"Für Organspenden brauchen Kliniken mehr Unterstützung"

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PROFESSOR DR. GÜNTER KIRSTE, 61,
Transplantationschirurg, ist Medizinischer
Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die DSO übernimmt
die bundesweite Koordinierung von postmortalen (nach dem Tode) Organspenden.
PROFESSOR DR. ANDREAS LOB-HÜDEPOHL, 48,
Moraltheologe, ist Rektor der Katholischen
Hochschule für Sozialwesen in Berlin. Zu seinen
Arbeitsschwerpunkten gehören die Ethik des
Sozialstaats und die theologische Ethik.
PROFESSOR DR. JOCHEN TAUPITZ, 55, Jurist,
ist Geschäftsführender Direktor am Institut für
Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der
Universität Mannheim. Seit 2001 sitzt er im Nationalen Ethikrat (heute: Deutscher Ethikrat). In der
Ethikkommission der Bundesärztekammer hat er
das Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden inne.
DR. WOLFGANG ALBERT, 58, Facharzt für
psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychoanalytiker,
ist Ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums und der Psychosomatik im
Deutschen Herzzentrum Berlin.
G+G-GESPRÄCH
„Für Organspenden
brauchen Kliniken
mehr Unterstützung“
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation schlägt Alarm: Die Zahl der Spenderorgane ist im Jahr 2008 deutlich gesunken. Woran das liegt und wie sich mehr
Menschen dafür gewinnen ließen, nach ihrem Tod Herz und Nieren zu verschenken,
darüber diskutieren Experten aus vier Disziplinen im G+G-Gespräch.
G+G: Wem gehört Ihr Herz, wenn Sie gestorben sind?
Wolfgang Albert: Sie zielen darauf ab, wie groß meine Bereitschaft ist, das Herz zu spenden. Ich denke, dass es nach meinem Tod dem Verfall preisgegeben ist und deshalb zur Verfügung gestellt werden kann für eine sinnvolle Verwendung.
Günter Kirste: Aus juristischer Sicht hat jeder ein Verfügungsrecht über das, was von ihm bleibt. Jeder kann vor seinem
Tod darüber bestimmen, was mit seinem Herzen passiert –
und sich für eine Organspende entscheiden.
Fotos: Thomas Meyer/OSTKREUZ, Berlin
Jochen Taupitz: Das ist bedingt richtig: Ich kann verfügen, dass
mein Herz nach meinem Tod in meinem Körper verbleiben
soll. Ich kann mein Herz auch zur Transplantation freigeben
und mich damit für die Rettung eines anderen Menschenlebens entscheiden. Aber ich darf nach dem Gesetz nicht darüber bestimmen, wer der Empfänger meines Herzens sein soll.
Andreas Lob-Hüdepohl: Mein Herz als Organ gehört möglicherweise jemand anderem, wenn ich bis dahin eine Verfügung
unterschrieben habe beziehungsweise wenn meine Angehörigen dann sagen: Ich gebe es frei. Aber mit Herz ist nicht nur
ein Organ, sondern auch ein Teil meiner Persönlichkeit gemeint, die in Beziehungen zu anderen steht. In diesem übertragenen Sinne gehört mein Herz hoffentlich meiner Frau
und anderen Menschen, die mir wichtig sind. Das gilt es auch
nach meinem Tod zu respektieren.
Ausgabe 5/09, 12. Jahrgang
G+G: Ein Anlass für unser Gespräch ist, dass die Zahl der
Organspenden 2008 in Deutschland zurückgegangen ist.
Welche Gründe vermuten Sie dafür?
Kirste: Es stimmt zwar, dass 2008 die Zahl der Spender um
8,8 Prozent zurückgegangen ist. Seit 2004 haben wir aber insgesamt gesehen einen Anstieg um 25 Prozent. In der Nettobilanz der vergangenen Jahre ist also ein positiver Trend zu
verzeichnen. Einer der wichtigsten Gründe für den Rückgang
im vorigen Jahr ist, dass es in Deutschland im Gegensatz zum
Beispiel zu Spanien immer noch an den strukturellen Voraussetzungen für die Organspende hapert. Auch die Arbeitsüberlastung der Ärzte in den Intensivstationen spielt eine Rolle.
