses als zeitliche Grenze der
Anspruchsentstehung
rechtskräftigen
ließe
sich
klageabweisenden
allenfalls
Urteils
anführen,
im
der
Sinn
eines
Kündigungsschutzprozess
bestünde darin, Rechtssicherheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zu schaffen, indem der Streit der ehemaligen Vertragsparteien endgültig
beigelegt wird. Der Wiedereinstellungsanspruch stellt aber einen selbständigen
Streitgegenstand dar, der auf der Wirksamkeit der Kündigung aufbaut.952 Eine
Begrenzung der Anspruchsentstehung auf die rechtskräftige Abweisung der
Kündigungsschutzklage würde daher keinen Sinn machen. Der verständige
Arbeitnehmer wird schon gar keinen Kündigungsschutzprozess anstrengen, da
die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung im allein maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt ja vorlagen und sich deshalb die Kündigung als
rechtsbeständig erweisen muss.953 Im Übrigen würde so der Erhebung
unnützer Klagen und der Prozessverschleppung sinnlos Vorschub geleistet, um
950
Papenheim, ZMV 1998, 241, 241; Raab, RdA 2000, 147, 155.
951
BAG (7 AZR 557/96), AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = SAE 1998, 317, 318.
952
Beckschulze, DB 1998, 417, 418.
953
Manske, FA 1998, 143, 145.
- 373 noch
möglichst
lange
von
positiven
Veränderungen
der
kündigungsbegründenden Umstände profitieren zu können.954
(3) Keine zeitliche Grenze der Anspruchsentstehung
Andere Stimmen955 schlagen vor, allein darauf abzustellen, ob dem Arbeitgeber
die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers wirklich (sachlich)
unzumutbar ist, m.a.W. bei Anerkennung sachlicher Grenzen auf eine zeitliche
Grenze der Anspruchsentstehung ganz zu verzichten. Sinn einer zeitlichen
Begrenzung sei allein der Schutz der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers, der
nach Fristablauf auf die Wirksamkeit der Kündigung soll vertrauen dürfen (§§ 4,
7 KSchG). Beschränke man die Wiedereinstellungspflicht auf die noch oder
wieder verfügbaren Arbeitsplätze, so sei die Dispositionsfreiheit auch ohne eine
zeitliche Begrenzung der Anspruchsentstehung gewahrt. Der Arbeitgeber könne
vor seiner Kenntnis vom Fortfall des Kündigungsgrundes über den frei
gewordenen Arbeitsplatz risikolos disponieren. Nach Kenntnisnahme habe er
dem Arbeitnehmer die noch mögliche Wiedereinstellung anzubieten. Lehne der
Arbeitnehmer ab, so sei der Anspruch erloschen.956
So werde die Privatautonomie des Arbeitgebers nicht über Gebühr belastet. Im
Übrigen
werde
auch
Anspruchsentstehung
einer
uferlosen
vorgebeugt,
denn
zeitlichen
der
mit
Ausdehnung
dem
Wegfall
der
des
Kündigungsgrundes entstandene Anspruch auf Wiedereinstellung dürfte einen
längeren Zeitraum kaum überdauern.957
954
955
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 756 f; Zwanziger, BB 1997, 42, 45; Manske, FA 1998, 143, 145 f;
Krasshöfer, EWiR 1998, 773, 774; Walker, SAE 1998, 103, 106.
956
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
957
Walker, SAE 1998, 103, 106.
- 374 -
d) Unterscheidung zwischen Veränderungs- und
Stabilitätsprognose – Ansatz von Meinel/Bauer
(1) Wiedereinstellungsanspruch nur als Konsequenz einer
widerlegten Veränderungsprognose
Nach Auffassung von Meinel/Bauer958 lässt sich die innere Rechtfertigung des
Wiedereinstellungsanspruchs
sowie
seine
Begrenzung
auf
einzelne
Kündigungsgründe und einen eng begrenzten Entstehungszeitraum aus der
Überlegung
ableiten,
dass
die
prognosebedingte
Kündigungsmöglichkeit
insbesondere in den Fällen der betriebsbedingten Kündigung eine vorzeitige
Lösung des Arbeitsverhältnisses ermögliche. Der Arbeitgeber stehe hier vor der
Alternative, entweder den tatsächlichen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
abzuwarten und daher unabhängig von einer Prognose zu kündigen, oder
prognosebedingt so frühzeitig zu kündigen, dass die Kündigungsfrist zum
Zeitpunkt des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit bereits abgelaufen und
mithin kein Annahmeverzugslohn zu zahlen ist. Insoweit wird von einer
Veränderungsprognose gesprochen. Die zukünftige Veränderung der Tatsachen
(Wegfall des Arbeitsplatzes) sei Gegenstand der Prognose und alleiniger
Kündigungsgrund. Die Veränderungsprognose sei (im Unterschied zur sog.
Stabilitätsprognose) ein Zugeständnis an den Arbeitgeber. Die Prognose gebe
ihm überhaupt erst eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit. Er dürfe schon
aufgrund der Prognose einer zukünftigen Tatsachenänderung kündigen, obwohl
man ihn auch diese Tatsachenänderung abwarten lassen könnte. Diese
Alternative zum vorzeitigen Kündigungsentschluss des Arbeitgebers, bis zum
tatsächlichen Eintritt der prognostizierten Tatsachenänderung zu warten,
ermögliche zweierlei: Zum einen mache sie die Veränderungsprognose als
Zugeständnis an den Arbeitgeber begreifbar. Zum anderen biete sie den
Gerechtigkeitsmaßstab
für
Wiedereinstellungsanspruchs.959
958
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575 ff.
959
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 577.
die
Der
Anerkennung
Wiedereinstellungsanspruch
eines
dürfe
- 375 entsprechend
seiner
Zwecksetzung
als
Korrektur
der
Prognosekündigungsmöglichkeit nicht über den Zustand hinausgehen, wie er
ohne Inanspruchnahme dieser Möglichkeit bestünde. Unabhängig von einer
Veränderungsprognose könne der Arbeitgeber zweifellos dann kündigen, wenn
der Arbeitsplatz tatsächlich weggefallen sei. Über diese Grenze würde eine
Korrektur der Veränderungsprognose hinausschießen, die einem Arbeitnehmer
selbst dann einen Wiedereinstellungsanspruch einräumt, wenn der Arbeitsplatz
(entsprechend der Prognose) tatsächlich wegfällt und erst danach eine erneute
Beschäftigungsmöglichkeit entsteht. Ein Arbeitgeber, der die Vorteile der
Veränderungsprognose nicht in Anspruch nehmen wolle, müsse mit seiner
Kündigung bis zum tatsächlichen Wegfall des Arbeitsplatzes warten, um keinem
Wiedereinstellungsanspruch
ausgesetzt
zu
sein.
Ebenfalls
kein
Wiedereinstellungsanspruch dürfe dann entstehen, wenn der Arbeitgeber zwar
prognosebedingt vorzeitig kündigt, sich aber das prognostizierte Ereignis
verwirklicht, indem zum prognostizierten Zeitpunkt tatsächlich der betroffene
Arbeitsplatz entfällt.960 Wer vorzeitig aufgrund einer Veränderungsprognose
kündigt, soll also das Risiko dafür tragen, dass die prognostizierte Veränderung
tatsächlich
eintritt.
Tritt
die
Veränderung
nicht
ein,
ist
der
Wiedereinstellungsanspruch der Preis für die verfrühte Kündigung.
Demnach
soll
ein Wiedereinstellungsanspruch
nur
in den
Fällen der
betriebsbedingten Kündigung wegen zukünftigen Wegfalls des Arbeitsplatzes –
nicht
aber
wegen
bereits
eingetretenen
Wegfalls
–
sowie
bei
der
Verdachtskündigung961 zu bejahen sein.
In allen anderen Fällen wird dagegen ein Wiedereinstellungsanspruch verneint,
weil es insoweit lediglich um eine Stabilitätsprognose des Arbeitgebers gehe.
Die Stabilitätsprognose habe die Stabilität der bestehenden Verhältnisse zum
960
961
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 579 f.
Zum (nach hier vertretener Auffassung verfehlten) Ansatz einer Veränderungsprognose bei der
Verdachtskündigung siehe oben unter C.VII.1.a)(4)(a) „Prognose über “ auf Seite 148.
- 376 Gegenstand. Bei der verhaltensbedingten Kündigung gehe es darum, ob sich
die bereits erfolgte Vertragsstörung nicht in Zukunft beheben lasse. Bei der
krankheitsbedingten Kündigung habe die negative Gesundheitsprognose die
Funktion, die Stabilität der gegenwärtigen Störung des Vertragsverhältnisses
festzustellen. Schließlich sei noch der Fall der betriebsbedingten Kündigung
wegen bereits eingetretenen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit zu
nennen. Insoweit gehe es um die Frage, ob das Fehlen einer anderweitigen
zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit andauere. Bei der Stabilitätsprognose
sei eine Wiedereinstellung deshalb zu verneinen, weil der Arbeitgeber nicht die
Wahl habe, aufgrund der Prognose vorzeitig zu kündigen oder ihre
Verwirklichung abzuwarten. Wollte man den Arbeitgeber auf letzteres verweisen,
so könnte er gar nicht kündigen. Denn ob die Störung des Vertragsverhältnisses
stabil bleibe, lasse sich erst sagen, wenn alle erdenkliche Zukunft des
Arbeitsverhältnisses verstrichen sei. Dies liefe auf eine faktische Unkündbarkeit
hinaus,
die
schon
verfassungsrechtlich
unzulässig
sei.
Mangels
einer
arbeitgeberungünstigen Alternative lasse sich die Stabilitätsprognose daher
anders als die Veränderungsprognose nicht als Zugeständnis an den
Arbeitgeber begreifen. Damit entfalle zugleich die innere Rechtfertigung des
Wiedereinstellungsanspruchs.962
(2) Unbeachtlichkeit der Widerlegung der Prognose bereits
nach dem Zeitpunkt ihrer prognostizierten Verwirklichung
Der auf die Veränderungsprognose beschränkte Wiedereinstellungsanspruch ist
folgerichtig
auch
zeitlich
beschränkt
auf
den
prognostizierten
Verwirklichungszeitpunkt, also den Zeitpunkt, in dem der Arbeitsplatz entfallen
soll.
Diese zeitliche Grenze stimmt regelmäßig mit der h.M. überein, die auf den
Ablauf der Kündigungsfrist abstellt. In der Regel wird der Arbeitgeber so
962
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 577.
- 377 rechtzeitig kündigen, dass die Kündigungsfrist in dem Zeitpunkt abläuft oder
bereits
abgelaufen
ist,
in
dem
nach
seiner
Prognose
die
Beschäftigungsmöglichkeit entfallen wird. Ein relevanter Unterschied ergibt sich
demnach, wenn der Arbeitgeber den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit zu
einem Zeitpunkt plant, zu dem er unter Beachtung der Kündigungsfristen nicht
mehr rechtzeitig kündigen kann. In diesem Fall sei es sachgerecht,
Tatsachenänderungen nur bis zum Zeitpunkt des prognostizierten Wegfalls der
Beschäftigungsmöglichkeit zu berücksichtigen, da ansonsten ein sachlich nicht
gerechtfertigter
Closed-Shop-Anspruch
der
Arbeitnehmer
mit
langer
Betriebszugehörigkeit entstünde.963 Die Anspruchsentstehung soll sich also an
einem
Zeitpunkt
entscheiden,
den
Zeitpunkt
des
prognostizierten
Arbeitsplatzwegfalls. Nur in diesem Zeitpunkt könne der Anspruch auf
Wiedereinstellung entstehen. Eine weiterlaufende Kündigungsfrist soll daran
nichts ändern.
(3) Stellungnahme
Dass trotz des überzeugenden Grundansatzes eine Differenzierung zwischen
Veränderungs- und Stabilitätsprognose für die Wiedereinstellungsfrage nicht
überzeugt, zeigt sich indes gerade am Beispiel der betriebsbedingten
Kündigung.
(a) Nebeneinander von Stabilitäts- und Veränderungsprognose
Neben
der
„Veränderungs“-Prognose
des
zukünftigen
Wegfalls
des
Arbeitsplatzes kommt es stets auch auf eine „Stabilitäts“-Prognose mit dem
Inhalt an, dass sich nach dem Wegfall des Arbeitsplatzes in absehbarer Zeit
keine zumutbare anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ergibt. Das Gesetz
achtet
den
betriebsbedingten
Wegfall
des
Arbeitsplatzes
und
das
Nichtvorhandensein anderer zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten gleich (§
1 II 1 und 2 KSchG). Entscheidend ist nur, ob „betriebliche Erfordernisse“ einer
963
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 580.
- 378 „Weiterbeschäftigung“
entgegenstehen.
Die
vom
Arbeitgeber
im
Kündigungszeitpunkt anzustellende Prognose umfasst damit zweierlei: Den
Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes und die Nichtabsehbarkeit anderer
zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten (gegebenenfalls nach Umschulungsoder Fortbildungsmaßnahmen). Es kommt also – in der Terminologie von
Meinel/Bauer – stets sowohl auf eine Veränderungs- als auch auf eine
Stabilitätsprognose an, wenn der Arbeitgeber betriebsbedingt vor dem Wegfall
des Arbeitsplatzes kündigt. Kündigt er erst mit Wegfall des Arbeitsplatzes,
reduziert sich die Prognose auf den Stabilitätsaspekt, also auf das dauerhafte
Nichtvorhandensein anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten.
Bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungsgründen umfasst die
Prognose ebenfalls diesen Stabilitätsaspekt, da die Kündigungsvoraussetzung
einer fehlenden anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 II 2
KSchG auf alle drei Grundarten der sozial gerechtfertigten Kündigung
Anwendung findet. Insoweit ist lediglich der praktische Anwendungsbereich der
Vorschrift
geringer,
da
eine
personen-
oder
verhaltensbedingte
Kündigungsbefugnis naturgemäß meist unabhängig von den Besonderheiten
des jeweiligen Arbeitsplatzes bestehen bleibt.
(b) Prognoseinhalt hinsichtlich anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten
Hinsichtlich anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten muss der Arbeitgeber im
Kündigungszeitpunkt
prognostizieren,
dass
während
des
Laufs
der
Kündigungsfrist und auch in engem zeitlichen Zusammenhang nach deren
Ablauf kein anderer geeigneter Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen frei
werden wird, auf dem eine Weiterbeschäftigung zumutbar wäre.964 Die
Kündigung ist rechtsunwirksam, wenn schon im Kündigungszeitpunkt feststeht,
dass ein geeigneter Arbeitsplatz während oder in absehbarer Zeit nach Ablauf
964
BAG (2 AZR 327/94), AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG (2
AZR 180/95), NZA 1996, 931, 933.
- 379 der Kündigungsfrist frei werden wird, wobei die Praxis für die zumutbare
Überbrückungszeit auf den Zeitraum abstellt, den ein anderer Stellenbewerber
zur Einarbeitung benötigen würde.965 Im gleichen Sinne hat das BAG zu der
Sonderregelung des § 1 II 3 KSchG entschieden.966
(c) Unzumutbarkeit des Abwartens der Veränderung
Falsch ist, dass man den Arbeitgeber bei einem bevorstehenden Wegfall des
Arbeitsplatzes auf ein Abwarten der Verwirklichung der Prognose(n) verweisen
könnte, womit die Möglichkeit eröffnet wäre, eine nicht prognoseabhängige
Kündigung
auszusprechen,
die
dann
auch
keinem
möglichen
Wiedereinstellungsanspruch ausgesetzt werden dürfte.
Innere Rechtfertigung für den Wiedereinstellungsanspruch ist nicht etwa ein in
der
prognosebedingten
Kündigung
verborgenes
Zugeständnis
an
den
Arbeitgeber, für das er den Tribut der Wiedereinstellung zahlen müsste, wenn
die Prognose später widerlegt wird. Die Alternative des Abwartens des
tatsächlichen Wegfalls des Arbeitsplatzes vor Ausspruch der Kündigung ist dem
Arbeitgeber schon gar nicht zumutbar, weil das KSchG auf eine fehlende
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit abstellt und damit die Situation bei Beendigung
der Vertragsbeziehungen, also nach Ablauf der Kündigungsfrist, meint. Der mit
der Pflicht zur Entgeltzahlung verknüpfte Lauf der Kündigungsfrist soll daher in
die Zeit vor dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit fallen. Noch viel weniger
zumutbar (aber möglich) wäre ein Abwarten der sog. Stabilitätsprognose
mangelnder anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten. Hierfür müsste der
Arbeitgeber entsprechend den geschilderten Grundsätzen über den Zeitpunkt
des Wegfalls
965
966
des
Arbeitsplatzes
hinaus
auch
noch
den
zumutbaren
BAG (2 AZR 327/94), EzA § 1 KSchG Nr. 75 ; von Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG (2 AZR
242/94), EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77, zu IV 2; Tschöpe, BB 2000,
2630, 2632.
BAG (2 AZR 205/90), AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Umschulung.
- 380 Überbrückungszeitraum abwarten, denn auf diese Grenze ist die Prognose
ausgerichtet, nicht auf „alle erdenkliche Zukunft“.
Es würde der Konzeption des KSchG widersprechen, den Arbeitgeber auf eine
unzumutbare Verhaltensalternative zu verweisen und daraus die Freistellung
von einer möglichen Wiedereinstellungspflicht ableiten zu wollen.
(d) Keine prinzipielle Abhängigkeit der Wiedereinstellung von nur
graduellen Unterschieden zwischen den Prognosearten
Richtig
ist,
dass
es
sich
bei
allen
kündigungsbegründenden
Prognoseentscheidungen, mit Ausnahme der Prognose über den Wegfall des
Arbeitsplatzes bei der betriebsbedingten Kündigung, um solche ohne festen
Bezugspunkt
handelt.
Daraus
ergibt
sich
indes
nicht,
dass
ein
Wiedereinstellungsanspruch bis auf den einen Fall ausscheiden muss, in dem
nach betriebsbedingter Kündigung unerwartet der betroffene Arbeitsplatz doch
erhalten bleibt.
Auch bei der sog. Stabilitätsprognose gibt es ein Ereignis, auf dessen Eintritt
bzw. Nichteintritt der Arbeitgeber warten könnte. Es macht insoweit keinen
prinzipiellen Unterschied, ob der Arbeitgeber auf den von ihm prognostizierten
Wegfall des Arbeitsplatzes wartet oder auf das Entstehen anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten. In beiden Fällen können nachfolgende Ereignisse
die Prognose widerlegen.
Im Übrigen passt es nicht zusammen, wenn Meinel/Bauer einerseits nur bei
Inanspruchnahme einer Veränderungsprognose durch den Arbeitgeber einen
Wiedereinstellungsanspruch gewähren wollen, dies andererseits aber damit
begründen,
der
Wiedereinstellungsanspruch
sei
eine
Korrektur
der
Prognosekündigungsmöglichkeit, weshalb eine Wiedereinstellungsoption nur
den Zustand herstellen könne, wie er ohne die Prognosekündigungsmöglichkeit
- 381 bestünde.967 Da auch die Stabilitätsprognose eine Prognose ist, bedürfte es
schon der Behauptung, der Wiedereinstellungsanspruch sei eine Korrektur nur
der Veränderungsprognose, nicht aber der Stabilitätsprognose. Für eine
Differenzierung mit derart weitreichenden Folgen lässt sich aber keine
stichhaltige Begründung anführen, denn die Unterschiede zwischen beiden
Prognosearten sind lediglich gradueller Natur.
Die Veränderungsprognose, der vom Arbeitnehmer besetzte Arbeitsplatz werde
dauerhaft
entfallen,
kann
anders
formuliert
durchaus
auch
als
Stabilitätsprognose verstanden werden, etwa wenn man sie auf die Formel
bringt, es werde bei der Unternehmerentscheidung und ihren betrieblichen
Auswirkungen auf den Arbeitskräftebedarf mit der Konsequenz des dauerhaften
Wegfalls des betreffenden Arbeitplatzes bleiben.
Umgekehrt ist die Stabilitätsprognose, auch in Zukunft sei nicht mit anderen
Beschäftigungsmöglichkeiten zu rechnen, nichts anderes als eine negative
Veränderungsprognose, denn Gegenstand der Prognose ist, dass es gerade
nicht zu einer Veränderung kommt.
Beide Prognosearten weisen also keinen prinzipiell verschiedenen Charakter
auf, der eine Entweder-Oder-Lösung der Wiedereinstellungsfrage erklären
könnte.
e) Stellungnahme
(1) Ungeeignetheit der Kündigungsfrist
An der insbesondere vom 7. Senat geäußerten Auffassung, mit dem Ablauf der
Kündigungsfrist und der damit einhergehenden endgültigen Lösung der
Vertragsbeziehungen
fehle
Wiedereinstellungsanspruch
967
es
an
einer
deshalb,
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 576.
Rechtsgrundlage
weil
die
für
einen
gegenseitigen
- 382 Interessenwahrungspflichten nicht über die Beendigung der Vertragsbeziehung
hinausreichten, vielmehr nur noch nachvertragliche Pflichten bestünden, die auf
die
Abwicklung,
jedenfalls
nicht
auf
die
Neubegründung
des
Vertragsverhältnisses zielten, überzeugt neben den bereits geschilderten
Einwänden gegen die Heranziehung von Interessenwahrungspflichten968 auch
die dann notwendige Begrenzung der Anspruchsentstehung auf den Ablauf der
Kündigungsfrist nicht.
(a) Beispiel Klassischer Betriebsübergang
Dies
zeigt
sich,
wenn
wegen
beabsichtigter
Betriebsstillegung
allen
Arbeitnehmern mit Rücksicht auf den stufenweisen Abbau der Betriebstätigkeit
zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Entlassungsterminen
gekündigt wird. Wiedereinstellungsansprüche würden sich für einen Teil der
Belegschaft deshalb ergeben, weil zufällig ihre Kündigungsfristen noch nicht
abgelaufen waren, als der Betriebsübergang sich unerwartet abzeichnete und
greifbare Formen annahm. Für den anderen Teil der Belegschaft, dessen
Kündigungsfristen bis zum Tag vor diesem Ereignis bereits abgelaufen waren,
müsste
hingegen
eine
Wiedereinstellung
ausscheiden.
Unter
diesen
ausgeschiedenen Arbeitnehmern könnten durchaus auch solche mit hoher
sozialer Schutzbedürftigkeit und langer Kündigungsfrist anzutreffen sein, wenn
sich der Unternehmer ihnen gegenüber seiner betrieblichen Abwicklungsplanung
entsprechend zu einer früheren Kündigung entschieden hätte. Die praktischen
Ergebnisse
hingen
vom
Zufall
ab.969
Missbrauchsmöglichkeiten
der
unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in der Abwicklungsphase wären
zudem evident, wenn Veräußerer und Erwerber zum Nachteil schutzwürdigerer
Arbeitnehmer zusammenwirken, um einen von Soziallasten freien Erwerb mit
der Konsequenz eines höheren Betriebswertes zu ermöglichen.970 Auch mit
968
Siehe oben unter C.III.2 „(Nachwirkende) Fürsorgepflicht / Interessenwahrungspflicht“ auf Seite
76.
969
So auch Manske, FA 1998, 143, 145; Krause, ZfA 2001, 67, 98.
970
Krause, ZfA 2001, 67, 90.
- 383 dem Schutzzweck des § 613a BGB, den Bestand der Arbeitsverhältnisse
unabhängig vom Übergang des Betriebs(teils) an den Erhalt der Arbeitsplätze zu
koppeln971, wären derlei Missbrauchsmöglichkeiten unvereinbar.
Dem Erwerber mag der Verlauf der Kündigungsfrist und seine Länge egal sein,
er hat die Kündigung nicht veranlasst, braucht den Verlauf der Kündigungsfrist
nicht zu kennen und muss ihn schon gar nicht gegen sich gelten lassen. Für die
Anwendung des auf eine teleologische Extension des § 613a BGB gestützten
Wiedereinstellungsanspruchs ist allein der Erhalt der Arbeitsplätze bedeutsam.
Insoweit ist also der Randbemerkung des 2. Senats aus seiner Entscheidung
vom 04.12.1997972 zu folgen, der eine Begrenzung der Anspruchsentstehung
auf den Ablauf der Kündigungsfrist als „problematisch“ einordnete.
Raab973
beschreibt
die
Ungeeignetheit
der
Kündigungsfrist
zur
Anspruchsbegrenzung so, dass es sich um eine einheitliche Maßnahme
handele, die die Kündigung sämtlicher Arbeitnehmer rechtfertigen solle. Dann
könne es auch nur darauf ankommen, ob bei Ablauf der Kündigungsfrist des
letzten betroffenen Arbeitnehmers noch ein berechtigtes Interesse des
Arbeitgebers an der Beendigung der Arbeitsverhältnisse bestehe. Sei dies zu
verneinen, müsse auch allen infolge der Maßnahme bereits entlassenen
Arbeitnehmern ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen.
Wollte man anders entscheiden, bliebe es von den Zufälligkeiten des Zeitpunkts
des Zugangs der Kündigungserklärung, der Dauer der Kündigungsfrist und den
Unwägbarkeiten der zeitlichen Entwicklung betrieblicher Umstände abhängig, ob
der
Wegfall
des
Kündigungsgrundes
sich
im
Einzelfall
noch
anspruchsbegründend auswirke oder nicht.
971
So im Anschluss an Langenbucher, ZfA 1999, 299, 306 ff: Oetker, ZIP 2000, 643, 650;
Kittner/Däubler/Zwanziger, § 613a BGB Rn 127.
972
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 703.
973
Raab, RdA 2000, 147, 155.
- 384 (b) Beispiel Betriebsübergang durch Übernahme des
wesentlichen Teils der Belegschaft des Funktionsvorgängers
Als ungeeignet muss sich der Ablauf der Kündigungsfrist auch als zeitliche
Grenze der Entstehung eines Wiedereinstellungsanspruchs im Anschluss an
einen Betriebsübergang durch Übernahme des wesentlichen Teils der
Belegschaft erweisen:
Wollte man den Arbeitnehmern einen Wiedereinstellungsanspruch versagen,
deren Kündigungsfrist zum Zeitpunkt der Auftragsübernahme bereits abgelaufen
war,
so
würde
man
die
grundsätzliche
Anerkennung
der
Wiedereinstellungspflicht in diesen Fällen in Frage stellen. Einerseits wird der
Arbeitgeber so rechtzeitig kündigen, dass die Kündigungsfristen der meisten
Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Auftragswegfalls, erst recht aber zum Zeitpunkt
der Funktionsnachfolge, bereits abgelaufen sind. Andererseits handelt es sich
um einen zweistufigen Tatbestand. Der Anspruch entsteht erst, wenn der
Auftragsnachfolger bereits den wesentlichen Teil der Belegschaft willentlich
erneut eingestellt hat. Dass zu diesem Zeitpunkt noch Kündigungsfristen offen
sind, wird man nur annehmen können, wenn der Auftragsnachfolger noch vor
dem Zeitpunkt der Auftragsübernahme eine Absprache mit einem nach Zahl und
Sachkunde
wesentlichen
Teil
des
Personals
trifft
und
diesem
eine
ununterbrochene Fortsetzung der Arbeit ermöglicht. Übernimmt er aber den
Auftrag und stellt dann erst nach und nach weitere Arbeitnehmer seines
Auftragsvorgängers ein, so wird der für die Tatbestandserfüllung zu erreichende
Schwellenwert zu einem Zeitpunkt überschritten, in dem alle Kündigungsfristen
beim bisherigen Auftragnehmer mit einiger Wahrscheinlichkeit längst abgelaufen
sind.
Im Regelfall wäre es demnach nicht einmal notwendig, dem auf den Ablauf der
Kündigungsfrist begrenzten Wiedereinstellungsanspruch durch Verzögerung
auszuweichen, da aufgrund der Besonderheiten dieser Fallgruppe noch offene
- 385 Kündigungsfristen zum maßgeblichen Zeitpunkt, also der Überschreitung des
Schwellenwertes bei der Übernahme von Personal, eher selten sein dürften.
Im Übrigen wäre die Privilegierung von Arbeitnehmern, denen zu einem
späteren Zeitpunkt gekündigt wurde, kaum einzusehen.974
Für
den
Auftragsübernehmer
Wiedereinstellungsansprüche
Betriebsübergang
wäre
dadurch
hinausschiebt.
es
nur
auszuschließen,
Dazu
müsste
er
zu
einfach,
dass
nicht
er
den
einmal
die
Auftragsnachfolge ablehnen. Ausreichend wäre es bereits, wenn er die neue
Aufgabe durch seine bisherige Belegschaft eine Zeit lang in Mehrarbeit erfüllen
ließe, während er mit den entlassenen Arbeitnehmern zwecks wirtschaftlich
sinnvoller Personalauswahl in Kontakt tritt. Diese bloße Funktionsnachfolge
würde allein nicht die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs erfüllen.975
Nach Abwarten eines Zeitraums, jenseits dessen vom Auslaufen auch der
letzten Kündigungsfrist ausgegangen werden könnte, stünde es ihm frei, beliebig
viele mit der Aufgabe vormals beschäftige Arbeitnehmer seines Wettbewerbers
zur
Erfüllung
des
Auftrags
zu
übernehmen,
ohne
einem
Wiedereinstellungsanspruch der von ihm nicht übernommenen (älteren)
Arbeitnehmer ausgesetzt zu sein. Der von ihm abzuwartende Zeitraum wäre
denkbar kurz, denn der vormalige Auftragnehmer wird die Kündigungen so
rechtzeitig aussprechen, dass die Kündigungsfristen regelmäßig bereits mit der
Auftragsübernahme auslaufen.
Der Schutzzweck des § 613a IV 1 BGB ließe sich so nicht erreichen.976
Kündigungen, die sich in der Rückschau als Kündigungen wegen des
Betriebsübergangs darstellen, blieben in ihrer faktischen Wirkung unberührt, nur
974
Nicolai/Noack, ZfA 2000, 87, 103.
975
BAG (8 AZR 156/96), NZA 1996, 869, 869 f.
976
Ähnlich Walker, SAE 1998, 103, 107; Meyer, NZA 2000, 297, 301.
- 386 weil der Funktionsvorgänger rechtzeitig gekündigt hat. Auch das Anliegen des
KSchG, eine Sozialauswahl sicherzustellen, würde verfehlt.
(c) Beispiel Betriebsfortführung durch den bisherigen
Betriebsinhaber
Das gleiche Problem stellt sich auch, wenn sich unabhängig von einem
Betriebsübergang ein Arbeitgeber zur Stillegung des Betriebs oder einer
Betriebsabteilung entschließt, allen dort beschäftigen Arbeitnehmern kündigt,
und zwar die schutzbedürftigeren Arbeitnehmer mit längerer Kündigungsfrist
zuerst, und er sich dann nach Ablauf eines Teils der Kündigungsfristen aufgrund
veränderter äußerer Umstände doch zur Fortführung des Betriebes oder
Betriebsteils entschließt. Der Zufall des Ablaufs der Kündigungsfristen bzw.
seine Steuerung durch den Arbeitgeber würde auch hier über die endgültige
Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheiden. Das kann nicht richtig sein.
Es zeigt sich, dass eine Spaltung der Belegschaft je nach dem Lauf individueller
Kündigungsfristen für den Wiedereinstellungsanspruch keinen Sinn macht.
(2) Vermeidung einer uferlosen Anspruchsentstehung
(a) Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen Betriebsübergang und
Betriebsstillegung
Eine übermäßige Ausdehnung der Anspruchsentstehung über den Ablauf der
Kündigungsfristen hinaus ist dabei im Betriebsübergangsrecht nicht zu
befürchten. Ergibt sich erst längere Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist und
Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb ein rechtsgeschäftlicher
„Übergang“ materieller oder immaterieller Betriebsmittel, so wird nicht mehr von
einem Betriebsübergang auszugehen sein, weil es zuvor bereits zu einer
Stillegung gekommen ist.
- 387 Nach allgemeiner Ansicht schließen die Stillegung eines Betriebes und dessen
Übergang einander aus, denn sie lösen unterschiedliche Schutzregelungen
zugunsten der Arbeitnehmer aus.977
Ein Betrieb wird stillgelegt, wenn die bislang zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft dauerhaft
oder zumindest für eine ihrer Dauer nach unbestimmte wirtschaftlich nicht
unerhebliche Zeit aufgegeben wird und dies auf einem Entschluss des
Betriebsinhabers
bzw.
des
Insolvenzverwalters
beruht.978
Wegen
Betriebsstillegung kann allerdings nicht gekündigt werden, wenn der bisherige
Betriebsinhaber noch in Verhandlungen mit einem oder mehreren potentiellen
Erwerbern über die Veräußerung des Betriebes oder Betriebsteils steht.979
Während die tatsächlich durchgeführte Betriebsstillegung die durch die
wirksame
betriebsbedingte
Kündigung
erreichte
Lösung
des
Arbeitsverhältnisses gegenüber jedem Arbeitnehmer endgültig zementiert, selbst
wenn er betrieblicher Funktionsträger sein sollte (§ 15 IV KSchG), führt die
wirksame
Kündigung
wegen
Betriebsstillegung
bei
nachfolgendem
Betriebsübergang zu einem Anspruch auf Wiedereinstellung.
Folgerichtig wird schon die Wirksamkeit der Kündigung wegen geplanter und
eingeleiteter Betriebsstillegung durch einen später erreichten Betriebsübergang
ebenso wenig berührt 980 wie die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen
977
BAG (5 AZR 49/78), NJW 1980, 2543, 2543; BAG (7 AZR 652/85), NZA 1987, 700, 702; LAG
Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240, 241; LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000,
457, 458;
Wank, SAE 1998, 209, 210; Franzen, DZWIR 2000, 247, 249; Meyer, NZA 2000, 297, 299;
Krause, ZfA 2001, 67, 93; MünchArbR II – Wank, § 120 Rn 49.
978
Franzen, DZWIR 2000, 247, 249; MünchArbR II – Wank, § 120 Rn 51.
979
BAG (2 AZR 477/95), NZA 1997, 251, 251.
980
BAG (2 AZR 623/787), NZA 1989, 265, 265; LAG Hamm (2 Sa 1111/98), NZA-RR 1999, 576,
576.
- 388 Betriebsübergangs durch dessen Scheitern und die daraufhin notwendige
Stillegung981.
Die Abgrenzung kann im einzelnen schwierig sein.982 Die faktische Stillegung
als solche genügt jedenfalls alleine nicht, um einen Betriebsübergang generell
zu verneinen.983
Als praktikables Abgrenzungskriterium sieht die Rspr. vor allem den Zeitraum
der Unterbrechung der Betriebstätigkeit an. Eine Schließung für einen Zeitraum
von zehn Monaten984 soll demnach als Betriebsstillegung anzusehen sein und
damit der Annahme eines Betriebsübergangs und folglich auch einem
Wiedereinstellungsanspruch entgegenstehen, wenn danach aus den materiellen
und/oder
immateriellen
Betriebsmitteln
ein
neuer
Betrieb
entsteht.
Möglicherweise können bereits drei Monate Schließungszeit985 ausreichen.986
Um eine Aushöhlung des Anwendungsbereichs der Betriebsübergangsrichtlinie
zu vermeiden, ist für das österreichische Recht bereits überlegt worden, eine
Betriebsstillegung nur bei einer echten Zerschlagung der Betriebsorganisation
anzuerkennen, damit nicht der Betriebsmittelerwerber auf der Basis des
übernommenen Sachsubstrats eine völlig neue Belegschaft aufbauen kann.987
Für die Ausgangsfrage, ob der Wiedereinstellungsanspruch einer festen
zeitlichen Entstehungsgrenze bedarf, bleibt festzuhalten, dass jedenfalls für den
Bereich des Betriebsübergangsrechts eine uferlose Anspruchsentstehung
981
982
983
984
BAG (2 AZR 596/87), NZA 1989, 461, 461; BAG (2 AZR 127/91), NZA 1991, 891, 892 f.
Zur Umgehungsgefahr durch Scheinstillegungen Pietzko Diss., S. 61 ff; Wank, SAE 1998, 209,
211.
Wank, SAE 1998, 209, 211.
LAG Berlin (9 Sa 77/86), LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9 = DB 1987,
1360, 1360.
985
LAG Berlin (11 Sa 141/96), BB 1999, 1877, 1877 f.
986
Näher hierzu Sandmann, SAE 2000, 295, 299 m.w.N.
987
Binder, DRdA 1996, 1, 4 m.w.N.
- 389 ohnehin nicht zu befürchten ist, da die Praxis bereits einen zeitlich
schrankenlosen Betriebsübergang nicht zulässt. Vielmehr soll es sich nach
längerem Zeitablauf um eine Neugründung im Anschluss an eine Stillegung
handeln. Von vornherein ist der Wiedereinstellungsanspruch damit auch zeitlich
begrenzt.
(b) Keine zeitlich unbegrenzte Anspruchsentstehung auch nach
anderen Kündigungsgründen
Andererseits würde es für die übrigen Kündigungsgründe aber verwundern,
wenn etwa 10 Jahre nach einer betriebsbedingten Einzelkündigung die
Schaffung
eines
neuen
Arbeitsplatzes
eine
Informations-
und
Wiedereinstellungspflicht auslösen könnte, nur weil zufällig der vor einem
Jahrzehnt Entlassene dafür in Frage käme. Nicht anders verhält es sich bei der
krankheitsbedingten Kündigung. Die Gesundung des Arbeitnehmers nach vielen
Jahren sollte den Arbeitgeber auch dann nicht mehr interessieren müssen, wenn
zu diesem Zeitpunkt zufällig ein geeigneter neuer Arbeitsplatz frei sein sollte.
Der völlige Verzicht auf eine zeitliche Grenze der Anspruchsentstehung ist zwar
unbestreitbar praktikabel und wird wegen des grundsätzlichen Vorrangs
arbeitgeberseitiger Dispositionen für den Regelfall zu praktisch vertretbaren
Ergebnissen
führen.
Berücksichtigt
man
zutreffend
auch
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeiten, so können sich jedoch im Einzelfall mit der
Rechtssicherheit kaum vereinbare Ergebnisse einstellen.
Es muss also ebenfalls vermieden werden, dass der Arbeitgeber, anstatt seine
Privatautonomie zu betätigen, bei jeder neuen Einstellungsentscheidung
zunächst einmal zu prüfen hätte, ob nicht unter den jemals entlassenen
Arbeitnehmern geeignete Bewerber zu finden sind, denen dann vorrangig eine
Wiedereinstellung angeboten werden müsste. Der Arbeitnehmer erhält mit dem
Ausbleiben prognostizierter bzw. dem Eintritt prognosewidriger Umstände nicht
mehr als eine Chance auf Wiedereinstellung. Er erwirbt keinen dauerhaften
Besitzstand nach der Art eines Tauschrechts für seinen beruflichen Werdegang.
Von diesen praktischen Überlegungen abgesehen muss bereits die zeitliche
Begrenztheit des Prognoseprinzips eine zeitliche Entstehungsgrenze für den
- 390 Wiedereinstellungsanspruch
vorgeben,
will
man
nicht
den
zulässigen
Ausgangspunkt der Wiedereinstellungspflicht verlassen.
