Menschliche Stammzellen - TA

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TA 44/2003
Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung
Menschliche Stammzellen
www.ta-swiss.ch
Bärbel Hüsing, Eve-Marie Engels, Rainer Frietsch,
Sibylle Gaisser, Klaus Menrad, Beatrix Rubin,
Lilian Schubert, Rainer Schweizer, René Zimmer
Diese Reihe der TA-Publikationen enthält die Ergebnisse der Studien, die im Auftrag des Zentrums
für Technologiefolgen-Abschätzung (Technology
Assessment TA) beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) durchgeführt
wurden.
TA hat zum Ziel, die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien möglichst umfassend zu
untersuchen. Es geht darum, die allfälligen
positiven und negativen Einflüsse der Technologie
auf soziale, politische, wirtschaftliche und ökologische Systeme und Abläufe abzuschätzen.
Um diese Aufgabe zu erfüllen, setzt der SWTR
einen TA-Leitungsausschuss aus Fachleuten von
Wissenschaft, Industrie, Politik und NGO’s
(Nichtstaatliche Organisationen) ein, welcher die
massgeblichen Themen und Fragen definiert, die
es im Zentrum für TA zu behandeln gilt.
Cette série des publications TA contient les résultats des projets menés dans le cadre du Centre
d’évaluation des choix technologiques (Technology
Assessment), du Conseil Suisse de la science et
de la technologie (CSST).
Sous la dénomination TA, on comprend les projets
visant à cerner, de la manière la plus approfondie
possible, les effets des nouvelles technologies
sur la société. Il s’agit là des influences potentielles, aussi bien positives que négatives, que la
technologie peut avoir sur des procédures et des
systèmes sociaux, politiques, économiques et
écologiques.
Pour répondre à cette demande, le CSST a nommé un Comité Directeur composé de scientifiques,
de spécialistes des domaines industriel et politique ainsi que des représentants des organisations
non gouvernementales (NGO).
Nach einer Pilotphase von vier Jahren haben der
Bundesrat und das Parlament den SWTR beauftragt, die TA-Aktivitäten für die Periode 1996 bis
1999 weiterzuführen. Ende 1999 wurde vom
Parlament beschlossen, die TechnologiefolgenAbschätzung zu institutionalisieren. Dies ist im
Bundesgesetz über die Forschung vom 8. Oktober
1999 festgehalten.
Après une phase-pilote de quatre années, le
Conseil fédéral et le Parlement ont chargé le
CSST de poursuivre les activités du programme TA
pour la période 1996-1999. Le Parlement a décidé
fin 1999 d’institutionnaliser les activités d’évaluation des choix technologiques. Cette décision est
consignée dans la loi fédérale sur la recherche du
8 octobre 1999.
Die materielle Verantwortung für den Bericht liegt
bei den Autorinnen und Autoren.
Ce rapport n’engage que son (ses) auteur(s).
Herausgeber
Editeur
TA-SWISS
Zentrum für TechnologiefolgenAbschätzung
Birkenweg 61
CH-3003 Bern
Telefon
Fax
E-Mail
Internet
ISBN-Nr.
+41 (0) 31 322 99 63
+41 (0) 31 323 36 59
[email protected]
www.ta-swiss.ch
3-908174-02-3
TA-SWISS
Centre d’évaluation
des choix technologiques
Birkenweg 61
CH-3003 Berne
Télefon
Fax
E-Mail
Internet
+41 (0) 31 322 99 63
+41 (0) 31 323 36 59
[email protected]
www.ta-swiss.ch
Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung
beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat
Centre d’évaluation des choix technologiques
auprès du Conseil suisse de la science et de la technologie
Centro per la valutaz ione delle scelte tecnologiche
presso il Consiglio svizzero della scienza e della tecnologia
Centre for Technology Assessment
at the Swiss Science and Technology Council
Menschliche Stammzellen
Bärbel Hüsing
Eve-Marie Engels
Rainer Frietsch
Sibylle Gaisser
Klaus Menrad
Beatrix Rubin
Lilian Schubert
Rainer Schweizer
René Zimmer
Januar 2003
TA 44/2003
www.ta -swiss.ch
Der vorliegende Bericht wurde vom Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung
(TA-SWISS), welches dem Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat
angegliedert ist, in Auftrag gegeben. Die Studie wurde von der Schweizerischen
Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) finanziell maßgeblich
unterstützt.
Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe (D)
hat die Studie im Zeitraum von August 2001 bis November 2002 erarbeitet. Im
Rahmen von Unteraufträgen wurden drei Gutachten erarbeitet, die in den vorliegenden Bericht integriert wurden. Dies sind: Gutachten zu den medizinisch-wissenschaftlichen Aspekten der Stammzellenforschung durch Dr. Beatrix Rubin, Gutachten zu ethischen Aspekten der Gewinnung und Verwendung menschlicher
Stammzellen durch Prof. Dr. Eve-Marie Engels und Dipl.-Biol. Lilian Schubert
sowie Gutachten zu den rechtlichen Aspekten durch Prof. Dr. Rainer Schweizer.
Innerhalb dieser Zeit wurde unter der Federführung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) der Entwurf zum Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen
Embryonen und embryonalen Stammzellen ausgearbeitet und am 22. Mai 2002 in
die Vernehmlassung gegeben. Der Bundesrat hat den überarbeiteten
Gesetzesentwurf im November 2002 zu Handen des Parlaments verabschiedet. Das
BAG war in der Begleitgruppe (s. Anhang 3) zur vorliegenden Studie vertreten und
hatte dadurch bereits während des Entstehens des Berichts Zugang zu den
relevanten Informationen. Auf Grund der Aktualität des Themas wurde von TASWISS im April 2002 ein Zwischenbericht veröffentlicht (TA41-Z/2002).
Autorinnen und Autoren
des Berichts:
Dr. Bärbel Hüsing (Projektleitung)
Dipl. Sozialwissenschaftler Rainer Frietsch
Dr. Sibylle Gaisser
Dr. Klaus Menrad
Dr. René Zimmer
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und
Innovationsforschung (Fraunhofer ISI)
Breslauer Str. 48
76139 Karlsruhe, Deutschland
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Eve-Marie Engels
Dipl.-Biol. Lilian Schubert
Lehrstuhl für Ethik in den Biowissenschaften
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Sigwartstr. 20
72076 Tübingen, Deutschland
E-Mail: [email protected]
Dr. Beatrix Rubin
Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik
Medizinische Fakultät, Universität Basel
Missionsstr. 21
4055 Basel, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Rainer Schweizer
Forschungsgemeinschaft für Rechtswissenschaft
Universität St. Gallen
Tigerbergstr. 21
9000 St. Gallen, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Weitere Mitarbeiter
am Fraunhofer ISI:
Sekretariat:
cand. biol. Romy Barrientos-Diaz
Dr. Thomas Reiß
Ilse Gottschalg
Silke Just
I
Inhaltsverzeichnis ..........................................................................................Seite
Tabellenverzeichnis ...................................................................................................i
Abbildungsverzeichnis .............................................................................................ii
Zusammenfassung .................................................................................................... a
Résumé.......................................................................................................................b
Summary ................................................................................................................... c
1.
Einleitung ........................................................................................................... 1
2.
Mögliche künftige Anwendungsgebiete menschlicher Stammzellen ............ 5
2.1
Einführung ........................................................................................ 5
2.2
Zellmaterial für Zelltherapien........................................................... 5
2.2.1
Grundlagen ....................................................................................... 5
2.2.2
Stammzellen des Blut bildenden Systems
(Hämatopoetisches System) ............................................................. 7
2.2.3
Diabetes mellitus .............................................................................. 8
2.2.4
Erkrankungen des Nervensystems.................................................... 9
2.2.5
Herzerkrankungen .......................................................................... 10
2.3
Zellmaterial für regenerative Systeme, Tissue Engineering........... 11
2.4
Zelldifferenzierungsmechanismen.................................................. 12
2.5
Embryotoxikologie ......................................................................... 13
2.6
Modellsysteme zur Entwicklung von neuen Medikamenten
und für Toxikologieuntersuchungen............................................... 13
2.7
Modellsystem zur Funktionsaufklärung von Genen....................... 14
2.8
Vor- und Nachteile von menschlichen embryonalen
Stammzellen im Vergleich zu herkömmlichen
Zelltherapien und -modellen........................................................... 15
II
3.
4.
Begriffliche Klärungen und Definitionen...................................................... 17
3.1
Normale Entwicklung eines menschlichen Individuums
von der Befruchtung im Mutterleib bis zur Geburt ........................ 17
3.1.1
1. Woche: von Eisprung und Befruchtung bis zur
beginnenden Einnistung in der Gebärmutter .................................. 18
3.1.2
2. Woche: Abschluss der Einnistung und Ausbildung der
Keimscheibe ................................................................................... 20
3.1.3
3. Woche: Gastrulation; Ausbildung der drei Keimblätter............. 21
3.1.4
4.-8. Woche: Anlage aller Organsysteme und Ausbildung
der Körperform ............................................................................... 21
3.1.5
9.-38. Woche: Größenwachstum und Ausreifung der
Organsysteme bis zur Geburt ......................................................... 22
3.2
Definitionen und Begriffe............................................................... 24
3.2.1
Embryo und Fetus........................................................................... 24
3.2.2
Stammzellen ................................................................................... 27
3.2.2.1
3.2.2.2
Allgemeines .................................................................................... 27
Embryonale und adulte Stammzellen ............................................. 28
3.2.3
Potenzialität: Totipotenz, Pluripotenz, Multipotenz,
Unipotenz........................................................................................ 29
Gewinnung und Eigenschaften menschlicher Stammzellen ........................ 33
4.1
Übersicht über die unterschiedlichen Möglichkeiten der
Gewinnung von Stammzellen......................................................... 33
4.2
Embryonale Stammzellen aus Blastocysten (ES-Zellen) ............... 34
4.2.1
Verfahren der Gewinnung von ES-Zellen ...................................... 34
4.2.2
4.2.2.1
4.2.2.2
4.2.2.3
Eigenschaften von ES-Zellen ......................................................... 39
Teilungs- und Vermehrungsfähigkeit von ES-Zellen..................... 42
Differenzierungspotenzial von ES-Zellen, Pluripotenz.................. 43
Differenzierung von humanen ES-Zellen....................................... 45
4.3
Embryonale Stammzellen aus Blastocysten, die durch
Zellkerntransfer erzeugt wurden ("Therapeutisches
Klonen" zur Gewinnung von ntES-Zellen) .................................... 46
4.3.1
Verfahren der Gewinnung von nt-ES-Zellen.................................. 46
4.3.2
Offene Fragen in Bezug auf ntES-Zellen ....................................... 49
III
4.4
Embryonale Stammzellen (EG-Zellen) aus primordialen
Keimzellen abortierten Embryonen oder Feten.............................. 51
4.4.1
Verfahren der Gewinnung von EG-Zellen ..................................... 51
4.4.2
Eigenschaften von EG-Zellen......................................................... 52
4.5
Weitere Möglichkeiten zur Gewinnung embryonaler
Stammzellen ................................................................................... 54
4.6
Adulte Stammzellen ....................................................................... 55
4.6.1
Verfahren zur Gewinnung adulter Stammzellen ............................ 56
4.6.1.1
4.6.1.2
4.6.1.3
Allgemeines .................................................................................... 56
Gewinnung Blut bildender Stammzellen........................................ 57
Gewinnung von Blut bildenden Stammzellen aus
Nabelschnurblut (neonatale Stammzellen)..................................... 58
Gewinnung von adulten Stammzellen aus abortierten
Embryonen und Feten (fetale Stammzellen) .................................. 58
Gewinnung und Charakterisierung adulter Stammzellen
am Beispiel des Nervensystems ..................................................... 59
4.6.1.4
4.6.1.5
4.6.2
Eigenschaften von adulten Stammzellen........................................ 60
4.6.2.1
4.6.2.2
Teilungsfähigkeit ............................................................................ 60
Untersuchungsmethoden zur Charakterisierung des
Differenzierungsverhaltens von adulten Stammzellen ................... 61
Gewebespezifische Differenzierungsfähigkeit, Uni- und
Multipotenz..................................................................................... 62
Plastizität, Transdifferenzierung..................................................... 63
Sich wandelnde Auffassung von adulten Stammzellen:
zelluläre Einheit oder Funktion ...................................................... 69
4.6.2.3
4.6.2.4
4.6.2.5
5.
4.6.3
Bewertung der Eigenschaften adulter Stammzellen im
Hinblick auf therapeutische Anwendungen.................................... 70
4.7
Zusammenfassung .......................................................................... 72
Nutzung menschlicher Stammzellen für Zelltherapien ............................... 79
5.1
Einleitung........................................................................................ 79
5.2
Voraussetzungen für die Nutzung von menschlichen
Stammzellen in der Zelltherapie..................................................... 80
5.2.1
Zeithorizonte................................................................................... 80
5.2.2
Ausführliche Charakterisierung der zu verwendenden
Zellen .............................................................................................. 80
IV
5.2.3
Sicherheitsanforderungen für die Kultur von Zellen für
therapeutische Zwecke ................................................................... 81
5.2.4
Untersuchungen im Tiermodell ...................................................... 83
5.2.5
Zusammenfassung und Ausblick.................................................... 85
5.3
Diabetes mellitus ............................................................................ 85
5.3.1
Krankheitsbild und Therapieansätze .............................................. 85
5.3.2
Allogene Pankreas- und Inselzelltransplantation ........................... 86
5.3.3
Gewinnung von Zellmaterial für Transplantationen mit
Hilfe von Zellkulturen .................................................................... 88
Gewinnung von Insulin produzierenden Zellen aus
adultem Gewebe ............................................................................. 88
5.3.3.1
5.3.3.2
Gewinnung von Insulin produzierenden Zellen aus
embryonalen Stammzellen ............................................................. 89
5.3.4
Zusammenfassung und Ausblick.................................................... 90
5.4
Erkrankungen und Schädigungen des
Zentralnervensystems ..................................................................... 91
5.4.1
Parkinson'sche Krankheit ............................................................... 92
5.4.1.1
5.4.1.2
5.4.1.3
5.4.1.4
Krankheitsbild und bisherige Therapie........................................... 92
Transplantation von fetalen Zellen ................................................. 92
Transplantation embryonaler Stammzellen .................................... 94
Stimulation adulter Stammzellen.................................................... 95
5.4.2
Alzheimer'sche Krankheit............................................................... 96
5.4.3
Multiple Sklerose............................................................................ 97
5.4.4
Querschnittslähmung ...................................................................... 98
5.4.5
Zusammenfassung und Ausblick.................................................. 100
5.5
Koronare Herzerkrankungen ........................................................ 101
5.5.1
Adulte Stammzellen ..................................................................... 102
5.5.1.1
Untersuchungen im Tiermodell .................................................... 102
5.5.1.2
Untersuchungen am Menschen..................................................... 103
5.5.2
Embryonale Stammzellen............................................................. 104
5.5.3
Zusammenfassung und Ausblick.................................................. 104
5.6
Autoimmunerkrankungen............................................................. 105
5.6.1
Blutstammzelltherapie zur Behandlung von
Autoimmunerkrankungen............................................................. 106
5.6.2
Einsatzmöglichkeiten für embryonale Stammzellen .................... 107
V
6.
5.6.3
Zusammenfassung und Ausblick.................................................. 108
5.7
Mögliche künftige gesundheitspolitische und
gesundheitsökonomische Relevanz von allfälligen
stammzellbasierten Therapien ...................................................... 108
5.7.1
Übersicht....................................................................................... 108
5.7.2
Leukämie ...................................................................................... 110
5.7.3
Diabetes mellitus .......................................................................... 110
5.7.4
Erkrankungen des Nervensystems................................................ 112
5.7.4.1
5.7.4.2
5.7.4.3
5.7.4.4
5.7.4.5
Parkinson'sche Krankheit ............................................................. 112
Multiple Sklerose.......................................................................... 112
Huntington'sche Krankheit ........................................................... 113
Alzheimer'sche Krankheit............................................................. 113
Markt für Therapeutika des zentralen Nervensystems ................. 114
5.7.5
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall............ 115
5.7.6
Zusammenfassung ........................................................................ 118
5.8
Zusammenfassung ........................................................................ 119
Wirtschaftliche Aspekte................................................................................ 123
6.1
Unternehmen mit Aktivitäten mit Relevanz für
menschliche Stammzellen ............................................................ 123
6.1.1
Unternehmen, die sich aktiv mit menschlichen
Stammzellen beschäftigen ............................................................ 124
6.1.2
Unternehmen mit Geschäftsziel Zelltherapien ............................. 128
6.1.3
Akteure in der Schweiz................................................................. 130
6.2
Marktschätzungen zu Stammzellen .............................................. 132
6.3
Einflussfaktoren für die kommerzielle Nutzung von
humanen Stammzellen.................................................................. 133
6.3.1
Medizinisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt ......... 134
6.3.2
Patentierung .................................................................................. 134
6.3.3
Verfügbarkeit von und Zugangsbedingungen zu
menschlichen embryonalen Stammzellen .................................... 137
6.3.4
Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige
Produkte, klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren ............ 139
6.4
Zusammenfassung ........................................................................ 140
VI
7.
Ethische Aspekte der Gewinnung und Verwendung menschlicher
embryonaler und adulter Stammzellen ....................................................... 143
7.1
Untersuchungsgegenstand und ethisch-methodische
Vorüberlegungen .......................................................................... 143
7.1.1
Zum Gegenstand der ethischen Betrachtung ................................ 143
7.1.2
Ziele der embryonalen Stammzellforschung................................ 144
7.1.3
Ethisch-methodische Vorüberlegungen........................................ 145
7.1.4
Gliederung .................................................................................... 149
7.2
Ethische Aspekte der Gewinnung embryonaler
Stammzellen ................................................................................. 150
7.2.1
Zur Frage des biologischen und moralischen Status von
embryonalen Stammzellen ........................................................... 150
7.2.2
Möglichkeiten der Gewinnung embryonaler Stammzellen
und ihre ethischen Probleme......................................................... 152
Der moralische Status des Embryos ............................................. 154
7.2.2.1
7.2.3
Ethische Aspekte der Erzeugung von Embryonen zur
Gewinnung von embryonalen Stammzellen................................. 165
7.2.4
Ethische Aspekte der Gewinnung von embryonalen
Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen .............................. 168
7.2.5
Ethische Aspekte des Imports embryonaler Stammzellen ........... 174
7.3
Spezielle ethische Probleme im Zusammenhang mit der
Anwendung der ES-Zelltechnologie ............................................ 178
7.3.1
Methode der Kultivierung der Stammzellen ................................ 178
7.3.2
Art der aus embryonalen Stammzellen gezüchteten Zellen,
Gewebe und Organe ..................................................................... 179
7.3.3
Ort der Züchtung .......................................................................... 181
7.3.4
Mögliche Auswirkungen einer eventuellen Einführung von
ntES-Zellen in die medizinische Praxis........................................ 181
7.3.5
Mögliche Auswirkungen auf Gesellschaft, Menschenbild
und Frauenbild.............................................................................. 183
7.4
Ethische Aspekte der Gewinnung und Verwendung von
EG-Zellen aus abortierten Embryonen und Feten ........................ 186
7.4.1
Freie und aufgeklärte Zustimmung der Mutter............................. 188
7.4.2
Unabhängigkeit von Schwangerschaftsabbruch und
späterer Verwendung.................................................................... 189
VII
7.4.3
Konsequenzen für das Frauenbild und das Bild des
Embryos und Fetus ....................................................................... 191
7.4.4
Zur Frage der Geeignetheit embryonaler Keimzellen für
therapeutische Zwecke ................................................................. 192
7.4.5
Zusammenfassung ........................................................................ 192
7.5
Ethische Aspekte der Gewinnung und Verwendung von
adulten Stammzellen..................................................................... 193
7.5.1
Untersuchungsgegenstand ............................................................ 193
7.5.2
Ziele der adulten Stammzellforschung ......................................... 193
7.5.3
Zur Frage des biologischen und moralischen Status von
adulten Stammzellen..................................................................... 194
7.5.4
Gewinnung.................................................................................... 194
7.5.4.1
7.5.4.3
7.5.4.4
7.5.4.5
7.5.4.6
In vivo-Therapie durch Rekrutierung und/oder
Transdifferenzierung körpereigener Stammzellen ....................... 195
Adulte Stammzellen aus vergleichsweise leicht
zugänglichen Geweben................................................................. 195
Adulte Stammzellen aus schwer zugänglichen Geweben ............ 195
Neuronale Vorläuferzellen aus Gehirnbiopsien ........................... 196
Neonatale Stammzellen ................................................................ 196
Fetale Stammzellen....................................................................... 197
7.5.5
Methode der Kultivierung............................................................. 197
7.5.6
Verwendung.................................................................................. 198
7.5.7
7.5.7.1
7.5.7.2
7.5.7.3
Mögliche Auswirkungen der Forschung an adulten
Stammzellen und der Einführung der Technologien in die
medizinische Praxis ...................................................................... 199
Auswirkungen auf den Spender.................................................... 199
Auswirkungen auf den Empfänger ............................................... 199
Gesellschaftliche Aspekte............................................................. 200
7.5.8
Zusammenfassung ........................................................................ 201
7.6
Diskussionsergebnisse .................................................................. 202
7.5.4.2
8.
Rechtsfragen der Arbeiten mit menschlichen Stammzellen...................... 205
8.1
Zur Grundlage............................................................................... 205
8.2
Umgang mit abgetriebenen oder abgegangenen
Embryonen und Feten ex vivo ...................................................... 207
8.3
Allgemeine Bemerkungen zum Umgang mit so genannten
"überzähligen" Embryonen........................................................... 209
VIII
9.
8.4
Verbot der Erzeugung und der Aufzucht von Embryonen
in vitro und in vivo zu Forschungszwecken.................................. 213
8.5
Die umstrittene Forschung an Embryonen ................................... 213
8.6
Verbot des Klonens ...................................................................... 221
8.7
Gewinnung menschlicher Stammzellen ....................................... 225
8.8
Offene Fragen der Forschung an und der Verwendung von
Stammzellen ................................................................................. 229
Gesellschaftliche Debatte .............................................................................. 233
9.1
Wichtige Stellungnahmen, Positionspapiere, Richtlinien
und Gesetze................................................................................... 233
9.1.1
Schweiz......................................................................................... 233
9.1.2
Europarat ...................................................................................... 234
9.1.3
Europäische Union ....................................................................... 234
9.1.4
Großbritannien.............................................................................. 235
9.1.5
Frankreich..................................................................................... 235
9.1.6
Deutschland .................................................................................. 236
9.1.7
Österreich...................................................................................... 236
9.1.8
USA .............................................................................................. 237
9.1.9
Vatikan.......................................................................................... 237
9.1.10
UNESCO ...................................................................................... 238
9.2
Die Stammzelldebatte im Ausland ............................................... 238
9.2.1
Die Debatte in Großbritannien ..................................................... 239
9.2.2
Die Debatte in Frankreich............................................................. 242
9.2.3
Die Debatte in Deutschland.......................................................... 244
9.2.4
Die Debatte in Österreich ............................................................. 248
9.2.5
Die Debatte in den USA ............................................................... 250
9.3
Die Stammzelldebatte in der Schweiz .......................................... 252
9.3.1
Verlauf der schweizerischen Debatte ........................................... 252
9.3.2
Inhalte der schweizerischen Debatte ............................................ 256
9.3.3
Beiträge, Stellungnahmen und Positionen ausgewählter
Akteure ......................................................................................... 256
Eidgenössisches Departement des Inneren (EDI) ........................ 256
Der Bundesrat ............................................................................... 257
9.3.3.1
9.3.3.2
IX
9.3.3.3
9.3.3.4
9.3.3.5
9.3.3.6
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin
(NEK-CNE) .................................................................................. 259
Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung (SNF) ........................................... 260
Schweizerische Akademie der Medizinischen
Wissenschaften (SAMW) ............................................................. 261
Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim
Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat .................. 262
9.3.4
Die Argumente der Debatte.......................................................... 263
9.3.4.1
9.3.4.2
9.3.4.3
Argumente der Befürworter.......................................................... 263
Argumente der Gegner ................................................................. 264
Argumente im Diskurs.................................................................. 265
9.3.5
Die Einordnung der schweizerischen Debatte.............................. 267
10. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ............................................... 269
11. Literatur und Materialien ............................................................................ 285
Anhang................................................................................................................... 307
A1 Methodik und Vorgehensweise .................................................................... 309
A1.1
Generelle Methodik und Vorgehensweise.................................... 309
A1.2
Analyse der gesellschaftlichen Debatte........................................ 310
A2 Charakterisierung der gesellschaftlichen Stammzelldebatte im
Frühjahr 2002 ................................................................................................ 313
A2.1
Parteien ......................................................................................... 313
A2.2
Parlamentarische Aktivitäten........................................................ 316
A2.3
Behördliche Institutionen ............................................................. 317
A2.4
Wissenschaft................................................................................. 317
A2.4.1
Medizin und Naturwissenschaften................................................ 318
A2.4.2
Ethik und Theologie ..................................................................... 319
A2.4.3
Recht............................................................................................. 319
A2.4.4
Sozialwissenschaften .................................................................... 320
A2.5
Wirtschaft ..................................................................................... 320
A2.6
Kirchen ......................................................................................... 321
A2.7
Gentechnikkritische Gruppen ....................................................... 322
A2.8
Diskurs mit der Bevölkerung........................................................ 322
X
A3 Mitglieder der Begleitgruppe ....................................................................... 325
A4 Glossar
327
A5 Abkürzungsverzeichnis................................................................................. 337
i
Tabellenverzeichnis ......................................................................................Seite
Tabelle 2.1:
Anwendungen des Tissue Engineering...................................... 12
Tabelle 3.1:
Keimblätter und daraus abgeleitete Gewebetypen und
Organsysteme ............................................................................ 22
Tabelle 3.2:
Übersicht über den zeitlichen Ablauf der normalen
menschlichen Entwicklung im Mutterleib ................................ 23
Tabelle 4.1:
Übersicht über bis August 2001 gewonnene ES-ZellLinien aus "überzähligen" menschlichen Embryonen
nach IVF .................................................................................... 37
Tabelle 4.2:
Kriterien zur Charakterisierung von ES- und EG-Zellen .......... 41
Tabelle 4.3:
Übersicht über unterschiedliche humane
Stammzelltypen, die Art ihrer Gewinnung und ihre
Eigenschaften ............................................................................ 77
Tabelle 5.1:
Übersicht über mögliche künftige Therapieansätze bei
Rückenmarksverletzungen ........................................................ 99
Tabelle 5.2:
Zahl der Krankenhausaufenthalte in der Schweiz im
Jahr 1998 ................................................................................. 109
Tabelle 5.3:
Mortalität bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der
Schweiz (Stand: 1995)............................................................. 115
Tabelle 6.1:
Beispiele von Unternehmen mit Aktivitäten in der
Stammzellforschung................................................................ 126
Tabelle 6.2:
Beispiele von Unternehmen mit Aktivitäten in
Zelltherapien............................................................................ 129
Tabelle 6.3:
Unternehmen mit Anknüpfungspunkten zu humanen
Stammzellen in der Schweiz ................................................... 131
Tabelle 6.4:
Übersicht über die Patentsituation weltweit zu
Stammzellen ............................................................................ 135
Tabelle 9.1:
Charakterisierung der gesellschaftlichen Debatte über
menschliche embryonale Stammzellen in der Schweiz
anhand ausgewählter Ereignisse im Zeitraum Frühjahr
2000 bis Frühsommer 2002..................................................... 254
Tabelle A.1:
Parlamentarische Vorstöße in der Schweiz seit 2001
zum Thema Stammzellenforschung ........................................ 316
ii
Abbildungsverzeichnis .................................................................................Seite
Abbildung 3.1:
Überblick über verschiedene Definitionen und
Abgrenzungen des Begriffes "Embryo" und verwandter
Begriffe...................................................................................... 26
Abbildung 4.1:
Therapeutisches und reproduktives Klonen durch
Zellkerntransfer ......................................................................... 48
a
Zusammenfassung
Die Forschung an menschlichen Stammzellen verfolgt das Ziel, grundlegende
Erkenntnisse über Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge beim Menschen zu
gewinnen, die in vielfältiger Weise praktisch nutzbar wären, so z. B. in der
Reproduktionsmedizin, für die Entwicklung von Pharmawirkstoffen, in der
Toxikologie, als Alternative zu Tierversuchen. Sie birgt auch das Potenzial, erstmalige
oder verbesserte Therapien für schwere Erkrankungen zu entwickeln, die heutzutage
nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Gerade weil die Zielsetzungen
der Forschung an menschlichen Stammzellen ethisch vertretbar und wünschenswert
sind, wird in der Schweiz und auch international sehr kontrovers diskutiert, welche
Teilbereiche der Forschung an menschlichen Stammzellen als notwendiges,
verhältnismäßiges und angemessenes Mittel zur Erreichung dieser Zielsetzungen
einzuschätzen sind. Zur Erreichung dieser Zielsetzungen stützt sich die
Stammzellenforschung nämlich auf menschliche adulte Stammzellen sowie – seit
1998 – auch auf menschliche embryonale Stammzellen. Diese beiden Gruppen von
Stammzelltypen mit ihren jeweiligen Untergruppen sind sehr differenziert zu
betrachten. Sie unterscheiden sich in ihrer Herkunft, der Art ihrer Gewinnung, ihrer
Fähigkeit zur Vermehrung, in der Fähigkeit, zu wie vielen verschiedenen Zell- und
Gewebetypen sie sich auszudifferenzieren vermögen sowie in ihren Anwendungspotenzialen. Zudem sind sie in rechtlicher und ethischer Hinsicht sehr unterschiedlich
zu beurteilen. Insbesondere die Gewinnung von embryonalen Stammzellen stößt in
ethische und rechtliche Grenzbereiche vor, da sie mit der Zerstörung menschlicher
Embryonen einhergeht.
Während die öffentliche Debatte in der Schweiz – unter anderem bedingt durch die
aktuelle Rechtslage – auf die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen aus
so genannten "überzähligen" Embryonen aus in-vitro-Fertilisation zugespitzt ist, stellt
dieser Bericht diesen Aspekt bewusst in den Gesamtzusammenhang der Stammzellforschung. Damit leistet dieser Bericht nicht nur einen Beitrag zur gesellschaftlichen
Debatte über den Umgang mit menschlichen Embryonen in vitro, über den in der
Schweiz im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum Embryonenforschungsgesetz
entschieden werden muss. Er ist auch für Teilbereiche des geplanten Bundesgesetzes
zur Forschung am Menschen relevant. Im Zusammenhang mit der Forschung an
menschlichen Stammzellen sind folgende Fragen zu klären:
• Wie sollen innerhalb der Stammzellforschung Forschungsarbeiten an menschlichen
adulten und an menschlichen embryonalen Stammzellen zueinander gewichtet
werden?
• Sofern eine Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zum jetzigen
Zeitpunkt in der Schweiz als wünschenswert erachtet wird: auf welche Typen
menschlicher embryonaler Stammzellen soll sie sich in der Schweiz erstrecken? Soll
auch die Gewinnung dieser menschlichen embryonalen Stammzelltypen in der
Schweiz zulässig sein?
• An welche Bedingungen sollen diese Forschung an bzw. Gewinnung von
menschlichen adulten und embryonalen Stammzellen geknüpft werden?
In diesem Bericht werden Informationen und Argumente vorgelegt, die eine sachlich
fundierte, breit abgestützte Meinungsbildung zu diesen Fragen unterstützen sollen.
b
Résumé
La recherche sur les cellules souches humaines poursuit le but de gagner des
connaissances fondamentales sur les processus de développement et de différenciation
chez l’être humain. Celles-ci seraient utilisables, en pratique, de multiples façons, par
exemple dans la médecine reproductive, pour le développement de substances
pharmacologiquement actives, dans la toxicologie et comme alternative aux essais sur
les animaux. Cette recherche a aussi le potentiel de développer des thérapies nouvelles
ou améliorées pour des maladies graves, que l’on ne peut pas traiter aujourd’hui ou de
façon limitée. Justement parce que les objectifs de la recherche sur les cellules souches
humaines sont acceptables et même souhaitables d’un point de vue éthique, il y a en
Suisse et au niveau international des débats au sujet de: quels domaines de cette
recherche sont nécessaires et adéquats pour atteindre ces objectifs? Il faut savoir que
pour atteindre ces objectifs, la recherche sur les cellules souches fait appel au cellules
souches adultes et – depuis 1998 – également aux cellules souches embryonnaires
humaines. Ces deux types de cellules souches sont à considérer, avec leurs sousgroupes correspondants, d’une manière très différenciée. Elles se distinguent dans leur
provenance, dans leur façon d’être produites, dans leur capacité de se multiplier et de se
différencier dans différents types de cellules et de tissus, ainsi que dans leurs
applications potentielles. De plus, les types de cellules souches sont très distincts d’un
point de vue légal et éthique. En particulier la production de cellules souches
embryonnaires touche à des limites éthiques et légales, car elle amène la destruction
d’embryons humains.
Pendant que le débat actuel en Suisse – entre autre en réponse au contexte légal actuel –
se focalise sur la production de cellules souches embryonnaires humaines à partir
d’embryons "surnuméraires" de la fécondation in vitro ce rapport situe cet aspect
volontairement dans le contexte global de la recherche sur les cellules souches. Par
conséquent ce rapport ne contribue pas seulement au débat de société sur les embryons
humains in vitro, qu’il faudra décider en Suisse lors de la procédure visant une "Loi
fédérale relative à la recherche sur les embryons surnuméraires et sur les cellules
souches embryonnaires". Ce rapport est également important dans certains volets de la
"Loi fédérale concernant la recherche sur l’être humain" en préparation. Les questions
suivantes en relation avec la recherche sur les cellules souches humaines sont à
clarifier :
•
Quelle importance relative est à accorder aux travaux de recherche concernant les
cellules souches adultes ou embryonnaires ?
•
Si on estime la recherche sur les cellules souches embryonnaires actuellement
comme souhaitable en Suisse, à quels types de cellules faut-il l’étendre ? Est-ce
qu’il faut aussi admettre la production de cellules souches embryonnaire humaines
en Suisse ?
•
Sous quelles conditions la recherche ou la production de cellules souches adultes ou
embryonnaires devrait-elle avoir lieu ?
Ce rapport présente des informations et des arguments qui devraient corroborer le
processus de décision afférent à ces questions.
c
Summary
It is the aim of research on human stem cells to broaden our understanding of
developmental and differentiation processes of human beings which could be
practically applicable in many ways, e. g. in reproductive medicine, for the
development of pharmaceutical substances, in toxicology, as alternatives to animal
experiments. Stem cell research also offers the potential to develop new or improved
therapies for diseases which are uncureable today or can only be treated insufficiently.
It is just because the aims of human stem cell research are ethically justifiable and
desirable that there are controversial discussions in Switzerland as well as
internationally which subfields of human stem cell research can be viewed as
necessary, proportional, and appropriate means to achieve these aims. In order to
achieve these aims stem cell research makes use of human adult stem cells and – since
1998 – of human embryonic stem cells. These two groups of stem cell types with their
respective subgroups have to be viewed in a very differentiated way. They differ from
one another in their origin, in the way of their derivation, in their ability to devide and
multiply, in their ability to diffentiate into various cell and tissue types, and in their
application potentials. Moreover, they are assessed very differently with regard to
ethical and legal aspects. Especially the derivation of embryonic stem cells ventures
into ethical and legal limits because it is a concomitant of the destruction of human
embryos.
While the public debate in Switzerland – among others due to the present legal situation
– focusses on the derivation of human embryonic stem cells from so called "surplus"
embryos obtained by in-vitro-fertilisation, in this report this aspect is deliberately
framed into the comprehensive context of stem cell research. In this way, this report
does not only contribute to the social debate on dealing with human embryos in vitro on
which decisions must be made during the legislative process for the embryo research
act. It is also relevant for parts of the planned federal act on research on human
subjects. In the context of human stem cell research a deliberation on the following
questions must take place:
• Which emphasis should be assigned to research activities on human adult stem cells
in comparison to human embryonic stem cells within stem cell research?
• If research on human embryonic stem cells is deemed desirable: which types of
human embryonic stem cells should be included in Switzerland? Should the
derivation of these types of human embryonic stem cells be permitted in
Switzerland?
• What should be made conditional on the research and derivation of human adult and
embryonic stem cells?
This report provides information and arguments on these issues in order to support a
well-informed, broadly based forming of an opinion.
1.
Einleitung
Stammzellen sind besondere Zelltypen, die sich durch zwei Eigenschaften auszeichnen, die in dieser Kombination bei keinem anderen Zelltyp vorkommen:
•
Stammzellen besitzen die Fähigkeit zur fortgesetzten Selbsterneuerung, d. h., sie
können sich durch Zellteilungen über lange Zeiträume in einem relativ undifferenzierten Zustand erneuern und auch vermehren.
•
Stammzellen besitzen die Fähigkeit, sich unter geeigneten Bedingungen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung zu entwickeln (d. h. zu differenzieren).
Es sind verschiedene Stammzelltypen bekannt, die sich in der Art ihrer Gewinnung,
ihrer Fähigkeit zur Vermehrung sowie in der Fähigkeit, zu wie vielen verschiedenen
Zell- und Gewebetypen sie sich auszudifferenzieren vermögen, unterscheiden.
Diese verschiedenen Stammzelltypen werden üblicherweise zu den embryonalen
Stammzellen einerseits und den adulten Stammzellen andererseits zusammengefasst. Aus der Erforschung von Stammzellen lassen sich zum einen grundlegende
Erkenntnisse über Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge von Lebewesen
gewinnen. Zum anderen birgt die biomedizinische Nutzung von Stammzellen das
Potenzial, Zelltherapien für vielfältige Krankheiten zu entwickeln, indem geschädigte oder zerstörte Zellen durch neue, funktionstüchtige Zellen ersetzt werden, die
aus Stammzellen gewonnen wurden.
In den 1990er-Jahren erhielt die schon seit vielen Jahrzehnten betriebene Stammzellforschung neue Impulse. Zum einen gelang es 1998 weltweit erstmals, menschliche embryonale Stammzellen zu gewinnen und in Zellkultur zu halten. Mit diesen
menschlichen embryonalen Stammzellen steht erstmals menschliches Zellmaterial
zur Verfügung,
•
an dem Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge der frühesten menschlichen Entwicklungsstadien untersucht werden können,
•
das im Labor zugleich langfristig kultiviert und vermehrt werden kann, und
•
das sich möglicherweise zu sämtlichen Zell- und Gewebetypen, die den menschlichen Körper aufbauen, zu differenzieren vermag.
Etwa zeitgleich setzte sich auch die Erkenntnis durch, dass adulte Stammzellen
nicht nur in regenerationsfähigen Geweben wie z. B. Haut oder Knochenmark vorkommen, sondern auch in Organen wie dem Gehirn und dem zentralen Nervensystem, in denen man solche regenerations- und differenzierungsfähigen Stammzellen
nicht vermutet hatte. Zudem mehrten sich Hinweise, dass adulte Stammzellen, wie
sie beispielsweise aus Nabelschnurblut und Knochenmark gewonnen werden können, offenbar ein breiteres Differenzierungspotenzial aufweisen aus zuvor angenommen: war man lange Zeit der Meinung, adulte Stammzellen könnten sich nur zu
denjenigen Zelltypen differenzieren, aus denen das Gewebe besteht, in dem die
2
adulten Stammzellen vorkommen, so scheinen sie sich nunmehr unter bestimmten
Bedingungen zu einer Vielzahl von Zelltypen, selbst entwicklungsbiologisch unterschiedlicher Herkunft, differenzieren zu können. Diese neuen Erkenntnisse legen
nahe, dass adulten Stammzellen unter bestimmten Umständen möglicherweise ein
ähnlich breites Differenzierungspotenzial wie embryonalen Stammzellen zukommt.
Einige Formen der Stammzellforschung stoßen jedoch in ethische und rechtliche
Grenzbereiche vor. Dies betrifft vor allem – aber nicht nur – die Gewinnung von
menschlichen embryonalen Stammzellen, die mit der Zerstörung der menschlichen
in vitro-Embryonen einhergeht, aus denen dieser Stammzelltyp gewonnen wird.
Hieraus ergibt sich die Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryos in vitro und den daraus erwachsenden Schutzansprüchen. Hierzu werden in
der Schweiz – wie auch weltweit – sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten,
die zurzeit intensiv debattiert werden.
Ursprünglich war vorgesehen, Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen sowie deren Verwendung in der
Forschung stellen, für die Schweiz im Rahmen des geplanten Bundesgesetzes über
die Forschung am Menschen rechtlich zu regeln. Dieses Gesetz befindet sich zurzeit
in der Erarbeitung. Es soll Regelungen zu vielfältige Fragen schaffen, die im Zusammenhang mit der Forschung an menschlichen Embryonen und Feten stellen, so
z. B. die klinische Forschung an Embryonen und Feten in vivo, die Forschung an
Embryonen und Feten aus Schwangerschaftsabbrüchen, sowie die Forschung an
menschlichen Embryonen in vitro.
Als der Schweizerische Nationalfond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) jedoch im September 2001 Wissenschaftlern von der Universität
Genf ein Projekt zur Forschung an importierten menschlichen embryonalen Stammzellen bewilligte, überging er damit sowohl das Votum der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) als auch das des Eidgenössischen Departments des Inneren EDI. Die NEK hatte mehrheitlich empfohlen, Forschungsgesuche, die den Import menschlicher embryonaler Stammzellen vorsehen, vorerst
zurückzustellen, bis eine Klärung sowohl in rechtlicher als auch in ethischer Hinsicht erreicht sei. Die Forschung an menschlichen Embryonen und an menschlichen
embryonalen Stammzellen ist in der Schweiz bislang nämlich weder klar noch umfassend geregelt. Dies bewog den Bundesrat im November 2001 dazu, diejenigen
Aspekte der Forschung an menschlichen Embryonen in vitro, die die Gewinnung
von embryonalen Stammzellen und deren Verwendung in der Forschung betreffen,
bereits jetzt in einem eigenen Bundesgesetz (Bundesgesetz über die Forschung an
überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz, EFG), Loi fédérale relative à la recherche sur les embryons surnuméraires et
sur les cellules souches embryonnaires, LRE) zu regeln. Dieser Gesetzesentwurf
ging im Mai 2002 in die Vernehmlassung, die bis Ende August 2002 dauerte. Der
Bundesrat hat den überarbeiteten Gesetzesentwurf im November 2002 zu Handen
3
des Parlaments verabschiedet. Es ist vorgesehen, dieses Gesetz zu einem späteren
Zeitpunkt in das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen zu integrieren und
mit dessen In-Kraft-Treten aufzuheben (Eidgenössisches Departement des Inneren
2002, S. 11-12).
Somit ist der Gesetzgeber aufgefordert, zu schwierigen Fragen des Umgangs mit
menschlichen Embryonen in vitro und der Gewinnung menschlicher embryonaler
Stammzellen bald rechtlich bindende Entscheidungen zu treffen. Konkret ist in Bezug auf die Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen zu entscheiden,
•
ob das bisher in der Schweiz geltende implizite Verbot, embryonale Stammzellen aus menschlichen Embryonen zu gewinnen, bestehen bleiben soll,
•
ob bestimmte Optionen zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen
auch in der Schweiz rechtlich zulässig werden sollen,
•
inwieweit im Ausland bereits vorliegende menschliche embryonale StammzellLinien in die Schweiz importiert werden dürfen, um an ihnen zu forschen.
Um in diesen Fragen gut abgestützte Entscheidungen treffen zu können, darf man
sich nicht allein auf die menschlichen embryonalen Stammzellen beschränken,
selbst wenn der nun vorliegende Gesetzesentwurf nur diesen Stammzelltyp betrifft.
Vielmehr ist es erforderlich, den Gesamtzusammenhang der Stammzellforschung zu
betrachten. Es ist beispielsweise zu klären, ob nicht auch ethisch weniger problematische Mittel als menschliche embryonale Stammzellen zur Erreichung der Ziele
der Stammzellforschung geeignet sind. Hierbei sind insbesondere adulte menschliche Stammzellen sowie tierliche embryonale Stammzellen (der Maus, von nichthumanen Primaten) in Betracht zu ziehen.
Der hier vorgelegte Bericht zur Stammzellforschung versucht, diesen Gesamtzusammenhang der Stammzellforschung – unter besonderer Berücksichtigung
menschlicher Stammzellen – herzustellen. Er gibt einen Überblick über den gegenwärtig erreichten Wissensstand in der Stammzellforschung, stellt die ethischen Argumentationslinien in Bezug auf die Gewinnung und Verwendung von menschlichen embryonalen und adulten Stammzellen dar und thematisiert rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte. Dabei wird insbesondere zwischen
menschlichen Stammzellen verschiedener Herkunft sowie zwischen embryonalen
und adulten Stammzellen unterschieden und die jeweiligen Optionen differenziert
betrachtet und bewertet. Damit soll dieser Bericht einen Beitrag dazu leisten, die
gesellschaftliche Diskussion breit und differenziert zu führen und sie nicht allein
auf die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen zu verkürzen.
5
2.
Mögliche künftige Anwendungsgebiete menschlicher
Stammzellen
2.1
Einführung
Der Einsatz von menschlichen Stammzellen wird für eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsgebiete diskutiert. Die Potenziale werden insbesondere in der
Zelltherapie, im Tissue Engineering und der Entwicklung bioartifizieller Organe
gesehen. Außerdem könnten Stammzellen das Ausgangsmaterial für aussagekräftigere Modellsysteme in der Wirksamkeits- und Toxikologieanalyse liefern, die beispielsweise bei der Entwicklung neuer Medikamente eingesetzt werden. Dies birgt
das Potenzial, möglicherweise auf einen Teil der Tierversuche in der Pharmaforschung verzichten zu können. Das dritte Einsatzgebiet liegt in der Grundlagenforschung, z. B. bei der Aufklärung von Zelldifferenzierungsmechanismen, der Aufklärung der Ursachen von Entwicklungsstörungen und Fragen zur Embryotoxikologie. Bei der Diskussion der künftigen Einsatzmöglichkeiten von menschlichen
Stammzellen werden diese Potenziale zumeist embryonalen Stammzellen zugeschrieben. Beim heutigen Stand von Wissenschaft und Technik erscheint es aber
auch möglich, dass diese Einsatzbereiche – zumindest teilweise – auch durch adulte
Stammzellen erschlossen werden könnten.
In den folgenden Abschnitten werden mögliche zukünftige Einsatzgebiete von
Stammzellen skizziert. Teilweise wurden erste erfolgreiche Experimente im Tiermodell bereits durchgeführt, teils stellen die dargestellten Einsatzgebiete Wunschvorstellungen dar, die experimentell nicht abgesichert sind. Nähere Informationen
zum aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zur Erschließung dieser Potenziale finden sich in den Kapiteln 4 und 5.
2.2
Zellmaterial für Zelltherapien
2.2.1
Grundlagen
Vor dem Hintergrund einer steigenden Lebenserwartung gewinnt die Entwicklung
von neuen Therapien für degenerative Erkrankungen, für Erkrankungen des HerzKreislaufsystems und für Krebs zunehmende Bedeutung (Perry 2000). Viele dieser
6
Krankheiten, wie z. B. die Parkinson'sche Krankheit, Diabetes, traumatische Rückenmarksverletzungen oder Muskeldystrophie Duchenne, sind heute noch nicht
heilbar. Das sicherlich prominenteste Potenzial von Stammzellen stellt die Möglichkeit dar, Therapieansätze für bislang nicht behandelbare Krankheiten erstmals
zu ermöglichen oder bisherige Therapien durch bessere zu ersetzen. Im Mittelpunkt
der Forschungsarbeiten steht dabei die Frage, wie aus Stammzellen therapeutisch
wirksame Zellen gewonnen werden können, die den Patienten transplantiert werden
können. Dazu sollen aus den embryonalen Stammzell-Linien Reinkulturen differenzierter Zelltypen erzeugt werden, die zunächst im Labor auf ihre physiologische
Funktion (z. B. Insulinfreisetzung für die Therapie von Diabetes) getestet werden.
Nach der Überprüfung der Effizienz, der Sicherheit und der Immunkompatibilität
im Tierversuch könnte in klinischen Studien am Menschen untersucht werden, ob
diese Zelltransplantate tatsächlich therapeutisch wirksam sind.
Der Vorteil bei der Verwendung von embryonalen Stammzellen für Zelltherapien
liegt in ihrer Fähigkeit, sich unbegrenzt in vitro zu vermehren. Nachteilig im Vergleich zu adulten Stammzellen ist die Gefahr der Ausbildung von Tumoren. Vor
einer Zelltherapie müssten deshalb aus einem Zelltransplantat, das auf eine embryonale Stammzell-Linie zurückgeht, nicht differenzierte Stammzellen sorgfältig entfernt werden.
In der Regel würden Zelltransplantate, die aus menschlichen ES-Zell-Linien hergestellt würden, vom Immunsystem des Zelltransplantatempfängers als fremd erkannt
und abgestoßen. Um dies zu verhindern, müssten die Transplantatempfänger lebenslang mit Medikamenten behandelt werden, die die Immunabwehr dämpfen (so
genannten Immunsuppressiva). Diese Medikamente haben jedoch schwer wiegende
Nebenwirkungen. Bestimmte Formen der Stammzell-Therapie bergen jedoch auch
das Potenzial, dieses Problem der Abstoßung zu umgehen: zum einen könnten
adulte Stammzellen aus dem Empfänger selbst isoliert und zur Herstellung des
Zelltransplantats eingesetzt werden (autologes Zelltransplantat). Zum anderen
könnte eine Option darin bestehen, eine individualisierte, auf den jeweiligen Patienten maßgeschneiderte embryonale Stammzell-Linie herzustellen, die weitgehend dem immunologischen Profil des Empfängers entspräche. Deshalb sollten
Zelltransplantate, die aus dieser Stammzell-Linie hergestellt würden, nach Transplantation in "ihren" Empfänger nicht der Abstoßung unterliegen (National Institutes of Health 2001, S. 16). Man hofft, solche individualisierten embryonalen
Stammzell-Linien durch die Methode des so genannten "Therapeutischen Klonens"
oder auch der Parthenogenese anlegen zu können (Lanza et al. 1999, s. Kap. 4.3
und 4.5).
7
2.2.2
Stammzellen des Blut bildenden Systems (Hämatopoetisches
System)
Seit mehr als 50 Jahren wird an Blut bildenden Stammzellen (so genannten hämatopoetischen Stammzellen) geforscht. Sie sind derjenige menschliche Stammzelltyp,
der bereits in der Klinik breit verwendet wird, und zwar zur Therapie verschiedener
Blutkrebsarten (Leukämien und Lymphome), aber auch anderer Erkrankungen des
Bluts und des Immunsystems (National Institutes of Health 2001, S. 43, s. auch
Kap. 4.6.1.2, Kap. 5.6 und Kap. 5.7.2). Dabei dienen rund 75 % aller Stammzelltransplantate der Therapie verschiedener Leukämieformen. Weitere Einsatzgebiete
für die Therapie mit hämatopoetischen Stammzellen sind verschiedene Lymphome
und andere Krebsarten (Brustkrebs, Ewing Sarkom, Neuroblastom, Nierenzellkarzinom), einige liposomale Speicherkrankheiten, erbliche Abnormalitäten der Erythrozythen und der Blutplättchen, erbliche Immunsystemerkrankungen, Erkrankungen
der Phagozyten (Fresszellen) und der Histiozyten (dies sind bewegliche Zellen des
lockeren Bindegewebes mit Phagozytoseaktivität) sowie einige weitere Erbkrankheiten wie das Lesch-Nyhan-Syndrom, eine X-Chromosomal rezessiv vererbte Störung des Purinstoffwechsels, und die Marmorknochenkrankheit (Osteopetrosis).
Allerdings sind besonders die letztgenannten Einsatzgebiete derzeit noch von zum
Teil erheblichen Nebenwirkungen bis hin zu letalen Folgen begleitet, so dass nach
dem derzeitigen Wissensstand die Therapie mit Stammzellen nur das letzte Mittel
ist (National Institutes of Health 2001, S. 52).
In den letzten Jahren wurden neue Erkenntnisse zur Plastizität der hämatopoetischen Stammzellen gewonnen: in Tierexperimenten konnte nachgewiesen werden,
dass sie auch andere Zelltypen wie Herz- und Skelettmuskelzellen und Leberzellen
bilden können (Kap. 4.6.2.4). Deshalb könnten hämatopoetische Stammzellen in der
Zukunft auch andere Zelltypen als nur Blut- und Immunzellen ersetzen. Solche neuartigen Therapien könnten auf die klinisch bereits gut etablierten Verfahren zur
Gewinnung menschlicher hämatopoetischer Stammzellen aufbauen. Es müssten
jedoch noch Methoden entwickelt werden, um hämatopoetische Stammzellen in
vitro zu vermehren und sie gezielt zu den benötigten Zelltypen zu differenzieren
(National Institutes of Health 2001, S. 43).
Auch bei soliden Tumoren wurden in jüngerer Zeit Hinweise auf eine Therapiemöglichkeit durch hämatopoetische Stammzellen gefunden. Konkret handelt es sich
um Tumore in Niere, Lunge, Prostata, Eierstock, Darm, Speiseröhre, Leber und
Bauchspeicheldrüse. In der so genannten Graft-versus-Tumor-Strategie werden dem
immunsupprimierten Patienten allogene hämatopoetischen Stammzellen gegeben.
Die hämatopoetischen Stammzellen wandern in die Tumore ein und greifen das
Tumorgewebe an. Dieselbe Strategie kann möglicherweise auch mit Stammzellen
aus Nabelschnurblut verfolgt werden. Obwohl dieses keine natürlichen Killerzellen
(NK-Lymphozyten) besitzt, wird die Aktivität und Anzahl dieser Zellen im Patienten durch das Transplantat gesteigert (National Institutes of Health 2001, S. 52).
8
Für bestimmte Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoide Arthritis, Lupus
erythematosus und Sjogren´s Syndrom stehen bisher nur Entzündungshemmer und
Immunsuppressoren bzw. -modulatoren als Therapeutika zur Verfügung, die bei
einigen Patienten nicht die gewünschte Wirksamkeit entfalten. Möglicherweise lassen sich für diese Krankheiten Zellersatztherapien auf der Basis hämatopoetischer
Stammzellen entwickeln. Zunächst würde man den Patienten hämatopoetische
Stammzellen entnehmen und aufbewahren. Dann wird der Patient mit Medikamenten oder Strahlen behandelt, die seine autoreaktiven Immunzellen zerstören. Anschließend werden dem Patienten die eigenen hämatopoetischen Stammzellen
retransplantiert, damit sie den Aufbau eines neuen Immunsystems unterstützen. Am
Krankheitsbild des Lupus erythematosus wurden mit diesem Konzept bereits erste
Erfolge erzielt (National Institutes of Health 2001, S. 62, Kap. 5.6). In Kombination
mit der Gentherapie könnten die therapeutischen Effekte dieser Strategie möglicherweise noch verstärkt werden. So könnten hämatopoetische Stammzellen gentechnisch so verändert werden, dass sie das Entzündungen vermittelnde Cytokin
Interferon Gamma bevorzugt an die eigene Oberfläche binden und so dem Körper
des Patienten entziehen (National Institutes of Health 2001, S. 64).
2.2.3
Diabetes mellitus
Diabetes mellitus ist die häufigste Stoffwechselerkrankung der Welt. Obwohl inzwischen der zu Grunde liegende Krankheitsmechanismus geklärt werden konnte,
gibt es keine Therapie, die eine Heilung bewirken könnte. Trotz sorgfältiger Insulinsubstitutionstherapie können Spätschäden wie Erblindung, Durchblutungsstörungen der Gliedmaßen und Nierenversagen oft nicht verhindert werden. Die Entwicklung von Zellersatztherapien könnte dazu beitragen, die Häufigkeit dieser Spätschäden zu verringern, da man hofft, dass transplantierte Insulin produzierende
Zellen die Blutzuckerkonzentration physiologisch regulieren können.
Diskutiert wird der Einsatz von Insulin produzierenden Zellen, die aus Stammzellen
aus fetalem Gewebe, aus adultem Gewebe und aus embryonalen Stammzellen hergestellt werden (Kap. 5.3). Voraussetzung für den Einsatz wäre jeweils die in vitro
Kultivierbarkeit und Vermehrbarkeit sowie die in vivo Differenzierbarkeit. Bislang
ist noch nicht geklärt, ob es für eine therapeutische Wirkung ausreicht, nur β-Zellen
zu produzieren, oder ob ein System aus Stammzellen oder Vorläuferzellen günstiger
ist, das alle Zellen des Inselclusters hervorbringt (National Institutes of Health
2001, S. 70). Von letzterem erhofft man sich eine physiologisch exakt kontrollierte
Freisetzung des benötigten Insulins. Der Vorteil von embryonalen Stammzellen im
Vergleich zu adulten Stammzellen könnte darin liegen, dass sie möglicherweise
geringere Abstoßungsreaktionen hervorrufen (National Institutes of Health 2001,
S. 72). Zudem lassen sie sich auf Grund ihrer hohen Teilungsfähigkeit möglicherweise besser mittels gentechnischer Methoden modifizieren als adulte Stammzellen
(National Institutes of Health 2001, S. 74).
9
2.2.4
Erkrankungen des Nervensystems
Erst Mitte der 1990er-Jahre wurde das bis dahin herrschende Dogma wissenschaftlich widerlegt, dass sich Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark nicht regenerieren könnten. Seitdem eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Therapie von Erkrankungen des Nervensystems (Kap. 5.4). So könnten neurale Zellen zur Transplantation in vitro vermehrt werden. Dieses Zellmaterial könnte entweder noch in vitro
zum gewünschten Zelltyp differenziert werden oder im undifferenzierten Zustand
transplantiert werden, so dass körpereigene Signale des Empfängers die Zelldifferenzierung bewirken würden (National Institutes of Health 2001, S. 77). Mit Hilfe
dieses Verfahrens könnten möglicherweise neurodegenerative Erkrankungen wie
die Parkinson'sche Krankheit, die Huntington'sche Krankheit oder Multiple Sklerose therapiert werden. Stammzellen könnten zur Therapie in jeweils diejenigen
Neuronentypen differenziert werden, die bei den oben genannten Erkrankungen
degeneriert sind, und in das Gehirn appliziert werden. Im Falle der Huntington'schen Krankheiten sind das GABA-erge Neuronen, für Multiple Sklerose Myelin produzierende Oligodendrozyten und zur Therapie der Parkinson'schen Krankheit würden die transplantierten Zellen die degenerierten dopaminergen Neuronen
ersetzen, so dass die Patienten unabhängig von einer Medikamentengabe und ihren
unerwünschten Nebenwirkungen würden (National Institutes of Health 2001, S. 81).
Ausgangsmaterial könnten embryonale oder aus Feten gewonnene adulte Stammzellen sein. Ob auch adulte Stammzellen aus anderen Quellen für dieses Einsatzgebiet geeignet sind, ist derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen
(National Institutes of Health 2001, S. 83).
Im Gegensatz zu den genannten neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen nur
ein einziger Zelltyp transplantiert werden muss, würde die Therapie von Rückenmarksverletzungen wesentlich größere Anforderungen an das zu transplantierende
Gewebe stellen. Bei einer Rückenmarksverletzung sind nämlich zahlreiche verschiedene Zelltypen betroffen. Für den Fall, dass die Reizweiterleitung in den Axonen noch intakt ist und nur die Myelinscheide zerstört ist, könnten jedoch embryonale Stammzellen zu Oligodendrozyten differenziert werden, welche nach Injektion
in das Rückenmark die Axone wieder remyelinisieren würden (National Institutes
of Health 2001, S. 84).
Möglicherweise könnten Stammzellen auch als Ausgangsmaterial zur Herstellung
neuraler Zellen dienen, die zur Therapie von Nervenzellschädigungen und Zellverlust im Gehirn durch einen Schlaganfall eingesetzt würden. Bislang werden hierzu
allerdings Zell-Linien eingesetzt, welche aus einem humanen Keimdrüsentumor
(Teratocarcinom) abgeleitet wurden. Die Herstellung des Zelltransplantats aus
Stammzellen könnte eine entscheidende Verbesserung in Bezug auf die Sicherheit
des Transplantats darstellen.
10
Auch bei Störungen der Reizvermittlung wie der Epilepsie wird eine Zellersatztherapie für medikamentenresistente und nicht durch eine Operation behandelbare
Epilepsie-Erkrankte diskutiert. Nach bisherigem Stand befinden sich xenogene,
d. h. aus Tieren stammende fetale Nervenzellextrakte in der Erprobungsphase
(Hüsing et al. 2001, S. 136). Größter Nachteil ist, dass es sich dabei um eine Mischung verschiedenster Zelltypen handelt. Transplantate aus Stammzellen würden
nur einen bestimmten Zelltypus enthalten und damit eine größere Sicherheit und
eventuell bessere Funktion bei geringerer zu transplantierender Zellzahl gewährleisten.
Zelltherapien mit Stammzellen könnten auch dazu eingesetzt werden, einen therapeutischen Wirkstoff direkt am gewünschten Wirkort zu produzieren. Im Vergleich
zu einer herkömmlichen Verabreichung des Medikaments könnten auf diese Weise
möglicherweise Nebenwirkungen verringert werden. Am Beispiel der Epilepsie und
chronischer Schmerzen gibt es dazu erste experimentelle Ansätze mit tierlichem
Zellmaterial (Hüsing et al. 2001, S. 136ff.), die jedoch der Abstoßung unterliegen
und zudem ein gewisses Risiko bergen, neuartige Krankheitserreger auf den Menschen zu übertragen. Im Vergleich zu diesen tierlichen Zelltransplantaten könnten
sich humane Stammzell-Linien möglicherweise in Bezug auf Sicherheit und Immunkompatibilität als vorteilhafter erweisen, wenn sie gentechnisch so modifiziert
werden können, dass sie antikonvulsive Substanzen (für Epilepsie) oder schmerzlindernde Substanzen (für chronische Schmerzen) synthetisieren.
2.2.5
Herzerkrankungen
Adulte und embryonale Stammzellen können zu Herzmuskel- und Gefäßzellen
(Cardiomyocyten und Endothelzellen) differenzieren. Damit besitzen sie das Potenzial geschädigte Herzzellen zu ersetzen, neue Gefäße zur Blutversorgung zu etablieren und dadurch die Herzfunktion, beispielsweise nach einem Herzinfarkt, wieder
herzustellen (National Institutes of Health 2001, S. 87, Kap. 5.5). Die Applikation
der in vitro produzierten Zellen könnte durch Injektion in die geschädigte Zone des
Patientenherz erfolgen. Neuere Untersuchungen legen sogar nahe, dass es möglich
werden könnte, Stammzellen in die Blutbahn zu injizieren, damit sie über das Blut
zum Herzen transportiert werden. Dort würde sich ihre Schutzwirkung auf hypertrophierte oder verdickte Herzmuskelzellen entfalten und die progressive Bildung
von Kollagenfasern verhindert werden. Letztendlich könnte es auch möglich werden, gentechnisch veränderte Stammzell-Linien herzustellen, die nach Differenzierung und Transplantation direkt am Wirkort im Herzen therapeutische Proteine
synthetisieren, die den Regenerationsprozess bewirken (National Institutes of
Health 2001, S. 91).
11
2.3
Zellmaterial für regenerative Systeme, Tissue Engineering
Viele vererbte oder erworbene Erkrankungen sind mit chronischen oder akuten Gewebe- und Organausfällen verbunden, die mit den derzeitig verfügbaren Mitteln des
Gewebe- und Organersatzes nur unzureichend therapiert werden können. Stammzellen könnten dabei neue Wege öffnen, biologisch verträglichen und funktionellen
Zell- und Gewebeersatz im Rahmen eines Tissue Engineering zu entwickeln. Somit
könnte sich mittelfristig ein Forschungs- und Anwendungsbereich entwickeln, der
durch fließende Übergänge zwischen Stammzellforschung und Tissue Engineering
gekennzeichnet ist. Aus der Stammzellforschung wird das Potenzial der Stammzellen eingebracht, Zellmaterial in vitro zu vermehren und zu differenzieren. Aus dem
Tissue Engineering werden unter anderem Know-how und Methoden eingebracht,
den Differenzierungsprozess und die Funktionalität der Zellen durch gezielte
Gestaltung ihrer Umgebung (Zell-Zell-Kontakte, Zell-Matrix-Interaktionen) und die
Gabe von Wachstumsfaktoren in der gewünschten Weise zu beeinflussen. Durch
die Zusammenführung dieser Kompetenzen könnte erreicht werden, dass die Zellen
einen gewebe- oder organähnlichen Zellverband bilden (Bianco et al. 2001).
Damit könnten Herzklappen, Blutgefäße, Lungen-, Urothel- (Harnblase/Harnleiter),
Leber-, Darm- und Nierengewebe, künstliche Bauchspeicheldrüse, Haut, Knochen,
Knorpel und Bindegewebe erzeugt werden. Weit fortgeschritten und schon in der
klinischen Anwendung sind die Herstellung von Haut, Knorpel und Knochen
mittels adulter, meist autologer (d. h. patienteneigener) Stammzellen mit Hilfe des
Tissue Engineering (Stock et al. 2001; Griffith et al. 2002). Selbst eine künstliche
Harnblase wurde schon im Tierversuch erprobt (Oberpenning et al. 1999).
Tabelle 2.1 fasst die Zielorgane und die hierfür benötigten Zelltypen zusammen.
Mit Hilfe gentechnischer Modifikationen könnten in vitro die zu transplantierenden
Gewebe modifiziert werden und damit Defekte, wie z. B. fehlende Enzymfunktion
behoben werden.
Eher im Bereich des Utopischen dürfte die – prinzipiell vorstellbare – Züchtung von
ganzen bioartifiziellen Organen (z. B. Niere, Bauchspeicheldrüse, Herz) mit Hilfe
von Stammzellen anzusiedeln sein. Derart komplexe Strukturen werden in
absehbarer Zeit durch Tissue Engineering nicht aufzubauen sein. Unter anderem ist
ungelöst, wie die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung der bioartifiziellen Gewebe
und Organe gewährleistet werden soll. Dazu müssten die Kenntnisse über die Neubildung von Blutgefäßen erweitert werden, da der Anschluss des bioartifiziellen
Gewebes oder Organs an das Blutgefäßsystem des Empfängers essentiell ist (Martin
et al. 2001).
12
Tabelle 2.1:
Anwendungen des Tissue Engineering
Zielorgan
Herzklappe
Gefäße
Lunge
Leber
Niere
Harnblase / Harnleiter
Pankreas
Darm
Haut
Knochen
Knorpel
Bindegewebe
Benötigter Zelltyp
Endothelzellen, Myofibroblasten
Endothelzellen, Myofibroblasten
Pneumozyten
Hepatozyten
Epithelzellen des Nierentubulus
Urothelzellen
Inselzellen
Enterozyten
Epithelzellen
Osteoblasten
Chondrozyten
Fibroblasten
Quelle: Martin et al. 2001
2.4
Zelldifferenzierungsmechanismen
Menschliche Stammzellen sind auf Grund ihres Entwicklungs- und Differenzierungspotenzial besonders interessant für die Grundlagenforschung (Heinemann
2001). Sie eröffnen die Möglichkeit, zelluläre Differenzierungswege auf molekularer Ebene in vitro systematisch zu erforschen. Die Erforschung menschlicher embryonaler Stammzellen wird neue Erkenntnisse zum Verlauf der menschlichen
Entwicklung liefern können. Dieses Wissen kann zum einen in der Reproduktionsmedizin genutzt werden, z. B. um bestimmte Fertilitätsstörungen zu beheben oder
um die Erfolgsraten der in vitro-Fertilisation (IVF) und verwandter Techniken zu
steigern. Es kann auch in der weiteren Etablierung von Zellersatztherapien Anwendung finden, indem es dazu beiträgt, z. B. geeignete Mengen eines bestimmten
Zelltypus bereitzustellen.
Die Erforschung von embryonalen und adulten Stammzellen kann auch zum Verständnis von fehlgeleiteten Zelldifferenzierungen wie z. B. bei Krebs beitragen und
damit die Entwicklung von neuartigen Medikamenten zur Therapie unterstützen.
Detailliertere Kenntnisse der Differenzierungsmöglichkeiten von Stammzellen
könnten dazu beitragen, adulte Stammzellen nach ihrer Isolierung aus dem Körper
des Patienten zu kultivieren und für die Herstellung patienteneigener Zell- und Gewebetransplantate zu verwenden (Heinemann 2001). Denkbar ist auch, das Wissen
um Zelldifferenzierungsmechanismen dazu zu nutzen, die adulten Stammzellen im
13
Körper des Patienten durch geeignete Signale so anzuregen, dass eine Regeneration
durch die körpereigenen Zellen erfolgt.
2.5
Embryotoxikologie
Ob bestimmte Medikamente und Umweltfaktoren Babys noch während ihrer Entwicklung im Mutterleib schädigen können, wird bislang an Tiermodellen getestet.
Dabei sind hinsichtlich der Aussagekraft und der Übertragbarkeit auf den Menschen
häufig Einschränkungen zu machen. Embryonale Stammzellkulturen eröffnen die
Möglichkeit an humanen Zellen die Wirkung äußerer Faktoren auf die menschliche
Entwicklung bereits während einer sehr frühen Entwicklungsstufe zu charakterisieren. Dadurch könnte eine größere Zahl von Einflussfaktoren effizient und rasch
getestet werden und die Notwendigkeit von Tierexperimenten verringert werden
(Guan et al. 1999).
2.6
Modellsysteme zur Entwicklung von neuen Medikamenten und für Toxikologieuntersuchungen
Bei der präklinischen Entwicklung neuer Medikamente werden neben Tierversuchen auch Tests an Zellkulturen mit humanen Zell-Linien durchgeführt. Dies ist
notwendig, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass neue Medikamente auf
menschliche Zellen eine andere Wirkung haben als auf tierliche Zellen. Gewöhnlich
wurden diese humanen Zell-Linien über einen langen Zeitraum in vitro kultiviert
und haben mittlerweile andere Charakteristika als Zellen in vivo. Daraus resultiert
jedoch wiederum, dass Vorhersagen über die Wirkungsweise eines Medikaments in
vivo aus den in vitro-Ergebnissen schwierig zu machen sind. Stammzellen könnten
deshalb dazu eingesetzt werden, Zelltypen herzustellen, die wichtig für das Screening der Medikamente sind, da die neu aus Stammzellen differenzierten Zellen
möglicherweise eher das in vivo-Verhalten des zu testenden Gewebes aufweisen.
Somit könnte das Screening von Medikamenten mit Hilfe von Zellen, welche aus
Stammzellen differenziert wurden, sicherer, schneller und damit auch billiger sein
(National Institutes of Health 2001, S. 18).
Menschliche Stammzellen könnten in in vitro-Toxikologieuntersuchungen eingesetzt werden. Bisher wird die Toxizität von Substanzen an verschiedenen Tiermodellen und humanen Zell-Linien untersucht, für die ähnlichen Einschränkungen
gelten wie für die Untersuchungssysteme, die bei der Entwicklung neuer Medikamente verwendet werden. Humane Stammzellen könnten hier ein besseres in vitroModell zur Bewertung der Wirkung von Toxinen auf humane Zellen abgeben
(National Institutes of Health 2001, S. 18).
14
2.7
Modellsystem zur Funktionsaufklärung von Genen
Um die Funktion einzelner Gene aufzuklären, werden die zu charakterisierenden
Gene häufig zunächst in Einzellern (Bakterien, Hefen) exprimiert und untersucht,
anschließend in Tiermodellen. Dieses Verfahren ist darauf angewiesen, dass tatsächlich entsprechende transgene Tiere erzeugt werden können, doch ist dies ein
zeit- und ressourcenaufwändiger Prozess. Außerdem können nicht in jedem Fall
lebensfähige transgene Tiere erhalten werden, so z. B., wenn das Genprodukt embryotoxisch ist oder ein Gen ausgeschaltet werden soll, das in der Embryonalentwicklung essentiell ist. Mit Hilfe von embryonalen Stammzellen der Maus wurden
zwei Testverfahren entwickelt, die diese Lücke schließen können.
Im loss of function-Verfahren verwendet man embryonale Stammzellen der Maus,
in denen das zu untersuchende Gen vorliegt. In dieses Gen werden gezielt homozygote Mutationen eingeführt. Anschließend wird untersucht, welche Funktionen
durch diese Mutationen gestört wurden. Hierfür werden die mutierten embryonalen
Stammzellen in vitro zu verschiedenen Zelltypen (z. B. Herzmuskelzellen, Muskelzellen, neuronale Zellen etc.) differenziert. Durch Vergleich ihres Differenzierungsverhaltens und ihres Genexpressionsprofils mit entsprechenden Zelltypen, die durch
Differenzierung von nicht mutierten embryonalen Stammzellen erhalten wurden,
kann auf die Funktion des Gens geschlossen werden, in das die Mutation eingeführt
wurde. Mit diesem Verfahren können Informationen über die Funktion eines Genprodukts selbst in den Fällen erhalten werden, in denen das transgene Tier wegen
des tödlich wirkenden Genprodukts bereits in einem frühen Entwicklungsstadium
absterben würde.
Eine Variante stellt das gain of function-Verfahren dar. Hierbei wird die Funktion
eines Gens untersucht, das in den embryonalen Stammzellen der Maus normalerweise nicht exprimiert wird. Das zu untersuchende Gen wird mit Hilfe gentechnischer Methoden so in das Genom der embryonalen Stammzell-Linie eingebracht,
dass es ständig exprimiert wird. Die nachfolgende Differenzierung und Untersuchung des Differenzierungsverhaltens und des Expressionsprofils erfolgt wie oben
beschrieben. Durch das gain-of-function-Verfahren kann bei der Aufklärung von
Genfunktionen viel Zeit eingespart werden, da Funktionsuntersuchungen bereits auf
der Ebene von Zellkulturen möglich sind und nicht die Geburt und Entwicklung
transgener Tiere abgewartet werden muss (Guan et al. 1999).
Embryonale Stammzellen des Menschen bieten das Potenzial, entsprechende Untersuchungsverfahren für menschliche Gene im homologen System statt an embryonalen Stammzellen der Maus durchzuführen.
15
2.8
Vor- und Nachteile von menschlichen embryonalen
Stammzellen im Vergleich zu herkömmlichen Zelltherapien und -modellen
Im Vergleich zu anderen menschlichen Zelltypen, welche in Kultur meist nur eine
begrenzte Lebensdauer haben, zeichnen sich menschliche embryonale StammzellLinien dadurch aus, dass sie im Labor zeitlich nahezu unbegrenzt kultiviert, in vitro
vermehrt und zudem in eine Vielzahl unterschiedlicher Zelltypen differenziert werden können. Daraus eröffnen sich die folgenden komparativen Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Zelltherapien und -modellen:
• Es besteht die Hoffnung, zeitlich und mengenmäßig unbegrenzt einheitliches,
menschliches Zellmaterial für Zelltherapien oder für Zellmodelle bereitzustellen
und zwar selbst solches Zellmaterial, das in Primärisolaten nur in geringen
Mengen vorhanden ist, nur sehr aufwändig isoliert werden kann oder nur sehr
schlecht kultivierbar ist.
• Stammzell-Linien könnten – wie andere Zell-Linien auch – kontinuierlich für
bestimmte Verwendungszwecke optimiert bzw. maßgeschneidert werden, z. B.
durch gentechnische Veränderungen. Diese gentechnische Veränderung könnte
an den Stammzell-Linien selbst vorgenommen werden und müsste daher nicht
an dem Lebewesen, dem die Stammzellen entstammen, durchgeführt werden.
• Ein wesentliches Ziel für solche Optimierungen wäre die Bereitstellung immunologisch kompatibler Transplantate, die keine lebenslange medikamentöse
Immunsuppression des Transplantatempfängers mehr erfordern. Eine Option
besteht darin, Stammzell-Linien entsprechend gentechnisch zu verändern. Möglicherweise könnten auf diese Weise zunächst zelluläre Allotransplantate bereitgestellt werden, die für Gruppen von Patienten, die in wesentlichen immunologischen Markern übereinstimmen, immunologisch kompatibel wären. Ein methodisch ganz anderes Herangehen an das Problem der Abstoßung stellt die
Methode des so genannten "Therapeutischen Klonens" dar. Man hofft, auf diese
Weise individualisierte embryonale Stammzell-Linien anlegen zu können, deren
immunologisches Profil weitgehend mit dem des einzelnen Patienten übereinstimmt, so dass daraus gewonnene Zelltransplantate durch diesen Patienten
nicht abgestoßen würden (s. auch Kap. 4.3).
• Verstünde man, unter welchen Bedingungen sich Stammzellen zu bestimmten
Geweben und Organen differenzieren und könnte man diese Bedingungen
nachbilden, so ist es vorstellbar, dass man in fernerer Zukunft möglicherweise
sogar komplexere Gewebe in vitro züchten könnte.
• Den Vorteil einer guten mengenmäßigen Verfügbarkeit bieten neben humanen
Stammzell-Linien auch tierliche Zelltransplantate (zelluläre Xenotransplantate).
Jedoch werden bei diesem Zellmaterial tierlichen Ursprungs Sicherheitsbedenken geäußert, da möglicherweise tierliche Krankheitserreger über das Zelltransplantat auf den Menschen übertragen werden könnten. Möglicherweise kann
16
•
diese Infektionsgefahr durch Zelltransplantate, die aus menschlichen embryonalen Stammzell-Linien hergestellt wurden, umgangen werden.
Zell-Linien verlieren häufig bei der Inkulturnahme wichtige Eigenschaften des
Gewebetyps, aus dem sie entstammen. Dadurch wird die Aussagekraft von Experimenten eingeschränkt, bei denen diese Zell-Linien als Modellsysteme eingesetzt werden. Möglicherweise lassen sich jedoch aus menschlichen embryonalen Stammzell-Linien Zelltypen durch Differenzierung herstellen, die ein besseres Modell darstellen. Solche Modellsysteme könnten vielfältige Anwendungen finden, so z. B. bei zur Erprobung von Medikamentenwirksamkeit und
-nebenwirkungen, bei Toxizitätsprüfungen, in der Grundlagenforschung, zur
Erweiterung des Wissens über die Entwicklungsbiologie des Menschen u. a.
Dadurch könnten möglicherweise auch Tierversuche eingespart werden.
Nachteilig im Vergleich zu herkömmlichen Therapien ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Unklarheit über das weitere Verhalten transplantierter embryonaler
Stammzellen. Da sie das Potenzial zur unbegrenzten Teilung haben, könnte es auch
in situ im Patienten zu unkontrolliertem Zellwachstum und dadurch zur Ausbildung
von Tumoren führen.
17
3.
Begriffliche Klärungen und Definitionen
Will man sich mit Stammzellen und den damit verbundenen Fragestellungen befassen, ist es erforderlich, mit naturwissenschaftlichen Sachverhalten und Begrifflichkeiten sehr differenziert umzugehen, die sich der Alltagserfahrung und sinnlichen
Wahrnehmung weitgehend entziehen und die selbst für naturwissenschaftlich gut
ausgebildete Menschen nicht zum Grundwissen gehören. Erschwerend kommt
hinzu, dass zentrale Begriffe wie z. B. der des "Embryos" und der "Toti- bzw. Pluripotenz" in einem bestimmten Kontext bzw. unter bestimmten (experimentellen)
Bedingungen geprägt werden, sie dann aber in verschiedenen Zusammenhängen
und Disziplinen, z. B. Embryologie und Stammzellforschung, Ethik und Recht mit
nicht einheitlicher Bedeutung, Definition und Abgrenzung verwendet werden.
Ziel dieses Kapitels ist es, auch den nicht einschlägig vorgebildeten Leserinnen und
Lesern die Orientierung in diesem komplizierten Gebiet zu erleichtern. Hierzu soll
zunächst – sozusagen als eine der Alltagserfahrung noch am nächsten liegende Referenz – die normale Entwicklung eines menschlichen Individuums von der Befruchtung im Mutterleib bis zur Geburt beschrieben und hierbei wichtige Fachbegriffe erläutert werden, die für das Verständnis der Stammzellthematik wesentlich
sind (z. B. Zygote, Blastocyste, Embryo- und Trophoblast etc) (Kap. 3.1). Die Darstellung basiert auf Informationen aus Sadler 1998; National Institutes of Health
2001; Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2001; Stollorz 2001.
Darauf aufbauend werden die Begriffe Embryo, Fetus, Stammzellen, Embryonale
Stammzellen (ES- und EG-Zellen), Adulte Stammzellen, Totipotenz und Pluripotenz definiert und erläutert (Kap. 3.2).
3.1
Normale Entwicklung eines menschlichen Individuums
von der Befruchtung im Mutterleib bis zur Geburt
Die normale Entwicklung eines menschlichen Individuums von der Befruchtung im
Mutterleib bis zur Geburt dauert insgesamt 38 Wochen. Da im Zusammenhang mit
der Stammzellthematik die sehr frühen Stadien der menschlichen Entwicklung von
besonderem Interesse sind, werden wir diesen Zeitraum von 38 Wochen der Übersichtlichkeit halber in folgende Phasen unterteilen, die unten näher beschrieben
werden:
1. Woche:
2. Woche:
3. Woche:
Von Eisprung und Befruchtung bis zur beginnenden Einnistung in der Gebärmutter
Abschluss der Einnistung und Ausbildung der Keimscheibe
Gastrulation; Ausbildung der drei Keimblätter
18
4.-8. Woche:
9.-38. Woche:
Anlage aller Organsysteme und Ausbildung der Körperform
Größenwachstum und Ausreifung der Organsysteme bis zur
Geburt
Eine Übersicht über diese Phasen gibt Tabelle 3.2.