Allein das Gespräch mit den Angehörigen eines potenziellen
Organspenders dauert zwei bis drei Stunden – dafür hat ein
Intensivarzt keine Zeit. Für Organspenden brauchen Kliniken mehr personelle und organisatorische Unterstützung. Die
vom Gesetz vorgesehenen, aber längst nicht überall bestellten
Transplantationsbeauftragten wären eine große Hilfe.
G+G: Darf es eine Pflicht zur Organspende geben, um die Zahl
der Spenderorgane zu erhöhen?
Lob-Hüdepohl: Eine juristische Pflicht darf es nicht geben, aber
durchaus eine moralische Verpflichtung, ernsthaft zu prüfen,
ob ich meinen Körper nach dem Tod für lebensrettende Maßnahmen anderen zur Verfügung stellen möchte. Das ist ein
Gebot der Nächstenliebe, des Altruismus. In diesem Sinne haben
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„Ein würdevoller Umgang mit dem Leichnam ist Voraussetzung dafür,
dass sich Menschen zur Organspende bereit erklären.“
Andreas Lob-Hüdepohl
auch die beiden großen Kirchen 1990 in einer gemeinsamen
Stellungnahme ausdrücklich ja gesagt zu Organtransplantationen und zu einer Werbestrategie, mit der die Bereitschaft
der Menschen zur Organspende erhöht werden kann – unter
bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel muss das Selbstbestimmungsrecht gewahrt bleiben und es darf kein Druck
ausgeübt werden, weder durch Familienbande noch durch
ökonomische Zwänge.
Albert: Altruismus finde ich im Zusammenhang mit der Organspende nicht passend, auch nicht im religiösen Sinne.
Menschen haben ein Bedürfnis nach Wahrung ihrer Integrität, ihrer Unversehrtheit, auch jenseits des Todes. Zudem
ist es sehr schwierig, sich den Zeitpunkt des eigenen Todes
vorzustellen. Wenn jemand sagt: Ich vertraue diesem wissenschaftlich-medizinischen Verständnis vom Tod nicht, sondern
für mich ist das ein Prozess, der noch weitergeht, dann müssen
wir das respektieren. Manche Menschen haben tief gehende
Ängste davor, dass an ihnen nach ihrem Tod noch eine Veränderung vorgenommen wird. Das kann man nicht übergehen,
das ist auch der wesentliche Grund, aus dem Menschen sich
von einer Organspende distanzieren.
Taupitz: Das Problem der Organspende besteht darin, dass an
der Grenze zwischen Leben und Tod gehandelt wird, weil die
Organe ja frisch sein müssen, wenn man sie noch verwenden
will. Insofern ist der Staat sicherlich gut beraten, hier keine
Pflicht zu statuieren.
G+G: Nach Umfragen besitzen zwischen elf und 16 Prozent
aller Deutschen einen Organspendeausweis. Rund 70 Prozent wären aber grundsätzlich zu einer Spende bereit. Wie
ließe sich dieses Potenzial ausschöpfen?
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Taupitz: Der Nationale Ethikrat hat im Jahr 2007 ein gestuftes
Modell vorgeschlagen, eine Kombination aus Information
und Widerspruchslösung. Widerspruchslösung heißt: Wer
nicht ausdrücklich einer Organentnahme widersprochen hat,
darf nach seinem Tod als Organspender betrachtet werden.
Grundlage ist nach dem Modell des Ethikrates die individuelle Aufklärung, die dokumentiert werden muss. Im Anschluss daran kann jeder Einzelne eine informierte Entscheidung für oder gegen die Organspende treffen. Jeder sollte sich
mit der Möglichkeit einer Organspende auseinandersetzen.