(3) Anspruchsentstehung innerhalb der zeitlichen Reichweite
der kündigungsbegründenden Prognose
Das
der
Anerkennung
der
Wiedereinstellungspflicht
zugrunde
liegende
Prognoseprinzip reicht seinerseits zeitlich nicht unbegrenzt in die Zukunft.
Insoweit ist es sachgerecht, von einem Prognosehorizont zu sprechen, der die
zeitliche Erstreckung der Prognose in die Zukunft beschreibt, denn keine
Prognose ist „auf alle erdenkliche Zukunft“ gerichtet.
(a) Zeitliche Ausrichtung des Wiedereinstellungsanspruchs an
der Reichweite der kündigungsbegründenden Prognose
Das vorausgesetzt zeigt sich auch, dass die Ausgangsfrage nicht falsch gestellt
werden darf. Es darf nicht heißen: Bis zu welchem Zeitpunkt ist die Widerlegung
der kündigungsbegründenden Prognose beachtlich? Die Widerlegung der
kündigungsbegründenden Prognose ist nämlich stets beachtlich, ist damit doch
gemeint, dass der mit idealem Wissen ausgestattete Arbeitgeber wirksam nicht
hätte kündigen dürfen. Hätte er aber trotz überlegenen Wissens kündigen
dürfen, dann ist der Kündigungsgrund schon gar nicht entfallen. In der weiteren
Entwicklung der Ereignisse treten dann nur Umstände auf, die die Prognose
nicht widerlegen und auf die daher auch kein Wiedereinstellungsanspruch
gestützt werden kann.
Die korrekte Frage muss also lauten:
Innerhalb
welchen
zeitlichen
Rahmens
ist
eine
Widerlegung
der
kündigungsbegründenden Prognose möglich?
Da die Prognose der Legitimation der Kündigung dient, lautet die Antwort
schlicht:
Die kündigungsbegründende Prognose kann nur durch Umstände widerlegt
werden, die sie bei hypothetischer Bekanntheit im Kündigungszeitpunkt bereits
falsifiziert und damit einer wirksamen Kündigung entgegengestanden hätten.
- 391 Damit sind die
zeitlichen Grenzen
der
Anspruchsentstehung
für
den
Wiedereinstellungsanspruch vorgegeben. Sie sind identisch mit der zeitlichen
Erstreckung
der
kündigungsbegründenden
Prognose
in
die
Zukunft
(Prognosehorizont).
Der Ansatz von Meinel/Bauer988 weist daher prinzipiell in die richtige Richtung,
denn er orientiert sich an der Grundannahme, dass die zeitliche Grenze der
Anspruchsentstehung an die zeitliche Begrenztheit der Prognoseentscheidung
gebunden ist.
(b) Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose mit
festem Bezugspunkt
Einen festen Bezugspunkt hat allein die als Voraussetzung für eine wirksame
betriebsbedingte
Kündigung
anzustellende
Prognose,
dass
der
vom
Kündigungsempfänger besetzte Arbeitsplatz zum Zeitpunkt des Ablaufs der
Kündigungsfrist dauerhaft entfallen wird.
Es handelt sich um die Prognose eines Umstandes, den der Arbeitgeber als
freie Unternehmerentscheidung bewusst und zielgerichtet durch eigenen
Willensentschluss schafft.989
Die Prognose ist widerlegt, wenn die vom Arbeitgeber selbst an einen
bestimmten Zeitpunkt gebundene Veränderung nicht eintritt, der Arbeitsplatz
also prognosewidrig erhalten bleibt.
988
989
Siehe oben unter G.II.2.d) „Unterscheidung zwischen Veränderungs- und Stabilitätsprognose –
Ansatz von Meinel/Bauer“ auf Seite 374.
Keinen Unterschied macht es dabei, ob der Arbeitgeber seine Kündigungsentscheidung auf
inner- oder außerbetriebliche Gründe stützt. Auch wenn außerbetriebliche Gründe (bspw.
Auftragsmangel) angegeben werden, handelt es sich jedenfalls um eine eigenständige
unternehmerische Entscheidung, weil allein der Unternehmer entscheidet, mit welchem
Konzept auf neue außerbetriebliche Umstände reagiert werden soll.
- 392 Es bedarf hier keiner weitergehenden Einschränkung in zeitlicher Hinsicht. Der
Arbeitgeber bleibt auch auf der Wiedereinstellungsebene an das eigene Konzept
und den von ihm intendierten Verwirklichungszeitpunkt gebunden.
(c) Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognosen ohne
festen Bezugspunkt
Alle anderen kündigungsbegründenden Prognosen haben dagegen keinen
festen
Bezugspunkt,
d.h.
es
fehlt
ihnen
an
einem
konkreten
Verwirklichungszeitpunkt in der Zukunft. Das gilt einmal für negative Prognosen
wie
das
dauerhafte
Beschäftigungsmöglichkeiten
Fehlen
(ggf.
anderweitiger
nach
zumutbarer
Umschulungs-
oder
Fortbildungsmaßnahmen990) gemäß § 1 II 2 und 3 KSchG. Ebenfalls ohne
festen
Bezugspunkt
bleiben
aber
auch
positive
Prognosen
wie
die
Fehlzeitenprognose bei der krankheitsbedingten Kündigung oder die Prognose
über eine mögliche Wiederholung des einschlägigen Fehlverhaltens bei der
verhaltensbedingten Kündigung.
i)
Widerlegung innerhalb der Kündigungsfrist
Eine Widerlegung noch innerhalb der Kündigungsfrist ist bei der Prognose ohne
festen Bezugspunkt stets möglich. Wäre in Vorausschau der zukünftigen
Entwicklung von Anfang an zutreffend prognostiziert worden, dass sich noch
innerhalb der Kündigungsfrist die belastenden Auswirkungen einer Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber erübrigen, hätte folgerichtig eine
Kündigungsbefugnis verneint werden müssen, weil sie wegen der Notwendigkeit
der Einhaltung einer Kündigungsfrist
zur Vermeidung dieser Belastungen
ungeeignet wäre.
990
Als für den Wiedereinstellungsanspruch zunächst uninteressant erweist sich dagegen die 3.
Alternative des § 1 II 3 KSchG, also die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung unter
geänderten Arbeitsbedingungen. Insoweit kommt es auf das Ultima-ratio-Prinzip und das
Verhältnis von Beendigungs- und Änderungskündigung an.
- 393 ii)
Widerlegung nach dem Entlassungstermin
Die kündigungsbegründende Prognose kann darüber hinaus möglicherweise
auch noch nach dem Entlassungstermin widerlegt werden, wenn im Falle
hypothetischer
idealer
Kenntnis
der
zukünftigen
Entwicklung
im
Kündigungszeitpunkt eine kündigungsbegründende Prognose nicht hätte erstellt
werden können, weil es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre, auch die
Belastungen, wie sie sich nach dem Entlassungstermin dann wirklich ergeben
haben, zu überbrücken, um die Kündigung als Ultima-Ratio zu vermeiden.
Jenseits dieses Prognosehorizonts kann die Prognose nicht widerlegt werden.
Anders gewendet: Was der mit idealem Wissen ausgestattete Arbeitgeber bei
der Kündigung nicht einmal im Rahmen einer Prognoseüberlegung hätte
bedenken müssen, dass kann ihn auch später nicht zu einer Wiedereinstellung
verpflichten.
(4) Nach dem Prognosehorizont zu unterscheidende
Prognosearten
(a) Betriebsbedingte Kündigung
i)
Kombination einer Prognose mit und einer ohne festen
Bezugspunkt
Der Unterschied zwischen den verschiedenen Prognosearten zeigt sich gerade
am Beispiel der betriebsbedingten Kündigung besonders deutlich:
Zum einen wird der (positive) Eintritt eines Ereignisses prognostiziert, nämlich
der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit, zum anderen der (negative)
Nichteintritt eines Ereignisses, nämlich das Nichtentstehen anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten.
Der positive Eintritt eines Ereignisses ist an den vom Arbeitgeber intendierten
Verwirklichungszeitpunkt gebunden, weshalb sich Überlegungen über eine
zeitliche Grenze der Anspruchsentstehung insoweit von vornherein erübrigen.
Das Ereignis tritt entweder ein, womit sich dieser Teil der Prognose
unwiderlegbar bestätigt, oder es tritt nicht ein, womit die Prognose insoweit
widerlegt wird.
- 394 Der negative Nichteintritt eines Ereignisses kann dagegen nicht auf unbestimmte
Zeit prognostiziert werden. Es fehlt insoweit an einem festen zeitlichen
Bezugspunkt.
Nun muss der Arbeitgeber zum Kündigungszeitpunkt seine Prognose überhaupt
nur soweit in die Zukunft ausrichten, wie sein gegenwärtiger Erkenntnisstand
das zulässt. In jedem Fall berücksichtigen muss er dabei wie erörtert die von ihm
erkannten Veränderungen, die sich noch innerhalb der Kündigungsfrist ergeben
werden. Die Rspr. weist aber der Prognose eine Reichweite über den
Entlassungstermin hinaus zu, wenn sie es für zumutbar hält, dass der
Arbeitgeber
bei
einer
von
ihm
erkannten
zumutbaren
anderweitigen
Beschäftigungsmöglichkeit nach dem intendierten Entlassungstermin auf die
Kündigung verzichtet und statt dessen den Annahmeverzugslohn zahlt, sofern
nur der Zeitraum zwischen dem Entlassungstermin und dem Entstehen der
anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit keinen zu großen Umfang hat.
Für die Prognose außer Betracht bleiben also nur solche anderweitigen
Beschäftigungsmöglichkeiten, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers
erst
nach
einem
unzumutbar
langen
Überbrückungszeitraum
erlauben.
Umstände, die eine Weiterbeschäftigung erst jenseits des zumutbaren
Überbrückungszeitraums erlauben, sind weder für die Kündigung noch für eine
Wiedereinstellung
von
Interesse.
Sie
werden
nicht
Gegenstand
der
kündigungsbegründenden Prognose. Umstände dagegen, die innerhalb des
zumutbaren Überbrückungszeitraums eine Weiterbeschäftigung ermöglichen,
stehen einer wirksamen Kündigung bei Kenntnis des Arbeitgebers im
Kündigungszeitpunkt entgegen. Treten solche Umstände oder auch nur die
positive Kenntnis des Arbeitgebers hiervon991 erst nach Zugang der
Kündigungserklärung
991
ein,
so
bewirkt
das
eine
Widerlegung
der
Siehe hierzu oben unter Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. „Fehler!
Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.“ auf Seite Fehler! Textmarke nicht
definiert..
- 395 kündigungsbegründenden Prognose mit der Konsequenz der Entstehung eines
Wiedereinstellungsanspruchs.
ii)
Widerlegung der Prognose des Wegfalls des Arbeitsplatzes
Bleibt nach betriebsbedingter Kündigung der Arbeitsplatz seiner Identität nach
erhalten, so hat sich bereits die zeitlich gebundene Prognose des dauerhaften
Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht verwirklicht. Damit entsteht ohne weiteres der
Wiedereinstellungsanspruch in dem Zeitpunkt, in dem die Veränderung
eigentlich eintreten sollte. Der Lauf der individuellen Kündigungsfrist spielt keine
Rolle, denn der Kündigungsberechtigte muss sich an seiner eigenen
betrieblichen Planung festhalten lassen.
Eine andere Frage ist gegebenenfalls, welche Unterbrechungszeit sich bei
einem zeitlich begrenzten Wegfall des Arbeitsplatzes für dessen „Identität“ noch
als unschädlich erweist. Um zu entscheiden, ob ein Arbeitsplatz nach einer
Unterbrechungszeit doch erhalten geblieben ist oder aber dauerhaft entfallen ist
und im Anschluss daran eine andere Beschäftigungsmöglichkeit neu entsteht,
wird man ähnlich zu argumentieren haben wie bei der erörterten Abgrenzung
von Stillegung und Betriebsübergang. Eine sachgerechte Abgrenzung kann nur
anhand der näheren Umstände des Einzelfalles erfolgen.
iii) Widerlegung der Prognose mangelnder anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeiten
(i)
Widerlegung innerhalb der Kündigungsfrist
Unproblematisch möglich ist eine Widerlegung der Prognose des Fehlens
anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb laufender Kündigungsfrist
entsprechend den vorangestellten allgemeinen Überlegungen.
- 396 Handelt
es
sich
um
eine
außerordentliche
Kündigung
mit
sozialer
Auslauffrist992, die in Sonderfällen (z.B. Betriebsstillegung993) bei einem
(aufgrund tarifvertraglicher Regelung) ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer994
an die Stelle der ordentlichen Kündigung tritt, so ist diese Auslauffrist anstelle
der Kündigungsfrist beachtlich. Maßgebend ist stets der Entlassungstermin.
(ii)
Widerlegung nach Ablauf der Kündigungsfrist – Ermittlung des
zumutbaren
Überbrückungszeitraums
nach
dem
Entlassungstermin
Die Kündigung ist nach Lesart der Rspr. gemäß § 1 II 2 und 3 KSchG
rechtsunwirksam, wenn schon im Kündigungszeitpunkt feststeht, dass sich eine
anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit während oder auch in absehbarer Zeit
nach Ablauf der Kündigungsfrist ergeben wird. Die Prognose fehlender
anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten weist also bei der betriebsbedingten
Kündigung insoweit über den Entlassungstermin hinaus, wie die Überbrückung
dieses Zeitraums dem Arbeitgeber noch zumutbar ist.
Die Zumutbarkeit der zeitlich begrenzten Überbrückung einer fehlenden
Beschäftigungsmöglichkeit als milderes Mittel zur Kündigung soll sich nach
Kiel995 aus einem erst Recht-Schluss aus § 1 II 3 KSchG ergeben: Wenn vom
Arbeitgeber einerseits sogar eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach
zumutbaren Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen verlangt werde,
welche regelmäßig (oftmals nicht unerhebliche) finanzielle Belastungen mit sich
brächten, und bisweilen sogar einen zeitweisen Verzicht des Arbeitgebers auf
die Arbeitskraft des Arbeitnehmers bedingten, dann müssten erst recht solche
Arbeitsplätze Berücksichtigung finden, die in absehbarer Zeit frei werden (arg. a
maiore ad minus). Dabei sei unerheblich, ob der Arbeitnehmer zwischenzeitlich
992
BAG (2 AZR 627/99), DB 2001, 338, 338 f m.w.N.
993
BAG (2 AZR 253/97), NZA 1998, 833, 833.
994
Näher Weng Diss., S. 74 ff.
995
Kiel Diss., S. 88 f und 128 f.
- 397 weitergebildet oder ob die Arbeit in der Zwischenzeit „gestreckt“ werde, z.B.
durch den Abbau von Überstunden.
Der 2. Senat ist mit seiner Entscheidung vom 15.12.1994996 der Argumentation
Kiels beigetreten und hat ausgeführt, wenn vom Arbeitgeber sogar eine
Weiterbeschäftigung
Fortbildungsmaßnahmen
nach
zumutbaren
verlangt
werde,
die
Umschulungsüber
den
Ablauf
oder
der
Kündigungsfrist hinaus einen zeitweiligen Verzicht auf die Arbeitskraft des
Arbeitnehmers bedingen könnten, dann müssten erst Recht in zumutbarem
Rahmen
Arbeitsplätze
Berücksichtigung
finden,
deren
Freiwerden
dem
Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung bekannt ist oder bekannt sein muss997
und deren Besetzung ohne Umschulung oder Fortbildung möglich ist. Es soll
dabei mindestens die Überbrückung des Zeitraums zumutbar sein, den ein
anderer Stellenbewerber zur Einarbeitung benötigen würde, wobei je nach den
Umständen eine Probezeitvereinbarung als Anhaltspunkt für die Bemessung
einer Einarbeitungszeit herangezogen werden könne.
In der Lit.998 hat diese Sichtweise Zustimmung gefunden.
Demnach lässt sich also folgendes festhalten: Die Kündigung ist nach dem
Ultima-Ratio-Prinzip nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen zu
rechtfertigen, wenn der prognostizierte Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
lediglich vorübergehender Natur ist und der Arbeitgeber dieser Situation statt
durch eine Kündigung in zumutbarer Weise auch anders begegnen könnte. Zwar
schuldet der Arbeitgeber, wenn er auf eine Kündigung verzichtet, für den
Überbrückungszeitraum
den
Annahmeverzugslohn
(Verzugslohnnachteil).
Dagegen steht aber der Vorteil, danach mit einem voll eingearbeiteten und
996
997
998
BAG (2 AZR 327/94), NZA 1995, 521, 525 m.w.N.
Keineswegs reicht also der Hinweis auf eine bloß wahrscheinliche Personalfluktuation, wie
man sie in großen Unternehmen oft behaupten könnte.
von Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG (2 AZR 242/94), EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 77, zu IV 2; Tschöpe, BB 2000, 2630, 2632.
- 398 daher ohne Einschränkungen leistungsfähigen Arbeitnehmer den neuen
Beschäftigungsbedarf decken zu können. Dürfte er statt dessen die Kündigung
wählen, so würde er den Annahmeverzugslohn, der auf den Zeitraum nach dem
Ablauf
der
Kündigungsfrist
entfällt,
sparen,
dafür
aber
einen
neuen
Stellenbewerber einarbeiten und sich mit dessen anfänglicher Minderleistung
arrangieren müssen (Einarbeitungsnachteil). Nun sieht es die Rspr. nach dem
Ultima-Ratio-Prinzip noch als
zumutbar
an,
den
Arbeitgeber auf den
Verzugslohnnachteil für einen Zeitraum zu verweisen, für den andernfalls (neben
Kosten der Personalgewinnung) der Einarbeitungsnachteil zu tragen wäre.
Darf der Arbeitgeber also ein die Kündigung rechtfertigendes dringendes
betriebliches Erfordernis prognostizieren, weil eine Beschäftigungsmöglichkeit
jedenfalls nicht innerhalb des zumutbaren Überbrückungszeitraums nach Ablauf
der Kündigungsfrist absehbar ist, dann wird diese Prognose nicht widerlegt und
es
entsteht
auch
kein
Wiedereinstellungsanspruch,
wenn
sich
eine
Beschäftigungsmöglichkeit tatsächlich erst nach Ablauf dieses zumutbaren
Überbrückungszeitraums herausstellt. Muss der Arbeitgeber andererseits eine
seinem subjektiven Wissensstand im Kündigungszeitpunkt entsprechende
Prognose
über
erst
nach
dem
Entlassungstermin
sich
ergebende
Beschäftigungsmöglichkeiten anstellen, dann kann sich die tatsächliche
Entwicklung auch noch nach dem Entlassungstermin insoweit falsifizierend auf
diese Prognose auswirken.
iv) Lösung der Ausgangsfälle zu Betriebsübergang und
Betriebsfortführung
Anhand des so konkretisierten Prognosehorizonts ergibt sich auch ein stimmiges
Ergebnis in den Ausgangsfällen zum unerwarteten Betriebsübergang bzw. zur
unerwarteten Betriebsfortführung nach ursprünglicher Stillegungsabsicht und
Kündigung
der
gesamten
Belegschaft.
Wird
wegen
beabsichtigter
Betriebsstillegung allen Arbeitnehmern sukzessive mit dem Zweck einer
stufenweisen Abwicklung der Geschäftstätigkeit gekündigt und nimmt ein
Betriebsübergang zu einem Zeitpunkt unerwartet greifbare Formen an, in dem
ein Teil der Kündigungsfristen bereits abgelaufen ist, ein anderer Teil nicht, so
haben alle Arbeitnehmer ungeachtet des Laufs der Kündigungsfristen einen
Anspruch auf Wiedereinstellung, deren Arbeitsplatz nach dem geänderten
unternehmerischen Konzept (des Erwerbers) prognosewidrig doch erhalten
- 399 bleibt. Der Arbeitgeber muss den selbst gewählten festen Bezugspunkt für seine
Prognose über den Wegfall von Arbeitsplätzen auf der Wiedereinstellungsebene
gegen sich gelten lassen, gleich ob die Kündigungsfristen der betroffenen
Arbeitnehmer schon abgelaufen sind oder nicht. Damit kann jeder einzelne von
einer Stillegungskündigung betroffene Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz
erhalten geblieben ist, einen Anspruch auf Wiedereinstellung geltend machen,
weil der prognostizierte Arbeitplatzwegfall nicht stattgefunden hat.
Beruft sich dagegen ein Arbeitnehmer noch nach der Entlassung und dem
Wegfall
seines
Arbeitsplatzes
auf
eine
neu
entstandene
anderweitige
Beschäftigungsmöglichkeit, so entfällt dadurch der Kündigungsgrund nicht, es
sei denn, der Arbeitgeber hätte die Zeit zwischen dem Entlassungstermin und
dem neuen Beschäftigungsbedarf zumutbar überbrücken können, weil sie nicht
länger als die hypothetische Einarbeitungszeit eines neuen Stellenbewerbs
ausgefallen ist. In diesem Fall hätte er ja bei idealem Wissen gar nicht erst
kündigen dürfen.
(b) Alle übrigen Prognosen – Prognosen ohne festen
Bezugspunkt und ohne zeitliche Erstreckung über den
Entlassungstermin
Alle anderen kündigungsbegründenden Prognosen haben wie bereits erörtert
keinen
festen
Bezugspunkt,
was
einer
Widerlegung
innerhalb
der
Kündigungsfrist nicht entgegensteht.999
Im einzelnen:
Die Prognose, dass auch in Zukunft mit erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu
rechnen ist und die Prognose, dass die zu erwartenden Fehlzeiten des
Arbeitnehmers
999
unter
Berücksichtigung
der
dadurch
verursachten
Siehe oben unter G.II.2.e)(3)(c)i) „Widerlegung innerhalb der Kündigungsfrist“ auf Seite 392.
- 400 Folgewirkungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen
Interessen führen werden.
Die Prognose, dass mit einer einschlägigen Wiederholung des Fehlverhaltens
des Arbeitnehmers zu rechnen ist.1000
Die
Prognose,
dass
sich
keine
zumutbaren
anderweitigen
Beschäftigungsmöglichkeiten (ggf. nach zumutbaren Umschulungs- oder
Fortbildungsmaßnahmen) ergeben werden (§ 1 II 2 und 3 KSchG – gilt für alle
Kündigungsgründe).
Zu klären ist die Frage, ob das Prognoseprinzip auch hier – wie schon bei der
betriebsbedingten Kündigung – über den Entlassungstermin hinausweist.
Für diese Annahme fehlt es allerdings nicht nur an einer ausgeformten Rspr.,
sondern auch schon an einer auf den Zumutbarkeitsgedanken bezogenen
Grundlage. Es müsste auch hier davon ausgegangen werden, dass die Grenze
der Zumutbarkeit mit dem Ablauf der Kündigungsfrist noch nicht erreicht ist.
Dem Arbeitgeber müssten weitere Belastungen zumutbar sein, als diejenigen,
denen er aufgrund der Pflicht zu Einhaltung einer Kündigungsfrist ohnehin nicht
ausweichen kann.
Für die betriebsbedingte Kündigung nimmt die Rspr. das zwar an. Der innere
Grund dafür liegt jedoch in der Besonderheit der betriebsbedingten Kündigung,
dass Belastungswirkungen in der Regel vom intendierten Entlassungstermin an
überhaupt erst entstehen. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, so rechtzeitig zu
kündigen, dass die Kündigungsfrist in dem Zeitpunkt endet, in dem auch der
Arbeitsplatz
entfällt.
Hält
er
sich
daran,
entstehen
überhaupt
keine
Belastungswirkungen. Ohne solche Belastungswirkungen aber wird man nicht
behaupten können, die Grenze der Zumutbarkeit werde bereits mit dem
1000
Zu dieser nicht unproblematischen Prognose siehe oben unter F.III „Verhaltensbedingte
Kündigung“ auf Seite 260.
- 401 intendierten Entlassungszeitpunkt überschritten. Die Hinnahme belastender
Auswirkungen, also die Zahlung des Annahmeverzugslohns, wird dem
Arbeitgeber
vor
dem
Hintergrund
erspart,
dass
eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ohnehin in Zukunft nicht absehbar ist. Ist eine
solche
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Entlassungstermin
absehbar,
aber
soll
nach
deshalb
dem
intendierten
der
zumutbare
Überbrückungszeitraum anhand einer pauschalierenden Vergleichsbetrachtung
ermittelt werden, weil klar ist, dass zuvor keine betrieblichen Belastungen
entstanden sind. Dass der Arbeitgeber möglicherweise die rechtzeitige
Kündigung versäumt hat und daher doch vor Ablauf der Kündigungsfrist einer
betrieblichen
Belastung
im
Sinne
einer
Pflicht
zur
Zahlung
es
Annahmeverzugslohns ausgesetzt sein könnte, kann außer Betracht bleiben,
weil dies ein singuläres und vom Arbeitgeber meist auch verschuldetes
Phänomen ist.
Bei den anderen Kündigungsgründen ergeben sich dagegen immer schon
Belastungswirkungen vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses. So muss bei der
krankheitsbedingten Kündigung die Minderleistung des Arbeitnehmers und der
Zwang zur Kompensation von Fehlzeiten über einen längeren oder mehrere
kürzere Zeiträume hingenommen werden. Wie diese Belastungswirkungen
einzuschätzen sind und ob nicht bereits bei Ablauf der Kündigungsfrist die
zumutbare Belastungsgrenze für den Arbeitgeber längst überschritten ist, ist
eine Frage des Einzelfalles. Hier verbietet sich von vornherein eine
pauschalierende Betrachtung. Es gibt daher keine verallgemeinerungsfähigen
Anhaltspunkte für die Annahme, die kündigungsbegründende Prognose könne
über
den
intendierten
Entlassungstermin
hinausreichen
und
die
Berücksichtigung solcher Umstände sei ohne Rücksicht auf den Einzelfall
zumutbar.
Prognosen,
die
die
Grundlage
für
andere
als
betriebsbedingte
Kündigungsgründe liefern, erstrecken sich zeitlich daher nicht über das Ende
des Arbeitsverhältnisses hinaus.
- 402 -
(5) Fazit – Unterscheidung dreier zeitlicher Reichweiten der
kündigungsbegründenden Prognose
Es müssen also im Hinblick auf die zeitliche Erstreckung der Prognose drei
Prognosearten auseinandergehalten werden:
Erstens die Prognose, der Arbeitsplatz des Kündigungsempfängers werde aus
betriebsbedingten Gründen dauerhaft entfallen. Sie erstreckt sich unabhängig
vom Ablauf der Kündigungsfrist bis zum intendierten Verwirklichungszeitpunkt
des unternehmerischen Konzepts. Eine prognosewidrige Entwicklung ist daher
in jedem Fall zu berücksichtigen.
Zweitens die Prognose, für den betriebsbedingt Gekündigten werde sich auch
keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen
(gegebenenfalls
nach
zumutbaren
Umschulungs-
oder
Fortbildungsmaßnahmen) ergeben (§ 1 II 2 und 3 KSchG). In diese Prognose
sind auch solche Beschäftigungsmöglichkeiten mit einzubeziehen, die sich im
Anschluss an den Entlassungstermin innerhalb eines Zeitraums ergeben, den
ein anderer Stellenbewerber zur Einarbeitung benötigen würde.
Drittens alle übrigen Prognosen. Sie erstrecken sich nicht über den
Entlassungstermin hinaus.
Innerhalb des jeweils relevanten Prognosehorizonts ist eine Widerlegung der
Prognose möglich, weil bei hypothetischer Kenntnis der weiteren Entwicklung im
Kündigungszeitpunkt bereits eine wirksame Kündigung nicht hätte erklärt
werden können.
Umstände, die außerhalb dieser Grenzen liegen, widerlegen die jeweilige
Prognose nicht, weil sie, wenn sie im Kündigungszeitpunkt bereits vorgelegen
hätten, auf die Wirksamkeit der Kündigung ohne Einfluss gewesen wären.
3. Frist und Form der Geltendmachung des Anspruchs
Im
Anschluss
an
die
Frage
nach
den
zeitlichen
Grenzen
der
Anspruchsentstehung ist nun zu klären, ob der entstandene Anspruch im
Hinblick auf seine Geltendmachung an eine Frist gebunden ist.
- 403 -
a) Ausschlussfrist entsprechend §§ 4 S. 1, 7 KSchG
(1) Rechtsgedanke der §§ 4 S. 1, 7 KSchG
Die Regelung der §§ 4 S. 1 und 7 KSchG könnte eine Geltendmachungsfrist von
3
Wochen
nahe
legen.1001
Die
entsprechende
Anwendung
der
kündigungsschutzrechtlichen Präklusionsfrist begründet sich demnach wie folgt:
Nach Ablauf der Dreiwochenfrist soll der Arbeitgeber auf die Wirksamkeit der
ausgesprochenen
erforderlichen
Kündigung
vertrauen
unternehmerischen
dürfen
Dispositionen
und
ohne
treffen
Risiko
die
können.1002
Der
Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung beseitige faktisch diesen
rechtssicheren Zustand, weshalb er jenseits der Dreiwochenfrist nicht mehr
anerkannt werden könne.
Dagegen wird eingewandt, dass die Kündigung wirksam bleibt, weil sie selbst
durch die Wiedereinstellung nicht angetastet wird. Deshalb sei ein Verstoß
gegen das Prinzip der Rechtssicherheit nach dem KSchG nicht gegeben.1003
Eine solche formale Betrachtungsweise verkennt jedoch, dass das Ergebnis des
Wiedereinstellungsanspruchs,
nämlich
die
Besetzung
zumindest
eines
gleichartigen Arbeitsplatzes mit dem zuvor wirksam gekündigten Arbeitnehmer,
die Kündigungswirkung praktisch wieder aufhebt, so dass Rechtssicherheit und
Dispositionsfreiheit für den Arbeitgeber mit Wirkung für die Zukunft wieder
entfallen. Eine zeitlich unbeschränkte Geltendmachung des Anspruchs soll
deshalb zur Umgehung des Prinzips der Rechtssicherheit nach den §§ 4, 7
KSchG führen.1004
1001
So Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 580; Kleinebrink, FA 1999, 138, 140.
1002
KR – Friedrich, § 4 KSchG Rn 10.
1003
vom Stein, RdA 1991, 85, 89.
1004
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241.
- 404 -
(2) Fristbeginn, Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von der
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
Der
Fristbeginn
einer
solchen
Ausschlussfrist
für
den
Wiedereinstellungsanspruch ist heftig umstritten. Klar ist, dass nicht auf den
Zeitpunkt abgestellt werden kann, in dem der Arbeitgeber die Wiedereinstellung
des Arbeitnehmers ablehnt, denn dann hätte es der Arbeitnehmer in der Hand,
wann er sich auf den Wiedereinstellungsanspruch beruft und dadurch den Lauf
der Frist in Gang setzt. Dies würde dem Sinn und Zweck der §§ 4, 7 KSchG
entgegenstehen,
durch
die
Normierung
einer
Ausschlussfrist
einen
rechtssicheren Zustand herzustellen.
Damit verbleiben zwei mögliche Anknüpfungspunkte: Der Zeitpunkt, in dem der
Kündigungsgrund entfällt oder der Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer vom
Entfallen des Kündigungsgrundes Kenntnis erlangt.
Stellt man auf den Zeitpunkt ab, in dem der Kündigungsgrund entfällt, so soll
nach Auffassung von Hambitzer gleichwohl die Dreiwochenfrist bei Wegfall des
Kündigungsgrundes während laufender Kündigungsfrist erst mit deren Ablauf
beginnen, weil eine Wiedereinstellung begrifflich erst nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses, also nach Eintritt der Gestaltungswirkung der Kündigung,
möglich sei. Wiedereinsetzung soll nach § 5 III KSchG analog gewährt
werden.1005 Der Schluss von der frühesten Begründung eines neuen
Arbeitsverhältnisses auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung bzw. des
Fristlaufs überzeugt jedoch nicht. Der Anspruch entsteht stets mit dem Wegfall
des Kündigungsgrundes, da in diesem Zeitpunkt das Bestandsinteresse des
Arbeitnehmers wieder auflebt. Inhaltlich ist er auf die Neubegründung der
1005
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2242.
- 405 vertraglichen Hauptpflichten frühestens zum Zeitpunkt der Beendigung des
Vertragsverhältnisses gerichtet.1006
Beginnt der Fristlauf allerdings schon mit dem Wegfall des Kündigungsgrundes
bzw. mit der nachfolgenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so müsste die
Wiedereinsetzung gemäß § 5 I KSchG regelmäßig bereits gewährt werden,
wenn der Arbeitnehmer bis zum Fristablauf keine Kenntnis vom Wegfall des
Kündigungsgrundes
erlangt
hat
und
ihm
diesbezüglich
auch
keine
Sorgfaltswidrigkeit vorzuwerfen ist (vgl. § 5 I KSchG). Dies dürfte in den Fällen
der betriebsbedingten Kündigung regelmäßig zutreffen, da die Umstände, auf
die der Arbeitgeber seine Prognose stützt, aus seinem Verantwortungs- und
Einflussbereich
stammen.
Die
Wiedereinsetzung
würde
entgegen
der
gesetzlichen Wertung vom Ausnahme- zum Regelfall. Die Geltendmachungsfrist
würde damit faktisch erst beginnen, nachdem zum einen der Kündigungsgrund
weggefallen ist und zum anderen der Arbeitnehmer tatsächlich Kenntnis erlangt
bzw. hätte erlangen können. Dieses Ergebnis darf aber nicht über den Umweg
einer Ausnahmeregelung erreicht werden.
Folgerichtig kann daher nur auf den Zeitpunkt abzustellen sein, in dem der
Arbeitnehmer vom Entfallen des Kündigungsgrundes Kenntnis erlangt.1007
b) Kürzere Frist nach Maßgabe des Einzelfalls
Raab1008 schlägt vor, die Rechtssicherheit dadurch weiter in den Vordergrund
zu
rücken,
dass
man
dem
Arbeitgeber
das
Recht
einräumt,
die
Geltendmachungsfrist nach § 4 KSchG entspr. durch eigenes Tätigwerden zu
verkürzen.
1006
So i.E. auch Oetker, ZIP 2000, 643, 650, der allerdings von einer ex-tunc-Wirkung der
Wiedereinstellungspflicht ausgeht.
1007
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310; Kleinebrink, FA 1999, 138, 140; Raab, RdA 2000, 147, 156.
1008
Raab, RdA 2000, 147, 156.
- 406 Müsse sich der Arbeitnehmer nach Kenntnisnahme vom Wegfall des
Kündigungsgrundes
grundsätzlich
innerhalb
von
drei
Wochen
zur
Geltendmachung seines Anspruchs äußern, so sollte dem Arbeitgeber das
Recht zugestanden werden, dem Arbeitnehmer eine kürzere Frist zu setzen.
Unter Umständen müsse er den Arbeitsplatz rasch wieder besetzen. Der
Arbeitnehmer bedürfe dagegen anders als bei einer Änderungskündigung
gemäß § 2 KSchG, wo ihm für die Stellungnahme zum Änderungsangebot des
Arbeitgebers drei Wochen zur Verfügung stehen, keiner allzu langen
Bedenkzeit, da es schließlich darum gehe, das Arbeitsverhältnis mit demselben
Arbeitgeber zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. Sofern ein
berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer raschen Klärung bestehe,
scheine daher eine Frist von einer Woche nicht unangemessen kurz.
Daran
stimmt
bedenklich,
dass
die
durch
die
Heranziehung
des
Rechtsgedankens aus § 4 KSchG gewonnene Rechtssicherheit so doch wieder
unter den Vorbehalt „berechtigter Interessen an einer raschen Klärung“ gestellt
wird. Ein solches Interesse würde der Arbeitgeber subjektiv stets für sich
reklamieren, die Arbeitsgerichte würden mit einem weiteren Prüfprogramm
belastet. Schließlich kann es auch nicht überzeugen, wenn demnach die in
jedem Fall einzuhaltende kürzeste Frist negativ allein damit begründet wird, sie
erscheine
nicht
unangemessen
kurz.
Schließlich
ist
auch
die
Entscheidungsbildung beim Arbeitnehmer nicht so einfach wie behauptet. Nicht
selten wird sich der Arbeitnehmer bereits in eine andere Beschäftigung begeben
oder eine solche in Aussicht haben, so dass sich die Frage stellt, ob sich deren
Aufgabe lohnt. Hierzu sind auch Erwägungen über die veränderte betriebliche
Situation beim alten Arbeitgeber insbesondere hinsichtlich der Dauerhaftigkeit
von Beschäftigungsmöglichkeiten anzustellen. Die Entscheidung ist daher
keineswegs einfacher als bei einer Änderungskündigung.
- 407 -
c) Dauer des Kündigungsschutzprozesses
Vereinzelt
stellt
die
obergerichtliche
Rspr.
darauf
ab,
ob
die
Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden oder der
Arbeitnehmer bereits nach § 7 KSchG materiell präkludiert ist, weil jedenfalls
nach einer materiellen Präklusion die Vertragsbeziehungen der Parteien
endgültig beendet seien und deshalb ein Anspruch aus nachwirkender
Fürsorgepflicht
nicht
mehr
in
Betracht
komme.1009
Eine
an
den
Kündigungsschutzprozess angelehnte Grenze für die Geltendmachung des
Anspruchs ist jedoch aus den gleichen Gründen abzulehnen, aus denen sie
schon für die zeitliche Grenze der Anspruchsentstehung nicht in Frage kam.1010
Das Abstellen auf eine zuvor eingetretene materielle Präklusion wegen
Versäumung der Klagefrist ist auch dann nicht schlüssig, wenn man – entgegen
der hier vertretenen Auffassung – die nachwirkende Fürsorgepflicht oder andere
Vertragspflichten als Anspruchsgrundlage eines Wiedereinstellungsanspruchs
ansehen wollte. Es macht für das Fortbestehen der Fürsorgepflicht einen
Unterschied, ob das Arbeitsverhältnis bereits beendet oder vor Ablauf der
Kündigungsfrist lediglich die Kündigung nach § 7 KSchG unangreifbar geworden
ist. Den seine Wiedereinstellung verlangenden Arbeitnehmer trifft keine Pflicht,
sich zuvor gegen die wirksame Kündigung zu wenden.
d) Nichtgeltung einer Ausschlussfrist
Nach a.A. ist die Geltendmachung des Anspruchs nicht an eine Frist
gebunden.1011 Hierfür werden vor allem folgende Argumente angeführt:
Es fehle schon an den Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung
des § 4 KSchG. Es sei ein qualitativer Unterschied, ob der Arbeitnehmer die
1009
LAG Köln (5 Sa 11/98), MDR 1998, 1170, 1170.
1010
Siehe oben unter G.II.2.c)(2) „Dauer des Kündigungsschutzprozesses“ auf Seite 372.
1011
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757; Zwanziger, BB 1997, 42, 45; Beckschulze, DB 1998, 417,
418; Oetker, ZIP 2000, 643, 651; KR – Etzel, § 1 KSchG Rn Rn 569.