3.1.1
1. Woche: von Eisprung und Befruchtung bis zur beginnenden
Einnistung in der Gebärmutter
Nach Ende einer Monatsblutung (Menstruation) reifen in der ersten Hälfte des folgenden Menstruationszyklus unter hormonellem Einfluss neue Eizellen im Eierstock heran. In der Regel erreicht nur eine dieser Eizellen ein Reifestadium, in dem
sie in den Eileiter freigesetzt wird; die anderen Eizellen gehen zugrunde. Dieser
Eisprung findet etwa 14 Tage vor dem Einsetzen der nächsten Monatsblutung statt.
Manche Frauen können den Eisprung spüren; er geht mit einer geringfügigen,
messbaren Erhöhung der Körpertemperatur einher. Diese aus dem Eierstock in den
Eileiter freigesetzte Eizelle wandert den Eileiter entlang Richtung Gebärmutter. Sie
ist für etwa 6-12 Stunden befruchtungsfähig. Wird sie innerhalb dieses Zeitfensters
nicht befruchtet, stirbt sie innerhalb von 24 Stunden ab.
Erfolgt um die Zeit des Eisprungs herum Geschlechtsverkehr, wandern die etwa
200-300 Mio. Spermien sehr schnell aus der Scheide durch die Gebärmutter (Uterus) und von dort in den Eileiter. Während dieser Wanderung machen die Spermien
den Prozess der so genannten Kapazitation durch, durch den sie erst in die Lage
versetzt werden, Eizellen zu befruchten. Beim Menschen dauert die Kapazitation
etwa 7 Stunden. Außerdem reduziert sich die Zahl der Spermien auf ihrem Weg in
den Eileiter drastisch; nur etwa 300-500 Spermien erreichen den oberen Teil des
Eileiters, wo sie auf eine befruchtungsfähige Eizelle treffen können.
Durch das Aufeinandertreffen von Eizelle und Spermien im oberen Teil des Eileiters wird der Befruchtungsvorgang eingeleitet: Berührt ein Spermium die die Eizelle umgebende Eihülle, die so genannte Zona pellucida, bleibt es daran haften und
beginnt diese Hülle lokal aufzulösen. Kopf, Hals und Schwanzfaden des Spermiums
dringen in das Innere der Eizelle ein. Dadurch werden drei Ereignisse in der Eizelle
induziert:
•
Die Zona pellucida ändert schlagartig ihre Struktur, um das Eindringen weiterer
Spermien zu verhindern.
•
Die beim Eisprung begonnene und auf einer Zwischenstufe angehaltene meiotische Teilung der Eizelle wird zu Ende geführt und der Zellkern der Eizelle wandelt sich in den weiblichen Vorkern um.
•
Und schließlich erfolgt eine Aktivierung der Eizelle, eine Umsteuerung ihres
Stoffwechsels, die die nachfolgende Embryogenese ermöglicht.
19
Das Spermium dringt in das Innere der Eizelle vor, bis es in der Nähe des weiblichen Vorkerns zu liegen kommt. Dort bildet es den männlichen Vorkern, der Spermienschwanz löst sich auf. Dieses Stadium, in dem weiblicher und männlicher
Vorkern noch nebeneinander im Cytoplasma der Eizelle vorliegen, wird auch als so
genannte "imprägnierte Eizelle" bezeichnet, also als eine befruchtete Eizelle (Zygote) vor der Auflösung der Kernmembranen.
Wenn sich die Zygote das erste Mal teilt, sind die Vorkerne aufgelöst. Etwa
30 Stunden nach Eindringen des Spermiums hat sich die Zygote in zwei gleich
große Tochterzellen geteilt, nach etwa 40 h ist ein Vierzellstadium zu beobachten,
etwa 3 Tage nach der Befruchtung ein Achtzellstadium. Diese ersten Zellteilungen
bezeichnet man auch als Furchungsteilungen, weil durch sie das Cytoplasma der
befruchteten Eizelle auf die Tochterzellen (die so genannten Blastomeren) aufgeteilt
wird und es dabei zunächst nur zu einer Zunahme der Zellzahl kommt, nicht aber zu
einer Größenzunahme gegenüber der befruchteten Eizelle. Schon im Cytoplasma
der befruchteten Eizelle sind bestimmte Proteine und Botenstoffe ungleich verteilt.
In Abhängigkeit von der lokalen Konzentration dieser cytoplasmatischen Faktoren
werden im Erbgut der Blastomeren bestimmte genetische Programme aktiviert oder
deaktiviert. Somit steuern diese aus der Eizelle stammenden Faktoren die ersten
Zellteilungen und Entwicklungsvorgänge des neuen Individuums, bis dessen Erbgut
vollständig aktiviert ist und die Steuerung der weiteren Entwicklung übernimmt.
Während die Blastomeren im Vierzellstadium äußerlich noch gleich erscheinen,
deuten sich auf molekularer Ebene bereits Unterschiede zwischen den einzelnen
Blastomeren an, die durch die unterschiedliche Verteilung von Stoffen im Cytoplasma und die unterschiedliche Aktivierung einiger Gene bedingt sind (Beier
2001). Dennoch weisen befruchtete Eizelle sowie die Blastomeren nach den ersten
Furchungsteilungen die Totipotenz als besonderes biologisches Merkmal auf (s.
auch Kap. 3.2.3). Dies bedeutet, dass sich Zygote und jede einzelne Blastomere zu
einem kompletten Individuum entwickeln können.
Etwa drei bis vier Tage nach der Befruchtung ist das 16-Zellstadium, die so genannten Morula, erreicht. Die Morula entwickelt sich zur so genannten Blastocyste
weiter: die Blastocyste weist einen inneren Hohlraum, das Blastocoel, auf. Sie ist in
die außen liegenden Zellen, den Trophoblast, und eine innere Zellmasse, den so
genannten Embryoblast, gegliedert. Die innere Zellmasse hat sich innerhalb der
hohlkugelförmigen Blastocyste an einem Pol gesammelt. Etwa fünf bis sechs Tage
nach der Befruchtung umfasst die späte Blastocyste etwa 200-250 Zellen, von denen 30-34 der inneren Zellmasse zuzuordnen sind. In diesem Stadium kann man
also erstmals morphologisch Zellgruppen unterscheiden, die sich unterschiedlich
weiterentwickeln werden: der Embryoblast, die innere Zellmasse, ist diejenige Zellgruppe, aus der das eigentliche neue menschliche Individuum hervorgeht. Für seine
Entwicklung zu einem neuen Lebewesen ist der Embryoblast zwingend auf die
Zellgruppe des Trophoblasten angewiesen: aus ihr geht in späteren Entwicklungs-
20
phasen der Mutterkuchen (Plazenta) hervor, also dasjenige Gewebe, das die Ernährung der Leibesfrucht im Mutterleib sicherstellt und das nach der Geburt des Kindes
als Nachgeburt ausgestoßen wird.
Die Entwicklung von der Morula zur Blastocyste findet am Ende des Eileiters bzw.
am Eingang zur Gebärmutter (Uterus) statt, der etwa 5-6 Tage nach der Befruchtung erreicht ist. Die Blastocyste heftet sich zwischen dem 5. und 6. Tag nach der
Befruchtung mit dem Trophoblast an die Gebärmutterschleimhaut an und beginnt
sich einzunisten (Nidation, Implantation). Der menschliche Embryo hat also am
Ende der 1. Entwicklungswoche das Morula- und Blastocystenstadium durchlaufen
und damit begonnen, sich in die Gebärmutterschleimhaut einzunisten.
3.1.2
2. Woche: Abschluss der Einnistung und Ausbildung der
Keimscheibe
In der zweiten Entwicklungswoche wird die Blastocyste, die zunächst nur an die
Gebärmutterschleimhaut angeheftet war, vollständig in sie eingebettet. Dabei
schreitet die Entwicklung des Trophoblasten der Blastocyste so weit voran, dass die
Entwicklung des Mutterkuchens (Plazenta) eingeleitet wird: Über die Plazenta tritt
der sich entwickelnde Embryo in Kontakt mit dem mütterlichen Blutkreislauf und
wird darüber bis zum Ende der Schwangerschaft mit Nährstoffen versorgt. Im Vergleich zum Trophoblasten, der in der zweiten Entwicklungswoche stark wächst,
nimmt der Embryoblast nur geringfügig an Größe zu. Die Zellen des Embryoblasten
bilden in der zweiten Entwicklungswoche eine Entoderm- und eine Ektodermschicht aus, so dass eine zweiblättrige Keimscheibe entsteht, die mit Amnionhöhle
(der späteren Fruchtblase) und Dottersack am mesodermalen Haftstiel (der späteren
Nabelschnur) in der Chorionhöhle aufgehängt ist.
Außerdem produziert der Trophoblast in der zweiten Woche zunehmend gonadotropes Hormon (human chorionic gonadotropin, HCG). Durch dieses Hormon
wird im Falle der Einnistung der Blastocyste das Einsetzen der Menstruationsblutung verhindert, die bei Nichtbefruchtung der Eizelle oder bei Nichteinnistung der
Blastocyste etwa um den 14. Tag nach dem Eisprung eingesetzt hätte. Durch das
Ausbleiben der Monatsblutung hat die Frau nun erstmals Hinweise darauf, dass sie
schwanger sein könnte. Frühestens ab jetzt lässt sich auch das vom Trophoblasten
gebildete Hormon HCG in ausreichender Konzentration im Urin der Frau mit Hilfe
eines Schwangerschaftstests nachweisen.
In dieser zweiten Woche nach der Befruchtung ist eine normale Schwangerschaft
"äußerlich" jedoch noch nicht erkennbar. Es gibt Hinweise darauf, dass nur in etwa
50 % der Fälle, in denen die Voraussetzungen zur Befruchtung der reifen Eizelle
gegeben waren, tatsächlich eine Schwangerschaft eintritt. Ursachen für das Nichteintreten einer Schwangerschaft liegen in der Nichtbefruchtung der reifen Eizelle
21
im Eileiter, dem Unterbleiben der Einnistung der Blastocyste in die Gebärmutterschleimhaut, einem Absterben verschiedener Blastocystenstadien auf Grund von
Fehlbildungen (z. B. Chromosomenschäden, zu starke oder zu schwache Ausbildung des Trophoblasten u. Ä..). Ein Absterben dieser frühen Entwicklungsstadien
fällt meist mit der Regelblutung zusammen und bleibt daher von der Frau unbemerkt.
3.1.3
3. Woche: Gastrulation; Ausbildung der drei Keimblätter
In der 3. Woche bilden sich in einem als Gastrulation bezeichneten Prozess aus der
Keimscheibe die drei Keimblätter Ektoderm, Mesoderm und Entoderm, aus denen
in den nachfolgenden Entwicklungsphasen alle Gewebe und Organsysteme eines
vollständigen Individuums hervorgehen. Dieser Prozess wird eingeleitet durch die
Ausbildung des so genannten Primitivstreifens auf der Oberseite der Keimscheibe.
In der 3. Woche nach der Befruchtung werden auch die Urkeimzellen in der Wand
des Dottersacks sichtbar. Aus ihnen gehen in den nachfolgenden Entwicklungsphasen letztlich die reifen männlichen und weiblichen Keimzellen (Spermien und Eizellen) hervor. Sie werden im weiteren Verlauf der Entwicklung in die sich noch
bildenden Genitalleisten verlagert, um ihnen eine von den übrigen Körperzellen
abgetrennte Entwicklung zu ermöglichen.
3.1.4
4.-8. Woche: Anlage aller Organsysteme und Ausbildung der
Körperform
In der Zeit zwischen der 4. und 8. Woche nach der Befruchtung entwickeln sich aus
den drei Keimblättern Ektoderm, Mesoderm und Entoderm die Organanlagen; am
Ende dieser Phase sind die wichtigsten Organsysteme angelegt. Tabelle 3.1 gibt
eine Übersicht, welche Gewebetypen und Organsysteme aus welchen Keimblättern
hervorgehen.
In dieser Zeit kommt es auch zu einem tief greifenden Wandel in der äußeren Gestalt: am Ende des zweiten Monats ist die endgültige Körperform in ihren Hauptzügen erkennbar, so dass der Embryo schon "menschenähnlich" aussieht.
In der 5. Woche nach der Befruchtung erreichen die Urkeimzellen, vom Dottersack
kommend, die Gonadenanlagen (Genitalleisten).
22
Tabelle 3.1:
Keimblatt
Entoderm
Mesoderm
Ektoderm
Keimblätter und daraus abgeleitete Gewebetypen und Organsysteme
Daraus abgeleitetes Gewebe/Organ
Thymus
Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Mandeln
Kehlkopf, Luftröhre, Lunge
Leber, Bauchspeicheldrüse
Auskleidung des Darmrohrs, der Harnblase und Harnleiter
Auskleidung der Atemwege
Knochenmark und Blutstammzellen
Milz
Lymphatisches Gewebe
Skelettmuskulatur, glatte Muskulatur, Herzmuskel
Bindegewebe, Knochen, Knorpel
Urogenitalsystem (Nieren, Keimdrüsen, zugehörige Ausführungsgänge)
Nebennierenrinde
Herz, Blutgefäße
Haut, Haare, Nägel
zentrales und peripheres Nervensystem
Talg-, Schweiß- und Duftdrüsen
Bindegewebe, Knochen und Knorpel von Kopf und Gesicht, Zahnschmelz
Hypophyse
Milchdrüsen
Augen, Ohren, Nase
Quelle: Eigene Zusammenstellung von Informationen aus Sadler 1998; National
Institutes of Health 2001.
3.1.5
9.-38. Woche: Größenwachstum und Ausreifung der Organsysteme bis zur Geburt
Der Zeitraum von der 9.-38. Woche nach der Befruchtung ist durch das Größenwachstum der Frucht und die Ausreifung der Organsysteme gekennzeichnet. Etwa
ab der 20. Woche kann die Frau die Bewegungen des Fetus im Mutterleib spüren.
Etwa ab der 22. Woche kann das Kind im Falle einer Frühgeburt mit intensivmedizinische Behandlung außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig sein. Im Normalfall
erfolgt die Geburt 38 Wochen nach der Befruchtung.
23
Tabelle 3.2:
Zeitachse
Zeit nach
Befruchtung
ca. –14 Tage
–14 bis –1 Tag
–8 bis –12 h
Übersicht über den zeitlichen Ablauf der normalen menschlichen
Entwicklung im Mutterleib
Ereignis, Vorgang
Ende der vorangegangenen Monatsblutung
Reifung neuer Eizellen
Eisprung, befruchtungsfähige Eizelle im Eileiter
Beginn des Befruchtungsvorgangs:
Anheften von Spermien an die Eizelle,
Eindringen eines Spermiums in die Eizelle,
0h
Verhärtung der Zona pellicula, Aktivierung der Eizelle
Vorkernstadium ("imprägnierte Eizelle")
30 h
40 h
3. Tag
4. Tag
5. Tag
6. Tag
7. Tag
8.-14. Tag
15. Tag
15.-21. Tag
4.-8. Woche
9.-38. Woche
38. Woche
Auflösung der Vorkerne, Zellteilung
Steuerung der nächsten Schritte durch Faktoren aus der Eizelle
2-Zellstadium
4-Zellstadium, Aktivierung des Blastomerenerbguts
8-Zellstadium
16-Zellstadium, Morula; Ende des Eileiters erreicht
Frühe Blastocyste; besteht aus innerer Zellmasse (Embryoblast) und
Trophoblast
Späte Blastocyste; 200-250 Zellen, davon 30-34 innere Zellmasse;
Eingang zur Gebärmutter erreicht
Kontaktaufnahme des Trophoblasten mit der Gebärmutterschleimhaut; Beginn der Einnistung (Nidation, Implantation)
Vollständige Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut;
Beginn der Plazentaentwicklung; Anschluss an das mütterliche Blutsystem; Entwicklung der zweiblättrigen Keimscheibe
Ausbleiben der Regelblutung; Schwangerschaftstest ab jetzt mit positivem Ergebnis durchführbar
Primitivstreifen wird sichtbar; Ausbildung der drei Keimblätter; Urkeimzellen werden sichtbar
Anlage aller Organsysteme; Ausbildung der Körperform
Größenwachstum, Ausreifung der Organsysteme
Geburt
Quelle: Eigene Darstellung nach Informationen aus Sadler 1998; National Institutes of Health 2001; Stollorz 2001.
24
3.2
Definitionen und Begriffe
Für die oben skizzierten Abläufe bei der normalen menschlichen Entwicklung bis
zur Geburt sowie bei der Stammzellgewinnung und -forschung werden in der Alltagssprache, in der medizinischen Fachsprache sowie in Gesetzestexten bestimmte,
gleich lautende Begriffe verwendet, die jedoch unterschiedliche Sachverhalte beinhalten. Diese Begriffe sollen im Folgenden erläutert werden. Außerdem wird dargelegt, welche Definitionen in diesem Bericht verwendet werden.
3.2.1
Embryo und Fetus
Für den Begriff des Embryos existieren mehrere, nicht deckungsgleiche Definitionen. Alle gebräuchlichen Definitionen stimmen darin überein, dass mit "Embryo"
frühe Entwicklungsstadien der Leibesfrucht bezeichnet werden, bis die Organentwicklung abgeschlossen ist. Dies ist acht Wochen nach der Befruchtung der Fall.
Die Definitionen unterscheiden sich hingegen darin, mit welchem Entwicklungsstadium der Leibesfrucht sie beginnen. Wir führen hier die verschiedenen Definitionen
von "Embryo" auf, die zurzeit verwendet werden; eine graphische Übersicht gibt
Abb. 3.1:
(1)
Im Schweizerischen Rechtssystem gilt die befruchtete Eizelle vom Zeitpunkt
der Kernverschmelzung an bis zum Abschluss der Organogenese nach ca.
8 Wochen als Embryo1 im Sinne des Gesetzes (Kommentar zur Schweizerischen Bundesverfassung, Art. 119; Fortpflanzungsmedizingesetz Art. 2). Der
Begriff des Embryos in diesem Sinne schließt also die Zygote von der Auflösung der Kernmembranen und vor der ersten Furchungsteilung, die Blastomeren, Morula und Blastocyste bis zum Ende der 8. Woche mit ein ("Embryo 1"
in Abb. 3.1). Noch nicht als Embryo aufgefasst wird hingegen die "imprägnierte Eizelle", in der männlicher und weiblicher Vorkern noch getrennt voneinander vorliegen.
(2)
"Im internationalen Sprachgebrauch der Reproduktionsmediziner hat sich [...]
die Bezeichnung "Embryo" [...] für die ersten, der Befruchtung folgenden
Entwicklungsstadien (z. B. 2-Zeller, 4-Zeller, Morula, Blastocyste) durchgesetzt." (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer 1985) ("Embryo 2"
in Abb. 3.1).
1 Diese Definition lässt jedoch offen, ob ein Embryo im Sinne des Gesetzes existiert, wenn er nicht
als Resultat der Befruchtung einer Eizelle entsteht, sondern beispielsweise durch Zellkerntransfer
("Klonen"; s. Kap. 4.3) oder durch Parthenogenese (s. Kap. 4.5). Insbesondere herrscht zurzeit
keine Einigkeit darüber, ob die durch Parthenogenese entstandenen Organismen, auch als
"Parthenoten" bezeichnet, als Embryonen im Sinne der herkömmlichen Embryodefinition aufgefasst werden sollen.
25
(3)
"Streng genommen bezeichnet der Begriff Embryo nur die Teile der sich entwickelnden Keimanlage, die sich nach vollendeter Bildung der Körpergrundgestalt von extraembryonalen Anteilen (Dottersack, Amnion, Placenta fetalis)
sondern. Diese Sonderung fällt zeitlich mit der Implantationsphase zusammen, die beim Menschen nach dem 7. Tag nach der Ovulation beginnt und um
den 10. Tag abgeschlossen zu sein scheint." (Wissenschaftlicher Beirat der
Bundesärztekammer 1985). Dieser Definition nach ist also nur der Embryoblast als Teil der sich einnistenden Blastocyste als Embryo zu bezeichnen
("Embryo (3)" in Abb. 3.1).
(4)
"Im entwicklungsgeschichtlichen Sinn bezeichnet man schließlich die aus der
Körpergrundgestalt hervorgehende individuelle Gestalt bis zum 3. Monat ihres Lebens als Embryo." Dieser Definition nach wäre also unter Embryo die
aus dem Embryoblasten hervorgehende individuelle Gestalt vom Zeitpunkt
der Einnistung bis zum Abschluss der Organogenese nach der 8. Woche zu
verstehen (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer 1985) ("Embryo (4)" in Abb. 3.1).
Werden als Embryo nur diejenigen Entwicklungsstadien nach Einnistung bis zum
Abschluss der Organogenese bezeichnet (Definition (4)), so wird für die früheren
Stadien manchmal auch der Begriff des Präimplantationsembryos verwendet, der
sich noch nicht in der Gebärmutter eingenistet hat. Insbesondere in angelsächsischen Raum wird zudem auch der Begriff des Präembryos verwendet. Er bezieht
sich auf diejenigen Entwicklungsstadien, die ausgehend von der Zygote bis zur
Herausbildung des Primitivstreifens in der dritten Woche nach der Befruchtung
durchlaufen werden (zur Diskussion dieses Begriffs s. auch Engels 1998). Als
Embryonalzeit wird die Phase von der befruchteten Eizelle bis zum Abschluss der
Organogenese bezeichnet (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1998, Kommentar). Daran schließt sich die Fetalperiode bis zur Geburt an
(s. Abb. 3.1).
Als Fetus, Foetus oder Fötus wird im Schweizerischen Rechtssystem und in der
Medizin die Leibesfrucht in der Fetalperiode, d. h. vom Abschluss der Organogenese 8 Wochen nach der Befruchtung bis zur Geburt bezeichnet (Art. 2 FMedG).
Abbildung 3.1 gibt einen graphischen Überblick über die unterschiedlichen Definitionen und Abgrenzungen des Begriffes "Embryo", "Fetus" und verwandter Begriffe. In Anlehnung an die im Schweizerischen Rechtssystem üblichen Definitionen
werden wir in dieser Studie den Embryo als Leibesfrucht von der Auflösung der
Kernmembranen bis zum Abschluss der Organbildung 8 Wochen nach der Befruchtung auffassen; die Zeit, in der der Embryo diese Entwicklung durchläuft, ist
die Embryonalzeit. Vom Abschluss der Organentwicklung bis zur Geburt bezeichnen wir die Leibesfrucht als Fetus und die entsprechende Entwicklungszeit die Fetalzeit.
0h
30 h
40 h
3. Tag
4. Tag
Embryo (1)
Embryo (2)
Embryo (4)
Embryo (3)
5.-6.
7. Tag
8.-14. Tag
Tag
Zeitachse; Zeit ab Befruchtung
Präembryo
Präimplantationsembryo
Embryonalzeit
15.-21.
Tag
4.-8. Woche
9.-38.
Woche
38.
Woche
Fetus
Fetalperiode
Überblick über verschiedene Definitionen und Abgrenzungen des Begriffes "Embryo" und verwandter Begriffe
Quelle: Eigene Darstellung
-8 bis
–12 h
Abbildung 3.1:
Eisprung
Befruchtung
befruchtete
]Eizelle nach
Kernverschmelzung
2-Zellstadium
4-Zellstadium
8-Zellstadium
16-Zellstadium;
Morula
Blastocyste
Beginn
]Einnistung
Vollständige
Einnistung
Embryoblast →
zweiblättrige
Keimscheibe
Trophoblast→
Plazenta
Primitivstreifen;
]Ausbildung der
drei Keimblätter
Anlage aller
]Organsysteme
(Organogenese)
Ausbildung
Körperform
Wachstum,
]Ausreifung der
Organsysteme
Geburt
26
27
3.2.2
Stammzellen
3.2.2.1
Allgemeines
Unter Stammzellen versteht man Zellen, die sich gegenüber anderen Zelltypen
durch drei Eigenschaften auszeichnen (Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
2001, S. 56; National Institutes of Health 2001, S. 1):
•
Sie sind nicht endgültig differenziert.
•
Sie haben die Fähigkeit zur fortgesetzten Selbsterneuerung, indem sie sich durch
Zellteilungen über lange Zeiten in einem relativ undifferenzierten Zustand erneuern und auch vermehren können,
•
Sie haben die Fähigkeit, sich unter geeigneten Bedingungen bzw. unter dem Einfluss geeigneter Signale zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung zu entwickeln (d. h. zu differenzieren), so z. B. zu Herz-, Nerven-, Haut- oder Muskelzellen.
Wenn sich eine Stammzelle teilt, bestehen somit für die Tochterzellen zwei Möglichkeiten: die Tochterzelle kann, wie die Mutterzelle, eine Stammzelle bleiben und
damit zur fortgesetzten Selbsterneuerung beitragen. Alternativ kann die Tochterzelle einen Pfad einschlagen, der zu ihrer endgültigen Differenzierung führt. Aufgabe der Stammzellen ist es, zum einen die ungefähr zweihundert verschiedenen
Zelltypen überhaupt hervorzubringen, die erwachsene Säugetiere einschließlich des
Menschen aufweisen. Zum anderen erfüllen sie Aufgaben bei der Geweberegeneration und -reparatur, indem sie differenzierte Zellen nachliefern, um die Funktionsfähigkeit von Geweben und Organen dauerhaft aufrecht zu erhalten und um beschädigte oder abgestorbene Zellen zu ersetzen. Stammzellen, die sämtliche Zelltypen
hervorzubringen vermögen, aus denen ein Organismus besteht, werden als pluripotent bezeichnet. Stammzellen, die sich nur zu bestimmten Zelltypen zu differenzieren vermögen, werden als multipotent bezeichnet.
Die Kombination der drei oben genannten Eigenschaften in einem Zelltyp machen
Stammzellen für medizinisch-technische Anwendungen hochinteressant: Durch ihre
Fähigkeit zur fortgesetzten Selbsterneuerung kann man diese Zellen im Labor unter
entsprechenden Kultivierungsbedingungen längere Zeit halten und auch vermehren,
so dass man sie – im Gegensatz zu z. B. embryonalen oder fetalen Geweben mit
begrenzter Vermehrungsfähigkeit – nicht ständig neu gewinnen muss. Durch die
Wahl geeigneter Differenzierungsbedingungen kann man sie zu den verschiedensten Zelltypen differenzieren, die dann für vielfältige Zwecke nutzbar sind.
28
3.2.2.2
Embryonale und adulte Stammzellen
Stammzellen werden zum einen nach ihrer Herkunft bzw. ihrer Art der Gewinnung
eingeteilt. Hierbei unterscheidet man
•
Embryonale Stammzellen (ES-Zellen), die aus frühen embryonalen Stadien,
nämlich der inneren Zellmasse von Blastocysten, gewonnen2 werden;
•
Embryonale Stammzellen (EG-Zellen), die gewonnen werden, indem toten Embryonen oder Feten nach Fehlgeburt oder Schwangerschaftsabbruch Ur-Keimzellen (so genannte primordiale Keimzellen) entnommen und in Kultur gebracht
werden,
•
Adulte Stammzellen, auch gewebespezifische Stammzellen genannt. Unter dieser Bezeichnung werden Stammzellen zusammengefasst, die aus verschiedenen
Quellen stammen können:
– Gewebespezifische Stammzellen, die aus Zellen und Geweben von toten
Embryonen und Feten nach Schwangerschaftsabbruch oder Fehlgeburt isoliert
werden, bezeichnet man auch als fetale Stammzellen3.
– Gewebespezifische Stammzellen können auch aus Nabelschnurblut isoliert
werden, das unmittelbar nach der Geburt aus der Nabelschnurvene entnommen wird. Diese Stammzellen bezeichnet man auch als neonatale Stammzellen.
– Gewebespezifische Stammzellen können auch aus Zellen und Geweben Geborener, also von Kindern und Erwachsenen, gewonnen werden.
Auf diese und weitere Arten der Gewinnung der verschiedenen Stammzelltypen und
ihre jeweiligen Eigenschaften wird in Kapitel 4 ausführlich eingegangen.
Zum anderen erfolgt eine Einteilung der Stammzellen nach ihrem Entwicklungspotenzial, ihrer Potenz, d. h. nach der Fähigkeit, in wie viele verschiedene Zelltypen
sie sich zu differenzieren vermögen (s. Kap. 3.2.3). Dabei gelten embryonale
Stammzellen (ES- und EG-Zellen) als pluripotent; adulte Stammzellen zumindest
2 Zurzeit gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob ES-Zellen mit den Eigenschaften, wie
sie in der in-vitro-Kultur beobachtet werden, bereits im Embryo vorhanden sind und ihm nur entnommen werden, oder ob die ES-Zellen nur Zellen ähneln, die den Embryo aufbauen, aber nicht
mit diesen identisch sind. Wir neigen der letzteren Auffassung zu und sprechen aus diesem
Grund hier nicht von einer Stammzellentnahme, sondern von der "Gewinnung von Stammzellen"
aus frühen embryonalen Stadien. Diese Auffassung stützt sich außerdem auf die Beobachtung,
dass Zygote und Blastomeren nicht die charakteristische Eigenschaft der Stammzellen zur fortgesetzten Selbsterneuerung aufweisen und deshalb von Stammzellen abzugrenzen sind.
3 Aus Embryonen und Feten nach Schwangerschaftsabbruch oder Fehlgeburt können also zwei
verschiedene Typen von Stammzellen gewonnen werden: durch Inkulturnahme der primordialen
Keimzellen können EG-Zellen gewonnen werden, die den embryonalen Stammzellen zuzurechnen sind. Durch Isolierung von Stammzellen aus anderen Geweben können fetale Stammzellen
gewonnen werden, die zu den adulten Stammzellen gehören.
29
als multipotent, können unter bestimmten Bedingungen aber möglicherweise auch
pluripotent sein (s. Kap. 4). In den meisten Fällen besteht eine enge Korrelation
zwischen der Herkunft der Stammzellen und ihrer Potenz, so dass durch eine auf
der Herkunft beruhenden Bezeichnung gleichzeitig Aussagen über die Potenz des
betreffenden Stammzelltyps getroffen werden. Allerdings ist die Potenz keine absolute Eigenschaft, sondern hängt vom "Kontext" und den experimentellen Bedingungen ab. Demzufolge kann die Korrelation zwischen Herkunft und Potenz ebenfalls variieren.
3.2.3
Potenzialität: Totipotenz, Pluripotenz, Multipotenz, Unipotenz
Mit der Potenzialität wird die Entwicklungsbefähigung einer biologischen Einheit
charakterisiert, wobei es sich bei dieser biologischen Einheit um einen Zellkern,
eine einzelne Zelle oder einen Gewebeverband handeln kann. Diese Entwicklungsbefähigung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und reicht im embryologisch-klassischen Sinne von der Befähigung zur Ausbildung eines vollständigen
Individuums (Totipotenz) über die Befähigung zur Ausbildung sämtlicher Zell- und
Gewebetypen, die ein Individuum ausmachen (Pluripotenz) bis zur Befähigung, nur
noch eine begrenzte Anzahl von Zelltypen (Multipotenz) oder nur noch einen bestimmten Zelltyp (Unipotenz) hervorzubringen.
Die Potenzialität von Stammzellen spielt in der Stammzelldebatte eine wesentliche
Rolle, da für Klärung des moralischen Status der Stammzellen und die ethische und
rechtliche Beurteilung von großer Bedeutung ist, ob diese Zellen als totipotent oder
pluripotent einzustufen sind (s. auch Kap. 7).
Embryologisch-klassisch wird Totipotenz verstanden als Entwicklung oder Entwicklungsbefähigung einer Zelle zu einem vollständigen Individuum einschließlich
der Keimbahn. Natürlicherweise kommt eine solche Totipotenz einer befruchteten
Eizelle zu sowie einzelnen Blastomeren in frühen Furchungsstadien. Dies zeigten
Experimente an Säugerembryonen von Maus, Kaninchen und Schaf, in denen die
frühen Furchungsstadien nach der Befruchtung in einzelne Blastomeren zerlegt
wurden. Indem sie in die Gebärmutter von Ammentieren transferiert wurden, wurde
diesen einzelnen Blastomeren Gelegenheit zur Weiterentwicklung gegeben. Dabei
ergab sich, dass nur individuelle Blastomere, die dem Zwei-, Vier- oder Achtzellstadium entstammten, es vermochten, sich in die Gebärmutter einzunisten, eine Plazenta und die embryonalen Hüllen zu bilden und sich individuell zu einem vollständigen Organismus zu entwickeln. Demgegenüber ist die Totipotenz offensichtlich
nach dem Achtzellstadium nicht mehr gegeben. Bislang ist es experimentell nämlich nicht gelungen, einer einzelnen Blastomere, die dem 16-Zellstadium entstammte, zur Entwicklung zu einem ganzen Individuum zu verhelfen (Beier 2001).
Zudem zeigen jüngere Befunde, dass bereits im Vierzellstadium, sicher jedoch im
Achtzellstadium nicht mehr alle Blastomeren totipotent sein können, sondern die
30
meisten von ihnen bereits so weit differenziert sind, dass sie ihre Totipotenz verloren haben (Beier 1999). Identische embryologisch-experimentelle Untersuchungen
sind aus ethischen Gründen an Blastomeren des Menschen bislang nicht durchgeführt worden. Es liegen jedoch Daten aus vereinzelten Analysen vor, die die Annahme stützen, dass sich die Entwicklungspotenz menschlicher Blastomeren nicht
von der der untersuchten Säugetierblastomeren unterscheidet (Beier 1999). Wenn
auch einzelne Blastomeren nach dem Achtzellstadium nicht mehr totipotent zu sein
scheinen, so kommt die Fähigkeit, sich harmonisch zu einem vollständigen Individuum zu entwickeln, trotzdem noch späteren Entwicklungsstadien zu, dann jedoch
nur noch umschriebenen Gewebeverbänden, nicht mehr Einzelzellen. So scheint es
beim Menschen am häufigsten zur Bildung eineiiger Zwillinge bei einer Trennung
im Blastocystenstadium zu kommen. Somit kommt Totipotenz einem Teil der
Blastocyste zu, nicht jedoch einzelnen Zellen dieses Teils (Beier 2001).
Unter Pluripotenz in Bezug auf Stammzellen versteht man die Fähigkeit einer einzelnen Stammzelle, sich zu allen Zelltypen, aus denen ein Organismus aufgebaut
ist, differenzieren zu können. Injiziert man embryonale Stammzellen der Maus in
eine Blastocyste, so können sich diese Stammzellen an der Bildung sämtlicher Gewebe einschließlich der Keimzellen des sich neu entwickelnden Individuums beteiligen. Deshalb werden sie als pluripotent bezeichnet. Bislang hat man bei den embryonalen Stammzellen der Maus jedoch keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass
sie nicht nur pluripotent, sondern sogar totipotent sein könnten: es ist nämlich noch
nie beobachtet worden, dass sie die Entwicklung zu einem vollständigen Individuum völlig eigenständig vollziehen könnten. Zur eigenständigen Bildung einer
Plazenta und Embryonalhüllen sind sie offenbar nicht befähigt. "Man muss unbedingt zwischen "Mitmachen" und "Machen" unterscheiden" (Beier 2001). Zur Klärung der Frage, ob auch menschliche embryonale Stammzellen nur pluripotent,
nicht jedoch totipotent sind, können nur indirekte Hinweise herangezogen werden.
Eine direkte experimentelle Überprüfung dieser Frage verbietet sich aus ethischen
Gründen, da man dazu menschliche Stammzellen in eine Gebärmutter übertragen
müsste, um ihr Entwicklungspotenzial zu testen. Indizien für eine Nicht-Totipotenz
von menschlichen embryonalen Stammzellen sind
•
die Analogie zu Maus-ES-Zellen, bei denen experimentell keine Hinweise auf
das Vorliegen einer Totipotenz erhalten wurden,
•
die Gewinnung aus menschlichen Entwicklungsstadien, in denen einzelnen Zellen keine Totipotenz mehr zukommen dürfte.
(zur weiteren Diskussion dieses Aspektes siehe auch die Kap. 4.2.2.2 und 7).
Die erfolgreiche Klonierung des Schafes "Dolly" zeigte, dass Totipotenz auch einem isolierten transplantierten Zellkern zukommen kann, sofern er in eine entkernte
Eizelle transplantiert wird und sich schließlich zu einem Individuum heranbilden
kann (s. auch Kap. 4.3). Hieraus lässt sich ableiten, dass die Übergänge zwischen
Toti- und Pluripotenz fließend sein dürften und zudem diese Eigenschaften von den
31
jeweiligen experimentellen Bedingungen abhängen. Die sich hieraus ergebenden
Implikationen für die Rolle des Potenzialitätsarguments in der ethischen Debatte
über embryonale Stammzellen werden in Kapitel 7 diskutiert (s. auch Engels 2000).
33
4.
Gewinnung und Eigenschaften menschlicher Stammzellen
4.1
Übersicht über die unterschiedlichen Möglichkeiten der
Gewinnung von Stammzellen
Stammzellen können prinzipiell auf verschiedenen Wegen und aus verschiedenen
Quellen gewonnen werden. Diese sind nach dem derzeitigen Kenntnisstand:
•
Gewinnung embryonaler Stammzellen aus Blastocysten,
– die im Rahmen von in vitro-Fertilisationen (IVF) als so genannte "überzählige" Embryonen anfallen bzw. die mit Hilfe der IVF gezielt für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen erzeugt wurden (ES-Zellen);
– die durch "therapeutisches Klonen" erzeugt wurden (ntES-Zellen).
•
Gewinnung embryonaler Stammzellen (EG-Zellen) aus den primordialen Keimzellen von Embryonen oder Feten nach Schwangerschaftsabbruch oder Fehlgeburt.
•
Weitere Möglichkeiten der Gewinnung embryonaler Stammzellen: durch Parthenogenese, durch ooplasmatischen Transfer.
•
Gewinnung adulter Stammzellen
– aus Zellen und Geweben von Embryonen oder Feten nach Schwangerschaftsabbruch oder Fehlgeburt (fetale Stammzellen),
– aus Nabelschnurblut, das der Nabelschnurvene nach der Geburt entnommen
wird (neonatale Stammzellen),
– Gewinnung adulter Stammzellen aus Geweben Geborener, z. B. hämatopoetische Stammzellen aus Knochenmark, mesenchymale Stammzellen aus Fettgewebe.
Diese unterschiedlichen Möglichkeiten der Gewinnung von Stammzellen werden
im Folgenden näher beschrieben. Die Eigenschaften der auf diese Weise jeweils
gewonnenen Stammzellen, insbesondere im Hinblick auf ihre mögliche Eignung für
spätere therapeutische Anwendungen, werden skizziert und zum Schluss des Kapitels vergleichend zusammengefasst.
34
4.2
Embryonale Stammzellen aus Blastocysten (ES-Zellen)
4.2.1
Verfahren der Gewinnung von ES-Zellen
Um ES-Zellen aus Blastocysten zu gewinnen, wird mit der in vitro-Fertilisation
(IVF) ein medizinisch-technisches Verfahren der Reproduktionsmedizin genutzt,
das ursprünglich zur symptomatischen Behandlung von Sterilität entwickelt wurde.
Im ersten Schritt des Verfahrens der IVF müssen reife Eizellen gewonnen werden.
Hierzu wird die Frau mit Hormonen behandelt, die mehrere, etwa fünf bis zwölf
Eizellen gleichzeitig heranreifen lassen und den Eisprung auslösen. Nach erfolgreicher hormoneller Stimulation der Eierstöcke, die per Ultraschall kontrolliert wird,
werden Eizellen durch eine transvaginale, ultraschallgesteuerte Punktion abgesaugt.
Dieser operative Eingriff kann in lokaler Betäubung, Vollnarkose, leichter
Schmerzbetäubung oder auch ohne weitere Maßnahmen erfolgen (Diedrich et al.
2001). Die Gewinnung von reifen Eizellen stellt einen belastenden Eingriff für die
Frau dar, der die Eizellen entnommen werden4. Zum einen kann die Hormonbehandlung, mit der die Reifung der Eizellen herbeigeführt wird, unerwünschte Folgen für die behandelte Frau haben, so z. B. die Ausbildung von Eierstockzysten,
Hormonschwankungen oder ein so genanntes ovarielles Überstimulationssyndrom5
(Diedrich et al. 2001). Auch werden derartige Hormonbehandlungen in Verbindung
mit einem erhöhten Risiko für Brust- oder Eierstockkrebs gebracht (Barbian et al.
1997, S 59).
Zeitgleich werden Spermien durch Ejakulation gewonnen und aufbereitet. Die
durch Punktion entnommenen Eizellen werden im Labor mit den Spermien zusam4 Die Erfolgsraten der IVF als Fortpflanzungshilfe sind niedrig: Im Mittel sind Schwangerschaftsraten von 20-25 %, die Geburt eines Kindes in etwa 18 % der vorgenommenen Embryotransfers
zu erwarten. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die IVF bei einem Paar mehrmals wiederholt
werden muss, bis eine Schwangerschaft eintritt. Dabei sollen die Frauen jedoch möglichst selten
der belastenden und risikobehafteten Entnahme von Eizellen unterzogen werden. Zwar ist es häufig möglich, in einem Zyklus mehr Eizellen zu gewinnen, als anschließend zu Embryonen entwickelt und in die Gebärmutter überführt werden (die Zahl ist in der Schweiz gesetzlich auf maximal drei Embryonen begrenzt, um die Entstehung so genannter "überzähliger" Embryonen zu
verhindern und gleichzeitig die Gefahr von extremen Mehrlingsschwangerschaften zu umgehen).
Die Eizellen, die nicht unmittelbar für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden, auf die aber möglicherweise in einem späteren Zyklus zurückgegriffen werden soll, werden
nach dem Eindringen eines Spermiums in einem Stadium tiefgefroren, in dem männlicher und
weiblicher Vorkern noch getrennt voneinander vorliegen (so genannte "imprägnierte Eizelle", s.
auch Kap. 3.1.1). Nach dem derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik können imprägnierte Eizellen sehr viel besser kryokonserviert werden als Eizellen. Rechtlich gelten sie noch
nicht als Embryo (s. Kap. 8).
5 Das Überstimulationssyndrom ist gekennzeichnet durch eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäße
in Bauchhöhle, Pleuralraum und Herzbeuteln. Das kann zu verringertem Blutvolumen, Bluteindickung, Elektrolytveränderungen, Aszites, Lungenembolie, Schlaganfall und sogar zum Tod führen (Barbian et al. 1997, S. 58).
35
mengebracht und über 16-20 h im Brutschrank bei Körpertemperatur gehalten, so
dass es in diesem Zeitraum zu einer Befruchtung kommt6. Die in vitro befruchteten
Eizellen können sich im Labor ähnlich wie unter den natürlichen Bedingungen im
Eileiter innerhalb von fünf Tagen zu Blastocysten entwickeln. Die Blastocysten
bestehen aus etwa 200 bis 250 Zellen und sind in eine äußere Zellschicht, den
Trophoblasten, sowie eine innere Zellmasse, den Embryoblasten gegliedert. Diese
Blastocysten eignen sich zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen (ES-Zellen).
Hierzu wird der Trophoblast vorsichtig entfernt, um die innere Zellmasse freizulegen. Die Entfernung des Trophoblasten kann entweder mikrochirurgisch durch Laserdissektion oder immunchirurgisch erfolgen. Bei der letztgenannten Methode
werden bestimmte, gegen den Trophoblasten gerichtete Antikörper eingesetzt, um
die innere Zellmasse freizulegen. Sie umfasst 30 bis 34 Zellen.
Die innere Zellmasse wird in Kultur genommen, indem die Zellen in Nährmedium
auf einer Schicht aus teilungsunfähig gemachten embryonalen Mausfibroblasten als
so genanntes "feeder layer" ("Fütterschicht") ausgebreitet werden. Die Zellen der
inneren Zellmasse vermögen sich unter diesen Bedingungen zu teilen und zu vermehren, verbleiben aber im undifferenzierten Zustand. Sie wachsen zu kleinen
Zellhäufchen heran, die wiederholt in Einzelzellen aufgeteilt und auf frisches
Nährmedium ausplattiert werden, bis man über wiederholte Vereinzelungen und
Passagen klonale Linien von ES-Zellen angelegt hat, die auf eine einzelne Zelle der
inneren Zellmasse zurückzuführen sind.
Die Gewinnung von Zell-Linien menschlicher embryonaler Stammzellen auf die
oben beschriebene Weise gelang erstmals 1998 (Thomson et al. 1998a) und damit
17 Jahre nach der erstmaligen Gewinnung von pluripotenten embryonalen Stammzellen der Maus (Evans et al. 1981; Martin 1981). Bislang ist es überhaupt nur bei
wenigen Säugetierarten gelungen, ES-Zellen zu gewinnen. Erfolgreich waren die
Versuche bei Maus, nicht-humanen Primaten und beim Menschen (Evans et al.
1981; Martin 1981; Thomson et al. 1995; Thomson et al. 1998b; Thomson et al.
1998a). Aus Experimenten mit embryonalen Stammzellen der Maus weiß man, dass
es eine genetische Komponente gibt, die eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie
6 Ab diesem Zeitpunkt verläuft das Verfahren unterschiedlich, je nachdem, ob die IVF im Rahmen
der Fortpflanzungshilfe angewendet wird oder ob sie der Gewinnung von ES-Zellen dienen soll.
Im Rahmen der Fortpflanzungshilfe werden die auf diese Weise erzeugten Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt, wo sie sich weiterentwickeln und einnisten sollen. Der Transfer der Embryonen in die Gebärmutter erfolgt je nach IVF-Zentrum und praktiziertem Verfahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten. In einigen Zentren werden die Embryonen bereits im Vier-Zell-Stadium transferiert (etwa 40 h nach der Befruchtung, s. Tab. 3.2), in anderen Zentren erst im Alter
von etwa 5-6 Tagen, wenn das Blastocystenstadium erreicht ist (Eidgenössisches Departement
des Inneren 2002; s. auch Tab. 3.2). Für die Gewinnung von ES-Zellen müssten die Embryonen
etwa 5-6 Tage in vitro kultiviert werden, bis sie das Blastocystenstadium erreicht haben, in dem
ES-Zellen gewonnen werden können.
36
leicht sich die embryonalen Stammzellen in Kultur nehmen lassen und wie sie sich
in Kultur verhalten. Es ist daher zu erwarten, dass auch die menschlichen ES-ZellLinien auf Grund ihres unterschiedlichen genetischen Ursprungs eine gewisse Varianz aufweisen werden (Smith 2001). Die unterschiedliche Eignung kann man damit
erklären, dass es sich bei den embryonalen Stammzellen in Kultur um eine
künstliche Situation handelt, bei der die Zellen durch die Isolation in einem pluripotenten Zustand fixiert werden, den sie im Rahmen der normalen Embryonalentwicklung wieder verlassen und dass eine bestimmte genetische Disposition diese
Fixierung bevorzugt ermöglicht (Smith 2001).
Zwischen 1998 und dem 9. August 2001 dürften – auch unter Modifikation der
oben beschriebenen Prozedur – weltweit mindestens 78 Zell-Linien menschlicher
ES-Zellen von 14 Einrichtungen in 6 Ländern angelegt und zumindest ansatzweise
charakterisiert worden sein. Tabelle 4.1 gibt eine Übersicht über ES-Zell-Linien, die
aus so genannten "überzähligen" Embryonen nach IVF gewonnen wurden, im USamerikanischen Register für menschliche embryonale Stammzellen erfasst sind und
den US-amerikanischen Kriterien7 für eine öffentlich finanzierte Forschungsförderung entsprechen.
Bei dem hier beschriebenen Verfahren zur Gewinnung von ES-Zellen wird der
Embryo als Entität zerstört, und dies ist einer der Gründe, der die Methode ethisch
so umstritten macht (s. Kap 7). Eine Technik, ES-Zellen aus selektiv entnommenen
Embryoblastzellen unter Erhalt des Embryos zu gewinnen, ist bislang nicht beschrieben worden.
Die Gewinnung von menschlichen ES-Zellen aus Blastocysten nach IVF nutzt ein
Verfahren der Reproduktionsmedizin. International ist die Rechtslage sehr unterschiedlich, mit welchen Zielsetzungen und unter welchen Rahmenbedingungen die
IVF durchgeführt werden darf, und dem entsprechend unterschiedlich ist auch die
Rechtslage in Bezug darauf, inwieweit dieses reproduktionsmedizinische Verfahren
für die Gewinnung menschlicher ES-Zellen genutzt werden darf. Um Missbräuchen
dieser Methode vorzubeugen, darf die IVF in der Schweiz nur zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft bei nicht erfülltem Kinderwunsch eingesetzt werden oder
wenn bei natürlicher Zeugung eine schwere Krankheit für das Kind zu befürchten
und auf anderem Wege nicht abzuwenden ist (Art. 5 FMedG). Damit ist in der
Schweiz explizit verboten, was in einigen anderen Ländern zulässig ist: dass
menschliche Embryonen gezielt für andere Zwecke als die Fortpflanzung hergestellt
würden, so z. B. für Forschungszwecke oder die Gewinnung von embryonalen
7 Diese Kriterien sind: Gewinnung der ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen vor dem Stichtag
9.8.2001; informierte Einwilligung der Eltern in die Verwendung der "überzähligen" Embryonen
für die Stammzellgewinnung; keine Gewährung von finanziellen Anreizen für die Embryonenspende.
37
Stammzellen, und auch, dass Frauen und Männer für die Bereitstellung der hierfür
erforderlichen Ei- und Samenzellen bezahlt würden (s. auch Kap. 8).
Tabelle 4.1:
Übersicht über bis August 2001 gewonnene ES-Zell-Linien aus
"überzähligen" menschlichen Embryonen nach IVF
Labor oder Firma
BresaGen, Inc., Athens, Georgia
CyThera, Inc., San Diego, California; Arcos BioScience, Inc., Foster City, California
Geron Corporation, Menlo Park, California
University of California, San Francisco, California
Wisconsin Alumni Research Foundation, Madison,
Wisconsin
Göteborg University, Göteborg
Karolinska Institute, Stockholm
National Centre for Biological Sciences/Tata Institute
of Fundamental Research, Bangalore
Reliance Life Sciences, Mumbai
Maria Biotech Co. Ltd. – Maria Infertility Hospital
Medical Institute, Seoul
MizMedi Hospital – Seoul National University, Seoul
Pochon CHA University, Seoul
ES Cell International, Melbourne
Technion University, Haifa
Gesamt
Land
USA
Anzahl
ES-Zell-Linien
zurzeit
gelistet verfügbar
4
1
USA
9
0
USA
USA
7
2
0
0
USA
5
1
Schweden
Schweden
19
6
3
0
Indien
3
0
Indien
7
0
Korea
3
3
Korea
Korea
Australien
Israel
1
2
6
4
78
1
0
4
3
16
Quelle: NIH Human Embryonic Stem Cell Registry; http://escr.nih.gov/
Stand 4.7.2002; Holden et al. 2002
Um zu gewährleisten, dass menschliche Embryonen nur für die Fortpflanzung entwickelt werden, wurde das schweizerische Fortpflanzungsmedizingesetz FMedG,
das am 1.1.2001 in Kraft getreten ist, so ausgestaltet, dass pro Zyklus nur so viele
Eizellen zu Embryonen entwickelt werden dürfen, wie anschließend auch in die
Gebärmutter transferiert werden. Die Zahl der maximal übertragbaren Embryonen
ist jedoch auf drei beschränkt, um die Gefahr extremer Mehrlingsschwangerschaften zu verringern. Trotz dieser gesetzlichen Vorkehrungen ist es unvermeidlich,
dass im Rahmen der IVF so genannte "überzählige" Embryonen entstehen, wenn
38
auch nur in Ausnahmefällen. Embryonen werden als "überzählig" bezeichnet8,
wenn sie ursprünglich für die Herbeiführung einer Schwangerschaft entwickelt
wurden, hierfür aber endgültig nicht mehr verwendet werden. Dass menschliche
Embryonen nicht, wie vorgesehen, in die Gebärmutter übertragen werden, kann
darin liegen, dass der sich entwickelnde Embryo ein abweichendes morphologisches Erscheinungsbild aufweist, das auf eine Entwicklungsstörung hinweist und
deshalb nicht transferiert wird. Die Gründe können auch auf Seiten der Frau liegen,
die nach vollendeter Befruchtung der Eizellen erkrankt (z. B. an einem ovariellen
Hyperstimulationssyndrom, einer Eierstockinfektion, anderen Erkrankungen), einen
Unfall hat oder das Elternpaar von einem schweren Schicksalsschlag getroffen werden kann, nachdem die IVF-Zeugung von Embryonen bzw. das Auftauen imprägnierter Eizellen und deren Weiterentwicklung zu Embryonen bereits eingeleitet
wurden (s. Kap. 8). Ist der Embryotransfer nur vorübergehend nicht möglich, dürfen
diese Embryonen ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen kryokonserviert werden.
Während es in Bezug auf die biomedizinischen Eigenschaften der ES-Zellen wenig
relevant ist, ob diese aus einem gezielt für die ES-Zellgewinnung hergestellten
menschlichen Embryo oder aber aus einem "überzähligen" Embryo gewonnen wurden9, ist diese Differenzierung für die ethische und rechtliche Bewertung von sehr
großer Bedeutung. Dieser Aspekt wird ausführlich in den Kapiteln 7 und 8 diskutiert. In der Schweiz ist weder klar noch abschließend geregelt, wie mit diesen
"überzähligen" Embryonen zu verfahren ist10.
Wie viele "überzählige" Embryonen jährlich in der Schweiz anfallen, soll erstmals
2003 ermittelt und publiziert werden. Schätzungen zufolge dürften pro Jahr etwa
100 tatsächlich "überzählige" Embryonen in der Schweiz anfallen (Eidgenössisches
Departement des Inneren 2002, S. 18, Botschaft zum EFG, Ziff. 1.4.3.1.2). Aus der
Zeit vor In-Kraft-Treten des FMedG stammen nach Aussagen von Vertretern der
8 In der öffentlichen Diskussion werden synonym auch die Bezeichnungen "verwaiste Embryonen"
und "Embryonen ohne Lebensaussicht" verwendet.
9 Einige Wissenschaftler vertreten die Auffassung, dass sich frische Embryonen, die nicht tiefgefroren aufbewahrt wurden, besser für die Stammzellgewinnung eignen würden; umfassende,
publizierte Untersuchungen dieser Frage liegen bislang nicht vor. Zudem bezweifeln sie, dass die
"überzähligen" Embryonen ein erforderliches, adäquates Abbild des Genpools der menschlichen
Population darstellen, sofern man breit angelegte Stammzellbanken für therapeutische Zwecke
anlegen möchte (Wess 2002).
10 Nach zurzeit geltendem Recht müssen diese "überzähligen" Embryonen vernichtet werden. Diejenigen kryokonservierten "überzählige" Embryonen, die noch aus der Zeit vor Inkrafttreten des
FMedG vorhanden sind, dürfen nur noch bis zum 31.12.2003 aufbewahrt werden (Botschaft zum
FMedG; Art. 42 FMedG). In dem Gesetzesentwurf zu einem Embryonenforschungsgesetz, der
im November 2002 an das Parlament überwiesen wurde, werden Bedingungen festgelegt, unter
denen die Verwendung "überzähliger" Embryonen zu Forschungszwecken und für die Gewinnung embryonaler Stammzellen zulässig sein soll (Botschaft zum Embryonenforschungsgesetz
2002).
39
Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Fertilität, Sterilität und
Familienplanung (FIVNAT-CH) gesamtschweizerisch noch etwa tausend
Embryonen, die tiefgefroren aufbewahrt werden. In anderen Ländern gibt es
weniger strenge oder keine gesetzlichen Regelungen, die das Entstehen
"überzähliger" Embryonen begrenzen sollen. Dementsprechend werden dort sehr
viel mehr menschliche Embryonen kryokonserviert als in der Schweiz. Schätzungen
zufolge sollen etwa in Australien 70.000 "überzählige" Embryonen aufbewahrt
werden (Dayton 2002), in Großbritannien wurden im Zeitraum 1991-1998 knapp
184.000 menschliche Embryonen
kryokonserviert11
und mehr
als
48.000 Embryonen für Forschungszwecke eingesetzt (The Chief Medical Officer's
Expert Group 2000, S. 32).
Die Zahl der Embryonen, die verbraucht wurden, um die bislang vorhandenen,
mindestens 78 menschlichen ES-Zell-Linien anzulegen, ist zurzeit nicht bekannt, da
nur zu wenigen menschlichen ES-Zell-Linien bereits Publikationen vorliegen. Bei
der erstmaligen erfolgreichen Etablierung menschlicher ES-Zell-Linien wurden
36 Embryonen verbraucht, aus denen 5 ES-Zell-Linien abgeleitet werden konnten
(Thomson et al. 1998a; Thomson et al. 2000). Australische Forscher schätzen ihren
Embryonenbedarf auf etwa 50 menschliche Embryonen über einen Zeitraum von
zwei Jahren, um daraus bis zu 15 ES-Zell-Linien anzulegen (Wess 2002).
4.2.2
Eigenschaften von ES-Zellen
Obwohl weltweit mindestens 78 Zell-Linien menschlicher ES-Zellen angelegt worden sind, liegen bislang nur wenige Publikationen vor, in denen einige dieser ESZell-Linien in Bezug auf ihre Eigenschaften ansatzweise charakterisiert wurden. In
den vier Jahren, die seit der Publikation der erstmaligen erfolgreichen Gewinnung
menschlicher embryonaler Stammzellen vergangen sind, sind nur etwa
25 Originalpublikationen zur näheren Erforschung dieser Zellen erschienen (Steinberg, 2002). Die Charakterisierung der verschiedenen ES-Zell-Linien wird auch
dadurch verzögert, dass sich der Zugang zu menschlichen ES-Zell-Linien für andere
Forschergruppen als denjenigen, die die jeweiligen Zell-Linien angelegt haben, als
schwierig bzw. langwierig erweist. Pressemeldungen zufolge haben US-Forscher
Zugang zu etwa fünf bis sechs der von ihnen insgesamt 78 zulässigerweise
verwendbaren menschlichen ES-Zell-Linien (Powell 2002, Holden et al. 2002).
Dies hat mehrere Ursachen:
•
Forschergruppen, die ES-Zell-Linien angelegt haben, wollen zunächst ihre Ergebnisse patentieren bzw. publizieren, ehe sie die Zell-Linien Dritten für weitere
Untersuchungen zur Verfügung stellen (s. auch Kap. 6.3.2).
11 Hierbei handelt es sich jedoch um Embryonen, die für weitere IVF-Behandlungen aufbewahrt
werden. Daher dürfte die Zahl der tatsächlich "überzähligen" Embryonen deutlich darunter liegen.
40
•
Forschergruppen, die ES-Zell-Linien angelegt haben, verfügen nicht über die
erforderlichen Ressourcen und Logistik, um die rege Nachfrage nach diesen
Zell-Linien umgehend befriedigen zu können (Vogel 2002a). Zurzeit werden
entsprechende infrastrukturelle Maßnahmen konzipiert bzw. implementiert: So
haben die US-amerikanischen National Institutes of Health Fördergelder in Höhe
von insgesamt 3,5 Mio. US-$ über zwei Jahre für die Vermehrung, Charakterisierung und Abgabe von ES-Zell-Linien an Dritte an vier US-Einrichtungen vergeben (JLF 2002); in Großbritannien ist der Aufbau einer Stammzellbank für
menschliche embryonale und adulte Stammzellen geplant (Adam 2002; Dickson
2002).
•
Teilweise müssen vertragliche Vereinbarungen getroffen werden, in denen zwischen den Vertragspartnern geregelt wird, unter welchen Bedingungen und für
welche Zwecke die ES-Zell-Linien durch Dritte genutzt werden dürfen (s. auch
Kap. 6.3.3). Die US-amerikanischen National Institutes of Health haben beispielsweise derartige Rahmenabkommen für NIH-geförderte Projekte geschlossen, die den NIH-finanzierten Forschern den Zugang zu insgesamt 17 ES-ZellLinien12 ermöglichen (JLF 2002).
•
Teilweise müssen in den Heimatländern derjenigen Forschergruppen, die ESZell-Linien importieren und daran forschen möchten, erst noch gesellschaftliche
Klärungsprozesse durchlaufen bzw. die gesetzlichen Grundlagen geschaffen
werden.
Da sich embryonale Stammzellen durch die beiden Eigenschaften "Selbsterneuerung" und "Fähigkeit zur Hervorbringung aller Zelltypen der drei Keimblätter, aus
denen der gesamte Organismus des ausgewachsenen Individuums gebildet wird
(Pluripotenz)" auszeichnen müssen, ist zunächst zu überprüfen, inwieweit die gewonnenen Stammzell-Linien tatsächlich diese Eigenschaften aufweisen. Hierauf
wird ausführlich in den nachfolgenden Kapiteln 4.2.2.1 und 4.2.2.2 eingegangen.
Zudem müssen die ES-Zellen weitere Kriterien erfüllen, die ursprünglich für die
Charakterisierung von Maus-ES-Zellen entwickelt wurden (s. Tab. 4.213). Dabei
zeigte sich, dass die humanen embryonalen Stammzellen und die embryonalen
Stammzellen, die aus Affen gewonnen wurden, sich von denen der Maus in ihrer
Morphologie und in der Expression bestimmter Oberflächenmoleküle unterscheiden
(Reubinoff et al. 2000).
12 Stand: Juni 2002
13 Tabelle 4.2 führt Kriterien auf, die nicht nur zur Charakterisierung von ES-Zellen, sondern auch
von EG-Zellen herangezogen werden. Auf EG-Zellen wird ausführlich in Kap. 4.4 eingegangen.
41
Tabelle 4.2:
Kriterien zur Charakterisierung von ES- und EG-Zellen
Kriterium
ES-Zellen
EG-Zellen
Maus
Mensch
Gewinnung aus der inneren Zellmasse der Blastocyste
+
+
trifft nicht
zu
Befähigung zur langfristigen Selbsterneuerung,
d. h. zur unbegrenzten Anzahl von symmetrischen
Zellteilungen ohne Differenzierung
+
+
(2 Jahre)
nicht
gezeigt
Besitz und Aufrechterhaltung eines stabilen, vollständigen (diploiden), normalen Chromosomensatzes14
(+)
(+)?
(+)?
Fähigkeit zur Hervorbringung differenzierter
Zelltypen, die allen drei Keimblättern des Embryos zuzuordnen sind (Pluripotenz)
+
+
+
a) Nach Einbringung in einen Embryo Befähigung
zur Integration in alle daraus hervorgehenden
Gewebe, Befähigung zur Bildung von Ei- und
Samenzellen
+
nicht
untersucht
nicht
untersucht
b) Teratombildung in vivo
+
+
nicht
gezeigt
c) Embryoidkörperchenbildung in vitro
+
+
+
Klonalität
+
+
nicht
gezeigt
Expression des Transkriptionsfaktors Oct-4
+
+
+
Induktion möglich, entweder weiter zu proliferieren oder sich zu differenzieren
+
+
+
G1-Kontrollpunkt fehlt; befinden sich – anders als
differenzierte Zellen – meist in der S-Phase des
Zellzyklus, in der DNA-Synthese stattfindet, hierfür kein externer Stimulus erforderlich
+
+
+
Keine Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms
+
+
in undifferenzierten weiblichen ES-Zellen
+ ist experimentell nachgewiesen
(+)trifft mit Einschränkungen zu
+
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Informationen aus National Institutes of
Health 2001, S. 5-6.
14 Für ES-Zellen der Maus ist bekannt, dass ein vollständiger Chromosomensatz zwar im Großteil
der Zellen stabil vorliegt, in Abhängigkeit von der Zell-Linie und den Kulturbedingungen aber
immer auch ein gewisser Anteil von karyotypisch abnormalen Zellen in der Kultur vorliegt. Es
ist deshalb wahrscheinlich, dass bei einer sorgfältigen Überprüfung dieses Aspektes bei menschlichen ES- und EG-Zellen auch hier ein gewisser Anteil karyotypisch abnormaler Zellen gefunden würde.
42
Die bisherigen, noch lückenhaften Kenntnisse über die Eigenschaften verschiedener
menschlicher ES-Zell-Linien zeigen, dass sich ES-Zellen von Mäusen und Menschen in der in vitro-Kultur nur zum Teil ähnlich verhalten. Daher ist eine vertiefte
Charakterisierung der embryonalen Stammzellen des Menschen erforderlich, um
die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den embryonalen Stammzellen
der Maus und des Menschen genauer zu beschreiben (Smith 2001). Beim heutigen
Kenntnisstand kann noch nicht beurteilt werden, inwieweit sich die mit tierlichen
embryonalen Stammzellen gewonnenen Erkenntnisse auf die des Menschen übertragen lassen (Smith 2001; Schroeder-Kurth 2001, S. 228). Außerdem ist nicht
geklärt, inwieweit diese bereits vorhandenen menschlichen ES-Zell-Linien Eigenschaften aufweisen, die sie dauerhaft für Forschungs- und Anwendungszwecke
einsetzbar machen; es wird befürchtet, dass sie sich hierfür teilweise als ungeeignet
erweisen werden (Holden 2001).
4.2.2.1
Teilungs- und Vermehrungsfähigkeit von ES-Zellen
Menschliche embryonale Stammzellen müssen sich durch Langlebigkeit in Kultur
auszeichnen, d. h. die Fähigkeit sich über viele Generationen im undifferenzierten
Zustand zu teilen, ohne dabei ihr Differenzierungspotenzial einzubüßen. Studien der
letzten Jahre haben gezeigt, dass die embryonalen Stammzellen des Menschen bis
zu 300 Teilungen durchlaufen können (Odorico et al. 2001), während die embryonalen Keimzellen nur bis zu 80 Teilungen eine stabile Kultur bilden (Shamblott et
al. 2001). Ihre Teilungsfähigkeit macht embryonale Stammzellen gerade für eine
Therapie besonders attraktiv, weil es möglich erscheint, in kurzer Zeit die großen
Mengen von Zellen herstellen zu können, die für eine Zelltherapie notwendig wären. Allerdings stellt ihre unbegrenzte und routinemäßige Vermehrung im Labor
nach wie vor ein Problem dar, da die Signalmoleküle, die die Teilung von
menschlichen ES-Zellen regulieren, im Gegensatz zu Maus-ES-Zellen noch nicht
bekannt sind (s. auch weiter unten).
Im Gegensatz zu anderen Zellen, die eine vergleichbare Langlebigkeit in Kultur
besitzen, sollten die ES-Zellen über einen weitgehend normalen Karyotyp, d. h. eine
korrekte Anzahl von Chromosomen verfügen (Amit et al. 2000; Reubinoff et al.
2000; Shamblott et al. 1998; Shamblott et al. 2001; Thomson et al. 1998a, s. auch
Fußnote 14). Es wurde gezeigt, dass die embryonalen Stammzellen des Menschen
eine erhöhte Telomeraseaktivität haben (Thomson et al. 1998a). Telomerase ist ein
Enzym, das dafür verantwortlich ist, die Chromosomenenden, die so genannten
Telomere, auf einer gewissen Länge zu stabilisieren. Normale Körperzellen in
Kultur exprimieren keine Telomerase, was zu einer Verkürzung der Telomere führt
und einhergeht mit einer Alterung der Zellen, d. h. dem Verlust ihrer Teilungsfähigkeit. Im Gegensatz dazu zeichnen sich embryonale Zellen während der Entwicklung und auch Tumorzellen durch eine hohe Telomeraseaktivität aus (Chiu et
al. 1997).
43
Für die unverminderte Teilungsfähigkeit der embryonalen Stammzellen des Menschen wie auch der Maus in vitro ist das Vorhandensein einer Stützzellschicht, bestehend aus embryonalen Bindegewebszellen der Maus, des so genannten "feeder
layer" notwendig. Diese Zellen üben einen wachstumsfördernden Effekt aus
(Thomson et al. 2000). Im Falle der embryonalen Stammzellen der Maus kann der
"feeder layer" durch einen Wachstumsfaktor, den so genannten Lymphocyte Inducing Factor (LIF), ersetzt werden (Williams et al. 1988). Allerdings hat LIF nicht
denselben Effekt auf die embryonalen Stammzellen des Menschen wie auf die der
Maus. Wenn die menschlichen ES-Zellen in Gegenwart von LIF kultiviert werden,
so differenzieren sie und hören nach kurzer Zeit auf sich zu teilen (Bongso et al.
1994). Hingegen können die EG-Zellen des Menschen nur in Gegenwart von LIF
und einem "feeder layer" kultiviert werden (Shamblott et al. 2001). Dies lässt darauf schließen, dass der unbegrenzten Teilungsfähigkeit der verschiedenen Zelltypen
möglicherweise unterschiedliche Signaltransduktionswege zu Grunde liegen (Smith
2001).
4.2.2.2
Differenzierungspotenzial von ES-Zellen, Pluripotenz
Im Hinblick auf ihr Differenzierungspotenzial werden humane ES-Zellen meist als
pluripotent bezeichnet. Pluripotenz bezeichnet die Möglichkeit der Differenzierung
in jeden Typus von Körperzellen (s. auch Kap. 3.2.3). Wäre außerdem eine autonom organisierte Entwicklung möglich, die zu einem vollständigen Lebewesen führen kann, wären die Zellen totipotent. Um nachzuweisen, ob Zellen pluripotent sind,
können grundsätzlich drei klassische Experimente zur Anwendung kommen
(Heinemann 2001; National Institutes of Health 2001, S. 6, Tab. 4.2):
•
ES-Zellen werden in eine intakte Blastocyste derselben Spezies injiziert. Die
injizierten ES-Zellen assoziieren mit den Embryoblastzellen der inneren Zellmasse und nehmen an der Entwicklung des Embryos teil. Wenn eine Beteiligung
der Tochterzellen der injizierten ES-Zellen an Derivaten aller drei Keimblätter
einschließlich der Bildung von Keimzellen beim geborenen Lebewesen nachgewiesen werden kann, ist das Kriterium der Pluripotenz erfüllt. Das geborene Lebewesen stellt eine Chimäre dar. Für den Nachweis der Pluripotenz humaner ESZellen scheidet dieses Nachweisverfahren aus ethischen Gründen aus, wird aber
bei Maus-ES-Zellen erfolgreich angewendet. Für eine therapeutische Anwendung der humanen ES-Zellen ist es aber auch nicht ausschlaggebend, diesen
Nachweis führen zu können, vielmehr steht die Frage im Vordergrund, wie man
das breite Differenzierungspotenzial dieser Zellen für eine therapeutische Anwendung in einer kontrollierten Art und Weise nützen kann.
•
Bei einem zweiten Nachweisverfahren werden die ES-Zellen unter die Haut oder
Nierenkapsel einer immundefizienten Maus (SCID-Maus) injiziert. Da die injizierten Zellen durch das inaktive Immunsystem dieser Tiere nicht abgestoßen
werden können, teilen und differenzieren sie sich ihrem Potenzial entsprechend
in dem artfremden Milieu der Wirtstiere. Die Tochterzellen der injizierten ES-
44
Zellen entwickeln sich zu gutartigen Tumoren, so genannten Teratomen, die aus
Konglomeraten verschiedenster Zelltypen bestehen. Die injizierten ES-Zellen
gelten als pluripotent, wenn die Teratome Zelltypen enthalten, die den Derivaten
aller drei Keimblätter des Embryos entsprechen. Nach Injektion von menschlichen ES-Zellen kam es in diesen Teratomen zur Bildung von glatter Muskulatur,
gestreifter Muskulatur, Knochen, Knorpel, Epithelien der Vedauungsorgane und
der Atemwege, Haar und Nervengewebe (Thomson et al. 2000).
•
Die dritte Nachweismethode für Pluripotenz beruht auf der spontan einsetzenden
Differenzierung zu verschiedenen Zelltypen, wenn den ES-Zellen durch einen
Wechsel des Kulturmediums Faktoren entzogen werden, die sie im undifferenzierten Zustand halten. Unter bestimmten Kulturbedingungen vermögen sich die
ES-Zellen zu hoch differenzierten Strukturen zu entwickeln, den so genannten
Embryoidkörperchen (engl. "embryoid bodies"). Sie bestehen aus Zelltypen, die
auf alle drei embryonalen Keimblätter zurückzuführen sind. Da sie sich jedoch
nicht an der Bildung der Plazenta zu beteiligten vermögen, können sie sich auch
nicht harmonisch zu einem Individuum entwickeln. Sie sind deshalb keineswegs
mit Embryonen gleichzusetzen. Die zu untersuchenden Zellen sind pluripotent,
wenn sie sich zu Embryoidkörperchen entwickeln, in denen sich Zelltypen, die
auf alle drei embryonalen Keimblätter zurückzuführen sind, nachweisen lassen.
Dies wurde für menschliche ES-Zell-Linien nachgewiesen; jedoch wurde eine
größere Vielfalt der Zelltypen, zu denen sich die ES-Zellen ausdifferenziert hatten, bei Differenzierung in vivo (Methode 2) als in vitro gefunden (Amit et al.
2000; Reubinoff et al. 2000; Thomson et al. 1998a; National Institutes of Health
2001, S. C-4).
Während eine Pluripotenz von menschlichen ES-Zellen als erwiesen gelten kann,
werden in der Stammzelldiskussion immer wieder Stimmen laut, die es zurzeit für
nicht abschließend geklärt halten, ob menschliche ES-Zellen möglicherweise nicht
auch ein weitergehendes Differenzierungspotenzial, also Totipotenz aufweisen
(s. z. B. Heinemann 2001; Denker 2000). Diese Position stützt sich auf die Tatsache, dass ein experimenteller Nachweis der Nicht-Totipotenz menschlicher ESZellen (und EG-Zellen, s. Tab. 4.2) nicht vorliegt. Allerdings wäre es ethisch auch
nicht zu rechtfertigen, einen solchen Nachweis zu führen, da er ja auf die experimentelle Erzeugung eines Menschen zu Forschungszwecken abzielte. Dieser Position ist entgegenzuhalten, dass bei Säugetieren bereits die Blastomeren nicht mehr
totipotent sind und daher auf die Nichttotipotenz der ES-Zellen geschlossen wird,
die aus dem späteren Blastocystenstadium abgeleitet werden (Beier 2001; Heinemann 2001; Engels 2000). Zudem gibt es aus vielfältigen Untersuchungen an MausES-Zellen keine Hinweise darauf, dass diese totipotent sein könnten, weshalb dies
auch für menschliche ES-Zellen unwahrscheinlich ist (s. auch Kap. 3.2.3).
45
4.2.2.3
Differenzierung von humanen ES-Zellen
Für eine mögliche künftige klinische Anwendung menschlicher ES-Zellen ist es
erforderlich, dass diese Zellen in vitro gezielt und vollständig zu einem gewünschten Zelltyp differenziert werden können. Zurzeit ist man jedoch weder bei den embryonalen Stammzellen der Maus noch bei denen des Menschen in der Lage, eine
gezielte und homogene Differenzierung der gesamten Zellpopulation in eine Entwicklungslinie, wie zum Beispiel die des Blut bildenden Systems durchzuführen.
Damit geht einher, dass man noch nicht die genaue Interaktion der Mechanismen
kennt, die der in vitro stattfindenden Differenzierung zu Grunde liegen, wie Genexpression, Signaltransduktion, Zell-Zellinteraktionen. Dennoch haben Studien mit
embryonalen Stammzellen der Maus gezeigt, dass man eine gerichtete, wenn auch
nicht vollständige Differenzierung der Zellen in eine Reihe von organ- und gewebespezifischen Zellen erreichen kann (Smith 2001).
Bei der experimentellen Arbeit mit embryonalen Stammzellen gilt, wie bei allen
Arten von Stammzellen, dass es wichtig ist die Differenzierung eines so genannten
Zellklons zu untersuchen. Nur wenn man von einer einzelnen Zelle ausgeht, die sich
in die mit ihr genetisch identischen Tochterzellen teilt, ist eine genaue Zuordnung
der verschiedenen Differenzierungsstufen möglich. Des Weiteren ist es wichtig, die
differenzierten Zellen auf ihre Funktionalität in vitro und in vivo zu überprüfen.
Diese beiden Kriterien sind experimentell nicht leicht zu erfüllen.
Die Differenzierung von embryonalen Stammzellen des Menschen wie der Maus
kann, wie oben beschrieben, durch die Bildung von so genannten Embryoidkörperchen induziert und durch die Gabe von Wachstumsfaktoren moduliert werden. Bislang gibt es eine einzige Arbeit, die den Effekt verschiedener Wachstumsfaktoren
auf humane ES-Zellen untersucht (Schuldiner et al. 2000). In dieser Publikation
wird beschrieben, dass zunächst die Bildung von Embryoidkörperchen aus menschlichen ES-Zellen induziert wurde. Diese Embryoidkörperchen wurden anschließend
dissoziiert und die in ihnen enthaltenen Zellen mit acht verschiedenen (z. T. bei der
Maus gut untersuchten) Wachstumsfaktoren behandelt. Durch diesen Vorgang
wurde die Differenzierung in elf verschiedene Zelltypen induziert, die entwicklungsgeschichtlich den drei Keimblättern des Embryos zugeordnet werden konnten.
Durch die Gabe beispielsweise von bFGF (basic Fibroblast Growth Factor) wurde
eine Differenzierung eines großen Teils der Zellen in Epithelzellen der Haut induziert. Durch den Einsatz der verschiedenen Wachstumsfaktoren konnte zwar erreicht werden, dass sich präferentiell morphologisch unterschiedliche Zellen entwickelten, dass z. B. eher Zellen mit ektodermalen bzw. mesodermalen Markern gefördert wurden. Jedoch entstand unter keiner der experimentellen Bedingungen eine
homogen differenzierte Zellpopulation aus einem einzigen Zelltyp (Schuldiner et al.
2000). Weitere Informationen über die Differenzierung von menschlichen ES-Zellen im Hinblick auf ihre therapeutische Verwendung finden sich in den Kapiteln 5.3-5.6.
46
Für eine mögliche künftige Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen
ist von großer Bedeutung, inwieweit diese Zellen bzw. aus ihnen abgeleitete differenzierte Zelltypen der Abstoßung unterliegen, nachdem sie in den Körper eines
Patienten transplantiert wurden. In der Regel werden transplantierte Zellen anhand
der von ihnen exprimierten MHC-Proteine vom Immunsystem des Empfängers als
körpereigen bzw. körperfremd erkannt. Nun wurde für drei verschiedene menschliche ES-Zell-Linien experimentell nachgewiesen, dass diese ES-Zell-Linien im undifferenzierten Zustand nur sehr wenige MHC-Moleküle exprimierten, die MHCExpression jedoch im Laufe des Differenzierungsprozesses signifikant zunahm.
Insgesamt wurde ein Niveau der MHC-Expression erreicht, das im Körper eines
Patienten höchstwahrscheinlich eine Abstoßungsreaktion hervorrufen würde (Drukker et al. 2002, Vogel 2002c).
4.3
Embryonale Stammzellen aus Blastocysten, die durch
Zellkerntransfer erzeugt wurden ("Therapeutisches Klonen" zur Gewinnung von ntES-Zellen)
4.3.1
Verfahren der Gewinnung von nt-ES-Zellen
Statt Blastocysten für die Gewinnung von ES-Zellen durch die Verschmelzung von
Ei- und Samenzelle herbeizuführen (Kap. 4.2), ist es auch möglich, Blastocysten
durch die Methode des Klonens durch Zellkerntransfer (englisch: nuclear transfer)
bereitzustellen. Um die andere Herkunft dieser embryonalen Stammzellen zu verdeutlichen, werden sie als ntES-Zellen bezeichnet. Da der transferierte Kern einer
somatischen Zelle entstammen kann, eröffnet diese Methode prinzipiell das Potenzial, Zellmaterial für therapeutische Anwendungen bereitzustellen, das immunologisch mit der zu behandelnden Person weitgehend identisch ist, so dass Abstoßungen des Zelltransplantats kaum zu erwarten sind (s. auch Kap. 2.2). Deshalb wird
dieser Weg der Stammzellgewinnung häufig auch als "Therapeutisches Klonen"
bezeichnet.
Abbildung 4.1 zeigt eine schematische Darstellung des Klonens durch Kerntransfer.