Im Aufklärungsgespräch muss vermittelt werden, dass ein
Schweigen im Ernstfall als Zustimmung zur Organentnahme
gewertet wird. Auf diese Weise ließen sich sehr viel mehr
Spender generieren.
Kirste: Ein wunderschönes Modell, aber völlig unrealistisch.
Sie können nicht 82 Millionen Menschen einzeln über die
Organspende aufklären. Die Holländer haben das vor einigen
Jahren mit einem ungeheueren finanziellen Aufwand versucht
und sind damit gescheitert.
G+G: Und die Widerspruchslösung allein, so wie in Spanien,
wäre das ein gangbarer Weg für Deutschland?
Kirste: Ich halte die Widerspruchslösung für kein Allheilmittel. Ärzte müssen heute mit den Patienten reden. Selbst wenn
wir einen venösen Zugang legen, sprechen wir mit den Menschen und sagen nicht einfach: Wir machen das jetzt, du hast
sowieso keine Ahnung davon. Bei der Organentnahme dürfen
wir nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden.
Auch die Spanier reden in jedem einzelnen Fall mit den Angehörigen. Außerdem, ich komme noch einmal darauf zurück,
sind für die Spenderzahlen die strukturellen Voraussetzungen
Ausgabe 5/09, 12. Jahrgang
entscheidend. In einigen Regionen Deutschlands haben wir
das gleiche Aufkommen an Spenderorganen, wie in Ländern
mit Widerspruchslösung, weil dort einfach bessere Rahmenbedingungen bestehen. Mit anderen Strukturen, ähnlich denen
in Spanien, ließe sich die Zahl der Organspender hierzulande
verdoppeln.
Taupitz: Das haben wir auch von Seiten des Ethikrates gesagt:
Die Strukturen müssen verbessert werden. Die Krankenhäuser
melden nicht genug potenzielle Organspender, weil der Aufwand zu groß ist, weil das Operationsteam, die Intensivstation
anderweitig gebraucht wird. Und es scheint Mängel in der
Finanzierung zu geben.
Kirste: Ja, die Kalkulation für die Aufwandserstattung der
Krankenhäuser stammt noch aus dem Jahr 2003 und muss
dringend nachjustiert werden. Die Pauschale für die Organentnahme steht in Konkurrenz zur Pauschale für beispielsweise zwei Hüftoperationen, die am nächsten Tag ausfallen
müssen, weil das Operationsteam, das die Organe entnommen hat, wegen der Arbeitszeitregelung nach Hause geht. Aus
meiner Sicht muss die Aufwandserstattung für die Kliniken
kräftig angehoben werden.
G+G: Was geschieht, wenn in einer Klinik ein potenzieller
Organspender liegt?
Kirste: Das Transplantationsgesetz verpflichtet die Krankenhäuser dazu, einen Organspender zu melden, wenn der
Hirntod festgestellt wird und die medizinischen Voraussetzungen gegeben sind. Und genau hinter diesen beiden Punkten verstecken sich einige Kliniken. Man kann leicht sagen:
Der Hirntod war nicht feststellbar. Oder: Wir hatten keine
Zeit. Und mit den medizinischen Voraussetzungen ist es auch
so eine Sache: Viele Intensivmediziner in Deutschland wissen
nicht einmal, dass es für Organspenden keine Altersgrenzen
mehr gibt. Deshalb müssten die Krankenhäuser verpflichtet
werden, bereits dann den Kontakt zur DSO, der Deutschen
Stiftung Organtransplantation, aufzunehmen, wenn zu
klären ist, ob eine Organspende infrage kommt. Parallel dazu
müssten die Ärzte mit den Angehörigen reden. Aber bisher
hat nur Nordrhein-Westfalen ein Gesetz erlassen, das den
Kontakt zur DSO über Transplantationsbeauftragte regelt
und vorschreibt, dass die Todesfälle in regelmäßigen Abständen mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation zu
evaluieren sind. Mit Erfolg: Nordrhein-Westfalen ist das einzige Land, das im vergangenen Jahr rund acht Prozent mehr
Organspenden verzeichnete.