- 408 Rechtswirkungen eines Gestaltungsrechts beseitigen wolle oder ob er einen
Anspruch auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages geltend mache.1012 Der
Wegfall des Kündigungsgrundes sei anders als die Kündigung zeitlich schwer
festzulegen, so dass er kaum als Anknüpfungspunkt für eine dreiwöchige
Ausschlussfrist dienen könne.1013 Erst recht müsse das für die zeitlich kaum
feststellbare Kenntnisnahme vom Wegfall des Kündigungsgrundes gelten. Auch
sei die kurze Dreiwochenfrist unzureichend, die Wiedereinsetzung analog § 5
KSchG würde bei der Wiedereinstellung zum Regelfall werden. Rechtssicherheit
ließe sich so nicht erreichen.1014 Es sei zwar für den Arbeitgeber vorteilhaft,
wenn er nach Wegfall des Kündigungsgrundes relativ kurzfristig wisse, ob er mit
einer
Klage
des
Arbeitnehmers
Vertragsfortsetzungsanspruch
aus
rechnen
einem
müsse.
WiedereinstellungsEs
bestehe
jedoch
oder
kein
Bedürfnis, mit einer Analogie zu § 4 KSchG für den Wiedereinstellungsanspruch
aufzuwarten. Einer drohenden Rechtsunsicherheit könne der Arbeitgeber auch
durch eine negative Feststellungsklage begegnen. Im Übrigen stehe es ihm
nach
Wegfall
des
betriebsbedingten
Kündigungsgrundes
frei,
die
Rechtsunsicherheit über den Vertragsfortsetzungswillen des Arbeitnehmers mit
einem eigenen Vertragsangebot zu beenden.1015
Dem Bedürfnis des Arbeitgebers nach Rechtssicherheit lasse sich schließlich
schon dadurch Rechnung tragen, dass er in seinen Dispositionen grundsätzlich
frei sei, insbesondere also den Arbeitsplatz neu besetzen könne.
e) Heranziehung des Verwirkungseinwands im bis zum
31.03.2002 geltenden Betriebsübergangsrecht
Während beim Übergang ungekündigter Arbeitsverhältnisse § 613a I 1 BGB
einen gesetzlichen Vertragspartnerwechsel anordnet, der die Zustimmung des
1012
Oetker, ZIP 2000, 643, 651.
1013
Zwanziger, BB 1997, 42, 45; Beckschulze, DB 1998, 417, 418.
1014
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
1015
Boewer, NZA 1999, 1177, 1183.
- 409 Arbeitnehmers
nicht
voraussetzt,
ihm
jedoch
ein
zeitlich
gebundenes
Widerspruchsrecht einräumt1016, verlangt ein Wiedereinstellungsanspruch nach
wirksamer (Teil)Stillegungskündigung und unerwartetem Betriebsübergang nach
einer eigenständigen Geltendmachung durch den Arbeitnehmer.1017
Dazwischen liegt der Fall, dass vom Betriebsveräußerer unwirksam wegen
angeblich beabsichtigter Betriebsstillegung gekündigt wurde, obwohl im
Kündigungszeitpunkt ein sich anschließender Betriebsübergang im Sinne der
Rspr.1018 bereits „greifbare Formen“ angenommen hatte. Bleibt die Wirksamkeit
der Kündigung streitig, so wird ebenfalls eine Klage notwendig, nämlich auf
Feststellung
der
Unwirksamkeit
der
Kündigung
einerseits,
und
Weiterbeschäftigung beim Betriebserwerber1019 andererseits.1020
In allen drei Fällen soll der Arbeitnehmer trotz Fehlens einer normierten
Ausschlussfrist seine Rechte nicht zeitlich schrankenlos ausüben dürfen, gleich
ob es um das Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
geht (das mittlerweile durch § 613a V und VI BGB eine ausdrückliche Regelung
erfahren hat1021), um die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und
den Weiterbeschäftigungsanspruch gegen den Betriebserwerber, oder um den
Wiedereinstellungsanspruch gegen den Erwerber bei unstreitig wirksamer
Kündigung.
Macht
der
Arbeitnehmer
diese
Rechte
im
Zusammenhang
mit
dem
Betriebsübergang nicht rechtzeitig geltend, so soll das Vertrauen des
1016
Palandt – Putzo, § 613a BGB Rn 15.
1017
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 311; BAG (8 AZR 106/99), ZinsO 2000, 411, 411.
1018
1019
BAG (8 AZR 306/98), NZA 1999, 706, 706; LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240,
246.
Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung beim Betriebserwerber wird auch
Fortsetzungsanspruch bezeichnet, siehe oben unter A.V „Begrifflichkeiten“ auf Seie 15.
als
1020
BAG (8 AZR 106/99), ZinsO 2000, 411, 411.
1021
„Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze“, BT-Drs. 14/7760, Art. 4.
- 410 Veräußerers auf die Nichtgeltendmachung des Widerspruchsrechts bzw. des
Erwerbers auf die Nichtgeltendmachung etwaiger Weiterbeschäftigungs- oder
Wiedereinstellungsansprüche
Maßnahme
den
Vorrang
nach
Umsetzung
genießen
vor
der
der
unternehmerischen
Rechtsdurchsetzung
des
Arbeitnehmers. Auf diese Weise werden das Interesse des Arbeitnehmers an
der Wahrnehmung seiner Rechte und das Interesse von Veräußerer und
Erwerber an der Sicherung ihrer unternehmerischen Dispositionsfreiheit auf der
Grundlage einer bekannten Personalstärke gegeneinander abgegrenzt.
Rechtstechnisch ließ sich dieses Ergebnis in allen drei Fällen nur über den
allgemeinen Grundsatz der Verwirkung von Rechten begründen. In diesem
Sinne hat die Rspr. die zur Ausübung des Widerspruchsrechts entwickelten
Grundsätze
auf
die
Geltendmachung
des
Wiedereinstellungsanspruchs
übertragen und dann die Frage diskutiert, ob man das so für den
Wiedereinstellungsanspruch gewonnene Ergebnis nicht auf den (wertungsmäßig
in
der
Mitte
liegenden)
Weiterbeschäftigungsanspruchs
Fall
gegen
der
den
Geltendmachung
Erwerber
nach
des
unwirksamer
Veräußererkündigung übertragen könne.
Diese Rspr. konkretisiert die Anwendung des Verwirkungseinwands im Bereich
des Betriebsübergangs- und Wiedereinstellungsrechts im Hinblick auf die
Wertungen des KSchG, dem Anleihen für die Erfüllung von Umstands- und
Zeitmoment entnommen werden. Diese Ansätze sollen hier zunächst erläutert
und sodann darauf untersucht werden, ob aus ihnen ein universeller Ansatz für
die Verwirkung des Wiedereinstellungsanspruchs gewonnen werden kann,
wobei auch auf die Neuregelung des § 613a BGB durch das „Gesetz zur
Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze“1022 einzugehen sein
wird.
1022
BT-Drs. 14/7760, Art. 4 (Gesetzentwurf der Bundesregierung);
(Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung).
BT-Drs.
14/8128
- 411 -
(1) „Gleichklang“ der zeitlich begrenzten Ausübung des
Wiedereinstellungsanspruchs und des
Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers
(a) Auffassung des 8. Senats zum Betriebsübergang nach Ablauf
der Kündigungsfrist in den Sonderfällen der
Funktionsnachfolge
Der 8. Senat hatte sich in seinem Urteil vom 12.11.19981023 mit der
Konstellation zu befassen, dass sich ein Betriebsübergang unerwartet nach
Ablauf der Kündigungsfrist ergeben hatte, und zwar durch die Übernahme eines
nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals in einem Fall der
Funktionsnachfolge
im
Dienstleistungsbereich,
also in der
vom
EuGH
entwickelten Fallgruppe.
Geht ein Betrieb oder Betriebsteil dadurch auf den Erwerber über, dass dieser
durch die Einstellung eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des
Personals und deren Einsatz auf ihren alten Arbeitsplätzen mit unveränderten
Aufgaben die wirtschaftliche Einheit ihrer Identität nach übernimmt, hat der
Arbeitnehmer demnach den Anspruch auf Wiedereinstellung noch während des
Bestehens oder zumindest unverzüglich nach Kenntniserlangung von den den
Betriebsübergang
ausmachenden
tatsächlichen
Umständen
geltend
zu
machen.1024
In seiner Entscheidung vom 13.11.1997 hatte der 8. Senat1025 die dort nicht
entscheidungserhebliche Frage, ob der Anspruch auf Wiedereinstellung in den
Sonderfällen der Funktionsnachfolge aus Gründen der Rechtssicherheit
unverzüglich
nach
Kenntniserlangung
von
den
den
Betriebsübergang
ausmachenden Tatsachen geltend zu machen ist, noch offen gelassen.
1023
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 311.
1024
Siehe Zusammenfassung des Tatbestandes auf Seite 10.
1025
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 252.
- 412 In der Begründung beruft sich der 8. Senat nun darauf, der Zweck des
Bestandsschutzes rechtfertige keine Phasen vermeidbarer Ungewissheit über
das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und
Betriebserwerber. Mit dem Gebot der notwendigen Rechtssicherheit sei es nicht
vereinbar, die Beteiligten über das Zustandekommen eines solchen neuen
Arbeitsverhältnisses noch nach Beendigung des durch die Kündigung
aufgelösten Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers zum Betriebsveräußerer im
Unklaren zu lassen. Zu verlangen sei deshalb, dass der entlassene
Arbeitnehmer
unverzüglich
nach
Kenntniserlangung
von
den
den
Betriebsübergang ausmachenden Umständen sein Fortsetzungsverlangen
gegenüber
dem
Betriebserwerber
stellt.
Erfährt
er
im
Sonderfall
der
Funktionsnachfolge von der willentlichen Übernahme der Hauptbelegschaft, so
sei es ihm zumutbar, ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 I BGB) seinen Antrag auf
Abschluss eines Fortsetzungsarbeitsvertrages an den Betriebserwerber zu
richten.
Damit
bestehe
insoweit
ein
Gleichklang
zum
Widerspruchsrecht
des
Arbeitnehmers.1026
Das Widerspruchsrecht wurde dem Arbeitnehmer nach bisheriger Rechtslage
vor der Einfügung der Absätze V und VI des § 613a BGB zugebilligt, weil
niemand - auch nicht der Arbeitnehmer als Gläubiger seines Entgeltanspruchs sich einen Schuldnerwechsel gegen seinen Willen aufzwingen lassen muss
(Rechtsgedanke des § 415 I BGB).1027 Abgeleitet wurde es aus dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Artt.
1, 2 und 12 GG).1028 Die Rechtsprechung zum alten Recht gab dem
Arbeitnehmer die Möglichkeit, bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu
widersprechen. Vor dem Betriebsübergang war das Widerspruchsrecht nicht
1026
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 313; so auch Meyer, SAE 2000, 39, 44.
1027
Prinzipiell ablehend dagegen Fischer Diss., S. 112 ff; Pietzko Diss., S. 318 ff, 329.
1028
Worzalla, NZA 2002, 353, 356.
- 413 fristgebunden1029, weil Gründe für den Widerspruch sich noch bis zum
Betriebsübergang ergeben können und der Arbeitnehmer zuvor häufig auch
keinen Anlass hatte, dem Betriebsübergang zu widersprechen.1030 Nach dem
Betriebsübergang konnte der Arbeitnehmer nur noch unverzüglich dem
Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen, wobei ihm in Anlehnung an
die §§ 4 S. 1 und 7 KSchG eine Erklärungsfrist von höchstens drei Wochen
zugebilligt
wurde.1031
Demnach
war
das
Wiedereinstellungsverlangen
gegenüber dem Betriebserwerber unverzüglich nach Kenntniserlangung von den
den Betriebsübergang begründenden tatsächlichen Umständen zu erheben,
sofern der Arbeitnehmer erst nach dem Vollzug des Betriebsübergangs von
diesem Kenntnis erlangte. Erlangte er bereits zuvor von dem sicher
bevorstehenden
Betriebsübergang
Kenntnis,
so
konnte
er
sein
Wiedereinstellungsverlangen jederzeit vor dem Betriebsübergang erheben,
danach ebenfalls nur noch unverzüglich.
Für die unverzügliche Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs nach
wirksamer Stillegungskündigung des Veräußerers und prognosewidrigem
Erhaltenbleiben
des
Arbeitsplatzes
infolge
eines
unerwarteten
Betriebsübergangs soll wegen des Gleichklangs mit dem Widerspruchsrecht
ebenfalls eine Höchstfrist von drei Wochen gelten. Diese „Höchstfrist“ soll dem
Arbeitnehmer auch stets zugebilligt werden.1032 Nach Oetker1033 soll den
Gerichten im Anschluss an die Grundsatzentscheidung des 2. Senats zum
Widerspruchsrecht vom 22.04.19931034 weitergehend die Möglichkeit offen
stehen, mit Rücksicht auf Besonderheiten des Sachverhalts eine geringfügige
1029
1030
1031
BAG (8 AZR 139/97), DB 1416, 1416 m.w.N. und 1417 = AP Nr. 177 zu § 613a BGB; Nicolai,
ZfA 1999, 617, 633.
BAG (8 AZR 139/97), DB 1416, 1417.
BAG (2 AZR 313/92), AP Nr. 102 zu § 613a BGB; BAG (8 AZR 139/97), AP Nr. 177 zu § 613a
BGB.
1032
LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000, 457, 460; Edenfeld, AuA 1998, 161, 165.
1033
Oetker, DZWIR 2000, 461, 463.
1034
BAG (2 AZR 313/92), AP 102 zu § 613a BGB.
- 414 Fristüberschreitung zu tolerieren, denn der 2. Senat hatte dort formuliert, für eine
längere Frist als für die Kündigungsschutzklage bestehe „in der Regel“ kein
überzeugender Grund.
Das
Schrifttum
Widerspruchsrecht
ist
einer
entsprechenden
entwickelten
Anwendung
Grundsätze
der
auf
zum
den
Wiedereinstellungsanspruch überwiegend gefolgt.1035
Leicht abgewandelt vertritt Nicolai 1036 in scheinbarer Zustimmung zur Rspr.
des 8. Senats die Auffassung, der Anspruch sei noch „während des Bestehens
des Arbeitsverhältnisses, zumindest aber unverzüglich (innerhalb von drei
Wochen)
nach
Kenntniserlangung
von
den
den
Betriebsübergang
ausmachenden tatsächlichen Umständen“ geltend zu machen. Der 8. Senat hat
in seiner Entscheidung vom 12.11.1998 aber tenoriert, der Anspruch sei „noch
während
des
Bestehens
oder
zumindest
unverzüglich
nach
Kenntniserlangung...“ geltend zu machen.1037 Wollte man hiervon abweichen,
so würde die Parallele zum Widerspruchsrecht, das ja nach alter Rechtslage vor
dem Betriebsübergang nicht fristgebunden war, verlassen, ohne dass hierfür ein
Sachgrund ersichtlich wäre.1038 Auch die Formulierung „während des
Bestehens des Arbeitsverhältnisses“ ist ungenau. Gemeint ist nur das Bestehen
1035
Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241; Langenbucher, SAE 1998, 145, 149; Preis/Steffan, DB
1998, 309, 310; Edenfeld, AuA 1998, 161, 165; Berscheid Insolvenz, S. 241 f Rn 689; Boewer,
NZA 1999, 1177, 1180; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 580; Meyer, NZA 2000, 297, 301;
Oetker, ZIP 2000, 643, 651; Oetker, DZWiR 2000, 461, 463.
1036
Nicolai, ZfA 1999, 617, 636.
1037
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 311 (Hervorhebungen des Verf.).
1038
Dieses Missverständnis ist allerdings im Entscheidungstenor angelegt, da der Begriff
„zumindest“ auf eine absolute Grenze deutet, während „oder“ auf zwei gleichwertige
Alternativen hinweist. Die Urteilsbegründung lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass zwei
gleichwertige Alternativen gemeint sind. Der 8. Senat führt aus (NZA 1999, 311, 313 f): „Damit
besteht insofern ein Gleichklang zum Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers. Nach der Rspr.
des BAG kann der Arbeitnehmer grundsätzlich bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergans
widersprechen. Nach dem Betriebsübergang kann der Arbeitnehmer nur noch unverzüglich
dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen,...“. „Damit kannte er (der Kläger, noch
vor Ablauf der Kündigungsfrist) alle tatsächlichen Voraussetzungen eines möglichen
Betriebsübergangs. Er hätte sich unverzüglich nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses
zur Bekl. zu 1 entscheiden müssen.“
- 415 des
Arbeitsverhältnisses
zum
Veräußerer,
also
die
Zeit
bis
zum
Betriebsübergang. Die trotz seiner Kenntnis unabhängig von einem Fristlauf
bestehende Möglichkeit zur Geltendmachung hatte der Arbeitnehmer also,
solange sein Arbeitsverhältnis zum Veräußerer noch bestand. War sein
Arbeitsverhältnis dagegen (in gekündigter Stellung) kraft Gesetzes gemäß §
613a I BGB auf den Erwerber übergegangen, so begann von da an auch die
Dreiwochenfrist, weil der Arbeitnehmer Kenntnis hatte und sich nun wie auch
beim Widerspruchsrecht entscheiden musste. Ein gekündigtes Arbeitsverhältnis
geht auch als solches auf den Erwerber über, die Kündigungsfrist läuft nach dem
Vertragspartnerwechsel weiter.1039 Unabhängig vom Lauf der Kündigungsfrist
führte der Übergang des Arbeitsverhältnisses zur Auslösung des Fristlaufs für
die Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs ebenso wie für die
Ausübung des Widerspruchsrechts nach alter Rechtslage.
Der angenommene Gleichklang zum Widerspruchsrecht wurde wie folgt
begründet:
Wie beim Widerspruchsrecht gehe es auch bei der Wiedereinstellung um die
Frage, ob ein Arbeitsverhältnis zum Betriebserwerber besteht, weshalb auch
hier mit Rücksicht auf die Interessen des Erwerbers die Dreiwochenfrist des § 4
KSchG in entsprechender Anwendung maßgeblich sein müsse. Dem stehe nicht
entgegen, dass die Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 613a IV 1 BGB nicht
innerhalb einer Klagefrist von drei Wochen geltend gemacht werden müsse (§
13 III KSchG).1040 Die Nichtanwendung des § 4 KSchG im Fall des § 613a IV 1
BGB
rechtfertige
sich
daraus,
dass
bei
einer
ausgesprochenen
betriebsbedingten Kündigung, die sich im Nachhinein als Kündigung „wegen“
des Betriebsübergangs herausstellt, die Entwicklung für den Arbeitnehmer zum
Zeitpunkt der Kündigung oftmals noch unübersehbar sei und ihm deshalb eine
1039
1040
LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000, 457, 459; so auch für das österreichische Recht
Binder, DRdA 1996, 1, 6.
Vgl. BAG (2 AZR 530/82), AP Nr. 40 zu § 613a BGB; BAG (2 AZR 3/85), AP Nr. 47 zu § 613a
BGB.
- 416 angemessene Zeitspanne zugebilligt werde. Dieses Argument greife nicht,
sobald der nicht übernommene Arbeitnehmer von der Übernahme der
Hauptbelegschaft durch den neuen Auftragnehmer erfahren hat. In diesem
Moment sei für den Arbeitnehmer erkennbar, dass ein Betriebsübergang
stattgefunden habe und er müsse seine Rechte unverzüglich geltend
machen.1041 Langenbucher1042 führt ergänzend aus, die Situationen der
Geltendmachung eines Widerspruchsrechts und der Geltendmachung eines
Wiedereinstellungsanspruchs wiesen die Gemeinsamkeit auf, dass es um die
weitreichende Entscheidung gehe, sich einem neuen Vertragspartner zu
verpflichten, um den Verlust des Arbeitsplatzes abzuwenden, der sonst
unausweichlich würde. Allen Beteiligten sei an einer raschen Klärung gelegen,
nachdem sie den Arbeitnehmer über die neue Situation in Kenntnis gesetzt
haben. Die Heranziehung des § 4 KSchG sei daher jedenfalls durch eine
vergleichbare Interessenlage gedeckt.
Das Argument vom „Gleichklang“ führt indes nicht zu einer analogen, sondern
nur zu einer entsprechenden Anwendung der §§ 4 und 7 KSchG. Es handelt
sich lediglich um eine teleologisch vergleichbare Richtgröße, die eine
Konkretisierung der „Unverzüglichkeit“ ermöglicht.1043
(b) Verallgemeinerung der Rechtsprechung des 8. Senats auf den
klassischen Fall des Betriebsübergangs nach § 613a BGB
Das LAG Hamm hat durch Urteil vom 11.05.20001044 die Auffassung des 8.
Senats in dessen Entscheidung vom 12.11.1998 auch auf eine Fallgestaltung
des
klassischen
Betriebsübergangs
außerhalb
der
Sonderfälle
Funktionsnachfolge noch während der Kündigungsfrist erstreckt.
1041
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310 f.
1042
Langenbucher, SAE 1998, 143, 149.
1043
Oetker, DZWIR 2000, 461, 464.
1044
LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000, 457, 457 ff
der
- 417 Die Entscheidung hat Zustimmung gefunden.1045
Die Ausführungen des 8. Senats sind in der Tat verallgemeinerungsfähig. Eine
Parallele zum Widerspruchsrecht ergibt sich unabhängig davon, ob es sich um
einen klassischen oder einen Betriebsübergang nach Funktionsnachfolge
handelt. Auch auf die Unterscheidung zwischen einem Betriebsübergang vor
oder nach dem Ablauf der Kündigungsfrist kommt es insoweit nicht an. Entfällt
nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung der Kündigungsgrund, weil
nunmehr unerwartet ein Betriebsübergang sicher bevorsteht, so soll dem
Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt werden, sich an den Rechtszustand
anzunähern, der bestünde, wenn der Arbeitgeber den in seine Sphäre fallenden
Betriebsübergang von Anfang an richtig prognostiziert und überflüssige
Kündigungen vermieden hätte. Wird also das durch das Widerspruchsrecht
verbriefte Wahlrecht des Arbeitnehmers im ungekündigten Arbeitsverhältnis
zeitlich nicht schrankenlos gewährt, so kann der Arbeitnehmer im trotz gleicher
objektiver
Sachlage
gekündigten
Arbeitsverhältnis
für
die
Wiedereinstellungsfrage nicht besser stehen.
(2) Anwendung der zum Wiedereinstellungsanspruch
entwickelten Grundsätze auf den
Weiterbeschäftigungsanspruch gegen den Erwerber nach
unwirksamer Veräußererkündigung
Erklärt der Betriebsveräußerer eine unwirksame Kündigung wegen angeblich
beabsichtigter Betriebsstillegung, obwohl im Kündigungszeitpunkt ein sich
anschließender Betriebsübergang im Sinne der Rspr.1046 bereits „greifbare
Formen“ angenommen hatte oder gar schon vollzogen war, so wird der
Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung (und eventuell auch den
Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613a I 1 BGB auf den
1045
1046
Oetker, DZWIR 2000, 461, 462 f.
BAG (8 AZR 306/98), NZA 1999, 706, 706; LAG Hamm (4 Sa 1220/99), DZWIR 2000, 240,
246.
- 418 Betriebserwerber)
klageweise
Weiterbeschäftigungsanspruch
feststellen
durch
lassen
einen
und
daneben
Leistungsantrag
seinen
geltend
machen.1047 Es gilt hierfür keine Klagefrist (§§ 613a IV 2 BGB, 13 III KSchG).
Sicher ist aber, dass der Arbeitnehmer auch insoweit seine Rechte zeitlich nicht
unbegrenzt wahrnehmen kann. Vielmehr soll die Durchsetzung dieser
Ansprüche wiederum dem nach den Grundsätzen des KSchG ausgeformten
allgemeinen Grundsatz der Verwirkung von Rechten unterworfen sein.
Die Rspr. versucht dabei, die ihrerseits aus dem Widerspruchsrecht abgeleiteten
Grundsätze zum Wiedereinstellungsanspruch auf die Geltendmachung des
Weiterbeschäftigungsanspruchs (der insoweit auch als Fortsetzungsanspruch
bezeichnet wird) aus § 613a I 1 BGB zu übertragen.1048 Im Ergebnis ist dabei
umstritten, ob die Grundsätze der Befristung eines Wiedereinstellungsanspruchs
auch auf Fallkonstellationen zu übertragen sind, in denen das Arbeitsverhältnis
des Arbeitnehmers noch ungekündigt ist.
Teilweise wird vertreten, dass die Grundsätze jedenfalls ihre Bedeutung bei der
Beurteilung
des
sogenannten
Zeitmoments
im
Rahmen
des
Verwirkungseinwandes hätten. Die 3. Kammer des LAG Berlin1049 vertritt hierzu
die Auffassung, dass einem Arbeitnehmer, der länger als sechs Monate seit
Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden Umständen
mit der Inanspruchnahme des Betriebsübernehmers abwartet, von diesem
entgegengehalten werden könne, er habe dieses Recht verwirkt. Für das
sogenannte Umstandsmoment reiche es aus, dass der Betrieb nur mit der
Stammbelegschaft, also mit einer geringeren Anzahl von Arbeitsplätzen,
fortgeführt worden sei.
1047
1048
1049
BAG (8 AZR 106/99), ZinsO 2000, 411, 411.
Ähnlich im österreichischen Recht OGH (9 ObA 160/99s), DRdA 2000, 311, 312; kritisch
Binder, DRdA 2000, 313, 315 f, der eine „Aufgriffsobliegenheit“ für den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses ablehnt und ohne weiteres Annahmeverzugslohnansprüche entstehen
lassen will.
LAG Berlin vom 12.10.1999 (3 Sa 1353/99), n.v., nachgehend BAG (8 AZR 42/00), NZA 2001,
252 ff.
- 419 Die 6. Kammer das LAG Berlin verweist in ihrer Entscheidung vom
11.02.20001050 für die Frage nach der Verwirkung des Rechts, einen Übergang
des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, auf die Sechs-Monats-Frist des § 5
III 2 KSchG, nach deren Ablauf selbst bei unverschuldeter Versäumung der
dreiwöchigen Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage eine
nachträgliche Klagezulassung nicht mehr erreicht werden könne. Auch wenn
daraus keine starre Höchstfrist abgeleitet werden könne, komme doch die
gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass nach so langer Zeit der
zweifelhaft gewordene Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht mehr
gerichtlich
durchgesetzt
werden
dürfe.
Diese
Handhabung
des
Verwirkungsgedankens begründet das LAG Berlin mit dem notwendigen
Vertrauensschutz
des
Arbeitgebers,
der
sich
im
Hinblick
auf
eine
Betriebsfortführung in einem überschaubaren Zeitraum darauf einstellen dürfe,
mit welcher Belegschaftsstärke er in Zukunft arbeitet. Daher könne ihm nach
mehr als einem halben Jahr nicht mehr zugemutet werden, gegebenenfalls eine
Vielzahl von Arbeitnehmern weiterzubeschäftigen, hinsichtlich derer er über
einen derart langen Zeitraum von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zum Veräußerer ausgegangen sei und von dem Verhalten der Arbeitnehmer her
auch ausgehen durfte. Eine Betriebsfortführung bedinge unternehmerische
Dispositionen, die sich auch auf die Personalstärke und die mittelfristige
Personalplanung auswirken. Nach einer derart langen Zeit von gegebenenfalls
einer Vielzahl von Arbeitnehmern weiterhin in Anspruch genommen zu werden,
sei unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit mit diesen Grundsätzen nicht
vereinbar.
In der Entscheidung des LAG Hamm vom 26.11.19981051 wird auf die
Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von den tatsächlichen Umständen des
Betriebsübergangs als Ausgangspunkt für das Zeitmoment der Verwirkung
hingewiesen.
1050
LAG Berlin (6 Sa 2306/99), ZInsO 2000, 520, 520.
1051
LAG Hamm (4 Sa 384/98), ZInsO 1999, 302, 302.
- 420 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hatte sich zügig gegen die Kündigung
wegen beabsichtigter Betriebsstillegung zur Wehr gesetzt und bereits in der
Kündigungsschutzklage vortragen lassen, es handele sich „offenbar um einen
Betriebsübergang“, den Anspruch auf Beschäftigung beim Betriebserwerber
aber erst in einer Klageerweiterung in der Berufungsinstanz zum Gegenstand
des Verfahrens gemacht. Das LAG Hamm führt hierzu aus, es sei zwar richtig,
dass ein Arbeitnehmer einen bestrittenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses
gemäß § 613a I 1 BGB alsbald gerichtlich geltend machen müsse. Es könne
aber nicht ohne Einfluss bleiben, dass weder Veräußerer noch Erwerber die
Klägerin rechtzeitig über den bevorstehenden Betriebsübergang und seine
Folgen unterrichtet haben. Es sei anerkannt, dass die Erklärungsfrist für eine
nach dem Betriebsübergang noch mögliche Ausübung des Widerspruchsrechts
jedenfalls im Regelfall erst
mit
der
ausreichenden Unterrichtung
des
Arbeitnehmers über den Betriebsinhaberwechsel beginne. Nicht anders verhalte
es sich bei der Frage der Klageerhebung, wenn der Arbeitnehmer dem
Betriebsübergang nicht widerspricht und sich gegen die Kündigung seines
Arbeitsverhältnisses durch den Betriebsveräußerer zur Wehr setzt. Dieser
müsse dann den Betriebserwerber hiervon in Kenntnis setzen. Auf dem Rücken
der Arbeitnehmer könne dies nicht ausgetragen werden.
In der Revisionsentscheidung vom 27.01.20001052 hat der 8. Senat dies
relativiert und ausgeführt, entgegen der Auffassung des LAG beginne das
Zeitmoment nicht erst mit der umfassenden Unterrichtung des Arbeitnehmers
über den Betriebsübergang und seine Folgen, sondern bereits mit der positiven
Kenntnis des Arbeitnehmers von den den Betriebsübergang ausmachenden
tatsächlichen
Umständen.
Dabei
stellt
die
Revisionsentscheidung
den
Unterschied zum Wiedereinstellungsanspruch deutlich heraus. In diesem Fall sei
das Arbeitsverhältnis wegen der wirksamen Kündigung nicht gemäß § 613 a I 1
BGB übergegangen und daher weniger schutzwürdig. Im Streitfall wäre das
Arbeitsverhältnis rechtswirksam übergegangen, es wäre lediglich längere Zeit
1052
BAG (8 AZR 106/99), ZinsO 2000, 411, 411.
- 421 nicht geltend gemacht worden. Der Senat hat den Rechtsstreit sodann zur
anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen,
unter anderem, um die Frage der Verwirkung zu prüfen.
Nachgehend hat das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 22.08.20001053
festgestellt, wie jeder andere Anspruch könne auch das Recht, den Übergang
seines Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin geltend zu machen,
durch den Arbeitnehmer gemäß § 242 BGB verwirkt werden. Dem stehe nicht
entgegen, dass der Arbeitnehmer mit einer Feststellungsklage gegen den
Betriebsveräußerer die Unwirksamkeit der von diesem ausgesprochenen die
Kündigung mit einem Verstoß gegen das Kündigungsverbot des § 613a IV BGB
begründet habe. Im Ergebnis hat das LAG die Verwirkung bejahen müssen, da
zwischen der Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden
Tatsachen
und
der
Klageerweiterung
auf
Weiterbeschäftigung
beim
Betriebserwerber in der Berufungsinstanz mehr 8 Monate verstrichen waren.
f)
Stellungnahme
(1) Beschränkung auf den allgemeinen Grundsatz der
Verwirkung von Rechten
Zunächst haben Bram/Rühl1054 die Beschränkung der Geltendmachung des
Anspruchs auf den allgemeinen Grundsatz der Verwirkung von Rechten
befürwortet. Preis/Steffan1055 haben sich für Fallgestaltungen außerhalb des
Betriebsübergangsrechts
dem
angeschlossen.
Weitere
Stimmen
lehnen
jedenfalls eine sich an den Wegfall des Kündigungsgrundes anschließende
Ausschlussfrist zu Recht ab1056, was die zeitlichen Anforderungen an die
1053
LAG Hamm (4 Sa 779/00), BuW 2001, 41, 41 = ZInsO 2000, 568, 568.
1054
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
1055
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 311.
1056
Zwanziger, BB 1997, 42, 45; Boewer, NZA 1999, 1177, 1183; Raab, RdA 2000, 147, 154;
Oetker, ZIP 2000, 643, 651, der für den Fall des Betriebsübergangs im Anschluss an BAG (8
- 422 Geltendmachung des Anspruchs zwangsläufig auf den Verwirkungseinwand
verengt.
Ungeachtet der Besonderheiten des Betriebsübergangsrechts stellt sich in jeder
Fallgruppe des Wiedereinstellungsanspruchs ein einheitliches Problem der
optimalen
Verwirklichung
Rechtssicherheit
materieller
andererseits.
Eine
Gerechtigkeit
systemgerechte
einerseits
Ausgestaltung
und
des
Verwirkungseinwands ermöglicht für den Wiedereinstellungsanspruch in jedem
Fall sachgerechte Ergebnisse, weil die Verwirkung eines Anspruchs nicht
unabhängig von der jeweiligen Informations- und Interessenlage begründet
werden kann.
Das Zeitmoment der Verwirkung ermöglicht im Unterschied zu einer starren
Ausschlussfrist eine Rücksichtnahme auf Sonderfälle, sowie die Einbeziehung
einer arbeitgeberseitigen Aufklärungsobliegenheit oder –pflicht über die
Veränderung von Umständen aus seinem Einfluss- und Verantwortungsbereich.
Hier kann zwanglos die notwendige Differenzierung nach Kündigungsgründen
untergebracht werden, was bei der Annahme einer Ausschlussfrist nicht
gelänge.
(2) Struktur des materiellrechtlichen Verwirkungseinwands
Der Verwirkungseinwand beruht auf dem Grundgedanken des widersprüchlichen
Verhaltens wegen illoyal verspäteter Rechtsausübung.1057 Ein Recht ist
verwirkt, wenn seit seiner Entstehung ein erheblicher Zeitraum abgelaufen ist
(Zeitmoment) und der Verpflichtete sich aufgrund besonderer Umstände darauf
eingerichtet hat, der Anspruch werde auch in Zukunft nicht mehr geltend
gemacht werden (Umstandsmoment).1058 Bei der Verwirkung soll ein
AZR 265/97), NZA 1999, 311, 311 eine Ausnahme machen will und insoweit eine
unverzügliche Geltendmachung, spätestens innerhalb von drei Wochen, fordert.
1057
1058
BAG (2 AZR 711/87), DB 1988, 2156, 2156 = AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozessverwirkung.
BGH (VII ZR 89/87) NJW-RR 1989, 852, 852 f ; BGH (VI ZR 133/91) NJW 1992, 1755, 1756;
BGH (VIII ZR 48/92) NJW-RR 1993, 682, 684 (st. Rspr.); Staudinger - Schmidt, § 242 BGB Rn
534 m.w.N.; Palandt – Heinrichs, § 242 Rn 93 ff.
- 423 endgültiger Rechtsverlust eintreten.1059 Mit dem Zeitmoment ist gemeint, dass
seit Entstehen der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, eine längere
Zeitspanne verstrichen sein muss. Das Umstandsmoment liegt vor, wenn zu
dem reinen Nichtgeltendmachen Umstände besonderer Art hinzukommen, die
die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und
Glauben erscheinen lassen.1060 Das Umstandsmoment wird auch so gefasst,
dass der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des
Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dieser werde sein
Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen.1061 Zwischen Zeit- und
Umstandsmoment soll eine Wechselwirkung in dem Sinne bestehen, dass der
Zeitablauf um so kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind,
bzw. umgekehrt an diese Umstände um so geringere Anforderungen gestellt
werden müssen, je länger der abgelaufene Zeitraum ist.1062 Die erforderliche
Dauer des Zeitablaufs richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Zu
berücksichtigen sind vor allem die Art und Bedeutung des Anspruchs, die
Intensität des vom Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das
Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. Ein Verhalten des
Berechtigten, das einem konkludenten Verzicht nahe kommt, mindert die
erforderliche Zeitdauer.1063
(3) Konkretisierung des Zeitmoments der Verwirkung
(a) Dreiwochenfrist entsprechend den §§ 4 und 7 KSchG
Außerhalb des Betriebsübergangsrechts gründet sich der Anspruch auf
Wiedereinstellung dogmatisch allein auf eine rechtsfortbildende Extension des §
1 II KSchG, wird also nicht durch § 613a I 1 und IV 1 BGB überlagert. Insoweit
1059
Jauernig - Vollkommer, § 242 Rn 36.
1060
Staudinger - Schmidt, § 242 Rn 534 m.w.N.
1061
BGHZ 84, 280, 281; BGHZ 103, 62, 70; BGHZ 122, 308, 315.
1062
MünchKomm - Roth, § 242 Rn 365.
1063
Palandt – Heinrichs, § 242 Rn 93 m.w.N.
- 424 erweist sich eine Anlehnung an die Dreiwochenfrist aus § 4 KSchG als
sachgerechter
Maßstab
für
die
Konkretisierung
des
Zeitmoments
der
Verwirkung. § 4 KSchG gibt die Grenzen zulässiger Rechtsverfolgung im
Kündigungsschutzrecht vor und enthält damit auch eine Grundwertung. Trotz
abweichender Regelung für das Widerspruchsrecht in § 613a VI 1 BGB ließe
sich weder ein längeres noch eine kürzeres Zeitmoment rechtfertigen.
Hat der Arbeitnehmer positive Kenntnis von den Umständen, auf denen seine
Befugnis zur Rechtsausübung beruht, so hat er keinen weitergehenden Schutz
verdient als nach einer möglicherweise sozialwidrigen Kündigung, für die die §§
4 und 7 KSchG direkt anwendbar sind. Der Arbeitnehmer verfügt nach der
Widerlegung der stimmigen kündigungsbegründenden Prognose über ein
Weniger an Rechtsstellung gegenüber dem Fall, dass die Prognose von Anfang
an falsch und die auf ihr beruhende Kündigung unwirksam ist. Der
Wiedereinstellungsanspruch darf auch hinsichtlich seiner Durchsetzung dem
Arbeitnehmer keine bequemere Position einräumen als der unmittelbare
Kündigungsschutz, weil sonst seine Funktion als durch das vorrangige Prinzip
der Rechtssicherheit begrenzter Anspruch auf eine begrenzte Aufhebung der
Kündigungsfolgen verkannt würde. Daher wäre es jedenfalls außerhalb des
Betriebsübergangsrechts auch nicht angängig, eine entsprechende Anwendung
der aus § 613a VI 1 BGB gewonnenen Monatsfrist zu befürworten. Die Rspr.
zum „Gleichklang“ bei der Ausübung des Widerspruchsrechts einerseits und der
Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs nach Stillegungskündigung
und prognosewidrigem Betriebsübergang andererseits verfängt allenfalls im
Recht des Betriebsübergangs. Insoweit tritt auch nicht zwangsläufig ein
Widerspruch zum allgemeinen Kündigungsschutz auf, denn das Anliegen des §
613a BGB, den Erhalt der Arbeitsverhältnisse an das Erhaltenbleiben der
Arbeitsplätze zu koppeln, besteht unabhängig von den Wertungen des KSchG,
- 425 weshalb § 613a I 1 und IV 1 BGB auch als eigenständige Anspruchsgrundlage
für den Wiedereinstellungsanspruch fungiert.1064
Ein kürzeres Zeitmoment als die aus § 4 KSchG entnommene Dreiwochenfrist
müsste demgegenüber als systemfremd erscheinen. Im Übrigen würde es an
einem konkretisierbaren Anhaltspunkt für eine kürzere Frist fehlen, der zur
Vermeidung einer einzelfallorientierten Billigkeitsrechtssprechung im Interesse
der Rechtssicherheit aber erforderlich wäre.