Zunächst werden Eizellen gewonnen, wie in Kapitel 4.2.1 beschrieben. Aus diesen
Eizellen werden die Chromosomen in vitro entfernt. Mit einer Pipette wird anschließend eine Spenderzelle mit doppeltem Chromosomensatz an eine bestimmte
Stelle der entkernten Eizelle eingebracht (so genannter perivitelliner Raum, dem
Zwischenraum zwischen Cytoplasma und Zona pellucida (Eihülle)). Durch das
Anlegen geeigneter elektrischer Pulse wird eine Aufnahme der Spenderzelle in das
Cytoplasma der Eizelle bewirkt; zudem muss eine Aktivierung der Eizelle durch
47
geeignete elektrische oder chemische Stimuli erfolgen. In einem noch nicht verstandenen Prozess erfolgt eine Reprogrammierung des Kerns der Spenderzelle, wodurch er entwicklungsmäßig vergleichbar mit dem Kern einer befruchteten Eizelle
wird. Der auf diese Weise entstandene Embryo kann in vitro bis zum Blastocystenstadium kultiviert werden. Dieser Blastocyste kann die innere Zellmasse entnommen und zur Gewinnung von ES-Zellen eingesetzt werden, wie in Kapitel 4.2.1
beschrieben; der Embryo wird dabei zerstört. Die auf diese Weise gewonnenen
embryonalen Stammzellen werden als ntES-Zellen bezeichnet. Diese Variante wird
in der Stammzelldiskussion als "Therapeutisches Klonen" bezeichnet, weil sie darauf abzielt, ES-Zellen für die Herstellung von Zellmaterial für therapeutische Zwecke zu gewinnen, dem Embryo jedoch keine Gelegenheit gegeben wird, sich zu
einem vollständigen Individuum zu entwickeln. Dies wäre beim so genannten "Reproduktiven Klonen" der Fall. Durch "reproduktives Klonen" könnte ein Individuum geboren werden, das genetisch weitgehend identisch mit demjenigen
Organismus ist, dem der transferierte Zellkern entstammte (s. Abb. 4.1).
Dass das hier beschriebene Prinzip der Gewinnung von embryonalen Stammzellen
aus Blastocysten, die sich nach somatischem Kerntransfer in entkernte Eizellen
entwickelten, tatsächlich experimentell realisierbar ist, wiesen (Munsie et al. 2000)
nach, indem sie auf diese Weise embryonale Stammzellen der Maus gewannen.
Inzwischen liegt auch eine Publikation vor, die Versuche der US-amerikanische, auf
Kerntransfer spezialisierte Firma Advanced Cell Technology ACT dokumentiert,
dieses Verfahren zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen zu entwickeln. Zellkerne aus menschlichen Fibroblastenzellen wurden in entkernte menschliche Eizellen übertragen. Aus insgesamt 19 dem Kerntransfer unterzogenen
menschlichen Eizellen entwickelten sich drei Embryonen bis zum 4- bzw. 6-Zellstadium und starben dann ab (Cibelli et al. 2001). Eine Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus so frühen Embryonalstadien ist jedoch nicht möglich. Jüngsten
Presseberichten zufolge soll es hingegen chinesischen Wissenschaftlern gelungen
sein, geklonte menschliche Embryonen bis zum 200-Zell-Blastocystenstadium zu
kultivieren und daraus Zellkulturen anzulegen. Ob es sich bei diesen Zellkulturen
tatsächlich um menschliche embryonale Stammzellen handelt, müssen weitere Untersuchungen ergeben (Cohen 2002). Somit ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht
bekannt, ob sich auf diese Weise tatsächlich menschliche ntES-Zellen gewinnen
lassen, und wenn ja, inwieweit sie mit ES-Zellen vergleichbare Eigenschaften aufweisen. Auf diese noch offenen Fragen wird im folgenden Kapitel ausführlich eingegangen.
48
Abbildung 4.1:
Therapeutisches und reproduktives Klonen durch Zellkerntransfer
Kernspender
reife Eizelle
isolierte, einzelne Zelle
Entfernung der Chromosomen
(Entkernung)
Einbringen der Zelle
in den perivitellinen
Raum der Eizelle
Aktivierung, Elektrofusion
Kultivierung des Embryos in vitro
Blastozyste
therapeutisches Klonen
reproduktives Klonen
Gewinnung von
ntES-Zellen
Transfer in Gebärmutter
Zellmaterial für
Therapien
mit dem Kernspender
weitgehend genetisch
identische Nachkommen
Quelle: nach Revermann et al. 2000, S. 38, verändert und ergänzt
49
4.3.2
Offene Fragen in Bezug auf ntES-Zellen
Zurzeit liegen noch keine experimentellen Daten vor, die eine abschließende Bewertung zulassen, inwieweit ntES-Zellen in Bezug auf ihre Eigenschaften und ihre
therapeutische Verwendbarkeit mit ES-Zellen vergleichbar sind. Bislang sind mindestens 35 ntES-Zell-Linien der Maus gewonnen worden (Munsie et al. 2000), für
die Pluripotenz in vitro und in vivo nachgewiesen wurde (Wakayama et al. 2001),
die jedoch in Bezug auf ihre Eigenschaften und Differenzierungsprodukte noch
nicht umfassend und vergleichend zu ES-Zellen der Maus charakterisiert worden
sind. Es liegen jedoch umfangreichere Erkenntnisse über die Eigenschaften von
Säugetieren vor, die durch reproduktives Klonen erhalten wurden. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich begründete Vermutungen über die Eigenschaften und die –
möglicherweise stark eingeschränkte – Eignung von ntES-Zellen für therapeutische
Zwecke ableiten.
Bislang liegen sehr viel umfangreichere Erfahrungen mit dem "reproduktiven Klonen" durch Kerntransfer als mit dem "therapeutischen Klonen" von Säugetieren vor.
Das reproduktive Klonen wurde bei Säugetieren bereits in den 1980er und frühen
1990er-Jahren durchgeführt, gelang aber zunächst nur mit Kernen embryonaler
Zellen, erstmals 1986 beim Schaf (Willadsen 1986), danach auch bei Rind, Kaninchen, Schwein, Maus, Ziege und Rhesusaffen (Revermann et al. 2000, S. 40; Meng
et al. 1997; Wolf et al. 1998).
Mit der Geburt des Schafes "Dolly" im Jahr 1997 wurde gezeigt, dass höhere Säugetiere auch dadurch kloniert werden können, dass der Kern einer ausdifferenzierten Körperzelle in eine Eizelle übertragen wird. Damit wurde ein biologisches Paradigma widerlegt – bis dahin war man davon ausgegangen, dass Zellkerne von ausdifferenzierten Körperzellen prinzipiell nicht mehr so reprogrammiert werden können, dass sie wieder totipotent werden (Hillebrand et al. 2001). Inzwischen wurden
auch zahlreiche andere Säugetierarten nach dem "Dolly-Prinzip" kloniert, so z. B.
Rind, Ziege, Maus, Katze und Schwein (Westhusin et al. 2001), auch vom Aussterben bedrohte Tierarten.
Aus diesen Experimenten zum reproduktiven Klonen durch Kerntransfer bei verschiedenen Säugerarten ist bekannt, dass die Effizienz dieses Verfahrens (Zahl der
geborenen Nachkommen in Bezug zur Zahl der eingesetzten Eizellen) sehr gering
ist. So war Dolly das einzige lebend geborene Lamm aus insgesamt
277 behandelten Eizellen (Wilmut et al. 1997). Zudem werden eine hohe Fehlquote
bei der Implantation und weiteren Entwicklung des Embryos, und eine hohe Fehlgeburtsrate bei geklonten Säugetieren beobachtet. Es werden auch eine erhöhte Sterblichkeit der Neugeborenen, eine mögliche Schwächung des Immunsystems, eine
verlängerte Tragzeit und damit einhergehend ein erhöhtes Geburtsgewicht ("LargeCalf-Syndrome") und dadurch bedingte Geburtskomplikationen verzeichnet. Weitere Beeinträchtigungen der Vitalität und der Lebensdauer sind nicht auszuschließen
50
(Hillebrand et al. 2001, S. 14; Cibelli et al. 2002a). Bei Mäusen, die durch Klonen
mittels Kerntransfer erhalten wurden, wurde ein abnormales Expressionsmuster
einer Vielzahl von Genen beobachtet (Humpherys et al. 2002).
Als eine der Ursachen hierfür wird eine Vielzahl epigenetischer Fehler angenommen. Unter Epigenetik versteht man vererbbare Informationen, die jedoch nicht in
der Basenabfolge der DNA gespeichert sind, sondern in chemischen Bausteinen, die
veränderlich lokal an die DNA geknüpft werden.. Diese epigenetischen Fehler entstehen wahrscheinlich bei der Reprogrammierung des transferierten Zellkerns auf
Grund folgender Prozesse: Zum Zeitpunkt des Transfers in die entkernte Eizelle ist
der Zellkern der Körperzelle so organisiert, dass er die Erfüllung der gewebespezifischen Funktion seiner Körperzelle steuert. Diese Organisation umfasst die Lokalisierung bestimmter chromosomaler Abschnitte in aktiven oder inaktiven Regionen
des Zellkerns, die Anordnung von Proteinkomplexen um die DNA, spätere Modifikationen dieser Proteine sowie die Modifizierung der DNA selbst (u. a. durch
Imprinting). Unter Imprinting versteht man die unterschiedliche funktionelle Programmierung des väterlichen und mütterlichen Genoms. Für die normale Entwicklung einer befruchteten Eizelle zu einem neuen Individuum ist das harmonische
Zusammenwirken des väterlichen und des mütterlichen Genoms erforderlich, die
jeweils spezifisch und unterschiedlich programmiert sind. Ein Großteil dieser Organisation des Zellkerns der Körperzelle muss nach dem Kerntransfer entfernt und in
anderer Form neu aufgebaut werden, um eine normale Entwicklung des Embryos zu
ermöglichen. Dieser Prozess der Reprogrammierung des transferierten Zellkerns
verläuft offenbar unvollständig und fehlerhaft (Wilmut 2002).
Auf Grund dieser durch reproduktives Klonen von Säugetieren gewonnenen Erkenntnisse ist es als unsicher einzuschätzen, inwieweit für die Gewinnung von
menschlichen ntES-Zellen
•
die erforderlichen menschlichen Eizellen in ausreichendem Maße bereitgestellt
werden können. Angesichts der Ineffizienz des Verfahrens müssten eine Vielzahl
von Embryonen erzeugt werden, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die
gewünschten Stammzellen gewinnen zu können. Hierfür sind jedoch viele Eizellen erforderlich, die Frauen entnommen werden müssen. Die Prozedur der Eizellgewinnung stellt ein nicht unerhebliches Gesundheitsrisiko für die betroffenen Frauen dar (vgl. Kap. 4.2.1). Der eventuelle therapeutische Nutzen durch die
gewonnenen Stammzellen käme Dritten zugute, nicht jedoch den Frauen, von
denen die Eizellen stammen. Diese Technik birgt somit das Potenzial, Frauen zu
Eizellenlieferantinnen15 herabzuwürdigen und individuelle Notlagen16 für
fremdnützige Zwecke auszunutzen (Schneider 2001).
15 In einigen Ländern, z. B. den USA, ist eine Eizellenspende gegen Entgelt zulässig. In der
Schweiz ist hingegen eine Eizellenspende unzulässig (Art. 4 FMedG).
16 Dies trifft in der Schweiz insofern nicht zu, als gemäß Bundesverfassung die Spende von
menschlichen Zellen unentgeltlich ist und mit menschlichem Keimgut auch kein Handel getrie-
51
•
inwieweit aus ntES-Zellen wegen möglicher epigenetischer Defekte normal entwickelte, differenzierte Zellen und Gewebe hervorgehen können bzw. inwieweit
diese Anomalien und Schädigungen aufweisen,
•
inwieweit ntES-Zellen und daraus abgeleitete differenzierte Zellen und Gewebe
einen normalen Alterungsprozess durchlaufen bzw. inwieweit sie vorzeitig altern,
•
inwieweit ntES-Zellen und daraus abgeleitete differenzierte Zellen und Gewebe
in stärkerem Maße zur Entartung (Krebsbildung) neigen als anders gewonnene
ES-Zellen,
•
inwieweit auf diese Weise hergestellte differenzierte Gewebe tatsächlich mit
dem Kernspender immunologisch kompatibel sind und daher für Zelltransplantationen in besonderem Maße geeignet sind, wie es die Theorie nahe legt (The
Chief Medical Officer's Expert Group 2000, S. 6).
International ist die Rechtslage sehr unterschiedlich, inwieweit Klonen durch Kerntransfer auch für menschliche Zellen zulässig ist. Zwar wird das reproduktive Klonen international weitgehend abgelehnt, über die Vertretbarkeit des therapeutischen
Klonens für den Menschen besteht hingegen Uneinigkeit. Während beispielsweise
in England diese Option zur Gewinnung von ES-Zellen explizit offen gehalten wird,
sind in der Schweiz alle Arten des Klonens explizit verboten (Art. 119 Abs. 2 Bst. a
BV; s. Kap. 8).
4.4
Embryonale Stammzellen (EG-Zellen) aus primordialen
Keimzellen abortierten Embryonen oder Feten
4.4.1
Verfahren der Gewinnung von EG-Zellen
Etwa zeitgleich mit der erstmaligen Etablierung menschlicher embryonaler Stammzellen, die aus IVF-Blastocysten gewonnen wurden (ES-Zellen) (Kap. 4.2), wurden
menschliche embryonale Stammzellen auch auf eine andere Art und Weise, nämlich
aus menschlichen primordialen Keimzellen gewonnen (Shamblott et al. 1998). Um
die unterschiedliche Herkunft zu verdeutlichen, werden die so gewonnenen Stammzellen als EG-Zellen bezeichnet.
ben werden darf (Art. 119 Abs. 2 Bst. e BV und Art. 119a Abs. 3 BV). Diese Bestimmungen
gelten auch für menschliche Eizellen.
52
Für die Gewinnung von EG-Zellen werden als Ausgangsmaterial abgetriebene
menschliche Embryonen oder Feten oder Fehlgeburten im Alter von
5 bis 10 Wochen nach der Befruchtung verwendet. Von Interesse für die Gewinnung von EG-Zellen sind die so genannten Genitalleisten (engl.: genital ridges).
Dies sind Regionen des Embryos bzw. Fetus, aus denen sich im weiteren Verlauf
die Geschlechtsorgane entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung sind in
diese Genitalleisten die primordialen Keimzellen (Urkeimzellen) eingewandert, aus
denen sich später Ei- und Samenzellen entwickeln, und aus denen EG-Zellen abgeleitet werden können.
Für die Gewinnung der EG-Zellen werden die embryonalen bzw. fetalen Genitalleisten mechanisch und chemisch-enzymatisch zerkleinert und in Zellkultur genommen. Es bilden sich dichte, mehrschichtige Kolonien aus EG-Zellen aus.
4.4.2
Eigenschaften von EG-Zellen
Menschliche EG-Zellen zeichnen sich durch morphologische Ähnlichkeit zu MausES- und EG-Zellen aus, den Besitz von Markern, mit denen pluripotente Stammzellen normalerweise charakterisiert werden, einen über mehrere Generationen stabilen Karyotyp sowie die Fähigkeit, in Zelltypen der drei embryonalen Keimblätter
zu differenzieren, da diese Zelltypen in den Embryoidkörperchen nachweisbar waren (Tab. 4.2). Schwierigkeiten bestehen darin, klonale Zell-Linien aus den sehr
dichten, nur schwierig in Einzelzellen zu zerlegende Kolonien bzw. Embryoidkörperchen anzulegen (Shamblott et al. 1998; Shamblott et al. 2001). Der Nachweis der
Pluripotenz wurde bislang nur in vitro erbracht, indem in den sich bildenden
Embryoidkörperchen Zelltypen, die sich aus allen drei Keimblättern ableiten,
nachweisbar waren (Shamblott et al. 2001). Eine Ausbildung von Teratomen nach
Injektion von EG-Zellen in SCID-Mäuse wurde bisher noch nicht beobachtet
(National Institutes of Health 2001, S. 14). Ob das Fehlen dieser Eigenschaft eine
mögliche spätere therapeutische Nutzung von menschlichen EG-Zellen einschränkt,
kann beim heutigen Wissensstand noch nicht beurteilt werden. Die Teilungsfähigkeit menschlicher EG-Zellen scheint im Vergleich zu menschlichen ES-Zellen geringer zu sein: EG-Zellen bildeten nur bis zu 80 Zellteilungen eine stabile Kultur
(Shamblott et al. 2001), während menschliche ES-Zellen bis zu 300 Teilungen
durchlaufen können (Odorico et al. 2001). Zudem unterscheiden sich menschliche
EG-Zellen von ES-Zellen auch hinsichtlich ihrer Ansprüche an die Kultivierungsbedingungen: sie können im undifferenzierten Zustand nur in Gegenwart des
Wachstumsfaktors LIF und einem "feeder layer" kultiviert werden (Shamblott et al.
2001). Somit stimmen menschliche EG-Zellen in bestimmten Eigenschaften mit
menschlichen ES-Zellen überein, weisen jedoch auch signifikante Unterschiede,
insbesondere in Bezug auf ihre Teilungsfähigkeit und ihre Differenzierungsverhalten auf (s. Tab. 4.2).
53
Obwohl die Gewinnung embryonaler und fetaler Gewebe durch Schwangerschaftsabbrüche für Forschungs- und Therapiezwecke ethisch keinesfalls unproblematisch
ist (für eine ausführliche Diskussion s. Hüsing et al. 2001, S. 172ff.; Engels 2000
sowie Kap. 5.4 und 7), kann die Verwendung von EG-Zellen anstelle von ES-Zellen
für Forschungszwecke als weniger problematisch erscheinen17, zumal sie nach geltendem Recht in der Schweiz zulässig wäre (s. Kap. 8). Ein mögliches "Ausweichen" auf EG-Zellen setzt aber voraus, dass EG-Zellen in denjenigen Eigenschaften, die für die jeweiligen Verwendungszwecke wesentlich sind, gleichwertig mit
ES-Zellen sind. Untersuchungen an Maus-EG-Zellen (Kato et al. 1999) lassen jedoch Zweifel an der Gleichwertigkeit von ES- und EG-Zellen aufkommen
(Steghaus-Kovac 1999): sie ergaben auffällige Unterschiede über das Entwicklungs- und Differenzierungspotenzial von EG-Zellen in vivo im Vergleich mit
ES-Zellen. Als Ursache wird das Phänomen des Imprinting18 angenommen (Surani
2001). Urkeimzellen haben insofern einen besonderen biologischen Status, als sie
"imprintfrei" sind und in ihnen die geschlechtsspezifischen Unterschiede aufhören
zu existieren – diese geschlechtsspezifischen Imprints werden erst in späteren Entwicklungsstadien wieder in die Keimbahn eingeführt und sind für eine normale
Entwicklung des Embryos zwingend erforderlich (Surani 2002). Daher stellt sich
die Frage, ob menschliche EG-Zellen, die aus "imprintfreien" primordialen Keimzellen abgeleitet sind, dieselben Probleme mit einer normalen Entwicklung beinhalten wie Maus-EG-Zellen. Sollte dies der Fall sein, dürfte ihre Eignung für Forschungs- und Therapiezwecke im Vergleich zu menschlichen ES-Zellen eingeschränkt sein. Zurzeit kann diese Frage noch nicht beantwortet werden. Eine kürzlich erschienene Untersuchung zum Imprinting ausgewählter Gene, die dem
Imprinting unterliegen, in menschlichen EG-Zellen ergab zwar, dass die vier untersuchten Gene korrekt exprimiert wurden (Onyango et al. 2002, Sapienza 2002).
Jedoch bleiben noch viele Fragen offen (z. B. nach dem zeitlichen Verlauf des
"Auslöschens" und Wiedereinführens von Imprints, dem zu Grunde liegenden Mechanismus, der Repräsentativität der untersuchten Gene für alle dem Imprinting
unterliegenden Gene etc.) (Steinberg, 2002). Deshalb können auf der Basis dieser
Untersuchungsergebnisse noch keine weitreichenden Schlussfolgerungen über die
Eignung von menschlichen EG-Zellen für Zelltherapien gezogen werden.
17 Diese Position hat beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999 vertreten (Steghaus-Kovac 1999).
18 Unter Imprinting versteht man die unterschiedliche funktionelle epigenetische Programmierung
des väterlichen und mütterlichen Genoms. Für die normale Entwicklung einer befruchteten Eizelle zu einem neuen Individuum müssen väterliches und des mütterliches Genom harmonisch
zusammenwirken. Dies wird dadurch erreicht, dass einige Gene spezifisch so markiert ("imprinted") sind, dass entweder nur die von der Mutter oder vom Vater stammende Kopie funktionell
aktiv ist. Die spezifische Markierung von Genen erfolgt primär über die Methylierung bestimmter Basenpaare der DNA. Dieses Methylierungsmuster ist vererbbar, unter bestimmten Bedingungen jedoch auch modifizierbar (Surani 2001b).
54
4.5
Weitere Möglichkeiten zur Gewinnung embryonaler
Stammzellen
Zurzeit werden Forschungsarbeiten durchgeführt, die darauf abzielen, menschliche
Embryonen zum Zwecke der Gewinnung embryonaler Stammzellen zu erzeugen,
die nicht das Potenzial hätten, sich zu einem vollständigen Individuum zu entwickeln. Man hofft, auf diese Weise die ethischen und rechtlichen Probleme umgehen
zu können, die mit der Stammzellgewinnung aus IVF-Blastocysten oder durch somatischen Kerntransfer verbunden sind.
Einer dieser Forschungsansätze nutzt das Phänomen der Parthenogenese (Jungfernzeugung), bei der sich unbefruchtete Eizellen zu vollständigen Individuen zu
entwickeln vermögen. Dieses Phänomen ist beispielsweise bei Bienen und Ameisen
zu beobachten, bei denen aus befruchteten Eizellen Königinnen und Arbeiterinnen
hervorgehen, aus unbefruchteten Eizellen hingegen männliche Tiere. Bei Säugern,
zu denen auch der Mensch zählt, kann ebenfalls Parthenogenese auftreten, indem
der in der Eizelle enthaltene weibliche Chromosomensatz verdoppelt wird und eine
Aktivierung der Eizelle eintritt, ohne dass ein Spermium eingedrungen ist. Üblicherweise sterben solche parthenogenetisch entstandenen Säuger-Embryonen19 bereits in sehr frühen Stadien der Entwicklung ab und vermögen sich nicht zu lebensfähigen Individuen zu entwickeln.
Das Phänomen der Parthenogenese ließe sich möglicherweise für die Gewinnung
von embryonalen Stammzellen nutzen. Voraussetzung hierfür ist, dass die parthenogenetisch entstandenen Embryonen bis zum Blastocystenstadium kultiviert werden können, in dem embryonale Stammzellen aus der inneren Zellmasse gewonnen
werden (Westphal 2001). Dass dieses Konzept für die Maus experimentell umzusetzen ist, hat die Arbeitsgruppe um Yan-Ling Feng und Jerry Hall vom Institute für
Reproductive Medicine and Genetics in Los Angeles, USA im Oktober 2001 gezeigt: sie konnten aus parthenogenetisch entstandenen Mausembryonen Stammzellen gewinnen, die sich später zu Nervenzellen differenzieren ließen (Holden 2002).
Dass die parthenogenetische Erzeugung von Embryonen bei nicht-humanen Primaten möglich ist, zeigten (Mitalipov et al. 2001). Der Ansatz der Stammzellgewinnung aus parthenogenetisch erzeugten Embryonen wird auch von der US-amerikanischen Firma Advanced Cell Technology in Massachusetts, USA verfolgt: Dieser
Firma gelang erstmals die Gewinnung von Stammzellen aus parthenogenetisch erzeugten Embryonen von nicht-humanen Primaten. Bei der nachfolgenden in vitro-
19 Umstritten ist, inwieweit solche parthenogenetisch entstandenen Embryonen aus Embryonen im
Sinne der in der Schweiz zurzeit verwendeten rechtlichen Embryodefinition (vgl. Kap. 3.2.1, Definition (1)) aufzufassen sind, da sie nicht als Resultat der Befruchtung von Eizellen entstehen.
Deshalb werden parthenogenetisch entstandene Embryonen teilweise bewusst als Parthenoten
und nicht als Embryonen bezeichnet (Eidgenössisches Departement des Inneren 2002).
55
und in vivo-Differenzierung wurden Zelltypen beobachtet, die sich entwicklungsbiologisch auf alle drei Keimblätter zurückführen lassen (Cibelli et al. 2002b).
Kürzlich hat dieselbe Firma auch die parthenogenetische Aktivierung menschlicher
Eizellen publiziert: von 22 Eizellen entwickelten sich sechs so weit, dass sie am
6. Tag nach der Aktivierung ein Blastocoel ausbildeten, doch zeigte keine dieser
Entwicklungsstadien eine klar erkennbare innere Zellmasse (Cibelli et al. 2001).
Somit konnten über diese Methode bislang noch keine menschlichen embryonalen
Stammzellen gewonnen werden. Deshalb ist zurzeit offen, welche Eigenschaften
diese so gewonnenen embryonalen Stammzellen aufweisen würden und inwieweit
sie ES-Zellen entsprächen, die aus IVF-Blastocysten gewonnen wurden.
Klar ist lediglich, dass mit dieser Methode ausschließlich weibliche diploide embryonale Stammzellen gewinnbar sind, jedoch keine männlichen. Es ist auch vorstellbar, dass mit dieser Methode für Patientinnen genetisch identische StammzellLinien angelegt werden könnten, um daraus immunologisch kompatibles Zellmaterial herstellen zu können. Voraussetzung wäre lediglich, dass die Patientin ihre eigenen Eizellen hierfür bereitstellen könnte. Somit könnte diese Methode möglicherweise für Frauen eine Alternative zum "therapeutischen Klonen" (s. Kap. 4.3)
darstellen (Holden 2002). Die Effizienz des Verfahrens ist jedoch gering, so dass –
ebenso wie beim "therapeutischen Klonen" – wahrscheinlich eine große Zahl von
Eizellen benötigt würde, um eine embryonale Stammzell-Linie anlegen zu können.
Zudem ist nicht auszuschließen, dass diese Stammzell-Linien, die aus parthenogenetisch erzeugten Embryonen gewonnen wurden, und daraus abgeleitete Differenzierungsprodukte Abnormalitäten aufweisen könnten, die durch das hohe Maß an
Homozygotie und das fehlende väterliche Imprinting des Genoms bedingt wären
(Trounson 2002).
Eine weitere alternative Methode zur Gewinnung menschlicher embryonaler
Stammzellen könnte der ooplasmatische Transfer sein. Bei dieser Technik wird
das Cytoplasma einer Eizelle in eine Körperzelle eingebracht. Man erhofft sich
durch den ooplasmatischen Transfer, dass durch die Injektion des Ooplasmas eine
Reprogrammierung der adulten Zelle induziert werden kann (Davies 2001; Westphal 2001). Zurzeit ist unklar, welcher Stand bei der Erforschung dieser Methode
zur Gewinnung von Stammzellen erzielt worden ist.
4.6
Adulte Stammzellen
Im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen, die durch ihre Herkunft eindeutig
definiert sind, beruht die Charakterisierung von adulten Stammzellen (auch als gewebespezifische Stammzellen bezeichnet) hauptsächlich auf ihren funktionellen
und experimentell beschreibbaren Eigenschaften. Sie werden in der Entwicklungs-
56
biologie schon seit vielen Jahren untersucht (Robey 2000). So ist seit langem bekannt, dass in ausdifferenzierten Geweben Stammzellen vorliegen, denen im Körper
die Funktion der dauerhaften Aufrechterhaltung der Gewebefunktion sowie die Reparatur nach Schädigungen zukommt. Die am besten charakterisierten adulten
Stammzellen sind die des Blut bildenden Systems, die so genannten hämatopoetischen Stammzellen (Weissman 2000). Sie sind auch diejenigen adulten Stammzellen, die am häufigsten für therapeutische Zwecke beim Menschen eingesetzt werden. Seit Ende der 1960er-Jahre werden Transplantationen von hämatopoetischen
Stammzellen zur Heilung schwerer Erkrankungen des Blut bildenden Systems sowie bei der Behandlung bestimmter Krebserkrankungen eingesetzt und haben große
klinische Bedeutung erlangt (s. auch Kap. 4.6.1.2 und 5.7.2).
4.6.1
Verfahren zur Gewinnung adulter Stammzellen
4.6.1.1
Allgemeines
In den letzten Jahren wurde deutlich, dass adulte Stammzellen in einer Vielzahl von
Geweben vorkommen, so z. B. in Knochenmark, Blut, Blutgefäßen, Skelettmuskel,
Haut, Darmschleimhaut, Augenhornhaut, Augennetzhaut, Zahnpulpa, Leber,
Bauchspeicheldrüse und im zentralen Nervensystem. Somit kommen sie in Geweben vor, die entwicklungsbiologisch auf alle drei embryonalen Keimblätter zurückgehen. Zudem findet man sie sogar in Organen, wo man sie nicht vermutet hatte, so
zum Beispiel auch im zentralen Nervensystem (National Institutes of Health 2001,
S. ES-6).
Adulte Stammzellen sind nur in sehr geringer Anzahl in adulten Geweben vorhanden. Zudem wird vermutet, dass ihre Zahl mit zunehmender Alterung des Lebewesens abnimmt (Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin 2001,
S. 12). Deshalb müssen adulte Stammzellen für eine eingehende Untersuchung zumindest angereichert, besser noch isoliert werden. Protokolle zur Anreicherung dieser Stammzellen beruhen meist auf der Sortierung fluoreszenzmarkierter Zellen, die
es ermöglicht, diejenigen Zellen zu selektieren, die bestimmte Oberflächenproteine
exprimieren. Die Anreicherungs- und Isolierungsverfahren werden jedoch dadurch
in ihrer Leistungsfähigkeit begrenzt, dass zurzeit ein deutlicher Mangel an geeigneten Markern besteht, nach denen selektiert werden könnte (Blau et al. 2001).
Um adulte Stammzellen für mögliche klinische Anwendungen zu gewinnen, müssen sie aus möglichst gut zugänglichen Geweben angereichert werden. Am besten
etabliert ist die Gewinnung der Blut bildenden Stammzellen aus Knochenmark,
peripherem Blut oder Nabelschnurblut (s. Kap. 4.6.1.2 und 4.6.1.3). Aber auch
andere Quellen können genutzt werden. So konnten beispielsweise aus Fettgewebe,
das in der plastischen Chirurgie nach Fettabsaugungen zur Verfügung stand, mes-
57
enchymale Stammzellen gewonnen werden, die zu Knorpel-, Knochen-, Muskeloder Sehnenzellen differenzieren können (Zuk et al. 2001). Für Forschungszwecke
wurden neuronale Stammzellen sogar aus Gehirnbiopsien angereichert
(s. Kap. 4.6.1.5).
4.6.1.2
Gewinnung Blut bildender Stammzellen
Diejenigen adulten Stammzellen, die am besten charakterisiert sind, sind zweifellos
die hämatopoetischen Stammzellen, die die Fähigkeit besitzen, alle Zellen des Blutes hervorzubringen. Es wird angenommen, dass einige 100-1000 dieser Stammzellen ausreichen, die gesamte Blutbildung eines Menschen ein Leben lang zu gewährleisten. Verfahren zur Gewinnung dieser Stammzellen sind gut etabliert und
werden seit Jahrzehnten klinisch angewendet, um schwere Erkrankungen des Blut
bildenden Systems sowie bestimmte chemo- und strahlenempfindliche Krebserkrankungen zu behandeln. Beispiele hierfür sind Leukämien, Lymphome, Aplastische Anämie, Thalassämie, Morbus Gaucher, sowie bestimmte Autoimmunerkrankungen. Die Behandlung beruht auf dem Prinzip, in den Patientinnen und Patienten
zunächst die krankhaft veränderten Blutzellen und ihre Vorläufer durch Bestrahlung
und Chemotherapie zu zerstören und anschließend die Blutbildung durch die Transfusion gesunder Blut bildender Stammzellen wieder neu aufzubauen. Die Stammzellen finden ihren Weg ins Knochenmark der Empfängerin bzw. des Empfängers
über die Blut- und Lymphbahnen selbst (Swisstransplant Working Group Blood and
Marrow Transplantation 2000).
Um Blut bildende Stammzellen für eine Transplantation zu gewinnen, stehen heute
verschiedene Quellen zur Verfügung:
•
Transplantation von Knochenmark, das Blut bildende Stammzellen enthält,
•
Transplantation von Blut bildenden Stammzellen, die aus peripherem Blut isoliert wurden,
•
Transplantation
(s. Kap. 4.6.1.3),
•
Transplantation fetaler Leberzellen.
von
neonatalen
Stammzellen
aus
Nabelschnurblut
Zunächst wurde in den 1960er-Jahren die Knochenmarkstransplantation entwickelt.
Unter Narkose wird der Beckenknochen des Spenders mehrmals punktiert, wobei
etwa ein halber Liter der Knochenmarksflüssigkeit abgezapft wird. In den 1990erJahren konnte die Gewinnung von Blut bildenden Stammzellen aus dem peripheren
Blut etabliert werden, eine spenderfreundlichere Methode, die keine Vollnarkose
erfordert. Bei dieser Methode wird der spendenden Person ein gentechnisch hergestellter Wachstumsfaktor verabreicht, der die Blut bildende Stammzellen zur Teilung und Vermehrung veranlasst. Diese Stammzellen können dann in einem mehr-
58
stündigen Prozess durch Zellseparatoren aus dem Blut herausgefiltert werden (so
genannte Zytapherese).
Protokolle zur Anreicherung dieser Stammzellen beruhen meist auf der Sortierung
fluoreszenzmarkierter Zellen, die es ermöglicht, diejenigen Zellen zu selektieren,
die bestimmte Oberflächenproteine exprimieren. In einem weiteren Schritt werden
in der Regel diejenigen Zellen aussortiert, die Proteine exprimieren, die charakteristisch für reife hämatopoetische Zellen sind. Auf diese Weise können Stammzellpopulationen isoliert werden, in denen mehr als 80 % der Zellen das Potenzial besitzen, Blut zu rekonstituieren. Damit sind Anreicherungsfaktoren bis zum zehntausendfachen erreicht (Blau et al. 2001).
4.6.1.3
Gewinnung von Blut bildenden Stammzellen aus Nabelschnurblut
(neonatale Stammzellen)
Eine weitere Möglichkeit der Gewinnung von Blut bildenden Stammzellen ist deren
Isolierung aus dem Blut der Nabelschnurvene. Weil das Nabelschnurblut erst nach
der Durchtrennung der Nabelschnur entnommen wird, ist damit in der Regel keine
Gefahr für das Neugeborene verbunden. Zwar ist die Konzentration von Stammzellen im Nabelschnurblut höher als in allen anderen Quellen für Blut bildende
Stammzellen. Weil aber das Blutvolumen klein ist, das aus der Nabelschnur entnommen werden kann, kann jeweils nur eine geringe Anzahl an neonatalen Stammzellen isoliert werden. Deshalb können bisher nur Kinder und junge Erwachsene bis
40 kg damit behandelt werden. In der Entwicklung ist die Vermehrung (Expansion)
dieser neonatalen Stammzellen im Labor, steht für den klinischen Einsatz jedoch
noch nicht zur Verfügung. Nabelschnurblut wird in Nabelschnurblutbanken gelagert, deren Dateien in Europa im EUROCORD vernetzt sind. Die in diesen Blutbanken gelagerten Stammzellen stehen prinzipiell allen Patienten, für die eine solche Stammzelltherapie in Frage käme, zur Verfügung. Dem gegenüber besteht auch
die Möglichkeit, Nabelschnurblut von Privatunternehmen ausschließlich für die
eigenen Familienmitglieder einlagern zu lassen (Schmidt 2000, s. auch Kap. 6.1 und
Kap. 7.5.4.5).
4.6.1.4
Gewinnung von adulten Stammzellen aus abortierten Embryonen
und Feten (fetale Stammzellen)
Aus toten Embryonen oder Feten nach Schwangerschaftsabbruch oder Fehlgeburt
können nicht nur primordiale Keimzellen isoliert werden, um EG-Zellen zu gewinnen (s. Kap. 4.4), sondern auch adulte Stammzellen. Wegen ihrer Herkunft aus
Embryonen oder Feten werden sie auch als fetale Stammzellen bezeichnet. Weltweit werden seit etwa 10 Jahren Forschungsarbeiten unter Verwendung von fetalem
Nervengewebe mit dem Ziel betrieben, eine Zelltherapie für die Parkinson'sche
Krankheit zu etablieren (s. auch Kap. 5.4.1). Dieses fetale Nervengewebe wird aus
59
den Gehirnanlagen isoliert und enthält offenbar auch gewebespezifische Stammzellen: so konnten humane Stammzellen aus dem fetalen Hirn gewonnen werden,
die nach Injektion in eine neugeborene immuntolerante Maus Glia- und Nervenzellen in allen Hirnteilen gebildet haben, ohne dass eine Bildung von Tumoren oder
andere Fehlentwicklungen festgestellt werden konnten (Uchida et al. 2000).
Fetales Nervengewebe wird im Rahmen klinischer Versuche in das Gehirn von Parkinsonpatienten transplantiert, wo es durch die Synthese des Neurotransmitters Dopamin dazu beitragen soll, die durch die Krankheit ausgefallenen Zellfunktionen
wiederherzustellen. Wegen der schwierigen Isolierbarkeit des fetalen Nervengewebes werden pro Patient zurzeit etwa 6-16 menschliche Feten benötigt. Ob durch die
Transplantation fetaler Nervenzellen tatsächlich eine Verbesserung der Krankheitssymptome bei den so behandelten Patienten erreicht werden kann, die ursächlich
auf das Zelltransplantat zurückzuführen ist, ist Gegenstand der aktuellen Forschung
(Hüsing et al. 2001, S. 122ff., s. auch Kap. 5.4.1).
Im Gegensatz zur Gewinnung von EG-Zellen (vgl. Kap. 4.4) sind bei der Gewinnung von fetalen Stammzellen mehrere Embryonen oder Feten aus zeitgleichen
Schwangerschaftsabbrüchen erforderlich (Enquete-Kommission Recht und Ethik
der modernen Medizin 2001, S. 13).
4.6.1.5
Gewinnung und Charakterisierung adulter Stammzellen am Beispiel des Nervensystems
Zur fetalen Entwicklung des Gehirns tragen multipotente Stammzellen bei (s. auch
Kap. 4.6.1.4), von denen sich Vorläuferzellen für die Nervenzellen sowie Vorläuferzellen für die Gliazellen, Astrozyten und Oligodendrozyten ableiten. Die Nervenzellen oder Neurone sind für das Entstehen und Weiterleiten von chemischen
und elektrischen Signalen verantwortlich. Die Astrozyten unterstützen die Neurone
mechanisch und metabolisch, sie machen 70-80 % der gesamten Zellmasse des erwachsenen Gehirns aus. Die Oligodendrozyten bilden das Myelin, das die Fortsätze
der Nervenzellen elektrisch isoliert und für eine effiziente Reizleitung verantwortlich ist. Lange Zeit galt die Auffassung, dass nach einem bestimmten Alter keine
Regeneration des Gehirns durch Zellteilung mehr stattfindet. Vor diesem Hintergrund war es eine wichtige Erkenntnis, dass Stammzellen sogar im Gehirn von erwachsenen Säugetieren vorkommen. Diese Auffassung hat sich erst in den letzten
fünf Jahren durchgesetzt (Steindler et al. 2002).
Mittlerweile kennt man im zentralen Nervensystem der Nagetiere und des Menschen zwei Regionen, den Gyrus dentatus des Hippocampus20 und die subventri20 Der Hippocampus ist evolutionär einer der ältesten Teile des Großhirns. Ihm wird eine Funktion
bei der Gedächtnisbildung zugeschrieben.
60
kuläre/ventrikuläre Zonen (die letzteren befinden sich entlang der flüssigkeitsgefüllten Hohlräume im Hirn), in denen Stammzellen vorkommen, die sich kontinuierlich und mit hoher Rate erneuern (Gage 2000). Ob es auch andere Regionen im
Zentralnervensystem gibt, in denen Zellen mit niedrigeren Proliferationsraten vorkommen, bleibt zu klären. Die Stammzellen aus den bekannten Regionen können
isoliert werden. Es ist nun erstmals gelungen neuronale Stammzellen aus der periventrikulären Zone des Gehirn der adulten Maus nicht nur zu isolieren, sondern
auch von einer Ausgangszelldichte von 0,3 % im Gewebe auf 80 % in Kultur anzureichern (Rietze et al. 2001).
Nicht nur für die Maus, auch für den Menschen konnte gezeigt werden, dass im
menschlichen Hippocampus lebenslang Zellteilung stattfindet, die zur Bildung von
Nervenzellen und Astrozyten beiträgt (Eriksson et al. 1998). In einer Fortsetzung
dieser Arbeit ist es gelungen neuronale Vorläufer aus Biopsien von menschlichem
Hippocampus zu isolieren und zu kultivieren (Roy et al. 2000). Auch Post mortem
konnten aus dem menschlichen Hirn neuronale Vorläuferzellen gewonnen und kultiviert werden (Palmer et al. 2001). Dann kann in vitro in Gegenwart bestimmter
Wachstumsfaktoren ihre Differenzierung in die drei oben beschriebenen Zelltypen
untersucht werden (Weissman et al. 2001).
Die Bedeutung der Stammzellen für die normale Hirnfunktion ist noch nicht geklärt. Eine Möglichkeit besteht darin, dass eine limitierte Fähigkeit zur Selbsterneuerung wichtig für normale Funktionen wie Lernen und Gedächtnisbildung ist (Gage
2000).
4.6.2
Eigenschaften von adulten Stammzellen
4.6.2.1
Teilungsfähigkeit
Adulte Stammzellen zeichnen sich durch eine langfristige Fähigkeit zur Selbsterneuerung aus und durch die Fähigkeit, differenzierte Tochterzellen zu bilden, die
innerhalb eines Organs spezifische Funktionen übernehmen. Die Gesamtheit aller
miteinander abgestimmten Zellfunktionen bilden wiederum die Grundlage für die
Organfunktion.
Die adulten Stammzellen sind lebenslang für die Homöostase, d. h. für die Aufrechterhaltung der Funktion und je nach Organ auch für die Regeneration nach
Krankheit und Verletzung verantwortlich. Ihre in vivo beobachtbare Teilungsfähigkeit variiert entsprechend der Anforderung der einzelnen Organe. Zum Beispiel
erneuert sich die menschliche Epidermis, die äußere Hautschicht, alle zwei Wochen, was eine enorme Selbsterneuerung der epidermalen Stammzellen erfordert.
61
Dementsprechend unterschiedlich ist auch die in vitro-Vermehrbarkeit von angereicherten adulten Stammzellen. Während die Vermehrungsfähigkeit von hämatopoetischen Stammzellen in vitro sehr gering ist, weisen mesenchymale Stammzellen
aus dem Knochenmark ein erhebliches Vermehrungspotenzial auf, und auch
Stammzellen aus Nabelschnurblut und der Haut lassen sich deutlich besser vermehren als hämatopoetische Stammzellen (Enquete-Kommission Recht und Ethik der
modernen Medizin 2001, S. 13).
Für einen therapeutischen Einsatz ist eine ausreichende Vermehrungsfähigkeit der
Stammzellen in der Zellkultur erforderlich, um genügend Zellmaterial für die Therapie gewinnen zu können. Es wird damit gerechnet, dass es sich als schwierig erweisen wird, die in vivo vorgefundene Teilungshäufigkeit in vitro signifikant zu
verändern, da im Körper eine Reihe von Kontrollmechanismen vorgesehen sind, um
eine maligne Entartung dieser adulten Stammzellen zu verhindern. Auf der anderen
Seite verringert diese Eigenschaft der Zellen auch die Gefahr der Tumorbildung bei
ihrer therapeutischen Verwendung (Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin 2001, S. 13). Vor diesem Hintergrund kommt der postulierten Fähigkeit adulter Stammzellen zur Transdifferenzierung (s. Kap. 4.6.2.4) große Bedeutung zu, da sie es ermöglichen könnte, Zellmaterial für Transplantationen aus
natürlicherweise gut vermehrbaren adulten Stammzellen zu gewinnen.
4.6.2.2
Untersuchungsmethoden zur Charakterisierung des Differenzierungsverhaltens von adulten Stammzellen
Die Charakterisierung des Differenzierungsverhaltens von adulten Stammzellen ist
schwierig und technisch anspruchsvoll: hierzu müssen diese Stammzellen zunächst
eindeutig identifiziert werden. Anschließend muss nachgewiesen werden, zu welchen Zelltypen sie sich weiterentwickeln. Der "Goldstandard" ist, dies an Zellpopulationen zu untersuchen, die sich auf eine einzelne Ausgangszelle zurückführen
lassen (so genannte klonale Analyse). So wurde beispielsweise für Blutstammzellen
nachgewiesen, dass eine einzelne Blutstammzelle, transplantiert in Mäuse, deren
Blut bildendes System durch Bestrahlung zerstört worden war, sich sowohl selbst
erneuern als auch eine stabile Population verschiedener Blutzelltypen aufbauen
kann (Lemischka 2002). Wird hingegen von einem Gemisch verschiedener Zelltypen ausgegangen, lässt sich das resultierende Differenzierungsergebnis nicht eineindeutig einer bestimmten Ausgangszelle zuordnen und sich somit auch ihr Differenzierungspotenzial nicht eineindeutig bestimmen. Diesem Aspekt kommt insbesondere bei der Interpretation von Experimenten zur Plastizität und Transdifferenzierung von adulten Stammzellen große Bedeutung zu (s. Kap. 4.6.2.4).
Eindeutig interpretierbare Experimente zum Differenzierungspotenzial adulter
Stammzellen sind jedoch sehr schwierig zu konzipieren und durchzuführen, da
62
•
adulte Stammzellen nur in geringer Anzahl in den Geweben vorkommen,
•
möglicherweise verschiedene Typen von adulten Stammzellen vorliegen, die
beim derzeitigen Kenntnisstand (noch) nicht voneinander unterschieden werden
können (Heterogenität der Population), und
•
spezifische molekulare Marker für ihre Identifizierung, Anreicherung, Isolierung
und Charakterisierung noch nicht in ausreichendem Maße bekannt sind (Fuchs et
al. 2000; Blau et al. 2001).
Um das Differenzierungsverhalten von adulten Stammzellen in vivo zu untersuchen, ist es erforderlich, diese Zellen genetisch zu markieren, um sie zum einen von
den sie umgebenden Zellen unterscheiden zu können und um zum anderen auch die
von diesen Stammzellen abgeleiteten Tochterzellen anhand dieser genetischen Marker identifizieren zu können. Eine Möglichkeit besteht darin, Stammzellen aus
weiblichen Säugern in männliche Säuger einzubringen (oder umgekehrt) und die
Unterscheidung anhand der Geschlechtschromosomen vorzunehmen. Eine andere
Möglichkeit ist, Antibiotikaresistenzgene bzw. ein Gen, was ein grün fluoreszierendes Protein kodiert bzw. ein Retrovirus als Marker in das Genom der zu untersuchenden Stammzellen einzubringen. Ein solcher Ansatz der Markierung von
Stammzellen wurde beispielsweise im Nervensystem mit Erfolg durchgeführt und
erlaubt trotz der Komplexität des Gewebes die Abstammung von Zellen zu untersuchen (Cepko et al. 2000).
Alternativ kann man die zu charakterisierenden Zellen prospektiv isolieren und in
der Kultur, in vitro, unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel in der Gegenwart
eines Wachstumsfaktors, ihre Fähigkeit zur Differenzierung untersuchen. In Kapitel 4.6.2.4 wird ausführlich auf die Anforderungen an Untersuchungen zum Differenzierungsverhalten von adulten Stammzellen eingegangen. Dort werden auch die
Grenzen der Aussagekraft der bisher angewendeten experimentellen Ansätze diskutiert.
4.6.2.3
Gewebespezifische Differenzierungsfähigkeit, Uni- und Multipotenz
Lange Zeit schrieb man nur embryonalen Stammzellen eine Pluripotenz zu, wohingegen adulte Stammzellen in ihrem Differenzierungs- und Regenerationspotenzial
auf das desjenigen Gewebes beschränkt zu sein schienen, in denen sie vorlagen. Sie
wurden als unipotent, höchstens multipotent eingeschätzt. Sie hätten also die Fähigkeit, andere Zelltypen als die desjenigen Gewebes, in dem sich diese adulten
Stammzellen befinden, irreversibel verloren (Anderson et al. 2001). Dieser "klassischen" Auffassung zufolge erfolgt die Differenzierung einer adulten Stammzelle
entlang eines wohldefinierten Pfades, der linear und irreversibel verläuft und
schließlich in einem vollständig differenzierten Zelltyp resultiert.
63
Die differenzierten Zellen leiten sich meist nicht direkt, sondern in einem mehrstufigen Differenzierungsprozess von den adulten Stammzellen ab. Zunächst teilt sich
eine Stammzelle in eine oder mehrere so genannte Vorläuferzellen, die bereits einem bestimmten Differenzierungsweg verpflichtet sind, aber noch nicht alle Eigenschaften der vollständig differenzierten Zellen besitzen, die sich von ihnen ableiten.
Somit würden adulte Stammzellen und daraus hervorgehende Vorläuferzellen den
einmal eingeschlagenen Differenzierungsweg nicht mehr verlassen. Diese Differenzierung ist am besten für hämatopoetische Stammzellen des Knochenmarks untersucht, die alle Zellen des Blutes hervorzubringen vermögen.
4.6.2.4
Plastizität, Transdifferenzierung
Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen muss die in Kapitel 4.6.2.3 dargelegte traditionelle Auffassung einer adulten Stammzelle, die "fest in ihrem Gewebe
verankert ist" und sich ausschließlich entlang eines festgelegten Pfades irreversibel
differenziert, jedoch erweitert werden.
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass adulte Stammzellen unter experimentellen Bedingungen, auf die eine adulte Stammzelle in ihrem natürlichen Kontext normalerweise nicht treffen würde (z. B. Gewebeschädigung, Kerntransplantation oder Zellfusion), durchaus einen anderen Entwicklungspfad als den in Kapitel 4.6.2.3 skizzierten einschlagen kann. Aus diesen Experimenten lässt sich ableiten, dass der differenzierte Status in adulten Säugerzellen im Allgemeinen nicht durch ein zelleigenes Programm festgelegt und irreversibel ist. Vielmehr wird es durch Signale aus
der Umgebung bestimmt, z. B. durch das Verhältnis von Regulatoren, die in der
Zelle vorliegen. Somit wird der Differenzierungsstatus durch einen dynamischen
aktiven Prozess bestimmt, der ständiger Regulation bedarf (Blau et al. 2001; Clarke
et al. 2001).
Darauf aufbauend mehrten sich Mitte der 1990er-Jahre die experimentellen Hinweise darauf, dass adulte Stammzellen außerdem zu einer Transdifferenzierung
befähigt sein könnten. Darunter versteht man, dass adulte Stammzellen, die einem
bestimmten Organ oder Gewebe entstammen, unter bestimmten Bedingungen dazu
befähigt sind, Zelltypen hervorzubringen, die spezifisch für ein anderes Organ oder
Gewebe sind, das sich entwicklungsbiologisch sogar von einem anderen embryonalen Keimblatt ableiten kann. Weil dies ein bisher geltendes Dogma der Entwicklungs- und Zellbiologie in Frage stellt, wurden zahlreiche Forschungsarbeiten
in sehr renommierten Fachzeitschriften publiziert, in denen bei adulten Stammzellen der Maus bzw. des Menschen folgende Transdifferenzierungen beobachtet wurden (Clarke et al. 2001; Morrison 2001b; Lewis 2002):
•
Differenzierung von Knochenmarkszellen bzw. von hämatopoetischen Stammzellen aus Blut zu Herzmuskelzellen (Orlic et al. 2001), Skelettmuskelzellen
(Ferrari et al. 1998; Gussoni et al. 1999), Leberzellen (Krause et al. 2001; La-
64
gasse et al. 2000; Petersen et al. 1999), zu Haut- und Leberzellen (Körbling et al.
2002), zu Zelltypen aller drei Keimblätter in vivo und in vitro (Jiang et al. 2002).
•
Differenzierung von Muskelvorläuferzellen zu Blutzellen (Jackson et al. 1999)21.
•
Differenzierung von neuronalen Stammzellen zu Blutstammzellen22 (Bjornson et
al. 1999; Shih et al. 2001) und Skelettmuskelzellen (Galli et al. 2000) sowie Beteiligung an der Bildung vielfältiger Zelltypen nach Injektion in Embryonen
(Clarke et al. 2000).
Somit zeigten adulte Stammzellen in diesen Forschungsarbeiten, denen unterschiedliche experimentelle Ansätze zu Grunde liegen, in vitro oder in vivo eine unerwartet breite Differenzierungsfähigkeit. Sollten sich diese Beobachtungen als
tragfähig erweisen, wären diese Forschungsergebnisse sowohl von erheblicher
grundlegender als auch praktischer und politischer Relevanz:
•
Zum einen müsste die bisherige, klassische Auffassung einer adulten Stammzelle
mit einem nur gewebespezifischen Differenzierungspotenzial erweitert werden,
so dass ein bisher geltendes Dogma in der Zell- und Entwicklungsbiologie revidiert werden müsste (Holden et al. 2002; Lemischka 2002).
•
Zum anderen könnten unter bestimmten Bedingungen "alle (Zelltypen) aus allen
(adulten Stammzellen) ableitbar" sein (Morrison 2001b), was für klinische Anwendungen von adulten Stammzellen von großer Relevanz wäre: zum einen
könnten bestimmte Stammzelltypen, die in vitro schwierig zu vermehren sind,
durch andere Stammzelltypen ersetzt werden, die leichter zu vermehren sind
(s. Kap. 4.6.2.1). Umgekehrt könnten anstelle von Stammzellen, die in ausreichenden Mengen sehr schwierig zu isolieren sind ohne den Spender zu schädigen
(z. B. Stammzellen des zentralen Nervensystems), leichter zugängliche Stammzelltypen (z. B. Blutstammzellen) verwendet werden (Anderson et al. 2001).
Diese Ergebnisse lassen darauf hoffen, dass es möglich werden könnte, leicht
gewinnbare und expandierbare adulte Stammzellen zu jedem beliebigen Gewebe
differenzieren zu können.
•
Und schließlich sind diese Ergebnisse in der zurzeit geführten politischen
Stammzelldebatte von erheblicher Relevanz, da das Argument, Forschung an
menschlichen embryonalen Stammzellen sei entbehrlich, weil adulte Stammzellen ein für klinische Anwendungen gleichwertiges breites Differenzierungspotenzial aufwiesen, sich wesentlich auf die oben genannten Forschungsergebnisse
stützt (McCarthy 2002; Holden et al. 2002).
21 Siehe hierzu jedoch einschränkend McKinney-Freeman et al. (2002).
22 Siehe hierzu jedoch einschränkend Morshead et al. (2002) sowie die nachfolgende Korrespondenz der Autoren in Nature Medicine 8 (6), 535-537 (Juni 2002).
65
Parallel zu den oben genannten, viel beachteten Publikationen wurden aber auch
skeptische Stimmen laut, die an die methodischen Schwierigkeiten bei der Untersuchung des Differenzierungspotenzials von adulten Stammzellen erinnerten
(s. Kap. 6.4.2.2), die darauf hinwiesen, dass es für die Beobachtungen möglicherweise auch andere Erklärungen geben könnte als eine (revolutionäre!) Transdifferenzierung der adulten Stammzellen und die anmahnten, bei der Interpretation experimenteller Befunde der oben skizzierten Tragweite besondere Sorgfalt in Bezug auf
das experimentelle Design und die erforderlichen Kontrollversuche walten zu lassen
(s. z. B. Anderson et al. 2001; Lemischka 2002; Morrison 2001b; Holden et al.
2002). Diese skeptischen Stimmen erhielten in jüngster Zeit Unterstützung durch
zwei unabhängig voneinander durchgeführte Untersuchungen, in denen sich eine
zunächst beobachtete Transdifferenzierung von Stammzellen des zentralen Nervensystems bzw. Stammzellen des Knochenmarks nach detaillierter genetischer Untersuchung der abgeleiteten Zellen als Zellfusion, jedoch nicht als Transdifferenzierung erwies (Ying et al. 2002; Terada et al. 2002). Diese Studien stellen das postulierte Potenzial adulter Stammzellen zur Transdifferenzierung zwar nicht grundsätzlich in Frage, lassen es aber erforderlich erscheinen, zumindest in denjenigen
Forschungsansätzen, in denen die adulten Stammzellen zusammen mit anderen
Zelltypen kultiviert wurden, nachträglich die Möglichkeit einer Zellfusion durch
sorgfältige genetische Analyse der resultierenden Zelltypen auszuschließen
(Wurmser et al. 2002; Vogel 2002b; DeWitt et al. 2002; Frankish 2002; McKay
2002; Holden et al. 2002).
Insgesamt wurden mehrere experimentelle Befunde publiziert, die für einige
scheinbar erfolgte Transdifferenzierungen alternative Erklärungen geben. Hierzu
zählen (Holden et al. 2002; Lewis 2002; Lemischka 2002):
•
Fusion der adulten Stammzellen mit anderen Zelltypen, was dazu führt, dass die
Fusionsprodukte phänotypische Merkmale dieser anderen Zelltypen aufweisen,
ohne eine tatsächliche Transdifferenzierung vollzogen zu haben (Ying et al.
2002; Terada et al. 2002).
•
Mutationen der adulten Stammzellen während ihrer Kultivierung in Zellkultur,
die bewirken, dass eine Transdifferenzierung beobachtet wird, wobei diese
Transdifferenzierung wegen der Zufälligkeit des Auftretens der Mutation nicht
reproduzierbar ist (Morshead et al. 2002).
•
Aufnahme von DNA durch Stammzellen, die in fremdes Gewebe injiziert wurden und dadurch Marker dieses Gewebes exprimieren, ohne tatsächlich eine
Transdifferenzierung durchlaufen zu haben.
•
Differenzierung von bereits im Gewebe vorhandenen Stammzellen, anstatt
Transdifferenzierung von injizierten Stammzellen (McKinney-Freeman et al.
2002).
•
Es kann häufig nicht ausgeschlossen werden, dass die beobachteten differenzierten Zelltypen nicht auf eine einzige pluripotente Zelle zurückzuführen sind,
66
sondern auf mehrere determinierte Vorläuferzellen (Pera 2001; Anderson et al.
2001).
Der Wert dieser Publikationen liegt vor allem darin, deutlich zu machen, dass es
zwar experimentelle Hinweise gibt, die das neue Konzept der Transdifferenzierung
von adulten Stammzellen plausibel erscheinen lassen, dass aber die einer augenscheinlichen Transdifferenzierung zu Grunde liegenden Mechanismen sehr sorgfältig abgeklärt werden müssen, ehe diese als erwiesen angesehen werden kann. Definitiv reicht es nicht aus, sich nur auf die Expression bestimmter Marker zu stützen,
die eine Transdifferenzierung anzeigen sollen. Anforderungen an einen tragfähigen
Nachweis einer tatsächlichen Transdifferenzierung sind beispielsweise von
Anderson et al. (2001) und Weissman et al. (2001) formuliert worden:
•
Ist die beobachtete Transdifferenzierung umfassend? Es reicht nicht aus, die abgeleiteten Zellen anhand ihrer Morphologie oder durch gewebespezifische Antikörper bzw. Zellmarker zu identifizieren, da dies die Möglichkeit offen lässt,
dass die abgeleiteten Zellen lediglich morphologisch und durch die Expression
einiger Markergene transdifferenzierten Zellen ähneln, ohne eine tatsächliche
Transdifferenzierung vollzogen zu haben. Es ist zu fordern, dass die abgeleiteten
Zellen eine robuste und dauerhafte Regeneration des Zielgewebes bewirken und
funktionell aktiv sind, also nicht lediglich "Donor-Einsprengsel" in verschiedenen Rezipientengeweben sind.
•
War die verwendete adulte Stammzellpopulation wirklich rein oder können in
der Zellpopulation Vorläuferzellen enthalten gewesen sein, die nicht identifiziert
wurden und von der sich die Tochterzellen mit anderen Eigenschaften abgeleitet
haben? Diese Forderung weist auf die große Bedeutung hin, die der Analyse von
Zellklonen bei der Charakterisierung der Differenzierungsfähigkeit adulter
Stammzellen zukommt.
•
Ist die beobachtete Transdifferenzierung möglicherweise ein Artefakt in dem
Sinne, dass diese Eigenschaft erst während einer in vitro-Kultivierung der
Stammzellen erworben wurde, oder gibt es auch Hinweise darauf, dass sie auch
ohne den künstlichen Zwischenschritt der Kultivierung bei denselben Zellen im
Organismus erfolgt? Im letzten Fall wäre die Transdifferenzierung ein natürliches, physiologisches Phänomen. Diese Frage ist primär für die Erlangung
grundlegender Erkenntnisse in der Zell- und Entwicklungsbiologie von Belang.
Im Hinblick auf eine mögliche therapeutische Nutzung ist die Frage, ob ein natürlicherweise oder aber ein nur unter artifiziellen Laborbedingungen auftretendes Phänomen therapeutisch genutzt wird, zweitrangig (Holden et al. 2002). Es
müsste allerdings überprüft werden, ob die Veränderungen, die den Erwerb der
Fähigkeit zur Transdifferenzierung in vitro bewirkt haben, möglicherweise auch
therapierelevante Eigenschaften der Zellen verändert haben (Anderson et al.
2001).
67
•
Wie häufig ist das Ereignis der Transdifferenzierung? Alle bisherigen Daten
deuten darauf hin, dass die Transdifferenzierung ein seltenes Ereignis ist. Die geringe Häufigkeit kann verschiedene Ursachen haben, die für die Aufklärung des
Phänomens der Transdifferenzierung von großer Bedeutung sind. Es besteht die
Möglichkeit, dass das Phänomen der Transdifferenzierung eine Eigenschaft der
gesamten Stammzellpopulation oder nur einer kleinen Subpopulation ist, bzw.
dass sich in allen Organen eine kleine, bislang nicht identifizierte Population von
multipotenten Stammzellen befindet, die je nach extrazellulärem Signal verschiedene Differenzierungswege einschlagen können. In der Diskussion für eine
solche zirkulierende, multipotente, vielleicht sogar pluripotente Stammzellpopulation sind Subpopulationen der Blut bildenden Stammzellen (Blau et al. 2001).
Eine Subpopulation der mesenchymalen Stammzellen, die hierfür in Frage käme,
könnten die jüngst eingehend charakterisierten multipotenten adulten Vorläuferzellen (MAPCs) darstellen (Jiang et al. 2002).
Deshalb ist die vollständige Beweisführung zur Transdifferenzierung einer Stammzelle erst dann gegeben, wenn man sie als Zellklon aus ihrem Ursprungsorgan gereinigt, ihr Differenzierungspotenzial in vitro nachgewiesen hat (und dabei beispielsweise die Möglichkeit der Zellfusion ausgeschlossen hat) und in der Folge
zeigen kann, dass sie nach Transplantation in ein ihr fremdes Organ differenzierte
Tochterzellen bildet, die dem fremden Organ entsprechen und in ihm funktionell
sind. Viele der vorliegenden Arbeiten zur Transdifferenzierung kommen diesen
Ansprüchen zwar nahe, genügen ihnen jedoch nicht vollständig (Morrison 2001a;
Weissman et al. 2001). Im Folgenden werden einige wichtige Arbeiten zum Phänomen der Transdifferenzierung im Mausmodell und beim Menschen angeführt und
diskutiert, inwieweit sie den oben angeführten, strikten Kriterien entsprechen.
Transdifferenzierung wurde in Mäusen beobachtet, die gentechnisch so verändert
waren, dass sie an einer Stoffwechselkrankheit leiden, die eine Leberdegeneration
zur Folge hat. Diese monogenetisch verursachte Krankheit kommt auch beim Menschen vor. Die Tiere wurden mit gereinigten Blutstammzellen von gesunden Spendertieren behandelt. Die transplantieren Zellen trugen einerseits zum Blutbild der
Empfängertiere bei und andererseits transdifferenzierten sie zu Leberzellen, die auf
Grund ihrer korrekten genetischen Ausstattung den Leberstoffwechsel normalisierten, was wiederum zu einer Gesundung der behandelten Tiere führte (Lagasse et al.
2000). Da Blutstammzellen entwicklungsbiologisch vom Mesoderm abstammen,
während sich das Leberepithel vom Entoderm ableitet (vgl. Tab. 3.1), vermochten
sich die transplantierten Blutstammzellen also zu Zelltypen zu entwickeln, die entwicklungsbiologisch ihren Ursprung in einem anderen Keimblatt haben. Bemerkenswerterweise hat auch die Postmortem-Untersuchung von mit Knochenmarkstransplantaten behandelten Patienten ergeben, dass transplantierte Blutstammzellen
zu Leberzellen differenzierten und in großer Anzahl zur Regeneration der Leber
beigetragen hatten (Theise et al. 2000). Stärken der Untersuchung von Lagasse et al.
(2000) liegen in der intensiven Charakterisierung der verwendeten Stammzellpo-
68
pulation sowie in dem Nachweis, dass die aus diesen Stammzellen abgeleiteten Leberzellen tatsächlich funktional waren. Schwächen liegen darin, dass Zellgruppen
statt einzelner Zellen in die Mäuse injiziert wurden, so dass kein Nachweis erbracht
wurde, dass tatsächlich ein und derselbe Stammzellklon sowohl Leber- als auch
Blutzellen hervorzubringen vermag. Auch die Möglichkeit der Zellfusion kann
nicht vollständig ausgeschlossen werden (Holden et al. 2002).
Eine wichtige Studie in der Maus hat gezeigt, dass durch eine Abfolge von Transplantationsschritten die Differenzierung einer einzelnen Blutstammzelle zu Epithelzellen der Leber, der Lunge, des Verdauungstrakts und der Haut im Tier nachgewiesen werden kann (Krause et al. 2001). In dieser Studie wurde die Anforderung
erfüllt, dass eine einzelne Stammzelle mehrere verschiedene Zelltypen hervorbringen kann, und diese Zellen waren nicht durch in vitro-Kultivierung verändert worden. Die Möglichkeit, dass Zellfusionen stattgefunden haben könnten, wird zurzeit
überprüft. Es steht jedoch noch der Nachweis aus, dass die Abkömmlinge dieser
einzelnen Stammzellen signifikant zur Bildung der oben genannten Organe beitragen und dort auch funktionell aktiv sind (Holden et al. 2002).
In einer der ersten Publikationen zum Phänomen der Transdifferenzierung konnte
gezeigt werden, dass neuronale Stammzellen zur Bildung von Blutstammzellen in
Mäusen beitragen konnten, deren eigenes Blut bildendes System durch Bestrahlung
zerstört worden war (Bjornson et al. 1999). Neueren Untersuchungen zufolge ist die
Fähigkeit von neuralen Stammzellen der Maus zur Blutbildung beizutragen wohl
nur eine sehr selten auftretende Eigenschaft, die nur beobachtet werden kann, wenn
genetische und epigenetische Veränderungen vorliegen, die während der in vitroKultivierung erworben wurden (Morshead et al. 2002).
Von einzelnen Zellen abgeleitete Aggregate von neuronalen Vorläuferzellen aus
dem Hirn erwachsener Mäuse, so genannte "Neurosphären" wurden in Blastocysten
injiziert. Diese Zellen waren in der Lage sich in den entwickelnden Embryo zu integrieren und zur Bildung aller Keimblätter beizutragen (Clarke et al. 2000). Dies
legt eine Pluripotenz dieser adulten Stammzellen nahe. Dass eine Fusion von Zellen
dieses Ergebnis wesentlich beeinflusst haben könnte, wird zurzeit untersucht, aber
für unwahrscheinlich gehalten. Da die sich entwickelnden Embryonen jedoch in
einem frühen Entwicklungsstadium für weitere Untersuchungen getötet wurden,
kann keine definitive Aussage darüber getroffen werden, ob die von den Neurosphären abgeleiteten differenzierten Zellen tatsächlich funktional waren. Entsprechende Untersuchungen laufen gerade (Holden et al. 2002).
Eine als "sehr interessant und vielsprechend" (McCarthy 2002) eingestufte Untersuchung wurde vom Team um Catherine Verfaillie publiziert. Aus dem Knochenmark
von Mäusen, Ratten und Menschen wurde eine Stammzellpopulation, die so genannten multipotenten adulten Vorläuferzellen (engl. "multipotent adult progenitor
cells, MAPCs) isoliert und in einer Vielzahl von in vitro- und in vivo-Testsystemen
69
eingehend charakterisiert. In vitro zeigten diese Zellen sehr gute Vermehrbarkeit,
ohne zu differenzieren oder zu altern. Außerdem konnten diese Zellen in vitro zu
Zellen aller drei Keimblätter differenziert werden. Wurden diese Stammzellen in
Versuchstiere übertragen, siedelten sie sich in einer Vielzahl von Geweben an und
differenzierten sich entsprechend des sie umgebenden Gewebes aus. Nach Einbringung dieser Stammzellen in Blastocysten und deren Austragung in Ammenmüttern
zeigte es sich, das die resultierenden chimären Nachkommen MAPC-abgeleitete
Zellen in den meisten Geweben und Organen, einschließlich Gehirn, Lunge, Leber,
Darm, Niere und Herz aufwiesen. Ob sich die MAPCs auch an der Keimbahn
beteiligen, ist noch nicht geklärt (Jiang et al. 2002). Während diese Untersuchung
den oben genannten Kriterien bereits weitgehend entspricht, ist noch nachzuweisen,
ob die von den MAPCs abgeleiteten Zellen in vivo tatsächlich lebenserhaltende
Funktionen ausüben. Außerdem ist noch offen, ob MAPCs als echte multipotente
Stammzellen in vivo vorkommen, oder ob sie diese Eigenschaft erst in der in vitroKultur erlangen (Holden et al. 2002). Sollten sich diese Experimente reproduzieren
lassen, könnten diese MAPCs auf Grund ihrer Eigenschaften eine Zellquelle darstellen, die als Ausgangsmaterial für verschiedenste Zelltherapien sehr geeignet
erscheint (Jiang et al. 2002).
4.6.2.5
Sich wandelnde Auffassung von adulten Stammzellen: zelluläre
Einheit oder Funktion
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in den letzten Jahren die Auffassung dessen wandelt, was eine adulte Stammzelle ist. Die "klassische" Auffassung,
nach der eine adulte Stammzelle eine bestimmte, beschreibbare Zelle ist, die sich
innerhalb ihrer Gewebespezifität entlang eines wohldefinierten, irreversiblen Pfades
auszudifferenzieren vermag, dürfte nur einen kleinen Ausschnitt der Eigenschaften
von adulten Stammzellen beschreiben. Ein neueres, teilweise noch hypothetisches
Konzept von adulten Stammzellen umfasst folgende zusätzliche Elemente: Demnach sind zumindest einige Stammzellen in adulten Geweben in hohem Maße plastisch und in einer entsprechenden Mikroumgebung äußerst wandlungsfähig (Clarke
et al. 2001). Adulte Stammzellen können nicht nur in denjenigen Geweben, in denen sie anzutreffen sind, lokal begrenzt aktiv werden, sondern können auch aus dem
Blutstrom rekrutiert werden und sich an der Regeneration verschiedener Gewebe an
entfernten Orten beteiligen. Im Extrem können sogar hoch spezialisierte Zelltypen
in Geweben dazu in der Lage sein, ihren differenzierten Status zu verlieren und zum
Stammzellpool beizutragen. Diese Erkenntnisse legen es nahe, eine adulte Stammzelle demnach nicht ausschließlich als eine bestimmte, eng umschriebene zelluläre
Einheit zu verstehen. Vielmehr bezieht sich die zurzeit in der Entwicklung befindliche Auffassung einer adulten Stammzelle korrekterweise auf eine biologische
Funktion, die in verschiedenen Zellen, sogar differenzierten Zellen induziert werden
kann. Dies impliziert auch, dass die Entwicklung einer gegebenen Zelle nicht immer, wie bisher angenommen, linear verläuft, sondern dass es vielfältige Quellen
70
für Stammzellen gibt und vielfältige Wege, durch die ein Organismus spezifische
Typen reifer differenzierter Zellen generieren kann (Blau et al. 2001).
Aus dieser sich wandelnden Auffassung über adulte Stammzellen ergeben sich folgende Forschungsfragen, die zurzeit untersucht werden (Blau et al. 2001):
•
Was ist eine adulte Stammzelle? Kann sie als zelluläre Einheit beschrieben werden, oder ist sie vielmehr eine biologische Funktion, die in verschiedenen Zelltypen induziert werden kann?
•
Anhand welcher Marker lassen sich die Eigenschaften von adulten Stammzellen
vertieft analysieren? Zurzeit ist ein erheblicher Mangel an geeigneten Markern
zu verzeichnen, der eine differenzierte Untersuchung dieser Phänomene behindert.
•
Gibt es unterschiedliche Typen adulter Stammzellen, von denen einige Typen
gewebespezifisch sind, andere Typen zwischen verschiedenen Geweben durch
den Blutstrom wandern können, andere Typen möglicherweise sogar eine "universelle Stammzelle" darstellen? Sind diese Typen ineinander umwandelbar?
•
Sind Stammzellen in Geweben eine bestimmte Untermenge an Zellen, die auf
die Stammzellfunktion spezialisiert sind, oder können differenzierte Zellen in
Geweben auch die Funktion einer Stammzelle aufnehmen? Falls Stammzellen
eine abgrenzbare Population sind, impliziert dies, dass der Stammzellstatus aktiv
aufrecht erhalten wird? Falls dem so ist, wie wird verhindert, dass sich diese
Zellen differenzieren? Wenn sie differenziert sind, wie kann dieser spezialisierte
Status wieder umgekehrt werden?
•
Ist die Plastizität adulter Stammzellen eine physiologische Eigenschaft oder ein
"Artefakt" in dem Sinne, dass es erst in Zellkultur manifest wird? Welche physiologische Bedeutung kommt der Plastizität adulter Stammzellen zu?
•
Inwieweit lässt sich die Fähigkeit adulter Stammzellen zur Transdifferenzierung
klinisch-therapeutisch nutzen?
4.6.3
Bewertung der Eigenschaften adulter Stammzellen im Hinblick auf therapeutische Anwendungen
Prinzipiell bieten adulte Stammzellen das Potenzial, sowohl autologes (d. h. vom
Patienten selbst stammendes Gewebe) als auch allogenes (d. h. von passenden
Spendern stammendes) Gewebe für Zelltherapien bereitzustellen. Ein besonderer
Vorteil autologer Zellpräparate ist, dass sie, anders als allogene Zellpräparate, nach
Einbringen in den Körper des Patienten nicht der Abstoßung unterliegen. Dadurch
ist – im Vergleich zu allogenen Zelltransplantaten – die Wahrscheinlichkeit erhöht,
dass sich das autologe Zelltransplantat dauerhaft im Körper des Patienten ansiedelt.
Zudem ist keine langfristige medikamentöse Immunsuppression des Patienten er-
71
forderlich, so dass auch die mit einer Immunsuppression verbundenen erheblichen
Nebenwirkungen (erhöhte Infektionsgefährdung, erhöhtes Krebsrisiko) nicht in
Kauf genommen werden müssten. Allerdings könnten bei Patienten möglicherweise
nicht mehr genug bzw. ausreichend aktive adulte Stammzellen für eine therapeutische Anwendung gewinnbar sein, z. B. auf Grund des fortgeschrittenen Alters der
Patienten, wegen des akuten Auftretens der Krankheit, das eine sofortige Behandlung erfordert oder wegen der Schädigung der Stammzellen tragenden Gewebe
durch die Krankheit. Sofern die Krankheit auf einem genetischen Defekt beruht, der
auch in den Stammzellen vorliegt, dürfte die Anwendbarkeit autologer Stammzellen
ebenfalls nicht gegeben sein. In diesen Fällen müsste auf allogene Stammzellen
zurückgegriffen werden. Hierfür müssten jedoch Spender gefunden werden, deren
Gewebe mit denen der jeweiligen Patienten ausreichend kompatibel ist. Generell
stellen die Seltenheit von adulten Stammzellen und die Schwierigkeit sie in ausreichenden Mengen zu isolieren bzw. in vitro zu vermehren, ein Hindernis für ihre
therapeutische Anwendung dar.
Derjenige Bereich der Forschung an adulten Stammzellen, der sich mit Differenzierungsprozessen innerhalb der Gewebespezifität der Stammzellen befasst, hat bereits
heute im Bereich der Knorpel-, Haut-, Knochen- sowie Knochenmarks- bzw. BlutStammzelltransplantation erhebliche klinische Bedeutung erlangt. Die weitere Erforschung der Differenzierungsprozesse adulter Stammzellen innerhalb ihrer Gewebespezifität lässt auf Erkenntnisse hoffen, die folgendes therapeutisches Potenzial
bergen:
•
Optimierung der bislang etablierten Zelltherapien auf Basis adulter Stammzellen,
Ausweitung der Indikationsgebiete, Ausweitung auf größere Patientenkreise.
Hierzu ist es erforderlich, Verfahren zur Gewinnung und Aufreinigung entsprechender Stammzellen zu etablieren bzw. zu optimieren, verbesserte Marker zur
Isolierung und Charakterisierung der relevanten Stammzellpopulationen zu entwickeln, Verfahren zur Expansion (Vermehrung) der gereinigten Stammzellen
zu verbessern, Verfahren zu gezielten Differenzierung der gereinigten Stammzellen zu etablieren, das für eine Transplantation in den Patienten optimale Differenzierungsstadium zu identifizieren sowie die Transplantationsverfahren zu optimieren. Hierdurch können auch Erkenntnisse erlangt werden, die für Zelltherapien, die andere Zelltypen als menschliche adulte Stammzellen verwenden, von
Nutzen sein könnten.
•
Bereitstellung von Zellmaterial für das Tissue Engineering.
•
Entwicklung von Verfahren und Wirkstoffen, die es ermöglichen, in vivo vorhandene adulte Stammzellen gezielt zur Vermehrung und Differenzierung anzuregen, um geschädigtes Gewebe zu regenerieren. Dieser Ansatz erscheint beispielsweise für die Behandlung von Herzinfarkten (Quaini et al. 2002) oder
Schädigungen des zentralen Nervensystems attraktiv (Steindler et al. 2002).
72
•
Nutzung von Erkenntnissen aus Differenzierungsprozessen von adulten Stammzellen, um fehlgeleitete Differenzierungsprozesse (z. B. Krebs) besser zu verstehen und dadurch neue Therapieoptionen zu erschließen. So werden beispielsweise Stammzellen der menschlichen Brustdrüse charakterisiert, um Ansatzpunkte für neue Brustkrebstherapien zu erlangen (Gudjonsson et al. 2002).
Jüngere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich – zumindest einige –
adulte Stammzelltypen über ihre Gewebespezifität hinaus zu differenzieren vermögen. Die Beweisführung ist jedoch noch lückenhaft. Sollte sich die bislang experimentell beobachtete Transdifferenzierung in weiteren stringenten Arbeiten bestätigen, ließe sich das therapeutische Potenzial adulter Stammzellen möglicherweise
über die oben angeführten Optionen hinaus erweitern. Insbesondere besteht die
Hoffung, inhärente Nachteile bestimmter Typen adulter Stammzellen auszugleichen, so z. B. die schwierige Vermehrbarkeit bestimmter adulter Stammzellen oder
die schlechte Gewinnbarkeit, ohne den Spender zu schädigen. Gelänge es, eine gezielte Transdifferenzierung der so gewonnenen adulten Stammzellen zu erreichen,
könnte allogenes oder sogar autologes Zellmaterial für vielfältige Therapien bereitgestellt werden.
Zurzeit ist offen, ob man leicht zugängliche und vermehrbare adulte Stammzellen in
alle diejenigen Zell- und Gewebetypen gezielt differenzieren könnte, die man für –
noch zu entwickelnde – Zelltherapien einsetzen möchte. Deshalb ist ebenfalls offen,
ob in Bezug auf die Vielzahl der prinzipiell herstellbaren Zell- und Gewebetypen
menschliche adulte Stammzellen mit menschlichen embryonalen Stammzellen als
gleichwertig einzuschätzen sind.
4.7
Zusammenfassung
Es gibt verschiedene Typen menschlicher Stammzellen, die sich nach ihrer Art der
Gewinnung, in ihren Eigenschaften und in dem Ausmaß der damit verbundenen
rechtlichen und ethischen Probleme unterscheiden. Eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte gibt Tabelle 4.3.
Bislang ist es nur bei wenigen Säugetierarten gelungen, embryonale StammzellLinien anzulegen. Die umfangreichsten Erfahrungen liegen mit embryonalen
Stammzellen der Maus vor; seit wenigen Jahren sind auch embryonale StammzellLinien von nicht-humanen Primaten und des Menschen bekannt. Bislang liegen nur
wenige Publikationen vor, in denen die menschlichen Stammzell-Linien eingehend
– auch vergleichend mit denen der Maus oder nicht-humaner Primaten – charakterisiert werden. Dies ist unter anderem dadurch mitbedingt, dass weltweit bislang nur
wenige Forschergruppen Zugang zu diesen menschlichen embryonalen StammzellLinien haben.