G+G: Welche Vorbehalte haben Menschen, wenn es um
Organspende geht? Wovor haben sie Angst?
Albert: Das hängt unter anderem davon ab, um welche Organe es geht. Die Spende eines Herzens oder auch das Leben
mit einem fremden Herzen ist für viele Menschen sehr viel
schwerer vorstellbar als die Spende einer Lunge, einer Leber
oder einer Niere. Das Herz ist hochgradig affektiv, also mit
Gefühlen belegt. Es ist ein Synonym für Liebe, für Leben,
Fortpflanzung, Vitalität, aber auch für Persönlichkeit und
Charakter. Deshalb ist mit der Spende eines Herzens eine
tiefe Angst verbunden: Mir wird etwas herausgerissen, was
mein Leben, meine Identität ausmacht.
G+G: Wie ließen sich denn Vorbehalte, welcher Art auch
immer, abbauen?
Lob-Hüdepohl: Der zentrale Punkt ist, denke ich, die subjektive
Unsicherheit von Menschen gegenüber dem Todeszeitpunkt.
„Bei der Organspende wird an der Grenze zwischen Leben und Tod gehandelt.
Deshalb ist der Staat gut beraten, hier keine Pflicht zu statuieren.“
Jochen Taupitz
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„Mit der Spende des Herzens ist eine tiefe Angst verbunden:
Mir wird etwas herausgerissen, was meine Identität ausmacht.“
Wolfgang Albert
Man muss auch offen sagen, dass das Hirntod-Kriterium
1968 Ergebnis einer Debatte in Harvard war, in der es darum
ging, wie man gute Transplantate bekommt. Beim HirntodKriterium lebt etwas anderes durchaus noch eine gewisse Zeit
fort. Das ist genau das Zeitfenster, indem Organe entnommen
werden. Das muss man auch im Umgang mit Angehörigen
von potenziellen Organspendern berücksichtigen. Wichtig ist
also, dass Menschen von einem Leichnam Abschied nehmen
können. Für Angehörige und auch für denjenigen, der seine
Organe nach seinem Tod spenden will, muss berechenbar
sein, dass die Pietät, die Totenruhe gewahrt bleibt. Dazu
gehört auch, dass die körperliche Integrität zumindest symbolhaft erhalten wird. Die Transparenz des Verfahrens und
vor allen Dingen auch der würdevolle, sorgsame Umgang mit
dem Leichnam ist Voraussetzung dafür, dass sich Menschen
zur Organspende bereit erklären.
G+G: Vor etwas mehr als zehn Jahren trat in Deutschland
das Transplantationsgesetz in Kraft. Wie funktioniert es aus
Ihrer Sicht? Wo brauchen wir rechtliche Klarstellungen?
Albert: Eine Schwäche sehe ich in der mangelnden psychologischen Betreuung von Organempfängern. Es gibt viele
Transplantationszentren, die keine personellen Ressourcen
dafür vorhalten. Wir haben unter anderem Patienten untersucht, die als Kinder und Jugendliche ein fremdes Organ bekommen haben. Bei den Mitte-20-Jährigen, die Schwellensituationen durchlaufen wie Schulabschluss, Berufsfindung,
Partnerwahl, ist eine hohe Rate von Noncompliance festzustellen, bis hin zu verdeckten Suiziden. Patienten nehmen die
Medikamente nicht mehr ein, die eine Abstoßung des Organs
verhindern sollen und gefährden damit ihr Leben. Ich gehe
soweit zu sagen: Ohne psychologische Betreuung riskiert man
langfristig die erfolgreiche Transplantation.
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Taupitz: Ich sehe vor allem Schwächen bei der Umsetzung auf
Landesebene. Dort müssen die entsprechenden Ausführungsbestimmungen geschaffen werden, damit sich die Strukturen
verbessern und damit die Verpflichtung der Krankenhäuser
zur Meldung potenzieller Organspender endlich greift. Der
zweite Punkt betrifft die Widerspruchs- oder Zustimmungslösung: Ich glaube, da könnte man mit einem anderen Ansatz
auch mehr Spender generieren. Was in einem solchen Gesetz
steht, wird in der Bevölkerung als Norm wahrgenommen.