(b) Keine Monatsfrist entsprechend § 613a VI 1 BGB im
Betriebsübergangsrecht
Die zuvor geschilderte Rspr. des 8. Senats zur einheitlichen Handhabung der
Geltendmachung des Widerspruchsrechts, des Wiedereinstellungsanspruchs
nach wirksamer und des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach unwirksamer
Veräußererkündigung vermag jedenfalls auf der Grundlage des alten Rechts
durchaus zu überzeugen. Für eine einheitliche Behandlung streitet die
Vergleichbarkeit der Situationen.1065 Es geht stets um das rechtliche Bestehen
eines Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer oder zum Erwerber. Das Interesse
beider Vertragsparteien und des Betriebsübernehmers an einer schnellen
Beseitigung des durch die unerwartete Betriebsübernahme verursachten
Schwebezustands
unabhängig
mangelnder
davon,
ob
dem
Wiedereinstellungsanspruch
Rechtssicherheit
Arbeitnehmer
oder
ein
liegt
auf
einer
Ebene,
ein Widerspruchsrecht,
bloßes
Fortsetzungsrecht
ein
nach
unwirksamer Veräußererkündigung zugestanden wird.
Fraglich ist, ob daran auch nach Einführung des § 613a VI BGB mit Wirkung für
den Wiedereinstellungsanspruch festzuhalten ist. Man könnte sich insoweit für
die Konkretisierung des Zeitmoments der Verwirkung an die dort geregelte
1064
1065
Siehe oben unter C.VI.4.b) „Teleologische Extension des § 613a BGB als tauglicher “ auf
Seite 139.
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 311.
- 426 Monatsfrist für das Widerspruchsrecht anlehnen. Allerdings würde dann
gegenüber
den
übrigen
Fallgruppen
des
Wiedereinstellungsanspruchs
außerhalb des Betriebsübergangsrechts ein Widerspruch entstehen, weil
insoweit in jedem Fall kündigungsschutzrechtliche Wertungen den Vorrang
haben. Auch im Gesetzgebungsverfahren wurde indes für die Normierung der
Widerspruchsfrist in Übereinstimmung mit der bisherigen Rspr. des BAG eine
Dreiwochenfrist angedacht, wie sie auch der ursprünglichen Fassung des
Kabinettsbeschlusses
zugrunde
liegt.1066
Diese
hätte
auch
der
im
Kündigungsschutz- und Befristungsrecht maßgeblichen Regelfrist für die
gerichtliche
Geltendmachung
der
Unwirksamkeit
einer
Kündigung
bzw.
Befristung (§§ 4 S. 1, 13 I 2 KSchG, 113 II 1 InsO, 17 TzBfG) entsprochen. Der
Arbeitnehmer hätte sich also hinsichtlich des Widerspruchsrechts ebenso rasch
entscheiden müssen wie im Fall einer Beendigungs- oder Änderungskündigung
oder des Angriffs gegen eine Befristung. Die Widerspruchsfrist wurde aber aus
nicht näher ersichtlichen Gründen im Gesetzgebungsverfahren zuletzt doch
noch auf die Monatsfrist verlängert. Zu Recht wird angemerkt, die Monatsfrist
stelle einen Fremdkörper im System der bisher bekannten arbeitsrechtlichen
Fristen dar und die durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales1067 gegebene
lapidare Begründung sei unzureichend.1068
Für die Praxis zum Widerspruchsrecht ergeben sich derweil wegen der
Möglichkeit einer frühzeitigen Unterrichtung keine wesentlichen Auswirkungen
der neuen Fristregelung.1069 Für einen am Widerspruchsrecht ausgerichteten
Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang könnte die Neuregelung
dagegen zu einer Abweichung von der Grundregel einer Dreiwochenfrist
zwingen.
1066
BT-Drs. 14/7760, S. 20
1067
BT-Drs. 14/8128, S. 3, 7.
1068
Gaul/Otto, DB 2002, 634, 637.
1069
Grobys, BB 2002, 726, 730.
- 427 Es
fragt
sich
aber,
inwieweit
es
vertretbar
ist,
für
den
Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung hinsichtlich des
Zeitmoments danach zu differenzieren, ob die Prognosewiderlegung auf einem
Betriebsübergang (§ 613a VI 1 BGB entspr.) oder auf sonstigen Umständen (§ 4
S. 1 KSchG entspr.) beruht. Denn auch für die Wiedereinstellung nach einem
Betriebsübergang bleibt es trotz der Rspr. vom „Gleichklang“ mit dem
Widerspruchsrecht bei dem übergeordneten Grundsatz, dass die Rechtsstellung
des
Arbeitnehmers,
dem
nach
wirksamer
Kündigung
bloß
ein
Wiedereinstellungsanspruch zusteht, auch in prozessualer Hinsicht keine
bessere sein kann als diejenige des Arbeitnehmers, der die Unwirksamkeit der
Kündigung geltend macht. Es ist deshalb nicht angängig, innerhalb des
Betriebsübergangsrechts
für
die
Geltendmachung
des
Wiedereinstellungsanspruchs maßgeblich auf die Monatsfrist abzustellen, für die
Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung dagegen auf die
Dreiwochenfrist.
Zwar gilt für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung „wegen“
des Betriebsübergangs gemäß § 613a IV 1 BGB die Dreiwochenfrist gerade
nicht, weshalb insoweit auch kein Widerspruch entstünde. Allerdings wird der
Arbeitnehmer sich im Regelfall auf das Fehlen eines vom Arbeitgeber
behaupteten sachlichen Grundes für die Kündigung berufen müssen1070, was
zu einer Beachtung der Dreiwochenfrist aus § 4 S. 1 KSchG zwingt. Wenn aber
die Unwirksamkeit einer ohne sachlichen Grund im Zusammenhang mit einem
Betriebsübergang ausgesprochenen Kündigung innerhalb von drei Wochen
geltend zu machen ist, dann kann ein nach wirksamer Kündigung später
entstandener Wiedereinstellungsanspruch nicht großzügiger behandelt werden.
Wollte man anders entscheiden, würde man den Wiedereinstellungsanspruch
wiederum über seine eigentliche Funktion als durch das vorrangige Prinzip der
Rechtssicherheit
begrenzten
Anspruch
auf
begrenzte
Beseitigung
Kündigungsfolgen hinaus ausdehnen.
1070
Vgl. oben unter C.VI.1.b) „Verhältnis von § 613a IV 1 BGB und § 1 KSchG“ auf Seite 126.
der
- 428 Das Zeitmoment der Verwirkung wird daher aus Gründen der Rechtssicherheit
im Regelfall für alle Fallgruppen einheitlich durch die Dreiwochenfrist des § 4 S.
1
KSchG
entspr.
konkretisiert,
gleich
worauf
die
Widerlegung
der
kündigungsbegründenden Prognose beruht (arg. a maiore ad minus). Atypische
Sachverhalte können anders beurteilt werden. Die Rspr. zum Gleichklang
zwischen Wiedereinstellungsanspruch und Widerspruchsrecht kann unter der
Geltung des § 613a VI BGB nicht fortgeschrieben werden.
(c) Kenntnisnahme von den anspruchsbegründenden Umständen
als Ausgangspunkt des Zeitmoments der Verwirkung
Schließlich ist der Beginnzeitpunkt des so konkretisierten Zeitmoments der
Verwirkung festzulegen. Klar ist dabei, dass die kurze Dreiwochenfrist aus § 4 S.
1 KSchG für das Zeitmoment nur dann herangezogen werden kann, wenn der
Arbeitnehmer über einen Wissensstand verfügt, der dem bei Zugang einer
sozialwidrigen Kündigung vergleichbar ist. Die sozialwidrige Kündigung vermag
der Arbeitnehmer schon bei Kündigungszugang umfassend zu beurteilen, denn
ihre Wirksamkeit bemisst sich nach den tatsächlichen Umständen, wie sie der
kündigungsbegründenden Prognose zugrunde lagen.
Einen
vergleichbaren
Geltendmachung
des
Wissenstand
erlangt
der
Arbeitnehmer
Wiedereinstellungsanspruchs
erst,
wenn
für
die
dessen
tatsächliche Umstände für ihn erkennbar zu Tage treten. Zuvor kann auch der
Arbeitgeber nicht wirklich ein Vertrauen auf die endgültige Nichterhebung des
Anspruchs ableiten, weil mit der Durchsetzung eines Anspruchs, dessen
tatsächliche Voraussetzungen dem Anspruchsinhaber nicht klar erkennbar sind,
schon gar nicht zu rechnen ist. Wer die Voraussetzungen des Wegfalls des
Kündigungsgrundes nicht kennt, hat auch nicht die Möglichkeit, sein Recht auf
Wiedereinstellung auszuüben. Der Vorwurf einer illoyalen Verspätung der
Rechtsausübung
setzt
als
Minimalanforderung
also
die
Kenntnis
des
Arbeitnehmers von der Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
voraus. Erst mit dem Bewusstsein der Anspruchsinhaberschaft begründet die
fortgesetzte Nichtausübung des Anspruchs Vertrauen. Das gilt einmal mehr,
wenn die anspruchsbegründenden Umstände dem Verantwortungs- und
Einflussbereich des Arbeitgebers zuzuordnen sind und dieser die Möglichkeit
hat, dem Arbeitnehmer einen Kenntnisstand zu verschaffen, an den Vertrauen
auf die Nichtgeltendmachung eines Anspruchs anknüpfen kann.
- 429 Dieser
Anknüpfungspunkt
ist
für
alle
Erscheinungsformen
des
Wiedereinstellungsanspruchs gerechtfertigt. Es geht hier gerade darum, für
unterschiedliche Fallkonstellationen eines Problemkreises, die alle den Bestand
des Arbeitsverhältnisses betreffen, Wertungswidersprüche durch den Rückgriff
auf ein gemeinsames Prinzip zu vermeiden. Nicht anders stellt sich das Problem
für die verschiedenen Fallgruppen des Wiedereinstellungsanspruchs dar. Das
schützenswerte
Interesses
des
Arbeitgebers
an
der
Erlangung
von
Rechtssicherheit und Dispositionsfreiheit ist das gleiche, unabhängig davon,
welchen Inhalt die widerlegte kündigungsbegründende Prognose ursprünglich
hatte.
Zwar hat das BAG mitunter die Auffassung vertreten, die Frage der Verwirkung
lasse sich nur für den Einzelfall klären; eine schematisierende Betrachtung
werde dem nicht gerecht. Das BAG gestand aber gleichwohl ein, es sei nicht zu
leugnen, dass sich Rspr. und Lit. im Interesse der Rechtssicherheit bemühten,
zumindest einen zeitlichen Orientierungsrahmen festzulegen.1071 Zu diesem
Orientierungsrahmen gehört zumindest ein klar definierter Beginnzeitpunkt für
das Zeitmoment als Grundlage für die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens.
Die hier darüber hinaus befürwortete Anlehnung an konkrete Fristen kann dann
für
den
Regelfall
der
Anspruchsgeltendmachung
im
Interesse
der
Rechtssicherheit einen festen zeitlichen Rahmen vorgeben. Der Ausnahmefall
kann anders beurteilt werden.
(4) Konkretisierung des Umstandsmoments der Verwirkung
Der zuvor erörterte Fall zur Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs gegen
den Betriebserwerber zeigt aber auch die Unschärfen bei der Differenzierung
zwischen Zeit- und Umstandsmoment. Sowohl der 8. Senat1072 als auch das
1071
BAG (2 AZR 711/87), DB 1988, 2156, 2156= AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozessverwirkung.
1072
BAG (8 AZR 106/99), ZinsO 2000, 411, 411.
- 430 LAG Hamm1073 gehen davon aus, dass Zeitmoment der Verwirkung beginne
mit der positiven Kenntnis des Arbeitnehmers. Sodann wird ausgeführt, „damit
ist das Zeitmoment erfüllt“. Das Umstandsmoment soll dann erfüllt sein, weil die
Arbeitnehmerin nicht alsbald nach Kenntniserlangung ihre Weiterbeschäftigung
gegenüber dem Betriebserwerber verlangt hat, weshalb dieser darauf habe
vertrauen dürfen, sie wünsche keine Weiterbeschäftigung.
Diese Ausführungen sind wenig überzeugend. Das Zeitmoment kann nicht mit
der Kenntnisnahme beginnen und zugleich schon erfüllt sein, um das Fehlen
einer alsbaldigen Geltendmachung dann als Umstandsmoment werten zu
können.
Überhaupt differenziert die Rspr. auch in anderem Zusammenhang nicht
ausreichend zwischen Zeit- und Umstandsmoment. Mit abstrakten Formeln wie,
der Arbeitgeber habe sich auf die neue Situation „eingerichtet“ und eine
entsprechende
„Vertrauensinvestition“
getätigt,
weshalb
ihm
eine
Inanspruchnahme „unzumutbar“ sei1074, wird das Umstandsmoment lediglich
abstrakt aus dem Vorliegen des Zeitmoments abgeleitet. Der Definition nach
müsste es sich aber um besondere Umstände handeln, die zu der reinen
Nichtgeltendmachung des Anspruchs hinzutreten.
Der 2. Senat1075 vertritt hinsichtlich des Klagerechts gegen eine Kündigung
„wegen“ des Betriebsübergangs im Sinne von § 613a IV 1 BGB zwar die
Auffassung, das Vorliegen des Zeitmoments indiziere nicht das Vorliegen des
Umstandsmoments.
Anspruchsberechtigten
Der
Zeitablauf
reichten
für
sich
und
allein
die
noch
Untätigkeit
nicht
aus,
des
das
Umstandsmoment auszufüllen. Er will für das Umstandsmoment im Falle der
Betriebsübernahme aber die Überlegung heranziehen, ob der Arbeitnehmer
1073
LAG Hamm (4 Sa 779/00), BuW 2001, 41, 41 = ZInsO 2000, 568, 568.
1074
LAG Hamm (8 Sa 1353/98), NZA-RR 2000, 27, 30 ff.
1075
BAG (2 AZR 711/87), DB 1988, 2156, 2156 f.
- 431 hierüber informiert war, ob er sich aus allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen
hätte informieren können oder ob er gezielt darüber im Unklaren gelassen oder
gar darüber getäuscht wurde, dass ein Erwerber in die Rechte und Pflichten aus
dem Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer getreten ist. Da das (im
entschiedenen Fall mit bis zu 6 Monaten terminierte) Zeitmoment bereits mit
Zugang der Kündigung in Lauf gesetzt werden soll, ist es möglich, die näheren
Umstände der Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von der Unwirksamkeit der
Kündigung als Umstandsmoment zu werten. Anders liegt der Fall bei der
Wiedereinstellung, wenn man die Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von den
anspruchsbegründenden Umständen als Beginnzeitpunkt für das Zeitmoment
heranzieht. Hier baut also das Zeitmoment bereits auf dem Umstandsmoment
auf, weil es ansonsten an einem sinnvollen zeitlichen Bezugspunkt fehlen
würde. Geht es dagegen um die Geltendmachung der Unwirksamkeit der
Kündigung, sollte die Sichtweise ehrlicherweise keine andere sein. Welche
vertrauensstiftende Bedeutung dem Zeitablauf nach Ausspruch der Kündigung
zukommt, hängt nämlich stets vom Kenntnisstand der Beteiligten ab, so dass bei
näherer Betrachtung auch hier das Umstandsmoment dem Zeitmoment
vorangeht.
Das Zeitmoment kann für die Wiedereinstellungsfrage daher zutreffend nur
beschrieben werden, wenn man bereits für dessen Beginnzeitpunkt auf die
positive Kenntnisnahme des Arbeitnehmers und damit inzident auch auf die
Umstände abstellt, die der Arbeitgeber aus seiner Sphäre dazu beiträgt,
namentlich die Unterrichtung über Veränderungen aus seinem Einfluss- und
Verantwortungsbereich. Das Umstandsmoment ist dann erfüllt, weil der
Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Kenntnisnahme des Arbeitnehmers alsbald
auf die Beständigkeit des durch die wirksame Kündigung geschaffenen
Rechtszustandes endgültig vertrauen darf. Das Vertrauen ist schutzwürdig, weil
der Arbeitnehmer für die Durchsetzung seines Wiedereinstellungsanspruchs
zumindest das Maß an Sorgfalt walten lassen muss, welches auch für die
Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung verlangt wird, worauf sich
der Arbeitgeber verlassen darf (arg. a maiore ad minus).
Damit wird deutlich, dass das Umstandsmoment auch für die Verwirkung des
Wiedereinstellungsanspruchs keine wirklich eigenständige Funktion hat und
zudem das Zeitmoment sinnvoll nur in Abhängigkeit vom Umstandsmoment
- 432 definiert werden kann. Für den Wiedereinstellungsanspruch lässt sich also zum
Verhältnis von Umstands- und Zeitmoment folgendes feststellen:
Die Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von den tatsächlichen Umständen, auf
denen die Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose beruht, führt zur
Erfüllung des Umstandsmoments und löst damit das Zeitmoment der Verwirkung
aus.
(5) Sphärenbezogene Rechtspflicht zur Aufklärung über eine
prognosewidrige Entwicklung nach Kündigungszugang
(a) Sphärenbezogene Aufklärungsnotwendigkeit
Mit dem Anknüpfungspunkt der arbeitnehmerseitigen Kenntnisnahme von den
prognosewidrigen Umständen als Beginnzeitpunkt für das Zeitmoment ist auch
die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit eine Aufklärungsobliegenheit oder
sogar
eine
echte
Rechtspflicht
im
Sinne
einer
Initiativlast
für
die
Arbeitsvertragsparteien mit dem Inhalt besteht, den Vertragspartner auf den
unerwarteten Wegfall des Kündigungsgrundes aufmerksam zu machen.
Der 7. Senat äußert sich in seiner Entscheidung vom 28.06.20001076 nicht klar
zu einer solchen Aufklärungspflicht bzw. –obliegenheit: Die Berufung des
Arbeitgebers auf die Neubesetzung des für den Arbeitnehmer in Betracht
kommenden Arbeitsplatzes könne dem Arbeitnehmer ausnahmsweise auch
dann
verwehrt
sein,
wenn
er
die
Neubesetzung
bereits
vor
dem
Wiedereinstellungsverlangen vorgenommen habe, dies aber darauf beruhe,
dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer treuwidrig nicht über die sich ergebende
Beschäftigungsmöglichkeit informiert habe. Dabei lasse sich die Frage, ob der
Arbeitgeber überhaupt, sowie gegebenenfalls wann und wie verpflichtet sei, von
sich aus einen Arbeitnehmer über eine sich unvorhergesehen ergebende
Beschäftigungsmöglichkeit zu unterrichten, ebenfalls nicht generell beantworten.
1076
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1782.
- 433 Vielmehr richte sich der Inhalt und Umfang einer derartigen Informationspflicht
gemäß § 242 BGB nach den Umständen des Einzelfalles.
Im
Anschluss
an
diese
Überlegung
wird
zumindest
von
einer
Aufklärungsobliegenheit des Arbeitgebers insoweit auszugehen sein, wie die
Widerlegung der Prognose auf Umständen beruht, die in seine Risikosphäre
fallen und für den Arbeitnehmer daher nicht ohne weiteres erkennbar sind1077,
weil
anders
das
Interesse
des
Anspruchsinhabers
an
einer
zügigen
Durchsetzung des Anspruchs einerseits und der Vermeidung von Nachteilen
andererseits gerade zur Disposition des Anspruchsgegners stehen würde. Dies
gilt insbesondere für die betriebsbedingte Kündigung als praktisch wichtigster
Wiedereinstellungsfall.1078
(b) Echte Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Aufklärung über
prognosewidrige Veränderungen aus seinem Einfluss- und
Verantwortungsbereich
Klärungsbedürftig bleibt, ob es sich um eine bloße Obliegenheit oder eine echte
Rechtspflicht handelt. Geht man mit der hier vertretenen Auffassung von einer
Wechselwirkung zwischen der Aufklärung des Arbeitnehmers über Umstände
aus der Sphäre des Arbeitgebers und der Verwirkung seines Anspruchs in dem
Sinne aus, dass das Zeitmoment der Verwirkung die vorherige Kenntnisnahme
und damit die vorherige Aufklärung über den Wegfall des Kündigungsgrundes
aus der Sphäre des Arbeitgebers voraussetzt, so bedarf es grundsätzlich nicht
der Anerkennung einer echten Rechtspflicht bzw. einer Initiativlast für ein neues
Vertragsangebot.1079 Der Arbeitgeber kann ja die Information über den Wegfall
des Kündigungsgrundes nur um den Preis fehlender Rechtssicherheit
unterdrücken.
1077
1078
1079
So für die betriebsbedingte Kündigung i.E. auch Manske, FA 1998, 143, 147.
Vgl. zu den ausdrücklich geregelten Informationspflichten des Arbeitgebers bei einem
Betriebsübergang im österreichischen Recht aufgrund des AVRAG Gahleitner, DRdA 2000,
426, 427.
So i.E. auch Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 756.
- 434 Berücksichtigt man jedoch auch das Interesse des Arbeitnehmers, aus dem
Unterlassen einer erforderlichen Aufklärung durch den Arbeitgeber im Ergebnis
keinen Nachteil zu erleiden, so gelangt man zutreffend zu der Annahme einer
echten Rechtspflicht.1080 Der Arbeitnehmer hat regelmäßig nicht nur ein
schutzwürdiges Interesse daran, seinen Anspruch überhaupt zu realisieren,
sondern auch, dies rechtzeitig zu tun, da jede Verzögerung den Ausfall von
Arbeitsentgelt bedeutet. Nähme man eine bloße Obliegenheit an, so würde trotz
verspäteter oder unterlassener Information durch den Arbeitgeber für den
Zeitraum zwischen dem Wegfall des Kündigungsgrundes aus der Sphäre des
Arbeitgebers und der positiven Kenntnisnahme des Arbeitnehmers hiervon kein
Anspruch
auf
den
Verzögerungsschaden
in
Höhe
des
entgangenen
Arbeitsentgelts entstehen, weil es insoweit an einer Rechtspflicht fehlen würde,
deren Nichterfüllung Voraussetzung dieser Ansprüche wäre. Es ist aber nicht
einzusehen, die mit
der
Realisierung
des Wiedereinstellungsanspruchs
verbundenen Erwerbsaussichten des Arbeitnehmers in das Belieben des
Anspruchsverpflichteten zu stellen, will man den Anspruch inhaltlich nicht
entwerten. Daher ist stets vom Vorliegen einer echten Aufklärungspflicht des
Arbeitgebers
auszugehen, sofern
nur
die tatsächlichen
Umstände der
kündigungsbegründenden Prognose und damit auch ihr Fortfall aus seinem
Einfluss- und Verantwortungsbereich stammen.1081
Fallen die veränderten Umstände dagegen in die Sphäre des Arbeitnehmers, so
ist auf seiner Seite die Annahme einer bloßen Informationsobliegenheit
ausreichend1082, da er die finanziellen Folgen einer verspäteten Durchsetzung
des Anspruchs gegen sich gelten lassen muss und andererseits der Arbeitgeber
(wenn er dies ausnahmsweise einmal will) auf eine Neubegründung vertraglicher
Hauptpflichten nicht bestehen kann, die er selbst aufgrund einer von ihm
angestellten Prognose gelöst hat.
1080
Boewer, NZA 1999, 1121, 1125; Boewer, NZA 1999, 1177, 1180 f.
1081
So i.E. für die betriebsbedingte Kündigung ebenfalls Kiel/Koch, Rn 867.
1082
Senne, AuA 1992, 301, 302.
- 435 (c) Differenzierung nach Kündigungsgründen
Es muss nun nach Risikosphären für die jeweiligen Kündigungsgründe
differenziert
werden,
Aufklärungspflicht
um
zu
kündigungsbegründenden
die
Frage
nach
beantworten.1083
Prognose
zugrunde
einer
arbeitgeberseitigen
Stammen
liegenden
die
der
tatsächlichen
Umstände aus dem Einfluss- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, so
gilt das regelmäßig auch für die die Prognose widerlegenden Umstände, was
impliziert, dass der Arbeitgeber zuerst von den veränderten Umständen erfährt
und ihn folgerichtig auch die Pflicht zur Aufklärung trifft.
i)
Personenbedingte Kündigung
Bei personenbedingten Kündigungsgründen ist es Sache des Arbeitnehmers,
die zunächst nur von ihm erkannte neue Sachlage dem Arbeitgeber im
Zusammenhang mit seinem Wiedereinstellungsverlangen mitzuteilen. Wird
beispielsweise einem Arbeitnehmer wegen Krankheit gekündigt, dann wird er
auch nachträgliche Verbesserungen seines Gesundheitszustandes zuerst
feststellen und es obliegt ihm, den Arbeitgeber hierüber in Kenntnis zu
setzen.1084
ii)
verhaltensbedingte Kündigung
Kommt es ausnahmsweise nach verhaltensbedingter Kündigung zu einer
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose1085, so geschieht dies
zumindest auch in der Arbeitnehmersphäre. Den Arbeitgeber trifft keine
Aufklärungspflicht.
1083
Boewer, NZA 1999, 1177, 1180; Raab, RdA 2000, 147, 156.
1084
Raab, RdA 2000, 147, 156.
1085
Z.B. in dem Fall, dass sich ein Arbeitnehmer innerhalb der Weiterbeschäftigungszeit nach §
102 V BetrVG oder in der Zeit des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs fehlende
Spezialkenntnisse aneignet, weshalb die kündigungsbegründenden Leistungsdefizite dann als
ausgeräumt gelten müssen.
- 436 iii) betriebsbedingte Kündigung
Im Bereich der betriebsbedingten Kündigung trifft den Arbeitgeber die Pflicht,
den Arbeitnehmer vom Wegfall des Kündigungsgrundes in Kenntnis zu setzen,
weil die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Unternehmerentscheidung
und die ihr zugrunde liegenden inner- oder außerbetrieblichen Gründe allein aus
seiner Sphäre stammen und daher eine Informationsasymmetrie besteht.1086
Da der Arbeitgeber die unternehmerischen Dispositionen trifft, kann der
Arbeitnehmer schwerlich mit der Informationsbeschaffung belastet werden.1087
Die Arbeitnehmer werden vielfach gar nicht wissen, dass sich die betrieblichen
Verhältnisse nach Ausspruch der wirksamen Kündigung verändert haben. Ohne
eine entsprechende Information des Arbeitgebers haben sie schon gar keinen
Anlass, ein Wiedereinstellungsverlangen zu äußern.1088
Will der Arbeitgeber eine Wiedereinstellung vermeiden, so tut er gut daran,
durch eine zeitige Information der betroffenen Arbeitnehmer die zügige
Verwirkung einzuleiten. Eine frühe Kenntniserlangung durch den Arbeitnehmer
führt
zu
einer
frühen
Klärung
des
Umfangs
zu
erfüllender
Wiedereinstellungsansprüche.
iv) Klassischer Betriebsübergang
Beim
Betriebsübergang
besteht
eine
umfassende
textförmliche1089
Unterrichtungspflicht bereits aufgrund des § 613a V BGB. Diese trifft sowohl den
Veräußerer als auch den Erwerber. Beide müssen sich untereinander
verständigen, in welcher Weise sie ihre gemeinsame Pflicht erfüllen.1090 Nach
umfassender Unterrichtung gemäß § 613a V BGB ist regelmäßig nicht nur eine
1086
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 311; Raab, RdA 2000, 147, 161.
1087
Boewer, NZA 1999, 1177, 1181.
1088
Raab, RdA 2000, 147, 156.
1089
§ 126b BGB, vgl. auch BT-Drs. 14/4987, S. 19.
1090
BT-Drs. 14/7760, S. 19.
- 437 Entscheidungsgrundlage für das Widerspruchsrecht, sondern auch für die
Geltendmachung eines eventuellen Wiedereinstellungsanspruchs gegeben. Es
handelt sich auch insoweit um eine echte Rechtspflicht zur Unterrichtung, an
deren Nichterfüllung Schadensersatzansprüche anknüpfen können.1091
Die Gegenauffassung1092 nimmt insoweit stattdessen eine bloße Obliegenheit
an, womit weder ein Erfüllungs-, noch ein Schadensersatzanspruch bestünde.
Eine
Nichterfüllung
würde
lediglich
zu
einem
zeitlich
unbeschränkten
Widerspruchsrecht nach Abs. VI führen. Hierbei wird aber nicht berücksichtigt,
dass der Arbeitgeber mit der Verletzung einer „Rechtspflicht gegen sich selbst“
gleichwohl auch eine Rechtspflicht gegen andere verletzen kann. Auch wäre es
äußerst ungewöhnlich, den Inhalt einer bloßen Obliegenheit als eigenständige
Handlungsanweisung festzuschreiben („hat... zu unterrichten“) und von ihrer
einzigen erst im nächsten Absatz geregelten Rechtsfolge abzukoppeln.
Regelungstechnisch wird die Obliegenheitsverletzung stets mit dem mit ihr
verbundenen Rechtsnachteil unmittelbar verbunden, so z.B. in § 121 BGB
(Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern) und § 149 BGB (Fiktion der
rechtzeitigen Annahmeerklärung bei unterlassener Verspätungsanzeige).1093
Folglich kann hier nur eine echte Rechtspflicht normiert sein.
Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Unterrichtung nach § 613a V BGB
bereits aus dem Betrieb ausgeschieden und gehört er deshalb nicht zum
erfassten Personenkreis, so ist der Arbeitgeber gleichwohl zur Aufklärung wie
auch bei sonstigen prognosewidrigen Umständen verpflichtet.
1091
Worzalla, NZA 2002, 353, 353 ff; Gaul/Otto, DB 2002, 634, 635; Willemsen/Lembke, NJW
2002, 1159, 1161.
1092
Grobys, BB 2002, 726, 727.
1093
Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159, 1161.
- 438 v)
Betriebsübergang durch Übernahme des wesentlichen Teils
der Belegschaft
Für den Arbeitnehmer, der vom neuen Auftragnehmer kein Angebot auf
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. den Abschluss eines neuen
Arbeitsvertrages erhält, ist die Kenntniserlangung vom ohne ihn vollzogenen
Betriebsübergang nach Funktionsnachfolge denkbar schwierig. Er weiß nicht, ob
der neue Auftragnehmer eine wesentliche Gesamtheit von Arbeitnehmern
übernimmt, weil zum einen der bisherige Arbeitgeber selbst die näheren
Umstände der Funktionsnachfolge (Auftragsneuvergabe) nicht kennt und zum
anderen
der
Arbeitnehmer
möglicherweise
auch
von
seinen
alten
Arbeitskollegen keine Auskünfte über eine Tätigkeit beim neuen Auftragnehmer
erhält. Zu Recht weist die Lit. darauf hin, dass der Arbeitnehmer insoweit in ein
Prozessdilemma geraten kann, wenn er gegen eine vom alten Auftragnehmer
ausgesprochene Kündigung vorgehen will und keine sichere Kenntnis vom
erfolgten Betriebsübergang besitzt.1094
Der teilweise zur Begrenzung des Wiedereinstellungsanspruchs herangezogene
Gedanke einer Erkundigungsobliegenheit des Arbeitnehmers gegenüber den
ehemaligen
Kollegen
mit
dem
Ziel,
die
Voraussetzungen
eines
Betriebsübergangs in Erfahrung zu bringen, und die angenommene Verwirkung
des Wiedereinstellungsanspruchs im Zusammenhang mit einer Verletzung
dieser Obliegenheit1095 führt dann nicht weiter, wenn die Arbeitskollegen nicht
zu Auskünften gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer bereit sind, um z.B.
ihr eigenes mit dem Funktionsnachfolger einverständlich neubegründetes
Arbeitsverhältnis nicht zu gefährden.1096 Eine solche Erkundigungsobliegenheit
passt im Übrigen nicht zur Unterrichtungspflicht nach § 613a V BGB, der
allerdings seinerseits auf die Fälle der Funktionsnachfolge nicht zugeschnitten
ist.
1094
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310; Meyer, NZA 2000, 297, 302.
1095
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 311.
1096
Meyer, NZA 2000, 297, 301.
- 439 Zunächst
ist
es
Sache
des
den
Betriebsübergang
auslösenden
Funktionsnachfolgers, sich beim Funktionsvorgänger über die Gesamtzahl der
zuvor bei diesem beschäftigten Arbeitnehmer zu erkundigen, damit er diesen
dann eine Wiedereinstellung auf erhalten gebliebene Arbeitsplätze anbieten
kann,
wozu
er
wie
sonst
beim
Wegfall
des
betriebsbedingten
Kündigungsgrundes auch verpflichtet ist.1097 Der Arbeitnehmer tut indes gut
daran, sich selbst um Informationen zu bemühen, da die Aufklärungspflicht des
Funktionsnachfolgers schon aus sachlogischen Gründen durch dessen eigenen
Kenntnisstand begrenzt ist.
Dass im betriebsmittelarmen Dienstleistungssektor die Identität der Arbeitsplätze
kaum auszumachen ist, spielt für die Initiativlast des Funktionsnachfolgers keine
Rolle. Soweit es sich, was die Regel sein dürfte, um funktional austauschbare
Arbeitsplätze handelt, kommen ohnehin alle geeigneten Arbeitnehmer für eine
Wiedereinstellung auf einen erhalten gebliebenen Arbeitsplatz in Frage. Wem
dann die Wiedereinstellung angeboten werden muss, ist eine Frage der sozialen
Auswahl.
Der Funktionsnachfolger und Betriebserwerber hat das seinige getan, wenn er
diejenigen Arbeitnehmer von dem Betriebsübergang unterrichtet, die ihm vom
Veräußerer auf Nachfrage als solche benannt werden, denen infolge der
Auftragsneuvergabe
gekündigt
worden
ist.
Sind
die
Angaben
des
Funktionsvorgängers unvollständig und kann deshalb ein zuvor gekündigter
Arbeitnehmer seinen Anspruch nicht realisieren, weil der Funktionsnachfolger
den Arbeitsplatz gutgläubig anderweitig besetzt hat, so kann dem Arbeitnehmer
ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB wegen Verletzung einer
(nachvertraglichen) Nebenpflicht gegen den Funktionsvorgänger, also seinen
früheren Arbeitgeber, zustehen.1098
1097
Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310; Boewer, NZA 1999, 1177, 1180.
1098
Raab, RdA 2000, 147, 162.
- 440 Ebenso kann ein Schadensersatzanspruch gegen den Funktionsnachfolger
entstehen, wenn dieser den in Frage kommenden Arbeitnehmern des
Funktionsvorgängers keine Wiedereinstellung anbietet. Ein Verschulden (§ 280 I
2 BGB) trifft den Funktionsnachfolger deshalb, weil er weiß, zumindest aber
wissen muss, dass er durch seine willentliche Wiedereinstellungsentscheidung
bezüglich eines Großteils der beim Funktionsvorgänger Beschäftigten einen
Betriebsübergang ausgelöst hat. Der Funktionsnachfolger, der damit selbst den
Betriebsübergang tatbestandlich ausgelöst hat, sieht sich in der Rechtsfolge
nicht nur mit den Wiedereinstellungsansprüchen der ohne dringende betriebliche
Gründe nicht übernommenen Arbeitnehmer konfrontiert, sondern im Vorfeld
bereits mit einer Pflicht zur Erkundigung gegenüber dem Funktionsvorgänger
und einer Pflicht zur Unterrichtung der nicht übernommenen Arbeitnehmer. Mit
einer Verletzung dieser Pflichten kann sich auch der Funktionsnachfolger
schadensersatzpflichtig machen.
Die zuerst den Funktionsnachfolger treffende Informationspflicht erspart es dem
Arbeitnehmer, quasi vorsorglich seine Wiedereinstellung sowohl gegenüber dem
bisherigen Arbeitgeber als auch dem neuen Auftragnehmer gegenüber
einzuklagen, obwohl in Abhängigkeit vom tatsächlichen Vorliegen eines
Betriebsübergangs einer der beiden Prozesse nur verloren werden könnte.1099
(6) Parallele zur fristauslösenden Aufklärungspflicht gemäß §
613a V und VI BGB
(a) Gegenstand der Neuregelung
§ 613a BGB wurde durch das am 01.04.2002 in Kraft getretene „Gesetz zur
Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze“1100 um die Absätze V
und VI ergänzt. Die Neuregelung ist schon im Gesetzgebungsverfahren auf
1099
1100
Meyer, NZA 2000, 297, 303.
BT-Drs. 14/7760, Art. 4 (Gesetzentwurf der Bundesregierung);
(Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung).
BT-Drs.
14/8128
- 441 erhebliche
Kritik
gestoßen.1101
Gesetzesbegründung1102
2001/23/EG
des
Rates
Sie
dient
ausweislich
der
der Umsetzung von Art. 7 VI der Richtlinie
vom
12.03.20011103
zur
Angleichung
der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der
Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmensoder Betriebsteilen. Bei dieser Richtlinie handelt es sich um eine inhaltlich völlig
unveränderte1104 Neufassung der Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG des
Rates vom 14.02.19771105 in der Fassung der Richtlinie 98/50/EG des Rates
vom 29.06.19981106. Für die Ergänzung des § 613a BGB bestand keine
europarechtliche Notwendigkeit.1107 Der Gesetzgeber hielt es gleichwohl für
sachlich, wenn auch nicht für europarechtlich geboten, Unterrichtungspflicht und
Widerspruchsrecht im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit
ausdrücklich zu regeln.1108
Mit der Neuregelung ist das Widerspruchsrecht nun so normiert, dass der
Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats
nach Zugang der vollständigen Unterrichtung gemäß Absatz V gegenüber dem
Veräußerer oder dem Erwerber schriftlich widersprechen kann und muss, wenn
er den Beschäftigungsanspruch gegen seinen bisherigen Arbeitgeber und
Betriebsveräußerer nicht durch den Übergang seines Arbeitsverhältnisses
verlieren will. Da die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem
Arbeitnehmer
1101
und
das
Widerspruchsrecht
des
Arbeitnehmers
im
Vgl. die Stellungnahme des Arbeisrechtsausschusses des DAV, NZA 2002 (Heft 2), S. VIII, IX;
Übersicht über die abgelehnten Änderungsanträge in BT-Drs. 14/8128, S. 4 f.
1102
BT-Drs. 14/7760, S. 19.
1103
Abl. L 82, von 22.03.2001, S. 16.
1104
Art. 7 VI der Richtlinie 2001/23/EG entspricht Art. 6 VI der Richtlinie 98/50/EG.
1105
Abl. L 61, von 05.03.1977, S. 26.
1106
Abl. L 201, von 17.07.1998, S. 88.
1107
Näher Grobys, BB 2002, 726, 726 f; Gaul/Otto, DB 2002, 634, 634.
1108
BT-Drs. 14/7760, S. 20.
- 442 wechselseitigen Bezug stehen, war nach Auffassung des Gesetzgebers eine
zusammenhängende Regelung erforderlich.