73
Menschliche embryonale Stammzellen (ES- und EG-Zellen) zeichnen sich dadurch
aus, dass sie sich dauerhaft im undifferenzierten Zustand in Zellkultur vermehren
lassen und zudem dazu befähigt sind, unter geeigneten Bedingungen zu allen Zellund Gewebetypen, aus denen der menschliche Organismus aufgebaut ist, zu differenzieren. Diese Eigenschaft wird als Pluripotenz bezeichnet. Zur Klärung der
Frage, ob menschliche embryonale Stammzellen möglicherweise auch zur Ganzheitsbildung, d. h. zur Bildung eines Individuums befähigt sein könnten und damit
als totipotent einzustufen wären, liegen plausible, jedoch nur indirekte Hinweise aus
Untersuchungen an anderen Säugetierarten vor, die nahe legen, dass keine Totipotenz vorliegt. Die bisherigen Untersuchungen an tierlichen Embryonen sprechen
dafür, dass während der normalen Entwicklung des Menschen die Totipotenz auf
die befruchtete Eizelle nach Kernverschmelzung und die aus den ersten Teilungsstadien hervorgegangenen Tochterzellen (wahrscheinlich bis zum Achtzellstadium)
begrenzt ist. Weil ES- und EG-Zellen einem späteren Entwicklungsstadium entnommen werden, ist es unwahrscheinlich, dass sich in eine Gebärmutter transferierte ES- oder EG-Zellen zu einem Individuum weiterentwickeln können. Auch
ES- und EG-Zellen der Maus sind hierzu nicht befähigt. Die experimentelle Erlangung direkter Hinweise auf das Vorliegen oder Fehlen von Totipotenz bei menschlichen embryonalen Stammzellen verbietet sich aus ethischen Gründen.
Für die Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen können verschiedene Methoden eingesetzt werden. Bislang konnten menschliche embryonale
Stammzellen durch zwei Methoden gewonnen werden:
(1)
Mindestens 78 Zell-Linien menschlicher embryonaler Stammzellen (ES-Zellen) wurden aus der inneren Zellmasse von Blastocysten gewonnen, die sich
nach in vitro-Fertilisation entwickelten. Diese Art der Gewinnung ist in der
Schweiz nach zurzeit geltendem Recht implizit verboten, da sie die Zerstörung des Embryos zur Folge hat23.
(2)
Aus den primordialen Keimzellen abgetriebener menschlicher Embryonen
und Feten wurden so genannte EG-Zellen gewonnen. Diese Art der Gewinnung embryonaler Stammzellen wäre die zurzeit einzige in der Schweiz
rechtlich zulässige Methode, menschliche embryonale Stammzellen zu gewinnen.
Zurzeit liegen nur wenige Publikationen zu den Eigenschaften der bisher etablierten
menschlichen embryonalen Stammzellen vor. Sie lassen darauf schließen, dass sowohl ES- als auch EG-Zellen pluripotent sind, sich jedoch in ihrem Differenzie23 Im November 2002 überwies der Schweizerische Bundesrat den Entwurf eines Embryonenforschungsgesetzes zusammen mit einer erläuternden Botschaft an das Parlament. In dem
Entwurf soll die Gewinnung von ES-Zellen aus so genannten "überzähligen" menschlichen
Embryonen für Forschungszwecke in der Schweiz unter bestimmten Bedingungen zulässig
werden (s. auch Kap. 8 und 9.3.3).
74
rungsmuster und –verhalten voneinander sowie von embryonalen Stammzellen der
Maus unterscheiden. Die konstatierten Unterschiede zwischen menschlichen und
murinen embryonalen Stammzellen einerseits sowie menschlichen ES- und EGZellen andererseits müssen auf politischer Ebene im Hinblick auf folgende Fragen
bewertet werden:
•
Sind (die in der Schweiz rechtlich zulässig gewinnbaren) menschliche EG-Zellen
eine Alternative zu menschlichen ES-Zellen? Die bislang untersuchten menschlichen EG-Zellen weisen in Kultur eine geringere Vermehrungsfähigkeit als
menschliche ES-Zellen auf. Zudem liegen in EG-Zellen wahrscheinlich eine
Vielzahl epigenetischer Fehler vor, die durch das fehlende Imprinting in den Urkeimzellen bedingt sind. Ob EG-Zellen auf Grund der beobachteten Unterschiede zu ES-Zellen als Zell- und Gewebeersatz und als Alternative zu ES-Zellen ausscheiden, kann zurzeit nicht sicher beurteilt werden.
•
Kann – zumindest in der Grundlagenforschung – auf menschliche ES-Zellen
verzichtet werden, da zentrale Forschungsfragen auch an ES-Zellen der Maus
bzw. von nicht-humanen Primaten geklärt werden könnten?
•
Reichen die bereits vorhandenen menschlichen ES-Zell-Linien für die weitere
Stammzellforschung aus? Wenn ja, wäre künftig keine Zerstörung von menschlichen Embryonen zur Gewinnung von ES-Zell-Linien mehr erforderlich. Zwar
stützt sich die Forschung an ES-Zellen der Maus weltweit weitgehend auf nur 78 murine ES-Zell-Linien. Der Schwerpunkt der Forschung an murinen ES-ZellLinien liegt jedoch auf der Verwendung dieser Zell-Linien für die Herstellung
transgener Mäuse, während menschliche embryonale Stammzellen primär für
therapeutische Zielsetzungen verwendet werden sollen. Ob für diese Ziele eine
so geringe Zahl an menschlichen Stammzell-Linien ausreichen würde und ob die
bereits etablierten Zell-Linien die erforderlichen Eigenschaften aufweisen, ist
zurzeit offen.
Der Vorteil der embryonalen Stammzellen des Menschen gegenüber den adulten
Stammzellen liegt in der Möglichkeit, große Mengen aller denkbaren Zelltypen
unter standardisierten Bedingungen für therapeutische Zwecke gewinnen zu können. Allerdings können bislang nur Maus-ES-Zellen zeitlich und mengenmäßig
unbegrenzt kultiviert werden. Für embryonale Stammzellen des Menschen stellt
dies nach wie vor ein praktisches Problem dar, da die Signalmoleküle noch nicht
bekannt sind, die die Teilung menschlicher embryonaler Stammzellen regulieren.
Weder für embryonale Stammzellen des Menschen noch der Maus ist es zurzeit
möglich, die Zellen gezielt und vollständig zu therapeutisch nutzbaren
Zellpräparaten zu differenzieren und aufzureinigen, in denen der gewünschte Zelltyp in reiner Form (d. h. ohne Verunreinigung durch andere differenzierte Zelltypen
und durch nicht vollständig differenzierte Zellen) vorliegt. Es können lediglich
Mischkulturen erhalten werden. Diese dürften jedoch für eine therapeutische Anwendung problematisch sein, da sie Risiken in Bezug auf die Sicherheit für den
Patienten bergen. Es müssen also noch Methoden entwickelt werden, um den oder
75
die gewünschten Zelltypen so gut wie möglich anzureichern und von unerwünschten Zelltypen zu trennen, um menschliche embryonale Stammzellen im Rahmen
einer Zelltherapie nutzen zu können. Noch nicht geklärt ist, wie das Potenzial embryonaler Stammzellen, im Körper des Patienten möglicherweise Tumore auszulösen, in Bezug auf therapeutische Anwendungen embryonaler Stammzellen zu bewerten ist. Darüber hinaus besteht Forschungsbedarf, Methoden der Kultivierung
und Vermehrung von menschlichen embryonalen Stammzellen zu entwickeln, die
kein tierliches Material (z. B. als "feeder layer") verwenden, da andernfalls ein
ähnliches Infektionsrisiko wie in der Xenotransplantation für den Patienten beim
derzeitigen Kenntnisstand nicht ausgeschlossen werden kann.
Es ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten, menschliche embryonale Stammzellen auch über andere Methoden als die beiden oben dargestellten zu gewinnen.
Bislang haben diese Arbeiten aber noch nicht zur Etablierung entsprechender
menschlicher embryonaler Stammzell-Linien geführt, doch ist dies möglicherweise
nur eine Frage der Zeit.
•
Bislang wurde nur für die Maus gezeigt, dass sich embryonale Stammzellen auch
über den Weg des so genannten "Therapeutischen Klonens" gewinnen lassen.
Hierbei wird der Zellkern einer differenzierten Körperzelle in eine entkernte Eizelle eingebracht und auf diese Weise in einen embryonalen Zustand reprogrammiert. Aus der sich anschließend entwickelnden Blastocyste können
embryonale Stammzellen gewonnen werden. Diese Methode ist der einzige Weg,
über den nach heutigem Kenntnisstand autologe embryonale Stammzellen gewinnbar werden könnten. Diese autologen Stammzellen wären für therapeutische
Anwendungen von besonderer Bedeutung, da sie mit dem Patienten weitgehend
genetisch identisch wären und daher wahrscheinlich nicht der Abstoßung unterlägen. Diese Methode wäre technisch anspruchsvoller als die ES-Zellgewinnung
aus Blastocysten nach in vitro-Fertilisation, bräuchte zudem eine sehr große Anzahl von menschlichen Eizellen, die aus Frauen mit einem risikobehafteten operativen Eingriff entnommen werden müssten und würde die Erzeugung und Zerstörung von menschlichen Embryonen für jeden zu behandelnden Patienten erfordern. Zurzeit ist offen, inwieweit menschliche embryonale Stammzellen, die
durch "Therapeutisches Klonen" gewonnen würden, als Zell- und Gewebeersatz
verwendet werden können, da auf Grund der unvollständigen Reprogrammierung
beim Zellkerntransfer das Vorliegen einer Vielzahl genetischer und epigenetischer Fehler wahrscheinlich ist. Alle Formen des Klonens sind in der Schweiz
verboten.
•
Die parthenogenetische Aktivierung von menschlichen Eizellen sowie der
ooplasmatische Transfer in Körperzellen sind weitere Wege, die zur Gewinnung
menschlicher embryonaler Stammzellen erforscht werden. Zurzeit ist unklar, inwieweit diese Methoden Bedeutung erlangen werden.
76
Gewebespezifische, adulte Stammzellen kommen in vielen Geweben und Organen
von Embryonen, Feten und geborenen Menschen vor. Die Gewinnung adulter
Stammzellen ist schwierig, da diese Stammzellen in der Regel in geringer Zahl vorliegen und effiziente Verfahren zu ihrer Isolierung und Anreicherung vielfach noch
nicht etabliert sind. Zudem können sie im undifferenzierten Zustand im Labor meist
nur eingeschränkt vermehrt werden. Sie bieten das Potenzial, sowohl autologes als
auch allogenes Zellmaterial für allfällige Zelltherapien zu liefern. Bereits heute haben bestimmte adulte Stammzellen erhebliche klinische Bedeutung erlangt, wobei
sie innerhalb ihrer Gewebespezifität differenziert werden.
Allerdings zeigten adulte Stammzellen in jüngsten Forschungsarbeiten eine unerwartet breite Differenzierungsfähigkeit, die Fähigkeit zur Transdifferenzierung,
d. h. das Hervorbringen von Zell- und Gewebetypen, die entwicklungsbiologisch
einem anderen embryonalen Keimblatt zuzuordnen sind als dasjenige, dem die getesteten adulten Stammzellen entstammten. Sollte sich die zurzeit noch lückenhafte
Beweisführung als tragfähig erweisen, wären diese Forschungsergebnisse sowohl
von erheblicher grundlegender als auch praktischer und politischer Relevanz:
•
Das bisher geltende Dogma in der Zell- und Entwicklungsbiologie, dass sich
adulte Stammzellen ausschließlich entlang eines gewebespezifischen, linearen
Pfades irreversibel differenzieren, müsste revidiert werden.
•
Diese Ergebnisse lassen darauf hoffen, dass es möglich werden könnte, leicht
gewinnbare und expandierbare adulte Stammzellen zu jedem beliebigen Gewebe,
das dann therapeutisch einsetzbar wäre, differenzieren zu können. Damit könnten
adulte Stammzellen aber in Bezug auf die Fähigkeit zur Bereitstellung beliebiger
Gewebe für therapeutische Zwecke den menschlichen embryonalen Stammzellen
gleichwertig sein. Da ihre Gewinnung aber ethisch weniger brisant und rechtlich
weniger strittig und die Rechtslage zudem – je nach adultem Stammzelltyp – bereits mehr oder weniger geklärt ist, könnte dadurch die Gewinnung von und Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen entbehrlich erscheinen.
Die Prozesse, die dem Phänomen der Transdifferenzierung von gewebespezifischen
Stammzellen zu Grunde liegen, sind im Detail weitgehend unbekannt. Es ist daher
auch noch nicht möglich sie gezielt zu beeinflussen bzw. zu nutzen. Unklar ist, inwieweit eine detaillierte Untersuchung der Mechanismen, die die Transdifferenzierung und Retrodifferenzierung steuern, an den adulten Stammzellen selbst erfolgen
kann, oder ob man hierzu auf ES-Zellen zurückgreifen muss und wenn ja, ob dies
zwingend menschliche ES-Zellen sein müssen, oder ob nicht auch ES-Zellen der
Maus bzw. von nicht-humanen Primaten wesentliche Beiträge liefern könnten.
Prinzipielle Machbarkeit der Methode
für die Maus gezeigt;
noch keine menschliche Zell-Linie bekannt
noch keine menschliche Zell-Linie bekannt
Prinzipielle Machbarkeit der Methode
für die Maus und
nicht-humane Primaten gezeigt; noch
keine menschliche
Zell-Linie bekannt
aus innerer Zellmasse
von Blastocysten
nach Zellkerntransfer
in entkernte Eizellen
aus Zellen nach
ooplasmatischem
Transfer
aus innerer Zellmasse
von Blastocysten
nach Parthenogenese
Embryonale Stammzellen/ ooplasmatischer Transfer
Embryonale Stammzellen/ Parthenogenese
aus innerer Zellmasse weltweit mindestens
von Blastocysten
78 menschliche Zellnach IVF
Linien angelegt
Stand von Wissenschaft und Technik
ntES-Zellen
ES-Zellen
Quelle, Herkunft
ethisch und rechtlich relevant, ob Gewinnung aus
"überzähligen" oder gezielt
für ES-Zellgewinnung hergestellten Embryonen
Genetische und epigenetische Fehler wahrscheinlich,
schnellere Alterung möglich. Eignung für alle Verwendungszwecke von ESZellen dadurch möglicherweise eingeschränkt
Embryo nicht entwicklungsfähig
über 300 Generationen (ca. zwei
Jahre) stabile
Selbsterneuerung
möglich
nicht bekannt
nicht bekannt
nicht bekannt
pluripotent,
breiteres Entwicklungspotenzial in vivo
als EG-Zellen;
Totipotenz unwahrscheinlich, aber experimentelle Überprüfung ethisch nicht zu
rechtfertigen
nicht bekannt
nicht bekannt
nicht bekannt
nur weibliche Stammzellen
gewinnbar; Embryo nicht
entwicklungsfähig
Bemerkungen
Vermehrungsfähigkeit in vitro
Potenz
Klonen verfassungsrechtlich
explizit verboten;
strittig, ob
"Parthenot" Embryo im Sinne
des Gesetzes ist
Gewinnung nicht
geregelt
Klonen verfassungsrechtlich
explizit verboten;
Gewinnung implizit verboten
Aktuelle
Rechtslage in
der Schweiz
Gewinnung implizit verboten
Übersicht über unterschiedliche humane Stammzelltypen, die Art ihrer Gewinnung und ihre Eigenschaften
Art der Stammzelle
Tabelle 4.3:
77
aus fetalen Geweben
nach Fehlgeburt oder
Schwangerschaftsabbruch
aus Nabelschnurblut
nach der Geburt
Adulte Stammzellen
(fetale Stammzellen)
Adulte Stammzellen
(neonatale Stammzellen)
Adulte Stammzellen
Anhäufung von DNA-Schäden über ihre Lebensspanne
hinweg? Gewinnbarkeit aus
alten Menschen eingeschränkt?
in vitro schlecht vermehrbar
multipotent,
ggf. pluripotent?
multipotent,
ggf. pluripotent?
multipotent, ggf.
pluripotent?
wird im Rahmen
klinischer Versuche
praktiziert
Bemerkungen
maximal 70-80 Gene- Gewinnung ethisch nicht
rationen stabile
unumstritten. Epigenetische
Selbsterneuerung
Fehler durch fehlendes
Imprinting wahrscheinlich;
Eignung für alle Verwendungszwecke von embryonalen Stammzellen dadurch
möglicherweise eingeschränkt
in vitro schlecht ver- Gewinnung ethisch nicht
mehrbar
unumstritten; u. a. muss
Unabhängigkeit der Entscheidung für Schwangerschaftsabbruch und Verwendung des embryonalen/
]fetalen Zellmaterials für
Forschungszwecke gewährleistet sein.
in vitro schlecht ver- nur geringe Mengen gewinnmehrbar
bar
Vermehrungsfähigkeit in vitro
pluripotent; geringeres Differenzierungspotenzial in vivo als
ES-Zellen (keine
Teratome)
Potenz
mehrere menschliche
Zell-Linien angelegt
Stand von Wissenschaft und Technik
klinische Anwendung
Blut bildender
Stammzellen
aus adulten Geweben, Blut bildende
z. B. Knochenmark,
Stammzellen am
Fettgewebe
besten untersucht;
klinische Anwendung
aus primordialen
Keimzellen abortierter Embryonen und
Feten
Quelle, Herkunft
EG-Zellen
Art der Stammzelle
Fortsetzung Tabelle 4.3
Gewinnung
gesetzlich
zulässig
Gewinnung
gesetzlich
zulässig
Gewinnung
gesetzlich
zulässig
Aktuelle
Rechtslage in
der Schweiz
Gewinnung
gesetzlich
zulässig
78
79
5.
Nutzung menschlicher Stammzellen für Zelltherapien
5.1
Einleitung
Das medizinisch-wissenschaftliche, aber auch öffentliche Interesse an menschlichen
Stammzellen ist vor allem darin begründet, dass diese Zellen das Potenzial bergen,
mit ihrer Hilfe neuartige, erstmalige oder verbesserte Therapien von schwerwiegenden Krankheiten zu entwickeln, die heutzutage nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Diese Therapien sollen auf dem Prinzip der Zelltransplantation
beruhen. Zelltransplantationen sind bislang aber noch ein Therapiekonzept, das –
von wenigen Indikationen abgesehen – noch keine etablierte Methode in der Medizin darstellt. Somit stellt sich nicht nur die Frage, welche Beiträge adulte bzw. embryonale menschliche Stammzellen innerhalb dieses Therapiekonzepts leisten können bzw. sollen. Vielmehr muss beim gegenwärtigen Kenntnisstand auch danach
gefragt werden, welchen Beitrag das Konzept der Zelltherapie als solches, unabhängig vom verwendeten Zelltyp, zur Therapie schwerwiegender Krankheiten leisten kann bzw. soll.
In diesem Kapitel24 werden zunächst die Punkte erläutert, die vor einer möglichen
therapeutischen Anwendung von menschlichen Stammzellen geklärt werden müssen (Kap. 5.2). In den folgenden Kapiteln 5.3-5.6 werden die sehr unterschiedlichen
zelltherapeutischen Ansätze diskutiert, die zur Behandlung verschiedener menschlicher Krankheiten entwickelt werden. Abschließend wird in Kapitel 5.7 diskutiert,
wie der mögliche künftige Beitrag von stammzellbasierten Zelltherapien beim
heutigen Kenntnisstand einzuschätzen ist.
24 Die Zusammenstellung, die hier präsentiert wird, basiert auf Recherchen der Primärliteratur und
auf der Publikation der National Institutes of Health (2001): Stem cells: Scientific Progress and
Future Directions. National Institutes of Health, Department of Health and Human Services.
Dieser ausführliche Text kann für weitergehende Fragen unter http://www.nih.gov/news/
stemcell/scireport.htm konsultiert werden.
80
5.2
Voraussetzungen für die Nutzung von menschlichen
Stammzellen in der Zelltherapie
5.2.1
Zeithorizonte
Es ist nicht möglich vom momentanen Wissensstand abzuleiten, in welchem Zeitraum eine therapeutische Anwendung mit humanen pluripotenten Stammzellen
entwickelt werden kann. Es gibt sehr optimistische Annahmen von 5 Jahren, es gibt
aber auch sehr viel zurückhaltendere Prognosen, die auf der Wahrnehmung beruhen, dass es vor einer therapeutischen Anwendung notwendig ist, viele der noch
offenen grundlegenden Fragen bezüglich der Differenzierung und der Funktionalität
der zu verwendenden Zellen zu klären.
Einen Anhaltspunkt kann die Verwendung von Stammzellen des Blut bildenden
Systems zur Therapie von Leukämien und anderen Krebsarten bieten
(s. auch Kap. 4.6.1.2). So führt man seit 30 Jahren Transplantationen der Blut bildenden Stammzellen durch und hat dabei einerseits sehr große Erfolge verzeichnet,
sieht sich aber auch andererseits immer noch mit massiven Schwierigkeiten in der
Therapie konfrontiert. Hierzu zählen beispielsweise die Abstoßung der transplantierten Zellen durch das Immunsystem des Empfängers, sowie Abstoßungsreaktionen der gespendeten Zellen gegenüber denen des Empfängers (so genannte "Graftversus-host"-Reaktion). Interessanterweise ist ein erfolgreicher therapeutischer Ansatz möglich, obwohl in Bezug auf Funktionsweise und Ursachen noch nicht alles
verstanden ist. So kann man die für eine Transplantation notwendigen Zellen gewinnen, ohne die Identität aller Blut bildenden Stammzellen genau zu kennen. Andererseits wird aber auch die Kontrolle der Abstoßungsreaktionen dadurch erschwert, dass man nicht die Identität all der Moleküle genau kennt, die für die Kodierung "Fremd gegenüber Körpereigen" verantwortlich sind.
5.2.2
Ausführliche Charakterisierung der zu verwendenden Zellen
Eine zentrale Aufgabe der Forschung liegt darin, die in vitro differenzierten Zellen
vor ihrer Verwendung für therapeutische Zwecke möglichst genau zu charakterisieren. Dies gilt für die differenzierten Abkömmlinge aller Stammzelltypen. Diese
Charakterisierung ist Teil jeder Studie, die sich mit der möglichen therapeutischen
Anwendung von Stammzellen oder mit Fragen der Entwicklungsbiologie befasst.
•
Eine erste Zuordnung der in vitro differenzierten Zellen ist auf Grund ihrer unterschiedlichen Morphologie möglich. Nervenzellen beispielsweise bilden im
Organismus wie in der Kultur lange Fortsätze, eine Muskelzelle hingegen hat einen sehr langgestreckten Zellkörper ohne Fortsätze.
81
•
Eine zweite relativ einfache Methode besteht darin, die differenzierten Zellen an
Hand bestimmter Moleküle, meist Proteine, die sich auf der Zelloberfläche oder
im Zellinneren befinden, zu identifizieren. Diese immunhistologische Identifizierung erfolgt mit Hilfe von Antikörpern, die selektiv an die jeweiligen so genannten zellulären Marker binden. Ein Beispiel unter vielen sind die so genannten Intermediärfilamente.
•
Man kann die differenzierten Zellen auch auf biochemische Eigenschaften hin
untersuchen, die mit ihrer spezifischen Funktion einhergehen. So enthalten Neuronen, die den Neurotransmitter Dopamin ausschütten, das Enzym Tyrosinhydroxylase.
•
Mit Hilfe der durch die Genomsequenzierung gewonnenen Daten und auf Grund
bisheriger Kenntnisse kann man die zu charakterisierenden Zellen auf die Expression spezifischer Gene hin untersuchen. Es sind zahlreiche Methoden in der
Entwicklung, um in einem experimentellen Ansatz Zellen simultan auf eine
Vielzahl von exprimierten Genen zu untersuchen.
•
Einen qualitativen Sprung in der Charakterisierung der differenzierten Zellen
stellt die funktionelle Untersuchung in vitro dar. So kann man zum Beispiel
Herzmuskelzellen auf ihre Fähigkeit testen, auf bestimmte Signale hin zu kontrahieren. Diese Art der Charakterisierung ist sehr viel aussagekräftiger, als die
beschreibenden Ansätze. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass nicht jeder
Zelltyp funktionelle Eigenschaften aufweist, die man in Kultur testen kann, und
dass möglicherweise die volle Funktionalität der Zellen erst dann vorhanden ist,
wenn sie in einer physiologischen Umgebung, d. h. im Gewebe, im Organismus
integriert sind.
5.2.3
Sicherheitsanforderungen für die Kultur von Zellen für therapeutische Zwecke
Die hier aufgeführten Punkte basieren auf den Erfahrungen mit der Kultur menschlicher und tierlicher Zellen und mit der Transplantationsmedizin. Sie sind nicht als
vollständiger Sicherheitskatalog gedacht, sondern sollen einen Eindruck davon geben, wie vielfältig die Sicherheitsanforderungen an Zellmaterial sind, das man für
therapeutische Zwecke verwenden möchte.
•
Die Abstammung der Zellen, die man für eine Therapie verwenden möchte,
sollte, wenn möglich bis auf die Gründer-Zell-Linie zurückzuverfolgen sein. Zusätzlich zieht man Informationen aus molekular-genetischen Tests heran, um zu
gewährleisten, dass die Zellen keine genetisch bedingten Eigenschaften besitzen,
die der Behandlung zuwiderlaufen, die man mit ihnen durchführen möchte. Dieses Wissen spielt besonders bei der Erstellung von Zellbanken eine Rolle. So
dürften beispielsweise die Zellen eines herzkranken Spenders nicht für die Therapie eines herzkranken Empfängers in Betracht kommen. Ethische Probleme,
82
die sich aus einer lückenlosen Dokumentation ergeben, werden bereits im Zusammenhang mit der Erstellung von Nabelschnurblutbanken (vgl. Kap. 7.5.4.5)
diskutiert.
•
Die für eine Therapie eingesetzten Zellen müssen vor ihrer Transplantation auf
das Vorhandensein von Krankheitserregern getestet werden, um eine ungewollte Übertragung derselben zu vermeiden.
•
Ein sehr wichtiger Punkt ist die streng kontrollierte und standardisierte Kultivierung der Zellen, die man für Therapiezwecke vermehren möchte. So sind
aus Studien mit embryonalen Stammzellen der Maus, wie auch aus zahlreichen
Untersuchungen mit anderen Zellarten in vitro Parameter bekannt, die sich auf
die Zusammensetzung der Zellpopulation auswirken können: die Zusammensetzung des Kulturmediums, die Oberfläche, auf der die Zellen angesiedelt werden,
die anfängliche Dichte, mit der man Zellen in der Kulturschale aussät, die Häufigkeit, mit der man sie in neue Schalen umsetzt und mit der man das Kulturmedium austauscht. Um ungewollte Veränderungen in den Eigenschaften der Zellen
zu vermeiden, muss deshalb ein einmal entwickeltes Kulturprotokoll befolgt
werden und die Zellen in bestimmten Abständen auf das Vorhandensein ihrer
charakteristischen Eigenschaften überprüft werden (s. o.).
Es ist wichtig zu vermerken, dass die Art und Weise, wie ES- und EG-Zellen des
Menschen zurzeit üblicherweise kultiviert werden, für ihre Verwendung für therapeutische Zwecke im Menschen wahrscheinlich nicht geeignet ist: Sie werden auf
einer Stützzellschicht, dem sogenannten "feeder layer" von inaktivierten, aber lebenden Fibroblasten der Maus kultiviert. Dies gibt Anlass zu der Befürchtung, dass
durch diesen Kontakt zwischen menschlichen und tierlichen Zellen – ähnlich wie
bei der Xenotransplantation – Krankheitserreger von den tierlichen auf die menschlichen Zellen übertragen und mit dem Zelltransplantat in den Empfänger gelangen
könnten (Hüsing et al. 2001, S. 62ff.). Der ganz überwiegende Teil der zurzeit verfügbaren menschlichen ES- und EG-Zellen (vgl. Tab. 4.1) ist bei seiner Gewinnung
und Kultivierung mit Tierzellen in Kontakt gekommen (Richards 2002, Pedersen
2002). In den USA werden daher auch menschliche ES- und EG-Zellen in Bezug
auf die zu erfüllenden Sicherheitsanforderungen rechtlich wie Xenotransplantate
behandelt (U. S. Department of Health and Human Services 1999a, b). Vor diesem
Hintergrund kommt Forschungsarbeiten besondere Bedeutung zu, die darauf abzielen, tierzellfreie Kulturbedingungen für menschliche ES- und EG-Zellen zu
entwickeln. Erste Erfolge in dieser Richtung wurden bereits erzielt: Es gibt eine
Arbeit, die zeigt, dass man die Stützzellschicht durch ein definiertes Proteinsubstrat
und durch die Zugabe von Medium, das von embryonalen Maus-Fibroblasten konditioniert wurde, ersetzen kann (Xu et al. 2001). Somit kamen diese Zellen zwar
nicht unmittelbar in Kontakt mit Mauszellen, aber doch mit Kulturmedium, das
diesen Mauszellkontakt hatte. Inzwischen wurde die Gewinnung und Kultivierung
einer menschlichen ES-Zell-Linie unter vollständig "tier-freien" Bedingungen beschrieben, wobei als "feeder layer" menschliche Zellen dienten (Richards et al.
2002). Sollte sich diese – oder eine vergleichbare Methode – als erfolgreich an-
83
wendbar erweisen, könnte der Einwand des xenogenen Infektionsrisikos für mit
diesen Methoden neu gewonnene Stammzell-Linien entfallen. Für bereits bestehende Stammzell-Linien bliebe er jedoch bestehen und würde damit insbesondere
für Länder relevant, die sich für eine Stichtagsregelung entschieden haben, um den
Verbrauch menschlicher Embryonen für die Gewinnung von ES-Zellen zu begrenzen (vgl. auch Kap. 7.2.5, 9, 10).
5.2.4
Untersuchungen im Tiermodell
Nach der eingehenden Charakterisierung in vitro müssen die unterschiedlichen Typen von Stammzellen mit Hilfe von Tierexperimenten auf ihre Tauglichkeit für eine
Therapie getestet werden. Hierzu werden so genannte Tiermodelle eingesetzt, in
denen man versucht, eine Krankheit oder eine Verletzung nachzuahmen, wie sie
beim Menschen auftritt. Am häufigsten werden für solche Untersuchungen zunächst
Mäuse und Ratten verwendet. Die so gefundenen Aussagen sind von großer Wichtigkeit, haben aber auch inhaltliche Grenzen. So kann man in der Maus und in der
Ratte die menschliche Krankheit immer nur annäherungsweise simulieren, da sich
zum Beispiel Lebensspanne, Lebensweise und Immunsystem in vielen Aspekten
von denen des Menschen unterscheiden. Ein wichtiger Zwischenschritt, den man
vor einer therapeutischen Anwendung beim Menschen einschalten kann, ist das
Tierexperiment in nicht-humanen Primaten, die dem Menschen näher verwandt
sind. Im Tiermodell versucht man die folgenden Fragen zur klären:
•
Wie gut können sich die transplantierten Zellen im Zielorgan anatomisch
und funktionell integrieren? Es gibt bereits eine Reihe von Studien in der
Maus, die diese Fragen für mehrere Organsysteme bzw. Erkrankungen genauer
beantwortet haben. Sie sind in den Kapiteln 5.3-5.6 beschrieben. Um diese Frage
bezüglich einer Therapie am Menschen zu beantworten, sind wahrscheinlich
noch genauere funktionelle Untersuchungen notwendig, die auf quantifizierbaren
Parametern beruhen, als bisher durchgeführt wurden (Smith 2001).
•
Wie groß ist der Anteil der Zellen, die im Gewebe wandern und am falschen
Ort integrieren? Welches sind die Konsequenzen? Dies ist eine sehr schwer zu
beantwortende Frage, die man aber in der Maus mit Hilfe von genetisch markierten Zellen untersuchen kann.
•
Wie dauerhaft ist der Zellersatz? Haben die transplantierten Zellen die gleiche
Lebensdauer wie die körpereigenen Zellen? Sind sie ähnlich robust? Diese Fragen spielen eine besondere Rolle, wenn man daran denkt ntES-Zellen zu verwenden. Mäuse, die durch diesen Ansatz kloniert wurden, weisen zum Beispiel
eine frühzeitige Alterung auf (Ogonuki et al. 2002). Es ist nicht gewiss, ob die
beobachteten Veränderungen auch auf die Qualität der aus dem frühen Embryo
gewonnenen Stammzellen Einfluss haben (Smith 2001, s. auch Kap. 4.3).
84
•
Wie groß ist das Risiko der Tumorbildung durch die transplantierten Zellen, kann es ganz vermieden werden? Menschliche ES-Zellen sind in der Lage,
nach Transplantation in SCID-Mäuse so genannte Teratome, meist gutartige
Tumoren zu bilden (s. Kap. 4.2.2.2). Die Bemühungen der Forscher zielen darauf
ab Bedingungen zu finden, unter denen dieses Risiko möglichst klein ist. Ob
man es jemals ganz ausschalten kann, ist zweifelhaft, da theoretisch eine einzige
Zelle ausreicht, um einen Tumor zu bilden. Diese Zelle kann eine in Kultur ungenügend differenzierte Zelle sein, die nicht eliminiert wurde oder auch eine
Zelle, die nach der Transplantation von einem differenzierteren Zustand in einen
undifferenzierteren revertiert. Eine Möglichkeit, den Folgen einer Entartung oder
auch einer Fehlintegration entgegenzuwirken, könnte darin bestehen, die verwendeten Zellen gentechnisch so zu verändern, dass sie ein sogenanntes "Suizidgen" enthalten, mit dessen Hilfe man sie im Notfall eliminieren könnte.
•
Welcher Zelltyp ist der optimale für die Therapie einer bestimmten Krankheit? Für den Ersatz des Blut bildenden Systems zur Behandlung einer fortgeschrittenen Autoimmunkrankheit ist eine Transplantation hämatopoetischer
Stammzellen notwendig (s. Kap. 5.6). Im Gegensatz dazu sind für die Behandlung von Diabetes differenzierte Inselzellen des Pankreas erforderlich
(s. Kap. 5.3). Daraus folgt, dass man diese Frage nur mit einer Vielzahl von Studien beantworten kann, da es sich bei den transplantierten Zellen um dynamische
biologische Einheiten handelt, die durch die Zellen des Empfängers beeinflusst
werden und diese ihrerseits beeinflussen. Es ist nicht möglich vorauszusagen,
wie instruktiv sich ein bestimmtes Gewebe gegenüber mehr oder minder differenzierten Zellen verhält. Auch kann nur von Fall zu Fall geklärt werden, ob
adulte Stammzellen, soweit sie bekannt sind, in ausreichenden Mengen gewonnen werden können, um für eine Therapie zur Verfügung zu stehen, oder ob man
auf embryonale Stammzellen einer bestimmten Differenzierungsstufe zurückgreifen muss.
•
Wie groß ist das Problem der Abstoßung der transplantierten Zellen? Kann
man es durch das Anlegen von Zellbanken überwinden, die eine Vielzahl von
Stammzell-Linien mit unterschiedlichen immunologischen Eigenschaften enthalten? Oder ist – ähnlich wie bei der Organtransplantation, bei der man eine
möglichst gute Übereinstimmung der immunologisch relevanten Oberflächenantigene zwischen Spenderorgan und Empfänger anstrebt – trotzdem eine lebenslange Behandlung mit Immunsuppressiva nötig? Kann man die transplantierten
Zellen gentechnisch so modifizieren, dass sie vom Immunsystem des Empfängers nicht mehr als fremd erkannt werden? Einen erfolgreichen Ansatz dazu gibt
es bereits in Mäusen (Osorio et al. 1993). Unter welchen Umständen können die
Nachteile und offenen Fragen des in vielerlei Hinsicht problematischen "therapeutischen Klonens" aufgewogen werden durch das Potenzial, auf diese Weise
das Problem der Abstoßung zu überwinden? Dass ES-Zellen grundsätzlich mit
Hilfe dieser Methode gewonnen werden können, wurde jüngst an Mäusen gezeigt (Munsie et al. 2000, s. Kap. 4.3).
85
5.2.5
Zusammenfassung und Ausblick
Es wurde dargelegt, dass vielfältige grundlegende Forschungsfragen beantwortet
werden müssen, ehe neue Therapien auf der Basis menschlicher Stammzellen klinisch anwendbar werden können. Zu den zurzeit offenen Fragen zählen die dauerhafte und auch großvolumige Kultivierbarkeit von Stammzellen in vitro, die gezielte Differenzierung in die gewünschten menschlichen Zell- und Gewebetypen in
klinisch relevanten Mengen ohne Verunreinigung durch andere Zell- und Gewebetypen, die Sicherheit und Unbedenklichkeit von stammzellbasierten Zelltransplantaten in Bezug auf ihr tumorigenes Potenzial, ihre ontogenetische Entwicklung und
Alterung und in Bezug auf Infektionsrisiken, sowie die therapeutische Wirksamkeit
im Zelltransplantatempfänger. Bei der Nutzung menschlicher adulter Stammzellen
kann man auf langjährigen Erfahrungen mit Blut bildenden, Haut- und Knorpelstammzellen aufbauen, die bereits in etablierten Therapien in der Klinik verwendet
werden. Für menschliche embryonale Stammzellen können Vorerfahrungen mit
embryonalen Stammzellen der Maus von Nutzen sein. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es
schwierig abzuschätzen, wie viel Zeit diese Forschungsarbeiten in Anspruch nehmen werden und wie gravierend manche der möglichen Komplikationen sein werden, wie zum Beispiel eine unerwünschte Tumorbildung durch transplantierte embryonale Stammzellen.
5.3
Diabetes mellitus
5.3.1
Krankheitsbild und Therapieansätze
Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselkrankheit, die sich durch einen erhöhten
Blutzuckerspiegel, d. h. eine erhöhte Glukosekonzentration im Blut, auszeichnet.
Man unterscheidet den bei Kindern und jungen Erwachsenen auftretenden Typ-IDiabetes und den Alters- bzw. Typ-II-Diabetes.
Der Typ-I-Diabetes wird durch Autoimmunreaktionen verursacht. Dadurch, dass
das körpereigene Immunsystem die Insulin produzierenden Inselzellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) angreift und zerstört, kommt es zu einem Mangel des
Hormons Insulin. Dadurch kann die Glukose im Blut nicht mehr von den Zielzellen,
den Muskel- und Leberzellen, ausreichend aufgenommen werden. Um bei den Patienten dennoch eine annähernd normale Blutglukosekonzentration zu gewährleisten,
sind eine Bestimmung des Blutzuckerspiegels 3-4 mal am Tag und eine daran angepasste Gabe von Insulin notwendig.
86
Der Typ-II-Diabetes entwickelt sich meist im höheren Lebensalter, häufig bei
Übergewichtigen. Er ist durch eine Insulinunempfindlichkeit der Zielzellen gekennzeichnet; diese entsteht als Folge anhaltend hoher Blutzucker- und Insulinspiegel.
Der Typ-II-Diabetes kann zunächst durch eine Veränderung der Ernährung, vermehrte körperliche Bewegung und durch Blutzucker senkende Medikamente behandelt werden. Häufig entwickelt sich die Krankheit jedoch weiter, so dass im
fortgeschrittenen Stadium eine Behandlung mit Insulin notwendig wird.
Die lebenslange, sorgfältige Blutzuckereinstellung ist entscheidend zur Vorbeugung
von Spätschäden in den Blutgefäßen, die Herzinfarkt, Schlaganfall, Veränderungen
der Netzhaut bis zum Erblinden, Durchblutungsstörung der Füße, Nierenfunktionsstörungen bis zum Nierenversagen, Erektionsstörungen und Schädigungen des Nervensystems zur Folge haben.
Zurzeit werden vielfältige Forschungsarbeiten durchgeführt, die zum Ziel haben,
die etablierte Diabetestherapie in zweierlei Hinsicht zu verbessern: zum einen soll
die Lebensqualität der Patienten verbessert werden, indem sie von regelmäßigen
Injektionen des Insulins unabhängig werden. Zum anderen wird eine bessere und
dauerhafte Regulierung des Blutzuckerspiegels angestrebt, als sie durch die manuelle Injektion von Insulin zu gewährleisten ist, um auf diese Weise Langzeitschädigungen vorzubeugen. Folgende alternative Ansätze gibt es bzw. sind in der Entwicklung:
•
neuartige Verabreichungsformen für Insulin (z. B. Inhalation als Aerosol; Insulin
in Tablettenform; Geräte, die Insulin automatisch bedarfsgerecht freisetzen
("künstliche Bauchspeicheldrüsen"),
•
Transplantation von Bauchspeicheldrüsen,
•
Zelltransplantationen von Insulin produzierenden Zellen unterschiedlicher Herkunft.
Im Folgenden wird kurz auf die Transplantation menschlicher Bauchspeicheldrüsen
und Inselzellen eingegangen, um vor diesem Hintergrund den Beitrag von Stammzellen zu einer möglichen künftigen Zelltherapie des Diabetes darzulegen.
5.3.2
Allogene Pankreas- und Inselzelltransplantation
Seit der ersten Pankreastransplantation im Jahre 1966 sind bis heute weltweit über
14.000 Pankreastransplantationen durchgeführt worden. Zurzeit werden weltweit
etwa eintausend Bauchspeicheldrüsen pro Jahr transplantiert, wobei die meisten
dieser Eingriffe in den USA erfolgen. In der Schweiz wurden in den 15 Jahren von
1987-2001 insgesamt 154 Transplantationen vorgenommen, in denen Bauchspeicheldrüsen (alleine oder zusammen mit Nieren) oder Inselzellen übertragen wurden.
Da die Pankreastransplantation jedoch eine lebenslange Behandlung mit Immun-
87
suppressiva zur Folge hat, die die Patienten anfällig für zahlreiche Krankheiten
macht, wird sie meist nur vorgenommen, wenn gleichzeitig die Notwendigkeit für
eine Nierentransplantation vorliegt. Seit den 1990er Jahren wird für Menschen mit
Typ-I-Diabetes mit schwerer Niereninsuffizienz zunehmend eine kombinierte Pankreas-/Nierentransplantation durchgeführt. Diese kombinierte Transplantation stellt
diejenige Therapie dar, die in der Mehrzahl der Fälle den gestörten Glukosestoffwechsel so weit normalisieren kann, dass kein Insulin mehr gespritzt werden muss.
Zudem ermöglicht sie einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität durch die Unabhängigkeit von der Dialyse. Eine Besserung der bereits vorhandenen Spätschäden
durch den Diabetes ist jedoch durch eine Transplantation von Pankreas und/oder
Niere erst nach mehreren Jahren und auch nur in geringem Umfang möglich.
Ein alternativer Weg zur Transplantation des ganzen Pankreas ist die Übertragung
von isolierten Inselzellen. Dies ist eine für den Patienten sehr viel weniger belastende Prozedur. Zwischen 1990 und 1998 wurden weltweit 308 allogene Inselzelltransplantationen durchgeführt, davon 267 bei Typ-I-Diabetikerinnen und -Diabetikern. Nur in 33 Fällen wurde dadurch eine Insulinunabhängigkeit für mehr als eine
Woche erreicht und nur 22 Transplantate funktionierten für mehr als ein Jahr. Somit
wurde nur bei 8 % der behandelten Patienten ein langfristiger Behandlungserfolg
erzielt. Die geringe Erfolgsrate scheint durch die negative Wirkung der zur Unterdrückung des Immunsystems verwendeten Steroide auf die transplantierten Zellen
bedingt zu sein. Es ist kürzlich ein neues, verbessertes Therapieprotokoll entwickelt
worden, das von der Fachwelt als Durchbruch in der allogenen Inselzelltransplantation gewertet wird. Dieses Protokoll, das auf die Verwendung von Steroiden als
Immunsuppressiva verzichtet und bei dem eine größere Menge Inselzellen eingesetzt wird, hat in einer ersten Studie bei 7 von 7 Patienten zur langfristigen Insulinunabhängigkeit geführt (Shapiro et al. 2000). Inzwischen wurde dieses Protokoll
auch von anderen Diabetes-Forschungszentren übernommen, so dass mittlerweile
eine größere Anzahl von Diabetespatienten auf diese Weise behandelt wurde. Von
19 Patienten, die an der University of Alberta, Edmonton, behandelt wurden, waren
11 Patienten 21,5 Monate nach der Transplantation der Inselzellen noch insulinunabhängig, 8 blieben trotz Transplantation jedoch weiterhin auf externes Insulin
angewiesen. Forscher der National Institutes of Health in Bethesda erzielten bei drei
von sechs behandelten Patienten Insulinunabhängigkeit über einen Zeitraum von
15 Monaten. Zusätzlich wurden bei einigen der so behandelten Patienten Nebenwirkungen bzw. Komplikationen festgestellt. Diese umfassten erhöhte Blutcholesterinspiegel, Bluthochdruck, Verschlechterung der Nierenfunktion, Thrombosen in
der Pfortader sowie innere Blutungen (Hopkins 2002). Zusätzlich bleibt das Problem bestehen, dass die behandelten Patienten ein Leben lang auf die Einnahme von
Immunsuppressiva angewiesen sind und pro Patient zwei immunkompatible Organspenden zur Gewinnung der Inselzellen zur Verfügung stehen müssen.
88
5.3.3
Gewinnung von Zellmaterial für Transplantationen mit Hilfe
von Zellkulturen
Wenn auch die jüngst erzielten Fortschritte bei der Inselzelltransplantation darauf
hindeuten, dass dadurch langfristige Insulinunabhängigkeit erreicht werden kann
(s. Kap. 5.3.2), ist es jedoch unwahrscheinlich, dass für alle niereninsuffizienten
Diabetes-Patienten genügend Inselzelltransplantate aus Spenderorganen verfügbar
gemacht werden können. Deshalb kommt Forschungsansätzen sehr große Bedeutung zu, die darauf abzielen, in Zellkultur Zellmaterial herzustellen, das die zerstörten Inselzellen durch Transplantation funktionell ersetzen kann. Hierfür kommen grundsätzlich sowohl menschliche adulte als auch embryonale Stammzellen in
Betracht.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die Insulin bildenden
Zellen, die so genannten Beta-Inselzellen, mit zwei weiteren Zelltypen inselartig
gruppiert in den sogenannten Langerhans-Inseln über den gesamten Pankreas verteilt vorkommen. Studien in der Zellkultur mit isolierten Inselzellen haben ergeben,
dass für eine physiologische, d. h. eine an unterschiedliche Blutzuckerwerte angepasste Freisetzung von Insulin nebst den Beta-Inselzellen zwei weitere Zelltypen
notwendig sind: dies sind die so genannten Alpha-Inselzellen, die das Gegenspielhormon von Insulin, Glukagon, bilden und die das Pankreatische Polypeptid bildenden PP-Zellen (Bosco et al. 1997; Soria et al. 1996). Daraus folgt, dass man im
Rahmen einer Zelltherapie die Transplantation aller Zellen anstreben sollte, die die
Langerhans-Inseln bilden.
5.3.3.1
Gewinnung von Insulin produzierenden Zellen aus adultem Gewebe
Das Gewebe, das die Ausführungsgänge des Pankreas bildet, enthält Zellen, von
denen sich nach Inkulturnahme Inselzellen ableiten lassen. Das die menschlichen
Pankreasgänge bildende Gewebe kann in der Kultur unter spezifischen Kulturbedingungen den Langerhans-Inseln ähnliche Strukturen bilden, die alle drei Inselzelltypen enthalten, die in Abhängigkeit von der Glukosekonzentration im Kulturmedium Insulin freisetzen (Bonner-Weir et al. 2000). Die Transplantation dieser
Strukturen in diabetische Mäuse oder Ratten ist noch nicht berichtet worden, so
dass zurzeit nicht geklärt ist, ob sie auch in vivo physiologisch aktiv sind. Es ist
nicht vollständig geklärt, ob es sich bei diesen Zellen um Epithelzellen der Gänge,
die zu einer undifferenzierteren Vorstufe revertierten und / oder um die neuerdings
identifizierten multipotenten Stammzellen des menschlichen Pankreas handelt
(Bonner-Weir et al. 2000; Zulewski et al. 2001). Interessanterweise lassen sich die
multipotenten Stammzellen, die in den Gängen und in den Langerhans-Inseln des
Pankreas angesiedelt sind, in der Kultur zu Leberzellen, Neuronen und den exokrinen Zellen, sowie endokrinen, d. h. den Inselzellen, des Pankreas differenzieren und
über einen Zeitraum von etwa 8 Monaten kultivieren (Zulewski et al. 2001). Diese
nestin-positiven Vorläuferzellen konnten durch die Gabe des Hormons GLP-1 zur
89
Differenzierung zu Betazellen angeregt werden (Abraham et al. 2002). Es wurde
aber auch darauf hingewiesen, dass sowohl Nervenzellen als auch Betazellen denselben molekularen Marker, Nestin, exprimieren, so dass umfassendere Charakterisierungen der resultierenden Zellen erforderlich sind als lediglich die Messung
dieses Markers, um Nervenzellen von Betazellen zu unterscheiden (Edlund 2002,
S. 530).
Eine mögliche therapeutische Weiterentwicklung dieses Ansatzes könnte in der
Entnahme von noch intaktem Ganggewebe, Kultivierung und anschließender
Transplantation der in vitro neu gewonnenen Inselzellen zur Behandlung von Patienten, die an Typ-II-Diabetes erkrankt sind, liegen. Da patienteneigenes Gewebe
transplantiert würde, wäre keine Immunsuppression notwendig. Voraussetzung für
eine solche mögliche künftige Therapie ist jedoch, dass dem Patienten genügend
noch intaktes Ganggewebe entnommen werden kann, das ihm nach Kultivierung
und Differenzierung im Labor wieder zurücktransplantiert werden kann. Es ist jedoch möglich, dass eine solche Therapie keine langfristige Wirkung hätte, da die
transplantierten Zellen auf Grund der Tatsache, dass sie mit den ursprünglichen
Inselzellen wahrscheinlich weitgehend übereinstimmen, erneut Opfer einer Autoimmunreaktion werden könnten.
5.3.3.2
Gewinnung von Insulin produzierenden Zellen aus embryonalen
Stammzellen
Eine weitere Möglichkeit, menschliche Insulin produzierende Zellen in ausreichenden Mengen für Transplantationen bereitzustellen, könnte die Kultivierung und Differenzierung von menschlichen embryonalen Stammzellen zu Inselzellen sein. Da
die so hergestellten Inselzellen genetisch verschieden vom Transplantatempfänger
wären, wäre eine Immunsuppression erforderlich, um die Abstoßung des Zelltransplantats zu verhindern. Eine andere Möglichkeit ist die Verkapselung: Um die
transplantierten Zellen vor einem Angriff des Immunsystems zu schützen, könnte
man sie vor der Transplantation mit einem nicht immunogenen Material umhüllen,
das zwar die Hormonfreisetzung erlauben, aber den Zugriff des Immunsystems auf
die Insulin produzierenden Zellen verhindern würde (Lanza et al. 1997). Die Option
der Immunisolierung durch Verkapselung kann jedoch noch nicht als generell ausgereift und praxistauglich eingeschätzt werden (Hüsing et al. 2001, S. 276).
Bislang wurden Experimente, mit denen die Umsetzbarkeit dieses Konzepts überprüft werden sollen, nur mit embryonalen Stammzellen der Maus durchgeführt. Da
es noch nicht möglich ist, embryonale Stammzellen der Maus in großen Mengen zu
Insulin bildenden Inselzellen in Kultur zu differenzieren, muss man diejenigen Zellen anreichern, die den erwünschten Differenzierungsgrad erreicht haben. Zu diesem Zweck wurden die embryonalen Stammzellen zunächst gentechnisch so verändert, so dass nur die Zellen, die Insulin gebildet haben, auch gegen ein Antibiotikum
resistent waren, während alle Zellen, die dazu nicht in der Lage waren, abgestorben
90
sind. Nach weiteren Kultivierungsschritten, die darauf abzielten, die Insulinproduktion der selektionierten Zellen zu maximieren, wurden diese in Mäusen transplantiert, in denen man künstlich Diabetes erzeugt hatten. Die implantierten Zellen glichen den Insulinmangel in den Tieren weitgehend aus (Soria et al. 2001).
In einem anderen Ansatz wurde aus embryonalen Stammzellen der Maus eine Subpopulation isoliert, die ein für neuronale Stammzellen charakteristisches Gen
exprimiert. Diese Subpopulation wurde in fünf Schritten zu Langerhans-Inseln ähnlichen Strukturen differenziert. Diese inselartigen Zellaggregate wurden diabetischen Mäusen implantiert und konnten sich zwar im Pankreas-Gewebe integrieren,
die Krankheitsymptome der Tiere jedoch nicht ausgleichen (Lumelsky et al. 2001).
Bei Untersuchungen von humanen embryonalen Stammzellen in Kultur hat man
beobachtet, dass 2-3 % der Zellen in den so genannten Embryoidkörperchen spontan einige der für Beta-Inselzellen charakteristischen Gene exprimieren, also möglicherweise spontan zu Inselzellen differenzieren (Schuldiner et al. 2000; Assady et
al. 2001). Diese spontan differenzierten Zellen antworten auf eine Erhöhung der
Glukosekonzentration im Medium mit einer Insulinausschüttung (Assady et al.
2001). Ein Faktor, der für eine gezielte Differenzierung zu Beta-Inselzellen wichtig
zu sein scheint, ist der Nervenwachstumsfaktor, NGF (Nerve Growth Factor)
(Schuldiner et al. 2000).
5.3.4
Zusammenfassung und Ausblick
Der Diabetes mellitus ist die häufigste Stoffwechselkrankheit der Welt. Zurzeit befinden sich zahlreiche Ansätze in der Entwicklung, die darauf abzielen, durch eine
physiologische Regulierung des Blutzuckerspiegels den schwerwiegenden Spätfolgen des Diabetes vorzubeugen und zugleich eine Verbesserung der Lebensqualität
der Patienten zu erreichen, indem sie von regelmäßigen Insulininjektionen unabhängig werden. Über viele Jahre wurden auch zelltherapeutische Ansätze verfolgt,
ohne jedoch eine dauerhafte Insulinunabhängigkeit bewirken zu können. Dies
scheint nun vor zwei Jahren erstmals gelungen zu sein.
Mit diesen Erfolgen erhöht sich die Notwendigkeit, Insulin produzierende Zellen
aus anderen Quellen als gespendeten menschlichen Bauchspeicheldrüsen für die
Therapie zu erschließen. Hierfür kommen grundsätzlich menschliche adulte
Stammzellen, wie sie offenbar im Ganggewebe von Bauchspeicheldrüsen vorkommen, als auch menschliche embryonale Stammzellen in Betracht. Bislang ist es gelungen, in vitro Insulin produzierende Zellen aus adulten menschlichen Stammzellen sowie aus Maus-ES-Zellen abzuleiten. Es ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten, an Tiermodellen zu prüfen, inwieweit auf diese Weise gewonnene Insulin
produzierende Zellen in vivo physiologisch aktiv sind. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entschieden werden, welcher der eingeschlagenen Wege am ehes-
91
ten zu den Langerhans-Inseln ähnlichen Zellverbänden führen wird, die wahrscheinlich für eine effiziente Zelltherapie notwendig sind.
5.4
Erkrankungen und Schädigungen des Zentralnervensystems
Auf Grund der Komplexität des betroffenen Organs ist die Genese bei den meisten
Krankheiten des zentralen Nervensystems kaum verstanden. Eine auf Dauer wirksame, medikamentöse Behandlung ist oft schwierig oder unmöglich. Da das Zentralnervensystem für die kognitiven Leistungen des Menschen verantwortlich ist
und als Kontrollorgan für die Steuerung zahlreicher Körperfunktionen dient, sind
die Erkrankungen oft von einem für den Patienten und seine Umgebung sehr belastenden Ausmaß. Viele der Krankheiten des Zentralnervensystems sind altersbedingt
und erfordern einen hohen Pflegeaufwand über Jahre, so dass in den hochentwickelten Industrienationen durch die steigende Lebenserwartung enorme Kosten für
das Sozialsystem entstehen. Multiple Sklerose oder die Querschnittslähmung wiederum können junge Menschen für die Dauer ihres Lebens betreffen und nebst Erwerbsausfällen eine intensive Pflege nötig machen (s. auch Kap. 5.7).
Mit Hilfe von Therapien, die auf Zellersatz basieren, hofft man die durch die Degeneration oder Verletzung verloren gegangenen Nervenzellen und die sie umgebenden Stützzellen, die sogenannten Gliazellen, dauerhaft zu ersetzen. Dafür kommen
prinzipiell differenzierte Zellen, teilweise differenzierte Vorläuferzellen oder gänzlich undifferenzierte Zellen für eine Therapie in Betracht. Die beiden letztgenannten
Differenzierungsstadien müssten durch die Umgebung, in die sie transplantiert werden, instruiert werden, in welchen Zelltyp sie differenzieren sollen. Ein anderer
konzeptioneller Ansatz zur Therapie beruht darauf, dass man die organspezifischen
Stammzellen oder auch die differenzierten Zellen im Gewebe durch die Gabe von
Wachstumsfaktoren zu stimulieren und vor Degeneration zu schützen versucht
(Rossi et al. 2002). In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, was erst
seit Mitte der 1990er Jahre bekannt ist: dass alle Säugetiere, auch der Mensch, neuronale Stammzellen besitzen, die an wenigen definierten Stellen im Gehirn und Rückenmark vorkommen, über lange Strecken im Gewebe wandern können und ein
breites Differenzierungsspektrum besitzen (Gage 2000, s. auch Kap. 4.6.1.5). Ihre
physiologische Funktion ist noch nicht vollständig geklärt. Man hat beobachtet,
dass eine Verletzung im Zentralnervensystem zu einer Vermehrung der Stammzellen und einer Wanderung von Zellen an die Schadensstelle und dort zur Bildung
von Gliazellen bzw. Astrozyten führt (Johansson et al. 1999). Weitere Erkenntnisse
über das Differenzierungsverhalten adulter Stammzellen des zentralen Nervensystems wurden durch (Praag et al. 2002; Song et al. 2002b; Song et al. 2002a) erarbeitet. Die Erkenntnis, dass das Nervensystem des Menschen nicht, wie lange angenommen, eine Struktur mit festgelegter Zellzahl ist, sondern einen gewissen Grad
92
von Regenerationsfähigkeit und Plastizität auf zellulärem Niveau besitzt, wird für
die Entwicklung therapeutischer Ansätze von großer Wichtigkeit sein.
Im folgenden werden Erkrankungen des Zentralnervensystems dargestellt, für die
Forschungsergebnisse unter Verwendung von Stammzellen publiziert wurden. Die
Parkinson'sche Krankheit wird besonders ausführlich besprochen, da es sich dabei
um die Erkrankung des Zentralnervensystems handelt, bei deren Behandlung bereits
seit etwa 15 Jahren Zelltransplantate verwendet werden. Die aus den zahlreichen
Tierstudien, aber auch aus wenigen klinischen Versuchen gewonnenen Erfahrungen
geben einen Eindruck davon, was es bedeutet, eine Zelltherapie für eine Erkrankung
im zentralen Nervensystem zu entwickeln. Neben den hier ausführlicher berücksichtigen Krankheiten sind auch andere Krankheiten wie z. B. Schlaganfall, die
Huntington'sche Krankheit, amyotrophe Lateralsklerose sowie Muskeldystrophie
Duchenne (Gussoni et al. 1999; Qu-Petersen et al. 2002) Ziele einer Stammzelltherapie.
5.4.1
Parkinson'sche Krankheit
5.4.1.1
Krankheitsbild und bisherige Therapie
Die Parkinson'sche Krankheit ist eine degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems, die meist nach dem 50. Lebensjahr in Erscheinung tritt. Zu den Symptomen gehören: Zittern der Hände, Schwierigkeiten, willentliche Bewegungen auszuführen, eine zunehmende Versteifung des Körpers und Bewegungsschwierigkeiten.
Die Parkinson'sche Krankheit stellt ein sehr attraktives Ziel für die Behandlung
durch eine Zelltherapie dar, da ein bestimmter Typus von Nervenzellen an einer eng
umschriebenen Stelle im Gehirn betroffen ist. Man kann zwar den Botenstoff, Dopamin, der durch die Degeneration der Nervenzellen nicht mehr ausreichend zur
Verfügung gestellt wird, für eine gewisse Zeit durch die Gabe eines Medikaments
ausgleichen. Auf die Dauer verliert das Medikament aber seine Wirksamkeit und
unerwünschte Nebenwirkungen stellen sich ein. Dies spiegelt die Tatsache wider,
dass es sehr schwierig ist, über einen längeren Zeitraum die sehr fein kontrollierte
Freisetzung eines Botenstoffs im Gehirn durch die Gabe eines Medikaments zu
imitieren.
5.4.1.2
Transplantation von fetalen Zellen
Man hat schon seit Beginn der 1980er Jahre versucht, Zelltransplantate zur Therapie
von Parkinsonpatienten zu verwenden. Die im Tiermodell erfolgreichste Methode,
93
nämlich die der Transplantation von fetalen neuralen Vorläuferzellen wird seit 1987
auch an Menschen erprobt (Freed 2002); bislang sind mehr als 300 Patienten auf
diese Weise behandelt worden (Borlongan et al. 2002). Hierfür werden die erforderlichen Zelltransplantate aus den Gehirnanlagen von menschlichen Embryonen
oder Feten isoliert, die spontan abgehen oder abgetrieben werden (s. auch
Kap. 4.6.1.4). Ihre Nutzung ist ethisch und rechtlich problematisch25. Ergebnisse,
die mit dieser Therapie bei einer begrenzten Zahl von Patienten in einer Reihe von
kleinen klinischen Studien gewonnen wurden, bei denen Arzt und Patienten die
Behandlung bekannt war, waren sehr variabel in der erzielten Verbesserung, aber
dennoch ermutigend (Dunnett et al. 2001). Es ließen sich daraus folgende Schlüsse
ziehen: Man braucht für eine erfolgreiche Therapie die Primärzellen von 7-8
menschlichen Feten. Deshalb kommt diese Zellmaterialquelle für die Behandlung
einer größeren Patientenzahl nicht in Betracht. Die Standardisierung der verwendeten Zelltransplantate ist nicht gegeben und damit die Vergleichbarkeit zwischen
Studien eingeschränkt. Die transplantierten Zellen können sich im Hirn des Empfängers integrieren, bis zu 70 % der normalen Aktivität entfalten und langfristig
eine medikamentöse Behandlung weitgehend ersetzen. Der Therapieerfolg muss
über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr, besser zwei Jahren bewertet werden (Dunnett et al. 2001).
Weil die beobachteten therapeutischen Effekte nach Zelltransplantation jedoch nicht
eindeutig von Placeboeffekten (de la Fuente-Fernández et al. 2002) abgrenzbar waren, genehmigten die US-amerikanischen National Institutes of Health Mitte der
1990er Jahre zwei Doppelblindstudien, die eine objektive Bewertung der erzielten
Heilungserfolge ermöglichen sollten. In beide Studien waren als Kontrollgruppe
Patienten eingeschlossen, die anstelle eines Zelltransplantats eine Scheinoperation
erhielten. Die erste dieser Studien, die 40 Patienten umfasste, wurde 2001 nach
einem Kontrollzeitraum von einem Jahr publiziert. Nach Bewertung des Zustandes
durch die Patienten selbst waren keine statistisch signifikanten Verbesserungen in
der Gruppe der mit Zellen behandelten Patienten festzustellen. Nach einer von den
Patienten unabhängigen Bewertung wurde eine leichte Verbesserung bei zwei neurologischen Tests erzielt. 15 % der behandelten Patienten entwickelten jedoch
starke Bewegungsstörungen (Freed et al. 2001). Die Ursache liegt möglicherweise
25 In aller Kürze seien als ethische und rechtliche Probleme genannt: die Frage, von wem die informierte Zustimmung zur Gewebeentnahme beim Embryo bzw. Fetus eingeholt werden muss; die
Frage, inwieweit beim Notstand einer Abtreibungssituation die betroffene Frau überhaupt als
einwilligungsfähig gelten kann; die Frage, wie die Unabhängigkeit der Entscheidung für einen
Schwangerschaftsabbruch und der Einwilligung der Gewebeentnahme beim Embryo bzw. Fetus
gewährleistet werden kann; die bei der Entnahme noch lebenden Hirngewebes relevante Frage,
auf Grund welcher Kriterien der Embryo bzw. Fetus, dem das Gewebe entnommen wird, zum
Zeitpunkt der Gewebeentnahme als tot gelten kann; die Frage, inwieweit sich durch die Praxis,
Embryonen und Feten als Lieferanten von Gewebe für Forschungs- und Therapiezwecke zu nutzen, das Bild in der Gesellschaft von menschlichen Embryonen, Feten und schwangeren Frauen
wandelt. Zur weiteren Diskussion dieser Aspekte s. auch Kapitel 7 und 8; zur ausführlichen Diskussion s. Hüsing et al. (2001) und Engels (2000).
94
in der fehlerhaften Integration der transplantierten Zellen oder in einer zu großen
Ausschüttung von Dopamin. Das Auftreten dieser sehr schwerwiegenden Nebenwirkungen stellt einen Rückschlag bei der Entwicklung einer Zelltherapie für die
Parkinson'sche Krankheit dar, da dadurch die Frage aufgeworfen wird, ob es überhaupt möglich sein wird, eine Zelltherapie für die Parkinson'sche Krankheit zu entwickeln. In der Fachwelt ist jedoch umstritten, wie diese Nebenwirkungen zu bewerten sind, denn diese Studie weicht im verwendeten Transplantationsprotokoll, in
ihrem kurzen Bewertungszeitraum und in der Art des verwendeten Bewertungsprotokolls von den bisherigen Studien ab, was einen Vergleich mit den letzteren
schwierig macht.
Um zusätzliche Daten zur Bewertung dieser erheblichen Nebenwirkungen zu erhalten, wurden weitere 14 Patienten, die in den letzten 11 Jahren nach verschiedenen Protokollen fetale Nervenzelltransplantate erhalten hatten, retrospektiv auf das
Auftreten von Bewegungsstörungen untersucht. Dabei zeigte sich, dass in dieser
Patientengruppe zwar eine Zunahme der Bewegungsstörungen zu verzeichnen war,
diese jedoch mäßig ausfielen. Nur einer der 14 untersuchten Patienten zeigte
schwere Bewegungsstörungen. Es konnte jedoch keine Korrelation zwischen der
Schwere der Bewegungsstörungen und der Innervierung des Transplantats festgestellt werden, woraus die Autoren schlussfolgern, dass eine übermäßige Ausschüttung von Dopamin durch das Transplantat wahrscheinlich nicht als Ursache für die
Bewegungsstörungen in Frage kommt (Hagell et al. 2002). Als mögliche Ursache
könnte auch eine abnormale Reaktion des Patientengehirns auf Dopamin in Betracht
gezogen werden (Bradbury 2002).
Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse der zweiten Doppelblindstudie, die
von der Arbeitsgruppe um Thomas Freeman durchgeführt wird und sich mehr an
die früheren Protokolle anlehnt, mit Spannung erwartet. Sie sollen im Verlaufe des
Jahres 2002 publiziert werden (Bradbury 2002).
5.4.1.3
Transplantation embryonaler Stammzellen
Da abgetriebene bzw. spontan abgehende menschlichen Embryonen und Feten als
Zellmaterialquelle ethisch problematisch sind und auch allein aus logistischen
Gründen für die Therapie einer größeren Zahl von Patienten nicht in Betracht kämen, wird untersucht, ob sich embryonale Stammzellen zu Zelltransplantaten differenzieren lassen, die den fetalen Transplantaten zumindest gleichwertige Effekte
bewirken. Im Tierversuch sind bereits erste ermutigende Ergebnisse mit der Transplantation von embryonalen Stammzellen der Maus erzielt worden. Sie konnten
sich in der betroffenen Hirnregion von 14 von insgesamt 25 Ratten, die ein Modell
für die Parkinson'sche Krankheit darstellen, ansiedeln und differenzierten dort zu
Dopamin erzeugenden Neuronen. Die beobachtete Symptomverbesserung lässt darauf schließen, dass die transplantierten Zellen funktionell aktiv sind (Björklund et
al. 2002). Allerdings fielen die beobachteten symptomatischen Verbesserungen ge-
95
ringer aus, als sie normalerweise erzielt werden, wenn man fetale Nervenzellen
transplantiert. Zudem entwickelten sich die transplantierten embryonalen Stammzellen bei 5 der insgesamt 25 getesteten Ratten zu tödlichen Hirntumoren (Vogel
2002), und bei 6 der Ratten überlebten die transplantierten Zellen nicht (Freed
2002).
In einem anderen experimentellen Ansatz wurde ein spezielles Differenzierungsprotokoll entwickelt, das es ermöglichte, von embryonalen Stammzellen der Maus
effizienter als bisher neuronale Vorläuferzellen sowie Nervenzellen abzuleiten, die
Dopamin produzierten. Diese differenzierten Zellen wurden in das Gehirn von Ratten transplantiert, die ein Modell für die Parkinson'sche Krankheit darstellen. Physiologische und anatomische Untersuchungen belegten, dass sich die Zellen im Gehirn der Ratten ansiedelten und Dopamin produzierten. Verschiedene Verhaltenstests zeigten zudem eine Verringerung bestimmter Parkinson-Symptome in den
behandelten Ratten. Eine Tumorbildung wurde im Untersuchungszeitraum von bis
zu 8 Wochen nicht beobachtet, ein tumorigenes Potenzial der verwendeten Zelltransplantate kann aber auf der Basis der bislang durchgeführten Experimente nicht
ausgeschlossen werden. Weitere Studien in Nagern und nicht-humanen Primaten
müssen sich anschließen, um Wirksamkeit und Sicherheit dieses Therapieansatzes
weiter zu überprüfen (Kim et al. 2002).
Die Vorteile einer Therapie mit embryonalen Stammzellen gegenüber fetalen Zellen
liegen vor allem in der Möglichkeit, embryonale Stammzellen in großer Menge und
in standardisierten Verfahren durch Zellkultur herzustellen, was den Rückgriff auf
fetaler Gewebe mit variabler Qualität, für dessen Gewinnung eine große Anzahl von
menschlichen Feten benötigt werden, unnötig macht. Dennoch bleibt zu klären,
welche Differenzierungsstadien die optimalen sind, wie man vermeidet, dass die
embryonalen Stammzellen zu gewebsfremden Zellen differenzieren und dass sie
Teratome (meist gutartige Tumore) bilden und wie das menschliche Immunsystem
auf die Transplantation von embryonalen Zellen im zentralen Nervensystem reagiert. Diese Abklärungen würden noch eine große Zahl von Studien im Tier und
weitere, sorgfältig kontrollierte Patientenstudien erfordern, die schwierige ethische
Fragen wie die Durchführung von Scheinoperationen, langfristige Bewertungszeiträume und die Irreversibilität der Behandlung und der mit ihr möglicherweise einhergehenden Nebenwirkungen aufwerfen.
5.4.1.4
Stimulation adulter Stammzellen
Wie eingangs erwähnt, haben die neuen Erkenntnisse über die Regenerationsfähigkeit, d. h. das Vorhandensein von organspezifischen Stammzellen im Zentralnervensystem dazu geführt, dass Forschungsansätze vermehrt verfolgt werden, die darauf abzielen, die körpereigenen Regenerationsvorgänge zu stimulieren. Als Beispiel
kann der Wachstumsfaktor TGFα (transforming growth factor α) dienen. Dieser
Faktor ist in der frühen Embryonalentwicklung vorhanden, und es ist bekannt, dass
96
er bei Regenerationsvorgängen in der Leber und der Haut eine wichtige Rolle spielt.
Erzeugt man in der Maus durch die Gabe eines Gifts künstlich eine Parkinson-ähnliche Erkrankung und gibt gleichzeitig TGFα, so stimuliert man die Teilung der
neuronalen Stammzellen und kann beobachten, wie diese in das durch das Toxin
zerstörte Gebiet einwandern. Die Zellen haben also offenbar Signale erhalten, die
sie dort hinwandern lassen, wo sie gebraucht werden (Fallon et al. 2000). Untersucht man die behandelten Tiere auf die Verhaltensstörungen, die durch den Verlust
der Neuronen ausgelöst wurden, so kann man nach der TGFα-Stimulation eine
deutliche Verbesserung feststellen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass es nicht geklärt
ist, ob die neu eingewanderten Zellen die bereits vorhandenen Zellen vor weiterer
Degeneration schützen, oder ob die beobachteten Verbesserungen tatsächlich auf
der funktionellen Integration neuer Zellen beruhen.
5.4.2
Alzheimer'sche Krankheit
Die Alzheimer'sche Krankheit ist die häufigste Form von Demenz (s. Kap. 5.7.4.4).
Sie ist gekennzeichnet durch einen fortschreitenden und umfassenden Verlust der
geistigen Fähigkeiten. In ihrem Verlauf degenerieren vor allem die Nervenzellen in
der Großhirnrinde und im Hippocampus. Die betroffenen Hirnareale atrophieren
und weisen pathologische Proteinablagerungen auf. Die Wahrscheinlichkeit, an
Alzheimer zu erkranken, steigt mit zunehmendem Lebensalter deutlich an: während
3 % der 65- bis 74-jährigen an der Krankheit leiden, schätzt man die Häufigkeit bei
den über 85-jährigen auf 50 %. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Einsetzen der Krankheit beträgt 8-10 Jahre. Im fortgeschrittenen Zustand bedürfen die
Patienten einer sehr intensiven Pflege, die von den Angehörigen alleine meist nicht
mehr zu bewältigen ist.
Es gibt keine effiziente Therapie, die auf Dauer die Symptome ausgleicht oder den
Verlust der Nervenzellen eindämmt. Die Behandlung mit Medikamenten, die den
durch das Absterben eines Nervenzelltyps bedingten Verlust des neuronalen Botenstoffs Acetylcholin ausgleichen sollen, ist nur von sehr begrenzter Wirksamkeit.
Die Amyloid-Hypothese besagt, dass die Krankheit durch die Proteinablagerungen,
die sogenannten Amyloidplaques verursacht wird. Auf Grund dieser Hypothese
werden Wirkstoffe gesucht, die die Enzyme selektiv hemmen, die an der Bildung
der Proteinablagerungen beteiligt sind (Olson et al. 2001; Taylor et al. 2002).
Aus therapeutischer Sicht wäre es wünschenswert, den Verlust der Neuronen dauerhaft durch einen Zellersatz kompensieren zu können. Die größte Schwierigkeit
der Anwendung einer Zelltherapie liegt jedoch darin, dass im Gegensatz zur Parkinson'schen Krankheit unterschiedliche Neurone in verschiedenen Hirnarealen betroffen sind. Daraus folgt, dass es nicht genügt, neuronale Vorläuferzellen gezielt in
eine Hirnregion einzubringen, sondern dass man eine korrekte Differenzierung und
97
eine stabile und funktionelle Integration der implantierten Zellen an vielen Stellen
erreichen und kontrollieren muss. Dies ist operativ nur schwer möglich. Bemerkenswerterweise beobachtet man im Tiermodell, dass Vorläuferzellen des Nervensystems, die sich von humanen embryonalen Stammzellen ableiten, nach lokal begrenzter Transplantation in verschiedene Hirnregionen einwandern und sich dort
integrieren können; inwieweit sie dort auch funktionell sind, bleibt noch zu klären
(Reubinoff et al. 2001; Zhang et al. 2001).
5.4.3
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose ist eine lebenslang fortschreitende, entzündliche Erkrankung des
zentralen Nervensystems mit variablem Verlauf und Schweregrad. Sie betrifft vor
allem junge Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Die Ursachen dieser
Autoimmunerkrankung sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Es kommt während
Krankheitsschüben zu vielen ( = multiplen) Entzündungen an verstreut liegenden
Stellen des Gehirns und des Rückenmarks, die im Verlauf der Krankheit auch vernarben (sklerosieren) können. Durch die Entzündungen werden die Myelinscheiden
angegriffen. Die Myelinscheiden umhüllen die Fortsätze der Nervenzellen und isolieren sie elektrisch. Auf diese Weise sorgen sie für eine effiziente Informationsübertragung. Die Folge der Zerstörung der Myelinscheide sind je nach Lokalisation
der Entzündungen sehr unterschiedlich schwere Funktionsausfälle, wie Erblindung,
Gleichgewichtsverlust und Lähmungserscheinungen. Anfangs kann der durch die
Entzündung verursachte Schaden durch körpereigene Regenerationsvorgänge teilweise ausgeglichen werden, aber auf die Dauer überwiegt der schädigende Entzündungsprozess.
Die Myelinscheiden werden von den Oligodendrozyten gebildet, die zu den Gliazellen zählen. Es ist gelungen, embryonale Stammzellen der Maus zu Vorläuferzellen für Gliazellen zu differenzieren. Diese Vorläuferzellen wurden in die Hirnventrikel von fetalen Ratten transplantiert, die an einem ausgedehnten Mangel an
Myelinscheiden leiden. Damit stellen sie ein Modell für eine ähnliche menschliche
Erbkrankheit, Pelizaeus-Merzbacher, dar. An diesen Ratten konnte beobachtet
werden, dass die transplantierten Zellen in das Gehirn einwanderten und an vielen
verschiedenen Stellen um die Fortsätze der Nervenzellen neue Myelinscheiden
gebildet haben, ohne dass es dabei zur Tumorbildung gekommen wäre (Brüstle et
al. 1999). Um eine Tumorbildung ganz auszuschließen, sind jedoch noch längere
Beobachtungszeiträume als die der vorliegenden Studie nötig. Außerdem wurde die
Arbeit an fetalen Ratten durchgeführt, während Multiple Sklerose eine Erkrankung
des Erwachsenen ist, die mit zunehmendem Lebensalter fortschreitet. Deshalb
kommt dieser Untersuchung zwar Modellcharakter zu, doch hat sie noch keine
Relevanz für die Behandlung von Multipler Sklerose.
98
Eine zweite Studie hat gezeigt, dass man embryonale Stammzellen der Maus in
vitro zu Myelin-bildenden Oligodendrozyten differenzieren kann. Nach
Transplantation in adulte Ratten können diese Oligodendrocyten künstlich
demyelinisierte Axone mit einer neuen Myelinschicht umgeben (Liu et al. 2000).
Was eine Behandlung beim Menschen betrifft, könnte man hoffen, vor allem
Schäden nahe der Transplantationsstelle auf eine ähnliche Weise auszugleichen.
Man muss jedoch berücksichtigen, dass die transplantierten Zellen erneut Opfer der
durch Autoimmunreaktionen bedingten Entzündungen werden könnten. Es ist bis
jetzt nicht gelungen, diese Autoimmunreaktionen dauerhaft medikamentös zu
behandeln, und auch Versuche durch Stammzelltherapie, die Autoimmunreaktion
zu eliminieren, haben sich bislang als sehr schwierig und riskant für den Patienten
herausgestellt (Tyndall et al. 2001, s. auch Kap. 5.6).
5.4.4
Querschnittslähmung
Die Verletzung, die der Querschnittslähmung zu Grunde liegt, ist eine partielle oder
vollständige Durchtrennung des Rückenmarks, das in die Wirbelsäule eingebettet
ist. Der Grad der Verletzung und die Lokalisation der Verletzungsstelle bestimmen
Schwere und Ausdehnung der Lähmungserscheinungen.
Bei einem vollständig durchgetrennten Rückenmark bestehen im Bereich des Zentralnervensystems keine therapeutischen Möglichkeiten, und auch der Einsatz von
Stammzellen wird nicht zum Zuge kommen können. Bei einer partiellen Durchtrennung gibt es jedoch verschiedene Ansätze, um die Verletzungsstelle zu überbrücken und die Nervenfasern zur Regeneration ihrer Fortsätze zu stimulieren (Schwab
2002). Aus Tierexperimenten und aus Studien mit Patienten weiß man, dass das
zentrale Nervensystem sehr plastisch ist und mit einer relativ geringen Zahl von
Neuronen schon erstaunliche viel Funktionsausfälle kompensieren kann (Raineteau
et al. 2001). Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass als direkte oder indirekte Folge
der Verletzung des Rückenmarks die gesamte Gewebearchitektur zerstört wird und
eine Vielzahl verschiedener Zellen, unter ihnen Nervenzellen, aber auch die zu den
Gliazellen zählenden Astrozyten und Oligodendrozyten, verloren gehen und eine
Narbenbildung stattfindet (Dumont et al. 2001). Es wird kaum möglich sein, diesen
umfassenden Verlust allein durch eine Zelltherapie zu kompensieren, da es erforderlich sein dürfte, Narbengewebe zu entfernen, Ödeme und flüssigkeitsgefüllte
Cysten zu leeren, Lücken mit Zelltransplantaten aufzufüllen und Oberflächen als
Orientierung und Wachstumsstimulans bereitzustellen, an denen entlang ein
Wachstum des neuen Nervengewebes erfolgen kann (Olson 2002). Einen Überblick
über mögliche künftige Therapieansätze bei Verletzungen des Rückenmarks gibt
Tabelle 5.1. Daher wird man verschiedene Therapieansätze miteinander kombinieren müssen, um überhaupt signifikante therapeutische Effekte erzielen zu können.
99
Um "Lücken mit Zelltransplantaten aufzufüllen", hat man Ratten nach einer Rückenmarksverletzung in vitro differenzierte embryonale Stammzellen der Maus
transplantiert, die zu Neuronen und Gliazellen differenzierten und in das Gewebe
einwanderten. Die transplantierten Zellen bewirkten Funktionsverbesserungen. Es
konnte noch nicht geklärt werden. ob diese direkt auf eine funktionelle Integration
der Zellen oder einen indirekten protektiven Effekt zurückzuführen sind (McDonald
et al. 1999).