Wenn das Gesetz impliziert, dass es so etwas wie eine moralische
Pflicht gibt, sich wenigstens mit der Möglichkeit der Organspende auseinanderzusetzen, dann nimmt die Bevölkerung das
auch so wahr.
Kirste: Für mich gibt es noch weitere wichtige Punkte. Die
Krankenhäuser sollten die DSO nach Möglichkeit bereits bei
den orientierenden Konsilen hinzuziehen. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von Possible Donor, einer möglichen
Spende. Es macht Sinn, dass Kliniken und DSO bereits vor
Feststellung des Hirntods beratend zusammenkommen, um
eventuell auch schon erste Gespräche mit den Angehörigen zu
führen. Hinsichtlich der Lebendspende brauchen wir gesetzliche Änderungen. Die sogenannte gerichtete Spende muss erlaubt werden. Dazu ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis:
Eine Frau muss wegen einer Nierenerkrankung regelmäßig zur
Dialyse. Der Ehemann wollte ihr schon seit Jahren auf dem
Wege einer Lebendspende eine seiner Nieren überlassen. Die
Frau hatte das aber abgelehnt. Dann stirbt der Mann, die Familie stimmt der Organentnahme zu – unter der Voraussetzung, dass eine Niere auf die Frau übertragen wird. Das aber
ist nach dem Transplantationsgesetz nicht möglich. Wir haben
das damals trotzdem gemacht und sind ganz fürchterlich angegriffen worden: Niere auf dem kleinen Dienstweg, lautete der
Vorwurf. Ich stehe aber nach wie vor zu dieser Entscheidung.
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G+G: Ende 2007 machte eine Studie Schlagzeilen, nach der
privat versicherte Patienten angeblich bei der Verteilung von
Spenderorganen bevorzugt werden. Muss die Verteilung von
Organen besser überwacht werden?
Kirste: Diese Studie enthielt falsche Zahlen und auch die Interpretation der Daten hat nicht gestimmt. Es hat keine Bevorzugung von Privatpatienten gegeben. Um aber Ihre Frage
zu beantworten: Das Gesetz sagt ganz klar, dass alle Menschen
in Deutschland die gleiche Chance haben, ein Transplantat zu
bekommen. Bei der Zuteilung sind nur medizinische Kriterien
wie Erfolgsaussicht und Dringlichkeit ausschlaggebend. Auf
die Einhaltung dieser Bestimmung achtet die Überwachungskommission der Bundesärztekammer. Man kann lange darüber
streiten, ob das nicht ein behördliches Gremium sein muss. In
diesem Fall wird man die Richtlinien der europäischen Direktive abwarten müssen.
Lob-Hüdepohl: Aber wie misst man die Erfolgsaussichten? An
der Fünf-Jahres-Mortalität, oder daran, wie viele vergleichbare
Organempfänger nach sechs oder zehn Jahren noch leben?
Ich glaube, die Frage der Allokation kann man nicht gesetzlich regeln, da werden immer Ermessensspielräume bleiben.
Wichtig ist aber, dass die Verteilung transparent bleibt.
G+G: Bieten Lebendspenden einen Ausweg aus der Organmangelsituation?
Kirste: Sie bieten keinen Ausweg, sondern sind eine Ergänzung.
Das sieht man im internationalen Vergleich, bei allerdings
großen Zahlenunterschieden. In Norwegen sind beispielsweise
40 bis 50 Prozent der transplantierten Organe Lebendspenden. Hier in Deutschland ist das sehr unterschiedlich. In
den achtziger Jahren, als ich im Freiburger Transplantations-
zentrum arbeitete, stammten dort etwa 35 Prozent der transplantierten Organe von lebenden Verwandten des Patienten
beziehungsweise von ihm nahestehenden Menschen. Vom
medizinischen Ergebnis her sind Lebendspenden deutlich besser
als die Spenderorgane von Verstorbenen. Für viele Menschen
sind Lebendspenden angesichts der steigenden Wartezeiten
eine willkommene Alternative.