(b) Modell der fristauslösenden Aufklärungspflicht innerhalb und
außerhalb des Betriebsübergangsrechts
Die Normierung einer Aufklärungspflicht, deren Erfüllung den Lauf einer Frist
auslöst, stimmt im Ergebnis mit der hier vorgeschlagenen Ausformung des
Verwirkungseinwands für den Wiedereinstellungsanspruch in den Fällen
überein, in denen die prognosewidrigen Umstände aus der Arbeitgebersphäre
stammen. Insoweit lässt sich die Neuregelung des § 613a V und VI BGB auch
als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens verstehen, der den
Wiedereinstellungsanspruch über seinen entsprechenden Anwendungsbereich
im Betriebsübergangsrecht hinaus prägt.
Es wäre nämlich wenig überzeugend, den Wiedereinstellungsanspruch nach
betriebsbedingter Kündigung unterschiedlich zu behandeln, je nach dem, ob ein
Betriebsübergang stattgefunden oder der bisherige Arbeitgeber den Betrieb
weitergeführt hat. In beiden Fällen ist es sachgerecht, die Kenntnisnahme des
Arbeitnehmers durch eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers sicherzustellen
und an die Erfüllung dieser Pflicht (oder eine zwischenzeitliche Kenntnisnahme
auf andere Art) den Beginn einer einheitlichen Frist zu koppeln, innerhalb derer
der Anspruch regelmäßig geltend zu machen ist.
(7) Anwendung des Verwirkungseinwands auf den
Wiedereinstellungsanspruch
(a) Verwirkung bei Aufklärungspflicht
Eine Aufklärungspflicht besteht insbesondere für den praktisch wichtigsten
Wiedereinstellungsfall, den nach betriebsbedingter Kündigung. Insoweit ist zu
beachten, dass der Anspruch nicht durch schutzwürdige Dispositionen vernichtet
werden kann, da nur der vom Wegfall des Kündigungsgrundes informierte
- 443 (bösgläubige)
Arbeitgeber
die
Disposition
vornehmen
könnte.1109
Der
Arbeitgeber darf nun wegen Anspruchsverwirkung wieder Dispositionen
vornehmen, sobald er seine Pflichten erfüllt hat, indem er den Arbeitnehmer von
den prognosewidrigen Umständen in Kenntnis gesetzt und die Äußerungsfrist
abgewartet hat. Die Dispositionsfreiheit wird bereits vor diesem Zeitpunkt
wiederhergestellt, sobald eine ablehnende Äußerung (Verzichtserklärung) des
Arbeitnehmers vorliegt.
(b) Verwirkung ohne Aufklärungspflicht
Trifft den Arbeitgeber dagegen keine Aufklärungspflicht, weil die für die
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose ursächlichen Umstände
aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen, so ist die Verwirkung allein
abhängig vom Verhalten des Arbeitnehmers. Zu berücksichtigen ist dabei
einerseits, dass es dem Arbeitgeber in diesen Fällen ohnehin solange möglich
ist, gutgläubig über potentielle Beschäftigungsmöglichkeiten des gekündigten
Arbeitnehmers zu disponieren, wie er von den veränderten Umständen,
beispielsweise der unerwarteten Verbesserung des Gesundheitszustandes des
Arbeitnehmers und damit der Widerlegung der Fehlzeitenprognose, keine
Kenntnis erlangt. Andererseits ist es dem Arbeitnehmer zuzumuten, zu einer
raschen Klärung möglicher Ansprüche beizutragen, die aus Veränderungen in
seinem eigenen Verantwortungsbereich resultieren.
Sobald der Arbeitgeber von den prognosewidrigen Umständen Kenntnis erlangt
und folglich nicht mehr gutgläubig disponieren kann, entsteht ein dringendes
Interesse an der Klärung dieses Schwebezustands. In der Regel fällt die
Kenntnisnahme
durch
den
Arbeitgeber
in
diesen
Fällen
mit
dem
Wiedereinstellungsverlangen des Arbeitnehmers zusammen. Der entstandene
Anspruch ist dann unverzüglich zu erfüllen. Um die Pflichtenstellung des
Arbeitgebers nicht ausufern zu lassen und den von § 4 Satz 1 KSchG
1109
Siehe oben unter G.I.1.e)(2)(c) „Schutzwürdigkeit von Dispositionen nach betriebsbedingter
Kündigung“ auf Seite 308.
- 444 intendierten Rechtsfrieden nicht zu konterkarieren, tritt hier ebenfalls Verwirkung
ein, wenn der Arbeitnehmer die Wiedereinstellung verlangt, obwohl seit dem
Zeitpunkt seiner eigenen Kenntnisnahme vom Wegfall des Kündigungsgrundes
(die regelmäßig mit dem Wegfall des Kündigungsgrundes sofort eintritt, da die
Umstände hierfür ja aus seiner Sphäre stammen) die für das Zeitmoment
maßgebliche Dreiwochenfrist verstrichen ist; den Arbeitgeber trifft insoweit die
Darlegungs- und Beweislast, wenn der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den
Arbeitnehmer bestritten wird. Nach Ablauf der sich an die Kenntnisnahme durch
den Arbeitnehmer anschließenden Äußerungsfrist ist das Zeitmoment der
Verwirkung vor dem Hintergrund erfüllt, dass der gutgläubige Arbeitgeber noch
nicht über den Arbeitsplatz disponiert hat (ansonsten käme es nicht mehr auf die
Verwirkung an) und der bösgläubige nicht über ihn disponieren durfte.
Gegen diese Sichtweise spricht nicht, dass die Kenntnisnahme durch den
Arbeitnehmer als Anknüpfungspunkt für den Fristablauf möglicherweise schwer
beweisbar und daher wenig praktikabel ist. Zunächst wird die Kenntnisnahme
durch
den
Arbeitnehmer
mit
dem
Zeitpunkt
der
Widerlegung
der
kündigungsbegründenden Prognose regelmäßig zusammenfallen, weil es sich ja
(außerhalb
einer
Aufklärungspflicht
des
Arbeitgebers)
um
einen
Kündigungsgrund aus der Sphäre des Arbeitnehmers handelt. Dieser Zeitpunkt
ist
oftmals
durchaus
beweisbar,
man
denke
an
die
abweichende
Diagnosestellung durch den behandelnden Arzt. Auch wenn aber dem
Arbeitgeber nicht der Nachweis gelingt, der Arbeitnehmer habe schon lange vor
der
Äußerung
des
Wiedereinstellungsverlangens
vom
Wegfall
des
Kündigungsgrundes gewusst, so stellt dies aus Arbeitgebersicht dennoch keine
Härte da. Bis zu seiner Kenntniserlangung kann der Arbeitgeber frei disponieren
und den Anspruch so vernichten. Nach diesem Zeitpunkt kann er dies für
lediglich drei Wochen nicht mehr. Von da an tritt die Verwirkung ein, auf die sich
der Arbeitgeber nicht eigens berufen muss. Mangels Beweisbarkeit eines
anderen Zeitpunktes beginnt der Fristlauf also zumindest mit dem Zeitpunkt des
Wiedereinstellungsverlangens. Für den Fristlauf sind die Vorschriften über die
Ereignisfrist entsprechend heranzuziehen (§§ 187 I, 188 II Alt. 1 BGB).
Im Ausnahmefall soll dem Arbeitgeber dabei der Nachweis eines früheren
Fristablaufs nicht genommen werden. Gelingt dieser Nachweis, so verringert
sich der Zeitraum der Dispositionssperre auf weniger als drei Wochen. Zögert
- 445 der Arbeitnehmer nach eigener Kenntnisnahme mindestens drei Wochen und
kann der Arbeitgeber dies nötigenfalls beweisen, so ist der Anspruch verwirkt;
der Arbeitgeber war in diesem Fall zu keiner Zeit in seiner Dispositionsfreiheit
beschränkt.
(8) Rechtsfolge – Anspruchsvernichtung
Die unterschiedlichen Standpunkte zu den zeitlichen Anforderungen an die
Geltendmachung
des
Anspruchs
führen
auch
zu
unterschiedlichen
Rechtsfolgen.
Nach der hier vertretenen Verwirkungslösung muss indes eine inhaltliche
Begrenzung
des
Rechts
eintreten,
denn
es
handelt
sich
um
eine
rechtsvernichtende Einwendung.1110 Zum gleichen Ergebnis gelangt aber auch
der 8. Senat, der eine Ausschlussfrist annimmt, für den Sonderfall des
unerwarteten Betriebsübergangs im Anschluss an eine Funktionsnachfolge im
Dienstleistungsbereich.1111
Im Unterschied dazu will Raab1112 ebenfalls auf der Grundlage einer
Ausschlussfrist dem Bedürfnis des Arbeitgebers nach Rechtssicherheit allein
dadurch Rechnung tragen, dass dieser nach Fristablauf unabhängig von der
zwischenzeitlich eingetretenen Bösgläubigkeit frei über die Besetzung des
Arbeitsplatzes disponieren dürfe. Es bestehe kein Anlass, dem Arbeitnehmer
den Wiedereinstellungsanspruch auch dann zu versagen, wenn der Arbeitgeber
ihn ohne Probleme zu unveränderten Bedingungen beschäftigen kann.
Schließlich könne der Arbeitnehmer nur den Abschluss des Arbeitsvertrages mit
Wirkung ex-nunc verlangen.
1110
Planandt – Heinrichs, § 242 BGB Rn 97 m.w.N.
1111
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 313.
1112
Raab, RdA 2000, 147, 161.
- 446 Ob sich dieses Ergebnis rechtstechnisch tatsächlich durch die Annahme einer
Ausschlussfrist erzielen lässt, erscheint fraglich, da die Ausschlussfrist im
allgemeinen ebenfalls zu einer Rechtsvernichtung führt.1113 Könnte der
Anspruch auch nach Unterrichtung über die Beschäftigungsmöglichkeit und
Ablauf der Äußerungsfrist problemlos entstehen, wenn der Arbeitsplatz noch
vorhanden
ist,
so
würde
der
vom
8.
Senat
heraufbeschworene
„Schwebezustand bedenklicher Rechtsunsicherheit“ im Einzelfall auch dann
noch fortbestehen, wenn längst klar ist, dass der Arbeitnehmer den Anspruch
aktiv nicht verfolgen will, an einer Wiedereinstellung also nicht interessiert ist.
Um die Gefährdung der Rechtssicherheit möglichst gering zu halten, will Raab
insoweit konsequent Beschäftigungsmöglichkeiten auf einem anderen oder neu
geschaffenen Arbeitsplatz, die sich nach Ausspruch der Kündigung unerwartet
ergeben,
für
die
Entstehung
eines
Wiedereinstellungsanspruchs
unberücksichtigt lassen.1114 Da auch dem vorliegend nicht zugestimmt
wird1115, ergibt sich mit der rechtsvernichtenden Folge der Verwirkung eine in
sich stimmige Lösung.
g) Form der Geltendmachung – Kein Klageerfordernis,
Vertragsangebot
Schließlich stellt sich die Frage, welche Form für die Geltendmachung zu
beachten ist. Man könnte eine Klageerhebung innerhalb der an § 4 KSchG
angelehnten Äußerungsfrist auf das Angebot des Arbeitgebers für erforderlich
halten oder aber bereits ein gegenüber dem Anspruchsgegner zu erklärendes
Wiedereinstellungsverlangen ausreichen lassen.
1113
1114
1115
Palandt – Heinrichs, Überbl v § 194 Rn 7 m.w.N.
So Raab, RdA 2000, 147, 154, der nur für Evidenzfälle eine Ausnahme machen will, was
deshalb nicht praktikabel ist, weil schon theorätisch der Fall schwer vorstellbar ist, dass sich
eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zum Kündigungzeitpunkt nicht abzeichnet, die
Kündigung daher
wirksam
ist,
sich danach jedoch dem
Arbeitgeber die
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz geradezu aufdrängen
müsste.
Siehe oben unter E „Reichweite der Wiedereinstellungspflicht“ auf Seite 201.
- 447 Nach
Auffassung
des
Wiedereinstellungsverlangen
8.
Senats1116
gegenüber
dem
reicht
ein
Arbeitgeber
bloßes
für
die
Geltendmachung aus. Dies erscheint zunächst konsequent, da der 8. Senat auf
die Parallelität zur Ausübung des Widerspruchsrechts hinweist, für das ja ein
schriftlicher Widerspruch nach § 613a VI BGB ausreicht. Für eine klageweise
Geltendmachung könnte jedoch der Rechtsgedanke der §§ 4 und 7 KSchG
sprechen. § 613a VI BGB kann nämlich nicht ohne weiteres auf das
Wiedereinstellungsverlangen nach einem Betriebsübergang übertragen werden.
Das Widerspruchsrecht ist ein einseitiges Gestaltungsrecht, welches anders als
der Wiedereinstellungsanspruch gar nicht als solches eingeklagt werden kann,
sondern seine Wirkung durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung
entfaltet. § 4 KSchG fordert dagegen die Klageerhebung innerhalb der
Dreiwochenfrist. Beim Wiedereinstellungsanspruch könnte entsprechend § 4
KSchG eine Klageerhebung verlangt werden, um ein Maß an Rechtssicherheit
zu erreichen, das der Situation bei der Kündigungsschutzklage entspricht. Da
der in der Wiedereinstellungspflicht liegende Kontrahierungszwang die durch die
Kündigung intendierte Rechtssicherheit für den Arbeitgeber in ähnlicher Weise
gefährdet wie die Ungewissheit über den Bestand eines möglicherweise zu
Unrecht gekündigten Arbeitsverhältnisses, spricht einiges für die Notwendigkeit
einer Klageerhebung.1117
Da es sich jedoch nach der hier vertretenen Auffassung bei der Heranziehung
des Rechtsgedankens aus § 4 KSchG nicht um eine Ausschlussfrist, sondern
lediglich um die interessengerechte Ausgestaltung des Verwirkungseinwands
handelt, kann eine gerichtliche Geltendmachung folgerichtig nicht verlangt
werden. Die Verwirkung ist eine Ausprägung des Vertrauensschutzprinzips, das
sich seinerseits aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ableitet. Um das Vertrauen
in die Nichtgeltendmachung eines bestehenden Anspruchs zu vernichten, bedarf
es keiner Klageerhebung. Ausreichend ist, dass der Gläubiger vom Schuldner
1116
BAG (8 AZR 265/97), NZA 1999, 311, 314.
1117
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 580 f.
- 448 die Erfüllung verlangt. Ein wie auch immer geartetes Vertrauen des Schuldners,
der Anspruch werde dennoch nicht durchgesetzt, ist von diesem Zeitpunkt an
nicht mehr schutzwürdig. Auch ein Schriftformerfordernis kann nicht einfach der
Vorschrift des § 613a VI 1 BGB entnommen werden, mag die Schriftform auch
aus Beweisgründen regelmäßig beachtet werden.
Nach allem ist also die außergerichtliche formlose Geltendmachung des
Anspruchs ausreichend. Innerhalb der Äußerungsfrist auf die Kenntnis der die
kündigungsbegründenden Prognose widerlegenden tatsächlichen Umstände hat
demnach der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Abschluss eines neuen
Arbeitsvertrages anzubieten. Dies kann in jeder Form geschehen. Nicht
erforderlich ist ein Angebot der Arbeitskraft in annahmeverzugsbegründender
Form, denn es ist zwischen dem Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages und
dem Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung als Rechtsfolge hieraus zu
unterscheiden.
Das
gilt
auch
dann,
wenn
es
sich
um
einen
sog.
Fortsetzungsanspruch vor Ablauf der Kündigungsfrist handelt.1118
Richtigerweise lässt es das LAG Hamm1119 ausreichen, dass der Arbeitnehmer
sein Wiedereinstellungsverlangen
durch
Klageerhebung
gegenüber dem
Arbeitgeber nur indirekt äußert. Der Arbeitnehmer kann, muss aber nicht auf
Wiedereinstellung klagen, um sein Angebot auf den Abschluss eines neuen
Arbeitsvertrages geltend zu machen.
1118
1119
Missverständlich insoweit LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000, 457, 457 ff, das für die
Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs bei unerwartetem Betriebsübergang vor Ablauf
der Kündigungsfrist ein persönliches Vorstelligwerden oder Anbieten der Arbeitskraft beim
Betriebserwerber grundsätzlich für geboten hält. Das LAG Hamm stellt aber in den
Entscheidungsgründen klar, dass jedenfalls auch eine schriftliche oder sonstige
Geltendmachung in Betracht kommt, der Arbeitnehmer dann aber das Risiko von
Zugangsverzögerungen zu tragen habe.
LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000, 457, 460.
- 449 -
h) Keine Anwendung von § 270 III ZPO
Besteht also kein Zwang zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs, so
ist bei gleichwohl gerichtlicher Geltendmachung eine entsprechende Anwendung
des § 270 III ZPO mit der Folge einer Fiktion der Rechtzeitigkeit
ausgeschlossen. Das LAG Hamm führt dazu aus, ein Fortsetzungsverlangen sei
in aller Regel dann nicht (mehr) „unverzüglich", wenn es lediglich in einer
fristgerechten Kündigungsschutzklage erklärt wird, die erst nach dem Ablauf der
Klagefrist dem Anspruchsgegner zugestellt wird. Während gemäß § 46 II ArbGG
i.V.m. §§ 498, 270 III ZPO die Dreiwochenfrist für die Klageerhebung nach § 4
KSchG auch gewahrt wird, wenn die Klage zwar vor Fristablauf bei dem Gericht
eingereicht worden ist, aber die Zustellung an den Prozessgegner erst danach
erfolgt (§ 270 III ZPO: "demnächst"), gelte dies nicht für die Wahrung der
Dreiwochenfrist zur Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs. Zur
Wahrung der Dreiwochenfrist sei weder eine Klageerhebung noch eine andere
Prozesshandlung erforderlich. Werde trotzdem Klage erhoben, führe das nicht
zur Anwendung des § 270 III ZPO.1120
Dem ist zuzustimmen.
Eine entsprechende Anwendung des § 270 III ZPO würde auch am
Schutzzweck der Norm vorbeigehen. Der Sinn ist darin zu sehen, in der Sphäre
des Gerichts anzusiedelnde Zustellungsverzögerungen dem Kläger dort nicht
zum Nachteil werden zu lassen, wo eine Beteiligung des Gerichts erforderlich
ist. Andernfalls würde nämlich die Wahrung prozessualer Fristen letztlich vom
Zufall abhängen. Diese Gefahr besteht bei einem außergerichtlichen Angebot an
den Anspruchsgegner nicht. Wählt der Arbeitnehmer zur Geltendmachung des
Anspruchs den Klageweg, woran er nicht gehindert ist, dann schaltet er das
Gericht ohne Not aus eigenem Entschluss als Erklärungsboten für sein
Wiedereinstellungsverlangen ein, so dass er auch die Risiken dieses
1120
LAG Hamm (4 Sa 1469/99), DZWIR 2000, 457, 457 ff.
- 450 Zugangsweges zu tragen hat. Etwaige Zustellungsverzögerungen hat deshalb
allein der Arbeitnehmer zu verantworten.1121
4. Zeitliche Grenzen im Überblick
Zu den zeitlichen Grenzen des Anspruchs ist zusammenfassend folgendes
festzuhalten:
1. Grenzen der Anspruchsentstehung
1.1 Ausrichtung des Wiedereinstellungsanspruchs an der zeitlichen
Erstreckung der kündigungsbegründenden Prognose in die Zukunft
Die kündigungsbegründende Prognose kann nur durch Umstände widerlegt
werden, die sie bei hypothetischer Bekanntheit im Kündigungszeitpunkt
bereits falsifiziert und damit einer wirksamen Kündigung entgegengestanden
hätten.
Damit sind die zeitlichen Grenzen der Anspruchsentstehung für den
Wiedereinstellungsanspruch vorgegeben. Sie sind identisch mit der zeitlichen
Erstreckung
der
kündigungsbegründenden
Prognose
in
die
Zukunft
(Prognosehorizont).
1.2 Differenzierung zwischen drei Prognosearten mit unterschiedlicher
zeitlicher Erstreckung in die Zukunft
Es müssen im Hinblick auf den Prognosehorizont drei Prognosearten
auseinandergehalten werden:
Erstens die Prognose, der Arbeitsplatz des Kündigungsempfängers werde aus
betriebsbedingten Gründen dauerhaft entfallen. Sie erstreckt sich ohne
Rücksicht auf den Ablauf der Kündigungsfrist bis zum Zeitpunkt ihrer
Bestätigung oder Widerlegung. Eine prognosewidrige Entwicklung führt daher
zwangsläufig zur Entstehung des Anspruchs. Der Arbeitgeber bleibt auch auf
1121
Oetker, DZWIR 2000, 461, 463.
- 451 der Wiedereinstellungsebene an das eigene unternehmerische Konzept und
den von ihm intendierten Verwirklichungszeitpunkt gebunden.
Zweitens die Prognose, für den betriebsbedingt Gekündigten werde sich auch
keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen
(gegebenenfalls
nach
zumutbaren
Umschulungs-
oder
Fortbildungsmaßnahmen) ergeben (§ 1 II 2 und 3 KSchG). In diese Prognose
sind auch solche Beschäftigungsmöglichkeiten mit einzubeziehen, die sich im
Anschluss an den Entlassungstermin innerhalb eines Zeitraums abzeichnen,
den ein anderer Stellenbewerber zur Einarbeitung benötigen würde.
Drittens alle übrigen Prognosen. Sie orientieren sich am Entlassungstermin,
weisen also nicht über den Ablauf des Arbeitsverhältnisses hinaus.
1.3
Prognosehorizont
als
Entstehungsgrenze
des
Wiedereinstellungsanspruchs
Innerhalb des jeweils relevanten Prognosehorizonts ist eine Widerlegung der
Prognose möglich, weil bei hypothetischer Kenntnis der weiteren Entwicklung
im Kündigungszeitpunkt bereits eine wirksame Kündigung nicht hätte erklärt
werden können.
Jenseits des Prognosehorizonts kann die Prognose nicht widerlegt werden.
Was der mit idealem Wissen ausgestattete Arbeitgeber bei der Kündigung
nicht einmal im Rahmen einer Prognoseüberlegung hätte bedenken müssen,
kann ihn auch später nicht zu einer Wiedereinstellung verpflichten.
2. Grenzen der Geltendmachung des Anspruchs
2.1 Maßgeblichkeit des allgemeinen Grundsatzes der Verwirkung von
Rechten
Die Geltendmachung des Anspruchs bleibt auf den allgemeinen Grundsatz
der Verwirkung von Rechten beschränkt.
2.2 Bindung des Zeitmoments an die positive Kenntnisnahme des
Arbeitnehmers
Das Zeitmoment der Verwirkung beginnt mit der positiven Kenntnisnahme des
Arbeitnehmers von den die kündigungsbegründende Prognose widerlegenden
tatsächlichen Umständen. Diese ist im Bestreitensfall vom Arbeitgeber
darzulegen und zu beweisen.
- 452 2.3 Konkretisierung des Zeitmoments entsprechend § 4 Satz 1 KSchG
Das Zeitmoment der Verwirkung ist erfüllt, wenn nach der positiven
Kenntnisnahme des Arbeitnehmers entsprechend § 4 Satz 1 KSchG eine
dreiwöchige Äußerungsfrist verstrichen ist, ohne dass der Anspruch erhoben
worden ist. Die Dreiwochenfrist gibt im Regelfall einen rechtssicheren
zeitlichen Maßstab für die Anforderungen an eine zulässige Rechtsverfolgung
im Kündigungsschutzrecht vor.
Der
Arbeitnehmer
verfügt
nach
der
Widerlegung
der
stimmigen
kündigungsbegründenden Prognose über ein Weniger an Rechtsstellung
gegenüber dem Fall, dass die Prognose von Anfang an falsch und die auf ihr
beruhende Kündigung unwirksam ist. Der Wiedereinstellungsanspruch darf
auch hinsichtlich seiner Durchsetzung dem Arbeitnehmer keine bequemere
Position einräumen als der unmittelbare Kündigungsschutz, weil sonst seine
Funktion als durch das vorrangige Prinzip der Rechtssicherheit begrenzter
Anspruch auf eine begrenzte Aufhebung der Kündigungsfolgen verkannt
würde. Der Arbeitnehmer hat im Ergebnis bei der Geltendmachung des
Wiedereinstellungsanspruchs das Maß an Sorgfalt walten zu lassen, das ihm
auch für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung abverlangt
wird, sobald durch seine Kenntnisnahme ein Wissensstand über den
Anspruch erreicht ist, wie er im Hinblick auf die Beurteilung der Wirksamkeit
einer Kündigung regelmäßig schon bei deren Ausspruch besteht.
2.4 Keine Konkretisierung des Zeitmoments entsprechend 613a VI BGB
Auch im Betriebsübergangsrecht lässt sich das Zeitmoment widerspruchsfrei
nur durch eine entsprechende Anwendung von § 4 S. 1 KSchG konkretisieren.
Zwar deutet die auf der Rechtslage vor Einfügung der Absätze V und VI des §
613a BGB beruhende st. Rspr. des 8. Senats auf einen „Gleichklang“
zwischen der Geltendmachung des Widerspruchsrechts einerseits und der
Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs andererseits hin. Es wäre
jedoch verfehlt, daran mit Wirkung für den Wiedereinstellungsanspruch
festzuhalten
und
damit
für
Wiedereinstellungssachverhalten
das
nach
Zeitmoment
willkürlich
betriebsbedingter
unter
Kündigung
zu
differenzieren, je nachdem, ob die Widerlegung der Prognose des Wegfalls
von
Arbeitsplätzen
auf
einem
Betriebsübergang
oder
auf
anderen
betrieblichen Umständen beruht, die zur Aufgabe einer Stillegungsabsicht und
Fortsetzung der Betriebstätigkeit führen. Die Monatsfrist aus § 613a VI 1 BGB
- 453 erweist sich gegenüber den bisher bekannten arbeitsrechtlichen Fristen für die
Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung oder einer Befristung
(§§ 4 S. 1, 13 I 2 KSchG, 113 II 1 InsO, 17 TzBfG) als nicht systemgerecht.
Sie kann den Wiedereinstellungsanspruch auch dann nicht erfassen, wenn die
kündigungsbegründende Prognose durch einen Betriebsübergang widerlegt
wird.
2.5 Umstandsmoment der Verwirkung
Das
Umstandsmoment
hat
für
die
Verwirkung
des
Wiedereinstellungsanspruchs – wie in anderen Verwirkungsfällen auch –
keine eigenständige Bedeutung. Vielmehr kann die vertrauensstiftende
Wirkung des Zeitablaufs beim Anspruchsverpflichteten nicht unabhängig vom
Kenntnisstand des Anspruchsberechtigten beurteilt werden. So tritt bei
natürlicher Betrachtungsweise für den Wiedereinstellungsanspruch bereits mit
der Kenntnisnahme des Arbeitnehmers das Umstandsmoment ein, welches
seinerseits den Beginn des Zeitmoments auslöst.
2.6
Echte
arbeitgeberseitige
prognosewidrige
Aufklärungspflicht
Umstände
aus
seinem
über
neue
Einfluss-
und
Verantwortungsbereich
Den Arbeitgeber trifft eine echte Rechtspflicht zur Aufklärung über das
Ausbleiben prognostizierter oder das prognosewidrige Hinzutreten neuer
Umstände aus seinem Einfluss- und Verantwortungsbereich. Im umgekehrten
Fall handelt es sich lediglich um eine arbeitnehmerseitige Obliegenheit, deren
Nichtbeachtung zum Verlust von Entgelt- bzw. Schadensersatzansprüchen
führt.
Für den wichtigsten Fall der betriebsbedingten Kündigung gilt daher
folgendes:
Der
aufgrund
seiner
Kündigungsgrundes
Anspruchsverwirkung
Kenntnis
vom
bösgläubige
wieder
frei
Wegfall
des
betriebsbedingten
Arbeitgeber
über
kann
wegen
Beschäftigungsmöglichkeiten
disponieren, sobald er seine Pflichten erfüllt hat, indem er den Arbeitnehmer
vom Wegfall
des
Kündigungsgrundes
Äußerungsfrist
abgewartet
Dispositionen
schutzwürdig,
hat.
in
Bereits
wenn
eine
Arbeitnehmers (Verzichtserklärung) vorliegt.
Kenntnis
vor
gesetzt
und
die
diesem
Zeitpunkt
sind
ablehnende
Äußerung
des
- 454 2.7 Verwirkung außerhalb einer arbeitgeberseitigen Aufklärungspflicht
Auch für den Wegfall solcher Kündigungsgründe, die aus der Sphäre des
Arbeitnehmers stammen, erweist sich der Verwirkungseinwand in der
beschriebenen Ausprägung als sachgerechte Grenze für die Geltendmachung
des Wiedereinstellungsanspruchs. Den Arbeitgeber trifft gegebenenfalls auch
die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, der Arbeitnehmer habe
bereits vor dem Wiedereinstellungsverlangen positive Kenntnis von der
Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose gehabt. Gegen diese
Sichtweise spricht nicht, dass dem Arbeitgeber dieser Nachweis regelmäßig
nicht gelingen wird. Bis zu seiner Kenntniserlangung kann der Arbeitgeber frei
disponieren und den Anspruch so vernichten. Nach diesem Zeitpunkt kann er
dies für lediglich drei Wochen nicht mehr. Von da an tritt Verwirkung ein, auf
die sich der Arbeitgeber nicht eigens berufen muss. Mangels Beweisbarkeit
eines anderen Zeitpunktes beginnt der Lauf der Äußerungsfrist also zumindest
mit dem Wiedereinstellungsverlangen. Im Ausnahmefall soll dem Arbeitgeber
dabei der Nachweis eines früheren Fristablaufs nicht genommen werden.
Gelingt
dieser
Nachweis,
so
verringert
sich
der
Zeitraum
der
Dispositionssperre auf weniger als drei Wochen. Zögert der Arbeitnehmer
nach
eigener
Kenntnisnahme
mindestens
drei
Wochen
mit
seinem
Wiedereinstellungsverlangen und kann der Arbeitgeber dies nötigenfalls
beweisen, so ist der Anspruch bereits bei seiner Geltendmachung verwirkt;
der Arbeitgeber war in diesem Fall zu keiner Zeit in seiner Dispositionsfreiheit
beschränkt.
2.8 Rechtsfolge der Verwirkung
Die Verwirkung bewirkt eine inhaltliche Begrenzung des Rechts. Es handelt
sich um eine rechtsvernichtende Einwendung.
2.9 Formfreies außergerichtliches Vertragsangebot
Eine
formfreie
außergerichtliche
Geltendmachung
des
Anspruchs
ist
ausreichend. Notwendig ist die Abgabe eines Angebots zum Abschluss eines
neuen Arbeitsvertrages.
- 455 -
III. Besondere
Grenzen
Wiedereinstellungsanspruchs
Sonderkündigungsgründen
des
nach
Abgelöst von der Diskussion um die Grenzen des Wiedereinstellungsanspruchs
werden für Verdachts- und Druckkündigung als Sonderkündigungsgründe
eigenständige Ansätze vertreten.
Wie
dargelegt
lässt
sich
Wiedereinstellungsanspruch
in
auf
diesen
den
Fällen
ein
besonderer
Rehabilitierungsgedanken
auf
der
Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stützen.1122 Dieser steht
außerhalb des Prognoseprinzips, weshalb seine Ausgestaltung nicht einfach in
Anlehnung an den Wiedereinstellungsanspruch entwickelt werden kann.
Auch in der Lit. ist weitgehend anerkannt, dass für die Verdachtskündigung
ebenso wie für die Druckkündigung im Hinblick auf die Grenzen des Anspruchs
Besonderheiten zu berücksichtigen sind, die sich aus den dogmatischen
Eigenheiten dieser Fallgruppen erklären.1123
1. Dispositionsschutz und Rehabilitierungsnotwendigkeit
Von
diesen
Besonderheiten
unbeeindruckt
will
Busch1124
gutgläubige
zwischenzeitliche Dispositionen des Arbeitgebers auch gegenüber dem
Wiedereinstellungsanspruch
nach
Verdachtskündigung
als
schutzwürdig
anerkennen. Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers könne daher
„ins Leere laufen“, wenn der Arbeitsplatz neu besetzt sei und eine Versetzung
des neuen Arbeitnehmers nicht in Frage komme.
1122
Siehe oben unter C.VII.3.a) „Rehabilitierungsanspruch auf der Grundlage von Artt. 1 I, 2 I GG“
auf Seite 169.
1123
Walker, SAE 1998, 103, 106; Boewer, NZA 1999, 1177, 1178.
1124
Busch, MDR 1995, 217, 223.
- 456 Nach zutreffender Auffassung kann aber nach Entkräftung des Verdachts bzw.
nach Abwendung der Zwangslage auch dann nicht gänzlich auf eine
Rehabilitierung verzichtet werden, wenn der Arbeitsplatz zum maßgeblichen
Zeitpunkt nicht mehr frei oder nicht mehr vorhanden ist.
Umstritten ist aber, wie eine Rehabilitierung in diesem Fall aussehen soll.
a) Keine Entschädigung nach den §§ 9, 10 KSchG entspr. bei
gutgläubiger Disposition
Ist für eine Wiedereinstellung aufgrund gutgläubiger Dispositionen des
Arbeitgebers
kein
geeigneter
Arbeitsplatz
mehr
vorhanden,
so
wird
vorgeschlagen, dem Arbeitnehmer die Wiedereinstellung ebenso zu versagen
wie beim Wiedereinstellungsanspruch und ihn statt dessen auf eine Abfindung in
entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG zu verweisen.1125 Dabei dürfe
der Verlust des Arbeitsplatzes nicht als Sanktion erscheinen, weshalb die
Abfindung nicht zu knapp ausfallen dürfe.1126
Dagegen steht jedoch die Überlegung, dass die §§ 9, 10 KSchG nur bei einer
unwirksamen Kündigung einen finanziellen Ausgleich gewähren, also ein in
seinem Bestand geschütztes Arbeitsverhältnis voraussetzen, an dem es nach
wirksamer Verdachtskündigung gerade fehlt.1127
Belling1128 hält dieses Argument für vordergründig. § 9 I 2 KSchG wolle dem
Arbeitgeber die Möglichkeit einräumen, bei Undienlichkeit einer weiteren
Zusammenarbeit
1125
(als
Minus
zur
Unzumutbarkeit1129)
von
der
Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 433; Zwanziger, BB 1997, 42, 46; Belling, RdA 1996, 223,
239.
1126
Naujok, AuR 1998, 398, 402.
1127
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 758; Gentges Diss., S. 371.
1128
Belling, RdA 1996, 223, 239.
1129
Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 9 Rn 37.
- 457 Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entbunden zu werden, zu der er an sich
vertraglich verpflichtet ist. Zum Ausgleich sei diese Entbindung die einzige
Tatbestandsvoraussetzung für eine Entschädigungspflicht. Vorliegend sei ein
ganz ähnlicher Entbindungstatbestand gegeben. Wegen Unzumutbarkeit (als ein
Mehr gegenüber der bloßen Undienlichkeit) entbunden werde der Arbeitgeber
hier jedoch nicht von einem bestehenden Arbeitsverhältnis, sondern von der
Pflicht, ein Arbeitsverhältnis durch neuen Vertragsschluss fortzusetzen.
Wertungsmäßig seien beide Fälle gleichzusetzen. Insbesondere sei die
Schutzbedürftigkeit und –würdigkeit des Arbeitnehmers hier nicht geringer als
dort. Danach sei die Basis für eine entsprechende Anwendung der
Entschädigungsfolge des § 9 I 2 KSchG auf den hier vorliegenden
Entbindungstatbestand
durchaus
gegeben.
Dem
könne
auch
nicht
entgegengehalten werden, dass § 13 I 3 KSchG gerade für die fristlose
Kündigung keine Auflösungsmöglichkeit zugunsten des Arbeitgebers und daher
auch keine Entschädigungspflicht vorsieht. Denn immerhin sei ja eine
Auflösungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gegeben, weshalb sich aus der
Regelung im Umkehrschluss nicht entnehmen lasse, dass auch eine
Entschädigung bei einem anderweitigen Entbindungstatbestand ausgeschlossen
sein solle.
Es bleibt jedoch dabei, dass die §§ 9, 10 KSchG einen Ausgleich für den
Sonderfall vorsehen, in dem der Arbeitnehmer auf ein bestandsgeschütztes
Arbeitsverhältnis verzichtet bzw. verzichten muss. Verneint man aber einen
Wiedereinstellungsanspruch wegen vorrangiger schutzwürdiger Dispositionen,
so liegt der Anspruch schon dem Grunde nach nicht vor. Der Einwand
vorrangiger Dispositionen hindert bereits die Anspruchsentstehung. Vor diesem
Hintergrund ist kaum erklärbar, warum sich der nicht entstandene Anspruch in
einen Schadensersatzanspruch nach Maßgabe von § 9 I 2 KSchG entspr.
gewandelt haben sollte.
Zudem enthält die Auflösungsregelung allein auf Antrag des Arbeitnehmers
gemäß § 13 I 3 KSchG die verallgemeinerungsfähige Wertung, dass bei der
unberechtigten
endgültigen
fristlosen
Beendigung
Arbeitnehmerinteresse
Kündigung
des
den
das
Vertrages
Maßstab
Arbeitgeberinteresse
zurücktreten
für
eine
muss
an
der
und
das
Fortsetzung
des
Arbeitsverhältnisses vorgibt. Hier zeigt sich bereits der Rehabilitierungsgedanke,
- 458 wie er auch der Wiedereinstellungspflicht nach im Ergebnis unberechtigter und
regelmäßig fristloser Verdachtskündigung zugrunde liegt. Dass sich diese
Wertung umkehren und nunmehr der Arbeitgeber über eine Wiederbegründung
des Arbeitsverhältnisses entscheiden soll, weil (zufällig) Entlastungsumstände
erst nach Ausspruch der Kündigung und zwischenzeitlicher Disposition bekannt
werden, erscheint wenig überzeugend.
Eine entsprechende Anwendung von § 9 I 2 KSchG kann daher nicht
befürwortet werden.
b) Rehabilitierung durch generellen
Wiedereinstellungsvorrang?
Statt dessen wäre es auch denkbar, die Schutzwürdigkeit gutgläubiger
Dispositionen
zu
verneinen,
dispositionsunabhängigen
dem
Arbeitnehmer
Wiedereinstellungsanspruch
also
zuzugestehen,
einen
da
widerlegte Sonderkündigungsgründe nach einer Rehabilitierung verlangen, die
dem Umstand Rechnung trägt, dass der Arbeitnehmer regelmäßig mit einem
besonderen Makel oder einer diskriminierenden Folgewirkung aus dem
Arbeitsverhältnis ausscheidet. Ein solcher Weg wäre auch deshalb gangbar, weil
es sich hier nicht um eine Ausprägung des Wiedereinstellungsanspruchs
handelt, weshalb auch nicht die gleichen Grundsätze gelten müssen.
Kann der Arbeitgeber eine Sachverhaltsaufklärung mit zumutbarem Aufwand
nicht erreichen und kündigt er deshalb wegen des bloßen Verdachts einer
schweren Verfehlung, so muss er mit der Möglichkeit rechnen, dass sich der
Verdacht später als haltlos erweist.