Tabelle 5.1:
Übersicht über mögliche künftige Therapieansätze bei Rückenmarksverletzungen
Therapeutische
Substanz
Wirkungsmechanismus
Entwicklungsstadium
Chondroitinase
ABC
Entfernung von narbigem Gewebe, dadurch Unterstützung des Nervenfaserwachstums
Tierversuche
Nogo-Antikörper
Bindet an den neuronalen Wachstumsinhibitor Nogo
und blockiert dadurch seine Aktivität
Tierversuche
Nogo-Peptid
Blockiert die Aktivität des neuronalen Wachstumsinhibitors Nogo am Nogo-Rezeptor
Tierversuche
Cyclisches AMP Blockiert die Aktivität von Wachstumsinhibitoren,
wenn es in Nervenzellen des Rückenmarks injiziert
wird
Tierversuche
Olfactory ensheathing cells
Bilden eine Brücke, die das Einwachsen von Nervenzellen in die Verletzungsstelle unterstützen
Tierversuche
Stromazellen
des Rückenmarks
Überbrückung der Verletzungsstelle
Tierversuche
Fetales Rücken- Überbrückung der Verletzungsstelle und Förderung
des Nervenzellwachstums
marksgewebe
und Proteinwachstumsfaktoren
Tierversuche
Fampridine (4Aminopyridin)
Blockiert Kaliumkanäle; verbessert die Funktion verletzter Nervenzellen, indem Leckströme verringert
werden
Klinische Prüfungen laufen
Methylprednisolon
Steroid; hemmt Entzündungsprozesse, die das Rückenmark schädigen würden
Klinische Prüfungen abgeschlossen. Therapiestandard
Quelle: Wickelgren 2002
100
Darüber hinaus wurde kürzlich gezeigt, dass die Verabreichung des bakteriellen
Enzyms Chondroitinase ABC an die Verletzungsstelle die Regeneration der Nervenfasern unterstützen kann, ohne jedoch eine vollständige Heilung bewirken zu
können (Bradbury et al. 2002). Als Wirkungsmechanismus wird angenommen, dass
dieses Enzym – ähnlich wie eine Machete im unwegsamen Gelände (Olson 2002) –
den wachsenden Nervenzellen das Durchdringen des zerstörten Gewebes und damit
das Einwachsen in die Verletzungsstelle erleichtert.
5.4.5
Zusammenfassung und Ausblick
Die meisten Erkrankungen und Schädigungen des zentralen Nervensystems sind
sehr schwerwiegende Erkrankungen, die bislang nur unzureichend therapiert werden können. Vor diesem Hintergrund erscheinen zelltherapeutische Ansätze sehr
attraktiv, da sie darauf abzielen, die geschädigten bzw. zerstörten Nervengewebe
und -zellen durch intakte zu ersetzen. Bislang musste man auf Nervengewebe aus
menschlichen Embryonen oder Feten nach Abtreibung oder Fehlgeburt oder aber
auf tierliche Zellen zurückgreifen, was beides sehr problematisch ist. Durch die
Erkenntnis, dass auch adulte Nervengewebe Stammzellen enthalten und zu einer
gewissen Regeneration fähig sein müssten und zudem menschliche embryonale
Stammzell-Linien etabliert werden konnten, hat dieses Forschungsgebiet neue Impulse erhalten. Unter Nutzung von Stammzellen sind verschiedene Therapiekonzepte denkbar:
(1)
die Regeneration geschädigter Nervengewebe, indem adulte Stammzellen des
zentralen Nervensystems in situ zur Vermehrung und Differenzierung angeregt werden,
(2)
die Isolierung adulter Stammzellen (z. B. aus Nervengewebe Verstorbener,
aus Blut-Stammzellen oder anderen Quellen), ihre Vermehrung und (Trans)Differenzierung in vitro zu geeigneten Zelltypen des Nervensystems und deren Transplantation,
(3)
die Differenzierung von embryonalen Stammzellen zu geeigneten Zelltypen
des Nervensystems und deren Transplantation,
(4)
die direkte Transplantation embryonaler Stammzellen und deren anschließende in vivo/in situ-Differenzierung zu geeigneten Zelltypen des Nervensystems.
Die experimentelle Erprobung dieser Konzepte befindet sich noch in einem frühen
Stadium. Bisher sind erste orientierende Tierversuche mit adulten und embryonalen
Stammzellen der Maus durchgeführt worden, die nahe legen, dass die hier genannten Therapiekonzepte prinzipiell machbar sein könnten. Beim gegenwärtigen
Kenntnisstand kann nicht entschieden werden, ob die Therapiekonzepte gleichwertig sind oder sich einzelne als besser geeignet als andere erweisen werden – generell
oder auch spezifisch in Abhängigkeit von der zu behandelnden Krankheit. Noch
101
ungelöst sind darüber hinaus die effiziente, gezielte und vollständige Differenzierung der Stammzellen zu den gewünschten Zell- und Gewebetypen, das Verhindern
einer Differenzierung zu nicht gewünschten Zell- und Gewebetypen, das Verhindern der Tumorbildung sowie die Kontrolle einer allfälligen Abstoßungsreaktion.
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass es bisher – auch unter Verwendung anderer
Zellquellen als Stammzellen – keine etablierten Zelltherapien für Erkrankungen des
zentralen Nervensystems gibt. Die umfassendsten Erfahrungen liegen für die Parkinson'sche Krankheit vor, für die Zelltherapien mit fetalen Zellen an etwa
250 Patienten erprobt wurden, die Überlegenheit der Zelltherapien gegenüber medikamentöser Therapie bislang aber nicht schlüssig gezeigt werden konnte.
In einem noch früheren Forschungsstadium befinden sich Untersuchungen mit
menschlichen Stammzellen: zum einen konnten neuronale Stammzellen aus adulten
und fetalem menschlichen Gewebe isoliert werden. Zum anderen wurde für
menschliche embryonale Stammzellen gezeigt, dass sie in vitro zu bestimmten Zellen des zentralen Nervensystems differenzierbar sind.
5.5
Koronare Herzerkrankungen
Kommt es zu einer vorübergehenden oder dauerhaften verminderten Blutversorgung des Herzmuskels auf Grund von Durchblutungsstörungen in den Herzkranzgefäßen, den so genannten Koronararterien, spricht man von einer koronaren Herzerkrankung.
Beim Herzinfarkt blockiert ein Blutgerinnsel dauerhaft ein Herzkranzgefäß, und der
Teil des Herzmuskels, der von diesem Gefäß versorgte wurde, stirbt ab. Das Blutgerinnsel kann sich auf Grund von krankhaften Veränderungen an der Gefäßwand, so
genannten arteriosklerotischen Ablagerungen entwickeln. Wenn diese aufbrechen,
kommt es zu Anlagerung von Blutplättchen, die wiederum zur Thrombusbildung
beiträgt. Es gibt sowohl eine genetische Disposition als auch durch Ernährung und
Lebensweise bedingte Risikofaktoren (Bluthochdruck, Übergewicht, Rauchen, erhöhter Cholesterinspiegel, Bewegungsmangel), die zur Entstehung eines Herzinfarkts beitragen. Herz- und Kreislauferkrankungen sind die wichtigsten Gründe von
Klinikaufenthalt und Tod in den westlichen Industrienationen (s. auch Kap. 5.7.5).
Zwar ist nach einem nicht tödlich verlaufenden Herzinfarkt eine Rehabilitation des
Patienten in gewissen Grenzen möglich. Ausgedehnte Schädigungen lassen sich
jedoch nicht mehr zurückbilden. Die Transplantation eines gesunden Spenderherzens ist eine sehr schwierige und belastende Operation, die auch auf Grund des
Mangels an Spenderorganen nur selten durchgeführt werden kann. In Anbetracht
dieser Situation wären Therapien wünschenswert, die zur Regeneration dieses lebenswichtigen Organs beitragen.
102
Eine Option besteht darin, intakte Zellen an den Infarktort zu transplantieren. Hierfür sind verschiedene Zelltypen in Betracht gezogen worden, darunter Fibroblasten,
Skelettmuskelzellen, primäre Herzmuskelzellkulturen, hämatopoetische Stammzellen sowie embryonale Stammzellen (Rosenthal et al. 2001).
5.5.1
Adulte Stammzellen
5.5.1.1
Untersuchungen im Tiermodell
Es ist nicht bekannt, ob adulte Stammzellen im Herzen von Mensch und Tier vorhanden sind. Es gibt aber eine neuere Arbeit, die belegt, dass sich die differenzierten Herzmuskelzellen des Menschen nach einem Herzinfarkt teilen können, ähnlich
wie in anderen Organen, die sich nach einer Verletzung regenerieren (Katz et al.
2001; Beltrami et al. 2001). Bei einer Herztransplantation werden dem Transplantat
häufig ähnliche Schädigungen zugefügt, wie sie auch bei einem Herzinfarkt auftreten: viele Herzzellen sterben in der Zeit ab, in der sich das Organ außerhalb eines
menschlichen Körpers befindet. Um Hinweise darauf zu erhalten, ob und wie teilweise geschädigte Herzen nach der Transplantation regenerieren, wurden acht
männliche Patienten untersucht, denen das Herz eines weiblichen Spenders transplantiert worden war. Es zeigte sich, dass 7-10 % der Zellen der weiblichen Herzen
das männliche Y-Chromosom aufwiesen. Dies zeigt, dass das transplantierte Herz
offenbar neue Zellen aus dem Transplantatempfänger rekrutieren und morphologisch ununterscheidbar in seine Strukturen integrieren kann (Quaini et al. 2002). Ob
es sich hierbei jedoch um herz-spezifische Stammzellen handelt, woher sie stammen, wie sie wandern und wie sie die Regeneration des Herzgewebes bewerkstelligen, ist noch nicht bekannt. Hierzu müssten diese Stammzellen zunächst isoliert
und ihr Proliferations- und Differenzierungspotenzial in vitro charakterisiert werden
(Seydel 2002).
Da bislang keine organspezifischen Stammzellen bekannt sind, hat man für therapeutische Experimente auf eine andere Gruppe von adulten Stammzellen zurückgegriffen, und zwar die des Blut bildenden Systems. Auf Grund der großen Plastizität
dieser Zellen ist es in verschiedenen Tiermodellen gelungen, den durch einen
künstlich herbeigeführten Herzinfarkt entstandenen Gewebeschaden partiell zu beheben: In der Maus hat man durch Abbinden einer Herzkranzarterie einen Infarkt
erzeugt und in die beschädigte Ventrikelwand Blutstammzellen injiziert. Diese
Zellen haben 68 % der Verletzungsstelle besiedelt und zur Bildung eines neuen
Herzmuskels beigetragen, d. h. sie haben sich zu den drei für die Regeneration
wichtigsten Zelltypen entwickelt: zu Herzmuskelzellen, zu Endothelzellen, die die
Gefäße bilden und zu Zellen der glatten Muskulatur, die die Gefäße umschließen.
103
Die Überlebensrate der mit Stammzellen behandelten Mäuse war gegenüber der
Kontrollgruppe erhöht (Orlic et al. 2001).
In einem ähnlichen Ansatz hat man Mäuse zunächst bestrahlt, um ihr eigenes Knochenmark zu zerstören, dann hat man den Tieren Blutstammzellen, die genetisch
markiert waren, transplantiert und 10 Wochen nach der Behandlung künstlich einen
Herzinfarkt erzeugt. Nur 26 % der so behandelten Tiere haben diesen massiven
Eingriff überlebt. Zwei bis vier Wochen nach dem Herzinfarkt hat man das beschädigte Herzgewebe dieser Tiere untersucht und konnte feststellen, dass sich die
transplantierten Zellen, die man auf Grund ihres genetischen Markers von den körpereigenen Zellen der Tiere unterscheiden konnte, in der beschädigten Region angesiedelt und dort Herzmuskel- und Endothelzellen gebildet hatten. Dies bedeutet,
dass der Gewebeschaden Zellen im Knochenmark mobilisiert hat, woraufhin sie in
die Verletzungsstelle eingewandert und dort zu gewebespezifischen Zellen transdifferenziert sind (Jackson et al. 2001).
Man konnte ebenfalls zeigen, dass sich auch menschliche Knochenmarkszellen, die
als Stammzellen für die Bildung neuer Gefäßen funktionieren, nach Injektion in die
Blutbahn im Herzen von Ratten mit einem künstlichen erzeugten Herzinfarkt angesiedelt, dort die vorhandenen Herzmuskelzellen vor Degeneration geschützt und zur
Bildung neuer Gefäße beigetragen haben. Die Besiedlung fand nicht statt, wenn das
Herzgewebe nicht zuvor beschädigt worden war oder wenn Kontrollzellen injiziert
wurden, die keine Stammzelleigenschaften besaßen (Kocher et al. 2001).
Interessanterweise wurde im Mausmodell gezeigt, dass hämatopoetische Stammzellen nicht nur an Regenerations- und Heilungsprozessen, sondern auch an krankhaften Veränderungen beteiligt sein können. In verschiedenen Modelltieren für Gefäßschädigungen, wie sie bei Arteriosklerose auftreten, differenzierten sich hämatopoetische Stammzellen zu Gefäßzellen und beteiligten sich an der Bildung arteriosklerotischer Plaques. Aus der näheren Untersuchung dieser Prozesse könnten sich
möglicherweise neue Ansatzpunkte für die Prävention und Therapie von Arteriosklerose ergeben (Sata et al. 2002).
5.5.1.2
Untersuchungen am Menschen
Das oben beschriebene Therapiekonzept, nach einem Herzinfarkt autologe Blutstammzellen zur Regeneration des Infarktgebietes zu transplantieren, wurde bereits
in einem Fall am Menschen erprobt: Sechs Tage, nachdem er einen Herzinfarkt
erlitten hatte, wurden einem 46-jährigen Patienten eigene, speziell aufbereitete
Knochenmarkszellen mittels Herzkatheter in diejenige Herzregion transplantiert, die
durch den Herzinfarkt geschädigt worden war. Zehn Wochen nach der Blutstammzelltransplantation hatte sich die Infarktnarbe deutlich verkleinert und die Herzleistung verbessert (Strauer et al. 2001). Ob die in diesem Einzelfall berichteten positi-
104
ven Effekte reproduzierbar sind und ursächlich auf die transplantierten Stammzellen
zurückzuführen sind, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
5.5.2
Embryonale Stammzellen
Wenn man die Aggregation der embryonalen Stammzellen des Menschen zu so
genannten Embryoidkörperchen in der Kultur fördert, fördert man zugleich auch
ihre Differenzierung zu unterschiedlichen Zelltypen. In den Embryoidkörperchen
finden sich auch die einem frühen Entwicklungsstand zuzuordnenden Herzmuskelzellen. Sie zeichnen sich aus durch eine charakteristische Morphologie, durch spezifische zelluläre Marker und durch ihre Fähigkeit zur Kontraktion. Elektrophysiologische Untersuchungen haben ergeben, dass sich diese Zellen beim Empfang von
hormonellen Signalen so verhalten, wie es ihrem Entwicklungsstadium entspricht
(Itskovitz-Eldor et al. 2000; Kehat et al. 2001). Der Test der Zellen auf ihre Funktionsfähigkeit im Organismus steht jedoch noch aus.
Der Test auf Funktionsfähigkeit wurde hingegen am Mausmodell für aus murinen
ES-Zellen abgeleiteten Cardiomyocyten bereits durchgeführt. Mäuse, denen ein
künstlicher Herzinfarkt zugefügt worden war, wurden aus murinen ES-Zellen abgeleitete Cardiomyocyten in die Infarktregion transplantiert. Die transplantierten
Zellen siedelten sich dort an, differenzierten sich weiter, erwiesen sich als physiologisch funktionsfähig, stellten die Kontraktilität des Herzmuskels partiell wieder her
und trugen zu einer Verbesserung der geschädigten Herzleistung bei. Darüber hinaus war die Überlebensrate bei den so behandelten Mäusen gegenüber der Kontrollgruppe mit einer Scheinoperation erhöht (Roell et al. 2002). Es wird angestrebt,
diese Experimente auch mit menschlichen embryonalen Stammzellen weiterzuführen, jedoch muss dafür erst die Erteilung einer Genehmigung für den Import entsprechender Zell-Linien nach Deutschland abgewartet werden.
5.5.3
Zusammenfassung und Ausblick
Zurzeit gibt es erste Hinweise darauf, dass auch das Herz organspezifische, adulte
Stammzellen enthält. Ihre Isolierung und Charakterisierung ist Gegenstand aktueller
Forschungsarbeiten. Zudem können Herzmuskelzellen offenbar durch Transdifferenzierung von menschlichen Blutstammzellen sowie durch Differenzierung von
menschlichen embryonalen Stammzellen erhalten werden. Dies eröffnet erstmals
die Möglichkeit, eine Herzregeneration nach Herzinfarkt mit Hilfe einer Zelltherapie zu unterstützen. Das Prinzip einer solchen Therapie wurde jüngst am Mausmodell demonstriert. Es kann momentan noch nicht beurteilt werden, welcher Stammzelltyp der für eine Therapie am Herzen erfolgversprechendste ist. Die aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Gewebezellen hätten den Vorteil, in großer Menge
und standardisierter Form zur Verfügung zu stehen. Die Blutstammzellen, falls sie
105
sich in ausreichender Menge für eine Therapie beim Menschen gewinnen ließen,
hätten den großen Vorteil, dass man auf autologe, d. h. patienteneigene Zellen zurückgreifen könnte und dadurch keine Probleme mit der Abstoßung hätte. Unabhängig davon, ob nun embryonale Stammzellen oder transdifferenzierte Blutstammzellen für die Entwicklung einer Therapie nach Herzinfarkt verwendet werden, müssen folgende Fragen sorgfältig beantwortet werden: Stimmen die eingewanderten Ersatzzellen in ihren physiologischen Eigenschaften so mit dem Zielgewebe überein, dass sie die verloren gegangenen Zellen auf Dauer störungsfrei ersetzen können? Welche Lebensdauer haben die eingewanderten Zellen? Wie repräsentativ sind die im Tiermodell erzielten Erfolge für eine Behandlung des Menschen? In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass ein möglichst
geringer zeitlicher Abstand zwischen Infarkt und Transplantation von Zellen für den
Regenerationserfolg im Tier ausschlaggebend ist. Dies müsste auch bei einer Therapie von plötzlich beim Menschen auftretenden Infarkten bedacht werden. Man
könnte zum Beispiel bei Risikopatienten eine autologe Blutstammzellreserve anlegen, um schnellstmöglich Zellen zur Transplantation zur Verfügung zu haben.
5.6
Autoimmunerkrankungen
Der menschliche Körper verteidigt sich gegen eindringende Krankheitserreger mit
Hilfe des Immunsystems. Die Grundlage einer funktionierenden Immunabwehr ist
die Fähigkeit des Immunsystems, die dem Körper eigenen zellulären Bestandteile
von denen fremder Organismen zu unterscheiden. Wenn das Immunsystem die Fähigkeit einbüßt, fremd und eigen zu unterscheiden und deshalb auch körpereigene
Gewebe angreift, entwickelt sich eine so genannte Autoimmunerkrankung. Es sind
eine Reihe von schweren Autoimmunerkrankungen beim Menschen bekannt, die je
nach dem Gewebe, gegen das sich die Autoimmunattacke richtet, unterschiedliche
Krankheitsverläufe aufweisen. Beispiele sind: Rheumatoide Arthritis, Typ-I-Diabetes, entzündliche Erkrankungen des Verdauungstrakts, Multiple Sklerose, und
Lupus erythematodes. Man hat keine eindeutige Erklärung, wie sich Autoimmunreaktionen entwickeln, man weiß aber, dass genetische Faktoren, Umwelteinflüsse,
hormonelle Effekte und bestimmte Infektionen zur Entwicklung einer Autoimmunerkrankung beitragen können (Cooper et al. 1998; Grossman et al. 2000).
Das Immunsystem des Menschen setzt sich aus zwei Klassen von Zellen, den so
genannten B-und T-Lymphozyten zusammen. Sie leiten sich von Blut bildenden
Stammzellen des Knochenmarks ab und weisen jeweils eine Reihe von Subtypen
auf. Die Immunantwort beruht auf der fein abgestimmten Reaktion verschiedener
T- und B-Zellen auf den eindringenden Krankheitserreger, so dass dieser und die
von ihm befallenen Zellen eliminiert werden. Die Abstimmung der Zellaktivitäten
erfolgt über die Ausschüttung von so genannten Zytokinen, Proteinen, die als Botenstoffe fungieren. Zentral dabei ist, dass eine möglichst große Zahl von T-und B-
106
Lymphozyten im Körper vorhanden sein muss, die in der Lage sind, möglichst viele
verschiedene fremde Molekülkombinationen, so genannte Antigene, erkennen zu
können. Gleichzeitig dürfen keine T- und B-Lymphozyten vorhanden sein, die mit
körpereigenen Gewebebestandteilen reagieren. Die hierzu notwendige, mehrstufige
Elimination von autoreaktiven B- und T-Zellen nennt man Toleranzinduktion.
Eine zentrale Rolle bei der Erkennung von fremden Antigenen spielt der so genannte "Major Histocompatibility Complex" (MHC), auch HLA genannte Komplex
von Zelloberflächenproteinen, der von Mensch zu Mensch eine große genetisch
bedingte Varianz aufweist. Bei der Reifung der T-Zellen werden diejenigen Zellen
im Thymus selektioniert, die den körpereigenen MHC besonders gut erkennen können. Bei der Organtransplantation versucht man eine möglichst gute Übereinstimmung des MHC von Spender und Empfänger zu erreichen, indem man, wenn möglich, nahe Verwandte als Spender wählt. Sind die Abweichung in der Zusammensetzung des MHC und des sogenannten "Minor Histocompatibility Complex", der
eine Reihe von weniger gut charakterisierten Oberflächenmolekülen umfasst, zu
groß, so kommt es zu einer heftigen Abstoßungsreaktion des transplantierten Gewebes durch die Immunzellen des Empfängers (host versus graft disease). Im Falle
von Blutstammzelltransplantationen kann es auch zu Abstoßungsreaktionen der
transplantierten Zellen gegenüber dem Empfängergewebe kommen (graft versus
host disease).
5.6.1
Blutstammzelltherapie zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen
Eine Behandlungsmöglichkeit von Autoimmunerkrankungen besteht darin, die Autoimmunreaktion durch die Gabe von entzündungshemmenden, immunsupprimierenden oder auch immunmodulierenden Substanzen, wie Steroiden und bestimmten
Eiweißen abzumildern. Häufig schreitet die Autoimmunerkrankung und die mit ihr
einhergehende Gewebezerstörung aber trotz einer solchen Behandlung fort.
Bei schwerwiegenden Autoimmunerkrankungen im fortgeschrittnen Stadium versucht man, die reifen langlebigen autoreaktiven Zellen aus dem Körper des Patienten zu eliminieren. Zu diesem Zweck werden die Blutstammzellen aus dem Knochenmark des Patienten durch die Gabe eines Wachstumsfaktors in die Blutbahn
mobilisiert, aus dem Blut isoliert und in vitro von den autoreaktiven Zellen getrennt.
Nachdem die im Körper verbleibenden reifen Immunzellen durch eine Kombination
von Strahlen- und medikamentöser Behandlung eliminiert wurden, reimplantiert
man die gereinigten Blutstammzellen, die das Knochenmark des Empfängers neu
besiedeln. Erste Langzeiterfolge (1-3 Jahre) sind mit einer solchen Therapie bei
erkrankten Patienten erreicht worden, die an Lupus erythematodes erkrankt sind. So
konnte gezeigt werden, dass sich das Erkennungsrepertoire der T-Zellen in diesen
Patienten durch die Behandlung wieder normalisierte und dass sie im Untersu-
107
chungszeitraum frei von Krankheitssymptomen waren und nur wenig oder keine
Immunsuppressiva mehr benötigten (Traynor et al. 2000). Eine solche Therapie
birgt jedoch für den Patienten mehrere Risiken. Einerseits kann die Behandlung mit
Wachstumsfaktoren zu einem Aufflammen der Autoimmunerkrankung führen, andererseits ist in der Zeit, da der Patient über kein funktionierendes Immunsystem
verfügt, ein großes Infektionsrisiko vorhanden. Auch ist eine vollständige Elimination der autoreaktiven Zellen nicht leicht zu erreichen.
5.6.2
Einsatzmöglichkeiten für embryonale Stammzellen
Aus den in Kapitel 5.6.1 genannten Gründen wäre es von Vorteil, wenn es ein Repertoire von verschieden Blutstammzell-Linien geben würde, die man für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen einsetzen könnte, ohne den ohnehin schon
stark belasteten Patienten weiteren strapaziösen Behandlungen aussetzen zu müssen. Bislang ist es noch nicht gelungen, aus den üblichen Quellen für Blutstammzellen wie z. B. Knochenmark oder Nabelschnurblut Blutstammzell-Linien abzuleiten, die über einen längeren Zeitraum in vitro kultivierbar sind. Bezüglich der
Proliferationsfähigkeit in vitro haben die menschlichen ES-Zellen also einen Vorteil
und es ist gezeigt worden, dass sie, wie auch die EG-Zellen des Menschen zu Blut
bildenden Zellen in der Kultur differenzieren können (Itskovitz-Eldor et al. 2000;
Shamblott et al. 2001). Wenn es gelänge, stabile Blutstammzell-Linien aus
menschlichen embryonalen Stammzellen zu entwickeln, so stünden verschiedene
Wege offen, um diese Zellen für therapeutische Zwecke zu optimieren. Um die
oben erwähnten Abstoßungsreaktionen des Empfängers zu vermeiden, könnte man
durch gentechnische Veränderung eine Bank von Stammzell-Linien entwickeln, die
jeweils andere MHC-Moleküle auf ihrer Oberfläche tragen. Eine andere Möglichkeit wäre, die für die MHC-Moleküle kodierenden Gene mit Hilfe der Gentechnik
ganz oder teilweise zu entfernen, um auf diese Weise eventuell eine "UniversalSpender-Zell-Linie" zu erhalten. Man hat eine MHC I-freie Maus entwickelt und
konnte an ihr zeigen, dass selbst in dem Fall, in dem die MHC-Konstitution des
Empfängers nicht mehr der des Spenders übereinstimmte, Pankreastransplantationen durchgeführt werden konnten (Osorio et al. 1993).
In vitro, unter kontrollierten Bedingungen hergestellte Blutstammzelltransplantate
hätten auch den Vorteil, dass sie frei von reifen T-Lymphozyten wären, die für die
zum Teil schwerwiegenden Komplikationen der "graft versus host disease" verantwortlich sind.
Es gibt auch experimentelle Ansätze zur Gentherapie von Autoimmunerkrankungen, die darauf abzielen, die aberranten und zerstörerischen Entzündungsreaktionen
zu modifizieren. Da sich embryonale Stammzellen der Maus für eine gentechnische
Veränderung sehr gut eignen, könnte man in der Zukunft vielleicht die Stammzell-
108
therapie mit einer Gentherapie verbinden, um so die Fehlreaktionen des Immunsystems effizient und dauerhaft zu eliminieren.
5.6.3
Zusammenfassung und Ausblick
Zurzeit gibt es erste klinische Versuche, autologe Stammzellen des Blut bildenden
Systems für die Therapie ausgewählter Autoimmunerkrankungen zu erproben.
Beim derzeitigen Wissensstand kann nicht beurteilt werden, ob es gelingen wird,
diese Krankheiten mit diesen adulten Stammzellen erfolgreich zu behandeln.
Bislang gibt es nur konzeptionelle Überlegungen, dass auch menschliche embryonale Stammzellen für stammzellbasierte Therapien von Autoimmunerkrankungen
herangezogen werden könnten. In diesen Konzepten soll vor allem die Tatsache
genutzt werden, dass ES-Zell-Linien gut für gentechnische Veränderungen zugänglich sein dürften – dies ist zumindest für Maus-ES-Zell-Linien der Fall; für
menschliche ES-Zellen müsste dies noch gezeigt werden.
5.7
Mögliche künftige gesundheitspolitische und gesundheitsökonomische Relevanz von allfälligen stammzellbasierten
Therapien
5.7.1
Übersicht
Es besteht die Hoffnung, dass humane embryonale und adulte Stammzellen in den
kommenden Jahren Auswirkungen auf die Therapie einer Reihe von Krankheiten
haben werden. Für eine erste orientierende Abschätzung dieser Wirkungen wurden
folgende Krankheiten ausgewählt, weil zurzeit Forschungsarbeiten durchgeführt
werden mit dem Ziel, stammzellbasierte Therapien zu entwickeln (s. Kap. 5.3-5.6):
•
Leukämie,
•
Diabetes mellitus,
•
verschiedene Erkrankungen des Nervensystems (Parkinson'sche Krankheit, Multiple Sklerose, Huntington'sche Krankheit, eventuell auch Alzheimer'sche
Krankheit),
•
Herzinfarkt,
•
Schlaganfall/Hirninfarkt.
109
Jedoch kann zum jetzigen Zeitpunkt kaum beurteilt werden, inwieweit die entsprechenden Forschungsvorhaben zum Erfolg führen werden. Für diese ausgewählten
Krankheiten werden Informationen zur Situation in der Schweiz sowie zu der
Marktsituation für entsprechende Pharmaprodukte zusammengestellt.
Tabelle 5.2:
Zahl der Krankenhausaufenthalte in der Schweiz im Jahr 1998
Mit humanen Stammzellen möglicherweise
beeinflussbare Krankheiten
Krankenhausaufenthalte 1998
Leukämie
1.910
Diabetes mellitus
4.364
Erkrankungen des Nervensystems
davon:
Parkinson'sche Krankheit
1.201
Multiple Sklerose
Huntington'sche Krankheit
1.073
Alzheimer-Erkrankung
1.144
24
Herzinfarkt
5.284
Schlaganfall/Hirninfarkt
6.331
Querschnittslähmung
88
Quelle: Bundesamt für Statistik 2002
In Tabelle 5.2 werden Informationen zu den Krankenhausaufenthalten in der
Schweiz im Jahr 1998 zu den Krankheiten zusammengestellt, die für humane
Stammzellen Relevanz haben können. Die Zahlen über die Häufigkeiten der einzelnen Krankheiten bzw. Diagnosestellungen entstammen der "Medizinischen Statistik
der Krankenhäuser" für den Berichtszeitraum 1998, wie sie vom Schweizerischen
Bundesamt für Statistik veröffentlicht wurden (Bundesamt für Statistik 2002). Es
handelt sich dabei um eine Vollerhebung bei allen öffentlichen und privaten Hospitälern in der Schweiz, die für das jeweilige Berichtsjahr Angaben über alle stationär behandelten Patienten machen. Bei der Interpretation der Daten ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um erkrankte Personen bzw. erst- und einmalige Diagnosestellungen handelt, sondern vielmehr um die Anzahl der Klinikaufenthalte von
Personen mit der jeweilig diagnostizierten Krankheit. Wird eine Person also innerhalb des Berichtszeitraumes mehrmals wegen der selben Krankheit stationär behandelt, so wird sie in der Statistik auch entsprechend mehrfach gezählt. Eine weitere
Auswirkung der Verwendung dieser Erhebung ist, dass solche Diagnosestellungen
nicht enthalten sind, die zwar von einem niedergelassenen Arzt gestellt werden,
110
aber nicht automatisch zu einem stationären Klinkaufenthalt führen (Bundesamt für
Statistik 2002).
5.7.2
Leukämie
Leukämien sind Blutkrebserkrankungen, bei deren Therapie auch Blut bildende
Stammzellen zum Einsatz kommen können (s. auch Kap. 4.6.1.2). Nach HerzKreislauf-Erkrankungen liegen Krebserkrankungen (so genannte "bösartige Neubildungen") mit etwa 15.300 Todesfällen im Jahr 1995 an zweiter Stelle der Todesfallstatistik in der Schweiz (Bundesamt für Statistik - Sektion Gesundheit 1999). Davon
entfallen etwa 620 bis 800 Fälle pro Jahr auf Leukämie (Schweizerische Krebsliga
1998). Nach Angaben der Schweizerischen Krebsliga, die sich bei ihren Schätzungen auf Aufzeichnungen der Kantonalen Krebsregister stützt, ist Leukämie damit
eine der weniger häufigen Krebsformen in der Schweiz. In den Jahren 1989 bis
1993 entfielen zwischen 2,2 % (Frauen) und 2,6 % (Männer) aller Krebsneuerkrankungen auf Leukämie. Bei den Todesfällen hatte diese Krebsart sowohl bei
Männern als auch Frauen mit 3,2 % Anteil eine etwas höhere Relevanz. Diese steigt
weiter, wenn man die durch Leukämie verlorenen Lebensjahre26 betrachtet: Bei
Männern entfallen 5,2 % aller durch Krebs verlorenen Lebensjahre auf Leukämie;
bei Frauen sind dies 4,4 % (Schweizerische Krebsliga 1998). Die Inzidenz von
Leukämie liegt bei Männern mit etwa 11 Fällen pro 100.000 Einwohnern deutlich
höher als bei Frauen (ca. 6,5 Fälle pro 100.000 Einwohner), wobei jeweils in den
deutschsprachigen Kantonen der Schweiz eine etwas höhere Inzidenz von Leukämie auftritt als in der französischen Schweiz (Schweizerische Krebsliga 1998). Im
Vergleich zu Mitte der 1980er-Jahre ist allerdings ein starker Rückgang der Leukämie-Neuerkrankungen sowohl bei Männern als auch bei Frauen in der Schweiz
festzustellen, wobei dies auch teilweise auf neuartige Diagnoseverfahren zurückzuführen sein dürfte.
5.7.3
Diabetes mellitus
Der Diabetes mellitus ist die häufigste Stoffwechselerkrankung der Welt. Nach
Schätzungen des Instituts für medizinische Information und Statistik lag die Prävalenz von Diabetes mellitus in der Schweiz Ende der 1980er-Jahre bei
132.000 Fällen (Bachmann 1989). Nach Erhebungen in Arztpraxen hat sich die
Diabeteshäufigkeit von 23,3 Fällen je 1.000 Einwohner im Jahr 1975 auf 19,9 Fälle
je 1.000 Einwohner im Jahr 1998 nur unwesentlich verringert (Teuscher et al.
26 "Verlorene Lebensjahre" stellen eine statistische Größe dar, durch die die Vorzeitigkeit eines
Todesfalls mit einem zeitlichen Maß ausgedrückt wird. Sie werden als Differenz zwischen einen
idealisierten Ziel (z. B. der durchschnittlichen Lebenserwartung) und dem tatsächlichen Sterblichkeitsalter berechnet.
111
1991). Anhand von Medikamentenverkäufen wurde für die Jahre 1985 bis 1990
eine Prävalenzrate insulinabhängiger Diabetiker zwischen 3,76 und 4,68 Fälle je
1.000 Einwohner für die Schweiz ermittelt (Jirovec et al. 1993).
Im Jahr 1995 starben 1.732 Menschen in der Schweiz an den Folgen des Diabetes
mellitus. Diabetes ist damit die fünfthäufigste Todesursache in der Schweiz
(Bundesamt für Statistik - Sektion Gesundheit 1999). Auf Grund der deutlich verbesserten medizinischen Versorgung für Diabetiker in den westlichen Industrienationen sinkt die diabetesspezifische Mortalität seit den 1960er-Jahren kontinuierlich
und liegt heute bei weniger als 1,5 % (Matsushima et al. 1997). Allerdings hat Diabetes auf Grund von Folgeerkrankungen immer noch deutliche indirekte Wirkungen. So ist Diabetes z. B. die wichtigste Ursache für Erblindung im Erwachsenenalter in der Schweiz und etwa 50 % aller durchgeführten Amputationen haben ihre
Ursache in einer Diabeteserkrankung der betroffenen Patienten (Hüsing et al. 2001,
S. 102).
Diabetes mellitus verursacht relativ hohe Kosten für das Gesundheitswesen, da
durch fortlaufende medikamentöse Therapie, ambulante Kontrolluntersuchungen
und teilweise auch stationäre Krankenhausbehandlungen hohe direkte Kosten für
die Versorgung der Patienten anfallen. Ein Indiz dafür ist der Umstand, dass Diabetes die dritthäufigste Ursache für ambulante ärztliche Konsultationen in der
Schweiz darstellt (Teuscher et al. 1991) und im Jahr 1998 in mehr als 4.300 Fällen
ein Krankenhausaufenthalt auf Grund dieser Krankheit notwendig wurde (Tab. 5.2).
Derzeit wird die Zahl der Diabetesfälle auf etwa 35 Millionen Patienten weltweit
geschätzt, wobei ein größerer Teil davon noch nicht diagnostiziert ist. Wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass die Zahl der Diabetesfälle in den kommenden 20 Jahren weltweit auf mehr als 300 Millionen Patienten ansteigen könnte,
wobei die Zunahme der Übergewichtigkeit (insbesondere in einigen Industriestaaten), Verschiebungen in der Altersstruktur der Bevölkerung sowie falsches Ernährungsverhalten als die wichtigsten Einflussfaktoren angesehen werden. Im Jahr
2000 erreichten die weltweiten Verkäufe von Diabetestherapeutika ein Marktvolumen von etwa 8,1 Milliarden US$ mit einer Wachstumsrate von ungefähr 19 % im
Vergleich zum Vorjahr (IMS Health 2001). Knapp zwei Drittel des Marktvolumens
entfallen auf oral verabreichte Antidiabetika, wobei das am häufigsten verkaufte
Produkt (Glucophage, das von dem US-Pharmaunternehmen Bristol-Myers Squibb
vertrieben wird) allein Verkäufe von mehr als 1,6 Milliarden US$ auf sich vereinigt
(IMS Health 2001). Bei der Diabetesbehandlung wird zumeist eine Kombination
verschiedener oral verabreichter Antidiabetika verschrieben.
112
5.7.4
Erkrankungen des Nervensystems
Humane Stammzellen können auch Ansatzpunkte für die Therapie verschiedener
neurodegenerativer Erkrankungen bieten. Zu den relevanten Krankheiten gehören
die Parkinson'sche Krankheit, Multiple Sklerose und Chorea Huntington. Für die
Alzheimer'sche Krankheit sind allenfalls längerfristig Ansatzpunkte für neuartige
Therapieformen durch Stammzellen denkbar.
5.7.4.1
Parkinson'sche Krankheit
Die Parkinson'sche Krankheit ist eine der häufigsten sporadischen neurodegenerativen Erkrankungen in Mitteleuropa. Ihre Prävalenz wird für die Länder Deutschland,
Österreich und Schweiz auf etwa 160 bis 200 Fälle pro 100.000 Einwohner geschätzt (Volkmann 1997; Mumenthaler-Dejung et al. 1996). In der Schweiz leiden
etwa 14.000 Menschen unter der Parkinson'schen Krankheit (Mumenthaler-Dejung
et al. 1996). Die Prävalenz der Parkinson-Erkrankung nimmt altersabhängig zu. Es
wird geschätzt, dass bei den über 60-Jährigen etwa 1 %, bei den über 80-Jährigen
sogar beinahe 3 % von der Erkrankung betroffen sind (Volkmann 1997). Eine Heilung ist nicht möglich. Eine Linderung der Symptome kann dadurch erreicht werden, dass den erkrankten Patienten ein Neurotransmitter (L-DOPA) und der Dopamin-Antagonist Apomorphin oral verabreicht wird. Allerdings kann diese Therapie
mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein (Hüsing et al. 2001, S. 121). Die
medikamentöse Therapie der Parkinson'schen Krankheit wird dadurch erschwert,
dass die Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranke überwinden müssen und dies im Allgemeinen nur sehr kleinen fettlöslichen Molekülen gelingt (Pardridge 1999).
5.7.4.2
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose ist eine relativ häufige neurodegenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Der Krankheitsbeginn liegt zumeist zwischen dem 20. und
50. Lebensjahr, wobei die Ursache der Krankheit bislang noch nicht genau geklärt
werden konnte (Hüsing et al. 2001, S. 132). Gegenwärtig gibt es weltweit mehr als
1 Mio. MS-Erkrankte mit einem erwarteten Wachstum von 30 % in den nächsten
4 Jahren (Frost & Sullivan 2001). Die Prävalenz von Multipler Sklerose beträgt je
nach Land 20 bis 180 Fälle pro 100.000 Einwohner. Dabei besteht ein Nord-SüdGefälle mit einer Häufigkeit von etwa 140 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner in
Schottland und 40 Fällen pro 100.000 Einwohnern in Sizilien. In der Schweiz liegt
die Prävalenz bei 110 Erkrankten pro 100.000 Einwohner (Beer et al. 1994; Mumenthaler-Dejung et al. 1996). Die jährliche Inzidenz an Neuerkrankungen liegt in
Frankreich bei etwa 1 bis 3 Fällen pro 100.000 Einwohner, wobei Frauen häufiger
betroffen sind als Männer (Bundesamt für Gesundheit 1999). Nach Auskunft der
Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft sind insgesamt mehr als
10.000 Personen in der Schweiz von der Krankheit betroffen (Schweizerische Mul-
113
tiple Sklerose Gesellschaft 2002). Im Jahr 1998 lag die Zahl der Krankenhausaufenthalte in der Schweiz, die auf MS zurückzuführen sind, bei etwa 1.070 (Tab. 5.2).
Gegenwärtig gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, die das Fortschreiten von MS
verhindern könnte. Allerdings konnte gezeigt werden, dass Beta-Interferon-Injektionen bei einigen Patienten in der Lage sind, die Häufigkeit und Schwere von MSSchüben zu reduzieren. Zur Behandlung von Multipler Sklerose sind einige Therapeutika zugelassen:
•
Interferon-Beta-1a: vertrieben unter dem Markennamen "Avonex" von dem USBiotechnologieunternehmen Biogen bzw. in veränderter Form unter dem Markennamen "Rebif" von dem Schweizer Unternehmen Serono;
•
Interferon-Beta-1b: vertrieben unter dem Markennamen "Betaseron" u. a. von
dem deutschen Pharmaunternehmen Schering;
•
weitere Präparate werden von dem israelischen Biotechnologieunternehmen
Teva Pharmaceuticals ("Copaxone") sowie dem US-Biotechnologieunternehmen
Immunex ("Novantrone") vertrieben.
Der Markt für MS-Therapeutika wird weltweit auf etwa 2,3 Mrd. US$ geschätzt
und soll sich bis zum Jahr 2005 auf etwa 4 Mrd. US$ nahezu verdoppeln (Frost &
Sullivan 2001).
5.7.4.3
Huntington'sche Krankheit
Die Huntington'sche Krankheit, auch Chorea Huntington genannt, ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der es durch die fehlerhafte Prozessierung des Proteins Huntington zu einem Abbau von Nervenzellen im Gehirn kommt. Dies resultiert
in Bewegungsstörungen und fortschreitenden psychischen Störungen bis hin zur
Demenz. In der Regel bricht die Krankheit zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr
aus. Mit etwa 400 Betroffenen in der Schweiz (Schweizerische Huntington Vereinigung 2002) ist sie relativ selten im Vergleich zu den anderen neurodegenerativen
Erkrankungen. Dies zeigt sich auch in der Zahl der Krankenhausaufenthalte, die im
Jahr 1998 deutlich unter der anderer neurodegenerativer Erkrankungen lag
(Tab. 5.2).
5.7.4.4
Alzheimer'sche Krankheit
Die Alzheimer'sche Krankheit ist charakterisiert durch eine fortschreitenden Demenz (Hüsing et al. 2001, S. 131). Die aktuellen Therapien von Alzheimer mit
Cholinesterase-Hemmern verfolgen keine primär kausalen Therapieansätze, sondern bekämpfen Symptome (Winkler et al. 2001). Derzeit werden verschiedene
weitere Medikamente zur Alzheimer-Therapie entwickelt, doch brachten alle bisherigen Therapieversuche nur Verbesserungen der Gedächtnisleistungen und des Verhaltens, konnten jedoch das Fortschreiten der Krankheit nicht verhindern. Aller-
114
dings ist es nach Experteneinschätzung fraglich, ob eine Therapie der Alzheimerschen Krankheit durch zelluläre Ansätze überhaupt möglich ist (Hüsing et al. 2001,
S. 131, s. auch Kap. 5.4.2).
Die Prävalenz der Alzheimer-Erkrankten wird auf etwa 1 % der Bevölkerung in der
Schweiz geschätzt. Dies bedeutet, dass von etwa 50.000 bis 70.000 Erkrankten in
der Schweiz auszugehen ist (Volz et al. 2000; Frost & Sullivan 2002). Bei der Erkrankung ist eine deutliche Altersabhängigkeit zu erkennen, da sich die Anzahl der
betroffenen Personen ab dem 65. Lebensjahr alle 5 Jahre etwa verdoppelt. Die Prävalenz bei den 65-Jährigen liegt bei etwa 1 % bis 5 %, bei den über 75-Jährigen bei
etwa 10 % bis 12 % und bei den über 85-Jährigen bei 20 % (Hy et al. 2000). Die
Inzidenz von Alzheimer wird auf etwa 30 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner in
westlichen Industriestaaten geschätzt (Gesundheits-Web 2002). Die Zahl der Krankenhausaufenthalte im Jahr 1998 in der Schweiz liegt für die Alzheimer-Erkrankung etwa in der Größenordnung von Parkinson oder Multipler Sklerose (Tab. 5.2).
Weltweit wird die Zahl der Alzheimer-Patienten auf etwa 15 Millionen geschätzt
(Volz et al. 2000) und soll sich weitgehend auf Grund von Verschiebungen in der
Alterspyramide der Bevölkerung bis zum Jahr 2030 verdoppeln (Winkler et al.
2001).
5.7.4.5
Markt für Therapeutika des zentralen Nervensystems
Für das Jahr 2000 wird der Weltmarkt für Pharmazeutika für das zentrale Nervensystem (CNS-Produkte) auf etwa 44 Milliarden US$ geschätzt. Dies sind etwa 15 %
des weltweiten Pharmamarktes, wobei in Nordamerika der Anteil von CNS-Produkten 20 % des Marktes für verschriebene Pharmazeutika umfasst, in Japan hingegen nur 9 %. In Großbritannien liegt der Marktanteil von CNS-Produkten bei etwa
18 % (Informa Pharmaceuticals 2000). Die Präparate mit dem höchsten globalen
Verkaufsvolumen zielen insbesondere auf die Therapiegebiete Depression, Schizophrenie und Epilepsie ab, wohingegen die erwähnten neurodegenerativen Erkrankungen mit Ausnahme von Multipler Sklerose unter den am häufigsten verkauften
Produkten nicht vertreten sind (Informa Pharmaceuticals 2000; Pardridge 2002).
Für die Zukunft wird weltweit eine steigende Zahl an Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen erwartet, nicht zuletzt auf Grund der Verschiebungen in der
Altersstruktur der Bevölkerung in den Industriestaaten. Einzelne Marktbeobachter
gehen daher davon aus, dass der Markt für CNS-Produkte stärker wachsen soll als
der globale Pharmamarkt. Diese Einschätzung wird insbesondere damit begründet,
dass bislang nur für wenige Krankheiten in diesem Feld adäquate Therapien existieren und daher ein zunehmender Druck von Seiten der Ärzte und auch der Patienten
für vermehrte Forschungsanstrengungen in diesem Feld zu erwarten ist. Das zukünftig zu erwartende Marktwachstum bei CNS-Produkten hängt im Wesentlichen
ab von der Lösung wissenschaftlich technischer Fragestellungen (z. B. ist ein größe-
115
rer Teil von potenziellen Wirkstoffkandidaten für CNS-Krankheiten nicht in der
Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden), der Fähigkeit der Pharmaindustrie,
effektive und sichere neue Pharmazeutika für diese Krankheiten zu entwickeln sowie den nicht zuletzt durch politische Vorgaben bedingten Druck, Originalpräparate
vermehrt durch Generika zu ersetzen.
5.7.5
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall
Mit mehr als 26.100 Todesfällen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen für etwa 41 %
aller Todesfälle in der Schweiz im Jahr 1995 verantwortlich und haben damit
höchste gesundheitspolitische Relevanz (Bundesamt für Statistik - Sektion Gesundheit 1999). Auch bei den potenziell verlorenen Lebensjahren haben Herzerkrankungen sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine hohe Bedeutung (Tab. 5.3). Generell liegen in der Schweiz die Mortalitätsziffern bei Männern bei allen Formen der
Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich höher als bei Frauen (Tab. 5.3).
Tabelle 5.3:
Mortalität bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Schweiz (Stand:
1995)
Krankheiten
Anzahl der
Todesfälle
Potentiell verlorene Lebensjahre
Mortalität 1
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gesamt
12.056
14.127
29.057
9.939
317,6
187,1
Herzkrankheiten
9.066
10.007
24.225
7.247
240,0
133,4
- ischämische Herzk.
5.924
5.284
15.720
3.018
156,6
71,3
Erkrankungen der
Hirngefäße
2.078
3.130
3.195
2.000
53,6
41,0
31.621
31.766
175.218
86.405
846,6
489,9
Alle Todesursachen
1
Gestorbene pro 100.000 Einwohner: altersstandardisiert auf die "Neue Europäische
Standardbevölkerung"
Quelle: Bundesamt für Statistik - Sektion Gesundheit 1999)
Die hohe gesundheitspolitische Relevanz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die
damit verknüpften hohen Kosten für das Gesundheitswesen werden auch noch
durch die folgenden Aspekte dokumentiert (Swiss Heart Foundation 2002):
•
Im Jahr 1998 waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einem Anteil von 12,5 %
die häufigste in Schweizer Arztpraxen gestellte Diagnose.
•
Etwa jeder 4. Patient, der in der Schweiz in ein Spital eingewiesen wird, hat
Herz-Kreislauf-Probleme.
116
•
Im Jahr 1998 waren fast 5.300 Krankenhausaufenthalte auf Grund eines Herzinfarkts in der Schweiz zu registrieren (Tab. 5.2).
•
Mehr als 14 % aller Präparate, die in Schweizer Arztpraxen verordnet werden,
wirken auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Obwohl weltweit die Mortalitätsraten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesenkt
werden konnten, führen größere Patientenpopulationen und aufwändigere Behandlungsverfahren zu steigenden Kosten für diese Krankheitsform für das Gesundheitswesen. Im Jahr 1998 erreichte der Markt für Pharmazeutika, die bei HerzKreislauf-Erkrankungen verschrieben werden, etwa 64 Mrd. US$. Dies entsprach
etwa 23 % des weltweiten Pharmamarktes. 50 % des Marktvolumens entfielen auf
blutdrucksenkende Mittel (Reuters Business Insights 1999). Für die Zukunft wird
erwartet, dass zum einen die führenden Herz-Kreislauf-Mittel unter erheblichen
Generikadruck geraten werden und daher das Marktwachstum bei Herz-KreislaufPräparaten eher unterdurchschnittlich sein dürfte. Bei weltweiter Betrachtungsweise
wird allerdings davon ausgegangen, dass die Prävalenz und auch die Zahl der Neuerkrankungen auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ansteigen (Reuters Business
Insights 1999).
In den meisten westlichen Industrieländern verursachen Herz-Kreislauf-Erkrankungen relativ hohe Kosten für das Gesundheitswesen. Dabei sind die verschriebenen
Pharmazeutika zumeist nur ein relativ kleiner Teil der Gesamtkosten, die allerdings
in der Regel sehr leicht zu identifizieren sind. So wurde z. B. für das Jahr 1998 für
die USA geschätzt, dass die 14,8 Mrd. US$, die für Herz-Kreislauf-Präparate ausgegeben wurden, nur etwa 9 % der direkten Kosten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Höhe von 171 Mrd. US$, die im Gesundheitswesen der USA angefallen sind,
umfasst haben (Reuters Business Insights 1999). Untersuchungen aus der Bundesrepublik Deutschland zeigen zudem, dass neben den direkten Kosten der Erkrankung auch noch in erheblicher Größenordnung indirekte Folgewirkungen von HerzKreislauf-Erkrankungen für das Gesundheitswesen und die Gesellschaft im Allgemeinen anfallen (Kohlmeier et al. 1993).
Ein Schlaganfall (synonyme Bezeichnung: Hirnschlag, Hirninfarkt) ist eine akute
fokale Funktionsstörung des Zentralnervensystems, bei dem die Funktionsausfälle
mehr als 24 Stunden andauern. Der Hirnschlag stellt die dritthäufigste Todesursache
nach Herz- und Krebserkrankungen in den industrialisierten Ländern dar und ist die
häufigste Ursache für eine im Erwachsenenalter erworbene Behinderung (Lyrer
2000). Wie in Tabelle 5.3 vermerkt, sind im Jahr 1995 mehr als 5.200 Todesfälle
auf Grund von Erkrankungen der Hirngefäße in der Schweiz zu registrieren. Der
größte Teil davon dürfte auf einen Schlaganfall zurückzuführen sein. Für die
Schweiz betrug die Mortalität nach einem Hirnschlag für alle Altergruppen 20 Fälle
je 100.00 Personen bei Frauen bzw. 37 Fälle je 100.000 Personen bei Männern im
Jahr 1985 und lag damit weltweit am Tiefsten (Bonita et al. 1990). In vielen Län-
117
dern ist die Mortalität bei Hirnschlag in den letzten zwei Jahrzehnten rückgängig.
Dafür werden insbesondere die Einführung wirksamer Therapien zur Behandlung
des Bluthochdrucks, eine bessere Behandlung des Hirnschlags und dessen Komplikationen, eine häufigere und frühere Diagnosestellung sowie eine verbesserte Sekundärprophylaxe als Ursachen angeführt (Lyrer 2000). Allerdings signalisieren
Prävalenzwerte eine Unterschätzung der Schlaganfallproblematik auf der Ebene der
Bevölkerung (Wiesner et al. 1999).
Methodisch noch schwieriger als die Feststellung der Prävalenz von Schlaganfall ist
die Erhebung und insbesondere die Verfolgung von Inzidenzraten über einen längeren Zeitablauf (Wiesner et al. 1999). Die vorliegenden Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass die Inzidenz bei Hirnschlag bei Männern ebenfalls höher
ist als bei Frauen. Nach Untersuchungen der WHO lag diese bei 35- bis 64-jährigen
Personen bei 143 bis 344 Fällen je 100.000 Personen bei Männern und bei 61 bis
294 Fällen je 100.000 Personen bei Frauen (Modan et al. 1992). Bei beiden Geschlechtern steigt die Inzidenz mit zunehmendem Alter an. Ähnliche Tendenzen
lassen sich auch aus Untersuchungen in Deutschland ableiten (Asplund et al. 1993;
Wiesner et al. 1999). Innerhalb Europas weisen osteuropäische und einige nordeuropäische Länder die höchste Inzidenz für Hirnschlag auf (z. B. Finnland, Jugoslawien, Russland und Polen) (Modan et al. 1992).
Der Schlaganfall zeichnet sich durch eine sehr hohe Letalität und Fatalität aus. Von
den etwa 50 % der unter 65-jährigen Patienten, die nach fünf Jahren verstorben
sind, stirbt die Hälfte bereits innerhalb der ersten 30 Tage nach einem Schlaganfall
(Warlow et al. 1996). Neben der hohen Letalität ergeben sich häufig sehr gravierende kurz- und langfristige Schädigungen des Gehirns, die oftmals in motorische,
sensible, sensorische und kognitive Ausfälle und Einschränkungen münden. Ein
Indiz für die schwerwiegenden Folgen eines Schlaganfalls sind auch mehr als
6.300 Fälle für eine Spitaleinweisung im Jahr 1998 in der Schweiz, die auf diese
Krankheit zurückzuführen sind (Tab. 5.2). Die Belastung des Gesundheitswesens
durch Schlaganfälle ist sehr groß, da davon auszugehen ist, dass ein Erkrankter nach
einem Schlaganfall mindestens fünf Jahre betreut werden muss (Wiesner et al.
1999). Falls man alle Verlaufsformen eines Schlaganfalls einbezieht, bleiben etwa
30 % der Betroffenen dauerhaft Invalide und auf Pflege angewiesen. Nur ein Drittel
aller Personen mit einem Schlaganfall erreicht wieder die volle berufliche und soziale Rehabilitation (Wiebers et al. 1990). Für die Schweiz ist jährlich mit etwa
400 bis 1.200 pflegebedürftigen Patienten infolge Hirnschlags zu rechnen (Lyrer
2000). Die direkten Kosten eines Schlaganfalls für Krankenhausaufenthalt und
Hausarzt wurden Ende der 1980er Jahre in Schottland auf etwa 14.600 sFr. geschätzt (Isard et al. 1992). Nach Berechnungen in den USA lagen die Gesamtkosten
(direkte und indirekte Kosten) eines Schlaganfalls Anfang der 1990er Jahre bei
etwa 170.000 sFr. (Taylor et al. 1996).
118
Die meisten der zurzeit zugelassenen Pharmazeutika sind nicht in der Lage, einen
akuten Schlaganfall zu behandeln. Daher werden im Allgemeinen Wirkstoffe eingesetzt, die als vorbeugende Maßnahme das Gerinnen von Blut oder die Bildung von
Blutgerinnseln verhindern oder das Risiko dafür herabsetzen solle. Schätzungen
gehen davon aus, dass das Marktpotenzial für Pharmazeutika für die Behandlung
von Schlaganfall bei etwa 5 Mrd. $ pro Jahr liegen soll (Frost & Sullivan 2002). Für
die kommenden Jahre wird erwartet, dass vorrangig auf Grund von Verschiebungen
in der Altersstruktur der Bevölkerung in den meisten westlichen Industriestaaten die
Zahl an Patienten, die einen Schlaganfall erleiden, ansteigen wird (Reuters Business
Insights 1999).
5.7.6
Zusammenfassung
Man hofft, dass humane Stammzellen in den kommenden Jahren Auswirkungen auf
die Therapie insbesondere von Leukämie, Diabetes mellitus, verschiedenen Erkrankungen des Nervensystems (z. B. Parkinson'sche Krankheit, Multiple Sklerose,
Huntington'sche Krankheit, möglicherweise auch Alzheimer'sche Krankheit),
Herzinfarkt sowie Schlaganfall bzw. Hirninfarkt haben werden. Bei den meisten
dieser Krankheiten handelt es sich um Erkrankungen, bei denen zum einen eine
erhebliche Zahl von Patienten betroffen ist, zum anderen oftmals lang anhaltende
Schädigungen oder Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Erkrankten festzustellen sind. Außerdem sind bei den meisten der aufgeführten Krankheiten die kausalen Ursachen der Krankheitsentstehung bislang noch nicht vollständig geklärt und
es existieren in der Regel höchstens Therapiemöglichkeiten, die auf einzelne Symptome der betreffenden Krankheiten abzielen.
Über die Größe und Entwicklung der zukünftigen Märkte sowie über die mögliche
künftige gesundheitspolitische Bedeutung stammzellbasierter Therapien kann man
zum derzeitigen Zeitpunkt wissenschaftlich fundiert nur wenig aussagen, da sich die
meisten der betreffenden Entwicklungen noch in einem sehr grundlegenden Stadium befinden. Daher ist offen, ob sich entsprechende Therapien überhaupt werden
entwickeln lassen, und wie sie im Vergleich zu therapeutischen Alternativen zu
bewerten sind. Wichtige Faktoren, die die kommerzielle Umsetzung des wissenschaftlichen Potenzials humaner Stammzellen beeinflussen, sind in Kapitel 6.3 dargestellt.
119
5.8
Zusammenfassung
Das Interesse an menschlichen Stammzellen ist vor allem darin begründet, dass
diese Zellen das Potenzial bergen, mit ihrer Hilfe neuartige Therapiekonzepte zu
entwickeln, die bislang noch keine etablierten Methoden in der Medizin darstellen.
Diese Therapiekonzepte könnten zukünftig möglicherweise auch eine erstmalige
oder verbesserte Therapie von schwerwiegenden Krankheiten erlauben, die heutzutage nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Diese neuartigen Therapiekonzepte lassen sich folgendermaßen skizzieren:
(1)
Vermehrung menschlicher Stammzellen im Labor, gezielte Differenzierung
zu geeigneten Zelltransplantaten, funktioneller Ersatz ausgefallener Zell- und
Gewebsfunktion im Patienten durch Transplantation dieser Zellen.
(2)
Direkte Transplantation menschlicher Stammzellen in den Patienten; die Differenzierung zu den erforderlichen Zellen erfolgt im Körper des Patienten, gesteuert durch Signale aus dem geschädigten Gewebe.
(3)
Einsatz menschlicher Stammzellen als Zellquelle im Rahmen des Tissue Engineering, über das eine geeignete Umgebung für die Differenzierung bzw.
physiologische Funktion der menschlichen Zellen bereitgestellt wird.
(4)
Entwicklung neuartiger Medikamente aus Erkenntnissen der Stammzellproliferation und -differenzierung; die Gabe dieser Medikamente regt die Vermehrung und Differenzierung der patienteneigenen, gewebespezifischen Stammzellen so an, dass funktionelle Zellen und Gewebe im Körper des Patienten
regeneriert werden.
Die drei erstgenannten Therapiekonzepte erscheinen grundsätzlich sowohl auf embryonale als auch auf adulte Stammzellen anwendbar; das vierte Konzept macht
sich ausschließlich adulte Stammzellen zunutze.
Bei den Therapiekonzepten ist zusätzlich danach zu differenzieren, ob allogene
Zellen (von einem Spender, genetisch verschieden vom Zelltransplantatempfänger)
oder autologe Zellen (vom Patienten selber, daher genetisch mit ihm identisch) zum
Einsatz kommen. Allogene Transplantate unterliegen natürlicherweise der Abstoßung, autologe hingegen nicht. Adulte und neonatale Stammzellen eröffnen die
Möglichkeit der allogenen und autologen Zelltransplantation, wohingegen embryonale Stammzellen zunächst nur allogene Transplantate ermöglichen. Zur Kontrolle
der Abstoßungsreaktion ist eine lebenslange Immunsuppression des Patienten erforderlich, die mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen verbunden ist. Deshalb werden
verschiedene Optionen diskutiert, das Problem der Abstoßung allogener Transplantate zu umgehen. Dies sind
(1)
Immunisolierung der Transplantate durch Verkapselung,
(2)
Induktion von Toleranz im Transplantatempfänger,
120
(3)
Gewinnung "quasi-autologer" embryonaler Stammzellen durch "therapeutisches Klonen",
(4)
Anlegen von Gewebebanken mit allen Histokompatibilitätsklassen (Schätzungen der European Science Foundation zufolgen wären hierfür etwa 4.000
verschiedene menschliche ES-Zell-Linien erforderlich),
(5)
Gentechnische Veränderung menschlicher ES-Zell-Linien.
Für die Optionen (1) und (2) liegen erste klinische Erfahrungen aus der Transplantationsmedizin vor, doch sind diese Optionen keineswegs wissenschaftlich-technisch ausgereift und anwendungsreif. Die anderen Optionen sind hypothetisch; es
liegen keine konkreten Erfahrungen mit menschlichen embryonalen Stammzellen
vor.
Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen befindet sich im
Grundlagenstadium. Sie ist vor allem auf die Entwicklung von Verfahren zur Gewinnung dieser Stammzellen sowie auf die Erforschung der Mechanismen für die
Vermehrung und Differenzierung der Stammzellen und ihre Steuerung ausgerichtet.
Die therapeutische Anwendung von embryonalen Stammzellen des Menschen ist
bislang rein hypothetisch. Die schon seit längerem betriebenen Forschungsarbeiten
an embryonalen Stammzellen der Maus werden vor allem dazu genutzt, transgene
Mausmodelle für die Forschung herzustellen.
Im Hinblick auf eine therapeutische Anwendung befinden sich Untersuchungen an
menschlichen adulten Stammzellen derzeit in einem deutlich weiter fortgeschrittenen Stadium als die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Klinisch werden menschliche adulte Stammzellen bereits heute eingesetzt, so z. B. bei
der Vermehrung von menschlicher Haut zur Behandlung großflächiger Verbrennungen und schlecht heilender Wunden; neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut oder Blut bildende Stammzellen aus dem Knochenmark zur Rekonstitution des
Immun- und Blut bildenden Systems nach Strahlen- oder Chemotherapie bei bestimmten Krebsformen und Autoimmunerkrankungen; Gewinnung von Knorpelund Knochengewebe aus mesenchymalen Stammzellen des Knochenmarks. Bei
diesen Anwendungen werden die adulten und neonatalen Stammzellen innerhalb
ihrer Gewebespezifität genutzt; vereinzelt werden auch Heilversuche mit adulten
Stammzellen außerhalb ihrer Gewebespezifität durchgeführt (z. B. Herzinfarkt).
Zurzeit werden die prinzipiell therapeutisch nutzbar erscheinenden Phänomene der
Transdifferenzierung und Retrodifferenzierung von adulten Stammzellen noch nicht
genutzt. Sie sind noch zu wenig verstanden, um sie derzeit beeinflussen oder gar
steuern zu können.
Ausgehend vom aktuellen Stand der Forschung an menschlichen Stammzellen erscheint es unwahrscheinlich, dass stammzellbasierte Therapien in absehbarer Zeit
entwickelt werden, die über die Verwendung von adulten Stammzellen innerhalb
ihrer Gewebespezifität signifikant hinausgehen. In diese Einschätzung fließt auch
121
ein, dass Zelltherapien – unabhängig vom verwendeten Zelltyp – bislang nur in
Ausnahmefällen etablierte Therapieformen sind. Daher muss bei der Entwicklung
stammzellbasierter Therapiekonzepte mit zwei Kategorien von wissenschaftlichtechnischen Problemen gerechnet werden:
•
Probleme, die in der Verwendung von Stammzellen liegen. Hierzu zählen beispielsweise die schwierige Vermehrbarkeit adulter Stammzellen und die derzeitige Unmöglichkeit, sowohl adulte als auch embryonale Stammzellen gezielt, effizient und vollständig zu einem rein vorliegenden Zelltyp zu differenzieren und
aufzureinigen. Ebenfalls noch offen ist, inwieweit eine mögliche Tumorbildung
durch embryonale Stammzellen kontrolliert werden kann, inwieweit eine Differenzierung zu nicht gewünschten Zelltypen in vivo vermieden werden kann und
wie mögliche Infektionsrisiken durch Kultivierung von Stammzellen auf tierlichen "feeder layers" zu bewerten und ggf. zu vermeiden sind. Zudem ist es aus
heutiger Sicht wahrscheinlich, dass es nicht einen "universell nutzbaren" Stammzelltyp geben wird, der für alle möglichen Therapiekonzepte gleichermaßen einsetzbar ist. Jedoch ist beim heutigen Kenntnisstand nicht entscheidbar, welcher
Stammzelltyp sich für die Zelltherapie einer bestimmten Krankheit als brauchbar
erweisen wird. Dieses Wissen kann nur durch systematische und vergleichende
Studien zum Vermehrungs- und Entwicklungspotenzial von Stammzellen unterschiedlicher Herkunft erlangt werden. In der Fachwelt ist jedoch umstritten, inwieweit zum jetzigen Zeitpunkt menschliche embryonale Stammzellen in diese
Untersuchungen einbezogen werden müssten, um den notwendigen Erkenntnisfortschritt zu erzielen.
•
Probleme, die in der Ausgestaltung des Zelltherapiekonzeptes liegen und nicht
allein durch die Verfügbarkeit von Stammzellen gelöst werden können. Hierzu
zählen beispielsweise die technische Durchführung, der Ort der Transplantation,
Zahl und Differenzierungsgrad der transplantierten Zellen und die Kontrolle der
Abstoßung.
123
6.
Wirtschaftliche Aspekte
In diesem Kapitel werden wirtschaftliche Aspekte von menschlichen Stammzellen
analysiert. Dabei sollen diejenigen Produkte und Dienstleistungen berücksichtigt
werden, die unter Verwendung menschlicher Stammzellen in der Medizin angeboten werden könnten. Es werden Informationen bereitgestellt zu den relevanten
kommerziellen Akteuren, die sich weltweit und in der Schweiz mit humanen
Stammzellen beschäftigen (Kap. 6.1), den potenziellen Märkten für menschliche
Stammzellen (Kap. 6.2) sowie Faktoren, die die kommerzielle Nutzung der Potenziale humaner Stammzellen beeinflussen (Kap. 6.3).
6.1
Unternehmen mit Aktivitäten mit Relevanz für menschliche Stammzellen
Im Folgenden sollen diejenigen Unternehmen identifiziert und ihre wirtschaftlichen
Aktivitäten charakterisiert werden, die Unternehmenstätigkeiten mit Relevanz für
das Gebiet der humanen Stammzellen aufweisen. Als relevant wurden solche Unternehmen erachtet, die
•
sich direkt mit humanen Stammzellen beschäftigen, oder
•
Strategien und Techniken für Zelltherapien entwickeln, aber derzeit noch nicht
explizit auf dem Gebiet humaner Stammzellen aktiv sind, oder
•
als Zulieferer für dieses Feld fungieren.
Dabei wird nach dem Sitz des Unternehmens unterschieden und danach differenziert, ob die identifizierten Unternehmen ihren Geschäftssitz in der Schweiz haben
oder nicht.
Die Unternehmen wurden in einem ersten Schritt mit Hilfe von zwei Suchstrategien
identifiziert: Einerseits wurden einschlägige Verzeichnisse und Datenbanken auf
Biotechnologie- und Bio-Medizin-Unternehmen mit Relevanz für das Gebiet humane Stammzellen gescreent. Andererseits wurden Zeitschriftenartikel und andere
Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema "Stammzellen" beschäftigten, nach
Unternehmensbezeichnungen und -namen durchsucht. Für die so identifizierten
Unternehmen wurde anschließend eine umfangreiche und systematische Internetrecherche durchgeführt mit dem Ziel, die Unternehmensaktivitäten hinsichtlich der
menschlichen Stammzellforschung zu identifizieren und zu klassifizieren.
124
6.1.1
Unternehmen, die sich aktiv mit menschlichen Stammzellen
beschäftigen
In einem ersten Schritt wurde versucht, weltweit diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die sich mit humanen Stammzellen beschäftigen. Beispiele für Unternehmen, die in diesem Feld aktiv sind, sind in Tabelle 6.1 dargestellt. Dabei zeigt sich
eine deutliche Dominanz von Unternehmen aus den USA. Hinsichtlich ihrer geschäftlichen Aktivitäten lassen sich im Wesentlichen zwei Gruppen von Unternehmen unterscheiden:
(1)
Unternehmen, die die Gewinnung und Charakterisierung humaner embryonaler Stammzellen als Geschäftsziel haben.
(2)
Unternehmen, die mit Hilfe von humanen Stammzellen (sowohl embryonalen
als auch adulten Stammzellen) Therapien für verschiedene Krankheiten entwickeln.
Unternehmen aus der ersten Gruppe sind bislang vorwiegend in den USA oder
Australien beheimatet, und damit in den Ländern, in denen Forschergruppen beheimatet sind, die als erste menschliche embryonale Stammzellen gewannen. Beispiele
dafür sind Advanced Cell Technology, Cythera, ES Cell International, Geron Corporation und WiCell (Tab. 6.1). Aus dieser Gruppe machten bislang vor allem die
beiden US-Unternehmen Geron sowie Advanced Cell Technology Schlagzeilen.
Geron, das in Menlo Park, Kalifornien, beheimatet ist, finanzierte teilweise die Gewinnung der ersten embryonalen humanen Stammzellen an der University of Wisconsin und gilt als einer der kommerziellen Pioniere der Forschung mit humanen
embryonalen Stammzellen in den USA. Im Sommer 2000 ging Geron eine Kooperation mit dem US-Sequenzierunternehmen Celera Genomics ein, das als erstes das
Genom eines Menschen sequenziert hat, mit dem Ziel, die relevanten Gene und ihre
Funktion zu identifizieren, die bei der Zelldifferenzierung und frühen Entwicklung
humaner Zellen einbezogen sind (Anonym 2000). Außerdem hat Geron in den vergangenen Jahren sehr stark in den Aufbau von Know-how in Klonierungstechniken
investiert, die als wesentliche Basistechnologie für die Gewinnung autologer embryonaler Stammzellen angesehen werden (vgl. Kap. 4.3).
Das US-Unternehmen Advanced Cell Technology mit Geschäftssitz in Worcester,
Massachusetts machte in den letzten Monaten mehrfach Schlagzeilen durch die
Weiterentwicklung verschiedener Methoden zur Gewinnung embryonaler Stammzellen: Dieser Firma gelang erstmals die Gewinnung von Stammzellen aus parthenogenetisch erzeugten Embryonen von nicht-humanen Primaten (Cibelli et al.
2002). Versuche, diese Technik auch zur Gewinnung menschlicher embryonaler
Stammzellen anzuwenden, waren jedoch noch nicht erfolgreich, doch wurde der
erste Teilschritt, die parthenogenetische Aktivierung menschlicher Eizellen bereits
vollzogen (Cibelli et al. 2001, s. auch Kap. 4.5). Zudem verfolgt die Firma das
ethisch sehr umstrittene und wissenschaftlich bislang noch nicht erreichte Ziel, autologe menschliche embryonale Stammzellen durch die Methode des "therapeuti-
125
schen Klonens" zu gewinnen. Zellkerne aus menschlichen Fibroblastenzellen wurden in entkernte menschliche Eizellen übertragen. Aus insgesamt 19 durch Kerntransfer behandelten menschlichen Eizellen entwickelten sich drei Embryonen bis
zum 4- bzw. 6-Zellstadium und starben dann ab (Cibelli et al. 2001). Eine Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus so frühen Embryonalstadien ist jedoch
nicht möglich (s. auch Kap. 4.3).
Das WiCell Research Institute ist eine Non-profit-Organisation, die im Oktober
1999 von der Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) gegründet wurde.
WiCell hat das Ziel, Forschungsarbeiten, bei denen Stammzellen genutzt werden,
zu unterstützen und die grundlegenden Arbeiten von James Thomson fortzuführen,
der an der University of Wisconsin eines der beiden Wissenschaftlerteams leitete,
die als erste humane embryonale Stammzellen gewannen (Thomson et al. 1998, s.
auch Kap. 4.2). Unter teilweiser Finanzierung durch Geron etablierte Thomson fünf
humane embryonale Stammzell-Linien, für die WiCell eine Lizenz hat. Obwohl drei
der Stammzell-Linien gleichzeitig auch an Geron auslizenziert sind, ist WiCell derzeit der weltgrößte kommerzielle Anbieter von humanen embryonalen Stammzellen, die an interessierte Forscher für eine Gebühr von etwa 5.000 $ verkauft werden
(Robertson 2001, s. auch Kap. 6.3.3).
Die Unternehmen der ersten Gruppe verfolgen die Strategie, humane embryonale
Stammzell-Linien zu etablieren, zu charakterisieren und interessierten Unternehmen
oder Forschungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Neben einem Nutzungsentgelt wollen die "Stammzellpioniere" zumeist auch über Lizenzabkommen oder
ähnliche Mechanismen an den möglichen Ergebnissen einer wirtschaftlichen Nutzung, die sich aus den Forschungsarbeiten ergeben, beteiligt werden.
Eine zweite Gruppe von Unternehmen, die sich aktiv mit humanen Stammzellen
beschäftigt, hat die Nutzung dieser Zellen zur Entwicklung von Zelltherapien für
verschiedenen Krankheiten (z. B. Erkrankungen des zentralen Nervensystems,
Krebs, Blutkrankheiten, Lebererkrankungen) zum Geschäftsinhalt. Beispiele für
diese Gruppe von Unternehmen sind Cardion AG und Kourion aus Deutschland,
ReNeuron Holdings aus Großbritannien oder Neuronyx und Nexell aus den USA
(Tab. 6.1). Eine Mittelstellung zwischen erster und zweiter Gruppe von Unternehmen nimmt offenbar Bresagen (Australien, USA) ein, das sowohl in der Gewinnung
von menschlichen embryonalen Stammzellen als auch in deren therapeutischer Nutzung insbesondere für die Parkinson'sche Krankheit aktiv ist. Die meisten Unternehmen dieser Gruppe konzentrieren sich auf die Nutzung humaner adulter Stammzellen; teilweise ist offen, inwieweit sie künftig auch humane embryonale Stammzellen einsetzen wollen. Bislang sind die Arbeiten zu der Entwicklung von Zelltherapien zu den genannten Krankheiten noch kaum über das präklinische Stadium
hinausgekommen und haben oftmals noch relativ grundlegenden Charakter.
126
Darüber hinaus befassen sich einige wenige Unternehmen damit, menschliche
Stammzellen im Rahmen der Pharmawirkstoffsuche zur Target-Identifizierung einzusetzen. So haben beispielsweise die US-amerikanischen Unternehmen NeuralStem und Psychiatric Genomics (beide Gaithersburg) mehrere Zell-Linien aus
verschiedenen Gehirnregionen angelegt, die sich effizient zu Neuronen und Gliazellen differenzieren lassen. Diese differenzierten Zellen sollen als Modellsysteme
für Erkrankungen des zentralen Nervensystems dienen, um neue Pharmawirkstoffe
zu identifizieren, Pharmaleitsubstanzen zu optimieren sowie die Wirkungsweise
von Pharmawirkstoffen und Genfunktionen zu untersuchen (Palfreyman 2002).
Tabelle 6.1:
Beispiele von Unternehmen mit Aktivitäten in der Stammzellforschung
Unternehmen
Advanced Cell Technology
Bresagen
Land
USA
Australien,
USA
CyThera Inc.
USA
Geron Corporation
USA
Ixion Biotechnology
USA
Layton Biosciences
USA
Neuronyx
USA
Nexell
USA
NeuralStem
USA
Aktivitäten
Forschung und Entwicklung von Techniken
zur Gewinnung humaner embryonaler
Stammzellen; Entwicklung von Zellen zur
Transplantation
Entwicklung von humanen embryonalen
Zell-Linien zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen, Reproduktions- und
Entwicklungsbiologie, Herstellung von rekombinanten Therapeutika
Charakterisierung und Entwicklung humaner
embryonaler Stammzellen
Forschung und Entwicklung von humanen
embryonalen Stammzellen zur Nutzung in
Onkologie und regenerative Medizin, Techniken zur Gewinnung embryonaler Stammzellen
Differenzierung menschlicher Stammzellen
zu Insulin produzierenden Inselzellen der
Bauchspeicheldrüse; spätere Verwendung als
nicht verkapselte Allotransplantate in der
Diabetestherapie angestrebt
Menschliche neuronale Stammzellen für
Erkrankungen des zentralen Nervensystems
(Schlaganfall, Tumore, Parkinson'sche und
Alzheimer'sche Krankheit)
Technologien zur Forschung an adulten
Stammzellen, Entwicklung von Therapien für
neuronale Krankheiten
Nutzung adulter humaner Stammzellen zur
Behandlung von Blutkrankheiten, Krebs und
Autoimmunkrankheiten
Nutzung adulter humaner Stammzellen des
Gehirns für in vitro-Modellsysteme für ZNSErkrankungen
127
Fortsetzung Tabelle 6.1
Unternehmen
Psychiatric Genomics
Stemcell Sciences
TEI Biosciences
WiCell
ReNeuron Holdings plc.
ES Cell International
Stem Cell Sciences Ltd.
Axiogenesis
Cardion AG
Kourion
Land
USA
Aktivitäten
Nutzung adulter humaner Stammzellen des
Gehirns für in vitro-Modellsysteme zur
Wirkstoffsuche für ZNS-Erkrankungen
USA
Forschung und Entwicklung für Stammzellbasierte Therapien zur Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems,
Leber und Pankreas
USA
Signalmoleküle zur Induzierung der Stammzelldifferenzierung; Verwendung der differenzierten Zelltypen im Tissue Engineering
USA
Non-profit Organisation zur Förderung der
Stammzellenforschung; hält Rechte an derzeit fünf humanen embryonalen StammzellLinien
Großbritannien Forschung und Entwicklung von Zelltransplantationstherapien zur Behandlung der
Folgen von Schlaganfall, Parkinson oder
Alzheimer; Nutzung von Stammzellen für
Wirkstoffentwicklung
Singapore/
Charakterisierung und Entwicklung humaner
Australien
embryonaler Stammzellen
Australien
Gewinnung von menschlichen ntES-Zellen
geplant
(Schottland,
Japan)
Deutschland gentechnisch veränderte Stammzellen; Blut
bildende Stammzellen; Forschung an embryonalen Stammzellen der Maus und menschlichen adulten Stammzellen
Deutschland Forschung und Entwicklung von Technologien, mit denen Stammzellen zu therapeutisch bzw. analytisch anwendbaren Endprodukten werden; Hauptindikationen: Stammzellen zur Behandlung von Diabetes, Herzinfarkt und Parkinson; zurzeit Verwendung
embryonaler Stammzellen der Maus; Übertragung der Kenntnisse und Methoden auf
menschliche embryonale Stammzellen geplant
Deutschland Forschung und Entwicklung an Stammzellen
aus Nabelschnurblut; Techniken zur Differenzierung dieser Zellen; Zelltherapien auf
Stammzellbasis
Quellen: Datenbank- und Internetrecherchen von Fraunhofer ISI (Februar 2002),
Dove 2002; Ernst & Young 2002, S. 42
128
6.1.2
Unternehmen mit Geschäftsziel Zelltherapien
Neben den Unternehmen, die direkt mit humanen Stammzellen umgehen, sind auch
solche Firmen relevant, die sich mit der Nutzung humaner Zellen bzw. der Entwicklung von Zelltherapien für verschiedene Krankheiten beschäftigen. Diese Unternehmen verfügen in der Regel über das Know-how zur Gewinnung und Behandlung von humanen Zellen, deren Einsatz zur Krankheitsbehandlung sowie für
die Zulassung entsprechender Produkte. Diese Kompetenzen würden sich für die
Unternehmen wahrscheinlich als vorteilhaft am Markt erweisen, wenn sich humane
Stammzellen zur Therapie von menschlichen Erkrankungen als geeignet erweisen
sollten, da sie durch ihre bisherigen Geschäftstätigkeiten in der Lage sein sollten,
auch rasch stammzellbasierte Zelltherapien zur Marktreife zu bringen. Beispiele für
Unternehmen, die in diesem Feld tätig sind und ihren Geschäftssitz nicht in der
Schweiz haben, sind in Tabelle 6.2 aufgeführt. Dabei lassen sich im Wesentlichen
drei Gruppen von Unternehmen unterscheiden (Tab. 6.2):
•
Unternehmen, die das Nabelschnurblut Neugeborener einlagern oder nutzen:
Beispiele für diese Unternehmen sind Vita 34 aus Deutschland, Lifecord aus
Österreich sowie als weltweit größter Anbieter Cryo-Cell International aus den
USA (vgl. auch Kap. 4.6.1.3).