G+G: Im Zusammenhang mit Lebendspenden stellt sich die
Frage, wie man Organhandel verhindert.
Taupitz: Es gibt immer wieder Diskussionen, ob man den Organhandel freigeben sollte. Soweit es um Bezahlung geht,
halte ich die Gefahren für größer als den möglichen Nutzen.
Allerdings ist der Gesetzgeber bei der Überkreuzspende, also
einem Organtausch zwischen zwei Paaren, zu restriktiv. Auch
sie ist letztlich eine Form des Organhandels, aber sie sollte
legalisiert werden, weil es hier nicht um Kommerzialisierung
geht. Im Übrigen ist gerade die im Gesetz enthaltene Beschränkung der Lebendspende auf nahe stehende Personen
problematisch, weil die Freiwilligkeit hier nur bedingt gegeben ist. Entscheidet sich der Vater wirklich freiwillig, seinem
Sohn eine Niere zu spenden, wenn er weiß, dass das für das
Kind die einzige Chance ist?
Kirste: Der Begriff der besonderen persönlichen Verbundenheit ist tatsächlich problematisch. Ich halte ihn aber auch für
nicht so ganz schlecht, weil eine Spende an einen wildfremden Menschen, wie sie in den USA manchmal stattfindet,
ebenfalls Probleme aufwirft. Zum Teil gibt es in den USA
Spenden, die angeblich altruistisch motiviert sind und der
Spender hatte nicht einmal eine Basisversicherung. Es gibt
Untersuchungen, dass die Spender dann zwar im ersten
Moment einen erheblichen Zuwachs an Selbstwertgefühl
„Mit anderen Strukturen, ähnlich denen in Spanien, ließe sich die
Zahl der Organspender hierzulande verdoppeln.“
Günter Kirste
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hatten, dass sie aber nach einigen Monaten deutlich in ein
Loch gefallen sind.
den Transplantationszentren, auch in den 20 oder mehr Jahren
nach der Organverpflanzung.
G+G: Wenden wir uns den Organempfängern zu, mit denen
Sie, Herr Dr. Albert, hauptsächlich zu tun haben. Wie bereiten
Sie einen Patienten auf die Transplantation vor?
G+G: Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wo steht die
Transplantationsmedizin in fünf Jahren? Und wo sollte sie
Ihren Wünschen nach stehen?
Albert: Generell bereiten wir sie leider eher unzureichend vor,
weil wir zu wenig Ressourcen dafür haben. Im Deutschen
Herzzentrum finden etwa 40 Transplantationen pro Jahr
statt. Etwa 350 Kunstherzpatienten befinden sich in kontinuierlicher Betreuung und rund 1.400 Transplantierte werden
nachversorgt. Für die psychologische Betreuung all dieser
Patienten steht eine Dreiviertelstelle zur Verfügung. In anderen Kliniken gibt es zum Teil gar keine entsprechenden Versorgungsstrukturen.
Lob-Hüdepohl: Wenn die Transplantationsmedizin eine Zukunft haben will, dann muss sie nicht nur im engen Sinne die
ärztliche Kunst umfassen, sondern exakt das, was Sie gerade
sehr eindrücklich geschildert haben: eine Einbettung in Vorund Nachsorge. Und außerdem wünsche ich mir, dass die
Solidarbereitschaft – um ein anderes Wort für Altruismus zu
verwenden – in der Bevölkerung wächst. Aber nicht im Sinne
einer strikten Korrespondenz oder Umkehrbarkeit, nicht dieses:
Ich gebe, weil ich eventuell auch mal was haben will. Das
wäre, glaube ich, ganz fatal – auch für andere Bereiche. Ich
meine eher die Grundidee: sich einzufinden in eine Solidargemeinschaft, die dann auch Leben rettet. Dass dieser Gedanke
mit Blick auf die Transplantationsmedizin verstärkt Verbreitung
findet, das hoffe ich sehr.