Beruft sich der Arbeitgeber auf eine besondere Zwangslage, die er als
Kündigungsgrund gegen den Arbeitnehmer wendet, obwohl die Lösung des
eigentlichen Problems naheliegender (aber im Kündigungszeitpunkt noch
unzumutbar) wäre, so muss er damit rechnen, dass sich später eine zumutbare
Möglichkeit zur Abwendung der Zwangslage herausstellt.
Vor diesem Hintergrund könnte man jede vor dem Zeitpunkt einer endgültigen
Aufklärung
des Sachverhalts bzw.
der
Abwendung der Zwangslage
vorgenommene Disposition für nicht schutzwürdig halten. Der Arbeitgeber wäre
- 459 gleichwohl nicht daran gehindert, solche Dispositionen auf eigenes Risiko
vorzunehmen
und
sich
dabei
auf
die
Haltbarkeit
des
gewählten
Kündigungsgrundes zu verlassen.
2. Anspruchsentstehung
Verdachtskündigung
Für
die
Verdachtskündigung
nach
ist
auch
widerlegter
überlegt
worden,
eine
Anspruchsentstehung in zeitlicher Hinsicht über das hinaus auszudehnen, was
für den Wiedereinstellungsanspruch gelten soll. Da schon über letzteres keine
Einigkeit besteht, gehen die Meinungen auch hier weit auseinander.1130
Z.T.
wird
die
Entstehung
eines
Wiedereinstellungsanspruch
nach
Verdachtsentkräftung zeitlich unbegrenzt zugelassen.1131 Beruft sich der
Arbeitgeber auf den besonderen Kündigungsgrund Verdacht, verzichtet er also
darauf, bis zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts zu warten, so nimmt
er damit in Kauf, dass sich sein Verdacht nachträglich als unbegründet
herausstellen kann. In diesem Fall widerlegen nicht nachträgliche Umstände die
auf
zutreffender
Grundlage
angestellte
Prognose.
Vielmehr
war
die
Prognosegrundlage von Anfang an falsch. Eine Tatkündigung aufgrund
objektiver Umstände wäre für den Arbeitgeber zu keinem Zeitpunkt möglich
gewesen. Diese besondere Interessenlage erledige sich nicht dadurch, dass der
Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist aus dem Betrieb ausgeschieden
ist, oder – wie das BAG meint1132 – die Verdachtsmomente den Verlauf des
Kündigungsschutzprozesses überdauert haben. Dem Arbeitnehmer hier die
Rehabilitierung zu versagen, weil die Sachverhaltsaufklärung längere Zeit in
1130
1131
1132
Überdies ist schon der Ansatz verfehlt, wenn man die Anspruchsentstehung mit der hier
vertretenen Auffassung aus der zeitlichen Reichweite des Prognoseprinzips ableitet, da es bei
den Sonderkündigungsgründen ja gerade nicht um eine widerlegte Prognose geht.
Dütz ArbR, Rn 100; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 581.
Siehe oben unter B.II.3.a) „Nachschieben erst im Kündigungsschutzprozess gewonnener
Erkenntnisse über die im Kündigungszeitpunkt vorliegenden objektiven Verdachtsmomente –
2. Senat“ auf Seite 62.
- 460 Anspruch genommen hat, wäre daher unbillig.1133 Im Übrigen entstünde für alle
Fälle der Verdachtskündigung aus wichtigem Grund ein Wertungswiderspruch,
wenn man die Kündigungsfrist heranziehen wollte, da gerade für den
unbegründeten
Ermangelung
Vorwurf
einer
schwerer
strafrechtswidriger
Kündigungsfrist
dem
Verfehlungen
Arbeitnehmer
stets
in
die
Wiedereinstellung und damit die Rehabilitierung versagt bliebe.1134 Der Ablauf
der
Kündigungsfrist
kann
daher
keineswegs
zur
Anspruchsbegrenzung
herangezogen werden.
Bei unberechtigter Verdachtskündigung wiegen die Belange des Arbeitnehmers
so
schwer,
dass
der
Arbeitgeber
ein
auf
die
Neubegründung
des
Arbeitsverhältnisses gerichtetes Vertragsangebot des Arbeitnehmers nur unter
engen Voraussetzungen ablehnen darf.1135
In diese Richtung formuliert auch die Rspr., es sei eine Ausnahme von dem
Grundsatz
geboten,
dass
ein
Wiedereinstellungsanspruch
entlassener
Mitarbeiter regelmäßig nicht gegeben sei, wenn besondere Umstände eine
abweichende Betrachtung rechtfertigten. Dies gelte etwa dann, wenn eine
Verdachtskündigung vorliegt und sich der Verdacht nachträglich als unbegründet
herausstellt.1136
Belling1137 versucht die Anspruchsentstehung auf den Abschluss des
Kündigungsschutzprozesses zu begrenzen. Als äußerster Zeitpunkt, in dem dem
Arbeitgeber das Risiko einer Widerlegung der Verdachtsmomente noch
zugemutet werden könne, sei die Rechtskraft des Urteils anzusehen, das die
Wirksamkeit der Verdachtskündigung feststellt. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse
1133
vom Stein, RdA 1991, 85, 91; Ricken, NZA 1998, 460, 464; Welslau, BuW 1998, 953, 954; HK
KSchG - Hauck, § 4 Rn 168.
1134
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757; Walker, SAE 1998, 103, 106.
1135
Oetker, ZIP 2000, 643, 649.
1136
ArbG Kempten (3 Ca 1317/97), BB 1998, 1007, 1007 f.
1137
Belling, RdA 1996, 223, 238.
- 461 der Arbeitgeber ohnehin jederzeit damit rechnen, dass das Arbeitsgericht die
Kündigung – aus welchem Grunde auch immer – für unwirksam erachtet und er
nicht
nur
die
Hauptpflichten,
Rechtsfolge
sondern
der
sogar
Wiederbegründung
die
der
ununterbrochene
vertraglichen
Fortsetzung
des
Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten lassen muss. Bis dahin bestehe stets
auch das allgemeine Risiko einer vertraglichen Doppelbindung, einerseits an
einen bereits neu eingestellten, andererseits an den unwirksam gekündigten
Arbeitnehmer. Mit der rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage
entsteht demnach ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, nicht mehr mit den
Unbilligkeiten des wirksam beendeten Vertragsverhältnisses konfrontiert zu
werden.
Belling sieht jedoch, dass sich so oftmals keine befriedigende
Rehabilitierung sicherstellen lässt und will deshalb Sekundäransprüche
anerkennen, wenn zwar der Verdacht entkräftet wird, dies aber erst nach
rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsrechtsstreits geschieht. Insoweit soll
der Arbeitnehmer ebenso auf einen Entschädigungsanspruch zu verweisen sein,
wie in dem Fall vorrangiger schutzwürdiger Dispositionen des Arbeitgebers vor
Verdachtsentkräftung.
In
Wiedereinstellungsanspruch,
beiden
sondern
Fällen
lediglich
entstehe
ein
Anspruch
kein
auf
Entschädigung.1138
Welslau1139 lehnt eine zeitliche Begrenzung der Anspruchsentstehung nach
Verdachtskündigung generell ab. Der Arbeitnehmer sei hier letztlich das Opfer.
Er habe allerdings dann keinen Anspruch auf Naturalrestitution durch
Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses, wenn es beim Arbeitgeber wegen
vorrangiger Dispositionen keine gleichwertigen Arbeitsplätze mehr gebe. In
diesem
Fall
sei
der
Arbeitnehmer
aber
an
Stelle
eines
Wiedereinstellungsanspruchs auf einen finanziellen Ausgleich in entsprechender
Anwendung der §§ 9 und 10 KSchG zu verweisen.
1138
1139
Siehe hierzu oben unter G.III.1.a) „Keine Entschädigung nach den §§ 9, 10 KSchG entspr. bei
gutgläubiger Disposition“ auf Seite 456.
Welslau, BuW 1998, 953, 954.
- 462 -
3. Stellungnahme
a) Keine sachlichen und zeitlichen Entstehungsgrenzen für
den Wiedereinstellungsanspruch nach widerlegten
Sonderkündigungsgründen
Der Arbeitgeber, der sich auf einen Sonderkündigungsgrund beruft, trägt das
Risiko, dass sich dieser im weiteren Verlauf der Dinge als nicht beständig
erweist. Die Kündigungsbefugnis ist also von vornherein mit einer bedingten
Rehabilitierungsnotwendigkeit
für
den
Fall
belastet,
dass
der
Sonderkündigungsgrund später entkräftet wird. Diese besondere Interessenlage
erledigt sich auch nicht mit dem Ablauf der Kündigungsfrist. Bei der
Verdachtskündigung wird es sich zudem oftmals um eine entfristete Kündigung
handeln. Auch das Ende des Kündigungsrechtsstreits bietet keine Gewähr für
sachgerechte Ergebnisse. Es ist nicht erkennbar, warum ein Arbeitnehmer
schlechter stehen sollte, der auf einen solchen überflüssigen Rechtsstreit über
die Wirksamkeit der Kündigung verzichtet und sich erst nach dem Wegfall des
Kündigungsgrundes zu Wort meldet. Im Übrigen hängt die Länge eines
Kündigungsrechtsstreits vom Zufall ab und es wäre auch nicht wünschenswert,
den zu belohnen, der ihn verzögert.
Eine zeitliche Begrenzung der Anspruchsentstehung ist vor dem Hintergrund der
Stigmatisierung
des
Arbeitnehmers
und
des
damit
verbundenen
Rehabilitierungszwangs ebenso wenig einzusehen wie die Anerkennung
vorrangiger Dispositionen des gutgläubigen Arbeitgebers.
Wird der Arbeitgeber in der Konsequenz mit einer Wiedereinstellungspflicht
belastet, obwohl keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht, so gibt ihm dies
wiederum das Recht zur betriebsbedingten Austauschkündigung.1140 Auch eine
Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem von der Austauschkündigung
1140
Siehe oben unter G.I.3.b) „Recht zur Austauschkündigung“ auf Seite 328.
- 463 Betroffenen ist zu bejahen.1141 Eine hierfür erforderliche Pflichtverletzung des
Arbeitgebers liegt in diesem Fall ausnahmsweise auch dann vor, wenn er die
Disposition über den Arbeitsplatz gutgläubig vorgenommen hat, denn in jedem
Fall
hätte
er
den
neu
Rehabilitierungsanspruchs
Eingestellten
des
zuvor
über
die
mittels
Möglichkeit
eines
Sonderkündigungsgrund
Entlassenen und das Risiko einer Austauschkündigung aufklären müssen. Ist
eine solche Aufklärung ausnahmsweise erfolgt, verbietet sich folgerichtig die
Annahme eines Schadensersatzanspruchs des von den Austauschkündigung
Betroffenen.
b) Geltung des Verwirkungseinwands nach allgemeinen
Regeln
Für den Wiedereinstellungsanspruch nach Verdachts- und Druckkündigung
erweist sich der für den Wiedereinstellungsanspruch befürwortete Maßstab der
Verwirkung von Rechten ebenfalls als interessengerecht.
Ob eine arbeitgeberseitige Informationspflicht besteht, richtet sich nach der
Herkunft der prognosewidrigen Umstände. Haben sie ihren Ursprung in der
weiteren betrieblichen Entwicklung und erfährt folglich der Arbeitgeber zuerst
von den Entlastungsumständen, so trifft ihn auch die Pflicht zur Information und
mehr noch wegen der von ihm geschuldeten Rehabilitierung die Initiativlast zur
Unterbreitung eines neuen Vertragsangebots.
Führen dagegen außerbetriebliche Umstände zu einer Widerlegung des
Sonderkündigungsgrundes, besteht hinsichtlich des Arbeitnehmers wiederum
lediglich
eine
Obliegenheit zur
Information des
Arbeitgebers.
Der
im
Bestreitensfall vom Arbeitgeber zu beweisende Zeitpunkt der Kenntnisnahme
durch den Arbeitnehmer löst den Beginn der Äußerungsfrist aus.
1141
Siehe oben unter G.I.3.c)
Arbeitnehmers“ auf Seite 332.
„Rechte
des
von
der
Austauschkündigung
betroffenen
- 464 Die dreiwöchige Äußerungsfrist reicht auch im Fall der Verdachtskündigung aus,
um dem schuldlos in Verdacht geratenen Arbeitnehmer die Möglichkeit einer
Rehabilitierung zu geben.
Stammen die veränderten Umstände aus der Sphäre des Arbeitnehmers und
lässt er die Äußerungsfrist ohne Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber
verstreichen, so verstößt er im Übrigen schon gegen seine Pflicht zur Mitwirkung
an der Sachverhaltsaufklärung.
Es bleibt also beim allgemeinen Grundsatz der Verwirkung von Rechten in der
Ausprägung, wie er auch für den Wiedereinstellungsanspruch gilt.
IV. Anspruchsverzicht
durch
Eingehung
bzw.
Nichtaufgabe eines Zwischenarbeitsverhältnisses
Bram/Rühl1142 vertreten die Auffassung, die Aufnahme einer anderweitigen
Tätigkeit
nach
Kenntnis
von
Wiedereinstellungsanspruchs
den
führe
tatsächlichen
grundsätzlich
zur
Umständen
des
Verwirkung
des
Anspruchs. Unschädlich sei demgegenüber die Aufnahme einer anderweitigen
Beschäftigung vor dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme. Der Arbeitnehmer habe
jedoch
die
Beendigung eines
zwischenzeitlich
eingegangenen anderen
Arbeitsverhältnisses unverzüglich einzuleiten, sobald er positive Kenntnis
erlangt. Andernfalls trete wiederum Verwirkung ein.
Daran überzeugt der Grundgedanke, denn wie geschildert erwirbt der
Arbeitnehmer mit dem Wiedereinstellungsanspruch kein dauerhaftes Wahlrecht
zwischen der Wiederbegründung des alten und der Eingehung anderer
Arbeitsverhältnisse. Er muss sich konsequent verhalten und den Anspruch
entweder geltend machen oder aufgeben. Dabei sollte allerdings nicht schon auf
den Zeitpunkt der Kenntnisnahme abgestellt werden, sondern erst auf den
1142
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
- 465 Zeitpunkt
der
rechtskräftigen
Wiedereinstellungsanspruch.
Bis
zur
Entscheidung
rechtskräftigen
über
Durchsetzung
den
des
Anspruchs ist der Arbeitnehmer mit einem erheblichen Prozessrisiko belastet.
Oftmals werden die von ihm zu beweisenden tatsächlichen Umstände des
Anspruchs streitig und die Länge des zu erwartenden Prozesses unübersehbar
sein. Für den Arbeitnehmer besteht zudem eine Erwerbsnotwendigkeit für die
Schwebezeit, auch wenn er die Voraussetzungen des Anspruchs kennt. Freilich
bringt
die
Durchsetzung
des
Wiedereinstellungsanspruchs
auch
eine
Arbeitsverpflichtung mit sich, weshalb sich der Arbeitnehmer um die rechtzeitige
Aufgabe des Zwischenarbeitsverhältnisses im Eigeninteresse bemühen wird, um
nicht einen erneuten Kündigungsgrund zu liefern. Dass er in der Schwebezeit
bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung ein Zwischenarbeitsverhältnis
eingehen darf, auch wenn dies mit Verpflichtungen über die Rechtskraft des
Urteils hinaus verbunden ist, lässt sich aus der Parallelproblematik im
Kündigungsrechtsstreit ersehen, wo das Gesetz mit § 12 KSchG eine
ausdrückliche Regelung trifft. In diesem Zusammenhang wird nahezu einheitlich
die Auffassung vertreten, dass ein Arbeitnehmer auch nach Ablauf einer Woche
nach rechtskräftiger Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die
Kündigung aufgelöst ist, nicht verpflichtet sei, einer Arbeitsaufforderung des
alten Arbeitgebers sofort nachzukommen. Vielmehr dürfe er zunächst das neu
eingegangene
Arbeitsverhältnis
unter
Einhaltung
der
ordentlichen
Kündigungsfrist lösen, um danach seine alte Stelle wieder anzutreten. Es soll
sich dabei nicht um eine Arbeitsverweigerung gegenüber dem alten Arbeitgeber
handeln.1143 Ricken will diese Rspr. zu Recht auf die Geltendmachung des
Wiedereinstellungsanspruchs übertragen.1144 Ein oft nicht unerhebliches
Prozessrisiko und der Zwang zur Erwerbstätigkeit sind in beiden Fällen
gegeben.
1143
1144
LAG Köln (8 Sa 862/94), NZA 1995, 992, 992; Kittner/Däubler/Zwanziger – Kittner, § 12
KSchG Rn 16 f; KR – Rost, § 12 KSchG, Rn 17 f; Ricken, Anm. zu BAG (7 AZR 662/99), AP
Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
Ricken, Anm. zu BAG (7 AZR 662/99), AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
- 466 Der Arbeitnehmer darf also bis zur rechtskräftigen Entscheidung des
Wiedereinstellungsrechtsstreits
ein
Zwischenarbeitsverhältnis
eingehen.
Entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 12 KSchG muss er es nach
rechtskräftiger Entscheidung dann durch i.d.R. ordentliche Kündigung beenden
und
erst
nach
Ablauf
der
Kündigungsfrist
besteht
wieder
eine
Arbeitsverpflichtung beim alten Arbeitgeber bzw. beim Betriebserwerber mit
korrespondierender Lohnzahlungspflicht.
Bei einem Verstoß hiergegen dürfte allerdings eine Begründung über den
Verwirkungseinwand nur schwer gelingen, weil hier nur von der Erfüllung des
Umstandsmoments ausgegangen werden könnte, während es noch auf ein
konkretisierbares Zeitmoment ankommen müsste.
Eine Arbeitsaufnahme nach dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung
über den Wiedereinstellungsanspruch lässt sich daher besser als ein
konkludenter
unwiderruflicher
Anspruchsverzicht
verstehen.
Betreibt
der
Arbeitnehmer die Aufgabe eines vor diesem Zeitpunkt eingegangenen
Zwischenarbeitsverhältnisses nicht unverzüglich, so ist ebenfalls von einem
konkludenten Anspruchsverzicht auszugehen. Bei der Annahme einer solchen
zugangsbedürftigen einseitigen und unwiderruflichen Verzichtserklärung handelt
es sich indes ebenfalls um einen in rechtstechnischer Hinsicht nicht voll
überzeugenden Kunstgriff.
- 467 -
H. Wahrung der Besitzstände
I. Inhalt des Anschlussarbeitsverhältnisses
Die Wiedereinstellung erfolgt zu den gleichen Bedingungen, wie sie für das
gekündigte
Arbeitsverhältnis
waren.1145
vereinbart
Die
relativierende
Gegenansicht1146 ist abzulehnen.
Das
Kündigungsschutzgesetz
verleiht
dem
Arbeitsverhältnis
einen
Bestandsschutz gegen eine sozialwidrige Kündigung mit dem Inhalt, den es bis
zum Zeitpunkt einer solchen Kündigung erlangt hat. Ist der Kündigungsschutz
auf diesen Zeitpunkt zugeschnitten, so kann für den Wiedereinstellungsanspruch
nichts
anderes
gelten,
selbst
wenn
zwischen
dem
Ausspruch
der
rechtswirksamen Kündigung und dem Wegfall des Kündigungsgrundes ein
längerer Zeitraum liegen sollte. Maßgeblich ist, dass ein Anspruch auf
Wiedereinstellung darauf abzielt, den (durch die wirksame Kündigung bereits
überwundenen) kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz wieder aufleben
zu lassen. Damit ist der Inhalt des Anschlussarbeitsverhältnisses vorgegeben.
Abzulehnen ist demgegenüber die Auffassung, der Arbeitgeber könne das
Angebot des Arbeitnehmers auf Wiederherstellung eines identischen Vertrages
ablehnen und ihm im Gegenzug ein Vertragsänderungsangebot unterbreiten,
falls
eine
Neubegründung
des
Arbeitsverhältnisses
zu
den
früheren
Arbeitsbedingungen unzumutbar geworden sei.1147 Die aufgezeigten Grenzen
der
Wiedereinstellungspflicht
wahren
die
Interessen
des
Arbeitgebers
sachgerecht. Für weitere wertende Zumutbarkeitskriterien, die den Anspruch
darüber
1145
hinaus
inhaltlich
entwerten,
bleibt
kein
Raum.
Für
gleiche
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 252; Hambitzer Diss., S. 151; Belling, RdA 1996, 223,
238; Boudon, BAG (7 AZR 557/96), EWiR 1998, 323, 324; Walker, SAE 1998, 103, 107;
Kleinebrink, FA 1999, 138, 140; Oetker, ZIP 2000, 643, 650.
1146
Hinrichs, AiB 1997, 615, 615; Ziemann, MDR 1999, 716, 720.
1147
Boewer, NZA 1999, 1177, 1181.
- 468 Arbeitsbedingungen spricht im Rahmen seines Anwendungsbereichs im Übrigen
auch der Schutzzweck des § 613a BGB.1148
Die Arbeitsbedingungen sind auch dann nicht etwa andere, wenn der
Arbeitnehmer nicht auf „seinen“, sondern auf einen anderen Arbeitsplatz wieder
eingestellt wird.1149 Die Wiedereinstellung erfolgt stets auf einen Arbeitsplatz,
der den Beschäftigungsvorgaben des alten (und damit auch des neuen)
Arbeitsvertrages entspricht, auf den der Arbeitnehmer also bei hypothetischem
Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hätte umgesetzt werden können. Damit
korrespondiert
auch
der
Fortbestand
der
übrigen
Arbeitsbedingungen,
insbesondere des Arbeitsentgelts.
Die Fortgeltung der bisherigen Arbeitsbedingungen bezieht sich selbst auf
solche Arbeitsverhältnisse, die durch willentliche Neueinstellung zunächst zu
anderen Bedingungen neu begründet wurden, wenn sich hieran durch die
Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils der Belegschaft
ein Betriebsübergang im Sinne der EuGH-Rechtsprechung anschließt. Diese
Konsequenz
ist
unabwendbar,
da
das
Privileg
eines
Wiedereinstellungsanspruchs zu alten Arbeitsbedingungen im Ergebnis auch für
diejenigen Arbeitnehmer gelten muss, die aufgrund ihrer freiwilligen Übernahme
den Betriebsübergang erst ausgelöst haben.1150 So hat auch das BAG
festgestellt, dass die Fortführung der Beschäftigung beim Betriebserwerber in
Fällen der Funktionsnachfolge nicht zur Begründung eines neuen, sondern zur
Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit unverändertem Inhalt
1148
Meyer, NZA 2002, 246, 247 f.
1149
Unklar insoweit Beckschulze, DB 1998, 417, 419.
1150
Raab, RdA 2000, 147, 164 (dort Rn 147); Sandmann, SAE 2000, 295, 300.
- 469 führt.1151 Der verschlechternde neue Arbeitsvertrag kann deshalb keine
Wirksamkeit entfalten.1152
Für die Wählbarkeit zum Betriebsrat nach § 8 I BetrVG werden auch die im
früheren Arbeitsverhältnis zurückgelegten Zeiten berücksichtigt, weil die
besondere Beziehung zum Betrieb und die Kenntnisse seiner Eigenart noch
vorhanden sind.1153 Darüber hinaus ist stets die Dauer des wirksam
gekündigten Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen, soweit es im neu
begründeten Arbeitsverhältnis auf die Dauer des Bestehens ankommt.1154
Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass Nachteile im Bereich des Arbeitsrechts
und der Sozialversicherung sowie der betrieblichen Altersversorgung entstehen
können, wenn man formalrechtlich korrekt für Warte- und Anwartschaftszeiten
auf
das
Bestehen
eines
Arbeitsverhältnisses
abstellt,
was
auf
eine
Unterbrechung für den Zeitraum hinausläuft, in dem lediglich ein Anspruch auf
Abschluss eines Arbeitsvertrages, also ein Wiedereinstellungsanspruch bestand.
So würden beispielsweise die Wartefristen der §§ 1 I KSchG, 4 BUrlG sowie 3 III
EFZG mit dem Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages von neuem beginnen
und Anwartschaftszeiten wie die für das Arbeitslosengeld gemäß § 123 SGB III
gehemmt.1155
Entscheidend
muss
sein,
dass
der
Anspruch
auf
Wiedereinstellung eine umfassende Wahrung der wohlerworbenen Rechte des
Arbeitnehmers bezweckt, gleich ob sie dem Arbeitsrecht, dem Sozialrecht oder
einem anderen Rechtsgebiet entstammen.1156 Dieser Schutzzweck verlangt im
Hinblick auf Wartefristen und Anwartschaftszeiten eine „als-ob“-Betrachtung. Der
Arbeitnehmer ist demnach im Hinblick auf die Erfüllung von Anwartschaftszeiten
1151
BAG (8 AZR 295/95), NZA 1998, 251, 252 f; BAG (8 AZR 774/98), DB 2000, 831, 831.
1152
Edenfeld, AuA 1998, 161, 164; Fischer, DB 2001, 331, 333.
1153
Richardi BetrVG, § 8 Rn 24.
1154
Walker, SAE 1998, 103, 107; Raab, RdA 2000, 147, 158.
1155
Oetker, ZIP 2000, 1787, 1787 f.
1156
Walker, SAE 1998, 103, 107.
- 470 so zu stellen, als wäre das Arbeitsverhältnis bereits zum Zeitpunkt der
Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs zustande gekommen.1157
In den Fällen der betriebsbedingten Kündigung, in denen den Arbeitgeber nach
der hier vertretenen Auffassung eine Pflicht zur Aufklärung des Arbeitnehmers
über die veränderten Umstände trifft, tritt diese Wirkung bereits zum Zeitpunkt
des Wegfalls des Kündigungsgrundes ein, wenn der Arbeitgeber die Aufklärung
unterlässt und der Arbeitnehmer unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Wegfall
des Kündigungsgrundes sein Wiedereinstellungsverlangen geltend macht, weil
in diesen Fällen davon auszugehen ist, dass die verspätete Geltendmachung
auf der Aufklärungspflichtverletzung beruht.
Eine Wartefrist, die ja mit dem Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages von
neuem beginnt, muss als von Anfang an erfüllt angesehen werden, wenn sie
zum Zeitpunkt der Kündigung erfüllt war. Insoweit handelt es sich um die
schlichte Übertragung eines bereits wohlerworbenen sozialen Besitzstandes.
Es erscheint auch nicht zu weitgehend, davon auszugehen, dass die
Teilerfüllung einer Wartefrist mit dem Abschluss des neuen Arbeitsvertrages
bzw. der vorhergehenden Aufklärungspflichtverletzung wieder auflebt und
weiterläuft. Auf diese Weise kann der Arbeitnehmer bei unverzüglicher
Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs nach dem Zeitpunkt seiner
Kenntnisnahme erreichen, dass das neubegründete Arbeitsverhältnis für die
Wartefrist behandelt wird, als sei das bisherige Arbeitsverhältnis ununterbrochen
fortgesetzt
worden.
Dies
muss
gelten,
obwohl
die
Wiedereinstellung
formalrechtlich auf einem zweiten Vertrag beruht, weil nur so einem
Rechtsverlust vorgebeugt und eine Ergebnisgleichheit mit dem Fall hergestellt
werden kann, dass der Arbeitgeber in weiser Vorausschau auf die Widerlegung
der Prognose die Kündigung unterlassen hätte.
1157
Kleinebrink, FA 1999, 138, 140.
- 471 -
II. Zeitpunkt
der
Entstehung
Arbeitsverhältnisses durch den
Wiedereinstellungsanspruchs
des
neuen
Vollzug des
1. Sichtweise des BAG
Verweigert der Arbeitgeber zunächst die geschuldete Wiedereinstellung, so stellt
sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die durch das Gericht fingierte
Annahmeerklärung
des
Arbeitgebers
zur
Entstehung
eines
neuen
Arbeitsverhältnisses führt.
Aus praktischen Gründen könnte man den Arbeitgeber für verpflichtet halten,
dem Arbeitnehmer rückwirkend für den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung
einen neuen Arbeitsvertrag anzubieten.1158 Der 7. Senat1159 lehnt es dagegen
in ständiger Rspr. konsequent ab, den Arbeitgeber zum Abschluss eines
Vertrages zu verurteilen, der in der Vergangenheit liegt. Da der Arbeitnehmer für
die Vergangenheit keine Arbeitsleistungen mehr erbringen kann, wäre der von
ihm begehrte rückwirkende Vertrag insoweit auf eine unmögliche Leistung
gerichtet
und
daher
–
entsprechend
der
Rechtslage
vor
der
Schuldrechtsmodernisierung – nach § 306 BGB a.F. nichtig. Eine Verurteilung
zu einer auf einen nichtigen Vertrag gerichteten Willenserklärung ist aber nach
ständiger Rspr. ausgeschlossen1160, ein hierauf gerichteter Klageantrag daher
insoweit unzulässig.
Da die Willenserklärung des Arbeitgebers auf eine Leistungsklage des
Arbeitnehmers gemäß § 894 I 1 ZPO erst mit Rechtskraft des Urteils als
abgegeben gilt („sobald“), gibt es zudem keinen Vertragsschluss Ex tunc. Der
1158
1159
1160
So Raab, RdA 2000, 147, 157.
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1783; BAG (7 AZR 662/99), NZA 2001, 1135, 1135 f =
NJW 2001, 3429, 3429 f; BAG (7 AZR 47/00), ZTR 2001, 529, 529.
BAG (7 AZR 19/94), BAGE 78, 244, 244; BAG (7 AZR 298/96), EzA § 611 BGB
Einstellungsanspruch Nr. 10; BAG (7 AZR 811/96), BAGE 87, 1, 1.
- 472 neue Arbeitsvertrag gilt mit der Rechtskraft des Urteils als zustande gekommen,
durch
welches
die
Annahmeerklärung
des
Arbeitgebers
auf
das
Wiedereinstellungsverlangen des Arbeitnehmers fingiert wird.
Ebenso geht auch das LAG Frankfurt davon aus, der rückwirkende Abschluss
eines Arbeitsvertrages sei nur und insoweit möglich, als das Arbeitsverhältnis in
Vollzug gesetzt war.1161
Ein Teil der Lit. lehnt einen rückwirkenden Vertragsschluss nach der Rechtslage
vor der Schuldrechtsreform ebenso ab.1162
Der 7. Senat will statt dessen einen auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages zu
einem Zeitpunkt in der Vergangenheit gerichteten Klageantrag dahin auslegen,
dass der Beklagte hilfsweise zum Abschluss eines Arbeitsvertrages für die
Zukunft verurteilt werden soll. Bedenken gegen die Bestimmtheit eines solchen
Antrags seien nicht gerechtfertigt.1163
2. Rückwirkung auf den Zeitpunkt der außergerichtlichen
Geltendmachung?
Andere Stimmen kritisieren die Sichtweise des BAG als zu formal auf den
Vertragsschluss ausgerichtet. Der Antrag auf Abschluss eines Arbeitsvertrages
sei zumindest bei der ordentlichen Kündigung auf die Begründung eines
Arbeitsverhältnisses
im
Anschluss
an
die
Beendigung
des
bisherigen
Arbeitsverhältnisses gerichtet. Dementsprechend sei der Beginn des neuen
Arbeitsverhältnisses integraler Bestandteil des Antrags und damit auch des
1161
1162
1163
LAG Frankfurt (9 Sa 1077/99), ZInsO 2000, 625, 625.
Boewer, NZA 1999, 1177, 1182 m.w.N.; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 581; Kiel/Koch, Rn
871; Kort, SAE 2001, 131, 132.
BAG (7 AZR 904/98), EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 5; BAG (7 AZR 47/00),
ZTR 2001, 529, 529 f.
- 473 stattgebenden Urteils. Mit Rechtskraft des Urteils sei das Arbeitsverhältnis
deshalb auch für die Vergangenheit begründet.1164
So nimmt auch das LAG Hamm in einem Fall der krankheitsbedingten
Kündigung
wegen
ärztlicher
Fehldiagnose
und
darauf
beruhender
Fehlzeitenprognose des Arbeitgebers1165 an, materiellrechtlich bestünden
gegen die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses ebenso wenig
wie gegen eine einvernehmliche Aufhebung der Kündigungsfolgen Bedenken.
Für einen Vertrauensschutz der Beklagten bestehe kein Bedarf, wenn der Kläger
von Anfang an mit seinem Kündigungsschutzantrag zu erkennen gegeben habe,
dass er am Arbeitsverhältnis festhalten wolle.1166 Der Fortsetzungsanspruch bei
Wegfall des Kündigungsgrundes sei der Sache nach nichts anderes als ein
Anspruch auf Rücknahme der Kündigung, denn der Arbeitnehmer verlange vom
Arbeitgeber das Einverständnis mit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu
unveränderten Bedingungen. Hat der Arbeitnehmer noch vor Ablauf der
Kündigungsfrist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangt und kommt
der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Annahme des Vertragsangebots bis zum
Ablauf der Kündigungsfrist nicht nach, so könne der Arbeitnehmer verlangen,
dass
die
Verlängerung
des
Arbeitsverhältnisses
wie
bei
einer
Rücknahmevereinbarung mit rückwirkender Kraft erfolge. Auch entfalte die
Rechtskraft des Urteils in diesem Fall rückwirkende Kraft auf den Zeitpunkt des
Ablaufs
der
Kündigungsfrist.
So
entstehe
ein
ununterbrochenes
Arbeitsverhältnis.
Verlange der Arbeitnehmer dagegen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist seine
Wiedereinstellung,
so
sei
der
Anspruch
auf
Neubegründung
des
Arbeitsverhältnisses gerichtet, und zwar mit Wirkung zu dem Zeitpunkt, in dem
1164
1165
1166
Oetker, ZIP 2000, 643, 653; Raab, RdA 2001, 248, 248 f.
Vgl. oben unter.B.II.2.c) „Maßgeblichkeit des subjektiven Kenntnisstandes des Arbeitgebers“
auf Seite 53.
LAG Hamm (8 Sa 2071/98), NZA 2000, 320, 320.
- 474 der Arbeitnehmer die Wiedereinstellung verlangt habe. Die Rechtskraft des
Urteils wirke in diesem Fall allein auf den Zeitpunkt der Geltendmachung zurück.
Es handele sich insoweit um einen Wiedereinstellungsanspruch im engeren
Sinne, der kein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis entstehen lasse.1167
Edenfeld1168 will im Anwendungsbereich des § 613a BGB eine Rückwirkung auf
den
Zeitpunkt
des
Betriebsübergangs
zulassen.
Ansprüche
auf
den
Annahmeverzugslohn sollen aber erst entstehen, wenn der gekündigte
Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung tatsächlich bzw. wörtlich gemäß §§ 294, 295
BGB anbietet.
3. Stellungnahme – Anspruch auf Begründung eines
Vertragsverhältnisses nur für die Zukunft
Will man den rechtskonstruktiven Ausgangspunkt der Wiedereinstellungspflicht,
nämlich die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses mit der Rechtskraft des
Urteils gemäß § 894 I 1 ZPO, nicht aufgeben, so fällt es schwer, die Entstehung
eines neuen Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Beendigung des alten
durch Rückwirkung des Vertragsschlusses zu fingieren.
Die
materielle
Rechtslage
dürfte
einem
rückwirkenden
Vertragsschluss
allerdings nach dem seit dem 01.01.2002 geltenden Recht1169 nicht mehr im
Wege stehen.1170 Zwar bleibt es dabei, dass die rückwirkende Begründung
eines Arbeitsverhältnisses wegen Unmöglichkeit keine Primärleistungspflichten
mehr auslöst (§ 275 I BGB). Ein auf eine von Anfang an unmögliche Leistung
gerichteter
Vertrag
ist
jedoch
wirksam1171 und
kann Grundlage
von
1167
Raab, RdA 2000, 147, 157 f.
1168
Edenfeld, AuA 1998, 161, 165.
1169
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. 2001 I 3138 ff).
1170
Vgl. Ricken, Anm. zu BAG (7 AZR 662/99), AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
1171
Lindemann, AuR 2002, 81, 82.
- 475 Sekundäransprüchen sein (§ 311a I und II BGB).1172 Dass ein Anspruch auf die
Primärleistung von vornherein nicht in Betracht kommt, ist keineswegs
dogmatisch unvereinbar mit der Wirksamkeit des Vertrags, sondern bedeutet
lediglich, dass hier ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht entsteht, was seit
langem eine anerkannte dogmatische Kategorie darstellt.1173 Der Gläubiger
kann nach seiner Wahl Schadensersatz statt der Leistung, also das positive
Interesse1174, oder Ersatz seiner Aufwendungen in dem in § 284 BGB
bestimmten Umfang verlangen (§ 311a II 1 BGB). Dogmatisch gesehen folgt der
Anspruch auf das positive Interesse aus der Nichterfüllung des – nach § 311a I
BGB wirksamen – Leistungsversprechens und nicht etwa aus der Verletzung der
– nach § 275 BGB ausgeschlossenen – Leistungspflicht. Aus diesem Grund
werden die Rechtsfolgen in § 311a BGB auch eigenständig geregelt.1175 Dem
Schuldner ist vorzuwerfen, dass er die Leistungspflicht übernimmt, obwohl er
weiß oder wissen muss, dass er sie nicht erfüllen kann. Das kann die Regelung
der §§ 280, 283 BGB als allgemeine Anspruchsgrundlage bei Ausschluss der
Leistungspflicht
nicht
ausdrücken,
weil
sie
auf
dem
Bestehen
einer
Leistungspflicht aufbaut.1176 Bei anfänglicher Unmöglichkeit hat aber ein
Anspruch auf Erfüllung gemäß § 275 I BGB und damit auch eine Leistungspflicht
zu keinem Zeitpunkt bestanden. Eine von Anfang an nicht bestehende Pflicht
kann nicht verletzt werden.
Wollte man aber – von den zivilprozessualen Schwierigkeiten abgesehen –
rückwirkend einen auf die von Anfang an unmögliche Arbeitsleistung für die
Vergangenheit gerichteten Arbeitsvertrag begründen, mit dem Ziel, einen
Sekundäranspruch auf Schadensersatz zu schaffen, so müsste sich ein solcher
Schadensersatzanspruch nach § 311a II 1 Alt. 1 BGB gegen denjenigen richten,
1172
Canaris, DB 2001, 1815, 1817 f; Lindemann, AuR 2002, 81, 82.
1173
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
1174
Joussen, NZA 2001, 745, 749.
1175
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
1176
Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 14/7052).
- 476 der eine Leistungspflicht übernimmt, obwohl er weiß oder wissen muss (§ 311a
II 2 BGB), dass er sie nicht erfüllen kann. Anspruchsgegner wäre folglich der
Arbeitnehmer, der die von ihm für einen zurückliegenden Zeitraum versprochene
Arbeitsleistung nicht erbringen könnte, während die vom Arbeitgeber zu
erfüllende Zahlungspflicht auch im nachhinein noch erfüllbar wäre. § 311a II
BGB ist daher für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs des
Arbeitnehmers wegen verspäteter Erfüllung der Pflicht zur Wiedereinstellung
durch den Arbeitgeber gänzlich ungeeignet.
Warum also das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses fingieren, das wegen
Zeitablaufs nicht mehr vollzogen werden kann, wenn man so für den
abgelaufenen Zeitraum weder eine Primär- noch eine Sekundärleistungspflicht
des in Anspruch genommenen Arbeitgebers erreichen könnte?