•
Unternehmen mit dem Geschäftsziel der Entwicklung von Geweben bzw. Zellen
für den Ersatz menschlicher Haut sowie Knorpel/Knochen: Beispiele für diese
Unternehmensgruppe sind Advanced Tissue Technologies aus den USA, Renovo
aus Großbritannien, BioTissue AG, Co.don AG und Verigen aus Deutschland
sowie Isotis aus den Niederlanden.
•
Unternehmen, die die Entwicklung innovativer Zelltherapien für andere Erkrankungen zum Ziel haben: Beispiele für diese Unternehmensgruppe sind Aastrom
Biosciences und Genzyme Corporation aus den USA sowie Cytonet und Heart
Biosystems aus Deutschland.
Im Gegensatz zu den Unternehmen, die sich unmittelbar mit humanen Stammzellen
beschäftigen (Tab. 6.1), haben die meisten der in Tabelle 6.2 aufgeführten Unternehmen bereits erste Produkte auf dem Markt oder diese befinden sich in den letzten Phasen der klinischen Prüfung. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung von
Zellen oder Geweben für Hautersatz und die Behandlung von Knorpelschäden.
Demgegenüber ist die Entwicklung innovativer Zelltherapien für multifaktoriell
bedingte Krankheiten (z. B. Krebs, Lebererkrankungen) in der Regel wesentlich
aufwändiger, so dass sich die Projekte der damit befassten Unternehmen oftmals
noch in einem früheren Entwicklungsstadium befinden. Das Hauptangebot der erstgenannten Gruppe von Unternehmen liegt in der Kühllagerung von Nabelschnurblut
Neugeborener, das gegen Entgelt teilweise 20 Jahre oder mehr eingelagert wird und
später für die Behandlung möglicherweise auftretender Erkrankungen (z. B. Leukämie) zur Verfügung steht. Allerdings mangelt es bislang an konkreten Einsatzzwecken der im Nabelschnurblut enthaltenen adulten Stammzellen.
129
Tabelle 6.2:
Beispiele von Unternehmen mit Aktivitäten in Zelltherapien
Unternehmen
Land
Aktivitäten
Aastrom Biosciences
USA
Entwicklung von Zelltherapien auf der Basis
von Knochenmarks- und Nabelschnurblutstammzellen zur Behandlung von Krebs und
anderen Krankheiten
Advanced Tissue Technologies
USA
Forschung und Entwicklung an Zelltherapien
für Hautersatz sowie anderen Krankheiten
BioTransplant
USA
Forschung und Entwicklung an Strategien
zur Überwindung der Abstoßung von Transplantaten
Cryo-Cell International
USA
Weltweit größter Anbieter zur Einlagerung
von Nabelschnurblut
Osiris Therapeutics
USA
Techniken zur Gewinnung und Nutzung von
Knochenmarkzellen
Renovo
Großbritannien Forschung und Entwicklung an Zelltherapien
zur Wundheilung
Biocare GmbH
Deutschland
Tochter von Modex Therapeutics (Lausanne), Forschung und Entwicklung an Hautersatzsystemen
Heart Biosystems
Deutschland
adulte Stammzellen; Herz-Kreislauf; antiproliferative Therapien
BioTissue AG
Deutschland
Entwicklung von Gewebe für Ersatz von
Knochen/Knorpel und Haut
Co.don AG
Deutschland
Entwicklung und Herstellung von zellbasierten Arzneimitteln zur Regeneration von
Knochen-, Knorpel- und Bandscheibengewebe
Cytonet
Deutschland
Blutstammzell- und Knochenmarkstransplantate; Entwicklung von Tissue-Engineering-Produkten (Nieren, Nerven, Blase,
Bandscheibe) aus Stammzellen
Verigen
Deutschland
Forschung und Entwicklung von Zelltherapien für Haut sowie Knochen/Knorpel-Ersatz
Vita 34
Deutschland
Herstellung von Blutprodukten zur Transplantation, Einlagerung von Nabelschnurblut
130
Fortsetzung Tabelle 6.2
Unternehmen
Isotis
Land
Niederlande
Aktivitäten
Nutzung von Knochenmarkzellen und autologen Zellen zum Zellersatz (z. B. Haut,
Knochen, Herz)
EccoCell
Österreich
Anwendungen von adulten Stammzellen
Lifecord GmbH
Österreich
Einlagerung von Nabelschnurblut
Gamida-Cell Jerusalem
Israel
Expansion von Stammzellpopulationen, z. B.
aus Nabelschnurblut, zum Einsatz bei hochdosierter Chemotherapie
Quelle: Datenbank- und Internetrecherchen von Fraunhofer ISI (Februar 2002)
6.1.3
Akteure in der Schweiz
In der Schweiz konnten nur relativ wenige Unternehmen identifiziert werden, die
sich hauptsächlich oder zumindest am Rande mit humanen Stammzellen befassen.
Einige Beispiele für junge Biotechnologieunternehmen, die Anknüpfungspunkte zu
humanen Stammzellen aufweisen, sind in Tabelle 6.3 dargestellt. Die beiden erstgenannten Unternehmen (BeFutur Biotechnologies SA, Genf sowie Modex Therapeutics, Lausanne) sind entweder direkt in der Entwicklung von Techniken zur Gewinnung adulter humaner Stammzellen engagiert oder beschäftigen sich mit humanen Zellsystemen, für die sich auch Stammzellen nutzen lassen. Die beiden letztgenannten Unternehmen (Cell Culture Technologies GmbH, Zürich; Cistronics Cell
Technology, Zürich) sind demgegenüber auf dem Gebiet der Zellkulturen für
menschliche und andere Säugerzellen aktiv, ohne bislang dezidierte Anknüpfungspunkte für die Nutzung humaner Stammzellen in ihren veröffentlichten geschäftlichen Aktivitäten auszuweisen (Tab. 6.3). Bei diesen Unternehmen dürfte allerdings
das generelle Know-how vorhanden sein, um humane Stammzellen zu nutzen.
Daneben sind in der Schweiz noch einige Zulieferunternehmen aktiv (z. B. Vaudaux-Eppendorf AG, Schönenbuch/Basel; TECAN AG, Hombrechtikon; Integra
Biosciences AG, Wallisellen), die Ausrüstungsgegenstände und Verbrauchsmaterialien für die Forschung an menschlichen Zell-Linien anbieten.
131
Tabelle 6.3:
Unternehmen mit Anknüpfungspunkten zu humanen Stammzellen
in der Schweiz
Unternehmen
Aktivitäten
BeFutur Biotechnologies SA
(Genf, New York, Montreal)
Entwicklung von Techniken zur Gewinnung adulter
Stammzellen, Nutzung von Zellen zu therapeutischen
und kosmetische Zwecken (Kardiologie, Paradontologie, Kosmetik, ästhetische Medizin)
Modex Therapeutics
(Lausanne)
Forschung und Entwicklung von Hautersatzsystemen
(z. B. Behandlung chronischer Wunden durch Zellen),
neuartigen Therapiesystemen in der Dermatologie
sowie Verkapselung von Zellen
Cell Culture Technologies GmbH
(Zürich)
Entwicklung von Zellkulturen von Säugerzellen für
verschiedene Zwecke
Cistronics Cell Technology
(Zürich)
Entwicklung eines Genregulationssystems für Säugerzellen
Quelle: Datenbank- und Internetrecherchen von Fraunhofer ISI (Februar 2002)
Die großen Pharmaunternehmen der Schweiz sind nach den bislang vorliegenden
Angaben nicht selbst in der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen
engagiert. Dies wird auch in der Stellungnahme des Branchenverbandes Interpharma im Rahmen der schriftlichen Befragung relevanter Akteure in der
Schweiz deutlich. Es besteht allerdings ein Kooperationsabkommen zwischen
Roche Diagnostics und Geron, nach dem Roche das Enzym Telomerase vermarktet,
das auch für die Herstellung von menschlichen embryonalen Stammzellen verwendet werden kann (Geron 2000). Bis Ende 1999 bestand ein Kooperationsabkommen
zwischen Novartis und dem US-Unternehmen Osiris Therapeutics, das in der Forschung mit adulten Stammzellen aktiv ist (Tab. 6.2). Nach Aussage des Vorstandsvorsitzenden von Novartis auf der Hauptversammlung im Jahr 2001 ist sein Unternehmen bislang nicht in der Forschung bei embryonalen Stammzellen aktiv
(Novartis 2001), doch hat das Unternehmen interne ethische Richtlinien verfasst,
die sich auch auf Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen beziehen.
Diesen Richtlinien zufolge dürfen Forschungsarbeiten des Unternehmens an
menschlichen embryonalen Stammzellen nur durchgeführt werden, wenn diese
Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen gewonnen wurden und die Eltern ihre
aufgeklärte Zustimmung zur Verwendung des Embryos in der Forschung gegeben
haben, ohne daraus einen finanziellen Vorteil zu erlangen. In den Richtlinien wird
hingegen die gezielte Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken
sowie das therapeutische Klonen abgelehnt (Novartis Medienmitteilung 2002).
132
Wie bibliometrische Analysen zeigen, hat sich das Publikationsaufkommen bei
Stammzellen zwischen 1988 und 1999 weltweit mehr als verfünffacht. Wie in den
meisten Feldern der Biowissenschaften stehen die USA an der Spitze der publizierenden Nationen. Vergleicht man jedoch die Publikationsaktivitäten der Jahre 1993
und 1998 bei Stammzellen, so haben insbesondere europäische Länder an Boden
gewonnen und ihre Anteile erhöht. Zu den besonders dynamischen Ländern gehört
Deutschland, das im Jahr 1998 im Vergleich zu 1993 z. B. an Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Japan vorbeiziehen konnte, was die Zahl der Publikationen zu Stammzellen angeht (Bild der Wissenschaft 2000). Berücksichtigt man jedoch die Größenunterschiede der einzelnen Länder und bezieht die Zahl der Publikationen bei Stammzellen auf die Einwohnerzahl, so zählt die Schweiz mit etwa
10,7 Publikationen pro 1 Mio. Einwohner zu den effizientesten Nationen. Größere
Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und auch die USA weisen
demgegenüber nur etwa halb so viele Publikationen zu Stammzellen bezogen auf
die Einwohnerzahl auf (Bild der Wissenschaft 2000). Bezogen auf die Zahl der eigenen Publikationen bzw. der Copublikationen sind in der Schweiz die Universität
Basel sowie die Universität Genf die aktivsten Einrichtungen auf dem Gebiet der
Stammzellen (Bild der Wissenschaft 2000). Vergleicht man die wissenschaftliche
Stellung der Schweiz bei Stammzellen mit der bisherigen kommerziellen Umsetzung, so erhält man den Eindruck einer "Kommerzialisierungslücke". Dies gilt für
Unternehmen, die sich unmittelbar mit humanen Stammzellen befassen als auch für
Unternehmen, die Zelltherapien entwickeln, ohne explizit auf humane Stammzellen
zurückzugreifen.
6.2
Marktschätzungen zu Stammzellen
Es liegen einzelne Markteinschätzungen zu dem Umfang und der Entwicklung des
Marktes bzw. Marktpotenzials von humanen Stammzellen vor. Allerdings wird bei
den meisten Veröffentlichungen die Basis und Vorgehensweise der Marktuntersuchung nicht explizit offengelegt, so dass die Qualität der Informationen oftmals nur
schwer beurteilt werden kann. Alle vorliegenden Marktschätzungen gehen allerdings von einem explosionsartigen Wachstum des Marktes für Stammzellen aus. So
sollen nach Angaben der Tübinger Unternehmensberatung Helmut Kaiser weltweit
über 350 Unternehmen schwerpunktmäßig im Bereich Stammzellenforschung und anwendung tätig sein, davon über 80 Firmen an den Aktienmärkten mit einer
Marktkapitalisierung von mehr als 20 Mrd. $ (Helmut Kaiser Unternehmensberatung 2002). Nach Schätzungen dieser Unternehmensberatung soll der Weltmarkt für
Stammzellen nach Schätzungen der von einem Marktvolumen von 400 Mio. $ im
Jahr 2000 auf 12,9 Mrd. $ bis 2005 und gar 57,7 Mrd. $ im Jahr 2010 wachsen
(Kutter et al. 2002). Ähnliche Schätzungen für das Marktvolumen in zehn Jahren
wurden z. B. von Boston Consulting oder der Münchner Analystenagentur Performaxx vorgelegt (Banze 2001). Ein ähnliches explosionsartiges Wachstum wird auch
133
für das Gebiet Tissue Engineering (vgl. Kap. 2.3) erwartet. Nach Einschätzung der
Pittsburgh Tissue Engineering-Initiative aus den USA soll der weltweite Branchenumsatz für das Marktsegment von derzeit unter 400 Mio. $ auf etwa 80 Mrd. $ im
Jahr 2008 anwachsen (Perriard 2001). Nach Einschätzung der Landesbank BadenWürttemberg sollen sich allein die Umsätze mit Ersatzknorpeln bis zum Jahr 2011
auf rund 25 Mrd. $ fast vervierfachen (Rees 2001). Eine von der Unternehmensberatung Helmut Kaiser vorgenommene Aufschlüsselung des Gesamtmarkts auf verschiedene Stammzellen-Anwendungen und -produkte lässt darauf schließen, dass
der Großteil der Umsätze mit Verfahren zur Gewinnung, Lagerung, Charakterisierung, Kultivierung und Differenzierung von Stammzellen zu therapeutisch einsetzbaren Produkten erzielt werden könnte. Demgegenüber schätzt die Unternehmensberatung den Umsatz mit den eigentlichen Stammzellprodukten (als "zelluläre Arzneimittel") als geringer ein (Helmut Kaiser Unternehmensberatung 2002), was erhebliche Umbrüche gegenüber der heute praktizierten Medizin und etablierten
Pharmaindustrie bedeuten würde.
Die aufgeführten Beispiele für Marktschätzungen zu Stammzellen und Tissue Engineering dürften eher Marktpotenzialabschätzungen als konkrete wissenschaftlich
fundierte Prognosen für eine zu erwartende Marktentwicklung widerspiegeln. Dies
gilt insbesondere für Stammzellen, bei denen sich die meisten Entwicklungen noch
im Grundlagenstadium befinden und derzeit noch kaum verlässliche Informationen
zu realistischen Zeiten für die Entwicklung neuer Therapien und deren Markteinführung vorliegen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass es mindestens zehn
Jahre dauern wird, bis Zelltherapien auf der Basis humaner embryonaler Stammzellen am Patienten eingesetzt werden können (Banze 2001, s. auch Kap. 5.2.1).
Zwar können über einen Zeitraum von zehn Jahren aus vorliegenden Informationen
zur Prävalenz einer bestimmten Krankheit und der voraussichtlichen Entwicklung
der Bevölkerungsstruktur (vgl. Kap. 5.7) die potenzielle Zahl betroffener Patienten
noch relativ zuverlässig abgeschätzt werden, doch gilt dies nicht für die Zahl der
Patienten, die dann auch tatsächlich mit einer spezifischen Zelltherapie behandelt
werden, die dafür anfallenden Kosten oder der Erstattungsmodus von Einrichtungen
des Gesundheitswesens (z. B. private oder öffentliche Krankenkassen). Aus diesem
Grunde sind Abschätzungen zur Entwicklung des monetären Marktvolumens für
Stammzellen derzeit mit sehr hohen Unsicherheiten behaftet und wissenschaftlich
kaum belastbar.
6.3
Einflussfaktoren für die kommerzielle Nutzung von humanen Stammzellen
Für die Umsetzung des wissenschaftlichen Potenzials von humanen Stammzellen
und ihre Nutzung in kommerziell interessanten Produkten und Dienstleistungen
sind eine Reihe von Faktoren verantwortlich, die im Folgenden diskutiert werden
134
sollen. Auf Grund des frühen Entwicklungsstadiums insbesondere bei der Nutzung
humaner embryonaler Stammzellen ist es derzeit meist nicht möglich, spezifische
Erfolgsfaktoren für eine kommerzielle Umsetzung der wissenschaftlichen Potenziale zu identifizieren, sondern es wird versucht, die wesentlichen Einflussfaktoren
für diesen Prozess zu identifizieren und diejenigen Aspekte zu benennen, die aus
heutiger Sicht für die zukünftige Entwicklung wesentlich erscheinen.
6.3.1
Medizinisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt
Ein wesentlicher Einflussfaktor für die zukünftige Nutzung von humanen Stammzellen sind die Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlich-technischen Forschungsprojekte. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob die Effekte, die bei embryonalen Stammzellen im Tierversuch zu beobachten sind, sich auch auf die Behandlung der entsprechenden Krankheiten beim Menschen übertragen lassen. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die Qualität der verfügbaren humanen embryonalen
Stammzellkulturen. Dies betrifft sowohl die jeweiligen Eigenschaften einer bestimmten Zell-Linie, ihre Wirkungen im Hinblick auf eine bestimmte Krankheit als
auch Fragen der Unbedenklichkeit und Sicherheit der jeweiligen Stammzell-Linie.
Zum derzeitigen Zeitpunkt lässt sich die Qualität der etablierten menschlichen embryonalen Stammzell-Linien kaum einschätzen, da sie unzureichend charakterisiert
sind und auch systematische vergleichende Untersuchungen zwischen StammzellLinien unterschiedlicher Herkunft fehlen (s. auch Kap. 4).
6.3.2
Patentierung
Einer der intensiv diskutierten Punkte im Hinblick auf die kommerzielle Nutzung
von Stammzellen ist die Patentierung von Stammzellen, Stammzell-Linien bzw.
Verfahren zu deren Gewinnung, Kultivierung, Differenzierung und Anwendung.
Eine Übersicht über die aktuelle Patentsituation zu Stammzellen gibt Tabelle 6.4:
Zurzeit gibt es weltweit mehr als 2.000 Patentanmeldungen, die sich auf menschliche und nicht-humane Stammzellen beziehen, davon betrifft ein Viertel embryonale
Stammzellen. Von diesen Patentanmeldungen sind mehr als ein Drittel aller Patentanmeldungen zu Stammzellen und ein Viertel der Patentanmeldungen zu embryonalen Stammzellen erteilt worden (European Group on Ethics in Science and New
Technologies to the European Commission 2002, S. 11, Tab. 6.4).
135
Tabelle 6.4:
Übersicht über die Patentsituation weltweit zu Stammzellen
Anzahl der
Patentanmeldungen
Anzahl der
erteilten Patente
Humane und nicht-humane Stammzellen (adult und embryonal)
> 2000
> 650
Humane und nicht-humane
embryonale Stammzellen
ca. 500
ca. 125
Stammzelltyp
Quelle: Eigene Darstellung nach Informationen aus European Group on Ethics in
Science and New Technologies to the European Commission 2002, S. 11
Folgende Verfahren und Produkte kommen für eine Patentierung in Betracht
(European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European
Commission 2002, S. 11-12):
•
Verfahren für die Gewinnung bzw. Isolierung von Stammzellen aus Embryonen
und Geweben,
•
Verfahren für die Anreichung von Stammzellen aus Proben, die verschiedene
Zelltypen enthalten,
•
Verfahren für die Kultivierung von Stammzellen,
•
Verfahren für die genetische Veränderung von Stammzellen für bestimmte Anwendungen (z. B. zur Verringerung der Abstoßung nach Transplantation),
•
Verfahren, mit denen die Differenzierung von Stammzellen zu bestimmten Zellund Gewebetypen induziert wird,
•
Verfahren, um bei adulten Stammzellen Retro- bzw. Transdifferenzierung zu
induzieren (vgl. Kap. 4.6),
•
Verfahren zur Herstellung von Embryonen mittels Zellkerntransfer in eine entkernte Eizelle, um aus diesen Blastocysten ntES-Zellen zu gewinnen (vgl.
Kap. 4.3),
•
Verfahren zur Herstellung von Embryonen mittels Parthenogenese, um aus diesen Parthenoten embryonale Stammzellen zu gewinnen (vgl. Kap. 4.5),
•
Verfahren zur Umwandlung von Körperzellen in Stammzellen mittels ooplasmatischem Transfer (vgl. Kap. 4.5),
sowie als Produkte
•
Stammzellen,
•
Stammzell-Linien,
136
•
differenzierte Stammzellen,
•
gentechnisch veränderte Stammzellen.
In der EU ist noch nicht abschließend geklärt, inwieweit menschliche embryonale
Stammzellen auf der Basis der EU-Richtlinie 98/44/EC über den rechtlichen Schutz
biotechnischer Erfindungen patentierbar sind. Jedoch sind die meisten der bislang
etablierten humanen embryonalen Stammzell-Linien27 zum Patent angemeldet
worden, und zumindest in den USA sind entsprechende Patente bereits erteilt worden (European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European
Commission 2002, S. 12).
Im Zusammenhang mit der Patentierung menschlicher Stammzellen stellen sich
zum einen dieselben grundlegenden, überwiegend stammzellenunspezifischen Fragen zur Patentierbarkeit von Lebewesen, die im Vorfeld der Verabschiedung der
EU-Biopatentrichtlinie 98/44/EC kontrovers diskutiert wurden. Auf der einen Seite
wollen sich die Erfinder in Wissenschaft und Industrie ihre zumeist nicht unbeträchtlichen Aufwendungen für innovative Forschungs- und Entwicklungsarbeiten
durch ein Patent schützen und sich damit die Exklusivrechte sichern, über die zukünftige kommerzielle Nutzung ihrer Erfindung zu entscheiden. Auf der anderen
Seite benötigen Wissenschaftler Zugang zu humanen Stammzell-Linien, da diese
die Basis für ihre eigenen Forschungsarbeiten darstellen. Andererseits unterstützt
die Offenlegungspflicht bei Patenten die Fortentwicklung des Standes der Technik.
Zudem sind Patente ein Instrument, um den Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Industrie voranzubringen. Für Start-up-Unternehmen der Biotechnologie
ist eine starke Patentposition oftmals eine wesentliche Voraussetzung, um ihre
Finanzierung insbesondere bei privaten Risikokapitalgebern zu sichern und um als
Kooperationspartner z. B. für große Pharmaunternehmen interessant zu sein.
Die Diskussion um die Patentierung und Patentierbarkeit von humanen Stammzellen wird sehr intensiv geführt und beinhaltet auch die ethische Dimension dieser
Forschungsarbeiten, zu der u. a. die European Group on Ethics in Science and New
Technologies to the European Commission Stellung genommen hat (European
Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission
2002). Konkret stellen sich für die Patentierung von Erfindungen, die sich auf
menschliche Stammzellen beziehen, Fragen auf folgenden Ebenen:
•
Ebene der Patentierbarkeit biotechnischer Erfindungen. Die Patentierung biotechnischer Erfindungen im biomedizinischen Bereich, etwa für diagnostische
oder therapeutische Zwecke, kann die Gefahr bergen, dass der Zugang zu Knowhow, zu Materialien und Methoden für Forschungsarbeiten bzw. zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken zum Nachteil der Allgemeinheit beeinträch-
27 Menschliche embryonale Stammzellen sind bislang in den USA, Australien, Indien, Singapur,
Israel und Schweden gewonnen sowie in Großbritannien kultiviert worden (s. auch Tab. 4.1).
137
tigt werden kann. Diese Gefahr kann auch bei der Patentierung menschlicher
Stammzellen bestehen. Die Patentierung einer bestimmten humanen StammzellLinie schließt deren Verfügbarkeit für wissenschaftliche Zwecke jedoch nicht
automatisch aus. Neben dem Umstand, dass von den 78 im NIH-Register aufgenommenen humanen embryonalen Stammzell-Linien (s. Tab. 4.1) derzeit nur
wenige auch tatsächlich lieferbar sind, sind für die reale Verfügbarkeit von humanen Stammzellen für Forschungszwecke die Zugangsregelungen für ggf. patentierte Stammzell-Linien entscheidend. Hierauf wird im folgenden Kapitel 6.3.3 ausführlich eingegangen.
•
Ebene der Patentierung von Erfindungen, die sowohl menschliche adulte als
auch menschliche embryonale Stammzellen betreffen. Auf dieser Ebene sind die
grundlegenden ethischen Prinzipien der freien und informierten Zustimmung des
Spenders sowie des Kommerzialisierungsverbotes des menschlichen Körpers
bzw. seiner Teile zu beachten.
•
Ebene der Patentierung von Erfindungen, die menschliche embryonale Stammzellen betreffen. Inwieweit Erfindungen, die menschliche embryonale Stammzellen betreffen, überhaupt patentierbar sein dürfen, ist aus den Gründen zum
moralischen Status des Embryos in vitro und den daraus erwachsenden Schutzansprüchen, die in den Kapiteln 7 und 8 dargelegt werden, stark umstritten. Zudem ist für einzelne Gewinnungsverfahren bzw. Typen von menschlichen embryonalen Stammzellen nicht abschließend geklärt, ob sie patentierbar sind: Obwohl laut Artikel 6 der EU-Biopatentrichtlinie unter anderem "Verfahren zum
Klonen von menschlichen Lebewesen" sowie "die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" als nicht patentierbar gelten, lässt die Richtlinie offen, ob Stammzellen, die aus gespendeten
menschlichen Embryonen gewonnen wurden, sowie menschliche Embryonen,
die durch den Prozess des Kerntransfers in eine entkernte Eizelle bzw. durch
Parthenogenese entstanden sind, nicht doch patentierbar sein könnten (European
Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission
2002, S. 13-14).
6.3.3
Verfügbarkeit von und Zugangsbedingungen zu menschlichen
embryonalen Stammzellen
Für die Durchführung wissenschaftlicher Versuche mit menschlichen embryonalen
Stammzellen ist es erforderlich, dass diese in ausreichender Menge bei den interessierten Forschungseinrichtungen und Unternehmen verfügbar sind. Neben technischen Fragen zur Gewinnung und Vermehrung von entsprechenden Zell-Linien sind
hier insbesondere die Zugangsbedingungen für (ggf. patentierte) Zell-Linien entscheidend.
138
Teilweise müssen vertragliche Vereinbarungen getroffen werden, in denen zwischen den Vertragspartnern geregelt wird, unter welchen Bedingungen und für welche Zwecke die ES-Zell-Linien durch Dritte genutzt werden dürfen. Die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) haben beispielsweise derartige Rahmenabkommen für NIH-geförderte Projekte geschlossen, die den NIH-finanzierten
Forschern den Zugang zu insgesamt 17 ES-Zell-Linien28 ermöglichen (JLF 2002).
Als Beispiel für solche Rahmenabkommen sei der Rahmenvertrag erläutert, den die
NIH im Herbst 2001 mit dem WiCell Research Institute geschlossen haben. Für die
Lieferung von zwei Fläschchen Stammzellen und Anweisungen für die Kultivierung verlangt z. B. das WiCell Research Institute eine Gebühr von 5.000 $
(Robertson 2001). Zudem wurde festgelegt, dass Wissenschaftler des NIH Zugang
zu den fünf embryonalen Stammzell-Linien von WiCell haben, dass gleichzeitig
jedoch die Nutzung dieser Zell-Linien in Forschungsprojekten verboten ist, die auf
die Generierung von Embryos abzielen, oder die Entwicklung von Zelltherapien
oder zellbasierten Diagnostika zum Inhalt haben (Robertson 2001). Der Inhalt dieses Rahmenabkommens erschwert die wirtschaftliche Nutzung neuer Erkenntnisse
aus den Forschungsarbeiten, die mit den Zell-Linien von WiCell durchgeführt werden, macht diese aber nicht gänzlich unmöglich. Im Falle der Zell-Linien von WiCell wird die Situation noch dadurch erschwert, dass bislang das US-Unternehmen
Geron exklusiv Rechte für sechs Anwendungen mit den Stammzell-Linien von WiCell erhielt und sich daraus auch noch Ansprüche auf die kommerzielle Nutzung
von Ergebnissen aus entsprechenden Forschungsprojekten ableiten lassen. Daher
kommt der Ausgestaltung entsprechender Rahmenregelungen und Absprachen für
Lizenzgebühren eine entscheidende Bedeutung für die Verfügbarkeit der vorhandenen Stammzell-Linien zu. Dabei sollten Lösungen angestrebt werden, die sowohl
die Rechte und Interessen der Patentinhaber der Stammzell-Linien als auch derjenigen Forschungseinrichtungen und Unternehmen berücksichtigen, die auf Basis dieser patentierten Stammzell-Linien neue Therapieformen entwickeln.
Außerdem bestimmt die jeweilige nationale Rechtslage in hohem Maße, ob und
gegebenenfalls unter welchen Bedingungen mit menschlichen embryonalen
Stammzellen gearbeitet werden darf und auf welche Art und Weise gegebenenfalls
neue humane embryonale Stammzell-Linien gewonnen werden dürfen (s. Kap. 8).
Angesichts der bislang oftmals noch nicht vollständig charakterisierten Qualität der
verfügbaren Stammzell-Linien kommt diesem letztgenannten Aspekt eine besondere Bedeutung zu, da es sich abzeichnet, dass die Gewinnung menschlicher
Stammzell-Linien durch eine gezielte Erzeugung von Embryonen aus ethischen und
rechtlichen Gründen in vielen Ländern abgelehnt wird. In ihrer Marktstudie zu
Stammzellen unterscheidet die Unternehmensberatung Helmut Kaiser so genannte
"offene" Regionen, in denen menschliche embryonale Stammzellen legal gewonnen
und in der weiterführenden Forschung eingesetzt werden dürfen, von "geschlosse28 Stand: Juni 2002
139
nen" Regionen mit gesetzgeberischen Beschränkungen der Stammzellenforschung.
Zu den "offenen" Ländern werden Asien (insbesondere China und Singapur
(Birmingham 2002)) sowie Israel und Australien gezählt, die nach Einschätzung
dieser Unternehmensberatung von der restriktiven Situation in "geschlossenen"
Ländern (z. B. Deutschland, teilweise USA, einige osteuropäische Länder) profitieren und künftig eine führende Position bei der Gewinnung von Stammzellen und
der Verwendung der daraus gewonnenen Produkte einnehmen könnten (Helmut
Kaiser Unternehmensberatung 2002).
6.3.4
Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte, klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren
Die Umsetzung der Forschungserkenntnisse über humane Stammzellen in marktfähige Produkte erfordert das industrielle Engagement sowohl von kleinen und mittelständischen spezialisierten Biotechnologieunternehmen als auch von multinationalen Pharmakonzernen. Bei den Biotechnologieunternehmen gelten dabei generelle
Erfolgsfaktoren für die Entwicklung neuer Diagnostika und Therapeutika (z. B.
gesicherte Patentposition, Einzigartigkeit der Technik bzw. des wissenschaftlichen
Ansatzes, aussichtsreiche Wirkstoffkandidaten, realistische Projekt- und Meilensteinplanung, frühzeitige Sicherstellung der Finanzierung) auch für die kommerzielle Nutzung von humanen Stammzellen. Dazu kommen noch als zusätzliche wesentliche Erfolgsfaktoren das Know-how für die Gewinnung und Behandlung dieser
Zellen, die dafür notwendige spezifische Ausstattung sowie in dieser Hinsicht qualifiziertes Personal.
Bei der Entwicklung neuer Therapeutika verfügen große Pharmaunternehmen im
Allgemeinen über kompetitive Vorteile bei der Durchführung klinischer Prüfungen,
über Know-how und Erfahrungen bei der Zulassung der Produkte, über eine
schnelle und effiziente Markteinführung, über vorhandene und effiziente Vermarktungsstrukturen zur schnellen Durchdringung wichtiger Märkte sowie über entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen, um die zeit- und kostenaufwändigen
Prozesse der klinischen Prüfung und Markteinführung neuer Therapeutika zu bewältigen. Diese besonderen Vorteile von großen Pharmaunternehmen kommen bei
der kommerziellen Umsetzung von Forschungserkenntnissen zu menschlichen
Stammzellen nur teilweise zum Tragen. Auf Grund des derzeitigen Entwicklungsstadiums in diesem Bereich sind die notwendigen Kriterien für klinische Prüfungen
und die Zulassungsbedingungen für Zelltherapien, die auf menschlichen Stammzellen basieren, bislang noch weitgehend unbekannt. Daher dürften Pharmaunternehmen nur über relativ geringe Erfahrungsvorteile in dieser Hinsicht verfügen. Des
Weiteres dürfte sich das Know-how und die Vorgehensweise bei der Vermarktung
zellbasierter Therapien von der typischer Pharmapräparate (z. B. Pillen) unterscheiden.
140
Ein weiterer wesentlicher Einflussfaktor für die zukünftige kommerzielle Umsetzung der wissenschaftlichen Potenziale von humanen Stammzellen sind die Regelungen für die klinische Prüfung und die Zulassung entsprechender Zelltherapien.
Wie bereits gesagt, sind derzeit spezifische Regelungen in dieser Hinsicht noch
kaum existent. Dies bedeutet, dass Pioniere der kommerziellen Nutzung von
stammzellbasierten Zelltherapien neben dem üblichen wissenschaftlich-technischen
und Marktrisiko mit zusätzlichen Unsicherheiten auf der regulatorischen Seite rechnen müssen. Insbesondere in den USA entwickeln die Pioniere, die sich zuerst auf
neue Felder der Biomedizin begeben, oftmals zusammen mit den Zulassungsbehörden Details der Regelungen und praktischen Vorgehensweise bei der Prüfung und
Zulassung der entsprechenden Produkte. Dies ist jedoch oftmals mit spezifischen
Aufwendungen oder zeitlichen Verzögerungen verbunden, die sich insbesondere
kleine Unternehmen nur in eingeschränktem Maße leisten können.
6.4
Zusammenfassung
Weltweit konnten einige Unternehmen identifiziert werden, die sich mit humanen
Stammzellen beschäftigen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Unternehmen, die entweder die Charakterisierung und Gewinnung humaner embryonaler
Stammzellen als Geschäftsziel haben oder Unternehmen, die mit Hilfe von humanen (adulten, teilweise auch embryonalen) Stammzellen Therapien für verschiedene
Krankheiten entwickeln wollen. Unternehmen aus der ersten Gruppe sind bislang
vorwiegend in den USA oder Australien/Singapur angesiedelt, wohingegen man
einzelne Unternehmen der zweiten Gruppe auch in Europa findet. Relevanz für die
kommerzielle Nutzung humaner Stammzellen haben darüber hinaus noch Unternehmen, die Zelltherapien (basierend auf unterschiedlichen Zelltypen) entwickeln
sowie Zulieferunternehmen, die die notwendigen Apparate und Reagenzien für die
Arbeit mit humanen Stammzellen bereitstellen. Für die Schweiz konnten nur vereinzelte Unternehmen identifiziert werden, die sich mit humanen Stammzellen oder
Zelltherapien beschäftigen. Vergleicht man die wissenschaftliche Stellung der
Schweiz bei Stammzellen, die sich z. B. in einem überdurchschnittlichen Publikationsverhalten äußert, mit der bislang erfolgten kommerziellen Umsetzung in diesem Gebiet, so entsteht der Eindruck einer "Kommerzialisierungslücke", die jedoch
auch in anderen europäischen Ländern konstatiert wird.
Über die Größe und Entwicklung der zukünftigen Märkte für Therapien, die auf
humanen Stammzellen basieren, kann man zum derzeitigen Zeitpunkt wissenschaftlich fundiert nur wenig aussagen, da sich die meisten der betreffenden Entwicklungen noch in einem sehr grundlegenden Stadium befinden. Wichtige Faktoren, die die kommerzielle Umsetzung des wissenschaftlichen Potenzials humaner
Stammzellen beeinflussen, sind die Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen
Forschungsprojekte, die Qualität der verfügbaren Stammzell-Linien, Fragen der
141
Patentierung und der Zugangsmöglichkeiten zu humanen Stammzellen, die Ausgestaltung der Arbeitsteilung zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen, kleinen und mittelständischen Biotechnologieunternehmen und multinationalen Pharmakonzernen sowie die rechtlichen Regelungen für die klinische Prüfung und Zulassung von Zelltherapien, die auf humanen Stammzellen basieren.
143
7.
Ethische Aspekte der Gewinnung und Verwendung
menschlicher embryonaler und adulter Stammzellen
In diesem Kapitel werden die wichtigsten ethischen Aspekte im Zusammenhang mit
der Gewinnung und Verwendung menschlicher embryonaler und adulter Stammzellen dargelegt und auf der Grundlage des gegenwärtigen Diskussionsstandes im
Bereich der Ethik in den Biowissenschaften einschließlich der biomedizinischen
Ethik sowie der Technologiefolgen-Abschätzung kritisch diskutiert. Dabei werden
sowohl die interdisziplinäre akademische Ethikdiskussion sowie die schweizerische
und internationale gesellschaftliche und politische Debatte berücksichtigt. Unter
Darlegung der Argumente und Positionen, die in den oben genannten Kontexten
vertreten werden, entwickeln die Verfasserinnen ihren eigenen Standpunkt. Dieser
wird als solcher transparent gemacht, da es in der gegenwärtigen Diskussion durchaus andere Positionen und Gewichtungen gibt.
7.1
Untersuchungsgegenstand und ethisch-methodische Vorüberlegungen
7.1.1
Zum Gegenstand der ethischen Betrachtung
Die ethischen und rechtlichen Debatten über menschliche embryonale Stammzellen29 konzentrieren sich seit einiger Zeit auf ES-Zellen, die aus der inneren Zellmasse früher Embryonen im Blastozystenstadium (ca. 5 Tage alt) gewonnen werden30. Embryonalen Keimzellen (EG-Zellen)31, welche aus den primordialen
Keimzellen abortierter Embryonen und Feten gewonnen werden, wird dagegen
keine vergleichbare Aufmerksamkeit gewidmet. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Gewinnung von ES-Zellen aus Blastozysten in der Regel mit deren
Zerstörung verbunden ist, während EG-Zellen aus Embryonen und Feten gewonnen
werden, die zum Zeitpunkt der Entnahme ihrer primordialen Keimzellen bereits tot
sind. Obwohl sich auch hiermit eine Reihe ethischer Fragen verbinden, wird diese
Option im Allgemeinen als weniger problematisch beurteilt. Zum anderen gibt es
Hinweise darauf, dass sich ES-Zellen und EG-Zellen hinsichtlich ihres Vermehrungs- und Differenzierungspotentials voneinander unterscheiden und ES-Zellen in
29 Wenn nicht anders spezifiziert, bezieht sich der Ausdruck "embryonale Stammzellen" (ES-Zellen) im folgenden stets auf ES-Zellen des Menschen, nicht auf ES-Zellen von Tieren.
30 Siehe auch Kap. 4.2.
31 Siehe auch Kap. 4.4.
144
biologisch-medizinischer Hinsicht die viel versprechendere Alternative darstellen.
Gegenstand der nun folgenden ethischen Erwägungen sollen daher ES-Zellen sein,
welche aus Blastozysten gewonnen werden, zumal hier auch dringender rechtlicher
Klärungsbedarf besteht (s. Kap. 8). Die sich im Zusammenhang mit der Verwendung von Forschung an EG-Zellen stellenden ethischen Probleme sollen nur kurz
im Rückgriff auf die Studie Hüsing et al. 2001, Kapitel 8.3, resümiert werden
(Kap. 7.4).
Ethische Fragen stellen sich bei der ES-Zelltechnologie nicht erst im Kontext ihrer
späteren Anwendung, sondern bereits bei der Forschung. Zu der Frage, ob und
wann die ES-Zelltechnologie Bestandteil der medizinischen Praxis sein wird, gibt
es bisher nur vereinzelte vage Schätzungen (s. Kap. 5.2.1). Manchmal ist von etwa
fünfzehn Jahren die Rede. Bis dahin wäre eine intensive Forschung an und mit ESZellen notwendig. Da diese aber mit der Vernichtung von Embryonen verbunden
ist, stellt der Kontext der Forschung ein eigenes ethisches Problemfeld dar, dem in
diesem Kapitel besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll.
7.1.2
Ziele der embryonalen Stammzellforschung
Die ethische Vertretbarkeit der ES-Zellforschung wird in der Regel mit dem potentiellen therapeutischen Nutzen gerechtfertigt, wobei vor allem ihre Bedeutung für
die Transplantationsmedizin hervorgehoben wird (s. Kap. 2). Dank ihres Differenzierungspotenzials sollen aus ES-Zellen alle Zell- und Gewebetypen eines Organismus gewonnen werden können. Daher verbinden sich mit der Erforschung von
humanen ES-Zellen große Hoffnungen für die erfolgreiche Behandlung verschiedenster Krankheiten, wozu neurodegenerative Erkrankungen (Parkinson usw.) ebenso
gehören wie Diabetes und Herzinfarkt (s. Kap. 5). Wenn es gelänge, die hierbei betroffenen Zellen und Gewebe aus ES-Zellen zu züchten, sie erfolgreich in Patienten32 zu
verpflanzen und ihre Funktionstüchtigkeit sicherzustellen, wäre eine neue Dimension
therapeutischer Möglichkeiten eröffnet. Unter Umständen wäre es in vielen Fällen
auch möglich, durch den Ersatz bzw. die Regeneration von Zellen und Geweben,
also von Organteilen, auf die Transplantation kompletter Organe zu verzichten.
Beim so genannten "therapeutischen Klonen" sollen unter Verwendung des Zellkerns einer Körperzelle eines Patienten, die in eine entkernte Eizelle transferiert
wird, nach der "Dolly-Methode" Embryonen erzeugt werden, die über die nahezu
gleiche Erbinformation wie der betreffende Patient verfügen. Bei dieser Klonmethode spricht man auch von "somatic cell nuclear transfer" (SCNT). Aus der inneren
Zellmasse der so erzeugten Embryonen sollen ES-Zellen (so genannte ntES-Zellen)
gewonnen werden, aus denen maßgeschneidertes Gewebe für den betreffenden
32 Der Einfachheit halber wird im folgenden die maskuline Form für beide Geschlechter verwendet.
145
Patienten gezüchtet werden soll. Auf diese Weise hofft man, Abstoßungsreaktionen
zu vermeiden (s. Kap. 4.3).
Mit Blick auf ihr erhofftes therapeutisches Potential wird die ES-Zellforschung von
ihren Befürwortern in der Regel unter Berufung auf die Ethik des Heilens und Helfens gerechtfertigt.
Neben den therapeutischen Zielsetzungen gibt es jedoch auch noch eine Reihe anderer Zielsetzungen, die zwar meist indirekt eine medizinische Anwendung betreffen, jedoch eher als Ziele der Grundlagenforschung zu bestimmen sind. Hierzu gehören (National Institutes of Health 2001, S. 17f, s. auch Kap. 2):
•
das Verständnis von Entwicklungsstörungen in der frühen Embryonalentwicklung zur Verhinderung von Geburtsfehlern und Plazentastörungen, die Fehlgeburten zur Folge haben,
•
das Verständnis der Wirkungen von Chromosomenstörungen in der frühen Embryonalentwicklung, die in der frühen Kindheit zur Tumorbildung führen können,
•
Medikamententests an Zellen und Geweben, die aus embryonalen Stammzellen
gewonnen werden als Ersatz von Tierversuchen zur Erhöhung der Zuverlässigkeit der Ergebnisse,
•
Toxikologische Tests an Zellen und Geweben, die aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden als Ersatz von Tierversuchen zur Erhöhung der Zuverlässigkeit der Ergebnisse,
•
Entwicklung neuer Methoden der gentechnischen Veränderung,
•
Gentherapie,
•
die Gewinnung von Kenntnissen über die Funktionsweise von ES-Zellen als
Grundlage für eine spätere Verwendung adulter Stammzellen unter Verzicht auf
embryonale Stammzellen.
7.1.3
Ethisch-methodische Vorüberlegungen
Für sich betrachtet, sind alle genannten Zielsetzungen nicht nur ethisch vertretbar,
sondern auch wünschenswert. Letztlich wird mit allen eine Vertiefung unserer biologischen Kenntnisse, eine Steigerung der Zuverlässigkeit von Untersuchungsergebnissen, therapeutischer Nutzen und, allgemein, medizinischer Fortschritt angestrebt. Auch die Reduktion von Tierversuchen ist nur zu begrüßen. Dennoch sind
nicht alle Zielsetzungen gleichrangig zu bewerten. In die Beurteilung ihrer Dringlichkeit gehen ganz unterschiedliche Gesichtspunkte als Kriterien ein, zu denen der
Schweregrad einer Krankheit und die Anzahl der davon Betroffenen ebenso gehören wie die Auswirkungen der Einführung einer Therapie auf das Gesundheitssystem unter Allokationsgesichtspunkten. Angesichts der Höhe des Schutzgutes, das
146
hier mit dem menschlichen Embryo auf dem Spiel steht, stellt sich vorrangig die
Frage nach der ethischen Vertretbarkeit der ES-Zellforschung als Mittel zur Verwirklichung der genannten Zielsetzungen. Umso mehr ist nach der Notwendigkeit und Geeignetheit der Forschungen an humanen embryonalen Stammzellen für
die Erreichung dieser Zwecke zu fragen (Enquete-Kommission 2001, S. 70f). Da
die ES-Zellforschung von ihren Befürwortern primär unter Berufung auf ihre potentielle therapeutische Anwendung, die Ethik des Helfens und Heilens, gerechtfertigt wird, stellt sich angesichts der Höhe des Schutzgutes umso mehr die Frage, ob
ethisch unproblematischere Alternativen zur ES-Zellforschung vorstellbar sind – ist
die ES-Zellforschung ein notwendiges Mittel? – und ob es Hinweise darauf gibt,
dass die Anwendung der ES-Zelltechnologie mit ethischen Problemen und gesundheitlichen Risiken verbunden ist – ist die ES-Zelltechnologie ein geeignetes Mittel?
Obgleich Notwendigkeit, Erfolg und Durchführbarkeit einer Technologie für deren
Rechtfertigung nicht hinreichend sind, müssen sie doch bei der ethischen Urteilsbildung berücksichtigt werden. Sind Notwendigkeit, Erfolg und Durchführbarkeit einer Technologie nämlich fraglich, so wiegen ethische Bedenken umso schwerer. In
Bezug auf den Ersatz von Tierversuchen durch die Verwendung von ES-Zellen
wäre zu fragen, ob es keine ethisch unproblematischeren Alternativen zu beiden
Methoden gibt.
Der allgemeine ethische Rahmen, der in dieser Studie vorausgesetzt wird, ist der
einer Verantwortungsethik, wobei diese keinen Gegensatz zu bestimmten anerkannten Prinzipien der Gesinnungsethik darstellt. Die Verantwortungsethik betrachtet die Konsequenzen wissenschaftlich-technischen Handelns unter dem Aspekt der Vereinbarkeit mit den grundlegenden ethischen Prinzipien des Respekts
vor der Menschenwürde und anderen anerkannten Prinzipien. Hierzu gehören zunächst einmal die Prinzipien der biomedizinischen Ethik. Diese sind die Prinzipien des Respekts vor Autonomie oder Selbstbestimmung des Patienten ("respect
for autonomy"), der Nichtschädigung ("nonmaleficence"), des Wohltuns oder der
Fürsorge ("beneficence") und der Gerechtigkeit oder Fairness ("justice")33. Diese
Prinzipien begründen sich nicht nur in der philosophischen Tradition, sondern sie
liegen auch unseren Alltagsintuitionen zugrunde und werden zumindest als idealtypische Orientierungsmuster anerkannt, auch wenn ihre Realisation im Einzelfall
problematisch sein mag, was jedoch kein spezielles Kennzeichen dieser Prinzipien
ist.
Die Diskussion um die ethische Vertretbarkeit der ES-Zellforschung zeigt exemplarisch die Ambivalenz neuer bzw. prospektiver Technologien. Einerseits steigern sie
die Verfügbarkeit des Lebendigen für den Menschen, andererseits führen sie je33 Diese Prinzipien werden ausführlich von Beauchamp und Childress unter Berücksichtigung der
philosophischen Traditionen und unserer Alltagsintuitionen diskutiert (Beauchamp, Childress
1994). Zur ihrer Diskussion und zu verschiedenen Problemstellungen der Medizinethik siehe den
instruktiven Beitrag von Schöne-Seifert 1996.
147
doch auch zu einer ethischen Sensibilisierung in gewissen Bereichen. So werden
zwar einerseits durch Biologie und Medizin die von der Natur gesetzten Grenzen
immer weiter hinausgeschoben, so dass sich in diesem Sinne von einer Enttabuisierung sprechen lässt, andererseits wird jedoch der Kreis der Entitäten, nach deren
moralischem Status gefragt wird, mit wachsendem Wissensstand und zunehmendem Eindringen in den Mikrokosmos des Lebendigen ständig erweitert. Dies lässt
sich am Beispiel der Entwicklung der In-vitro-Fertilisation (IVF) verdeutlichen.
Entwicklungsvorgänge, die sich bis dahin unserer Kenntnis entzogen, da sie sich in
der Verborgenheit des Mutterleibes abspielten, sind durch die Möglichkeit der extrakorporalen Befruchtung einer genauen Untersuchung zugänglich geworden, mit
dem Ergebnis, dass nun auch viel frühere Entwicklungsstadien des menschlichen
Lebens als der Embryo im Mutterleib, nämlich die in vitro erzeugte Zygote, sogar
die einzelne totipotente Blastomere34 und selbst ES- und EG-Zellen zum Gegenstand ethischer Reflexion werden und sich die Frage ihrer Schutzwürdigkeit stellt.
Wir stehen damit vor der Situation, dass neue Technologien mit der Eröffnung von
Einblicken in den Mikrokosmos des Lebendigen einerseits zunehmend auch die
Möglichkeit einer ethisch-moralischen Sensibilisierung gegenüber dem Lebendigen selbst in seinen kleinsten Dimensionen schaffen, andererseits aber auch Begehrlichkeiten wecken und den Wunsch verstärken, das Lebendige der experimentellen Verfügbarkeit zu unterwerfen.
Es könnte der Eindruck entstehen, dass durch die hier zur Diskussion stehenden
Biotechniken bestimmte Grundwerte, -prinzipien und -normen unseres Handelns in
Gefahr sind. Demgegenüber soll hier die These vertreten werden, dass über diese
Werte, Prinzipien und Normen selbst nicht notwendigerweise Unklarheit besteht,
d. h. diese selbst nicht unbedingt zur Disposition gestellt werden, sondern die Diskussionen vielmehr die Frage betreffen, in welchen Bereichen und auf welche Gegenstände sie anwendbar sind. Ein Beispiel ist die viel diskutierte Frage der ethischen Vertretbarkeit der Embryonenforschung. Wie die bisherigen Diskussionen
gezeigt haben, geht es hierbei nicht um die Infragestellung des Prinzips der Achtung
vor der Menschenwürde, sondern es geht darum, welchen Grad der Schutzwürdigkeit Embryonen im Stadium befruchteter Eizellen und Blastozysten haben und ob
sie bereits unter den Schutz der Menschenwürde fallen.
Da die ethische Beurteilung der Erforschung und Verwendung menschlicher
Stammzellen hier im Rahmen einer Studie der Technologiefolgen-Abschätzung
dieses Komplexes erfolgt, sei abschließend auf eine wichtige Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen der Technikbewertung hingewiesen (vgl. Hüsing et al.
2001, Kap. 8.2.3). Hierbei handelt es sich um die Differenzierung zwischen einer
technikinduzierten und einer probleminduzierten Vorgehensweise sowie zwischen einer reaktiven und innovativen Technikbewertung. Diese Vorgehensweisen
34 Blastomeren sind die durch Furchungsteilung entstehenden Zellen des Embryos in seinen frühesten Entwicklungsstadien, und zwar noch vor dem Blastozystenstadium (s. auch Kap. 3).
148
unterscheiden sich nach der sie leitenden Fragestellung (problem- versus technikinduziert) und nach dem zeitlichen Verhältnis zwischen der Entwicklung einer
Technik und ihrer Beurteilung (reaktiv versus innovativ)35.
"Bei der probleminduzierten Technikbewertung geht es darum, für gesellschaftlich vorgegebene Aufgaben geeignete technische Lösungen zu ermitteln und diese
hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile miteinander zu vergleichen. Die Art der in
Betracht zu ziehenden Lösungen wird durch die Aufgabenstellung eingegrenzt...Bei
der technikinduzierten Technikbewertung wird eine bereits vorhandene oder
produktionsreife Technik bewertet" und auf ihre möglichen Folgen auch im Vergleich zu konkurrierenden Alternativen hin analysiert36.
Eine probleminduzierte Vorgehensweise ist daher meist vom innovativen Typ,
während die technikinduzierte Vorgehensweise meist reaktiv erfolgt. Kennzeichnend für eine innovative Technikbewertung ist "ein aufgeklärtes Technikverständnis, das die technische Entwicklung als einen sozialen Prozess begreift, der in weiten Grenzen gestaltungsfähig ist." (Verein Deutscher Ingenieure 1997, S. 39). Während die problemorientierte und innovative Technikbewertung stärker auf qualitative Methoden und Modelle (z. B. Szenarien, Delphi-Methode) angewiesen ist, stehen bei der technikinduzierten und reaktiven Herangehensweise in stärkerem Maße
quantitative Methoden (z. B. Trendextrapolationen, Kosten-Nutzen-Analysen) im
Vordergrund (Verein Deutscher Ingenieure 1991, S. 14).
Diese Unterscheidungen haben jedoch eher idealtypischen Charakter, da sich in der
Praxis der Technikfolgen-Abschätzung häufig beide Vorgehensweisen überschneiden und man daher im Einzelfall von unterschiedlichen Gewichtungen und Übergangsformen ausgehen kann. Bei der Beurteilung der Erforschung und Verwendung
menschlicher Stammzellen bietet es sich eher an, eine problemorientierte Vorgehensweise zu wählen. Die Forschung steht hier erst am Anfang, so dass von einer
bereits vorhandenen oder produktionsreifen Technik keine Rede sein kann. Dies gilt
sowohl für menschliche embryonale Stammzellen und embryonale Keimzellen (ESZellen und EG-Zellen) als auch für adulte Stammzellen. Zwar sind Verfahren zur
Gewinnung hämatopoetischer Stammzellen seit Jahrzehnten gut etabliert und werden im Rahmen der Krebsbehandlung erfolgreich angewendet (siehe Kap. 4.6.1.2),
doch gilt dies für andere adulte Stammzelltypen und deren Einsatz als Grundlage
für die Gewinnung von Zellen und Geweben in der Transplantationsmedizin bisher
nicht. Unter ethischen Aspekten stellt sich die Verwendung adulter Stammzellen
aus den in diesem Kapitel dargestellten Gründen jedoch als die weitaus unproblematischere Alternative zum Einsatz embryonaler Stammzellen und embryonaler
Keimzellen dar. Auch bieten "Problemorientierte Ansätze…die Möglichkeit, alle in
35 Verein Deutscher Ingenieure 1991, S. 14; ders. 1997, Kap. 2.4.
36 ebd.
149
Frage stehenden alternativen Problemlösungsmöglichkeiten zu diskutieren, nicht
nur technische."37 Dies kann bedeuten, dass in Zukunft ein stärkeres Gewicht auf
die Erforschung der Möglichkeiten der Prävention derjenigen Krankheiten, für
welche die Stammzelltechnik einen Lösungsansatz bieten soll, gelegt wird. In eine
Technikfolgen-Abschätzung ist darüber hinaus die Frage nach den möglichen Folgen einer Forschungsrichtung für unser Menschenbild und für die Gesellschaft
einzubeziehen.
7.1.4
Gliederung
Das folgende, längere Unterkapitel ist den Fragestellungen im Zusammenhang mit
der Gewinnung von ES-Zellen gewidmet (Kap. 7.2). Zunächst wird der biologische
und moralische Status von ES-Zellen selbst diskutiert (Kap. 7.2.1). Im Anschluss
daran folgt die Präsentation und Diskussion der ethischen Probleme im Zusammenhang mit der Gewinnung embryonaler Stammzellen, die eine Zerstörung von Embryonen beinhaltet (Kap. 7.2.2). Zunächst wird die Diskussion über den moralischen Status des Embryos aufgegriffen (Kap. 7.2.2.1), und es werden hierbei verschiedene Grundpositionen vorgestellt und diskutiert (Kap. 7.2.2.1.1). Dem moralischen Status des extrakorporalen Embryos (Kap. 7.2.2.1.2) und dem moralischen
Status des nach der "Dolly-Methode" erzeugten Embryos (Kap. 7.2.2.1.3) sind dabei eigene Abschnitte gewidmet. Im Anschluss daran folgt eine Diskussion der ethischen Aspekte der Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung von embryonalen
Stammzellen (Kap. 7.2.3) und der ethischen Aspekte der Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen (Kap. 7.2.4). Es folgt die Diskussion der ethischen Aspekte des Imports embryonaler Stammzellen (Kap. 7.2.5).
Im anschließenden Unterkapitel (Kap. 7.3) werden spezielle Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung der ES-Zelltechnologie behandelt. Dabei wird die
Methode der Kultivierung embryonaler Stammzellen berücksichtigt (Kap. 7.3.1),
die Art der aus ihnen gezüchteten Zellen, Gewebe und Organe (Kap. 7.3.2) sowie
der Ort der Züchtung (Kap. 7.3.3). Es folgt ein Abschnitt über mögliche Auswirkungen einer eventuellen Einführung von ntES-Zellen in die medizinische Praxis
(Kap. 7.3.4). Anschließend werden kurz Überlegungen über mögliche Auswirkungen der ES-Zelltechnologie auf das Menschenbild angestellt (Kap. 7.3.5). Nachdem
bisher die ethischen Aspekte im Zusammenhang mit der Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen (ES-Zellen) behandelt wurden, folgen nun die
ethischen Aspekte der Gewinnung und Verwendung von EG-Zellen aus den primordialen Keimzellen abortierter Embryonen und Feten (Kap. 7.4). Da die Gewinnung und Verwendung von adulten Stammzellen im Vergleich zu embryonalen
Stammzellen allgemein als die in ethischer Hinsicht unproblematische oder zumindest weniger problematische Alternative gilt, soll dieser ein kurzer Abschnitt ge37 Skorupinski und Ott 2000, S. 39.
150
widmet sein (Kap. 7.5). Abschließend werden die Diskussionsergebnisse kurz
zusammengefasst (Kap. 7.6).
7.2
Ethische Aspekte der Gewinnung embryonaler Stammzellen
7.2.1
Zur Frage des biologischen und moralischen Status von embryonalen Stammzellen
Eine Entscheidung über die ethische Vertretbarkeit von Forschungen mit und an
ES-Zellen sowie über die Art dieser Forschungen hängt wesentlich vom moralischen Status ab, der den Embryonen zukommt, aus denen diese Zellen gewonnen
werden, sowie vom moralischen Status dieser Zellen selbst, denn im moralischen
Status einer Entität begründet sich deren Schutzwürdigkeit. Allerdings bedarf es
hierzu fundierter Kenntnisse über die empirische Beschaffenheit der jeweiligen Entität
nach dem Stand des jeweiligen Wissens. ES-Zellen sind für Biologie und Medizin
gerade wegen ihres Potenzials interessant, sich zu allen Zelltypen des menschlichen
Organismus entwickeln lassen zu können. Diese Fähigkeit wird im Allgemeinen als
Pluripotenz bezeichnet und von der Totipotenz der befruchteten Eizelle, die mit dem
Abschluss des Befruchtungsvorganges bereits als Embryo bezeichnet wird, sowie der
ersten Blastomeren, unterschieden38. In diesem Kontext wird unter Totipotenz die
Fähigkeit des Embryos verstanden, unter den dafür erforderlichen Bedingungen einen
Entwicklungsprozess zu durchlaufen, der zur Geburt eines oder mehrerer Individuen
führen kann. Im Unterschied dazu ist mit Pluripotenz die Entwicklungsfähigkeit von
Zellen gemeint, zwar alle Zelltypen des menschlichen Organismus hervorzubringen,
nicht aber ein komplettes menschliches Individuum. Dieser biologische Unterschied
ist deshalb relevant, weil ES-Zellen im Falle ihrer Totipotenz selbst als Embryonen
gelten würden und sich für Forschungen an ES-Zellen dieselben ethischen und rechtlichen Probleme stellen würden wie für fremddienliche Forschungen an Embryonen.
Ethisch problematisch wäre also nicht nur die mit der Gewinnung von ES-Zellen verbundene Zerstörung von Embryonen, sondern auch die Forschungen an ES-Zellen
selbst.
38 Der Sprachgebrauch der Begriffe "Totipotenz" und "Pluripotenz" ist nicht immer einheitlich
(Beier 1998, Beier 1999, Beier 2001, Engels 2000b), wobei sich allerdings die Tendenz abzeichnet, sie im Sinne der oben angeführten Definition zu verwenden. Diese entspricht u. a. auch der
Verwendungsweise der National Institutes of Health 2001 und der Deutschen Forschungsgemeinschaft in ihrer Stellungnahme vom 19. März 1999 und ihren Empfehlungen vom 3. Mai
2001 (DFG 2001); s. auch Kap. 3.2.3.
151
Allerdings gibt es beim Menschen aus ethischen Gründen keine Möglichkeit einer
direkten Überprüfung der Nichttotipotenz von ES-Zellen. Diese würde nämlich
darin bestehen, ES-Zellen in einen Uterus zu transferieren, um ihr Entwicklungspotential zu testen. Da sich ein derartiger Versuch aus ethischen Gründen verbietet,
ist man für den Nachweis der Nichttotipotenz auf indirekte Verfahren angewiesen
(DFG 2001b, S. 5). Es gibt zumindest plausible Indizien dafür, dass ES-Zellen im
Unterschied zum Embryo und seinen Blastomeren in den allerersten Entwicklungsstadien nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent sind (Geber et al. 1995,
Antczak und Blerkom 1997, im Anschluss daran Beier 1998, DFG 2001b, S. 5,
s. auch Kap. 3.2.3 und 4.2.2.2).
Aus der Tatsache, dass es nur indirekte, wenn auch plausible Hinweise auf die
Nichttotipotenz von ES-Zellen gibt, lässt sich keine eindeutige ethische Konsequenz
pro oder contra ES-Zellforschung ableiten. Die Bewertung dieses Sachverhaltes
wird vielmehr in erster Linie von der jeweiligen Einstellung zum moralischen Status des Embryos und zur fremdnützigen Verwendung von Embryonen abhängen.
Wer in dieser Hinsicht einen liberaleren Standpunkt einnimmt und der Auffassung
ist, dass wir Embryonen zwar mit Respekt begegnen sollen, sie aber nicht unter den
Schutz der Menschenwürde fallen und daher nicht wie geborene Menschen über das
Recht auf Leben verfügen, wird möglicherweise auch in der Verwendung von ESZellen keine Probleme sehen, da Eigenschaften wie Totipotenz und Pluripotenz hier
nicht ausschlaggebend sind. Wer dagegen aus prinzipiellen Gründen jede Art
fremdnütziger Embryonenverwendung ablehnt, wird sich möglicherweise mit einem
indirekten Nachweis der Nichttotipotenz nicht zufrieden geben und neben der Tatsache, dass für die Gewinnung von ES-Zellen Embryonen zerstört werden, darüber
hinaus auch noch die Forschungen an ES-Zellen um dieser selbst willen für ethisch
nicht vertretbar halten. Doch gibt es ein differenziertes Spektrum weiterer Bewertungsmöglichkeiten, das von den zur Abwägung anstehenden Gütern, der Gewinnungsweise der ES-Zellen, den wissenschaftstheoretischen Anforderungen an den
Verlässlichkeitsgrad empirischer Erkenntnisse und anderem abhängt.
Gegen die Relevanz der Frage nach einer möglichen Abgrenzung zwischen Totipotenz und Pluripotenz wird manchmal das Argument angeführt, dass die Grenzen
zwischen Totipotenz und Pluripotenz durch die neuen Technologien ohnehin fließend geworden seien und diese Eigenschaften von den jeweiligen experimentellen
Bedingungen abhängen. Das Klonschaf Dolly sei ein lebendes Exempel dafür, dass
selbst Körperzellen mit ihrem Zellkern für die Erzeugung von Embryonen verwendet werden können. Sind die Grenzen ohnehin fließend, so das Argument, spiele es
auch keine Rolle, ob ES-Zellen nun pluripotent oder totipotent seien.
Diese Argumentation erscheint mir jedoch aus folgenden Gründen nicht stichhaltig:
Die für die Biologie und die Ethik entscheidende Frage ist nicht die, welche Eigenschaften bestimmte Zellen unter allen möglichen experimentellen Bedingungen
haben, sondern welche sie unter natürlichen Bedingungen und unter den Bedingun-
152
gen des jeweiligen zur Diskussion stehenden Experiments oder der jeweiligen technischen Anwendung haben. Daher ist die Unterscheidung zwischen Totipotenz und
Pluripotenz nach wie vor von Bedeutung, und die zu einem bestimmten, definierten
Zeitpunkt relevanten Unterschiede sollten nicht aufgehoben werden. Dass sich pluripotente Zellen unter geeigneten experimentellen Bedingungen in totipotente Zellen überführen lassen, ist kein hinreichender Grund dafür, bereits unabhängig von
diesen experimentellen Bedingungen wichtige Differenzierungen aufzugeben. Denn
wenn wir in den Begriff der Totipotenz alle nur denkbaren experimentellen Bedingungen einschließen, die es in the long run geben mag, so wird Totipotenz zu einem
allgegenwärtigen Phänomen. Würden die Zellen dagegen mit Hilfe gen- und biotechnologischer Methoden in einen totipotenten Zustand überführt, so würde sich
diese Situation ändern und wir müssten sie von diesem Augenblick an wie andere
totipotente Zellen behandeln, die bei uns als Embryonen gelten. Daher können Körperzellen auch nicht einfach als totipotent bezeichnet werden. Der experimentelle
Aufwand zur Herbeiführung von Totipotenz könnte als Indiz dafür genommen werden, dass es sich bei den betreffenden Zellen nicht um totipotente Zellen, sondern
um pluripotente Zellen handelt (Engels 2000b, S. 172f, Engels 2001, S. 464).
7.2.2
Möglichkeiten der Gewinnung embryonaler Stammzellen und
ihre ethischen Probleme
Das entscheidende, in allen Diskussionen im Vordergrund stehende ethische Problem bei der Gewinnung von ES-Zellen ist der damit verbundene Verbrauch von
Embryonen. In unserer TA-Studie über die Zelluläre Xenotransplantation wurden
im Kapitel 8.3 "Ethische Fragen bei der Gewinnung von Zellen und Geweben aus
humanen Embryonen und Feten für die Transplantationsmedizin" bereits die wichtigsten ethischen Probleme, die sich bei der Verwendung von Embryonen und Feten
nach Schwangerschaftsabbrüchen stellen, im Überblick vorgestellt (Hüsing et al.
2001). Diese gelten auch für den vorliegenden Kontext der Gewinnung von EGZellen aus den primordialen Keimzellen abortierter Embryonen und Feten und sollen daher in aller Kürze noch einmal in Kapitel 7.4 zusammengefasst werden.
Die Gewinnung von ES-Zellen aus Blastozysten setzt nach heutiger Kenntnis deren
Zerstörung voraus, so dass wir es hierbei mit verbrauchender Embryonenforschung zu tun haben. Hier sind jedoch verschiedene Möglichkeiten der Verfügbarmachung von Blastozysten denkbar, die auch in ethischer Hinsicht einzeln beurteilt
werden müssen.
Hierbei handelt es sich erstens um die Herstellung von Embryonen, entweder
nach der üblichen Methode der In-vitro-Fertilisation (IVF) durch die Befruchtung
von Eizellen mit Samenzellen, jedoch nicht mit dem Ziel der Herbeiführung einer
Schwangerschaft, sondern zur Gewinnung embryonaler Stammzellen (s. auch
153
Kap. 4.2), oder nach der "Dolly-Methode", die beim so genannten "therapeutischen
Klonen" Anwendung finden soll (s. auch Kap. 4.3).
Hier sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Begriff "therapeutisches Klonen" in mehrfacher Hinsicht unangemessen ist. Erstens beginnt auch das "therapeutische Klonen" in dem Sinne mit einem reproduktiven Vorgang, dass zunächst einmal ein Embryo mit der gleichen Erbinformation wie der zu behandelnde Patient
erzeugt wird, was durch die Begriffswahl verborgen bleiben könnte. Zweitens soll
die Therapie nicht dem erzeugten Embryo selbst, sondern anderen dienen, für deren
potentielles Wohl der Embryo zerstört wird (vgl. auch Heinemann 2000). Und drittens ist der Begriff bisher nur Ausdruck einer therapeutischen Vision, denn es ist
keineswegs gesichert, dass es jemals zu Therapien unter Anwendung dieser Methode kommen wird (s. auch Kap. 4.3.2). Aus einer Publikation vom 26. November
2001 geht hervor, dass es bei einem von Wissenschaftlern der US-amerikanischen
Firma Advanced Cell Technology durchgeführten Experiment nicht gelang, unter
Verwendung von Körperzellen (Hautzellen) menschliche Embryonen zu erzeugen,
geschweige denn, sie bis zum Blastozystenstadium zu kultivieren (Cibelli et al.
2001). Von 11 Eizellen war nur bei 7 ein großer Pronukleus sichtbar. Wie aus einer
Meldung im New Scientist vom 6. März 2002 hervorgeht, soll es nun jedoch in
China gelungen sein, Dutzende von Klonembryos zu erzeugen und diese sich bis
zum Blastozystenstadium entwickeln zu lassen. Es wird angenommen, dass daraus
auch ES-Zellen gewonnen und kultiviert wurden (Cohen 2002). Dass in die Erforschung dieser Methode zumindest Hoffnungen gesetzt werden, zeigt ihre Legalisierung in Großbritannien zu Beginn des Jahres 2001 (s. auch Kap. 8).
Zweitens gibt es zur Gewinnung von ES-Zellen die Möglichkeit der Verwendung
so genannter "überzähliger Embryonen", die ursprünglich zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt wurden, hierfür nun aber endgültig nicht mehr verwendet werden (s. Kap. 4.2.1 und 8.3). In Ländern, in denen die Verwendung von
und Forschungen an Embryonen gesetzlich zulässig ist, können ES-Zellen aus den
dort bereits existierenden "überzähligen" Embryonen gewonnen werden. In einigen
anderen Ländern gibt es eine lebhafte Diskussion über die ethische, teilweise auch
rechtliche Vertretbarkeit des Imports von ES-Zellen aus Ländern mit liberaleren
Regelungen. Hierzu gehören die Schweiz und Deutschland.
Da jede dieser Gewinnungsweisen embryonaler Stammzellen ihre eigene ethische
Problematik aufweist und sich auch hinsichtlich ihrer möglichen Konsequenzen von
den anderen unterscheidet, sind sie einzeln zu diskutieren. Das sich bei allen wie ein
roter Faden durchziehende Problem ist die Frage nach dem moralischen Status des
Embryos. Denn auch beim Import von ES-Zellen, die auf Grund ihrer Pluripotenz
selbst ja nicht mehr als Embryonen gelten, kann nicht davon abgesehen werden,
dass für ihre Gewinnung Embryonen im Ausland vernichtet wurden. Daher sollen
zunächst einige der wichtigsten in der Debatte vertretenen Positionen vorgestellt
werden.
154
Neben den ethischen Aspekten, die die Frage betreffen, ob und inwieweit die
Schutzwürdigkeit und das Lebensrecht des Embryos selbst durch die ES-Zelltechnologie betroffen sind, gibt es weitere wichtige Aspekte, die mit den Auswirkungen
einer Embryonen verbrauchenden Technologie auf die Gesellschaft, das Bild von
der Frau, das Menschenbild u. a. zu tun haben. Daher wird in der Literatur auch
zwischen direkten, den Embryo selbst betreffenden Argumenten und indirekten
Argumenten unterschieden39. Die hier angesprochenen möglichen Auswirkungen
werden in Kapitel 7.3 angeschnitten. In Kapitel 7.4 werden im Zusammenhang mit
den ethischen Aspekten der Verwendung von EG-Zellen auch diverse mögliche
Auswirkungen dieser Technologie auf das Bild von der Frau, vom Embryo u. a.
angesprochen.
7.2.2.1
Der moralische Status des Embryos
7.2.2.1.1
Grundpositionen bei der Bestimmung des moralischen Status des
Embryos
Seit langem gibt es eine Debatte über den moralischen Status des Embryos, seine
Schutzwürdigkeit, die mit der Einführung der künstlichen Befruchtung (In-vitroFertilisation, IVF) Ende der 1970er-Jahre neuen Auftrieb bekam. Die IVF eröffnet
die Möglichkeit, Embryonen nicht nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im
Reagenzglas zu erzeugen, also zu Zwecken, die ihrer eigenen Erhaltung dienen,
sondern auch zu fremdnützigen Forschungs- und Verwendungszwecken. Durch die
Stammzelldebatte wurde die Diskussion um die Schutzwürdigkeit von Embryonen
im Reagenzglas neu entfacht.
In der Diskussion um die Forschung an ES-Zellen hat sich zudem eine neue Fragestellung herauskristallisiert, und zwar die, ob extrakorporale Embryonen (Embryonen in vitro) einen anderen moralischen Status als Embryonen im Mutterleib
(Embryonen in vivo) haben, und ob dies insbesondere für "überzählige" extrakorporale Embryonen gelte. Da ein Embryo nur im Mutterleib, nicht aber im Reagenzglas das Potenzial zur Weiterentwicklung habe, so das Argument, komme ihm auch
nicht die Schutzwürdigkeit eines Embryos in vivo zu. Dies gelte umso mehr für
"überzählige" Embryonen, für die nicht einmal die äußeren Bedingungen der
Menschwerdung gegeben seien, da für sie keinerlei Aussicht auf Einnistung in eine
Gebärmutter bestehe (Fischer 2001a, 2001b, SAMW 2001). Auch auf dieses Argument muss eingegangen werden.
39 Beyleveld 1998; Badura-Lotter 2000.
155
Angesichts der Flut an Publikationen zur Frage des moralischen Status des Embryos
muss jeder Versuch einer Darstellung lückenhaft bleiben40. Daher können hier nur
einige der wichtigsten Argumente genannt werden.
Wie bereits erwähnt, setzt eine Diskussion des moralischen Status des Embryos
empirische Kenntnisse über dessen biologische Beschaffenheit und die Embryogenese und Fetalentwicklung voraus. Biologen gehen davon aus, dass mit dem Abschluss der Befruchtung das art- und individualspezifische menschliche Genom
vorliegt und sich die Entwicklung unter normalen Bedingungen von da an kontinuierlich bis zur Geburt des Säuglings vollzieht. Schon im biologischen Sinne lässt
sich hier von einem Identitäts-, Kontinuitäts- und Potenzialitätsargument (KPIArgument) sprechen: Zwischen der befruchteten Eizelle und dem Säugling besteht
eine genetische Identität und außer bei der Zwillingsbildung auch eine numerische Identität; trotz der Auszeichnung einzelner Entwicklungsphasen durch die
Herausbildung bestimmter Organe vollzieht sich der Entwicklungsprozess nicht
sprunghaft, sondern kontinuierlich; der Embryo ist in seinem frühesten Entwicklungsstadium ein potenzieller Säugling.
Zur Erläuterung des hier verwendeten Begriffs der Potenzialität bietet es sich an,
auf die klassische aristotelische Unterscheidung zwischen passiver und aktiver
Potenzialität zurückzugreifen41. Für sich genommen, können Ei- und Samenzelle
keinen Entwicklungsprozess zum Säugling hin beginnen und durchlaufen. Da die
Verschmelzung beider in der Fertilisation zu einem neuen Genom hinzukommen
muss, verfügen sie nur über eine passive Potenzialität zur Menschwerdung. Demgegenüber birgt die befruchtete Eizelle, der Embryo im frühesten Stadium seiner Entwicklung, die Möglichkeit der Entwicklung zum Säugling in sich. Als organische,
sich selbst entwickelnde und sich selbst organisierende Einheit kann er zu einem
Säugling heranwachsen und verfügt in diesem Sinne über die aktive Potenzialität,
auch wenn er zu seiner Entwicklung eines Mutterleibes bzw. geeigneter Umge40 Die Studie von Carmen Kaminsky enthält eine ausführliche Darstellung und kritische Diskussion
der verschiedenen Positionen zum moralischen Status des Embryos (Kaminsky 1998). Der von
Elisabeth Hildt und Dietmar Mieth herausgegebene Sammelband gibt einen guten Überblick über
die europäische Diskussion (Hildt, Mieth 1998). Er ist aus den Beiträgen eines Symposiums hervorgegangen, das im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten European
Network for Biomedical Ethics stattgefunden hat. Insbesondere unter dem Aspekt der ES-Zelldebatte wurde die Fragestellung von Gisela Badura-Lotter aufgegriffen, die das Themenfeld übersichtlich strukturiert und verschiedene Optionen systematisiert (Badura-Lotter 2000). Siehe
hierzu auch Anton Leist (1990), Ackermann (2000) sowie Rehmann-Sutter (2001a-d, 2002).
Verwiesen sei auch auf den Bericht zur Stammzellforschung der Enquete-Kommission Recht und
Ethik der modernen Medizin des Deutschen Bundestages (Enquete-Kommission 2001) und auf
die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates (Nationaler Ethikrat 2001, Druckfassung 2002), an
welcher die Verfasserin dieses Kapitels mitgewirkt hat. In beiden Stellungnahmen finden sich
ausführliche Argumentationslinien zur Frage des moralischen Status des Embryos, von denen
auch diese Studie profitiert. Das Literaturverzeichnis zu diesem Kapitel enthält auch weiterführende Literatur zum Thema, die hier nicht zitiert werden konnte.
41 Siehe hierzu auch Rager 1996, Wildfeuer 1998, Höffe 2001.
156
bungsbedingungen bedarf42. Auf die Relevanz des Mutterleibes für die Definition
der embryonalen Potenzialität werde ich später noch zurückkommen.
Obgleich das Identitäts-, Kontinuitäts- und Potenzialitätsargumentes im biologischen Sinne nicht umstritten ist, gibt es unterschiedliche Interpretationen bezüglich
der ethischen Relevanz dieses Arguments sowie in Bezug auf den Beginn und den
Grad der Schutzwürdigkeit des Embryos. An diesen Fragen entzündet sich die ethische Debatte um den moralischen Status des Embryos.
In der Diskussion um die Frage, welchen moralischen Status der Embryo selbst
hat, d. h. ob und bis zu welchem Grade er um seiner selbst willen schützenswert ist,
lassen sich mindestens fünf Positionen voneinander unterscheiden. Diese Positionen
werden im Folgenden in der Reihenfolge ihrer zunehmenden Strenge vorgestellt,
d. h. es wird mit der liberalsten Position begonnen, und die strengste bildet den Abschluss.
1.
Der frühe Embryo ist nichts als ein Zellhaufen, dem wir keinerlei Respekt
schulden.
2.
Schutzwürdigkeit und Lebensrecht des Embryos wachsen graduell. Bereits dem
frühen Embryo schulden wir zumindest eine Art von Respekt.
3.
Der Embryo verfügt vom Beginn seiner Entwicklung an über den vollen Schutz
der Menschenwürde und damit prima facie43 im selben Maße über ein Recht
auf Leben und den uneingeschränkten Lebensschutz wie der geborene Mensch.
4.
Der Embryo verfügt vom Beginn seiner Entwicklung an über den vollen Schutz
der Menschenwürde und damit im selben Maße über ein Recht auf Leben und
den uneingeschränkten Lebensschutz wie der geborene Mensch.
5.
Der Embryo verfügt vom Beginn seiner Entwicklung an über den vollen Schutz
der Menschenwürde und damit im selben Maße über ein Recht auf Leben und
den vollen Lebensschutz wie der geborene Mensch, so dass in Konfliktsituationen das Los oder der Würfel darüber zu entscheiden hat, ob ein Embryo oder
ein Geborener leben darf.
Zu 1) Die erste Position, wonach der Embryo "nichts als" ein "Zellhaufen" ist, dem
wir nicht einmal Respekt schulden, kann auch als Reduktionismus bezeichnet werden. Zwischen dem Embryo und den Zellen von Geweben und Organen, wie etwa
den Zellen des Darms, besteht danach kein qualitativer moralischer Unterschied,
lediglich ein biologischer. Schon äußerlich habe der frühe Embryo keinerlei Ähn42 Rein technisch betrachtet, könnten die geeigneten Umgebungsbedingungen auch in einem künstlichen Uterus bestehen, sofern dieser realisierbar wäre. Über dessen ethische Vertretbarkeit ist
damit nichts ausgesagt.