G+G: Wie sollte die psychologische Betreuung im Idealfall
aussehen?
Albert: Wir haben von 1987 bis 1990 im Deutschen Herzzentrum ein Programm etabliert für damals 20 oder 30 Patienten
auf der Warteliste. Mit den Patienten wurden schon zur Anmeldung umfangreiche Gespräche geführt. Die Patienten haben viele Phantasien, die ihnen Stress machen. Sie fragen sich
beispielsweise, wie sie sich verhalten müssen, um ein guter
Patient zu sein. Knapp die Hälfte der Patienten auf der
Warteliste für eine Organtransplantation zeigt depressive
Reaktionen, das haben wir über einen Zeitraum von 15 Jahren untersucht. In dem Betreuungs-Programm haben wir damals Patienten in Berliner Krankenhäusern regelmäßig einmal pro Woche kurz besucht. Es geht gar nicht darum, sehr
lange mit ihnen zu reden, sondern den Prozess der Auseinandersetzung mit dem neuen Herzen zu begleiten. Postoperativ
hat immerhin ungefähr jeder Fünfte Wahnideen, fast immer
betreffen sie den Raub des neuen Organs. In dieser Zeit hilft
den Patienten der Kontakt zu Psychiatern oder Psychologen,
die sie kennen. Die Patienten brauchen Ansprechpartner in
An einem Tisch: Experten verschiedener Fachgebiete
beim G+G-Gespräch über Organtransplantationen.
Taupitz: Ich würde mir insbesondere wünschen, dass auch in
den Randbereichen mehr Aktivitäten in Deutschland entfaltet
werden, dass gesetzgeberische Hindernisse beseitigt werden.
Da spreche ich konkret die embryonale Stammzellforschung
an. Sie führt möglicherweise zu Zellersatztherapien, die die
klassische Transplantationsmedizin entlasten können. Auch
auf diesem Gebiet müssten die Anstrengungen dringend verstärkt werden.
Albert: Ich habe die Hoffnung, dass die Organspendezahlen
steigen. Außerdem vermute ich, dass es bald sehr viel mehr
Ersatzverfahren geben wird, wie zum Beispiel in der Herzchirurgie die Kunstherz-Systeme, die sich ja immer mehr in
Dauersysteme wandeln. In fünf Jahren werden die Patienten
mit solchen Systemen vielleicht zehn Jahre leben können. Es
gibt Patienten, die 65 Jahre oder älter sind, und sagen: Wenn
ich damit zehn Jahre leben kann, ist es in Ordnung.
Kirste: Ein Teil der Zukunftshoffnungen richten sich ja auf die
Xenotransplantation, die Verwendung von tierischen Organen.
Ich glaube aber nicht, dass wir in fünf Jahren in diesem Bereich
auch nur einen Schritt weiter sind. Die Xenotransplantation
ist eine Methode der Zukunft, und das wird sie wohl vorerst
bleiben. Für mich persönlich ist das Ziel, dass sich durch entsprechende Reformen die strukturellen Voraussetzungen für
Organspenden so verbessern, dass wir in fünf Jahren in Deutschland bei einer Spenderzahl von 20 pro einer Million Einwohner
liegen. Das wäre dann zwar immer noch nicht Spitze in Europa, aber es wäre zumindest im Bereich des Durchschnitts. Das
muss in einem Land wie unserem erreichbar sein. Dann sterben
nicht mehr so viele Patienten auf der Warteliste wie heute. Jedes
gespendete Organ bedeutet für einen dieser schwer kranken
Menschen die Chance auf ein neues Leben. √
Das Gespräch führten Änne Töpfer und Hans-Bernhard Henkel-Hoving.
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Ausgabe 5/09, 12. Jahrgang
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