Ein sinnvolles Ergebnis ist zwar materiellrechtlich konstruierbar, denn fingiert
man einen rückwirkenden Vertragsschluss und hat der Arbeitnehmer seine
Arbeitskraft in annahmeverzugsbegründender Form angeboten, so wäre ein
Anspruch auf den Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB die logische
Konsequenz. Auch die prozessrechtliche Notwendigkeit, gemäß § 894 I 1 ZPO
die Annahmeerklärung des Arbeitgebers erst mit Rechtskraft des Urteils zu
fingieren,
spricht
nicht
zwangsläufig
gegen
einen
rückwirkenden
Vertragsschluss, denn das Angebot des Arbeitnehmers kann sich seinem Inhalt
nach auf die nachträgliche Herstellung eines Zustandes beziehen, wie er bei
pflichtgemäß
rechtzeitiger
Annahme
durch
den
Arbeitgeber
bestünde.
Möglicherweise würde man den Arbeitgeber sogar für verpflichtet ansehen
müssen, ein solches eine Fiktion beinhaltendes Vertragsangebot auch
anzunehmen.
Für so ein Konstrukt besteht aber kein einleuchtender Grund. Die eine
Rückwirkung befürwortende Auffassung verfolgt auch auf der Grundlage des
alten Rechts das Ziel, einen natürlicherweise auf Schadensersatz gerichteten
Anspruch wegen verspäteter Erfüllung der Wiedereinstellungspflicht des
Arbeitgebers in einen Anspruch auf den Annahmeverzugslohn gemäß § 615
BGB umzudefinieren. Ob das praktikabel ist, spielt solange keine Rolle, wie sich
für die Vermeidung der naheliegenden Rechtsfolge ein zwingender Grund nicht
finden lässt.
- 477 Das Arbeitsverhältnis kommt folglich mit der Rechtskraft des Urteils allein für die
Zukunft zustande.
III. Ansprüche für die Zeit zwischen der Entstehung des
Wiedereinstellungsanspruchs
und
seiner
Verwirklichung
Da die Situation des Annahmeverzugs gemäß § 615 BGB wegen eines
fehlenden Arbeitsverhältnisses nicht eintreten kann, bevor nicht ein solches über
die Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung gemäß § 894 I 1 ZPO zustande
gekommen ist1177, verbleibt demnach allein die Möglichkeit eines Anspruchs
auf Schadensersatz, um den Nachteil auszugleichen, der dem Arbeitnehmer
wegen verzögerter Aufklärung bzw. verzögerter Annahme des Angebots auf
Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses entsteht.
Nicht anders gelangt auch der 7. Senat in seiner Entscheidung vom
28.06.20001178
im Anschluss an Boewer1179 zu einem Anspruch auf den
Ersatz des Verzögerungsschadens. Er nimmt an, der Arbeitnehmer habe für die
Vergangenheit Schadensersatzansprüche nach den §§ 284, 286, § 280 I, § 249,
§ 251 I BGB a.F., die auf Entschädigung in Geld gerichtet seien. Durch die
bewusste
Verweigerung
der
Abgabe
einer
Annahmeerklärung
auf
ein
entsprechendes Vertragsangebot des Arbeitnehmers gerate der Arbeitgeber in
Schuldnerverzug.
Der
Arbeitnehmer
könne
für
die
Zwischenzeit
eine
Entschädigung in Geld beanspruchen (§ 251 BGB), die der Höhe der
entgangenen vertragsgemäßen Vergütung entspreche.1180
1177
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 581; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456.
1178
BAG (7 AZR 904/98), ZIP 2000, 1781, 1784.
1179
Boewer, NZA 1999, 1177, 1181 f.
1180
Boewer, NZA 1999, 1177, 1181.
- 478 Nach der neuen Konzeption des Schuldrechts kommt allein die Regelung der §§
280 II, 286 BGB1181 in Betracht, also ebenfalls ein Anspruch auf
Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung.
Dabei
gilt
es
zwischen
zwei
verschiedenen
Pflichtverletzungen
zu
unterscheiden. Zum einen die mangelnde Aufklärung über den Wegfall des aus
der Sphäre des Arbeitgebers stammenden Kündigungsgrundes, also die
Verletzung der erörterten Aufklärungspflicht.1182 Zum anderen um die Pflicht,
das
Wiedereinstellungsverlangen
des
informierten
Arbeitnehmers
durch
Annahme seines Angebots zu erfüllen. Demgegenüber reicht es nicht aus, allein
auf das Wiedereinstellungsverlangen abzustellen, weil es der Arbeitgeber bei
Verletzung seiner Aufklärungspflicht zum Nachteil des Arbeitnehmers beliebig
hinauszögern könnte.
Sowohl mit der Aufklärungs- als auch mit der Wiedereinstellungspflicht kann der
Arbeitgeber nach allgemeinen Regeln in Schuldnerverzug geraten.
Ob es hierfür eigens einer Mahnung durch den Arbeitnehmer bedarf oder aber
der Arbeitgeber mit der Pflichtverletzung ohne weiteres in Verzug kommt, richtet
sich nach § 286 II Nr. 2 – 4 BGB.
Die Anwendbarkeit des § 286 II Nr. 2 BGB hängt davon ab, ob man erstens als
Voraussetzung für die Auslösung der Wiedereinstellungspflicht ein „Ereignis“
bejaht, und ob zweitens eine „angemessene Zeit“ für die Wiedereinstellung in
der Weise „bestimmt“ ist, „dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender
berechnen lässt“. Als „Ereignis“ lässt sich hier einerseits der Eintritt von die
kündigungsbegründende
Prognose
widerlegenden
Umständen
aus
dem
Einfluss- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers verstehen, da dies die
1181
1182
Vgl. hierzu Lindemann, AuR 2002, 81, 84.
Siehe oben unter G.II.3.f)(5)(b) „Echte Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Aufklärung über
prognosewidrige Veränderungen aus seinem Einfluss- und Verantwortungsbereich“ auf Seite
433.
- 479 Aufklärungspflicht
unmittelbar
auslöst.
Andererseits
stellt
das
Wiedereinstellungsverlangen des informierten Arbeitnehmers, beispielsweise
nach Verbesserung seines Gesundheitszustandes im Anschluss an eine
krankheitsbedingte Kündigung, ein solches Ereignis dar, mit dem die Pflicht zur
Annahme des Angebots auf Wiedereinstellung ausgelöst wird. Als bestimmte,
sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechenbare Frist kommt die
Äußerungsfrist nicht in Betracht, die sich ja gegen den Arbeitnehmer als
Gläubiger richtet, sich also nicht auf die Schuldnerpflichten des Arbeitgebers
bezieht. Sowohl die Pflicht zur Aufklärung wie auch die zur Wiedereinstellung
sind unverzüglich bei Eintritt des Ereignisses zu erfüllen (§§ 121 I, 271 BGB),
einen bestimmten Fristlauf gibt es nicht. § 286 II Nr. 2 BGB stellt dagegen
lediglich eine Konkretisierung des von der Zahlungsverzugsrichtlinie1183
genannten „Zahlungstermins“ dar, der wegen der nicht unerheblichen Folgen
seiner Nichteinhaltung im Interesse der Klarheit und Transparenz für den
Schuldner wenigstens kalendermäßig bestimmbar im Sinne des § 286 II Nr. 2
BGB sein muss, um den Eintritt der Verzugsfolgen zu rechtfertigen. Eine
Mahnung ist also jedenfalls nach § 286 II Nr. 2 BGB mangels kalendermäßig
bestimmbarer Frist nicht entbehrlich.
Besteht
keine
Aufklärungspflicht
Wiedereinstellungsverlangen,
so
und
wird
erklärt
entweder
der
der
Arbeitnehmer
sein
Arbeitgeber
eine
Wiedereinstellung ablehnen, was zur Entbehrlichkeit der Mahnung nach § 286 II
Nr. 3 BGB führen kann, oder der Arbeitgeber äußert sich nicht, was eine
Mahnung erforderlich macht. Dass der Verzug erst durch die Mahnung eintritt,
bereitet hier keine Probleme.
Schwieriger ist die Situation, wenn bereits die Aufklärungspflicht verletzt wird. Da
es an der Kenntnis des Arbeitnehmers von den Voraussetzungen des
Anspruchs fehlt, wird er auch keine rechtzeitige Mahnung erklären können. Eine
1183
Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur
Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.
- 480 eventuell später erklärte Mahnung löst das Problem nicht, da es gerade um die
auf
der
Aufklärungspflichtverletzung
Anspruchsdurchsetzung
leistungsschädliche
geht.
Handlung
beruhende
Insoweit
handelt
des
Schuldners
Verzögerung
es
sich
im
der
um
eine
Vorfeld
zur
Anspruchsgeltendmachung. Es macht im Ergebnis keinen Unterschied, ob sich
der Schuldner gegenüber der ihn treffenden Wiedereinstellungspflicht in der
Weise leistungsunwillig zeigt, dass er auf ein Wiedereinstellungsverlangen nicht
oder ablehnend reagiert, oder ob er bereits die zur Anspruchsgeltendmachung
unentbehrliche Aufklärungspflicht vernachlässigt. Auch durch letzteres erklärt
der Arbeitgeber konkludent seine fehlende Leistungsbereitschaft im Hinblick auf
den Hauptanspruch, denn wer als Schuldner bei überlegenem Wissen
pflichtwidrig den Gläubiger über die Umstände nicht aufklärt, aus denen sich die
Inhaberschaft des Anspruchs ergibt, will ihn schon gar nicht erfüllen. Dieser Fall
dürfte daher ebenfalls über § 286 II Nr. 3 BGB zu erfassen sein. Es handelt sich
um den allgemein anerkannten, ehedem aus § 242 BGB hergeleiteten Fall einer
ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Schuldner.1184
Eine solche endgültige Erfüllungsverweigerung kann auch bei konkludentem
Verhalten angenommen werden, wenn beispielsweise der Mieter durch sein
Verhalten vor Vertragsbeendigung eindeutig zum Ausdruck bringt, dass er
seinen vertraglich übernommenen Verpflichtungen nicht nachkommen wird und
demgemäß das Mietobjekt bei Vertragsende räumt, ohne Anstalten für die
Vorbereitung
oder
Ausführung
der
Schönheitsreparaturen
getroffen
zu
haben1185 Würde sich der Schuldner in diesen Fällen auf das Unterlassen der
Mahnung berufen, wäre dies ein widersprüchliches Verhalten und damit ein
Verstoß gegen Treu und Glauben.1186 Ein Verstoß gegen die Pflicht zur
(unverzüglichen) Aufklärung stellt daher für den Anspruch auf Wiedereinstellung
eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung dar.
1184
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
1185
BGH (XII ZR 105/90), NJW 1991, 2416, 2416 = LM § 558 BGB Nr. 45.
1186
Staudinger – Löwisch, § 284 Rn 57.
- 481 Zudem wird man bei unterbliebener Aufklärung auch die Voraussetzungen des §
286 II Nr. 4 BGB zu bejahen haben. Die auf einer Pflichtverletzung des
Schuldners
beruhende
mangelnde
Kenntnis
des
Gläubigers
von
der
Anspruchsinhaberschaft reicht für die Bejahung „besonderer Gründe“ aus, die
auch unter Abwägung der Interessen des Schuldners den sofortigen Eintritt des
Verzugs rechtfertigen. Zwar soll die positivrechtliche Anerkennung dieser
Fallgruppe nicht über den von der Rspr. herausgearbeiteten bisherigen Zuschnitt
hinaus ausgedehnt werden. Hierunter ist aber auch ein die Mahnung
verhinderndes Verhalten des Schuldners zu fassen1187, insbesondere wenn
dieser sich einer Mahnung entzieht.1188 So liegt es hier.
Die Schadensersatzpflicht für Pflichtverletzungen gilt nach den §§ 280 I 2, 286
IV BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Damit wird als Ausnahme eine Beweislastregel aufgestellt: Ein Vertretenmüssen
des Schuldners wird durch die Pflichtverletzung indiziert, der Schuldner muss
sich deshalb entlasten. An den Besonderheiten des Arbeitsrechts soll indes
nichts geändert werden, wie die Neuregelung des § 619a BGB zeigt.1189 Da §
619a BGB nur eine Regelung für Ansprüche gegen den Arbeitnehmer trifft, bleibt
es für Ansprüche gegen den Arbeitgeber bei der Verschuldensvermutung nach §
280 I 2, 286 IV BGB zugunsten des Arbeitnehmers.
Als Rechtsfolge ist der durch den Verzug entstandene Schaden nach den §§
280 I, II, 286 I, II Nr. 3 und 4, 249 S. 1, 251 I BGB zu ersetzen.
Der Arbeitnehmer ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er nach unverzüglicher
Aufklärung durch den Arbeitgeber sein Wiedereinstellungsverlangen geäußert
und der Arbeitgeber dem Vertragsschluss zugestimmt hätte. Der Anspruch auf
den Ersatz des Verzögerungsschadens beläuft sich daher auf den entgangenen
1187
Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/6040).
1188
OLG Köln (25 WF 216/97), NJW-RR 1999, 4, 4 f.
1189
Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 14/7052).
- 482 Arbeitsverdienst im Anschluss an das Wiedereinstellungsverlangen (wenn keine
Aufklärungspflicht bestanden hat oder diese Pflicht unverzüglich erfüllt wurde)
bzw. bereits im Anschluss an die Widerlegung der kündigungsbegründenden
Prognose
(wenn
pflichtwidrig
nicht
aufgeklärt
wurde).
Wurde
die
Aufklärungspflicht verletzt, kann der genaue Beginn des Anspruchszeitraums je
nach den Umständen auf den Tag nach dem Wegfall des Kündigungsgrundes
oder auch später angesetzt werden, wenn der Arbeitgeber beispielsweise
Umstände vorträgt, die eine sofortige Unterrichtung des Arbeitnehmers nicht
zuließen. Der Anspruch auf den Ersatz des Verzögerungsschadens wegen
Verletzung der Aufklärungspflicht wandelt sich mit der Kenntnisnahme des
Arbeitnehmers in einen Anspruch gleichen Inhalts wegen Verletzung der
Wiedereinstellungspflicht um. Letzterer umfasst dann den Zeitraum bis zu einer
rechtskräftigen Entscheidung. Von da an besteht ein Anspruch auf Arbeitsentgelt
aus dem in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrag bzw. aus § 615 BGB.
Der Arbeitnehmer muss sich in entsprechender Anwendung des § 615 S. 2 BGB
anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft
erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat. Bei der Anrechnung
tatsächlich erzielten Entgelts handelt es sich lediglich um eine Ausprägung des
allgemeinen Grundsatzes der Vorteilsausgleichung.1190 Die Anrechnung
hypothetischen Arbeitsverdienstes ergibt sich dagegen unmittelbar aus den §§
249, 254 II 1 Alt. 2 BGB.1191
Der Anspruch auf den entgangenen Arbeitsverdienst führt zu dem für das
Arbeitsrecht durch Gesetz und Rspr. in zahlreichen Ausprägungen anerkannten
von der Grundnorm des § 326 I BGB abweichenden Ergebnis „Lohn ohne
Arbeit“.1192
1190
1191
1192
Medicus BR, Rn 854 m.w.N.
Allein hierauf abstellend: AR-Blattei SD - Boemke, 220.10 Arbeitsvertrag - Arbeitsverhältnis X
Rn 187.
Joussen, NZA 2001, 745, 747 m.w.N.
- 483 Ein weitergehender Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung kommt
dagegen nicht in Betracht, weil er mit einem Anspruch auf Erfüllung der
Wiedereinstellungspflicht unvereinbar wäre (§ 281 IV BGB).
Zu beachten ist auch, dass es sich beim Anspruch auf entgangenen
Zwischenverdienst
unselbstständigen
wegen
verzögerter
Anspruch
handelt,
Wiedereinstellung
der
als
um
einen
Annex
zum
Wiedereinstellungsanspruch hinzutritt. Andernfalls ließe sich das Entstehen
eines gesetzlichen Schuldverhältnisses als Folge der bloßen Nichtaufklärung
über veränderte Umstände aus der Sphäre des Arbeitgebers nach wirksamer
Kündigung nicht erklären, zumal zum Zeitpunkt der Aufklärungspflichtverletzung
noch nicht feststeht, ob der einzelne Arbeitnehmer überhaupt an einer
Wiedereinstellung interessiert ist.
- 484 -
I. Beschränkter
Wiedereinstellungsanspruch
I. Wiedereinstellungsanspruch
Arbeitsbedingungen
An
Stelle
eines
Anspruchs
auf
zu
Wiedereinstellung
geänderten
zu
identischen
Arbeitsbedingungen kommt im Einzelfall der Anspruch auf die Begründung eines
Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen in Betracht, wenn die
Beendigungskündigung in der Rückschau nicht mehr als Ultima-Ratio erscheint,
weil eine Weiterbeschäftigung unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich
gewesen wäre. Der Arbeitgeber hätte also bei idealem Kenntnisstand über die
erst noch eintretenden zukünftigen Umstände dem Arbeitnehmer diese
Alternative anbieten müssen (§ 1 II 3 Alt. 2 KSchG) und nur eine
Änderungskündigung
erklären
dürfen
(§
2
KSchG).
Da
aber
eine
Beendigungskündigung erklärt wurde, könnte man dem Arbeitnehmer das Recht
zugestehen, das in einer solchen Änderungskündigung liegende Angebot auf
Eingehung eines anderen Arbeitsverhältnisses selbstständig als beschränkten
Wiedereinstellungsanspruch gegen den Arbeitgeber einzufordern.
Ob eine solcher Anspruch entstehen kann, ist höchstrichterlich noch nicht
entschieden. Zwar erklärte der 2. Senat in seiner grundlegenden Entscheidung
vom 27.02.19971193, melde sich nach Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse
wegen
beabsichtigter
Betriebsstillegung
unerwartet
ein
potentieller
Betriebsübernehmer, könne es dem Arbeitgeber gegebenenfalls zumutbar sein,
den Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung zu Arbeitsbedingungen anzubieten,
unter denen ein Interessent zum Betriebserwerb bereits sei.1194 Die mit dieser
Sichtweise verbundene Relativität der zu begründenden Arbeitsbedingungen
1193
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
1194
So im Anschluss auch Welslau, BuW 1998, 953, 955 f.
- 485 und die damit einhergehenden Missbrauchsmöglichkeiten wurden bereits
erörtert.1195
Prinzipiell ist ein solcher Anspruch aber denkbar, allerdings eher im Bereich der
personenbedingten
Kündigung.
Unterzieht
sich
der
krankheitsbedingt
gekündigte Arbeitnehmer einer notwendigen Operation, die die Arbeitsfähigkeit
insoweit wiederherstellt, dass nun eine Beschäftigung unter geänderten
Arbeitsbedingungen möglich wäre, erklärt sich der Arbeitnehmer hiermit
einverstanden und ist ein entsprechender Arbeitsplatz im Betrieb vorhanden,
stellt
sich
die
Frage
nach
einem
entsprechenden
Anspruch
auf
Wiedereinstellung zu geänderten Arbeitsbedingungen. Konsequenterweise ist
dieser Anspruch als ebenfalls prognosebedingter Anspruch auf beschränkte
Wiedereinstellung nach den dargestellten Regeln anzuerkennen.
Darin liegt indes kein Widerspruch zur erörterten1196 prinzipiellen Pflicht, das
Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen neu zu begründen, wie sie für das
wirksam gekündigte Arbeitsverhältnis vor der Kündigung bestanden, denn es
handelt sich um zwei unterschiedliche Sachverhalte. Voraussetzung eines
unbeschränkten
Wiedereinstellungsanspruchs
ist
nämlich,
dass
der
Kündigungsgrund gänzlich entfällt, weil bei hypothetischer Einbeziehung der
nachträglichen Entwicklung eine Kündigung nicht hätte gerechtfertigt werden
können; das Arbeitsverhältnis hätte also unverändert fortgesetzt werden
müssen. Ein Wiedereinstellungsanspruch zu geänderten Arbeitsbedingungen
entsteht
demgegenüber,
wenn
der
Kündigungsgrund
in
der
weiteren
Entwicklung nicht vollständig, sondern nur im Verhältnis zur weniger
belastenden Änderungskündigung entfällt. Es handelt sich hier also nur um eine
teilweise Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose, weshalb der
Anspruch
in
der
Rechtsfolge
gegenüber
dem
Wiedereinstellungsanspruch zurückbleibt.
1195
Siehe oben unter F.II.3.c)(3) „Stellungnahme“ auf Seite 241.
1196
Oben unter H.I „Inhalt des Anschlussarbeitsverhältnisses“ auf Seite 467.
unbeschränkten
- 486 -
II. Anspruch auf befristete Wiedereinstellung
Im Bereich der betriebsbedingten Kündigung stellt sich ein besonderes Problem
beim unerwarteten Eintritt von wiedereinstellungsbegründenden Umständen,
deren Dauerhaftigkeit jedoch zweifelhaft ist und die deshalb die Prognose nicht
endgültig, sondern nur zeitweilig widerlegen.
Wie nachhaltig muss das unerwartete Ausbleiben des prognostizierten Wegfalls
der
Beschäftigungsmöglichkeit
sein,
um
einen
vollwertigen
Wiedereinstellungsanspruch auszulösen?
Sicher ist zunächst eines: Verzögert der Arbeitgeber die betriebliche Maßnahme
grundlos, so hat dies Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung. In
diesem Fall ist nicht davon auszugehen, dass die Organisationsentscheidung,
die
zum
Wegfall
Kündigungszeitpunkt
gegebenenfalls
der
Beschäftigungsmöglichkeit
tatsächlich
verfrüht,
der
vorlag.
Die
Arbeitgeber
führen
Kündigung
hätte
sollte,
erfolgt
einen
zum
daher
späteren
Entlassungstermin ins Auge fassen müssen. Es handelt sich um eine neue
Unternehmerentscheidung trotz zutreffender Prognose, die zur Unwirksamkeit
der Kündigung führt.1197
Eine andere Situation liegt aber dann vor, wenn die Verzögerung der
betrieblichen Maßnahme auf neu hinzutretenden äußeren Umständen beruht,
die zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht absehbar waren, z.B. bei einer
erforderlich werdenden Verzögerung der Rationalisierungsmaßnahme oder
einem Hinausschieben der geplanten Betriebsstillegung wegen eines unerwartet
1197
Siehe oben unter F.II.1.b) „Neue Unternehmerentscheidung trotz zutreffender Prognose“ auf
Seite 213.
- 487 noch abzuwickelnden Auftrags. Aus Gründen der Rechtssicherheit könnte hier
lediglich ein Anspruch auf befristete Wiedereinstellung in Betracht kommen.1198
Die Rspr. hat sich hierzu noch nicht geäußert, geht wohl aber von einer
Entweder-Oder-Lösung in dem Sinne aus, dass die Verschiebung der
Organisationsmaßnahme stets den Kündigungsgrund entfallen und einen
unbefristeten Wiedereinstellungsanspruch entstehen lässt. In diese Richtung
deutet jedenfalls die Aussage des 2. Senats, der Kündigungsgrund falle
(endgültig) weg, wenn z.B. ein plötzlich erteilter Großauftrag anstatt der
geplanten Betriebsstillegung eine Fortführung des Betriebes ermögliche.1199 In
der Praxis dürfte die unerwartete Erteilung von Aufträgen regelmäßig nur zur
befristeten Fortführung des Betriebes geeignet sein, womit sich die Frage nach
einem befristeten Wiedereinstellungsanspruch stellt.1200 Die Alternative zu einer
befristeten Wiedereinstellung bestünde entweder darin, eine Wiedereinstellung
in diesem Fall ganz abzulehnen, oder dem Arbeitgeber bei Annahme eines
unbefristeten Kontrahierungszwanges eine erneute Kündigung aufzuerlegen,
was allerdings im Hinblick auf die Länge der Kündigungsfrist, die als sozialer
Besitzstand auch dem neuen Arbeitsverhältnis eigen wäre, zum Problem werden
könnte.
Beckschulze1201 bejaht in diesem Fall einen Anspruch auf befristete
Wiedereinstellung, wenn man in dieser besonderen Situation einen sachlichen
Grund für die Befristung für gegeben hält, was nach § 14 I Nr. 1 TzBfG
problemlos möglich sein dürfte. Eine befristete Einstellung sei für den
Arbeitgeber auch nicht mit einer unzumutbare Härte verbunden, sie lohne sich
im Gegenteil, weil der bereits eingearbeitete Arbeitnehmer für die kurze
Übergangszeit aufgrund seiner Erfahrungen gegenüber einer Neueinstellung die
1198
Offengelassen von Schrader, Anm. zu BAG (2 AZR 514/99), AP Nr. 115 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung.
1199
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
1200
Beckschulze, DB 1998, 417, 419.
1201
Beckschulze, DB 1998, 417, 419.
- 488 aus wirtschaftlicher Sicht bessere Wahl sei. Schließlich sei nach der neueren
Rspr. des BAG1202 auch möglich, dem Arbeitnehmer fristgerecht zu kündigen
und gleichzeitig eine befristete Weiterbeschäftigung anzubieten, worin dann eine
Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG gesehen wird. Wenn aber die
ordentliche Kündigung in Verbindung mit einem Angebot auf befristete
Weiterbeschäftigung zugelassen wird, so müsse dem Arbeitgeber erst recht
gestattet sein, nach einer wirksamen Kündigung aufgrund veränderter Umstände
eine befristete Wiedereinstellung anzubieten.
Raab1203 führt an, bei einer nicht vorherzusehenden Verzögerung der zum
Wegfall des Arbeitsplatzes führenden betrieblichen Maßnahme müsse der
Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang haben. Der Arbeitgeber müsse über die
Art und Weise, wie er den Zwischenzeitraum überbrückt, frei disponieren
können. Eine Einschränkung lasse sich aus dem Zweck des KSchG nicht
ableiten.
Oetker1204,
der
die
Interessenwahrungspflicht
des
Arbeitgebers
für
anspruchsbegründend hält, verneint eine Pflicht zum Vertragsschluss, sobald
feststeht, dass der ursprünglich vorhandene Kündigungsgrund nach Ablauf
eines
überschaubaren
Zeitraums
wieder
vorliegt,
weil
andernfalls
die
Zumutbarkeitsgrenze auf Seiten des Arbeitgebers überschritten würde.
Es kann im Ergebnis jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sich im Verlauf
der weiteren Entwicklung herausstellt, dass zwar nicht eine Kündigung
überhaupt,
wohl
aber
die
erklärte
Kündigung
zum
maßgeblichen
Entlassungstermin verzichtbar gewesen wäre. Die kündigungsbegründende
Prognose hat zum Inhalt, dass der Arbeitnehmer bei Ablauf der Kündigungsfrist
entbehrt werden kann. Die Prognose wird vollständig widerlegt, wenn der
1202
BAG (2 AZR 609/95), DB 1996, 1780, 1780.
1203
Raab, RdA 2000, 147, 154.
1204
Oetker, ZIP 2000, 643, 650.
- 489 Arbeitsplatz zum intendierten Verwirklichungszeitpunkt zunächst erhalten bleibt
oder sich eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit herausstellt. Auf der
Basis der vom 2. Senat wohl favorisierten Alles-oder-nichts-Lösung wäre daher
die Entstehung eines unbefristeten Wiedereinstellungsanspruchs die logische
Konsequenz. Demgegenüber begründet sich die Anerkennung eines auf den
Abschluss
eines
befristeten
Arbeitsvertrages
beschränkten
Wiedereinstellungsanspruchs aus der Überlegung, dass sich bei absehbarer
erneuter
Kündigungsbefugnis
Kündigungsfrist
mit
dem
Kündigungsgrundes
nicht
Wiedereinstellungspflicht
die
bloß
zu
Notwendigkeit
zeitlich
verträgt.
bejahen,
zur
Einhaltung
beschränkten
Hier
liefe
auf
Wegfall
eine
eine
einer
des
unbefristete
überschiessende
Rechtsfolge hinaus. Das Anliegen des Kündigungsrechts aus dringenden
betrieblichen
Erfordernissen,
dem
Arbeitgeber
die
Zahlung
des
Annahmeverzugslohns zu ersparen, wenn dieser in der Lage ist, betriebliche
Veränderungen rechtzeitig vorauszusehen, würde verfehlt, wenn er auf den
Abschluss
des
neuen
Arbeitsvertrages
erneut
kündigen
und
den
Annahmeverzugslohn während eines Teils der Kündigungsfrist zahlen müsste,
obwohl gerade diese Entwicklung von ihm prognostiziert worden war.
Im
Ergebnis
ist
daher
ein
Anspruch
auf
befristete Wiedereinstellung
anzuerkennen, wenn die Widerlegung der kündigungsbegründenden Prognose
mangelnder Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ihrerseits nur zeitlich begrenzt
eintritt. Die Beweislast für die zeitliche Begrenztheit des Wegfalls des
Kündigungsgrundes trifft den Arbeitgeber.
- 490 -
J. Prozessuale Durchsetzung
I. Verhältnis
von
Kündigungsschutzklage
Wiedereinstellungsklage
und
1. Praktische Durchsetzung mittels Eventualklagehäufung
Der Anspruch auf Wiedereinstellung nach wirksamer Kündigung stellt einen
eigenen Streitgegenstand dar, der im Unterschied zur Kündigungsschutzklage
einen Leistungsantrag erforderlich macht.1205
Für seine Geltendmachung im Kündigungsschutzprozess empfiehlt sich eine
Eventualklagehäufung: Der Hauptantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der
Kündigung wird mit dem Hilfsantrag auf Verurteilung des Arbeitgebers zur
Annahme des in dem Wiedereinstellungsbegehren liegenden Angebots zum
Abschluss eines Arbeitsvertrages zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter
Anrechnung der früheren Beschäftigungsdauer verbunden (§§ 62 II ArbGG, 894
I ZPO).1206
Gleiches gilt für die Ansprüche auf Weiterbeschäftigung und Schadensersatz.
Durch Erweiterung des Klageantrags kann der Wiedereinstellungsantrag als
Hilfsantrag im Kündigungsschutzprozess auch in der Berufungsinstanz noch
gestellt
werden.1207
Zwar
Wiedereinstellungsanspruchs
nicht
setzt
die
die
Durchsetzung
des
erfolglose
Durchführung
eines
Kündigungsschutzprozesses voraus. Die Rechtswirksamkeit der Kündigung ist
1205
1206
1207
BAG (7 AZR 574/00), NZA 2002, 464, 464; so i.ü. schon Herschel, BlStSozArbR 1977, 113,
116.
Coen, AuR 1984, 319, 319; vom Stein Diss. 1989, 162; Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757;
Edenfeld, AuA 1998, 161, 164; Boewer, RdA 2001, 380, 403.
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 757.
- 491 jedoch materiellrechtliche Voraussetzung des Wiedereinstellungsanspruchs.
Durch die Eventualklagehäufung vermeidet der Arbeitnehmer, dass sich der
Arbeitgeber im Prozess auf die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung berufen
kann,
um
den
singulär
eingeklagten
Wiedereinstellungsanspruch
abzuwehren.1208 Eine solche Reaktion auf den klägerischen Vortrag müsste
nicht zwangsläufig als ein widersprüchliches Verhalten angesehen werden. Der
Arbeitnehmer tut deshalb gut daran, den Wiedereinstellungsantrag nicht allein
zu stellen.
2. Keine
Auslegung
Kündigungsschutzantrags
Wiedereinstellungsantrag
eines
als
singulären
hilfsweisen
Unklar ist, ob es neben der Kündigungsschutzklage zwingend eines solchen
Hilfsantrags bedarf.
Nach einer Ansicht ist der Antrag auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als
ein der Kündigungsschutzklage immanenter Hilfsantrag anzusehen.1209 Der
Wiedereinstellungsantrag soll nicht etwas qualitativ Anderes, sondern ein
quantitatives Weniger gegenüber dem Kündigungsschutzantrag darstellen.
Demnach wird die nach der Kündigungserklärung liegende tatsächliche
Entwicklung
im
Kündigungsschutzprozess
bis
zur
letzten
mündlichen
Verhandlung in der Tatsacheninstanz in die Betrachtung mit einbezogen und für
den Arbeitnehmer entsteht gegebenenfalls ein Anspruch auf Abgabe einer
Annahmeerklärung
des
Kündigungsschutzverfahren
1208
1209
Arbeitgebers
liegenden
zu
dem
schon
Fortsetzungsverlangen
im
des
Ziemann, MDR 1999, 716, 720 f.
Mathern, NJW 1996, 818, 820; Zwanziger, BB 1997, 42, 45 f; Meyer, BB 2000, 1032, 1032; KR
– Hillebrecht, § 626 Rn 182; KPK – Ramrath, Teil H, § 4 KSchG Rn 151.
- 492 Arbeitnehmers.1210 Der Wiedereinstellungsanspruch würde sich damit in den
Grenzen eines Kündigungsschutzverfahrens selbst exekutieren.
Nach differenzierender Auffassung kommt es für die Frage, ob der
Feststellungsantrag im Kündigungsschutzverfahren als Minus zugleich einen
Antrag auf Wiedereinstellung enthält, auf eine Auslegung des Klagebegehrens
im Einzelfall an, wobei Unklarheiten durch einen Hinweis nach § 139 I 2 ZPO
(„sachdienliche Anträge“) zu begegnen sei.1211
Schließlich
wird
angenommen,
der
Wiedereinstellungsantrag
sei
als
Leistungsantrag auf Abgabe einer Willenserklärung generell nicht im auf
Feststellung
gerichteten
Kündigungsschutzantrag
enthalten,
womit
ein
ausdrücklicher Hilfsantrag erforderlich wird.1212
Wenn jede Kündigungsschutzklage gleichsam eine hilfsweise Klage auf
Wiedereinstellung
beinhalten
sollte,
dann
würde
ein
möglicher
Wiedereinstellungsanspruch stets Prozessgegenstand, andernfalls nur in den
(vernünftigerweise seltenen) Fällen eines ausdrücklichen Antrags. Es ginge
daher im Kündigungsschutzprozess von vornherein auch um die weitere
Entwicklung
nach
Ausspruch
der
Kündigung.
Die
Einbeziehung
des
Wiedereinstellungsanspruchs in den Kündigungsrechtsstreit verträgt sich jedoch
nicht mit dem schutzwürdigen Vertrauen des Arbeitgebers des Inhalts, dass das
Arbeitsgericht die wirksame Kündigung auch als solche behandelt, der
Kündigungsschutzklage also nicht stattgibt.1213
1210
Mathern, NJW 1996, 818, 821.
1211
Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 758.
1212
1213
BAG (7 AZR 574/00), NZA 2002, 464, 464; Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE §
611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1; vom Stein, RdA 1991, 85, 86; Busch, MDR 1995, 217,
222 f; Belling, RdA 1996, 223, 240; Walker, SAE 1998, 103, 103; Kleinebrink, FA 1999, 138,
141; Oetker, ZIP 2000, 643, 652.
So auch Preis, Anm. zu LAG Köln (4/2 Sa 860/88), LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr.
1; Walker, SAE 1997, 103, 103.
- 493 Die Frage darf andererseits nach der Verfestigung des Instituts durch die
höchstrichterliche Rspr. nicht überbewertet werden. Wenn Umstände eintreten,
die auch unter dem strengen Maßstab der sachlichen und zeitlichen Grenzen
des Anspruchs die Anforderungen an eine Anspruchsentstehung erfüllen, wird
zumindest im Wege der sachdienlichen Klageänderung bzw. nachträglichen
Anspruchshäufung
(§§
260,
263
ZPO)1214
mit
einem
ausdrücklichen
Wiedereinstellungsantrag zu rechnen sein. Zudem hat das Gericht nach § 139 I
2 ZPO auf die Notwendigkeit einer eigenständigen Wiedereinstellungsklage
gegebenenfalls hinzuweisen, wenn ein auf die Geltendmachung nachträglicher
Umstände gerichteter Wille des Klägers erkennbar ist.1215
Die gegen den Arbeitgeber gerichtete Leistungsklage, den Arbeitnehmer wieder
einzustellen,
also
eine
auf
einen
neuen
Vertragsschluss
gerichtete
Willenserklärung abzugeben, ist gegenüber der Feststellung der Unwirksamkeit
der
Kündigung
ein
Aliud.1216
Man
wird
deshalb
aus
Gründen
der
Selbstständigkeit und Verschiedenheit der Klageanträge dem Arbeitnehmer die
Stellung eines eigenständigen Wiedereinstellungsantrags auferlegen müssen.
1214
1215
1216
Es liegt dann keine bloße Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO vor. Eine solche ist zwar bei
Übergang von einer Feststellungs- zur Leistungsklage oder umgekehrt grundsätzlich möglich.
Es handelt sich jedoch um eine Klageänderung bzw. nachträgliche Anspruchshäufung nach §§
260, 263 ZPO, wenn ein weiterer selbstständiger prozessualer Anspruch geltend gemacht wird
(Thomas/Putzo ZPO – Thomas, § 264 Rn 4 m.w.N.; Knöringer ZPO, S. 144). Eine
sachdienliche Klageänderung liegt vor, wenn der bisherige Streitstoff eine verwertbare
Entscheidungsgrundlage bleibt und die Zulassung die endgültige Beilegung des Streits fördert
und einen neuen Prozess vermeidet (Thomas/Putzo ZPO – Thomas, § 263 Rn 8 m.w.N.). So
liegt es, wenn sich im Kündigungsschutzprozess der Kläger auf die weitere Entwicklung nach
Ausspruch der Kündigung beruft.
Busch, MDR 1995, 217, 223.
LAG Hessen (2 Sa 1274/92), LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4; Preis
Prinzipien, S. 349; Busch, MDR 1995, 217, 223.
- 494 -
II. Klageantrag
1. Von der Rspr. akzeptierte Antragsformulierungen
Bereits
im
tatsächlichen Wiedereinstellungsverlangen ist
ein
zumindest
konkludentes Angebot auf den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu
sehen.1217 Das vom Arbeitgeber verlangte Tun besteht in der Abgabe einer
Annahmeerklärung auf dieses Angebot. Einigkeit besteht darüber, dass der
Arbeitnehmer den Anspruch auf Zustimmung zu seinem Angebot mit einer auf
Abgabe einer Willenserklärung gerichteten Leistungsklage i.S.v. § 894 I 1 ZPO
durchsetzen kann.1218 Unklar bleibt allerdings, welche Antragsfassungen im
einzelnen zu akzeptieren sind:
In der Entscheidung vom 06.08.1997 ließ der 7. Senat1219 genügen, dass der
Antrag des Klägers auf Verurteilung der Beklagten gerichtet war, ihn als Fahrer
einzustellen. Es soll sich dabei um einen zulässigen Leistungsantrag auf die
Abgabe der nötigen Annahmeerklärung des Arbeitgebers handeln, die mit
Rechtskraft des stattgebenden Urteils als abgegeben gelte.
Auch der Klageantrag in der Entscheidung des 2. Senats vom 04.12.19971220,
die
Beklagte
zu
verurteilen,
das
Angebot
des
Klägers
auf
seine
Wiedereinstellung zu den bisherigen Bedingungen unter Anrechnung der
bisherigen Tätigkeitszeit anzunehmen, wurde als ausreichend angesehen. In
dem Urteil vom 27.02.1997 akzeptierte der 2. Senat1221 sogar einen
Feststellungsantrag
1217
1218
auf
Weiterbeschäftigung.