43 "Prima facie" bedeutet, dass die moralische Verpflichtung besteht, dieses Recht zu respektieren,
so lange dem keine übergeordneten Pflichten entgegenstehen.
157
lichkeit mit einer menschlichen Gestalt, sondern bestehe aus einer Anhäufung von
Zellen, einem Zellaggregat, das nur durch eine äußere Hülle oder Schicht, die Zona
pellucida, zusammengehalten wird. Später, im Blastozystenstadium, sei er nichts als
ein kugelförmiges Gebilde mit einer äußeren Zellwand und einer inneren Zellmasse.
Diese Position widerspricht jedoch den Intuitionen und ethischen Prinzipien vieler.
Der frühe Embryo ist zwar auch ein "Zellhaufen", aber eben nicht nur dies. Bedenken wir, wie viel Beachtung diesem "Zellhaufen" im Reagenzglas geschenkt
wird, wie viele Hoffnungen Hilfe suchender Paare mit Kinderwunsch auf die befruchtete Eizelle im Reagenzglas gesetzt werden, so erscheint diese Position nicht
überzeugend. Die IVF als Methode der Erzeugung von Embryonen im Reagenzglas
zur Erfüllung eines Kinderwunsches ist ja nur realisierbar, weil es sich bei der befruchteten Eizelle mit dem Abschluss der Befruchtung um einen Embryo handelt,
der die Fähigkeit besitzt, unter den dafür erforderlichen Bedingungen (Nidation
usw.) einen Entwicklungsprozess zu durchlaufen, der zur Geburt eines oder mehrerer Individuen führt. Daher ist der Embryo mehr als nur ein Zellhaufen, er ist ein
potenzielles Kind. Mit demselben Recht könnte andernfalls auch der geborene
Mensch als reiner Zellhaufen betrachtet werden, der sich nur durch seinen viel größeren Komplexitätsgrad und die Interaktion seiner Zellen untereinander vom embryonalen Zellhaufen unterscheidet, was aber nicht akzeptiert würde. Auch diejenigen, welche der Auffassung sind, dass der Embryo noch nicht über den Schutz der
Menschenwürde verfügt, plädieren daher meist dafür, ihn mit Respekt zu behandeln, da er einen speziellen Status habe (vgl. z. B. Department of Health 2000,
S. 38). Dies leitet zur zweiten Position über.
Zu 2) Die zweite Position, die auch als Stufenmodell des Lebensschutzes oder
ethischer Gradualismus bezeichnet werden kann, besagt, dass das Lebensrecht
und damit die Schutzwürdigkeit des Embryos in Abhängigkeit von seinen Entwicklungsstufen graduell wachsen, so dass die befruchtete Eizelle nur ein geringes
Lebensrecht hätte und der Fetus erst mit dem Ende der Schwangerschaft und seiner
Geburt als Säugling über das volle Lebensrecht verfügen würde. In Abhängigkeit
vom jeweils erreichten Entwicklungsstadium des Embryos und Fetus wäre dementsprechend eine Skala von Gütern steigender Wertigkeit anzugeben, die gegen die
Schutzwürdigkeit von Embryo bzw. Fetus abzuwägen wäre. Zwar dürfte der Embryo in seinen frühesten Entwicklungsstadien dieser Position zufolge nicht für beliebige Interessen geopfert werden, doch müssten in den späten Entwicklungsstadien hierfür gewichtigere Gründe, wie Leben und Gesundheit der Schwangeren,
angegeben werden. Mit dieser Position sind auch nidationshemmende Empfängnisverhütungsmittel (Spirale) und die "Pille danach" vereinbar. Das Modell des abgestuften Lebensschutzes stützt sich auf die Berücksichtigung der während der Embryonal- und Fetalentwicklung konkret herausgebildeten Merkmale, auf die zunehmende Gestaltbildung sowie die wachsenden Empfindungs-, Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten von Embryo und Fetus, die es zu berücksichtigen gilt. Vertreter
158
dieser Position fordern jedoch durchaus einen respektvollen Umgang mit dem frühen Embryo, da er werdendes menschliches Leben ist.
Kritiker des ethischen Gradualismus, die von einer strengeren Position ausgehen,
wie dies für die nun folgenden drei Standpunkte gilt, wenden ein, dass jeder Versuch einer Angabe moralisch relevanter Zäsuren in der Entwicklung von Embryo
und Fetus willkürlich ist. Zur Begründung bedienen sie sich der im Folgenden angeführten Argumentation als Prämisse.
Zu 3) Nach Auffassung von Vertretern der dritten Position steht der Embryo von
Beginn seiner Entwicklung an im selben Maße unter dem Schutz der Menschenwürde und hat damit prima facie auch dasselbe Lebensrecht wie der geborene
Mensch. "Prima facie" bedeutet, dass die moralische Verpflichtung besteht, dieses
Recht zu respektieren, so lange dem keine übergeordneten Pflichten entgegenstehen. Die dritte Position wird mit folgenden Argumenten begründet: Da Menschenwürde und Recht auf Leben beim geborenen Menschen ganz unabhängig von seinen
jeweiligen körperlichen und geistig-psychischen Merkmalen anerkannt werden, und
da dessen Entwicklung von der befruchteten Eizelle an einen kontinuierlichen Prozess darstellt, wäre es willkürlich, die Schutzwürdigkeit von der Herausbildung bestimmter Merkmale während dieses Prozesses abhängig zu machen. Am wenigsten
willkürlich sei es daher, von der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens mit dem
Abschluss der Befruchtung auszugehen. Nur in Konfliktsituationen, wenn z. B.
durch eine Schwangerschaft Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung der Frau
gefährdet sind, dürfen diese Güter gegen das Leben des Embryos bzw. Fetus abgewogen werden. Erst hier spielt der Entwicklungsgrad des Embryos bzw. des Fetus
als zusätzliches Entscheidungskriterium eine Rolle. Daher dürfen nach dieser Position Schwangerschaftsabbrüche im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium auch nur
bei medizinischer Indikation, d. h. wenn Leben und Gesundheit der Schwangeren
schwerwiegend gefährdet sind, durchgeführt werden. Und in den ersten Wochen
und Monaten der Schwangerschaft ist ein Abbruch auch nur dann vertretbar, wenn
sich die Schwangere in einer schwerwiegenden, für sie unzumutbaren Notlage befindet, die einen Abbruch als einzigen Ausweg erscheinen lässt. Hier wird also nicht
in Frage gestellt, dass Embryo und Fetus prinzipiell bereits unter dem Schutz der
Menschenwürde stehen. Ihr Lebensrecht wird dem Lebensrecht Geborener nicht
von vornherein untergeordnet. Vielmehr ist eine Abwägung zwischen dem Lebensschutz des Embryos und den Interessen der Schwangeren nach dieser Position nur
in "qualifizierten" Konfliktsituationen ethisch vertretbar. Allerdings ist die Entscheidung gegen das Leben des Embryos nur die Ultima Ratio, und der Entwicklungsgrad des Embryos legt dem Entscheidungsspielraum Grenzen auf. Die Verwendung von nidationshemmenden Empfängnisverhütungsmitteln und der "Pille
danach" ist mit dieser Position nur unter entsprechend strengen Vorgaben in Ausnahmesituationen zu vereinbaren.
159
Zu 4) Die vierte Position unterscheidet sich von der vorhergehenden darin, dass
das Spektrum dessen, was als "qualifizierter" Konflikt anerkannt wird, enger ist als
bei jener.
Als echter Konflikt wird hier nur die Gefährdung von Leben und Gesundheit der
werdenden Mutter durch die Schwangerschaft anerkannt, wobei hier analog zu
Notwehrsituationen argumentiert wird, in denen Menschenleben geopfert werden,
um das eigene Leben zu retten. Diese lebensbedrohende Situation im engen Sinne
liege jedoch nicht vor, wenn die Selbstbestimmung der Frau und die Entfaltung
ihrer Persönlichkeit, etwa in Ausbildung und Beruf, durch eine Schwangerschaft
beeinträchtigt ist. Diese Position kommt der Lehrmeinung der katholischen Kirche
am nächsten, obwohl in der Instruktion der Glaubenskongregation "Donum vitae"
vom 22. Februar 1987 der Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation
nicht erwähnt wird44. Dennoch entspricht sie der inoffiziellen Lehrmeinung von
zahlreichen Vertretern der katholischen Kirche. Die Verwendung von nidationshemmenden Empfängnisverhütungsmitteln und der "Pille danach" sind mit dieser
Position unvereinbar.
Zu 5) Nach der fünften Position, die hier als "Würfelposition" bezeichnet wird,
könnten in Konfliktsituationen keinerlei Güterabwägungen zugelassen werden.
Wenn es etwa um eine Entscheidung zwischen der Lebensrettung eines Embryos
und der einer Schwangeren ginge, würde für embryonales und geborenes menschliches Leben nicht nur die prinzipielle gleiche Wertigkeit in Anspruch genommen,
sondern es würden für den Einzelfall auch keine Unterscheidungskriterien zugelassen, die dem Leben der Schwangeren gegenüber dem des Embryos den Vorzug geben würde, so dass das Los entscheiden müsste. Stünde z. B. durch eine Schwangerschaft das Leben der Mutter auf dem Spiel, so würde diesem nicht nach Anführung guter Gründe der Vorrang gewährt, sondern es würde gewürfelt. Kritiker der
offiziellen Lehre der katholischen Kirche deuten diese manchmal abschätzig im
Sinne der Würfelposition, werden damit jedoch der faktisch bestehenden Breite des
Spektrums katholischer Auffassungen nicht gerecht.
Es ist zweifelhaft, ob die Würfelposition tatsächlich ernsthaft vertreten wird. Auch
in Konfliktfällen, wenn keine Embryonen, sondern ausschließlich geborene Menschen mit unbedingter Schutzwürdigkeit im Spiel sind und eine Entscheidung darüber zu treffen ist, welches von zwei oder mehreren Leben zu retten ist, wird nicht
nach dem Würfel gegriffen, sondern es wird auf der Grundlage vernünftiger Argumente nach Maßgabe allgemeiner Kriterien und situationsspezifischer Gesichtspunkte um eine ethische Urteilsbildung gerungen. Damit wird keineswegs die Menschenwürde und das prinzipielle Lebensrecht derjenigen in Frage gestellt, die nicht
gerettet werden können.
44 Instruktion der Glaubenskongregation "Donum vitae" in Denzinger 1991.
160
Bei diesen Positionen gibt es einige wesentliche Konsense. Bis auf den Reduktionismus, der die zweite der folgenden Annahmen nicht akzeptieren würde, stimmen
alle zumindest in zweierlei Hinsicht miteinander überein: Erstens besteht Konsens
darüber, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dass die Achtung vor dieser
Würde Richtschnur unseres Handelns sein soll und dass es unveräußerliche Menschenrechte gibt. Zweitens wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass der
Embryo einen Wert und damit eine Schutzwürdigkeit hat. Differenzen bestehen
jedoch bei der Bestimmung der Höhe des Wertes und des Grades der Schutzwürdigkeit, in der Frage, ob dem Embryo von Anfang an eine unbedingte Schutzwürdigkeit um seiner selbst willen zukommt, wie die Positionen drei bis fünf annehmen, oder ob diese in Abhängigkeit vom jeweiligen Entwicklungsgrad wächst, wie
dies Vertreter der zweiten Position voraussetzen. Der Unterschied zwischen der
Annahme eines graduell wachsenden Lebensschutzes und den anderen Positionen
drückt sich auch darin aus, dass Vertreter des ethischen Gradualismus dem Embryo
in der Regel noch keine Menschenwürde zusprechen, jedoch Respekt gegenüber
dem Embryo einfordern45.
Die Antworten auf die Frage nach dem moralischen Status des Embryos können
von den naturwissenschaftlichen Voraussetzungen nach dem Stand des jeweiligen
Wissens, den philosophischen Grundpositionen der Argumentierenden und ihrem
religiösen Standpunkt abhängen. Auch innerhalb einer Religion kann es sowohl in
historischer Perspektive als auch zu einem bestimmten Zeitpunkt unterschiedliche
Auffassungen zu diesen Fragen geben46. Dies kann jedoch nicht als Freibrief für
einen kulturellen und ethischen Relativismus in Anspruch genommen werden, sondern vielmehr als eine Aufforderung, sich innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft, wie es die Schweiz ist, unter Berücksichtigung des heutigen empirischen
Kenntnisstandes und unter Anwendung allgemein verbindlicher Wertmaßstäbe und
Prinzipien um eine verfassungskonforme Lösung zu bemühen.
7.2.2.1.2
Der moralische Status des extrakorporalen Embryos
Gegen die Schutzwürdigkeit des extrakorporalen Embryos werden Einwände erhoben, von denen hier die wichtigsten herausgegriffen und diskutiert werden sollen:
(1)
Da sich der extrakorporale Embryo in einer Entwicklungsphase befindet, in
der noch Zwillings- und Mehrlingsbildung möglich ist, haben wir es hier noch
nicht mit einem existierenden Menschen zu tun. Daher besitzt der frühe Embryo auch nicht die Schutzwürdigkeit eines existierenden Menschen.
45 Siehe auch die Diskussion in Maio 2002; Robertson 1995, 2001.
46 Zum moralischen Status des Embryos in den christlichen Religionen sowie im Buddhismus,
Islam und Judentum siehe Kaminsky 1998, S. 74-86.
161
(2)
Einem Embryo in vitro fehlt die unabdingbare Voraussetzung seiner weiteren
Entwicklung, der Mutterleib, und damit die empirischen Bedingungen dafür,
dass er sich überhaupt zu einem Menschen entwickeln kann. Er besitzt daher
eine geringere Schutzwürdigkeit als ein Embryo in vivo.
(3)
Dies gilt umso mehr für "überzählige" Embryonen, denen schon die äußeren
Voraussetzungen für eine weitere Entwicklung fehlen, da sie keine Aussicht
auf Übertragung in einen Mutterleib haben. Daher sind sie nicht einmal werdende Menschen.
Das erste Argument findet auch Anwendung beim frühen Embryo in vivo. Gegen
dieses Argument lässt sich einwenden, dass auch beim geborenen Menschen dessen
Individualität und Schutzwürdigkeit nicht davon abhängig gemacht werden, kein
Zwilling oder Mehrling zu sein. Für jeden einzelnen der menschlichen Zwillingsorganismen im frühesten Stadium seiner Existenz gilt daher das Argument, das zur
Begründung der Schutzwürdigkeit des Embryos mit dem Abschluss der Befruchtung angeführt wurde.
Dass die Entwicklungsmöglichkeit von Embryonen im Reagenzglas zeitlich begrenzt ist und sie zu ihrer Weiterentwicklung eines Mutterleibes bedürfen, spricht
nicht gegen ihre Schutzwürdigkeit und ihr Lebensrecht. Auch beim geborenen
Menschen, so lässt sich gegen das zweite Argument einwenden, machen wir dessen Lebensrecht nicht von den äußeren Bedingungen seines Werdens und seiner
Existenz abhängig. Außerdem wissen wir, dass nicht erst die Nidation, die Einnistung des Embryos in den Uterus, der Beginn des Kontaktes zwischen Embryo und
weiblichem Organismus darstellt. Bereits kurz nach der Befruchtung beginnt ein
"embryonal-maternaler Dialog" (Barnea 2001; Hill 2001), ein wechselseitiger Austausch embryonaler und mütterlicher Signale, der darauf hindeutet, dass der Embryo
von Anfang an einen aktiven Part bei seiner eigenen Entwicklung spielt. Die natürlichen Entwicklungsbedingungen des Embryos im Mutterleib bilden im wechselseitigen Austausch mit dem Embryo die Grundlage für die Embryonalentwicklung, bei
der sich eine eigenständige Entität, die bereits vom Zeitpunkt der Befruchtung an
über die Anlage zur Ausbildung des gesamten Organismus verfügt, weiterentwickelt. Zudem ist der extrakorporale Embryo offensichtlich in der Lage, sich auch
außerhalb des Mutterleibes, in der Petrischale, bis zum Blastozystenstadium zu
entwickeln. Aus diesen Gründen spricht die Tatsache, dass der Embryo für seine
Entwicklung auf einen Mutterleib angewiesen ist, nicht gegen die Berechtigung der
Annahme, dass er über eine aktive Potenzialität im zuvor beschriebenen Sinne verfügt (Kap. 7.2.2.1.1).
Durch die Einführung der IVF sowie die Anwendung bildgebender Verfahren in
Biologie und Medizin mit entsprechenden Aufnahmetechniken ist es heute möglich
geworden, viel frühere Stadien der menschlichen Entwicklung zu veranschaulichen
und den gesamten Entwicklungsprozess visuell zu verfolgen. In Lehrbüchern der
Embryologie und in der Fachliteratur über die IVF wird auf diese Weise der Prozess
162
der Embryonal- und Fetalentwicklung von der ersten Zellteilung an bis zur Geburt
wiedergegeben, während es früher nur möglich war, den Menschen ab seiner Geburt zu fotografieren47. Diese visuelle Erfahrbarkeit des Embryos erweitert nicht
nur den Spielraum der Verfügbarkeit über frühes menschliches Leben, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten der positiven Bezugnahme auf den frühen Embryo.
Sie kann selbstverständlich den ethischen Diskurs über den moralischen Status des
Embryos nicht ersetzen. Aber sie unterstützt die Möglichkeit der Herstellung eines
biografischen Zusammenhangs, der den gesamten Entwicklungsprozess eines Menschen vom Abschluss der Befruchtung an umfasst. Damit lässt sich zumindest das
Argument stärken, dass es sich beim Embryo im Zweizellstadium bereits um einen
embryonalen Menschen handelt, der am Anfang seiner Entwicklung steht. Würde
beispielsweise jemand, der durch künstliche Befruchtung im Reagenzglas gezeugt
wurde und im Zwei- und Vierzellstadium fotografiert wurde, später diese mikroskopischen Aufnahmen sehen, so könnte er ohne weiteres sinnvoll sagen: "Dies bin
ich als Embryo im Zwei- und Vierzellstadium", ebenso wie er bei der Ultraschallaufnahme sagen könnte, sie zeige ihn, als seine Mutter mit ihm schwanger
war.48
Nun werden in zahlreichen Ländern49 mehr Eizellen befruchtet, als transferiert
werden, um im Falle des Misslingens der Schwangerschaft auf diese Embryonen
zurückgreifen zu können und den Frauen die wiederholte, psychisch und physisch
belastende Prozedur der Eizellentnahme zu ersparen. Kommt es zur Erfüllung des
Kinderwunsches, so bleiben die ursprünglich als "Reserveembryonen" in flüssigem
Stickstoff konservierten Embryonen übrig. Diese zufälligen, äußeren Bedingungen
ihrer "Überzähligkeit" lassen sich, so ließe sich auf das dritte Argument erwidern,
jedoch nicht gegen ihr Lebensrecht geltend machen. Auch sie haben das Potenzial,
unter normalen Bedingungen einen Entwicklungsprozess zu durchlaufen, der in die
Geburt eines Kindes mündet. Daher hätten sie auch keinen geringeren moralischen
Status als andere Embryonen. Vielmehr könnte sogar eingewandt werden, dass es
die Aufgabe der Wissenschaft wäre, frauenfreundliche Methoden zu entwickeln, bei
denen überzählige Embryonen in großer Anzahl überhaupt erst gar nicht entstehen.
Und schließlich können wir auf das Gedankenexperiment des künstlichen Uterus
rekurrieren: Wenn der künstliche Uterus konstruiert worden wäre, hätten auch so
genannte "überzählige" Embryonen Aussicht auf Überleben, wobei hier einmal von
der Frage der Wünschbarkeit dieser Art der Embryonal- und Fetalentwicklung abgesehen werden soll. Das Argument, dass "überzählige Embryonen" allein auf
47 Engels 2000c, Hauskeller 2000 und die dort angegebene Literatur.
48 Zur Bedeutung biografisch orientierter Zugänge siehe auch Badura-Lotter 2000.
49 Diese Praxis ist in der Schweiz seit Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes nicht mehr
zulässig. Zulässig ist hingegen die Kryokonservierung von so genannten "imprägnierten Eizellen", die rechtlich noch nicht als Embryo gelten (s. auch Kap. 4.2.1 und 8.3).
163
Grund ihrer Überzähligkeit einen geringeren moralischen Status als andere Embryonen haben, überzeugt mich aus den angeführten Gründen nicht.
7.2.2.1.3
Der moralische Status von Embryonen, die nach der "Dolly-Methode" erzeugt wurden
Einwände gegen den Embryonenverbrauch, die mit dem so genannten "therapeutischen Klonen" und den Forschungen hierzu verbunden wären, werden manchmal
mit dem Argument zu entkräften versucht, dass den nach der "Dolly-Methode" erzeugten Embryonen schon der biologische Status von Embryonen im strengen Sinn
abgesprochen werden könne. Bei Organismen, die sich von Natur aus zweigeschlechtlich vermehren, entstehen Embryonen normalerweise durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Da der durch somatischen Zellkerntransfer erzeugte
Embryo aber über die gleiche Erbinformation wie der Spender der Körperzelle verfügt, ließe sich fragen, ob er deshalb nicht eher den Charakter eines dem Spender
zugehörigen Gewebes statt den einer eigenen Existenz habe (siehe zur Diskussion
Engels 2000b, S. 177; vgl. auch die Diskussion in Rehmann-Sutter 2001a). Würde
es sich aber im biologischen Sinne nicht um Embryonen handeln, so käme ihnen
auch keine Schutzwürdigkeit wie Embryonen zu. Daher lautet die Schlüsselfrage:
"Welche moralische Bedeutung kommt dem Unterschied in der Entstehungsgeschichte von Nukleustransferembryonen gegenüber den durch Befruchtung entstandenen Embryonen zu? Gibt es einen Sonderstatus für Embryonen aus Kerntransfer,
der ihnen gewährt werden kann, ohne die Kriterien des Embryonenschutzes aufzuweichen?" (Rehmann-Sutter 2001a, S. 986).
Hierauf lässt sich mit der Frage entgegnen, was Dolly denn zu Beginn ihrer Existenz gewesen sei, wenn nicht ein Embryo. Doch selbst wenn wir hierfür einen
neuen Begriff einführen würden, wie z. B. "Klonbryo", wäre zu fragen, was damit
argumentativ gewonnen wäre. Die geborene Dolly bezeichnen wir nach wie vor als
Schaf und als nichts anderes. Auch hier eignet sich wieder der Hinweis auf die
Rolle bildgebender Verfahren. Ein nach der "Dolly-Methode" gezeugter Mensch
könnte später, wenn ihm mikroskopische Aufnahmen von dem durch somatischen
Zellkerntransfer entstandenen Embryo, aus dem er hervorgegangen ist, gezeigt
würden, auch wiederum mit Bezug auf diesen zwei- und vierzelligen Organismus
sagen: "Dies bin ich als Klonbryo im Zwei- und Vierzellstadium.", ebenso wie er
bei der Ultraschallaufnahme sagen könnte, sie zeige ihn, als seine Mutter mit ihm
schwanger war. Die Wahl eines anderen Begriffs hätte also für das Verständnis seiner Entwicklung als eines kontinuierlichen Prozesses keinerlei Relevanz. Darüber
hinaus wäre mit einer Umbenennung auch keine Vorentscheidung über den moralischen Status dieser Entität getroffen. Es ließe sich damit auch nicht begründen, dass
der "Klonbryo" eine geringere Schutzwürdigkeit besitzt als Embryonen, die durch
die Befruchtung einer Eizelle durch eine Samenzelle entstehen. Als Geborene hätten diese Klone keinen geringeren Grad an Menschenwürde und Schutzwürdigkeit
164
als die durch natürliche Zeugung oder künstliche Befruchtung im Reagenzglas entstandenen Menschen.
Damit bezweifle ich, dass die Erzeugungs- oder Entstehungsweise eines Menschen als solche einen Einfluss auf die Menschenwürde im Sinne einer Schmälerung dieser Würde hat. Die Schutzwürdigkeit des Anfangsstadiums geklonter Menschen lässt sich nach meiner Auffassung auf dieselbe Weise begründen wie die von
Embryonen, die durch Befruchtung einer Eizelle mit einer Samenzelle entstehen.
Oder ist es für den moralischen Status des Embryos von Bedeutung, ob sein Zellkern
durch die Verschmelzung von Gameten oder durch Kerntransfer aus einer somatischen
Körperzelle zustande gekommen ist, wenn der embryonale und fetale Entwicklungsprozess in die Geburt eines Menschen mündet? Auch der "Klonbryo" würde die aktive
Potenzialität im zuvor beschriebenen Sinne besitzen. Für die Gewinnung von ES-Zellen aus embryonalen Klonen müsste aber der aktuelle Entwicklungsprozess eines frühen Embryos unterbrochen werden.
An der Natürlichkeit als Kriterium und Maßstab für Schutzwürdigkeit können wir
uns schon deshalb nicht orientieren, weil die Grenzen zwischen Natürlichem und
Künstlichem durch die Entwicklung neuer biomedizinischer Techniken fließend
geworden sind und Grenzen, die zuvor von Natur gegeben waren, verschoben oder
überschritten werden50. Damit treten nicht nur neuartige, bisher nicht gekannte Gegenstände ins Blickfeld, sondern sie werden auch durch die Technik hervorgebracht. Die Tatsache, dass es sich dabei um Konstrukte unserer technischen Erzeugung handelt, muss ihrer Schutzwürdigkeit jedoch keinen Abbruch tun. Vielmehr ist
der ethische Diskurs darüber zu führen, wo und welche normativen Grenzen wir
in jenen Bereichen zu ziehen haben, wo früher natürliche Grenzen gegeben waren.
Es ist nicht davon auszugehen, dass es innerhalb unserer pluralistischen Gesellschaften einen vollkommenen Konsensus in der Frage nach dem moralischen Status
des Embryos geben wird. Auch wenn das Spektrum der vertretenen Positionen eingekreist werden kann, bleibt noch Dissens übrig. Da gesetzliche Regelungen aber
angesichts der Entwicklung neuer Technologien nötig sind und Entscheidungen
innerhalb des Rahmens der in einem Lande jeweils gültigen Verfassung zu treffen
sind, ist für den Zweck dieser Studie zu fragen, ob dem Embryo nach der Schweizerischen Verfassung vom Abschluss der Befruchtung an unbedingter Lebensschutz
zukommt (s. auch Kap. 8).
50 Der Begriff der Grenzüberschreitung wird hier zunächst rein deskriptiv verwendet.
165
7.2.3
Ethische Aspekte der Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen
Werden Embryonen in rein fremdnütziger Absicht ausschließlich mit der Zielsetzung erzeugt, sie für Forschungszwecke zu verwenden, wobei sie normalerweise
zerstört werden, so liegt eine Instrumentalisierung frühen menschlichen Lebens vor.
Die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates vom
4. April 1997 verbietet in Art. 18, Absatz 2 die Herstellung von Embryonen zu
Forschungszwecken, obwohl sie Forschungen an Embryonen als solche nicht verbietet. Allerdings wird ein angemessener Schutz von Embryonen auch in jenen
Ländern erwartet, in welchen Embryonenforschung zulässig ist.
"1 Where the law allows research on embryos in vitro, it shall ensure adequate protection of the embryo. 2 The creation of human embryos for research purposes is
prohibited." (Convention of Human Rights and Biomedicine 1997).
Wenngleich gegen diesen Artikel von Vertragsstaaten der Konvention Vorbehalte
angebracht werden können (vgl. Art. 26) und die Konvention zudem nicht von allen
Mitgliedstaaten aus jeweils unterschiedlichen Gründen gezeichnet wurde, hat sie
doch in Bezug auf den Embryonenschutz eine wichtige ethische Signalfunktion
(s. auch Kap. 8).
Wie verhält es sich mit der Herstellung von Embryonen durch Zellkerntransfer?
Das Zusatzprotokoll (1998) zur Konvention über Menschenrechte und Biomedizin
des Europarates vom 4. April 1997 enthält ein ausdrückliches Verbot des Klonens
menschlicher Lebewesen, wobei der Begriff des Klonens hier sowohl das Embryosplitting als auch den Zellkerntransfer einschließt und sich das Klonverbot auf reproduktives und "therapeutisches Klonen" bezieht. Embryosplitting bedeutet, dass
die totipotenten Blastomeren des frühen Embryos nach den ersten Furchungsteilungen voneinander getrennt werden, und da sie alle über die selbe Erbinformation
verfügen, handelt es sich dabei um Klone. Das Zusatzprotokoll beinhaltet also ein
umfassendes Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen, und zwar unabhängig
vom Entwicklungsstadium des Menschen und der Methode des Klonens. Das Verbot des Klonens menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken ist im Verbot der
Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken nach dem oben zitierten
Art. 18 Absatz 2 der Konvention bereits enthalten51.
Die Zentrale Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen
Wissenschaften (SAMW) lehnt in ihrem Positionspapier zur Gewinnung von und
Forschung an menschlichen Stammzellen die Herstellung von Embryonen durch
IVF einzig zum Zweck der Forschung einhellig ab, weil "wir damit etwas produzie51 Siehe auch den Artikel von Honnefelder und Fuchs (Honnefelder, Fuchs 1998).
166
ren und zweckentfremden, das zur Existenz eines Menschen führen sollte." Auch
gegenüber der Gewinnung und Verwendung von Stammzellen aus Embryonen, die
nach der "Dolly-Methode" erzeugt wurden, äußert eine Mehrheit der Kommission
erhebliche ethische Bedenken. Allerdings gibt es auch Mitglieder, die dies für
ethisch vertretbar erachten, und ein Teil der Kommission ist diesbezüglich noch
unschlüssig. Die Bedenken gründen sich in der Klärungsbedürftigkeit des Status der
aus der Fusion einer entkernten Eizelle mit einem somatischen Kern entstandenen
Zelle, da diese kein Embryo im konventionellen Sinne sei, sondern ein künstliches
"Konstrukt". Die zu klärende Frage sei hier, ob dieses "Konstrukt" in ethischer Hinsicht einem Embryo gleichzusetzen sei. Wäre dies der Fall, so würden sich gegen
die Erzeugung von Embryonen nach der "Dolly-Methode" dieselben ethischen Bedenken erheben wie gegen die Erzeugung von Embryonen durch IVF. Das "therapeutische Klonen" sollte daher nicht zugelassen werden, solange diese Frage nicht
zweifelsfrei geklärt sei (SAMW 2001).
Im Folgenden soll kurz untersucht werden, wie sich die fremdnützige Herstellung
von Embryonen zur Gewinnung von ES-Zellen im Rahmen der in Kapitel 7.2.2.1.1
präsentierten Grundpositionen zur Frage des moralischen Status des Embryos darstellt.
Vertreter des Reduktionismus werden unter dem Blickwinkel des Embryonenschutzes um des Embryos selbst willen keine ethischen Probleme in der fremdnützigen Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke mit und an ES-Zellen
sehen, da wir ihrer Auffassung nach dem frühen Embryo keinen Respekt schulden.
Vertreter des ethischen Gradualismus tolerieren zwar keinen beliebigen Umgang
mit dem frühen Embryo, doch ist mit dieser Position die Herstellung von Embryonen unter ganz bestimmten, allerdings sehr restriktiven Bedingungen (vgl.
Kap. 7.2.4), vereinbar. Vertreter der Positionen drei bis fünf (Menschenwürdepositionen) lehnen die Herstellung von Embryonen ab, da für sie der frühe Embryo bereits unter dem Schutz der Menschenwürde steht und es danach ethisch nicht vertretbar ist, frühes menschliches Leben eigens zu dem Zweck seiner Zerstörung zu
erzeugen. Auch die liberalste dieser drei Positionen, die einen Schwangerschaftsabbruch in einer schwerwiegenden Notsituation der Frau auch bei nichtmedizinischer
Indikation als eine Konfliktsituation zulässt, also wenn Leben und Gesundheit der
Schwangeren im engeren Sinne nicht gefährdet sind, wird auf Grund der Nichtvergleichbarkeit der Kontexte eine Erzeugung von Embryonen in ausschließlich
fremdnütziger Absicht ablehnen. Ein Schwangerschaftsabbruch in einer individuellen Notsituation ist nicht vergleichbar mit der gezielten Herstellung von Embryonen
zu Zwecken, die nicht der Erhaltung der Embryonen selbst dient.
Für Vertreter aller Positionen, also auch für Reduktionisten und Gradualisten, kann
es unter dem Aspekt der möglichen Auswirkungen der ES-Zelltechnologie Argumente gegen die Herstellung von Embryonen geben. Reduktionisten würden in diesem Fall jedoch nicht die Schutzwürdigkeit des Embryos selbst im Auge haben,
167
sondern die von dieser Forschung und ihren Auswirkungen betroffenen Personen,
womit die anfangs thematisierte Unterscheidung zwischen direkten und indirekten
Argumenten angesprochen wird (vgl. Kap. 7.2.2).
Bei der Entnahme seiner inneren Zellmasse (Embryoblast) aus der Blastozyste zur
Gewinnung von ES-Zellen wird der Embryo vernichtet. In meiner Analyse werde
ich im Folgenden jedoch auch den rein hypothetischen Fall ins Auge fassen, dass
eine Erhaltung der Blastozyste nach der Entnahme nur einer oder weniger Zellen
aus dem Embryoblasten möglich ist. In Experimenten an nichtmenschlichen Säugetieren (z. B. Kaninchen, Rind) wurde die erstaunliche Entwicklungsfähigkeit einer
reduzierten oder teilgeschädigten Keimscheibe nachgewiesen und auf die Regulationskapazität ihrer intakten Zellen, auf deren "Zellkommunikation" oder "Teamarbeit", zurückgeführt (Beier 1999, S25). Durch Teilung einer Keimscheibe oder einer
ganzen Blastozyste konnten monozygote Zwillinge erzeugt werden. Daher schließe
ich in dieser Analyse rein hypothetisch die für den Menschen nicht experimentell
belegte Möglichkeit ein, dass die Zellen des menschlichen Embryoblasten die Regenerationsfähigkeit besitzen, sich nach Entnahme einer oder weniger Zellen zu
einem intakten Embryo zu entwickeln, was jedoch nicht bedeutet, dass jede einzelne dieser Zellen totipotent ist, sondern nur das Zellganze. Würden dem Embryo
aus seiner inneren Zellmasse nur eine oder nur wenige Zellen entnommen, ohne
dass er dabei zerstört würde, so ist die Frage, ob damit das ethische Problem der
Verwendung von Embryonen zur Gewinnung von ES-Zellen entschärft oder gar
gelöst wäre (Engels 2000b, S. 174ff)?52
Auch bei der hier rein hypothetisch ins Auge gefassten Möglichkeit der Erhaltung
und Nichtschädigung des Embryos und seiner anschließenden Übertragung in einen
Mutterleib ist die Entnahme einer oder weniger Zellen nicht in jedem Fall ethisch
vertretbar. Hier wäre zwischen fremdnütziger und für den Embryo selbst nützlicher
Entnahme und Forschung an seinen ES-Zellen zu unterscheiden. Da der Embryo
nicht in der Lage ist, seine freie und aufgeklärte Zustimmung zur Entnahme seiner
Zellen zu geben, wäre zu fragen, ob die Eltern hier stellvertretend entscheiden dürfen. Sollen in fremdnütziger Absicht Zellen aus dem Embryo entnommen werden,
so erscheint diese Lösung problematisch, da die Eltern die Entscheidung ihres zukünftigen Kindes, das sich aus dem Embryo entwickelt, nicht antizipieren können.
Die Situation ist also nicht vergleichbar mit der erweiterten Zustimmungslösung bei
der Organspende, wenn die Angehörigen über den mutmaßlichen Willen ihres
hirntoten Verwandten Bescheid wissen. Doch wäre hier der potenzielle therapeutische Nutzen für Dritte gegen die den Embryo nicht schädigende Entnahme seiner
Zelle(n) abzuwägen.
52 Dieses Gedankenexperiment stellt kürzlich auch Prof. Dr. Jürgen Hescheler (Institut für Neurophysiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Köln) bei den "Bitburger Gesprächen"
vor (Berliner Zeitung Nr. 21, 25. 01. 2002. Siehe auch den Bericht von S. Kutter (Kutter 2002).
168
Theoretisch denkbar ist auch die Situation, dass dem Embryo eine oder einige wenige Zellen mit dem Ziel entnommen werden, später einmal bei Bedarf für das aus
dem Embryo entstandene geborene Individuum körpereigenes Gewebe herzustellen,
so dass hier eine Autotransplantation bzw. eine damit vergleichbare Behandlungsweise vorliegen würde. Diese Situation wäre mit einer pränatalen Behandlung von
Embryonen und Feten und der Behandlung (noch) nicht zustimmungsfähiger Kinder vergleichbar, welche nicht nur ethisch vertretbar ist, sondern darüber hinaus in
vielen Fällen ethisch geboten ist. Wären diese Methoden jedoch mit Risiken für den
Embryo und für den zukünftigen, geborenen Menschen verbunden, so würden sich
auch diese beiden Wege verbieten.
Wie würde sich die Erhaltung des Embryos in ethischer Hinsicht darstellen, wenn
es sich dabei um einen nach der Zellkerntransfer-Methode erzeugten Embryo handelte, also um einen zum Zwecke des "therapeutischen Klonens" hergestellten Embryo, der aber aus Gründen des Embryonenschutzes nicht zerstört, sondern in einen
Uterus transferiert würde und dann zur Welt käme?
Diese Situation ist in ethischer Hinsicht genau asymmetrisch zur vorherigen zu beurteilen. Der Klon wurde ja nur deshalb erzeugt, weil er im Frühstadium seiner
Entwicklung als "Lieferant" von Zellen diente, welche für fremdnützige Forschung
und Therapie bereitgestellt wurden. Das geklonte Individuum wäre Zeit seines Lebens dem Bewusstsein ausgesetzt, seine Existenz dieser externen Zwecksetzung zu
verdanken und würde womöglich in der ständigen Furcht leben, auch weiterhin als
passender Spender betrachtet zu werden. Angesichts einer derart offensichtlichen
Instrumentalisierung hielte ich es für ethisch nicht vertretbar, mit dem Argument
der Achtung vor der Würde und vor dem Lebensrecht des Embryos aus ihm einen
Menschen entstehen zu lassen, der sich später der Verletzung seiner Menschenwürde ständig bewusst wäre. In diesem Fall wäre der Respekt vor der Würde des
späteren Individuums und die Verhinderung seines Leidens durch das Bewusstsein
der Instrumentalisierung der Achtung vor dem Lebensrecht des Embryos überzuordnen. Dieses Beispiel zeigt auch, dass es Fälle gibt, in denen die Idee des Respekts vor dem Lebensrecht des Embryos nicht in Abstraktion von der Würde des
späteren Individuums gedacht werden sollte.
Auf weitere Probleme, die mit dem "therapeutischen Klonen" verbunden sind, wird
in Kapitel 7.3.4 eingegangen.
7.2.4
Ethische Aspekte der Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen
In zahlreichen Ländern werden mehr Eizellen befruchtet, als Embryonen in den
Mutterleib transferiert werden, um im Falle des Misslingens der Schwangerschaft
auf diese Embryonen zurückgreifen zu können und den Frauen die wiederholte,
169
psychisch und physisch belastende Prozedur der Eizellentnahme zu ersparen.
Kommt es zur Erfüllung des Kinderwunsches, so bleiben die ursprünglich als "Reserveembryonen" in flüssigem Stickstoff konservierten Embryonen übrig. Es
kommt aber auch vor, dass ein Embryotransfer aus anderen Gründen, wie z. B. bei
einer Erkrankung oder im Sterbefall der Frau, unterbleibt. In diesen Fällen spricht
man normalerweise von "überzähligen" Embryonen. Darunter werden also solche
Embryonen verstanden, die ursprünglich zur Herbeiführung einer Schwangerschaft
durch In-vitro-Fertilisation erzeugt wurden, hierfür nun aber endgültig nicht mehr
verwendet werden. Um das Vorkommen "überzähliger" Embryonen zu verhindern,
ist es in der Schweiz und auch in Deutschland gesetzlich untersagt, mehr Eizellen
einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen,
wobei dies maximal drei Eizellen sind. Auch hier kann es vorkommen, dass "überzählige" Embryonen entstehen, wobei dies, streng genommen, nur geschehen kann,
wenn die Frau nach dem Vollzug der IVF erkrankt oder verstorben ist, so dass ein
Transfer nicht mehr in Frage kommt. Das deutsche Embryonenschutzgesetz lässt
den Umgang mit überzähligen Embryonen offen, so dass sie konserviert werden
können, während das schweizerische Fortpflanzungsmedizingesetz die Konservierung ausdrücklich verbietet (siehe Kap. 8).
In Ländern, in denen die Verwendung von und Forschungen an Embryonen gesetzlich zulässig ist, können ES-Zellen aus den dort bereits existierenden "überzähligen"
Embryonen gewonnen werden. In einigen anderen Ländern, auch der Schweiz, gibt
es eine lebhafte Diskussion über die Frage der ethischen und rechtlichen Vertretbarkeit des Imports von ES-Zellen aus Ländern mit liberaleren Regelungen.
Zunächst sollen die ethischen Aspekte der Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen im eigenen Lande diskutiert werden.
In Kapitel 7.2.2.1.2 habe ich dargelegt, dass es mir nicht überzeugend erscheint, für
"überzählige" Embryonen einen anderen moralischen Status anzunehmen als für
Embryonen, die für Fortpflanzungszwecke bestimmt sind, da sich die zufälligen,
äußeren Bedingungen ihrer "Überzähligkeit" nicht gegen ihr Lebensrecht geltend
machen lassen. Überzähligkeit ist meines Erachtens also kein Grund zur Schmälerung des moralischen Status. Auch "überzählige" Embryonen haben ja das Potenzial, unter normalen Bedingungen einen Entwicklungsprozess zu durchlaufen, der
in die Geburt eines Kindes münden kann.
Sprachlich lässt sich dies verdeutlichen, wenn wir statt von "überzähligen" Embryonen von "verwaisten" Embryonen sprechen, wie dies bisweilen geschieht. Damit
werden auch ganz andere Szenarien evoziert als beim Begriff der Überzähligkeit,
wie etwa die Adoption. Die rechtliche Unzulässigkeit von Embryonenadoption in
der Schweiz (s. Kap. 8.3) schließt deren ethische Vertretbarkeit noch nicht aus.
Allerdings können sich damit andere Probleme stellen, die im Zusammenhang mit
der gespaltenen Elternschaft bereits ausführlich diskutiert wurden. Auch ist es
170
möglich oder gar wahrscheinlich, im Falle der Einführung der Adoptionsmöglichkeit "verwaister" Embryonen nicht genügend Frauen zu finden, die hierzu überhaupt
bereit wären. Selbstverständlich kann es auch keinen Zwang zur Adoption geben.
Ein anderes denkbares Szenario wäre daher das allmähliche Sterbenlassen und die
anschließende Beerdigung "überzähliger" oder "verwaister" Embryonen.
Die Zentrale Ethikkommission der SAMW ist demgegenüber mehrheitlich der Auffassung, dass die Verwendung überzähliger Embryonen für die Gewinnung von ESZellen ernsthaft in Erwägung gezogen werden sollte. Sie begründet dies mit den
unter 7.2.2.1.2 angeführten Argumenten (Möglichkeit der Mehrlingsbildung, Fehlen
der äußeren Entwicklungsvoraussetzungen auf Grund von Überzähligkeit). "Angesichts dieser Situation und angesichts des ethisch zu würdigenden Ziels der Entwicklung neuer Therapien für bislang nicht therapierbare Krankheiten kann man es
für ethisch vertretbar erachten, sie der Forschung zur Verfügung zu stellen. Die
Kommission ist sich dabei der Missbrauchsgefahren bewusst." Allerdings wäre eine
solche Freigabe an strenge Auflagen gebunden. Hierzu gehören die informierte Zustimmung der Frau und des Mannes, von denen die Embryonen stammen, sowie die
Sicherstellung, dass Embryonen nicht gezielt in vitro für die Forschung erzeugt
werden (SAMW 2001).
Es könnte nun argumentiert werden, dass wir "überzählige" Embryonen, die mit
Sicherheit keine Aussicht auf Einpflanzung in einen Mutterleib haben und damit
dem Tode geweiht sind, unbeschadet der Anerkennung ihrer prinzipiellen Schutzwürdigkeit für hochrangige therapeutische Zwecke verwenden dürfen und wir dies
in Analogie zur Entnahme von Organen bei Hirntoten (vgl. auch Kap. 8) betrachten
können. Darauf ist zu erwidern, dass es drei wichtige Unterschiede zwischen "überzähligen" Embryonen und Hirntoten gibt:
1) Während bei Hirntoten sämtliche Hirnfunktionen irreversibel ausgefallen sind,
so dass bei einer Abschaltung der intensivmedizinischen Apparate zur Aufrechterhaltung der Atmungs- und Blutkreisfunktionen nach kurzer Zeit der Ganztod
eintritt, verfügen "überzählige" Embryonen noch über das gesamte Entwicklungspotenzial.
2) Gerade dieses Entwicklungspotenzial – und damit rückt ein in der bisherigen
Literatur nicht thematisiertes Aspekt ins Blickfeld – wird ja gerade ausgenutzt,
um ES-Zellen gewinnen zu können. Bei den so genannten "überzähligen" Embryonen stellt sich nicht einfach die Alternative, sie entweder zu "verwerfen" oder
ihnen in dem Stadium, in dem sie verworfen würden, Zellen zu entnehmen, wodurch sie zerstört würden. Vielmehr müsste der Embryo noch bis zur Blastozyste
weiterentwickelt werden, also bis sich eine innere Zellmasse herausgebildet hat,
die dann entnommen wird, wobei der Embryo zerstört wird. Dieses Stadium liegt
kurz vor dem Zeitpunkt, zu dem bei ungestörter natürlicher Entwicklung in vivo
die Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut (Nidation) beginnt. Nur wenn
Embryonen bereits im Blastozystenstadium eingefroren wurden, bedürfte es kei-
171
ner Weiterentwicklung. Wollte man die Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen in der Schweiz gestatten, so wäre eine solche Weiterentwicklung notwendig.
3) Bei der Organentnahme von Hirntoten bedarf es der Zustimmung des Verstorbenen zu seinen Lebzeiten oder aber seiner Angehörigen. Auch in Ländern mit anderen gesetzlichen Regelungen hat der Betroffene die Möglichkeit der Stellungnahme zur Organentnahme, sei es durch eine Zustimmungslösung oder eine Widerspruchslösung. Im Falle der Verwendung von Embryonen können deren Eltern jedoch nichts über den mutmaßlichen Willen ihres Embryos wissen. Aus der
Tatsache, dass der Embryo auf Grund seines Entwicklungsgrades noch nicht
über die Entscheidungsfähigkeit verfügt, folgt nicht, dass seine Verwertbarkeit
ethisch gerechtfertigt ist.
Ausgehend von dieser Sachlage soll nun wiederum überprüft werden, wie sich die
Gewinnung von ES-Zellen aus überzähligen Embryonen im Rahmen der fünf
Grundpositionen zum moralischen Status des Embryos darstellt (vgl.
Kap. 7.2.2.1.1).
Vertreter des Reduktionismus werden vermutlich keine ethischen Probleme in der
Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen sehen, da für sie der
frühe menschliche Embryo noch keine Schutzwürdigkeit besitzt. Wenn nichts gegen
die fremdnützige Herstellung von Embryonen einzuwenden ist, dann erst recht nicht
gegen die Verwendung "überzähliger" Embryonen.
Vertreter des ethischen Gradualismus können die Verwendung "überzähliger"
Embryonen für Forschungszwecke für ethisch vertretbar halten. Da der Lebensschutz dieser Embryonen ohnehin nicht gewährleistet sei, sei es auch kein Zeichen
für mangelnden Respekt, wenn sie für hochrangige Forschungsziele verwendet
würden, insbesondere nicht für Ziele mit medizinisch-therapeutischem Fokus. Daher stellt die Verwendung "überzähliger" Embryonen für sie im Allgemeinen kein
ethisches Problem dar; vielmehr befürworten sie diese oder halten sie sogar für geboten. Da sie der Auffassung sind, dass wir bereits dem frühen Embryo Respekt
schulden, knüpfen sie die Verwendung "überzähliger" Embryonen jedoch an
strenge Bedingungen. Hierzu gehören die freie und aufgeklärte Zustimmung des
Paares, aus dessen Keimzellen der Embryo erzeugt wurde, so dass das Paar Forschungsziele und Verwendungszweck seines Embryos kennt, Nichtkommerzialisierung in dem Sinne, dass das Paar für seine Einwilligung weder finanzielle noch anderweitige Vergünstigungen erhalten darf, die Aussicht auf eine medizinisch-therapeutische Perspektive der mit dem Forschungsvorhaben angestrebten Erkenntnisse,
die nicht vergleichbar an anderen menschlichen Zellen gewonnen werden können
und für die die erforderlichen Voruntersuchungen an Zellen von Tieren dargelegt
worden sind, die Überprüfbarkeit der wissenschaftlichen Qualität des Forschungsvorhabens an ES-Zellen durch eine geeignete Fachbegutachtung und anhand be-
172
währter wissenschaftlicher Kriterien, die Befürwortung des Forschungsvorhabens
durch eine interdisziplinär zusammengesetzte, unabhängige Ethikkommission
u. a.53.
Vertreter der dritten Position müssten entscheiden, ob der Konflikt zwischen der
Lebenserhaltung von Embryonen und der Forschung an ES-Zellen mit hochrangigen wissenschaftlichen und therapeutischen Zielsetzungen ein "qualifizierter Konflikt" ist, der mindestens mit einem Schwangerschaftsabbruch nach einer Notlagenindikation im nichtmedizinischen Sinne vergleichbar ist. Es könnte argumentiert
werden, dass in Fällen, in denen ein Schwangerschaftsabbruch aus anderen Gründen
als aus Gründen einer medizinischen Indikation für ethisch vertretbar gehalten wird
und man dies als "qualifizierte Konfliktsituation" gelten lässt, auch Forschung an
"überzähligen" Embryonen für therapeutisch hochrangige Zwecke unter strengen
Auflagen und Kontrollbestimmungen vertretbar sein sollte. Würde es sich sonst
nicht um ein klassisches Beispiel für "doppelte Moral" oder um einen Wertungswiderspruch handeln?
Hier wäre jedoch zu bedenken, dass auch im Falle von Schwangerschaftsabbrüchen
aus anderen Gründen als der medizinischen Indikation schwerwiegende Notsituationen vorliegen können, die einen Abbruch als einzigen Ausweg erscheinen lassen.
Da der frühe Embryo nach dieser dritten Position unter den Schutz der Menschenwürde fällt und prima facie über dasselbe Lebensrecht verfügt wie der geborene
Mensch, müssten bei der Charakterisierung bzw. Qualifizierung des Konflikts verschiedene Aspekte bedacht werden. Dazu gehören die Berücksichtigung aller möglichen, ethisch vertretbaren Alternativen zur Verwendung von ES-Zellen, wie die
Erforschung des Potenzials anderer Stammzelltypen, sowie die Tatsache, dass die
Erfolgsaussichten der ES-Zelltechnologie mit Blick auf spätere Therapien bisher
nicht abschätzbar sind und dass man sich zur Rechtfertigung des Embryonenverbrauchs daher auch nicht direkt auf die Möglichkeit einer Linderung von Leiden
und Schmerzen, des Helfens und Heilens, berufen kann. Vertreter dieser Position
würden auch auf der Einhaltung strenger Bedingungen bei der Gewinnung von ESZellen bestehen müssen. Daher ist es auch mit dieser Position vereinbar, die Verwendung "überzähliger" Embryonen abzulehnen. Als starkes Argument könnte hier
angeführt werden, dass es anders als im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs bei
einer Notlagenindikation und einer medizinischen Indikation keinerlei Bedingungszusammenhang zwischen der lebensbedrohlichen Lage des Patienten und dem Embryo gebe. Die Konfliktsituation, in der sich die Schwangere befinde, sei nicht vergleichbar mit der des Patienten. Daher habe der Patient auch kein Recht darauf,
Embryonen verbrauchende Forschung zu fordern, zumal der therapeutische Nutzen
53 Siehe z. B. die in der Stellungnahme des deutschen Nationalen Ethikrates angeführten Bedingungen für den Import von ES-Zellen, die – bis auf die importspezifischen Auflagen – auch dann
einzuhalten wären, wenn ES-Zellen im eigenen Lande gewonnen werden könnten, was rechtlich
nicht möglich ist (Nationaler Ethikrat 2002).
173
der ES-Zelltechnologie gänzlich ungewiss sei. Damit steht der Embryo auch nicht
in direkter Verbindung zu den Heilungsaussichten von Patienten, sondern allenfalls
in einer indirekten und vagen Beziehung. Doch wird es hierbei stark von den jeweiligen konkreten Umständen abhängen, unter denen die Abwägung getroffen wird,
welche Entscheidung im Einzelfall ethisch vertretbar ist.
Vertreter der vierten Position, die davon ausgehen, dass Embryonen von Anfang
an uneingeschränkt Menschenwürde und damit Lebensschutz zukommt, werden
auch die Vernichtung "überzähliger" Embryonen für hochrangige Forschungszwecke mit medizinisch-therapeutischer Perspektive als unzulässige Instrumentalisierung frühen menschlichen Lebens ablehnen. Sie werden auch keine Parallele zum
Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation zulassen, da die Beziehung
zwischen dem Embryo oder Fetus und der Schwangeren als akute Notsituation für
Vertreter dieser Position eine andere ist als die zwischen dem Embryo und den potenziellen zukünftigen Patienten, für deren potenzielles Wohl diese Embryonen
verbrauchende Forschung mit zudem ungewisser Chance auf Erfolg stattfinden soll.
Hinzu kommt, dass es anders als im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischer Indikation keinerlei Bedingungszusammenhang zwischen der lebensbedrohlichen Lage des Patienten und dem Embryo gibt, wie oben ausgeführt.
Vertreter der fünften Position werden die Verwendung "überzähliger" Embryonen
zur ES-Zellgewinnung strikt ablehnen, da sie nicht einmal im Falle eines Schwangerschaftskonflikts bei medizinischer Indikation eine Güterabwägung zulassen,
sondern "die Würfel zu entscheiden" hätten. Der aktive Eingriff in frühes menschliches Leben mit dem Resultat seiner Zerstörung ist für sie nicht zu rechtfertigen.
Vertreter der Positionen zwei und drei, also jene, die das Konzept des abgestuften
Lebensschutzes und der Notlagenindikation vertreten, sind zumindest in der Frage
der ethischen Vertretbarkeit der Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen"
Embryonen nicht allzu weit voneinander entfernt, da beide unter bestimmten Bedingungen eine Abwägung zwischen den Zielsetzungen der Forschung und prospektiven Therapie und dem Schutz "überzähliger" Embryonen zulassen. Beide
haben jedoch auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, der Geeignetheit und
der Notwendigkeit der Verwendung "überzähliger" Embryonen in Relation zu den
intendierten Zielsetzungen zu stellen.
Mit der Frage der Verhältnismäßigkeit werden verschiedene Aspekte angesprochen, einmal die Wahl des Mittels der Verwendung von Embryonen im Hinblick
auf die Zwecke, die bei der Grundlagenforschung und der medizinischen Anwendung erreicht werden sollen, zum anderen aber auch im Hinblick auf die möglichen
gesellschaftlichen Konsequenzen, die die Freigabe der Embryonenforschung für
eine Gesellschaft mit sich bringt. Beim ersten Aspekt sind auch die möglichen Risiken der Anwendung der ES-Zelltechnologie für den Patienten zu berücksichtigen,
wie das Risiko der Tumorbildung, so dass sich hierbei die Frage der Geeignetheit
174
stellt. Angesichts der viel versprechenden Fortschritte auf dem Gebiet der Erforschung der Plastizität adulter Stammzellen wäre auch nach der Notwendigkeit der
ES-Zellforschung zu fragen. Auch wenn der Instrumentalisierungsgrad von Embryonen bei der Verwendung "überzähliger" Embryonen für Forschungszwecke geringer wäre als bei einer Herstellung von Embryonen eigens für Forschungszwecke,
wären doch immer die gesellschaftlichen und forschungspolitischen Konsequenzen
einer Zulassung der Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen und
einer Einführung von Forschungen an ES-Zellen zu berücksichtigen.
Durch die Etablierung von Forschungen an "überzähligen" Embryonen könnte zudem ein Anreiz für die gezielte Erzeugung "überzähliger" Embryonen geschaffen
werden, womit bei der In-vitro-Fertilisation von vornherein die mögliche spätere
Verwendung einiger der im Reagenzglas erzeugten Embryonen einkalkuliert würde
und damit de facto Embryonen für verbrauchende Forschungen hergestellt würden.
"Das Entstehen von Embryonen, die nicht in den Uterus transferiert werden können,
würde dann, weil es sich nicht sicher verhindern lässt, nicht nur hingenommen,
sondern auch gewollt und gutgeheißen; zumindest wäre eine Unterscheidung von
verwaisten Embryonen im engeren Sinn und den um anderer Ziele willen gewollten
'überzähligen' Embryonen nicht mehr klar durchführbar." (Nationaler Ethikrat 2002,
S. 39). Dies würde unter Umständen auch zu einer Diskreditierung der IVF führen,
deren eigentliches Ziel die Möglichkeit der Erfüllung eines Kinderwunsches bei
ungewollter Unfruchtbarkeit ist.
Darüber hinaus könnte die Freigabe der Verwendung "überzähliger" Embryonen
auch eine Türöffnerfunktion für weitere Formen der Herstellung von Embryonen
haben, wie für die Erzeugung von Embryonen rein zu Forschungszwecken außerhalb reproduktionsmedizinischer Zielsetzungen und die Herstellung von Embryonen nach der "Dolly-Methode".
7.2.5
Ethische Aspekte des Imports embryonaler Stammzellen
Da ES-Zellen als pluripotent gelten und damit keine Embryonen sind, scheint die
Forschung an ES-Zellen selbst keine ethischen und rechtlichen Probleme aufzuwerfen, sofern die Ziele klar definiert sind. Andererseits ist jedoch verbrauchende Embryonenforschung in einigen Ländern bei Strafe gesetzlich untersagt, was bedeutet,
dass nicht die Forschungen an ES-Zellen als solche, sondern die Umstände ihrer
Gewinnung, die damit notwendigerweise verbundene Zerstörung von Embryonen,
in ethischer und rechtlicher Hinsicht problematisch ist. Dies kann – auch in der
Schweiz – dazu führen, dass ES-Zellen aus Ländern mit liberaleren gesetzlichen
Regelungen importiert werden. Damit stellt sich die Frage nach der "doppelten Moral", die es als eigene ethische Problemstellung zu diskutieren gilt.
175
Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) hat in ihrer
Stellungnahme "Forschung an importierten embryonalen Stammzellen" vom September 2001, die am 19.9.2001 freigegeben wurde, mehrheitlich empfohlen, "Forschungsgesuche, die den Import embryonaler Stammzellen vorsehen, vorerst zurückzustellen, bis die Klärung sowohl in rechtlicher als auch in ethischer Hinsicht
erreicht ist." (NEK 2001, S. 2523) Der NEK erscheint weder die Rechtsgrundlage
noch die ethische Frage bezüglich der Herstellung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen, die ohnehin zerstört werden müssten, geklärt. In der Übergangszeit bis zur Klärung dieser Fragen sollten daher keine Fakten oder Präjudizien geschaffen werden. Die NEK weist in ihrer Begründung darauf hin, dass es um mehr
gehe als um die Bewilligung bereits vorliegender Forschungsanträge. "Es geht um
die Grenze der Verfügbarkeit werdenden menschlichen Lebens für die Forschung."
(NEK 2001, S. 2524). Auch könnte in der Öffentlichkeit die "Schaffung von Präjudizien durch den Import embryonaler Stammzellen als Akt der Machtausübung verstanden werden. Dieser wäre deshalb aus ethischer Hinsicht heikel, weil er nicht nur
die Forschung selbst etwas angeht, sondern ihre Voraussetzungen berührt." (NEK
ebd.). Die NEK geht zudem nicht davon aus, dass derzeit eine medizinische Notlage
vorliegt, die eine rasche Beschaffung von ES-Zellen notwendig macht:
"Der Import von im Ausland gewonnenen embryonalen Stammzellen im Vorgriff
auf die entsprechende rechtliche und ethische Klärung in der Schweiz könnte in
einer Notlage gerechtfertigt sein. Wenn es so wäre, dass menschliches Lebens nur
gerettet werden könnte mittels der raschen Beschaffung solcher Zellen aus dem
Ausland, so wäre es in Kauf zu nehmen, wenn dadurch (im Nebeneffekt) veränderte
Bedingungen für einen Klärungsprozess im Inland entstehen. Diese Notlage liegt
aber nicht unbedingt vor. Es gibt keine direkte Verbindung zwischen den gegenwärtigen Forschungsvorhaben und der Rettung menschlichen Lebens. Es besteht
zwar die Hoffnung, mit diesen Forschungen Beiträge zur Heilung von Krankheiten
und zur Rettung von Leben leisten zu können. Die Verbindung besteht indirekt. In
die Erwägung ist sie deshalb als potentielle und längerfristige Verbindung einzubeziehen." (NEK ebd.).
Bekanntlich bewilligte der Schweizerische Nationalfond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF am 28.9.2001 Wissenschaftlern von der Universität
Genf ein Projekt zur Forschung an importierten ES-Zellen und überging damit sowohl das Votum der NEK als auch das des Eidgenössischen Departments des Inneren EDI. Trotz der mehrheitlichen Empfehlung der NEK, Forschungsgesuche mit
ES-Zellen zunächst zurückzustellen, drückt sich in der Stellungnahme der Kommission eine gewisse Ambiguität aus. Es wird darauf hingewiesen, dass "solche ZellLinien heute bereits gewonnen wurden, vorliegen und bestellt werden können.
Diese Zellen für Forschungen zu verwenden, bedeutet nicht, sie aus Embryonen zu
gewinnen." Gemeint ist damit, dass sie bereits in mehreren Zentren der Welt unter
unterschiedlichen vertraglichen Konditionen für Forschende erhältlich sind. Allerdings sei es "unter Wissenschaftlern eine offene Frage, ob die Anzahl dieser Linien
176
auch in Zukunft genügt und ob die Qualität dieser Zell-Linien gewährleistet bleibt,
ohne neue Linien dazuzugewinnen. Möglicherweise sprechen sowohl wissenschaftliche, medizinische als auch politische und selbst ethische Gründe dafür, es nicht
bei diesen bereits vorliegenden Zell-Linien zu belassen, sondern unter bestimmten
Voraussetzungen und unter kontrollierten Umständen die Gewinnung neuer ZellLinien aus Embryonen, die aus In-vitro-Fertilisation 'übrig bleiben' und zerstört
würden, auch in der Schweiz zu unterstützen. Auch diese wichtigen und dringenden
Diskussion wird durch die vorliegende Stellungnahme nicht vorgegriffen." (NEK
2001, S. 2524f). Daher wird dem SNF auch empfohlen, dafür zu sorgen, dass die
Verwendung importierter Stammzellen die Forschenden in der Schweiz "keiner Abhängigkeit von Stammzellieferanten mit kommerziellen Interessen aussetzt" (NEK
2001, S. 2525). Die Stellungnahme richtet sich "nicht gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen" (NEK 2001, S. 2524) – die Forschung an und mit ES-Zellen sei sowohl in wissenschaftlicher als auch in therapeutischer Hinsicht viel versprechend – doch werde die ethische Grundsatzfrage, ob Embryonen für die Gewinnung dieser Zellen verwendet werden dürfen, prioritär eingestuft. Auch müsse
in Bezug auf konkrete Forschungsvorhaben "ausreichend klar" werden, "ob sich
dieselben Ziele nicht auch mit adulten Stammzellen gewinnen lassen" (NEK 2001,
S. 2524).
In Deutschland haben sich sowohl die Enquete-Kommission Recht und Ethik der
modernen Medizin als auch der Nationale Ethikrat eingehend mit der Frage des
Imports von ES-Zellen befasst. Während sich die Enquete-Kommission mehrheitlich dagegen aussprach, votierte der Nationale Ethikrat mehrheitlich für einen auf
drei Jahre zeitlich befristeten Import, allerdings unter Formulierung strenger Auflagen.
Im Nationalen Ethikrat gab es sowohl bei den Befürwortern als auch bei den Gegnern des Imports zwei Optionen, wobei sich Vertreter der liberalsten Option für
einen Import aussprachen, weil sie die Gewinnung von ES-Zellen auch im Inland
befürworteten, und die Vertreter der striktesten Contra-Position sich gegen den Import aussprachen, weil sie die damit verbundene Instrumentalisierung (Tötung)
menschlicher Embryonen grundsätzlich ablehnten. Vertreter der beiden Mittelpositionen sprachen sich für einen auf drei Jahre befristeten Import (pro) und ein auf
drei Jahre befristetes Moratorium (contra) aus. Schließlich stimmte der Deutsche
Bundestag am 30. Januar 2002 über den Import von ES-Zellen ab und stimmte dem
Antrag "Keine verbrauchende Embryonenforschung: Import humaner embryonaler
Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzungen zulassen" zu. Zum 1. Juli 2002 ist das "Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler
Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG)" in Kraft getreten. Zweck dieses Gesetzes
ist es, "1. die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich
zu verbieten, 2. zu vermeiden, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryo-
177
naler Stammzellen veranlasst wird, und 3. die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen ausnahmsweise zu Forschungszwecken zugelassen sind." (StZG § 1) Der Import ist an
strengste Auflagen gebunden. So dürfen insbesondere nur solche Stammzellen
eingeführt werden, die "in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland
dort vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden und in Kultur gehalten werden oder
im Anschluss daran kryokonserviert gelagert werden (embryonale StammzellLinie)" (StZG § 4 (2). Durch diese Stichtagsregelung soll sichergestellt werden,
"dass der Verbrauch menschlicher Embryonen nicht von Deutschland aus veranlasst
wird und durch die Zulassung der Einfuhr keine Ausweitung der Nachfrage nach
neuen Stammzellen hervorgerufen wird mit der Folge, dass weitere Embryonen
vernichtet werden." (Gesetzentwurf StZG Begründung. A. Allgemeiner Teil II.).
Damit sollte eine gesetzliche Regelung gefunden werden, die "nicht in rechtlichem
und ethischem Wertungswiderspruch zum hohen Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes steht…, die andererseits aber auch das Grundrecht der Freiheit
der Wissenschaft und Forschung nicht verletzen darf und die dem Interesse kranker
Menschen an der Entwicklung neuer Heilungschancen Rechnung trägt." (Gesetzentwurf StZG Begründung. A. Allgemeiner Teil II). Jede Einfuhr und Verwendung
embryonaler Stammzellen bedarf der Genehmigung durch die zuständige Behörde,
die in diesem Fall das Robert-Koch-Institut ist, welche zugleich die Stellungnahme
der Zentralen Ethik-Kommission für Stamzellenforschung einholt.
Es würde den Rahmen dieser Studie sprengen, wenn die in den Ethikkommissionen
und im Deutschen Bundestag vorgestellten und diskutierten Argumentationslinien
wiederholt würden.
Einerseits ist es fraglich, ob der deutsche Gesetzesentwurf Ausdruck einer ethischen
Inkonsequenz ("Doppelmoral") ist, da explizit die Möglichkeit eines Imports von
ES-Zellen nach dem angegebenen Stichtag ausgeschlossen werden soll. Damit liegt
keine Anstiftung zu Taten im Ausland vor, die in Deutschland als ethisch und
rechtlich fragwürdig betrachtet werden. Im Sinne der Unterscheidung zwischen
"causative" und "beneficial complicity" lassen sich Import und Verwendung von
ES-Zellen, die bereits existieren und auf deren Gewinnung kein Einfluss genommen
wurde, als "beneficial complicity" bezeichnen (Robertson 2001, S. 76). Andererseits
könnte jedoch argumentiert werden, dass schon die Verwendung von importierten
ES-Zellen dem Geist des deutschen Embryonenschutzgesetzes widerspreche, da für
die Gewinnung dieser Zellen Embryonen vernichtet wurden.
Eine ethische Inkonsequenz wäre jedoch dann gegeben, wenn auf Dauer ES-Zellen
ohne Stichtagregelung importiert würden und davon ausgegangen werden könnte,
dass – wenn auch ohne ausdrückliche Anstiftung – allein schon durch das Wissen
um die mögliche Nachfrage von Ländern wie Deutschland und der Schweiz im
Ausland weitere "überzählige" Embryonen für die Gewinnung von ES-Zellen ver-
178
nichtet würden, um die Nachfrage zu bedienen, andererseits sich jedoch an der Gesetzeslage im eigenen Lande nichts ändern würde.
7.3
Spezielle ethische Probleme im Zusammenhang mit der
Anwendung der ES-Zelltechnologie
7.3.1
Methode der Kultivierung der Stammzellen
Mit der Methode der Gewinnung der Stammzellen werden Fragen nach den Risiken
angesprochen, die sich durch die Wahl des jeweiligen Kulturmediums stellen, das
zur Etablierung und Kultivierung der Stammzellen verwendet wird. Nach der erweiterten Definition der Xenotransplantation des U.S. Department of Health and
Human Services umfasst diese die "transplantation, implantation, or infusion into a
human recipient of either (a) live cells, tissues, or organs from a nonhuman animal
source, or (b) human body fluids, cells, tissues, or organs that have had ex vivo
contact with live nonhuman animal cells, tissues, or organs. Xenotransplantation
products include live cells, tissues or organs used in xenotransplantation." (U. S.
Department of Health and Human Services DHHS, 1999b; vgl. auch 1999a). Damit
stellt sich die ethisch relevante Frage, ob ES-Zellen, die in einem Kulturmedium aus
Tierzellen etabliert und kultiviert wurden, sowie das daraus gezüchtete Gewebe
möglicherweise einem Infektionsrisiko ausgesetzt sind, wie dies bereits ausführlich
in den beiden TA-Studien zur Xenotransplantation (Hüsing et al. 1998, Hüsing et al.
2001) diskutiert wurde. Dies könnte aber auch Auswirkungen auf den Patienten,
seine Bezugspersonen und letztlich die gesamte Bevölkerung haben. Der überwiegende Anteil der zurzeit verfügbaren menschlichen ES-Zell-Linien dürfte unter
Verwendung von tierlichen feeder-layers gewonnen worden sein (vgl. Kap. 5.2.3).
Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass sich ES-Zellen auch in einem feederlayer-freien Medium erfolgreich kultivieren lassen. "In this system, hES cells are
cultured on Matrigel or laminin in medium conditioned by MEF…The hES cell
populations in feeder-free conditions maintained a normal karyotype, stable proliferation rate, and high telomerase activity…Thus the cells retain fundamental characteristics of hES cells in this culture system and are suitable for scaleup production.” (Xu et al. 2001, S. 971). Eine Kultivierung von menschlichen ES-Zellen
auf feeder-layer aus menschlichen Zellen wurde ebenfalls berichtet (Richards
2002).
Wenn ein Verzicht auf feeder-layer aus Tierzellen möglich ist, entfällt der Einwand
des xenogenen Infektionsrisikos zumindest für diejenigen ES-Zellen und ES-Zell-
179
Linien, die mit dieser neuen Methode neu gewonnen wurden und deshalb nicht mit
Tierzellen in Kontakt gekommen sind (s. auch Kap. 5.2.3).
7.3.2
Art der aus embryonalen Stammzellen gezüchteten Zellen,
Gewebe und Organe
Dieser Aspekt betrifft die Frage, ob es ethische Grenzen in Bezug auf die Art der
aus ES-Zellen gezüchteten Zellen, Gewebe und ggf. Organe gibt, wenngleich Experten derzeit nicht davon auszugehen scheinen, dass es möglich sein wird, komplexe Organe zu züchten. Damit stellt sich das für die Transplantationsmedizin als
solche wichtige und auch in unseren bisherigen TA-Studien thematisierte Problem,
ob und inwieweit die Transplantation bestimmter Zellen, Gewebe und Organe Einfluss auf die Identität des behandelten Patienten haben kann. Im Folgenden sollen
daher Überlegungen aus den vorherigen Studien von Hüsing et al. aufgegriffen
werden (vgl. Hüsing et al. 1998, Kap. 9.2.2; Hüsing et al. 2001, Kap. 8.4).
Im Zusammenhang mit der Organtransplantation als solcher wird immer wieder die
Frage gestellt, ob die Transplantation eines fremden Organs für den Empfänger
Identitätsveränderungen bewirken könne. Dabei wird vorausgesetzt, dass eine solche Veränderung der Identität für den betreffenden Patienten problematisch und
damit nicht wünschenswert ist. Generell betrachtet können Identitätsveränderungen
im schlimmsten Fall zum Verlust des Ichbewusstseins und damit zur Zerstörung
einer Person führen. Die personale Identität hat auch im Kontext der Ethik und Jurisprudenz eine zentrale Bedeutung. Sie ist die Voraussetzung der Zurechnungsfähigkeit einer Person und damit die Bedingung dafür, jemanden für seine Handlungen verantwortlich und haftbar machen zu können. Aus diesen Gründen hat die
Frage nach der Möglichkeit von Veränderungen der personalen Identität durch die
Transplantation von Zellen, Geweben und Organen einen ethisch-normativen Hintergrund.
Nun kann die Identität eines Patienten durch eine Organtransplantation auf verschiedene Weise betroffen sein, da verschiedene Formen möglicher Identitätsveränderung durch Transplantation voneinander zu unterscheiden sind. Zum einen hängt
die Identität einer Person ganz konkret von bestimmten Hirnteilen und ihrer Funktionsweise ab, so dass es unter dem Einfluss von Veränderungen des Gehirns auch
zu Identitätsveränderungen der Person kommen kann. Zum anderen ist die Identität
einer Person von Selbstzuschreibungen und -deutungen mitbestimmt sowie von der
Weise des Wahrgenommenwerdens durch andere in einem sozialen Kontext. Dabei
spielt auch die symbolische Bedeutung einzelner Organe eine zentrale Rolle. In
diesem Sinne ist Identität eine Konstruktion. Mit dem Begriff der Konstruktion soll
die Relevanz der symbolischen Funktion von Organen, welche vom kulturellen und
religiösen Hintergrund einer Person abhängt, keineswegs heruntergespielt werden.
180
Allerdings wäre damit kein spezifisches Problem der aus ES-Zellen gewonnenen
Zellen, Gewebe und Organe angesprochen.
In anderer Weise stellt sich die Frage der möglichen Veränderung der personalen
Identität eines Patienten bei der Transplantation bestimmter Organe bzw. Zellen
und Gewebe, wie Gehirnzellen und -gewebe. Nach heutiger biologischer und medizinischer Sichtweise ist die personale Identität des Menschen untrennbar an sein
Gehirn als ihre notwendige, organische Bedingung geknüpft. Das Gehirn stellt das
"für die Personalität des Menschen entscheidende Organ dar. Die zentrale Bedeutung und die Fragilität dieses hochkomplexen Organs zeigen sich deutlich bei Gehirnverletzungen, angeborenen Stoffwechseldefekten ... oder aber bei neurodegenerativen Erkrankungen" (Hildt 1996, S. 106). Es ist daher nicht abwegig, davon auszugehen, dass Veränderungen des Gehirns auch Veränderungen der personalen
Identität oder der Personalität mit sich führen können. Ob und in welchem Maße
derartige Veränderungen aber stattfinden, hängt jedoch von der Weise und dem
Ausmaß der Eingriffe in das Gehirn ab.
Neurologen und Hirnforscher sind sich dieser Problematik durchaus bewusst. Auch
in den Richtlinien des Network of European CNS Transplantation and Restoration
NECTAR (Boer 1994) wird der Frage der personalen Identität Rechnung getragen.
In der Diskussion um die Hirngewebetransplantation wird zwischen der Frage eines
möglichen Persönlichkeitstransfers und der einer möglichen Veränderung von
Persönlichkeitsmerkmalen durch die Transplantation von Hirngewebe unterschie54
den. Unter einem Persönlichkeitstransfer wird die Übertragung charakteristischer
Persönlichkeitsmerkmale des Hirngewebedonors auf den Empfänger verstanden,
unter einer Persönlichkeitsveränderung dagegen eine Veränderung der ursprünglichen Charakteristika des Empfängers ohne Übertragung der Charaktermerkmale des
Spenders. Die Unterscheidung zwischen einem Persönlichkeitstransfer und einer
Persönlichkeitsveränderung ist grundlegend für die Debatte um die Hirngewebediskussion, weil bei einem Persönlichkeitstransfer Identitätsprobleme besonderer Art
auftreten können, die sich in dieser Schärfe bei einer Persönlichkeitsveränderung
nicht stellen müssen. Damit sollen aber Persönlichkeitsveränderungen keineswegs
trivialisiert werden. Auch sie können einschneidende Auswirkungen auf den Patienten und sein soziales Umfeld haben.
Würden bei einer Hirngewebetransplantation diejenigen Hirnareale entfernt, welche
die organische Grundlage für das Erinnerungsvermögen und die mentalen und psychischen Charakteristika eines Individuums bilden und gegen die entsprechenden
Hirnareale eines Spenders ausgetauscht, so ist nicht auszuschließen, dass damit
auch ein Transfer von Persönlichkeitsmerkmalen stattfinden würde. Die Transplan-
54 So z. B. bei Boer 1994, 1999; Hildt 1996, 1999; Linke 1993.
181
tation größerer Hirnteile oder gar kompletter Gehirne gehört jedoch bisher in den
Bereich der Science Fiction.
Auch die Züchtung kompletter Gehirne wie die anderer komplexer Organe wird
voraussichtlich nicht möglich sein. Daher wird nicht die Gefahr bestehen, dass Patienten komplette neue Gehirne bekommen. Allerdings muss bei der Züchtung von
Hirngewebe zur Behandlung von Parkinson und anderer neurodegenerativer Erkrankungen sichergestellt werden, dass jeweils nur so viele und derartige Zellen
verpflanzt werden, dass ein Verlust der personalen Identität im Sinne des Verlusts
des Selbstbewusstseins auszuschließen ist. Trotz Aufrechterhaltung der personalen
Identität in dieser Bedeutung könnte es jedoch zu Persönlichkeitsveränderungen
kommen, die einzelne Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen oder gar ein ganzes Spektrum an Persönlichkeitsmerkmalen betreffen. Auch dies wäre jedoch kein
spezielles Problem des aus ES-Zellen gewonnenen Gewebes.
7.3.3
Ort der Züchtung
Die Frage nach dem Ort der Züchtung von Zellen, Geweben und Organen wird in
Abhängigkeit von der Komplexität des zu züchtenden Gewebes oder Organs relevant, womit geringere oder größere Anforderungen an das Medium zu stellen sind,
in dem die Züchtung vorgenommen werden soll. Während eine Züchtung im Reagenzglas oder einem anderen künstlichen Medium vertretbar ist, würde sich der
Uterus einer Frau aus ethischen Gründen streng verbieten.
7.3.4
Mögliche Auswirkungen einer eventuellen Einführung von
ntES-Zellen in die medizinische Praxis
In den Kapiteln 7.2.2.1.3 und 7.2.3 wurden ethische Aspekte dargestellt, welche
sich auf die Herstellung menschlicher Embryonen nach der "Dolly-Methode" für
das "therapeutische" Klonen bezogen. Für deren Verwendung in der medizinischen Praxis sind noch weitere ethische Aspekte zu berücksichtigen. Diese betreffen
a. mögliche gesundheitliche Risiken für den Patienten durch Gewebe aus geklonten Embryonen nach der SCNT-Methode,
b. das Problem der Auswirkungen auf Frauen und das Bild von der Frau,
c. das Problem der möglichen Nichtabgrenzbarkeit des "therapeutischen" Klonens
vom reproduktiven Klonen.
a. Sollten sich beim "therapeutischen" Klonen auf Grund der biologischen Besonderheit der geklonten Embryonen dieselben biologisch-medizinischen Fragen und
Probleme stellen wie beim "reproduktiven" Klonen, sind gesundheitliche Risiken
für den Patienten nicht auszuschließen (s. Kap. 4.3.2 und Engels 2000b, S. 178):
182
Ein erster Aspekt wird mit dem Phänomen des Imprinting angesprochen. Unter
Imprinting versteht man die unterschiedliche funktionelle Programmierung des väterlichen und mütterlichen Genoms. Ein neuer Organismus kann als normal entwickeltes Individuum nur durch das Zusammenwirken beider Genome entstehen, da
diese spezifisch und unterschiedlich programmiert sind. In Experimenten an Mäusen wurde nachgewiesen, dass sich künstlich erzeugte Embryonen mit Chromosomensätzen desselben Geschlechts nicht normal entwickeln konnten und auf frühen
Stadien starben (Hennig 1995, S. 566f). Da bei der Klonierung durch Kerntransfer
der Embryo aus dem Kern einer ausdifferenzierten Körperzelle entsteht, der durch
die Wirksamkeit des Zytoplasmas der Eizelle reaktiviert wird, ist nicht auszuschließen, dass sich das für eine normale Entwicklung erforderliche Imprintingmuster der
Gene nach einer Klonierung verändern kann (Kollek 1998, S. 31). Sollten auch Gewebe oder Organe, die auf dem Wege des "therapeutischen" Klonens aus ES-Zellen
hergestellt werden, durch eine veränderte Genexpression in ihrer phänotypischen
Entwicklung beeinträchtigt sein und damit ihre Funktion nur reduziert oder gar
nicht erfüllen können, so wäre diese Methode mit Blick auf das Wohl des Patienten
aus ethischen Gründen nicht vertretbar. Sie würde gegen zwei Prinzipien der biomedizinischen Ethik verstoßen, nämlich gegen das Prinzip des Wohltuns oder der
Fürsorge und gegen das Prinzip der Nichtschädigung. Können sich derartige Probleme schon beim Transfer eines menschlichen Zellkerns in eine menschliche entkernte Eizelle stellen, so erscheinen sie bei der Kombination von Kern und Eizelle
unterschiedlicher Säugetierarten umso wahrscheinlicher.