Einem
solchen
auf
die
Raab, RdA 2000, 147, 158.
BAG (7 AZR 557/96), AP Nr 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = NZA 1998, 254, 254;
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 702; Nägele, BB 1998, 1686, 1689; Boewer, NZA 1999,
1177, 1182.
1219
BAG (7 AZR 557/96), NZA 1998, 254, 255.
1220
BAG (2 AZR 140/97), NZA 1998, 701, 702.
1221
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
- 495 Feststellung gerichteten Antrag, „dass der Beklagte zum Zeitpunkt der
Betriebsübernahme... verpflichtet war, sie (die Klägerin) auf der Grundlage der
bisherigen
Vertragsbedingungen
auch
über
den...
hinaus
weiter
zu
beschäftigen“, fehle es nicht an dem nach § 256 I HS 2 ZPO erforderlichen
Feststellungsinteresse, etwa weil sich das Klageziel der Wiedereinstellung
wirksam auch durch eine Leistungsklage auf Abgabe einer Willenserklärung
hätte erreichen lassen. Vielmehr entspreche ein solcher Feststellungsantrag
jedenfalls der Prozessökonomie. Von diesem Klageantrag sei neben der
Wirksamkeit der Kündigung auch ein Anspruch auf Wiederbegründung der
vertraglichen Hauptpflichten umfasst. Es sei zu erwarten, dass schon auf ein
Feststellungsurteil hin der Streit der Parteien über die Wirksamkeit der
Kündigung und einen etwaigen Anspruch der Klägerin auf Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bzw. auf Wiedereinstellung endgültig erledigt sei. Der
Arbeitnehmer könne jedenfalls sogleich auf Erfüllung der Hauptpflichten aus
dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis, also auf Weiterbeschäftigung klagen,
wenn er einen Wiedereinstellungsanspruch erhoben und der Arbeitgeber die
Abgabe der entsprechenden Willenserklärung verweigert hat, weil der
Arbeitgeber sich nach Treu und Glauben nicht auf das eigene pflichtwidrige
Verhalten berufen und den Arbeitnehmer auf den Umweg einer Vollstreckung
nach § 894 ZPO verweisen könne.
2. Zulässigkeit eines unmittelbar auf tatsächliche
Beschäftigung gerichteten Leistungsantrags?
Vor dem Hintergrund des bereits in Form eines vertraglichen Angebots beim
Arbeitgeber geltend gemachten Wiedereinstellungsanspruchs könnte man es für
ausreichend halten, wenn die prozessuale Durchsetzung allein mittels einer
Klage auf tatsächliche Beschäftigung betrieben wird, also auf die Rechtsfolgen
des erst noch zu begründenden neuen Vertragsverhältnisses.1222 Das
1222
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 757; Hinrichs, AiB 1997, 615, 615.
- 496 Bestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs wäre demnach als Vorfrage
Gegenstand gerichtlicher Prüfung.
a) Verneinende Auffassung – Keine Fiktion der tatsächlichen
Beschäftigung durch § 894 ZPO, Vollstreckung nach § 888
ZPO
Die Annahmeerklärung des Arbeitgebers gilt als abgegeben, wenn das Urteil
Rechtskraft erlangt hat. Die rechtskräftige Verurteilung ersetzt den gesamten
Tatbestand der Abgabe der Willenserklärung, so dass die Fiktion sämtliche
Rechtsfolgen umfasst, die eine wirksame Willenserklärung des Schuldners mit
entsprechendem Inhalt im maßgeblichen Zeitpunkt hätte.1223
Die gesetzliche Fiktion ersetzt aber aus rechtstechnischer Sicht nicht mehr als
die Abgabe der arbeitgeberseitigen Annahmeerklärung zum Vertragsangebot
des Arbeitnehmers. Die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers wird
durch § 894 ZPO dagegen nicht fingiert. Die Vornahme derartiger Handlungen
des Arbeitgebers ist grundsätzlich besonders einzuklagen und nach § 888 ZPO
zu vollstrecken.1224
Daher werden Bedenken geäußert gegen die Annahme des 2. Senats, der
Arbeitnehmer könne sofort auf tatsächliche Weiterbeschäftigung, also auf
Erfüllung der Hauptpflichten aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis,
klagen.1225
So
hat
mittlerweile
auch
der
7.
Senat
festgestellt,
ein
erforderlichenfalls nach § 888 I ZPO zu vollstreckender Anspruch auf
tatsächliche Beschäftigung sei etwas anderes als ein nach § 894 ZPO zu
vollstreckender Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung.1226 Entscheidend
sei, dass es sich um unterschiedliche Streitgegenstände handele. Signalisiere
1223
Boewer, NZA 1999, 1177, 1184.
1224
Boewer, RdA 2001, 380, 403.
1225
Ricken, Anm. zu BAG (7 AZR 662/99), AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.
1226
BAG (7 AZR 574/00), NZA 2002, 464, 464.
- 497 daher der Arbeitgeber während der prozessualen Auseinandersetzung um den
Wiedereinstellungsanspruch,
den
Vollzug
des
nach
§
894
ZPO
zu
begründenden Arbeitsverhältnisses zu konterkarieren, so müsse die Klage auf
Annahme des Angebots zum Abschluss eines Arbeitsvertrages um einen
Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers auf der Grundlage des nach
Rechtskraft durch die Fiktion des § 894 I ZPO zustande gekommenen
Fortsetzungsvertrages erweitert werden.1227
b) Bejahende Auffassung – Parallele zum kaufrechtlichen
Gewährleistungsrecht und zum Vorvertrag
Die Gegenauffassung hält im Anschluss an die Entscheidung des 2. Senats vom
27.02.1997 jedenfalls einen unmittelbar auf die Erfüllung der Hauptpflichten, also
auf (Weiter-)Beschäftigung gerichteten Leistungsantrag für zulässig. Der Kläger
sei nicht verpflichtet, zunächst auf Wiedereinstellung und erst anschließend auf
Weiterbeschäftigung zu klagen.1228
Der Vorteil einer Klage direkt auf Weiterbeschäftigung besteht für den
Arbeitnehmer vor allem darin, dass er ein obsiegendes Urteil vorläufig
vollstrecken kann.1229
Meinel/Bauer1230
sehen
hier
eine
Parallele
zum
kaufrechtlichen
Gewährleistungsrecht gemäß § 465 BGB a.F., der dem Wortlaut des Gesetzes
nach auf die Erklärung des Einverständnisses des Verkäufers mit dem
Wandlungsvertrag gerichtet ist.1231 Demnach wäre es nur konsequent, den
Käufer zunächst auf die Fiktion des Einverständnisses nach § 894 ZPO und
1227
1228
Boewer, NZA 1999, 1177, 1182.
LAG Hamm (19 Sa 658/99), BB 2000, 308, 308 f; Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 581; Oetker,
ZIP 2000, 643, 652.
1229
Oetker, ZIP 2000, 643, 652.
1230
Meinel/Bauer, NZA 1999, 575, 581.
1231
Staudinger – Honsell, § 465 BGB Rn 3f.
- 498 danach in einem zweiten Schritt auf Rückzahlung des Kaufpreise klagen zu
lassen. So wie die nahezu einhellige Meinung zwar an der vertraglichen
Konstruktion der Wandlung festhalte, aber dennoch eine Klage sogleich auf
Rückzahlung des Kaufpreises zulasse1232, sei es auch kein Widerspruch,
einerseits als Anspruchsinhalt die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses
anzusehen und andererseits gleichwohl sofort die Klage auf Erfüllung der
Hauptleistungspflichten aus dem erst zu begründenden Arbeitsverhältnis zu
ermöglichen.
Oetker1233
weist ergänzend auf die Rspr. zum Vorvertrag hin, nach der
anerkannt ist, dass die Klage auf den Vertragsschluss mit einer Klage auf die
Leistung nach dem Hauptvertrag verbunden werden kann.1234 Ausnahmsweise
ist der Berechtigte beim Vorvertrag sogar befugt, die geschuldete Leistung ohne
gleichzeitige Klage auf den Vertragsschluss zu fordern.1235 Diese Rspr. sei
jedoch nicht ohne weiteres auf das arbeitsrechtliche Dauerschuldverhältnis
übertragbar.
Statt
dessen
wird
vorgeschlagen,
dem
Arbeitnehmer
die
Möglichkeit der selbstständigen Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs
deshalb zu geben, weil sich die arbeitgeberseitige Interessenwahrungspflicht,
die Oetker für anspruchsbegründend hält, nicht nur auf den Vertragsschluss,
sondern unabhängig davon auch auf tatsächliche Beschäftigung richte. Stelle
der Arbeitnehmer allein einen Antrag auf tatsächliche Beschäftigung, so sei das
Urteil diesbezüglich vorläufig vollstreckbar (§ 62 I 1 ArbGG).
c) Stellungnahme
Mit
einem
unmittelbar
auf
tatsächliche
Beschäftigung
gerichteten
Leistungsantrag könnte der Arbeitnehmer die rechtlichen Umstände klären
1232
Palandt – Putzo, § 465 BGB Rn 5f m.w.N.
1233
Oetker, ZIP 2000, 643, 652.
1234
BGH (V ZR 212/84), BGHZ 98, 130, 134.
1235
BGH (V ZR 42/70), NJW 1972, 1189, 1190 f.
- 499 lassen, aus denen sich die Weiterbeschäftigungspflicht im Einzelfall ergibt. Das
könnte anstelle der Unwirksamkeit der Kündigung auch ein Anspruch auf
Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten sein. Dementsprechend
könnte man die Notwendigkeit eines zusätzlichen Leistungsantrags auf
Beschäftigung im Anschluss an ein rechtskräftiges Urteil gemäß § 894 I ZPO als
bloße Förmelei ansehen, die einen effektiven Rechtsschutz nur erschweren
würde.
Eine solche Sichtweise ginge jedoch zu weit. Es besteht auch keine
Notwendigkeit,
die
Wiedereinstellungsanspruchs
rechtstechnische
als
bloßen
Anspruch
Grundlage
auf
Abgabe
des
einer
Willenserklärung zu verlassen.
Bezogen auf die neue nach dem Wegfall des Kündigungsgrundes entstandene
Situation erklärt der Arbeitgeber mit der Verweigerung einer Wiedereinstellung,
dass er nicht gewillt ist, das Angebot des Arbeitnehmers auf Arbeitsleistung
anzunehmen (entspr. § 295 Alt. 1 BGB). Zu diesem Zeitpunkt besteht aber der
neue Arbeitsvertrag noch nicht, der überhaupt erst die Grundlage für die
Leistungspflicht des Arbeitnehmers schafft, weshalb ein Anspruch auf den
Annahmeverzugslohn erst an den mit der Rechtskraft des Urteils zustande
kommenden Vertrag anknüpfen kann. Vor der Fiktion der Annahmeerklärung
gemäß § 894 I ZPO besteht aber wie erörtert ein Anspruch auf den Ersatz des
Verzögerungsschadens. Im Anschluss daran kann wiederum § 615 BGB
eingreifen.
Bietet der Arbeitnehmer auf die Rechtskraft des Urteils seine Arbeitskraft an, so
befindet er sich von da an bei Annahmeverzug des Arbeitgebers in der
Anspruchssituation des § 615 BGB, ohne dass es einer weiteren Klage bedarf.
Daher besteht auch keine Notwendigkeit, die nach der früheren Rspr. zur
Wandlung oder zum Vorvertrag anerkannten Ausnahmeregeln auf den
Wiedereinstellungsanspruch zu übertragen.
Um nach Rechtskraft des Urteils einen Annahmeverzug im Sinne der §§ 615,
293 ff BGB eintreten zu lassen, könnte ein wörtliches Angebot gemäß § 295
BGB ausreichend sein oder sogar nach § 296 BGB ein Angebot als entbehrlich
angesehen werden.
- 500 Man könnte dem Arbeitnehmer daher ein tatsächliches Angebot im Sinne vom §
294 BGB abverlangen. Dann wäre eine persönliche Vorstellung im Betrieb
erforderlich.
Eine
andere
Möglichkeit
Vollstreckungswirkung
bestünde
indes
beruhenden1236
darin,
Fiktion
nach
einer
der
Abgabe
auf
der
einer
Annahmeerklärung gemäß § 894 I 1 ZPO die Regeln anzuwenden, die auch
gelten, wenn sich der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer sozialwidrigen
ordentlichen
Kündigung
(bei
gleichzeitiger
Erhebung
der
Kündigungsschutzklage) an den Arbeitgeber wendet, um seine Pflichten aus
dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu erfüllen.
Hierfür gilt folgendes:
Das BAG sieht den Arbeitgeber hinsichtlich der zu bewirkenden Dienstleistung
als zur Mitwirkung verpflichtet an. Er hat dem Arbeitnehmer demnach in
Ausübung seines Direktionsrechts dauerhaft Aufgaben zuzuweisen1237, und
zwar im Sinne einer bestimmten Mitwirkungshandlung.1238 Diese Sichtweise
eröffnet die Anwendung des § 295 S. 1 Alt. 2 BGB, wonach für die Begründung
des Annahmeverzugs ein wörtliches Angebot des Schuldners ausreicht. Dieses
Angebot soll nach § 296 S. 1 BGB gleichwohl entbehrlich sein, wenn der
Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mitteilt (durch die Kündigung), dass er von einer
Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeht und ihm nach Erhebung der
Kündigungsschutzklage1239 nicht wieder eine Aufgabe im Rahmen des alten
Arbeitsvertrages zuweist. Der Arbeitgeber gerät so ohne weiteres nach § 296 S.
1236
Thomas/Putzo ZPO – Putzo, § 894 Rn 1.
1237
LAG Köln (5 Sa 250/93), LAGE § 615 BGB Nr. 35
1238
BAG (2 AZR 374/83), NJW 1985, 935, 935; BAG (2 AZR 201/84), NJW 1985, 2662, 2662 f.
1239
Warschkow, AiB 2001, 184, 185.
- 501 1 BGB in Verzug, ohne dass es also eines wörtlichen Angebots des Schuldners
bedarf.1240
Nun darf der Arbeitnehmer im Anschluss an einen rechtskräftig entschiedenen
Wiedereinstellungsrechtsstreit nicht schlechter stehen als nach einer in der
Schwebe befindlichen Kündigung, deren Unwirksamkeit erst noch in einem
anhängigen Kündigungsrechtsstreit festgestellt werden muss. In beiden Fällen
besteht ein Arbeitsverhältnis (noch bzw. wieder). Wenn man den Arbeitgeber
also im Anschluss an eine rechtsunwirksame Kündigung und die Erhebung einer
Kündigungsschutzklage für verpflichtet hält, dem Arbeitnehmer Aufgaben
zuzuweisen, dann gilt das einmal mehr nach rechtskräftiger Entscheidung des
Wiedereinstellungsrechtsstreits.
Denn
anders
als
beim
Streit
um
die
Rechtswirksamkeit einer Kündigung steht nach Rechtskraft des Urteils das
Bestehen eines Arbeitsvertrages für die Zukunft verbindlich fest.
Der Arbeitgeber ist hier wie auch im Kündigungsschutzprozess verpflichtet, im
Rahmen seines Direktionsrechts Aufgaben zuzuweisen, um die Rechtsfolge des
§ 615 BGB abzuwenden. Der Arbeitgeber kommt also im Anschluss an die
Rechtskraft des Urteils ohne weiteres in Verzug, so dass ein Anspruch nach §
615 BGB von selbst entsteht.
Im
Verzugsfall
kommt
auch
die
Anrechnung
böswillig
unterlassenen
Zwischenverdienstes gemäß § 615 S. 2 Alt. 3 BGB regelmäßig nicht in Betracht.
Der Arbeitnehmer braucht nämlich nicht von sich aus aktiv zu werden, wie die
Rspr. des 9. Senats1241 zu den Vorschriften der §§ 11 Nr. 2 KSchG und 615 S.
2 BGB zeigt: Nach § 11 Nr. 2 KSchG muss der Arbeitnehmer es unterlassen
haben, eine Arbeit "anzunehmen". Die "Annahme" einer Arbeit sei aber
regelmäßig nur möglich, wenn sie zuvor angeboten worden sei. Das bedürfe
1240
1241
BAG (2 AZR 457/75), EzA § 103 BetrVG Nr. 17; BAG (2 AZR 34/86), EzA § 615 BGB Nr. 53;
Waas NZA 1994, 151, 152; Kittner/Däubler/Zwanziger - Trittin § 615 Rn 9
BAG (9 AZR 194/99), NZA 2000, 817, 817 f = ZIP 2000, 1504, 1504 f = DB 2000, 2021, 2021 =
BB 2000, 1410, 1410 f = AiB 2001, 183, 183 f = AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969.
- 502 einer entsprechenden Erklärung des Arbeitgebers, wenn er selbst über eine
solche Beschäftigungsmöglichkeit verfüge. Nicht anders verhalte es sich mit
dem inhaltlich vergleichbaren § 615 Satz 2 BGB. Die Vorschriften über die
Anrechnung des vom Arbeitnehmer hypothetisch erzielbaren Verdienstes sollen
den Arbeitgeber davor schützen, dass der Arbeitnehmer auf seine Kosten
vorsätzlich Verdienstmöglichkeiten außer Acht lasse. Sie schützten den
Arbeitgeber aber nicht vor den Folgen eigener Untätigkeit. Soweit der
Arbeitgeber
selbst
in
der
Lage
sei,
die
finanziellen
Folgen
seines
Annahmeverzugs zu mildern, obliege es ihm, die hierfür erforderlichen
Handlungen vorzunehmen.1242
Nach allem ist also ein Beschäftigungsantrag dort unbegründet, wo ein
Arbeitsverhältnis erst noch zustande kommen muss, denn er enthält keinen
Antrag auf Abgabe einer Willenserklärung, dessen Fiktion überhaupt erst die
Grundlage für eine tatsächliche Beschäftigung schafft. Das folgt aus der
Verschiedenheit der Klagegegenstände, denn ein erforderlichenfalls nach § 888
I ZPO zu vollstreckender Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung ist eben
etwas anderes als ein nach § 894 I ZPO zu vollstreckender Anspruch auf die
Abgabe einer Willenserklärung.1243 Das insoweit bestehende Stufenverhältnis
macht eine sukzessive Durchsetzung erforderlich.
Stellt der Arbeitnehmer gleichwohl einen Beschäftigungsantrag, so ist dieser
nach allgemeinen Regeln auszulegen (§ 133 BGB). Wird der Antrag als
Hilfsantrag zusammen mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt, so kann er
sinnvoll als hilfsweises über das Gericht dem Arbeitgeber unterbreitetes Angebot
auf den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages ausgelegt werden, wenn sich
der Kläger zumindest unter anderem auf erst nach der Kündigung eingetretene
Umstände beruft.
1242
So auch Schirge, Anm. zu BAG (9 AZR 194/99), AP Nr. 2 zu § 11 KSchG 1969.
1243
BAG (7 AZR 574/00), NZA 2002, 464, 464.
- 503 -
3. Kein Kündigungsbeseitigungsanspruch
Ziemann1244
will
die
Neubegründung
eines
Arbeitsverhältnisses
(Wiedereinstellungsanspruch) von der Fortsetzung des zunächst wirksam
beendeten Arbeitsverhältnisses („Fortsetzungsanspruch“ auf Beseitigung der
Kündigungsfolgen) differenzieren.
a) Privatautonome Vereinbarung über die Aufhebung der
Kündigungsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit
Den Parteien wird das Recht zugestanden, die durch die Kündigung erzielte
Rechtsgestaltung wieder rückgängig zu machen. In der Konsequenz soll sich
eine ununterbrochene Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach wirksamer
Kündigung durch die einvernehmliche Rücknahme der Kündigung erreichen
lassen.1245 Dies ist auch im Arbeitsrecht nichts neues. Wer eine Kündigung
erklärt,
kann
deren
Gestaltungswirkung
nicht
einseitig
durch
eine
Rücknahmeerklärung wieder beseitigen. In einer solchen Rücknahmeerklärung
wird aber ein Angebot gesehen, das alte Arbeitsverhältnis ungeachtet der
Kündigungswirkungen fortzusetzen. Ist die Kündigungsfrist bereits abgelaufen,
geschieht die einvernehmliche Beseitigung der Gestaltungswirkung der
Kündigungserklärung mit rückwirkender Kraft.1246 Die Parteien fingieren also
über eine vertragliche Abrede die Unwirksamkeit der Kündigung. Dafür mag es
gute Gründe geben, wenn man eine Auseinandersetzung über die Wirksamkeit
der
Kündigung
oder
um
die
Voraussetzungen
eines
Anspruchs
auf
Wiedereinstellung vermeiden will. Kraft Privatautonomie können die Parteien
grundsätzlich vereinbaren, was sie wollen, also auch die rückwirkende
Beseitigung der Kündigungsfolgen.
1244
Ziemann, MDR 1999, 716, 719.
1245
Hierzu konstruktiv Schwerdtner, ZIP 1982, 639, 639 ff.
1246
Ziemann, MDR 1999, 716, 720; KR – Friedrich, § 4 KSchG Rn 54.
- 504 -
b) Anerkennung der Voraussetzungen des Annahmeverzugs
i.S.v. § 615 BGB
Für die Schwebezeit soll dann folgerichtig ein Anspruch auf Zahlung des
Annahmeverzugslohns aus § 615 BGB unabhängig davon entstehen, ob die
Kündigung wirksam war oder nicht, denn auf diese Prüfung habe der
Arbeitgeber
gerade
verzichtet.1247
Mehr
noch:
Es
sei
aufgrund
der
Vereinbarung der Parteien, die insoweit allein dispositionsbefugt seien, davon
auszugehen, dass der Arbeitgeber mit der „Rücknahme“ der Kündigung bei
fehlendem Vorbehalt zugleich auch die Voraussetzungen des Annahmeverzugs
anerkenne.1248
c) Kündigungsbeseitigungsanspruch auf die Annahme eines
arbeitnehmerseitigen Angebots auf Aufhebung der
Kündigungswirkungen
Nun wird sich der Arbeitgeber ohne Not auf eine solche Vereinbarung nicht
einlassen, muss also dazu verurteilt werden. Mit der Möglichkeit einer
privatautonomen vertraglichen Regelung dieses Inhalts soll nun nach Ziemann
ein entsprechendes Klagerecht des Arbeitnehmers korrespondieren.
Der Arbeitnehmer dürfe den (im noch bestehenden Arbeitsverhältnis geltend
gemachten)
Kündigungsbeseitigungsanspruch
durch
den
Antrag
zum
Gegenstand eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens machen, den Arbeitgeber zu
verurteilen,
sein
Angebot
auf
einvernehmliche
Aufhebung
der
Kündigungswirkungen anzunehmen.1249 Der Grund wird darin gesehen, dass
1247
Schwerdtner, ZIP 1982, 639, 641.
1248
Ziemann, MDR 1999, 716, 720.
1249
Ziemann bezeichnet diesen Anspruch als Fortsetzungsanspruch, weil er auf die Fortsetzung
des bisherigen Arbeitsverhältnisses unter Beibehaltung des bisherigen Arbeitsvertrages
gerichtet sein soll. Das trägt allerdings wenig zur begrifflichen Erhellung bei, da der Begriff des
Fortsetzungsanspruchs ohnehin schon mehrdeutig verwendet wird (siehe oben unter A.V
„Begrifflichkeiten“ auf Seite 15). Daher wird er vorliegend als Kündigungsbeseitungsanspruch
bezeichnet.
- 505 für den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages kein Bedürfnis bestehe, wenn
doch der Arbeitgeber ohnehin zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
verpflichtet sei bzw. gewesen wäre, weil er dem arbeitnehmerseitigen Verlangen
auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Kündigungsfrist hätte
nachgeben müssen.
Es soll demnach auch nicht darauf ankommen, wann die Rechtskraft des Urteils
gemäß § 894 I 1 ZPO eintritt. Denn es macht im Ergebnis keinen Unterschied,
wann
die
Nichtexistenz
der
Kündigung
fingiert
wird.
Die
fingierte
Willenserklärung selbst führt ihrem Inhalt nach zur Rückwirkung, nicht erst das
Urteil, das eine solche Wirkung nicht haben könnte.
In der Konsequenz kommt es nicht mehr darauf an, wie viel Zeit nach Ablauf der
Kündigungsfrist bis zu einem rechtskräftigen Urteil verstreicht. Für diese Zeit
besteht jedenfalls der Annahmeverzugslohnanspruch. Eine Schwebezeit, für die
Sekundäransprüche zu prüfen wären, soll folglich nicht bestehen.
d) Zulässigkeit eines Leistungsantrags auf Beschäftigung zur
Durchsetzung des Kündigungsbeseitigungsanspruchs
Die Durchsetzung eines so verstandenen Kündigungsbeseitigungsanspruchs sei
nicht nur über die Klage auf Zustimmung zu einer Aufhebungsvereinbarung zu
erzielen, durch die die Parteien die Rechtsfolgen der wirksamen Kündigung
nachträglich aufheben könnten. Zur Verfolgung dieses Anspruchs sei auch ein
Klageantrag auf Weiterbeschäftigung zulässig, denn der Anspruch auf
Weiterbeschäftigung habe seine Grundlage, ebenso wie der Anspruch auf
Aufhebung der Kündigungswirkungen, im beendeten Arbeitsverhältnis selbst.
Ein auf tatsächliche Beschäftigung gerichteter Leistungsantrag führe lediglich
dann
nicht
weiter,
wenn
es
um
die
Begründung
eines
neuen
Arbeitsverhältnisses gehe, also um die Wiedereinstellung im engeren Sinne. Für
die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses soll aber ein Bedürfnis nur
bestehen, wenn das Wiedereinstellungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber
erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erklärt wird.
- 506 -
e) Abgrenzung zum Wiedereinstellungsanspruch
Auch nach dieser Sichtweise ist ein Wiedereinstellungsanspruch nicht gänzlich
entbehrlich, sondern als weniger weit gehender Anspruch subsidiär.
Während Ziemann1250 den Kündigungsbeseitigungsanspruch auf die Fälle
begrenzen will, in denen es dem Arbeitnehmer gelingt, noch vor Ablauf der
Kündigungsfrist
den
Anspruch
durch
ein
tatsächliches
Angebot
auf
Arbeitsleistung geltend zu machen, bestünde eine weitergehende von
Berkowsky1251
vertretene
Möglichkeit
darin,
den
Kündigungsbeseitigungsanspruch während laufender Kündigungsfrist entstehen
lassen, also darauf abzustellen, ob die kündigungsbegründende Prognose noch
vor Ablauf der Kündigungsfrist widerlegt wird. Nach dem jeweils maßgeblichen
Zeitpunkt könnte nur noch ein Wiedereinstellungsanspruch auf den Abschluss
eines neuen Arbeitsvertrages entstehen.
Schließlich nimmt Raab1252 an, zumindest in dem Fall, dass der Arbeitgeber
das in dem Fortsetzungsverlangen des Arbeitnehmers liegende Angebot vor
Ablauf der Kündigungsfrist auch annimmt, sei es gekünstelt, anzunehmen, dass
das alte Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ende und ein
neues Arbeitsverhältnis begründet werde. Vielmehr bleibe das Arbeitsverhältnis
als Schuldverhältnis im weiteren Sinne bestehen. Die Rechtsfolgen seien
dieselben wie bei einer „Rücknahme“ der Kündigung. Es gelte daher, was auch
für
eine
Änderungskündigung
gilt,
wenn
der
Arbeitnehmer
das
Änderungsangebot annimmt.
Damit bleibt indes offen, ob auch ein rechtlicher Anspruch auf eben diese
einvernehmliche Aufhebung der Kündigung bestehen soll oder nicht.
1250
Ziemann, MDR 1999, 716, 719 f.
1251
MünchArbR II – Berkowsky, § 130 Rn 93.
1252
Raab, RdA 2000, 147, 157.
- 507 -
f)
Stellungnahme – Kündigungsbeseitigungsanspruch nicht
begründbar
(1) Aushöhlung der Gestaltungswirkung der Kündigung
Ein Kündigungsbeseitigungsanspruch ist mit dem geltenden Recht indes nicht
zu vereinbaren. Die Kündigung ist als Gestaltungserklärung unwiderruflich.1253
Sie macht aus einem Rechtsverhältnis ein solches anderer Art. Nun ist eine
einvernehmliche
Aufhebung
von
Kündigungswirkungen
solange
unproblematisch, wie sie wirklich einvernehmlich und privatautonom zwischen
den Parteien vereinbart wird. Erkennt man aber einen hierauf gerichteten
Anspruch einer Vertragspartei an, dann hat das mit der Ausgangsüberlegung
der privatautonomen Gestaltungsfreiheit nichts mehr zu tun.
Durch die Hintertür eines Kündigungsbeseitigungsanspruchs würde die
Wirksamkeit der Kündigung doch wieder den Unwägbarkeiten der weiteren
Entwicklung preisgegeben. Die Wirkungen wären die gleichen wie bei der
eingangs aufgegriffenen Behauptung, der Arbeitgeber dürfe sich auf eine
wirksame Kündigung nach Widerlegung der ihr zugrunde liegenden Prognose
nicht
mehr
berufen,
ansonsten
setze
er
sich
dem
Vorwurf
des
Rechtsmissbrauchs aus.1254
Letztlich wird die Privatautonomie instrumentalisiert, um Wirkungen zu erzielen,
die mit dem Gesetz nicht vereinbar sind. Fingiert wird durch das rechtskräftige
Urteil nicht mehr nur eine Willenserklärung auf die Rückkehr zu den
Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses, sondern zugleich noch der Wille des
Arbeitgebers, sich auch für die Vergangenheit binden und den Arbeitnehmer von
1253
BAG (2 AZR 159/93), NZA 1994, 70, 71; Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 4 Rn 27
m.w.N.
a)
1254
Siehe oben unter B.I.3.c) „Alternative
Überlegungen
Rechtsmissbrauch bei Berufung auf die wirksame Kündigung“ auf Seite 35.
- 508 den Unwägbarkeiten des Prozessverlaufs freistellen zu wollen. Je länger der
Rechtsstreit dauert, desto größer wird damit das Risiko für den Arbeitgeber,
einem
in
seinem
Umfang
nicht
mehr
kalkulierbaren
Annahmeverzugslohnanspruch ausgesetzt zu sein. Um dem zu entgehen,
müsste er schon präventiv dem Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung
anbieten. Weder die Wirksamkeit der Kündigung noch etwaige Unklarheiten
über den Wegfall des Kündigungsgrundes könnten daran etwas ändern. Das
Anliegen, die Kündigung ungeschehen machen zu wollen, verträgt sich überdies
nicht mit der Funktion des Wiedereinstellungsanspruchs, durch den ein
faktischer Mittelweg zwischen Kündigungswirksamkeit und –unwirksamkeit
beschritten
werden
soll.
Ein
Kündigungsbeseitigungsanspruch
erscheint
demgegenüber als überschiessende Rechtsfolge.1255
(2) Verstoß gegen die Ex-Nunc-Wirkung einer
Gestaltungsklage nach § 894 I 1 ZPO
Auch ein Verstoß gegen die Ex-Nunc-Wirkung der Gestaltungsklage nach § 894
I 1 ZPO liegt nur bei oberflächlicher rein rechtstechnischer Betrachtung nicht vor.
Faktisch
macht
es
keinen
Unterschied,
ob
man
rückwirkend
das
Zustandekommen eines Vertragsverhältnisses fingiert, oder mit Wirkung für die
Zukunft einen Vertrag fingiert, nach dem sich der Arbeitgeber behandeln lassen
muss, als sei eine Rückwirkung eingetreten.
Der Wiedereinstellungsanspruch leistet letztlich eine Feinabstimmung für die
Risikoverteilung
im
Kündigungsschutzrecht
hinsichtlich
dessen
Prognoseelement. Damit unvereinbar sind Konstruktionen, die auf eine
umfassende „als-ob“-Betrachtung in dem Sinne hinauslaufen, dass die
gesetzliche Risikoverteilung zulasten einer Partei mit einer angeblichen
Pflichtenstellung der anderen Partei zur umfassenden Schadloshaltung
umgangen wird.
1255
Ebenfalls ablehnend Kort, SAE 2001, 131, 131 f.
- 509 An der Erforderlichkeit der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses führt
daher kein Weg vorbei. Die „einvernehmliche Aufhebung der Kündigung“ kann
nur in dem erneuten Abschluss eines Arbeitsvertrages für die Zukunft liegen.
Erklärt der Arbeitgeber die „Rücknahme der Kündigung“, so ist dies regelmäßig
als Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Abschluss
eines neuen Arbeitsvertrages zu verstehen.1256 Klagt der Arbeitnehmer auf eine
entsprechende
Annahmeerklärung,
so
geht
es
ebenfalls
nur
um
die
Wiedereinstellung.
4. Zulässigkeit eines
Ausnahmefall
Feststellungsantrags
nur
im
Zu Recht bezweifelt wird auch, dass sich – wie vom 2. Senat angenommen - das
Rechtsschutzinteresse für eine Feststellungsklage ausreichend begründen lässt,
es
sei
denn,
der
Arbeitgeber
gibt
zu
erkennen,
sich
auch
einem
Feststellungsurteil beugen zu wollen.1257 So lag es in dem vom 2. Senat am
27.02.1997 entschiedenen Fall. Die Beklagte Betriebserwerberin hatte sich in
einem Parallelprozess dem auf Feststellung gerichteten Verfahren unterworfen
und damit die etwa erforderliche Abgabe einer auf Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses gerichteten Willenserklärung (§ 894 ZPO) überflüssig
gemacht. Das Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn auch ein
Feststellungsurteil eine abschließende Streitentscheidung ermöglicht, weil der
Beklagte schon aufgrund dessen zur Leistung bereit sein wird.1258 Ist diese
Bereitschaft nicht erkennbar, so bleibt es bei der Notwendigkeit eines Antrags
auf Abgabe der erforderlichen Annahmeerklärung.
1256
Hueck/von Hoyningen-Huene KSchG, § 4 Rn 29; KR – Friedrich, § 4 KSchG Rn 55.
1257
Boewer, NZA 1999, 1177, 1182; Ziemann, MDR 1999, 716, 719.
1258
Walker, SAE 1998, 103, 103.
- 510 Noch in seiner Entscheidung vom 14.09.19941259 hatte der 2. Senat dagegen
zutreffend die Feststellung des Berufungsgerichts, in dem klägerischen Antrag,
„festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis.... ungekündigt fortbesteht“, sei kein
Anhaltspunkt
für
die
Geltendmachung
eines
möglichen
Wiedereinstellungsanspruchs enthalten, unbeanstandet gelassen und sich allein
mit der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Verdachtskündigung beschäftigt.
Ein Feststellungsantrag ist daher zur Erhebung der Wiedereinstellungsklage
regelmäßig ungeeignet.
5. Hinreichende Bestimmtheit des Antrags – Auslegung
Der
7.
Senat
ließ in seiner
Entscheidung
vom 06.08.19971260 den
Leistungsantrag des (zuvor als Wagenpfleger beschäftigen) Klägers genügen,
ihn als Fahrer wieder einzustellen. Ziemann1261 weist zutreffend auf die geringe
Bestimmtheit dieses Antrags hin, die nicht den Anforderungen an ein Angebot im
materiellrechtlichen Sinne und auch nicht denen an einen im Sinne von § 253 II
Nr. 2 ZPO „bestimmten Antrag“ gerecht wird. Der Klageantrag muss bereits alles
enthalten, was zum Gegenstand des mit dem beklagten Arbeitgeber zu
begründenden Vertragsverhältnisses werden soll. Nur so kann der Gefahr
vorgebeugt werden, dass es wegen der verbliebenen Unklarheiten zu weiteren
Rechtsstreitigkeiten
zwischen
den
Parteien
kommt.
Einer
stückweisen
Herbeiführung des Gesamtvertrages im Wege von Teilleistungsklagen fehlt
dagegen das Rechtsschutzbedürfnis.
Verlangt der Arbeitnehmer allerdings die Wiedereinstellung auf den vom ihm
zuvor besetzten Arbeitsplatz, so wird man bereits im Wege der Auslegung (§
133 BGB) davon auszugehen haben, dass die Wiederherstellung der bisherigen
1259
BAG (2 AZR 164/94), NJW 1995, 1110, 1111 f = NZA 1995, 269, 269 f.
1260
BAG (7 AZR 557/96), MDR 1998, 422 = NZA 1998, 254, 254 f.
1261
Ziemann, MDR 1999, 716, 718.
- 511 Arbeitsbedingungen gewollt ist. Die Wahrung der durch Betriebszugehörigkeit
erworbenen
Besitzstände
und
Anwartschaften
ergibt
sich
ohnehin
als
Rechtsfolge des Anspruchs und bedarf daher nach der hier vertretenen
Auffassung nicht zwingend einer Klarstellung im Klageantrag.
Unklarheiten muss über die richterliche Hinweispflicht (§ 139 I 2 ZPO) begegnet
werden.
6. Auslegung eines auf die ununterbrochene Fortsetzung
des
Arbeitsverhältnisses
gerichteten
Antrags
In seiner Entscheidung vom 27.02.19971262 hatte der 2. Senat über den Antrag
zu
entscheiden,
„festzustellen,
dass
der
Beklagte zum
Zeitpunkt
der
Betriebsübernahme.... verpflichtet war, sie (die Klägerin) auf der Grundlage der
bisherigen Vertragsbedingungen, auch über den 31.05.1995 hinaus weiter zu
beschäftigen“. Abgesehen von den bereits erörterten Einwänden sowohl gegen
einen bloßen Weiterbeschäftigungs-, wie auch gegen einen Feststellungsantrag,
wird hier auch das klägerische Ziel einer ununterbrochenen Beschäftigung zum
Problem. Denn nur ein rechtskräftiges Urteil ersetzt die Annahmeerklärung des
Arbeitgebers und bringt den Vertrag und damit auch die Lohnzahlungspflicht für
die Zukunft zustande, nicht aber rückwirkend für die Vergangenheit.1263 In der
Zeit
zwischen
dem
rechtswirksamen
Ende
des
bisherigen
und
dem
rechtskräftigen Zustandekommen des neuen Arbeitsverhältnisses besteht kein
Arbeitsverhältnis und daher auch kein Beschäftigungsanspruch und kein
1262
1263
BAG (2 AZR 160/96), NZA 1997, 757, 760.
Siehe oben unter H.II.3 „Stellungnahme – Anspruch
Vertragsverhältnisses nur für die Zukunft“ auf Seite 474.
auf
Begründung
eines
- 512 Anspruch auf den Annahmeverzugslohn, sondern lediglich auf den Ersatz des
Verzögerungsschadens.1264
Der Arbeitnehmer muss daher im Klageantrag zum Ausdruck bringen, dass die
Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses gewollt ist. Richtet sich sein
Klagebegehren auf die ununterbrochene Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses,
so muss der Antrag nachträglich zumindest hilfsweise auf eine Beschäftigung für
die Zukunft erstreckt werden.1265
Auch insoweit hilft die richterliche Hinweispflicht, um die Stellung sachdienlicher
Anträge zu fördern.
III. Keine Klagefrist
Vereinzelt wurde a
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