Weitere Probleme können sich bei dieser Methode in Abhängigkeit vom Alter des
Zellkerns sowie den Belastungen ergeben, der die DNA des betreffenden Patienten
durch Umwelteinflüsse (UV-Strahlung, Umweltchemikalien, Radioaktivität usw.)
ausgesetzt war (Kollek 1998, S. 32f). Wenn diese Faktoren beim reproduktiven
Klonen dazu führen könnten, dass geklonte Tiere schneller altern oder gesundheitlich anfälliger sind als ihre auf natürliche Weise erzeugten Artgenossen, so scheint
es nicht unwahrscheinlich, dass dies beim "therapeutischen" Klonen auch für die
gezüchteten Gewebe oder Organe zutrifft und hier mit einer mangelnden Qualität zu
rechnen ist (s. auch Kap. 4.3.2).
Ein weiteres Risiko, dass für die Gewinnung von Gewebe aus ES-Zellen generell
gilt, ist das der Tumorbildung (s. auch Kap. 5, insbesondere Kap. 5.2.3).
b. Es ist zu erwarten, dass für das "therapeutische" Klonen eine große Anzahl weiblicher Eizellen notwendig sein wird, bis es gelingt, die durch somatischen Kerntransfer erzeugten Embryonen bis zum Blastozystenstadium zu entwickeln und
dann hieraus wiederum ntES-Zellen zu gewinnen (s. Kap. 4.3). Daher stellt sich die
Frage, ob die Transplantationsmedizin nicht wiederum mit dem Problem der
Knappheit konfrontiert sein wird, wobei es sich diesmal um einen Eizellenmangel
handeln wird. Es ist zu befürchten, dass sich Frauen unter Druck gesetzt fühlen, sich
als Eizellspenderinnen bereit zu stellen (Rehmann-Sutter 2001b, S. 1216). Aller-
183
dings ist die Eizellspende nicht zuletzt deshalb ethisch problematisch, weil sie mit
einem körperlichen Eingriff verbunden ist, der gesundheitliche Risiken für die Frau
beinhaltet (s. Kap. 4.2.1).
Eine andere, weniger problematische Alternative wäre die Spende von Eizellen, die
in der fortpflanzungsmedizinischen Praxis ohnehin übrig bleiben, allerdings unter
der Voraussetzung, dass die Frauen ihre Zustimmung geben (Rehmann-Sutter
2001b, S. 1216). Doch wäre hier zu bedenken, dass viele Frauen unter Umständen
nicht bereit wären, den Kontext der Reproduktionsmedizin, in dem es ihnen um die
Erfüllung eines Kinderwunsches geht, zweckentfremdend als Quelle für die Erzeugung von Embryonen als "Rohstofflieferantinnen" in Anspruch nehmen zu lassen.
Schließlich wäre zu fragen, welche Auswirkungen unabhängig von den gesundheitlichen Risiken und psychischen Problemen die Einführung des "therapeutischen"
Klonens in die medizinische Praxis auf das Bild von der Frau haben wird.
c. Auch würde sich beim "therapeutischen" Klonen das Problem stellen, dass die
Methode der Erzeugung von Blastozysten für die Gewinnung ihrer inneren Zellmasse dieselbe ist wie die beim reproduktiven Klonen angewandte, bei dem die
Geburt eines geklonten Lebewesens die Zielsetzung ist. Somit könnte das "therapeutische" Klonen eine Türöffnerfunktion für das reproduktive Klonen haben, welches aus verschiedenen Gründen mit schwerwiegenden ethischen Problemen verbunden ist und sich daher verbietet. Der Einwand, dass die Einführung des "therapeutischen" Klonens zu einem Dammbruch führen wird ("slippery slope"-Einwand)
ist weit verbreitet, und die Ängste davor sind auch verständlich, wenn wir die Ankündigung von Antinori und anderen Verfechtern des Klonens hören. Derartige
Ängste sind auch in ethischer und rechtlicher Hinsicht bedeutend und verdienen
Beachtung. In Großbritannien, wo "therapeutisches" Klonen legalisiert wurde,
wurde dieser Befürchtung dadurch begegnet, dass reproduktives Klonen gesetzlich
verboten wurde.
Eine eingehende ethische Diskussion des reproduktiven Klonens gehört nicht zu
den Zielsetzungen dieser Studie und kann hier nicht geleistet werden.
7.3.5
Mögliche Auswirkungen auf Gesellschaft, Menschenbild und
Frauenbild
Zu Beginn wurde erwähnt, dass neben den ethischen Aspekten der ES-Zelltechnologie, die sich auf die Frage des moralischen Status des Embryos selbst beziehen,
weitere wichtige Aspekte zu berücksichtigen seien, die die möglichen Auswirkungen dieser Technologie auf die Gesellschaft, das Bild von der Frau, das Menschenbild u. a. betreffen. Daher wird in der Literatur auch zwischen direkten, den Embryo
selbst betreffenden Argumenten und indirekten Argumenten unterschieden.
184
Zunächst einmal ist hier an mögliche gesellschaftliche Konsequenzen der Embryonen verbrauchenden Forschung zu denken. "Unabhängig vom moralischen Status,
der dem Embryo als solchem zukommt, hat sein verlässlicher Schutz in unserer
Kultur eine symbolische Funktion und Bedeutung. Die Abwehr der Instrumentalisierung des Embryos für fremdnützige Zwecke steht für den Schutz aller, die sich
nicht selbst schützen und hierfür auch nicht selbst argumentieren können. Es gilt,
die Ängste, die es in der Bevölkerung vor der Forschung an Embryonen gibt, ernst
zu nehmen." (Nationaler Ethikrat 2002, S. 40f).
Wäre die Stammzelltechnologie einmal etabliert, so ließen sich möglicherweise
menschliche Gewebe in unbegrenzter Zahl herstellen. Dies wirft die Frage nach den
Auswirkungen auf unser Menschenbild und unser Verständnis von Leben und Tod
auf. Die Antworten auf diese Frage können jedoch nur im hohen Maße spekulativ
bleiben. Im Rahmen einer Technikfolgenabschätzung, die angesichts des prospektiven Charakters der zu beurteilenden Technik hauptsächlich problemorientiert statt
technikinduziert55 vorzugehen hat, ist dies jedoch eine gängige und legitime Vorgehensweise.
Dennoch stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der Überprüfbarkeit des Argumentes einer Veränderung unseres Menschenbildes durch die ES-Zelltechnologie.
Nach Rehmann-Sutter wäre die Überprüfung dieses Argumentes eine "Aufgabe für
die hermeneutische Ethik, die versucht, die Sinnkonstruktionen freizulegen, die eine
gesellschaftlich organisierte Praxis stützt und die sie selbst etabliert. Es macht schon
etwas aus, ob Menschen es akzeptabel und normal finden, Ersatzgewebe für sich
selbst aus ihren Körpern biotechnologisch nachzuziehen, und ob sie dafür sogar die
Keime ihres eigenen Lebens – die Embryonen – opfern. Aber dieses Argument der
Veränderung des Menschenbildes, auch wenn es sich bewahrheitet – führt m. E.
nicht zu einer Begründung des Verbots von ESZ-Forschung, sondern gehört zu ihrer
wachsamen Begleitung. Die Arbeit an Sinnstrukturen, die glaubwürdig sind, gehört
zur Aufgabe einer nicht nur dekonstruktiven sondern rekonstruktiven Kulturphilosophie der Medizin."56
Darüber hinaus ist auch die Perspektive der Frauen zu berücksichtigen, die – neben
dem Embryo – in besonderer Weise von der Gewinnung von und Forschung an
menschlichen embryonalen Stammzellen betroffen sind (s. z. B. Hauskeller 2002;
Schneider 1995, 2001). Die Gewinnung von embryonalen Stammzellen, seien es
ES-, EG- oder ntES-Zellen, ist ausschließlich unter Verwendung von Eizellen,
55 Zur Unterscheidung siehe die TA-Studie Hüsing et al. 2001, Kap. 8.2.3 Typen der Technikbewertung.
56 Christoph Rehmann-Sutter, Antwort per E-Mail am 19.2.2002 auf Fragen von Eve-Marie Engels
vom 5.2.2002. Die Antwort gibt die persönliche Sicht des Autors wieder, nicht die Position der
Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK-CNE, deren Vorsitzender er
ist.
185
Blastocysten und fetalen Geweben möglich, die von Frauen hierfür bereitgestellt
werden müssen. Die Frauen stehen zunächst in leiblicher Verbundenheit mit diesen
Eizellen und fetalen Geweben, und es stellt einen invasiven, keineswegs risikofreien
Eingriff in ihre körperliche Integrität dar, durch den diese Eizellen, Blastocysten
und fetalen Gewebe letztlich für die Ziele und Interessen Dritter zugänglich werden.
Zudem werden diese Vorgänge mit ganz anderen Absichten initiiert und
durchgeführt, als der Verfügbarmachung von Materialien für Forschungszwecke.
Somit wird der Kinderwunsch von Paaren, der durch IVF realisiert werden soll,
bzw. die Entscheidung einer Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch zur
Voraussetzung und zur Ressource für ganz andere Ansichten und Interessen, was
einer deutlichen Perspektivverschiebung gleichkommt.
Bereits im Zusammenhang mit der Gewinnung fetaler Zellen aus abgetriebenen
Feten für therpeutische Zwecke wurde darauf hingewiesen, dieses Verfahren könnte
auch einem bestimmten Frauenbild Vorschub leisten, wonach schwangere Frauen
dazu dienen, "fetales Gewebe für Übertragungen von Zellen auf andere Menschen
bereitzustellen." (Zentrale Ethikkommission 1998, S. A-1871). Auch dürfe "nicht
der Auffassung Vorschub geleistet werden, menschliche Embryonen dürften auf die
Funktion als Zellspender zur Therapie von Krankheiten reduziert werden." (ebd.).
Diese Warnungen gelten gleichermaßen für die Gewinnung von EG-Zellen und
fetalen Stammzellen. Auch für die Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen"
Embryonen aus IVF wurde davor gewarnt, Frauen und Männern, die sich einer IVFBehandlung unterziehen, implizit einen Status als Rohstofflieferantinnen und
Rohstofflieferanten für Forschung und Medizin zuzuweisen und sie dadurch zu
verdinglichen und zu instrumentalisieren (Schneider 2001).
Sofern "überzählige" Embryonen aus IVF zu Forschungszwecken und zur
Stammzellgewinnung verwendet werden dürfen, entstehen möglicherweise auch
neue Zwänge für die involvierten Paare und Ärzte: während es die Intention des
Fortpflanzungsmedizingesetzes ist, "überzählige" Embryonen gar nicht erst
entstehen zu lassen, würde mit der Implementierung des Embryonenforschungsgesetzes ihre Entstehung nicht nur hingenommen, sondern gewollt und gutgeheißen.
Dies könnte für die Ärzte ein professionsethisches Dilemma bedeuten, da sie primär
der Behandlung der Frau mit Kinderwunsch verpflichtet sind, ihnen aber auch eine
Beschaffungs- und Maklerrolle für Embryonen angetragen wird. Und die Frauen,
die sich einer IVF unterziehen, haben einen Anspruch darauf, um ihrer selbst und
ihres Kinderwunsches willen so schonend wie nur möglich behandelt zu werden,
und nicht, um (auch) Embryonen für die Forschung bereitzustellen. Zwar muss die
informierte Zustimmung des Paares eingeholt werden, um "überzählige"
Embryonen für Forschungszwecke verwenden zu dürfen. Es ist jedoch nicht
auszuschließen, dass sich die Paare der Erwartung an sie ausgesetzt sehen, nicht
"nein" sagen zu dürfen, beispielsweise, um nicht als "unsozial" zu gelten, da sie der
Solidargemeinschaft der Krankenversicherten ja hohe Kosten für ihre IVF-
186
Behandlung verursacht haben, oder im Sinne einer Solidarität mit und Bringschuld
für kranke Menschen.
7.4
Ethische Aspekte der Gewinnung und Verwendung von
EG-Zellen aus abortierten Embryonen und Feten
In der TA-Studie über die zelluläre Xenotransplantation wurden die ethischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Gewinnung von Zellen und Geweben aus
abortierten Embryonen und Feten zum Zwecke der Transplantation stellen, unter
Berücksichtigung der internationalen Richtlinien und Empfehlungen im Überblick
vorgestellt (Hüsing et al. 2001, Kap. 8.4). Dabei bezogen sich die Ausführungen auf
die Gewinnung embryonaler und fetaler Körperzellen, insbesondere von Hirnzellen.
Die meisten der dort angesprochenen Fragen betreffen jedoch auch die Gewinnung
von EG-Zellen aus den primordialen Keimzellen abortierter Embryonen und Feten.
Daher sollen sie hier noch einmal im Überblick vorgestellt werden.
In ihrer Präambel zu den "Medizinisch-ethischen Richtlinien für die Transplantation
foetaler menschlicher Gewebe" beschreibt die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) die Hoffnungen, die in die Verwendung embryonaler und fetaler Zellen und Gewebe für die Transplantationsmedizin gesetzt
werden. Ärzte und Forscher versprechen sich davon57
"eine wirksamere Behandlung bestimmter schwerer Krankheiten. Als Vorteile foetaler Zellen betrachtet man einerseits ihre höhere Wachstumspotenz, andererseits
ihre geringere Antigenizität und damit verbunden ein kleineres Risiko der immunologischen Abstoßung...Die bisherigen therapeutischen Versuche betrafen den
Morbus Parkinson (Transplantation foetaler dopaminergischer Neurone), hereditäre
Stoffwechselstörungen (Transplantation von Knochenmark- oder Leber-Stammzellen), den juvenilen Diabetes mellitus (Transplantation von Pankreas-Inselzellen)
sowie Retinitis pigmentosa (Transplantation foetaler Retina-Zellen). Die Verwen57 Im internationalen Sprachgebrauch hat es sich eingebürgert, von Fetalgewebe ("fetal tissue") zu
sprechen. Dieser Begriff bezieht sich auf die Zellen und Gewebe von Embryonen und Feten. Da
diese Sprachregelung unpräzise und irreführend ist, wird hier die Formulierung 'Zellen und Gewebe aus abortierten humanen Embryonen und Feten' verwendet, auch wenn diese umständlicher
ist. Im Kommentar der Richtlinien der SAMW wird als Embryonalzeit die 2. bis 10. Schwangerschaftswoche bezeichnet, als Fetalperiode die Zeit ab Beginn der 11. Schwangerschaftswoche
(SAMW 1998, S. 1938). NECTAR definiert als Embryonalperiode die Zeit zwischen dem 15.
Tag und der 8. Schwangerschaftswoche post conceptionem. Das Fetalstadium umfasst die Zeit
danach bis zur Geburt des Kindes. Ausgeschlossen ist damit die Entwicklung der Zygote von der
Befruchtung bis zum 15. Tag, die von Boer auch als "pre-embryo" bezeichnet wird. Die Frage
einer möglichen Verwendung des "Präembryos" für Transplantationszwecke ist nicht Gegenstand
der Richtlinie. Zum Problem des Begriffs "Präembryo" siehe die Diskussion in Engels 2000a. Zu
den unterschiedlichen Definitionen und Abgrenzungen s. auch Kap. 3.2.
187
dung foetaler Keimzellen kommt in der Schweiz aufgrund des Art. 24novies der Bundesverfassung nicht in Frage." (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, SAMW 1998, S. 1936).
Allerdings wird einschränkend bemerkt, dass in der Praxis diese therapeutische
Möglichkeit in der Schweiz bis jetzt nur in wenigen Einzelfällen eingesetzt wurde,
da sich das ursprüngliche Vorgehen, frisch entnommene fetale Gewebe einzupflanzen, vor allem wegen der geringen Zellzahlen als wenig wirksam erwiesen habe
(SAMW 1998, S. 1936).
Im Bewusstsein der ethischen Probleme, die mit der Verwendung von Zellen und
Geweben aus humanen Embryonen und Feten für experimentelle und therapeutische Zwecke verbunden sind, wurden in zahlreichen Ländern ethische Richtlinien
zur Vermeidung missbräuchlicher Verwendung menschlicher Embryonen und Feten
und zur generellen Beachtung der Prinzipien der biomedizinischen Ethik in diesem
Bereich erlassen. Dabei handelt es sich meist um allgemein gehaltene Richtlinien,
die alle zur Diskussion stehenden Arten embryonaler und fetaler Zellen und Gewebe zum Gegenstand haben. Hierzu gehören die "BMA Guidelines on the Use of
Fetal Tissue" von 1988, die "Richtlinien zur Verwendung fetaler Zellen und fetaler
Gewebe" der Bundesärztekammer in Deutschland von 1991 (Zentrale Kommission
der Bundesärztekammer 1991), die "NECTAR ethical guidelines for the retrieval
and use of human embryonic or fetal donor tissue for experimental and clinical neurotransplantation and research" von 1992, die oben bereits genannten "Medizinischethischen Richtlinien für die Transplantation foetaler menschlicher Gewebe" der
Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften aus dem Jahre 1998
(SAMW 1998) und andere. Der "Umgang mit embryonalen oder fötalen menschlichen Geweben oder Zellen" ist auch Gegenstand des Schweizerischen Transplantationsgesetzes, das im Entwurf vorliegt.
Vor allem auf Grund der ethischen Probleme, die mit der Gewinnung von Zellen
und Geweben aus abortierten humanen Embryonen und Feten verbunden sind, wie
der hohen Anzahl von Embryonen und Feten, die für eine Transplantation erforderlich sind, und der Schwierigkeit, die betreffenden Zellen und Gewebe, welche
frisch, d. h. lebend, transplantiert werden müssen, in gebotener Gründlichkeit und
Schnelle auf Krankheitserreger hin zu untersuchen, richten sich die Hoffnungen
mancher Chirurgen und Forscher auf Alternativen. Isacson und Breakefield sprechen einige dieser ethischen Probleme an:
"Problems of transplanting human fetal cells to Parkinson patients include the ethical and practical concerns of using fetal tissue; the inability to obtain a sufficiently
large number of appropriate human fetal neurons, and difficulties in rapid and extensive screening for pathogens...For these reasons, other cell sources are being
sought." (Isacson und Breakefield 1997, S. 965).
188
Zumindest das Problem, jeweils eine große Anzahl von Feten für eine Transplantation zu benötigen, würde sich voraussichtlich bei der Verwendung von embryonalen
Keimzellen (EG-Zellen) in geringerem Maße stellen, da diese vermehrbar sein sollen und außerdem aus ihnen Gewebe hergestellt werden soll (s. Kap. 4.4 sowie
4.6.1.4). Die Frage, inwieweit mögliche Krankheitserreger von ES- und EG-Zellen
zu erwarten sind, die dann auch in den daraus gezüchteten Zellen und Geweben
wären, ist in der Literatur bisher nicht gebührend thematisiert worden.
7.4.1
Freie und aufgeklärte Zustimmung der Mutter
Obwohl es befremdlich klingen mag, Embryonen und Feten als "Quellen" für die
Gewinnung von Zellen und Geweben für Transplantationszwecke zu bezeichnen,
wurde dieser Ausdruck hier gewählt, weil es unangemessen wäre, Embryonen und
Feten als "Spender" zu bezeichnen, wie dies in Bezug auf hirntote oder lebende
Organspender üblich und angemessen ist, wenn die Organentnahme auf der Grundlage ihrer freien und aufgeklärten Zustimmung erfolgt. Damit ist bereits ein ethisches Problem der Verwendung abortierter Embryonen und Feten angesprochen.
Ein wesentlicher Unterschied zum erwachsenen Organspender besteht darin, dass
der Embryo bzw. Fetus nicht in der Lage ist, zur Entnahme seiner Zellen und Gewebe seine freie und aufgeklärte Zustimmung zu geben. Dies wird auch nicht durch
das als zynisch zu bezeichnende Argument entkräftet, dass der Embryo bzw. Fetus
ja auch nicht zum Schwangerschaftsabbruch seine Zustimmung gegeben hat. Daher
muss zumindest die freie und aufgeklärte Zustimmung der Mutter eingeholt werden
(s. auch Kap. 8.2). Das manchmal angeführte Argument, dass sich die Mutter durch
ihre Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch als advokatorische Vertreterin
des Embryos oder Fetus disqualifiziert habe und damit ihr Recht, über den weiteren
Umgang mit dem Embryo oder Fetus zu entscheiden, verspielt habe58, erscheint
nicht überzeugend. Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch wird normalerweise nicht leichtfertig gefällt und ist häufig mit großen Konflikten, Verzweiflung und seelischem Leiden verbunden, die noch durch das Bewusstsein vergrößert
werden können, über das weitere Schicksal des Embryos oder Fetus nicht Bescheid
zu wissen (Boer 1994, S. 7). Nach Robertson würde die Praxis, auf die Zustimmung
der Mutter zu verzichten, zudem "either to a policy of using fetal remains without
parental consent or to a total ban on fetal transplants" führen (Robertson 1990,
S. 1026).
58 Dieses Argument wird von Carmen Kaminsky in ihrem detaillierten Überblick über die unterschiedlichen Bestimmungen des moralischen Status des Embryos in Abhängigkeit von verschiedenen Kontexten (Schwangerschaftsabbruch, Transplantationsmedizin usw.) referiert (Kaminsky
1998, S. 21).
189
7.4.2
Unabhängigkeit von Schwangerschaftsabbruch und späterer
Verwendung
Eine ethisch schwer wiegende und vielfach geäußerte Befürchtung ist die, dass der
Schwangerschaftsabbruch nicht unabhängig von der möglichen Verwendung der
Zellen und Gewebe erfolgen könnte59. Die Aussicht darauf, dass die Zellen und
Gewebe ihres Embryos oder Fetus im Dienste anderer für Forschungs- oder therapeutische Zwecke verwendet werden können, könnte Frauen, die andernfalls noch
unschlüssig in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch wären, ihre Entscheidung
für eine Abtreibung erleichtern und auch spätere Schuldgefühle abmildern, da der
Schwangerschaftsabbruch mit humanitären Zwecken in Verbindung gebracht werden könnte. Es wären sogar extreme Situationen denkbar, in denen eine Frau absichtlich schwanger wird, um später die Zellen und Gewebe des Embryos oder Fetus für einen kranken Verwandten oder zur Selbsttherapie gewinnen zu lassen.
"Thus, although the use of fetal tissue in itself seems morally acceptable, the ethical
issue of the ex utero use of embryos and fetuses cannot be separated completely
from the ethical aspects of the decision on elective abortion...In other words, the
circumstances under which the material is made available should be morally controlled from an ethical point of view." (Boer 1999, S. 464).
Manchmal wird auch der Einwand erhoben, dass es eine "Komplizenschaft" zwischen Gewebeentnahme und Abtreibung gebe, dass Transplantationsmediziner, die
Zellen und Gewebe von Embryonen und Feten nach Schwangerschaftsabbrüchen
verwenden, zu Komplizen der Abtreibung werden.60
Obgleich die Frage nach dem moralischen Status des Embryos und Fetus im Sinne
schützenswerten menschlichen Lebens nach wie vor kontrovers diskutiert wird, wie
gezeigt wurde (Kap. 7.2.2.1.1), und bisher kein allgemein verbindlicher ethischer
Konsens in der Bestimmung der Art und des Grades der Schutzwürdigkeit vorgeburtlichen menschlichen Lebens erzielt wurde, besteht doch weitestgehend ein Einverständnis darüber, dass Leben und Unversehrtheit von Embryonen und Feten in
vivo schützenswerte Güter sind, deren Gefährdung oder gar Preisgabe für fremddienliche Zwecke sich aus ethischen und rechtlichen Gründen verbietet. Es wird
daher zwar unter ethischen und rechtlichen Aspekten im Allgemeinen für vertretbar
gehalten, im Falle einer Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter deren Recht
auf Leben und körperliche Unversehrtheit dem des Embryos oder Fetus überzuordnen und im Konfliktfall einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, wie es zum
Beispiel bei der medizinischen Indikation der Fall ist. Doch sind bereits Schwangerschaftsabbrüche aus anderen Gründen, bei denen spezielle Interessen der Familie,
59 Siehe die Diskussion in Birnbacher 1998; Gründel 1995; Kliegel 1999.
60 Zur Diskussion dieses Einwandes siehe Birnbacher 1998; Boer 1994; Robertson 1990.
190
der Eltern oder der Mutter im Vordergrund stehen, ethisch schwieriger zu rechtfertigen, auch wenn von einer Strafverfolgung abgesehen wird, wie dies in der
Schweiz, in Deutschland und anderen Ländern der Fall ist. Als ethisch nicht vertretbar gilt schließlich die Tötung von Embryonen und Feten in vivo mit dem Ziel der
Gewinnung ihrer Zellen, Gewebe und Organe für Forschungs- oder Transplantationszwecke. Embryonen und Feten würden in diesem Fall ausschließlich als Mittel
für fremddienliche Zwecke verbraucht, womit gegen das Prinzip der Achtung vor
der Menschenwürde verstoßen würde. Aus diesem Grunde wird in allen genannten
Richtlinien der Schwangerschaftsabbruch mit dem Ziel der Spende embryonaler
und fetaler Zellen und Gewebe abgelehnt. Es wird gefordert, dass "Entscheidungen
zum Schwangerschaftsabbruch...unabhängig von dem Vorhaben einer Verwendung
für Forschungs- oder Therapiezwecke erfolgen" müssen. "Das Gespräch über die
Verwendung fetaler Zellen oder Gewebe darf erst geführt werden, wenn der Entschluss zum Schwangerschaftsabbruch endgültig ist." (Zentrale Kommission der
Bundesärztekammer 1991, S. B-2790; vgl. auch SAMW 1998, S. 1937, Boer 1994,
S. 5). Dies schließt selbstverständlich auch die gezielte Herbeiführung einer
Schwangerschaft in der Absicht, embryonale und fetale Zellen und Gewebe etwa
für die Therapie eines erkrankten Verwandten zu gewinnen, aus. Im Falle einer
"preconceived donation" wären
"pregnancy and abortion...a means to the end of using the embryo or fetus, so that one
can speak about instrumental exploitation of the embryo or fetus in utero. No intrinsic
human values are then attributed to the embryo or fetus, thus completely denying the
principle of relative protection of a potential person" (Boer 1994, S. 6).
Daher lautet die dritte Richtlinie von NECTAR:
"The decision to terminate pregnancy must under no circumstances be influenced by
the possible or desired subsequent use of the embryo or fetus and must therefore precede any introduction of the possible use of the embryonic or fetal tissue. There should
be no link between the donor and the recipient, nor designation of the recipient by the
donor." (Boer 1994, S. 3).
Aus diesem Grund sind auch die Wahl des Zeitpunktes eines Schwangerschaftsabbruchs und die der Verfahren unabhängig von der späteren Verwendung der embryonalen und fetalen Zellen und Gewebe zu treffen (Boer 1994, S. 3; vgl. SAMW
1998, S. 1937).
Selbst wenn die individuelle Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch im Einzelfall unabhängig von der Anfrage nach einer Verwendung der embryonalen und
fetalen Zellen und Gewebe erfolgt, so ist doch nicht auszuschließen, dass die Einführung dieses Verfahrens in die medizinische Praxis die generelle Einstellung zum
Schwangerschaftsabbruch beeinflusst. Außerdem ist zu bezweifeln, dass sich diese
Forderung in der Praxis realisieren lässt. Denn Zellen und Gewebe müssen intakt
191
und frisch sein. Daher lautet die entsprechende "Ethische Norm" in den Richtlinien
der SAMW:
"1.5 Entscheid über Zeitpunkt und Verfahren des Schwangerschaftsabbruchs
Die Wahl des Zeitpunkts eines Schwangerschaftsabbruchs darf nicht von der späteren Verwendung des Foetalgewebes beeinflusst werden. Bei der Bestimmung des
Zeitpunkts und der Technik für den Schwangerschaftsabbruch sind geringfügige
Anpassungen an den Verwendungszweck erlaubt, wenn sie ohne Verletzung der
Interessen der Frau realisiert werden können." (SAMW 1998, S. 1937).
Damit wird ein weiterer wichtiger Aspekt angesprochen. Die Frau ist auf eine
Weise um ihre Zustimmung zur Freigabe des Embryos zu bitten, die keine zusätzliche psychische Belastung in einer Situation mit sich bringt, die ohnehin für viele
Frauen schon als belastend empfunden wird. Dasselbe hat für Zeitpunkt und Methode des Schwangerschaftsabbruchs zu gelten.
Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (Deutschland) hat im
Juli 1998 ein Moratorium für die Übertragung embryonaler und fetaler Nervenzellen in das Gehirn des Menschen und eine Verbreiterung der Wissensbasis im Bereich der Grundlagenforschung empfohlen (Zentrale Ethikkommission 1998). Begründet wird dies insbesondere mit ethischen Argumenten. So ergeben sich nach
Auffassung der Ethikkommission im Hinblick auf die praktische Durchführung des
Verfahrens eine Reihe von Fragen, die bisher "nicht schlüssig beantwortet werden
konnten. Die in den Richtlinien [Zentrale Kommission der Bundesärztekammer
1991] genannten Mindestvorschriften lassen sich in der Praxis kaum einhalten, wie
zum Beispiel die Unabhängigkeit eines Schwangerschaftsabbruches von einer entsprechenden Gewebegewinnung beziehungsweise Übertragung." (Zentrale Ethikkommission 1998, S. A.1870f). Weiterhin seien Gefahren durch eine Kontamination der Zellen, etwa bei bestehenden Infektionen der Schwangeren, ebenfalls nicht
zu vernachlässigen.
7.4.3
Konsequenzen für das Frauenbild und das Bild des Embryos
und Fetus
Das Verfahren könnte auch einem bestimmten Frauenbild Vorschub leisten, wonach
schwangere Frauen dazu dienen, "fetales Gewebe für Übertragungen von Zellen auf
andere Menschen bereitzustellen." (Zentrale Ethikkommission 1998, S. A-1871).
Auch dürfe "nicht der Auffassung Vorschub geleistet werden, menschliche Embry-
192
onen dürften auf die Funktion als Zellspender zur Therapie von Krankheiten reduziert werden." (ebd.)61
Verwiesen wird auf "viel versprechende Alternativen", die von der Verwendung
von Zellen aus Zellkulturen und Entwicklungen auf dem Gebiet der medikamentösen Therapie erwartet werden (ebd.).
Auch die SAMW sieht in der in vitro-Züchtung von Zellen neue Perspektiven
(SAMW 1998, S. 1936).
7.4.4
Zur Frage der Geeignetheit embryonaler Keimzellen für therapeutische Zwecke
Schließlich stellt sich die Frage, ob EG-Zellen zur Gewinnung funktionstüchtigen
Gewebes, das im Patienten auch längerfristig seine Aufgaben erfüllt, geeignet sind
oder sich damit viel eher gesundheitliche Risiken verbinden (s. Kap. 4.4.2). In diesem Fall würde die Verwendung von EG-Zellen gegen die medizinethischen Prinzipien des Wohltuns und der Nichtschädigung verstoßen.
7.4.5
Zusammenfassung
Die hier dargestellten ethischen Probleme der Verwendung von abortierten Embryonen und Feten, die in der Literatur bisher hauptsächlich im Rahmen der Transplantation embryonalen und fetalen Körpergewebes thematisiert wurden, betreffen
auch die Verwendung von abortierten Embryonen und Feten zur Gewinnung von
EG-Zellen aus deren primordialen Keimzellen. Sie betreffen erstens die Herkunft
der primordialen Keimzellen aus abortierten Embryonen und Feten (Kap. 7.4.1),
zweitens die Verfahrensweise ihrer Gewinnung (Kap. 7.4.2), drittens eventuelle
Auswirkungen auf den Empfänger, wenn die Funktionstüchtigkeit des aus EGZellen gewonnenen Gewebes auf Grund des fehlenden Imprinting der primordialen
Keimzellen beeinträchtigt ist (Kap. 4.4.2) und wenn Infektionsrisiken bestehen
(Kap. 7.4.2) und viertens die Folgen für die Gesellschaft, die Konsequenzen für das
Bild von der Frau und vom menschlichen Embryo (Kap. 7.4.3). Obwohl abortierte
Embryonen und Feten zum Zeitpunkt der Entnahme ihrer primordialen Keimzellen
mit dem Ziel der Gewinnung von EG-Zellen bereits tot sind, stellen sich also auch
hierbei ernst zu nehmende ethische Probleme.
61 Zu diesen Problemstellungen siehe die ausführliche kritische Auseinandersetzung von Ingrid
Schneider (Schneider 1995).
193
7.5
Ethische Aspekte der Gewinnung und Verwendung von
adulten Stammzellen
7.5.1
Untersuchungsgegenstand
In der Diskussion um die Gewinnung und Verwendung menschlicher embryonaler
Stammzellen wird häufig auf die ethisch weniger problematische Alternative der
adulten Stammzellen verwiesen. Doch auch die Gewinnung und Verwendung von
adulten Stammzellen bedarf der ethischen Reflexion. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die unter der Bezeichnung "adulte Stammzellen" zusammengefassten Zellen
auf ganz unterschiedliche Art und Weise gewonnen werden können, deren potentielle moralische Relevanz im Einzelnen zu prüfen ist. Die folgenden Ausführungen dienen der Erfassung der in diesem Kontext relevanten ethischen Aspekte.
7.5.2
Ziele der adulten Stammzellforschung
Die medizinischen und nichtmedizinischen Ziele der adulten Stammzellforschung
sind (mit Ausnahme des Ziels der Erforschung der Embryonalentwicklung) mit den
bereits in Kap.2 generell formulierten und unter Kap.7.1.2 aus ethischer Perspektive diskutierten Zielen der menschlichen Stammzellforschung identisch. Anders
als bei der Verwendung von embryonalen Stammzellen wären Zellen, Gewebe
oder Organe aus adulten Stammzellen mit dem Spender genetisch identisch, sofern
man Zellen des Patienten selbst zur Erzeugung verwendet.62 Es besteht die Hoffnung, Organe eines Tages mit Hilfe adulter Stammzellen in vivo "reparieren" zu
können, bevor eine Transplantation nötig wird. Durch die gezielte Rekrutierung
und Transdifferenzierung körpereigener Stammzellen könnte eines Tages vielleicht
ganz auf eine Zelltransplantation verzichtet werden.63
62 Bei ES-Zellen und EG-Zellen sind die Gewebe genetisch nicht mit dem Spendergenom identisch,
beim therapeutischen Klonen weichen die Mitochondrien von denen des Spenders ab. Bei adulten Stammzellen gibt es einerseits die Möglichkeit einer Fremdspende (allogene Therapie, genetisch nicht identische Zellen), andererseits aber auch die Möglichkeit, Zellen des Patienten selbst
(autologe Therapie, genetisch identische Zellen) zu verwenden.
63 Eine Bewertung der Eigenschaften adulter Stammzellen im Hinblick auf therapeutische Anwendungen findet sich in Kap. 4.6.3.
194
7.5.3
Zur Frage des biologischen und moralischen Status von adulten Stammzellen
Im Mittelpunkt der Bewertung der embryonalen Stammzellforschung steht die
Frage nach dem moralischen Status des menschlichen, insbesondere des extrakorporalen Embryos, der bei ihrer Gewinnung getötet wird. Dieser moralische Status
wird - unabhängig von seinem normativen Gehalt, den Vertreter unterschiedlicher
Positionen kontrovers diskutieren - mit der Totipotenz des Embryos begründet,
also mit seiner Fähigkeit, sich zu einem adulten Menschen zu entwickeln. Im Gegensatz dazu muss für die Gewinnung adulter Stammzellen kein Embryo getötet
werden.64
Adulte Stammzellen gelten lediglich als unipotent, multipotent oder sogar als pluripotent (Jiang et al. 2002), nicht aber als totipotent. Obwohl es keine direkte Möglichkeit der Überprüfung der Nichttotipotenz von adulten Stammzellen beim Menschen gibt (siehe auch Kap.7.2.1), so gibt es doch derzeit keine plausiblen Indizien
für die Annahme der Totipotenz. Da sich aus einer adulten Stammzelle kein adulter
Mensch entwickeln kann, laufen Kontinuitäts-, Potenzialitäts- und Identitätsargumente in diesem Zusammenhang ins Leere. Nach dem jetzigen Stand der Forschung unterscheidet sich der moralische Status einer adulten Stammzelle nicht
von dem irgendeiner anderen Zelle des Körpers, so dass eine moralische Verpflichtung gegenüber adulten Stammzellen argumentativ wohl kaum begründbar
ist.
Es ist jedoch denkbar, dass die Grenzen zwischen Totipotenz und Pluripotenz
durch neue Technologien fließend werden könnte. Abhängig von den experimentellen Bedingungen könnten somatische Körperzellen totipotent werden.65 In diesem Fall wäre der Tatbestand des Klonens eingetreten (DFG 2001b)66. Dennoch
wären erst die bereits totipotenten Zellen moralisch relevant, nicht die pluripotenten Stammzellen, welche erst durch technische Eingriffe zur Totipotenz gebracht
würden (siehe die Argumentation in Kap. 7.2.1).
7.5.4
Gewinnung
Die in Kap.4.6 beschriebenen Möglichkeiten zur Gewinnung adulter Stammzellen
sind mit unterschiedlichen ethischen Problemen behaftet (zu den rechtlichen Prob64 Die Entnahme fetaler Zellen ist umstritten, findet jedoch erst nach der Abtreibung statt.
65 Derzeit ist dies nur durch den Kerntransfer in eine entkernte Eizelle (therapeutisches Klonen),
nicht mit adulten Stammzellen allein, möglich.
66 DFG (2001b, S. 22): der Tatbestand des Klonens gilt auch "für die Reprogrammierung somatischer Zellen zu deren Pluripotenz, wenn diese nur über den Weg der Totipotenz erreicht werden
kann oder dieser Zwischenschritt billigend in Kauf genommen wird."
195
lemen siehe auch Kap.8.7 und 8.8) und sollen daher getrennt voneinander diskutiert werden. Dabei ist zu bedenken, dass gewebsspezifische Stammzellen einerseits gewebsspezifisch, andererseits aber auch - nach einem Transdifferenzierungsschritt - für den Einsatz in anderen Geweben verwendet werden können.
7.5.4.1
In vivo-Therapie durch Rekrutierung und/oder Transdifferenzierung körpereigener Stammzellen
Eine in vivo-Therapie mit Hilfe von Medikamenten, welche auf der gezielten Rekrutierung und/oder Transdifferenzierung körpereigener Stammzellen ohne extrakorporale Kultivierung basieren könnte, würde keine Probleme zusätzlich zu den
derzeit für sämtliche Stammzelltherapien ausgewiesenen Probleme (z. B. der gesundheitlichen Risiken für den Patienten, s.u.) aufwerfen. Bisher wurde die Möglichkeit einer solchen Therapieform nur im Tierversuch demonstriert (Fallon et al.
2000; Badura-Lotter 2002).67
7.5.4.2
Adulte Stammzellen aus vergleichsweise leicht zugänglichen Geweben
Die Gewinnung von Blutstammzellen aus dem Knochenmark, wird bereits seit Jahren erfolgreich durchgeführt (siehe Kap. 4.6.1.2 und Kap. 8.8) und birgt keine
neuen, über die in der Transfusions- und Transplantationsmedizin existierenden
Probleme hinausgehenden Probleme. Sie werden bereits im Rahmen ihrer Gewebespezifität klinisch eingesetzt. Aufgrund ihrer erstaunlichen Flexibilität und der
ethischen Unbedenklichkeit ihrer Gewinnung sind die hämatopoetischen Stammzellen die Hoffnungsträger der adulten Stammzellforschung. Erste in vivo-Transdifferenzierungsversuche mit hämatopoetischen Stammzellen haben bereits stattgefunden (Strauer et al. 2001). Auch die Isolierung von Blutstammzellen aus dem
peripheren Blut (s. Kap. 4.6.1.2) sowie die Gewinnung von Stammzellen aus Fettgewebe durch Fettabsaugen (Zuk et al. 2001) werfen keine zusätzlichen Probleme
auf. Die Transdifferenzierung und sichere Positionierung adulter Stammzellen im
Körper ist jedoch noch nicht gezielt steuerbar. Ein besonderes Problem stellt ihre
Vermehrung und Aufreinigung dar (siehe auch Kap. 4.6.1.1).
7.5.4.3
Adulte Stammzellen aus schwer zugänglichen Geweben
Die Gewinnung gewebsspezifischer Stammzellen aus schwer zugänglichen Geweben (z. B. Hirn) kann für den Spender mit einem hohen Risiko verbunden sein, was
solche Eingriffe nach dem Nichtschadensprinzip entweder verbietet oder aber eine
Unterscheidung zwischen fremdnütziger und eigennütziger Stammzellentnahme
erfordert. Diese Problematik ähnelt der der Lebendorganspende. Die Entnahme
67 Frau Dipl.-Biol. Gisela Badura-Lotter danke ich herzlich für ihre wertvollen Anregungen.
196
neuronaler Stammzellen lebender Spender wird derzeit nur im Tierversuch, nicht
aber am Menschen durchgeführt (siehe auch Kap. 4.6.1.5).
7.5.4.4
Neuronale Vorläuferzellen aus Gehirnbiopsien
Die Gewinnung von neuronalen Vorläuferzellen aus dem Gehirn von Verstorbenen
(Palmer et al. 2001) ist ethisch brisant. So stellen sich einige bereits im Zusammenhang der Organspende diskutierte ethische Probleme, auf die hier nicht im
Einzelnen eingegangen werden kann. Zusätzlich bestehen für den Empfänger
möglicherweise sowohl gesundheitliche Risiken als auch Probleme, die mit der
symbolischen Bedeutung des Gehirns in bestimmten Kulturen zu tun haben. Die
Möglichkeit einer Persönlichkeitsveränderung durch Zell- und Gewebetransplantation wurde bereits in Kap. 7.3.2 diskutiert. Die mögliche Verletzung von Würdevorstellungen bei der Entnahme von Zellen aus Verstorbenen muss gesellschaftlich
diskutiert werden.
7.5.4.5
Neonatale Stammzellen
Die Gewinnung von Stammzellen aus Nabelschnurblut ist in der Regel ohne Schaden für den Donor, jedoch nur in sehr geringen Mengen möglich (siehe auch
Kap. 4.6.1.3, Kap.5.5.3 und Kap. 6.1.2). Da man das Nabelschnurblut nur zum
Zeitpunkt der Geburt gewinnen kann, werfen Entnahme und Aufbewahrung des
neonatalen Blutes praktische und ethische Probleme auf. Dies sind vor allem Fragen nach den Eigentumsrechten und nach dem Schutz der personenbezogenen genetischen Information (siehe auch Kap. 8.7.c). So ist es umstritten, ob das neonatale Blut privat eingelagert werden darf oder ob es als registriertes Gemeinschaftsgut allen Bedürftigen zur Verfügung stehen soll. Damit verbunden ist die Frage, ob
eine Spende neonatalen Blutes wie eine Blutspende oder wie eine Lebendorganspende zu behandeln ist (Annas 1999). Gehören die Stammzellen dem Kind oder
den Eltern? Wer darf die informierte Zustimmung über die Verwendung geben?
Hat das Kind ein Recht auf sein Blut? Dürfen Eltern privat eingelagertes Blut auch
Verwandten zur Verfügung stellen (Wils 1999)? Für die Diskussion dieser Fragen
wird häufig vorausgesetzt, dass die neonatalen Stammzellen einen großen Wert für
das Kind haben. Dies ist jedoch in Anbetracht der geringen Menge an Stammzellen, der Unsicherheit über die späteren Verwendungsmöglichkeiten und der Unwahrscheinlichkeit, dass die Zellen innerhalb der ersten Lebensjahre benötigt werden und dann besser als andere Therapien (z. B. Knochenmarkstransplantation)
wirken, umstritten (Sugarman et al. 1997).
Da es sich bei den Nabelschnurblutbanken um einen rasant wachsenden Markt
handelt, müssen Eltern besonders im kommerziellen Sektor vor überzogenen Erwartungen und unseriösen Angeboten gewarnt werden (Sugarman et al. 1997). Es
stellt sich auch die Frage, ob Versicherungen die Kosten übernehmen sollten.
197
Da neonatale Stammzellen vor der klinischen Verwendung auf Aberrationen getestet werden müssen, können genetische Informationen über das Kind und über
seine Eltern gewonnen werden (Wils 1999). Um die Persönlichkeitsrechte von Eltern und Kind zu wahren, muss entschieden werden, ob das Nabelschnurblut anonymisiert oder nicht anonymisiert eingelagert werden soll, auf welche Krankheiten
das Blut getestet werden darf und wer Zugang zu den Ergebnissen dieser Tests haben wird. Sollen Blutbanken die Eltern über genetische Defekte informieren dürfen? Sollen später auftretende Krankheiten des Spenders der Blutbank mitgeteilt
werden? Was geschieht mit den Blutproben privater Firmen, wenn die Rechnung
für die Einlagerung nicht bezahlt wird (Annas 1999)?
Fragen nach der informierten Einverständniserklärung und zum Datenschutz sind
jedoch nicht nur in diesem Kontext relevant, sondern können in ähnlicher Form für
alle DNA-Datenbanken und Biobanken gestellt werden. Sollten sich die neonatalen
Stammzellen eines Tages gut vermehren lassen, wären einige der aufgeführten
Probleme entschärft. Eine ausführliche Analyse der ethischen Aspekte von Nabelschnurblutbanken sprengt den Rahmen dieser Studie.68
7.5.4.6
Fetale Stammzellen
Die Gewinnung gewebsspezifischer Stammzellen (z. B. neuronaler Vorläuferzellen) aus abortierten Embryonen und Feten (Kap.4.6.1.4) ist aus ethischer Sicht
problematisch und wirft ähnliche Probleme auf wie die Gewinnung von EG-Zellen,
die bereits in Kap. 7.4 vorgestellt und diskutiert wurden (Verbrauch von Embryonen, Abtreibung, Forschung an Embryonen und Feten). Die Problematik wird
durch die für die Zelltransplantation benötigten großen Mengen an Zellen und damit an abortierten Embryonen und Feten verschärft. Allerdings könnte dieses
Problem durch die in vitro-Vermehrung fetaler Stammzellen umgangen werden
(Fricker et al. 2000; Badura-Lotter 2002).
7.5.5
Methode der Kultivierung
Sollte bei der Kultivierung von adulten Stammzellen Kontakt zu nichtmenschlichen Seren oder "feeder layers" erfolgen, besteht ebenso wie bei ES-Zellen ein Infektionsrisiko ähnlich dem bei der Xenotransplantation auftretenden Risiko. Für
Therapiezwecke verwendete Kulturen sollten daher von Verunreinigungen freigehalten werden und nicht mit tierlichen Zellen in Kontakt kommen. Werden Zellen kultiviert und z. B. mit Cytokinen mobilisiert und am Zusammenklumpen gehindert, so könnte es trotz genetischer Identität zu Immunreaktionen und Abstoßungsreaktionen kommen (Diaz et al 2000). Bei der Isolation und Kultivierung von
68 Als weiterführende Literatur siehe Gordijn, Olthuis 2000.
198
Stammzellen aus Verstorbenen muss auf ein möglicherweise bestehendes Infektionsrisiko für den Patienten geachtet werden. Derzeit stellt die Gewinnung homogener, reiner Stammzellkulturen ein großes technisches Problem dar (Kap. 5.2.3;
Badura-Lotter 2002).
7.5.6
Verwendung
Zurzeit wird es als unrealistisch eingeschätzt, dass komplexe Organe aus Stammzellen gezüchtet werden können (Kap.7.3.2). Probleme könnten je nach Art der
verwendeten Gewebe und Organe durch funktionsstörende oder möglicherweise
identitätsverändernde Zelltherapien auftreten (zur Frage der Identitätsveränderung
und des Persönlichkeitstransfers siehe Kap.7.3.2). Es ist zu erwarten, dass mögliche Probleme, die mit der symbolischen Bedeutung von Organen zu tun haben und
bei der Transplantation von Geweben aus Verstorbenen, Feten oder Embryonen
entstehen können, bei körpereigenen Zellen nicht oder in weit geringerem Maß
auftreten.
Neuartige Probleme könnten auch durch die Verknüpfung von Stammzellforschung und somatischer Gentherapie auftreten (Kap. 2.2.2, Kap.8.8, DFG-Hintergrundpapier 2001b, S. 19). Es ist denkbar, dass Stammzellen als Vektoren für
in vitro-Strategien der Gentherapie verwendet werden (Park et al. 2002). Außerdem könnten genetische Veränderungen nötig sein, um die Zellen sicher zur gezielten Differenzierung bewegen zu können. Somit wäre die Diskussion um die
ethische Vertretbarkeit von Gentherapien in Verbindung mit adulten Stammzelltherapien in Anlehnung an die um Gentherapien generell geführte Debatte (Graumann
2000) zu führen, wobei die Frage nach der Grenze zwischen Therapie und Optimierung eine wichtige Rolle spielt. Eine potentielle nicht-therapeutische Anwendung würde völlig neue Fragen aufwerfen.
Sollte es eines Tages möglich sein, adulte Stammzellen ohne Fusion mit einer Oozyte über Reprogrammierung des Zellkerns zur Totipotenz zu bringen, könnte das
Klonen durch adulte Stammzellen möglich werden. Damit würden sich auch hier
die in Bezug auf das Klonen diskutierten ethischen Probleme stellen.
199
7.5.7
Mögliche Auswirkungen der Forschung an adulten Stammzellen und der Einführung der Technologien in die medizinische Praxis
7.5.7.1
Auswirkungen auf den Spender
Spender adulter Stammzellen können der Patient selber, ein anderer lebender
adulter Mensch, ein Verstorbener, ein Neugeborener (neonatale Stammzellen) oder
ein Embryo oder Fetus (fetale Stammzellen) sein. Für den Spender existieren potentiell einerseits gesundheitliche Risiken, andererseits Risiken der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte durch den Umgang mit seiner personenbezogenen genetischen Information oder durch seine Instrumentalisierung. Die gesundheitlichen Risiken wurden bereits unter 7.5.3 angesprochen.
Die Wahrung der Datenschutzbestimmungen ist unabdingbar, um Missbrauch der
genetischen Daten zu verhindern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Wahrung der Grundsätze des freiwilligen und informierten Einverständnisses, der
Richtlinien zur Forschung am Menschen und des Nichtschadensprinzips. Es muss
vermieden werden, dass Spender bzw. deren rechtliche Vertreter (im Falle von
Verstorbenen, Neonatalen oder Abgetriebenen) unter Druck gesetzt und zur
Spende genötigt werden. In Abhängigkeit vom erwarteten Nutzen und der Schwere
des Leidens des Patienten sind die gesundheitlichen und nicht-gesundheitlichen
Risiken für den Spender bei eigennütziger und fremdnütziger Spende unterschiedlich zu bewerten.
Unabhängig von der Möglichkeit der Therapien mittels patienteneigener Stammzellen ist es denkbar, dass für einige Erkrankungen auch weiterhin auf allogene
Stammzellen zurückgegriffen werden muss. Für diesen Fall ist zu bedenken, dass
die Möglichkeit der Instrumentalisierung derjenigen besteht, von denen die
Stammzellen stammen. Die gezielte Erzeugung von Embryonen bzw. geborenen
Menschen, z. B. mit Hilfe der In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer nach PID,
zu Forschungs- bzw. zu fremdnützigen Therapiezwecken ist analog zur Erzeugung
von Geschwistern als passenden Knochenmarksspendern denkbar und wirft dementsprechend ethische Probleme auf.
7.5.7.2
Auswirkungen auf den Empfänger
Das Konzept der Zelltransplantation ist – von wenigen Indikationen abgesehen –
keine etablierte Methode und aus klinischer Sicht derzeit als riskant einzustufen
(Kap. 2.2, Kap. 5). Die gesundheitlichen Risiken für Patienten sind besonders in
der Erprobungsphase erheblich (z. B. Tumorbildung, Funktionsstörungen nach
Zelltransplantation, Abstoßungsreaktionen). Allerdings wird z. B. das Krebsrisiko
200
niedriger als bei embryonalen Stammzellen eingestuft, unter anderem, weil adulte
Stammzellen sich nicht so leicht teilen. In Abhängigkeit vom Alter des Zellkerns
und der Belastung der DNA des Spenders kann das Risiko sehr unterschiedlich
ausfallen. Ob die Zelltherapie mit adulten Stammzellen eines Tages wirksam und
ohne großes Risiko möglich sein wird, lässt sich nur experimentell ermitteln. Zurzeit weiß man nur sehr wenig, und klinische Versuche (Kap. 5.6.3) erscheinen verfrüht69. So ist noch unklar, wie sich feststellen lässt, ob Zellen funktionsfähig, korrekt lokalisiert und vollständig transdifferenziert sind. Nach dem Prinzip des
Wohltuns (Fürsorge) und dem Prinzip der Nichtschädigung sollten Patienten an
derartigen Studien nur nach gründlicher Aufklärung und in Ermangelung jeglicher
Alternativen im Falle einer schweren unheilbaren Krankheit teilnehmen. Die allgemeinen Grundsätze der Forschung am Menschen und des freien und informierten
Einverständnisses müssen eingehalten werden (s. Kap. 8).
Der durch die fortschreitende Verknüpfung von Forschung und Wirtschaft und
durch das große öffentliche Interesse auf den Forschern lastende immense Zeitdruck erhöht die Gefahr, dass riskante klinische Versuche am Menschen durchgeführt werden, bevor ausreichend gesicherte Kenntnisse vorliegen. Zusätzlich fühlen
sich Forscher häufig genötigt, die möglichen Ergebnisse ihrer Arbeit, zu denen sie
auf lange Sicht gelangen könnten, unabhängig von ihrer Erreichbarkeit prognostizieren zu müssen, um Drittmittel einwerben zu können. Daher muss in diesem Zusammenhang auf die Gefahr, bei Patienten zu hohe Erwartungen und Hoffnungen
auf rasche therapeutische Erfolge auszulösen, gewarnt werden.
7.5.7.3
Gesellschaftliche Aspekte
Therapiekonzepte, die auf der Basis von menschlichen Stammzellen entwickelt
werden sollen, tragen zum Bild einer "Reparaturmedizin" bei, die insbesondere
dann tätig wird, wenn Schädigungen von Krankheitswert bereits aufgetreten sind.
Wenn diese Form der Medizin auch unverzichtbar ist, so ist doch gesellschaftlich
zu klären, welcher Stellenwert ihr in Relation zu einer vorsorgenden, auf den Erhalt der Gesundheit ausgerichteten Medizin in unserem Gesundheitswesen zukommen soll. Daher ist zu prüfen, in welchem Verhältnis die Stammzellenforschung zu Ansätzen einer Problemrückverschiebung (Hubig 2001) stehen soll,
welche die Prävention stärker in die Gesundheitsversorgung einbeziehen als bisher.
Dies gilt auch für die Frage nach einer gerechten Verteilung der Ressourcen im
Gesundheitswesen (Allokationsproblematik). Für die Forschung mit adulten
Stammzellen müssen angemessene gesellschaftliche Rahmenbedingungen festgelegt werden. So muss die Möglichkeit des Missbrauchs der möglicherweise über
69 Aus diesem Grund wurde der von Strauer et al. durchgeführte Versuch der intrakoronaren, humanen autologen Stammzelltransplantation zur Myokardregeneration nach einem Herzinfarkt in
der Fachliteratur kritisiert.
201
den Spender gewonnenen genetischen Daten und Gewebe bei der Einrichtung und
der Überwachung der Nutzung von Biobanken berücksichtigt werden.
Die Diskussion ethischer Aspekte der Patentierbarkeit von Verfahren und der
kommerziellen Verwendung von Geweben und Zellen kann in diesem Rahmen
nicht ausreichend erfolgen. Daher sei an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen,
dass die Frage nach den Eigentumsrechten gestellt und von der Politik adressiert
werden muss (siehe auch Kap. 6.3.2).
Auf die Notwendigkeit der kritischen Betrachtung spekulativer Auswirkungen der
potentiellen Verfügbarkeit menschlicher Ersatzgewebe auf unseren Umgang mit
Tod und Sterben und auf unser Menschenbild wurde bereits in Kap. 7.3.5 aufmerksam gemacht.
An dieser Stelle soll auch darauf hingewiesen werden, dass bis zur klinischen Anwendung noch sehr viele Tierversuche mit zum Teil erheblichem Leiden für die
Versuchstiere nötig sein werden (Kap. 5.2.4).
7.5.8
Zusammenfassung
Die bei der Forschung an Embryonen strittige Frage nach dem moralischen Status
des Embryos und einer damit gegebenenfalls verbundenen Verletzung ihrer Würde
stellt sich im Kontext adulter Stammzellforschung nicht, da adulte Stammzellen
vermutlich nicht totipotent sind, ihnen gegenüber dementsprechend keine vergleichbare moralische Verpflichtung besteht und zu ihrer Gewinnung nicht
zwangsläufig Embryonen getötet werden müssen. Dennoch können sowohl die
Gewinnung als auch die Verwendung der verschiedenen Typen adulter Stammzellen mit teilweise erheblichem Problempotential belastet sein, so dass sie ganz unterschiedlich zu bewerten sind. Es wäre wünschenswert, wenn in der öffentlichen
Debatte zukünftig nicht allgemein von "adulten Stammzellen", sondern von den
jeweils diskutierten Stammzellen (neonatale Stammzellen, fetale Stammzellen etc.)
gesprochen würde. Als relativ unproblematisch ist die Verwendung von Stammzellen aus leicht zugänglichen Geweben, wie dem peripheren Blut oder Fettgewebe, einzuschätzen. Voraussetzung für die Bewertung als "unproblematisch" ist
jedoch die Einhaltung der für die Forschung am Menschen geltenden Normen und
eine gesetzliche Regelung und Kontrolle zur Verhinderung des Missbrauches und
des Schadens für Spender, Patient und Gesellschaft. Die Gewinnung fetaler und
neonataler Stammzellen ist hingegen zu problematisieren. Abschließend lässt sich
feststellen, dass die Gewinnung und Anwendung der als unproblematisch eingestuften adulten Stammzellen aus ethischer Sicht derjenigen aus verbrauchender
Embryonenforschung vorzuziehen ist.
202
7.6
Diskussionsergebnisse
Gerade in den letzten beiden Jahren sind zahlreiche Publikationen erschienen, die
darauf schließen lassen, dass adulte Stammzellen ein weitaus größeres Potential
haben als bisher vermutet und über eine erstaunliche Plastizität verfügen
(s. Kap. 4.6). Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass ES-Zellen über ein größeres therapeutisches Potential verfügen als adulte Stammzellen (s. Kap. 5.3-5.6).
Vielmehr wird sogar auf das mögliche Potential der Tumorbildung von ES-Zellen
hingewiesen.
Zu fragen ist auch, wie überzeugend das immer wieder vorgetragene Argument ist,
ES-Zellforschung sei notwendig, um etwas über die Mechanismen der Reprogrammierung adulter Stammzellen zu erfahren. Seit langem werden adulte Stammzellen
zur erfolgreichen Behandlung von Leukämie eingesetzt, ohne dass hierfür eine
Kenntnis von ES-Zellen notwendig war. Es wäre daher zu fragen, ob diese Annahme nur für bestimmte Stammzelltypen zutrifft und ob deren Potenzial nicht auf
anderem Wege eruiert werden kann.
Hier sei noch einmal daran erinnert, dass sich bei den so genannten "überzähligen"
Embryonen nicht einfach die Alternative stellt, sie entweder zu "verwerfen" oder
ihnen in dem Stadium, in dem sie verworfen würden, Zellen zu entnehmen, wodurch sie zerstört würden. Vielmehr müsste der Embryo noch bis zur Blastozyste
weiterentwickelt werden, also bis sich eine innere Zellmasse herausgebildet hat, die
dann entnommen wird, wobei der Embryo zerstört wird. Dieses Stadium liegt kurz
vor dem Zeitpunkt, zu dem bei ungestörter natürlicher Entwicklung in vivo die Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut (Nidation) beginnt. Zwar ist es strittig, ob
die Verwendung derartiger überzähliger Embryonen für hochrangige Forschungszwecke ein Unrecht gegenüber diesen Embryonen selbst darstellt, das größer ist als
ihre Verwerfung. Doch sollten auch die möglichen Konsequenzen, die die Einführung verbrauchender Embryonenforschung für die Gesellschaft, das Selbstverständnis des Menschen und die mögliche Wegbereitung von Dammbrüchen hat, bedacht
werden. Möglicherweise erübrigt sich die ES-Zellforschung, wenn die Erforschung
des Potenzials adulter Stammzellen weiter vorangeschritten ist. Wird die ES-Zellforschung jedoch vorschnell zugelassen, so können ihre möglichen negativen Konsequenzen eine Eigendynamik entwickeln, die sich dann auch nicht mehr bändigen
lässt, wenn die Erfolge oder gar Überlegenheit des Potenzials adulter Stammzellen
sichtbar geworden ist.
Adulte Stammzellen werden häufig generell als eine in ethischer Hinsicht unproblematische Alternative zur Verwendung von ES- und EG-Zellen betrachtet. Je nach
Art ihrer Gewinnung und Verwendung können sie jedoch mit sehr unterschiedlich
gearteten und teilweise erheblichen Problemen belastet sein, weshalb eine differenzierte ethische Beurteilung erforderlich ist. Die Gewinnung und Verwendung der
auch nach vorausgehender ethischer Analyse als unproblematisch eingestuften
203
adulten Stammzellen, z. B. aus Knochenmark oder Fettgewebe, ist jedoch aus ethischer Sicht unter der Voraussetzung der Einhaltung der für die Forschung am Menschen geltenden Normen und innerhalb eines angemessenen legislativen Rahmens
derjenigen aus verbrauchender Embryonenforschung vorzuziehen.
Auf die Bedeutung von Allokationsaspekten, z. B. die Relevanz der Fragen, wie
sich die ES-Zellforschung aus der Perspektive einer gerechten Verteilung finanzieller Ressourcen für die Forschung innerhalb der Schweiz und im globalen Maßstab darstellt, und welche Patientengruppen von den Therapien, sofern sie einmal
eingeführt werden, Gebrauch machen können, sei abschließend nur hingewiesen.
Auch weitere prospektive Alternativen, wie die Verwendung parthenogenetisch
aktivierter Eizellen (s. Kap. 4.5), wären unter biologischen und ethischen Aspekten
zu evaluieren.
205
8.
Rechtsfragen der Arbeiten mit menschlichen Stammzellen
8.1
Zur Grundlage
1) Das vorgeburtliche menschliche Leben ist seit dem Beginn der assistierten Fortpflanzung mittels in vitro-Fertilisation Gegenstand vielfältiger Forschungen und
wachsender Erwartungen. Im Anschluss an die rechtliche Regelung der assistierten
Fortpflanzungsmedizin durch das Bundesgesetz vom 18. Dezember 1998 über die
medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz,
FMedG)70 gilt es heute, Untersuchungen und Forschungen an Embryonen sowie die Gewinnung, Entwicklung und Verwendung von Stammzellen aus Embryonen und Feten so rechtlich zu ordnen, dass Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz gewahrt und Missbräuche verhindert werden.
Für die ethischen und rechtlichen Diskussionen um den Schutz und die Verfügbarkeit von Teilen menschlichen Lebens, von menschlichem, biologischem "Material"71 ist es wichtig zu wissen, welche Vorgaben die Schweizerische Bundesverfassung (BV) sowie das für die Schweiz maßgebliche Völkerrecht, namentlich die
internationalen Menschenrechtsverträge machen. Mit der großmehrheitlichen Zustimmung haben Volk und Stände am 17. November 199272 Art. 24novies aBV
beschlossen und diesen in der Verfassungsabstimmung vom 19. April 1999 zur
erneuerten BV im Art. 119 und 120 bestätigt. Art. 119 BV lautet:
1
2
Der Mensch ist vor Missbräuchen der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie geschützt.
Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit menschlichem Keim- und
Erbgut. Er sorgt dabei für den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit
und der Familie und beachtet insbesondere folgende Grundsätze:
a. Alle Arten des Klonens und Eingriffe in das Erbgut menschlicher Keimzellen
und Embryonen sind unzulässig.
b. Nichtmenschliches Keim- und Erbgut darf nicht in menschliches Keimgut eingebracht oder mit ihm verschmolzen werden.
c. Die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dürfen nur angewendet werden, wenn die Unfruchtbarkeit oder die Gefahr der Übertragung
70
SR 814.90, in Kraft seit 1.1.2000.
71
Das Wort wird bewusst in Anführungszeichen geschrieben.
72
Zur Entstehungsgeschichte von Art. 24novies aBV vgl. Schweizer (1995), Rz. 1-7.
206
d.
e.
f.
g.
einer schweren Krankheit nicht anders behoben werden kann, nicht aber um
beim Kind bestimmte Eigenschaften herbeizuführen oder um Forschung zu
betreiben; die Befruchtung menschlicher Eizellen außerhalb des Körpers der
Frau ist nur unter den vom Gesetz festgelegten Bedingungen erlaubt; es dürfen nur so viele menschliche Eizellen außerhalb des Körpers der Frau zu
Embryonen entwickelt werden, als ihr sofort eingepflanzt werden können.
Die Embryonenspende und alle Arten von Leihmutterschaft sind unzulässig.
Mit menschlichem Keimgut und mit Erzeugnissen aus Embryonen darf kein
Handel getrieben werden.
Das Erbgut einer Person darf nur untersucht, registriert oder offenbart werden, wenn die betroffene Person zustimmt oder das Gesetz es vorschreibt.
Jede Person hat Zugang zu den Daten über ihre Abstammung.
Mit dieser Verfassungsvorgabe und weiteren Garantien der BV in den Art. 7, 10
und 13 sowie – international – spätestens mit dem Abschluss des "Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick
auf die Anwendung der Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin)" am 4. April 1997 in Oviedo73 ist offensichtlich,
dass das Verfassungs- und das Völkerrecht angesichts der Risiken der Biotechnologie für einen menschenwürdigen Umgang mit menschlichem Leben gewisse unverzichtbare Schranken und grundrechtliche Garantien fordern74. Es ist ein Irrtum,
heute noch zu glauben, das Bundesverfassungsrecht und das Völkerrecht "lassen
den Grundrechtsschutz Ungeborener offen"75. Diese obersten Rechtsquellen stipulieren heute im Gegenteil "zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde" (gemäß Titel der Konvention von Oviedo) eine Palette spezifischer Garantien. Denn "etwa das Schicksal des Embryos in vitro" kann, wie das Bundesgericht betonte, "für die Rechtsgemeinschaft nicht gleichgültig sein"76. Allerdings gibt
das geltende Verfassungs- und Völkerrecht nur verschiedene Teilantworten, so dass
z. B. die Fragen, wie weit zulässigerweise abgetriebene Embryonen und Feten für
besondere Zwecke genutzt oder wie weit (trotz der strikten Regelung von Art. 119
Abs. 2 Bst. c BV bzw. Art. 15ff. Fortpflanzungsmedizingesetz) allenfalls mit überzähligen Embryonen geforscht werden kann, rechtlich unterschiedlich beurteilt
werden können77.
73
Der schweizerische Bundesrat beantragt jetzt mit Botschaft vom 12. September 2001 den
eidgenössischen Räten die Ratifikation der Biomedizinkonvention (BBl 2002, S. 271ff.)
74
Ausführlich zur Entwicklung der verfassungs- und völkerrechtlichen Garantien jetzt Schweizer
(2002), S. 31ff., 41ff.
75
So aber Schefer (2002), S. 416, im Anschluss an J. P. Müller (1999), S. 16f. Anders
demgegenüber z. B. BGE 119 Ia 501 Erw. 12.c; Koechlin Büttiker (1997), S. 112ff.;
Hangartner (2000), S. 20ff.; Augustin (2001), S. 173ff. und Schweizer (1995), Rz. 26ff., und
(2001), Rz. 16.
76
So BGE 115 Ia 264; 119 Ia 485.
77
Vgl. z. B. Koechlin Büttiker (1997), S. 85ff. (143) sowie Kap. 8.3ff.
207
2) Neben den verfassungs-, völker- und gesetzesrechtlichen Bestimmungen über
den Umgang mit Zellen und Geweben aus vorgeburtlichem Leben ist bei der rechtlichen Beurteilung der Arbeiten mit Stammzellen noch das Transplantationsrecht
zu beachten. Die Bundesverfassung hat hier dem Bundesgesetzgeber in
Art. 119a BV eine umfassende Kompetenz eingeräumt. Art. 119a BV lautet:
1
2
3
Der Bund erlässt Vorschriften auf dem Gebiet der Transplantation von Organen,
Geweben und Zellen. Er sorgt dabei für den Schutz der Menschenwürde, der
Persönlichkeit und der Gesundheit.
Er legt insbesondere Kriterien für eine gerechte Zuteilung von Organen fest.
Die Spende von menschlichen Organen, Geweben und Zellen ist unentgeltlich.
Der Handel mit menschlichen Organen ist verboten.
Der Bundesrat hat am 12. September 2001 den Eidgenössischen Räten den Entwurf
eines Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und
Zellen (Transplantationsgesetz)78 zugeleitet. Der Europarat seinerseits hat Zusatzprotokolle zur Biomedizinkonvention entworfen, namentlich eines über die
Transplantation von Zellen und Geweben menschlichen Ursprungs79 sowie eines
über die biomedizinische Forschung80. Gewinnung, Entwicklung, Verwendung
bzw. Einsatz von menschlichen Stammzellen sind heute somit schon nach einem
ganzen Geflecht von schweizerischen und internationalen Rechtsnormen zu beurteilen, auch wenn noch manche Fragen offen sind.
8.2
Umgang mit abgetriebenen oder abgegangenen Embryonen und Feten ex vivo
1) Durch gewollte Schwangerschaftsabbrüche in der Embryonal- oder der Fetalphase oder durch Spontanaborte81 und Fehlgeburten gibt es menschliche Zellen und
Gewebe, für welche sich namentlich die Forschung zunehmend interessiert. Bei der
Abtreibung wird der Embryo oder Fetus in der Regel zerstört, es sei denn, er werde
(wie z. B. in Schweden) unbeschädigt beseitigt. Was ex vivo übrig bleibt, sind in
aller Regel keine lebenden Embryonen oder Feten mehr, aber teilweise noch le-
78
Botschaft, BBl 2002, S. 29-270.
79
CDBI/INF (2000) 3 vom 13. September 2000 mit Rapport explicatif.
80
CDBI/INF (2001) 5 vom 3. Juli 2001 mit Rapport explicatif.
81
Nach Sadler 1998, S. 9, "enden 50 bis 60 % aller Konzeptionen mit einem Spontanabort. Etwa
50% davon weisen chromosomale Defekte auf. Die häufigsten chromosomalen Anomalien bei
Aborten sind die Trisomie 16, die Triploidie (z. B. nach Befruchtung einer Eizelle mit zwei
Spermien) und das Fehlen eines Geschlechtschromosoms (45,X); siehe auch Sadler 1998,
S. 139.
208
bende Zellen und Gewebe82. Aus den Gehirnanlagen können schon ab der
4. Woche Nervenzellen (z. B. für Parkinson-Behandlungsversuche) gewonnen werden83. Aus den Gonaden (Genitalleisten), aus denen sich im weiteren Verlauf die
Geschlechsorgane entwickeln, können ab der 6./7. Woche primordiale Keimzellen
(Urkeimzellen) isoliert werden, aus denen EG-Zellen gewonnen werden können84.
Von abgetriebenen weiblichen Feten könnten Eizellen entnommen werden85, die
durch somatischen Zellkerntransfer für die Gewinnung von ntES-Zellen verwendet
werden könnten86. Eizellen aus abgetriebenen Embryonen und Feten könnten auch
für eine künstliche Befruchtung verwendet werden87. Weitere Verwendungsmöglichkeiten erhofft sich die Transplantationsmedizin.
2) Doch auch ein toter menschlicher Organismus hat verfassungsrechtlich einen
Würdeschutz88. Zudem ist der grundrechtliche Persönlichkeitsschutz der betroffenen Frau zu achten sowie wohl auch derjenige des biologischen und zugleich
sozialen Vaters. Zugunsten der Frau sind namentlich die Einwilligungsregeln nach
Art. 5ff. Biomedizinkonvention zu beachten. Frei einwilligen in eine Weiterverwendung des abgetriebenen Embryos oder Fetus kann eine Frau jedenfalls frühestens, nachdem der Entscheid über den Schwangerschaftsabbruch feststeht89, sofern
die Frau in dieser Situation überhaupt frei und "aufgeklärt" ihre Zustimmung erteilen kann90. Es fragt sich gar, wie weit beim Notstand einer Abtreibungssituation
nicht Art. 6 und 7 Biomedizinkonvention betreffend Schutz einwilligungsunfähiger
oder psychisch gestörter Personen zu beachten sind. Zu prüfen ist auch, ob die Einwilligung nicht auch, entsprechend Art. 5 Abs. 3 Biomedizinkonvention, bis zur
Transplantation der Gewebe oder Zellen frei widerrufen werden kann91. Aus Verfassungs- und Völkerrecht ergibt sich keine Pflicht zur Vernichtung von noch le82
Wenn der Embryo oder Fetus nicht zerstört wurde, stellt sich die Frage, auf Grund welcher
Kriterien der Embryo bzw. der Fetus, dem das Gewebe entnommen wird, zum Zeitpunkt der
Gewebeentnahme als tot gelten kann (vgl. Hüsing et al. 2001, S. 172ff.). Da das Hirngewebe
noch lebt, das verwendet werden soll, gilt hier offenbar das Hirntodkriterium nicht.
83
Siehe Botschaft Transplantationsgesetz, BBl 2002 125ff. Ziff. 1.3.7.2; Mauron 1999, S. 269ff.;
Hüsing et al. 2001, S. 122ff.; Kap. 5.4.
84
Shamblott/Axelmann/Wang et al. 1998, S. 13726ff.
85
Siehe z. B. Cloning-Statement from the Danish Council of Ethics (2001), Appendix 1, I.2:
"Therapeutic cloning using eggs from aborted female fetuses".
86
Vgl. Wakayama/Tabar/Rodriguez et al. 2001, S. 740ff. zu entsprechenden Tierversuchen.
87
Koechlin Büttiker 1997, S. 197 m.w.H.
88
BGE 123 I 118ff. Erw. 4. Einlässlich zu den ethischen und rechtlichen Problemen der
Verwendung von abgetriebenen Embryonen und Feten: Augustin 2001, S. 176ff.
89
Vgl. in diesem Sinne Art. 36 Abs. 1 Entwurf Transplantationsgesetz.
90
Dazu Hüsing et al. 2001, S. 173/4; Augustin 2001, S. 176/7.
91
Ein Widerrufsrecht fehlt in Art. 38 Entwurf Transplantationsgesetz.
209
benden Organismusteilen. Die Beseitigung all dieses "Materials" darf aber nicht
würdewidrig erfolgen; eine betroffene Frau kann selbstredend (z. B. nach einem
Verlust eines Fetus) auch dessen Bestattung wünschen92. Sodann sind die Verbote
jeglichen Experimentierens mit Embryonen und Feten in vivo, auch wenn diese zum
Abort bestimmt sind93, zu beachten (dazu unten Kap. 8.4). Mit dem beschlossenen
Abbruch der Schwangerschaft darf nicht gewartet werden, um "günstigeres" Spendematerial zu erhalten94. Schließlich gelten die Kommerzialisierungsverbote (inkl.
Spendeverbote)95.
8.3
Allgemeine Bemerkungen zum Umgang mit so genannten
"überzähligen" Embryonen
1) Art. 119 Abs. 2 Bst. c 3. Satzteil BV bestimmt: "es dürfen nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden, als
ihr sofort eingepflanzt werden können"96. Dennoch gibt es bekanntermaßen auch in
der Schweiz so genannte überzählige, d. h. nicht mehr implantierbare, "chancenlose" Embryonen97. Wieviele solcher Embryonen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des FMedG noch existieren, ist unbekannt98; wie viele es nach dem
1. Januar 2000 jährlich gibt, kann nur geschätzt werden99. Solche Embryonen können stammen:
92
Spranger 1999a, S. 210.
93
Art. 29ff. FMedG.
94
Augustin 2001, S. 177.
95
Siehe Art. 119a Abs. 3 BV; Art. 36 Abs. 2 Entwurf Transplantationsgesetz; Ziff. 1.4. der
Medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW für die Transplantation fetaler menschlicher
Gewebe, vom 3. Juni 1998; Schweizer (2002), S. 35ff.; Schweizer 1995, Rz. 81-87 sinngemäß
zu Art. 119 Abs. 2 Bst. d und e BV.
96
Näheres Art. 17 FMedG; BGE 119 Ia 485 und 497.
97
Darauf verwies auch die Botschaft Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 226/7 und 266
Ziff. 22.041 und 322.33. Davon geht auch die Bundesverfassung stillschweigend aus, selbst
wenn sie deren Zahl möglichst klein halten will; vgl. zum entsprechenden Verständnis der
Verfassung z. B. aus der Debatte um Art. 24novies aBV AB NR 1991, S. 613 (Segmüller), S. 615
(Darbellay), S. 617 (BR Koller, der das Problem als "Sache des Gesetzgebers" bezeichnete);
das Parlament war allerdings 1991 mehrheitlich der Meinung, dass es aufgrund der strikten
Regelung von Abs. 2 Bst. c praktisch keine überzähligen Embryonen mehr geben sollte (so AB
SR 1991, S. 452 f. [Frau Simmen]). Aus der Debatte um das Fortpflanzungsmedizingesetz
siehe AB NR 1998, S. 1335 (Dormann). Vgl. schon Frank 1984, S. 365ff.
98
Schätzungen gehen Richtung 1000 kryokonservierte Embryonen (vgl. Botschaft zum
Embryonenforschungsgesetz vom 20. November 2002, Ziff. 1.4.3.1.2).
99
Das Bundesamt für Gesundheit rechnet mit etwa 100 pro Jahr (Botschaft zum Embryonenforschungsgesetz, Ziff. 1.4.3.1.2).
210
a) Aus Verfahren der Fortpflanzungshilfe vor 1992 resp. vor Inkrafttreten des
Fortpflanzungsmedizingesetzes am 1. Januar 2001, als z. T. noch voll entwickelte Embryonen über einen Zyklus für die Herbeiführung einer Schwangerschaft hinaus kryokonserviert100 aufbewahrt wurden. Nach Art. 42 Abs. 2
FMedG dürfen solche Embryonen allerdings längstens bis Ende 2003 aufbewahrt
werden; dann sind sie zu vernichten.
b) "Überzählige" Embryonen kann es geben, wenn vor der Implantation eine (gesetzeskonform) entwickelte Blastozyste Mängel zeigt, die eine Implantation des
Embryos medizinisch nicht angezeigt erscheinen lassen101. Das Ausscheiden
von schon auf Grund der Beobachtung mangelhaften, entwicklungsunfähigen
Embryonen ist selbstverständlich verfassungsrechtlich zulässig, wo es doch um
die Fortpflanzungshilfe geht102; allerdings müssen schon die Gameten geprüft
werden103.
c) Sodann kann der Tod, die Krankheit, ein Unfall oder der Rücktritt der Frau
vom Behandlungsverfahren legalerweise dazu führen, dass zwei oder drei entwickelte Embryonen nicht mehr implantiert werden können und so übrig bleiben.
d) Schließlich sind de facto so genannte "überzählige" Embryonen durch Import
erhältlich104.
Diese Möglichkeiten sind unvermeidbar, auch wenn in der Schweiz verfassungsrechtlich und (wenn die Schweiz die Biomedizinkonvention ratifiziert hat) auch
völkerrechtlich die Erzeugung und die Aufzucht von Embryonen zu anderen
Zwecken als denjenigen der Fortpflanzungshilfe verboten sind105, ja schon die
Erzeugung von mehr Embryonen als für einen Zyklus unbedingt nötig unzulässig
ist106.
100 Die Kryokonservierung ist das Tiefgefrieren von Zellen oder Zellverbänden in flüssigem
Stickstoff bis -196oCzum Zwecke der späteren Reaktivierung.
101 Näheres dazu Botschaft FMedG, BBl 1996 III 227 Ziff. 22.041.
102 BGE 119 Ia 486.
103 Zur Auswahl von Keimzellen siehe Art. 5 Abs. 1 und 2 FMedG; dazu Botschaft, BBl 1996 III
255ff. Ziff. 322.13.
104 Obwohl dies (wie unten dargelegt wird) gegen die gesetzlichen Verbote des Handelns, des
Spendens und des Konservierens verstößt (vgl. auch Schweizer 2002, S. 37ff.).
105 Siehe Art. 29 FMedG sowie Botschaft FMedG, BBl 1996 III 277/8 Ziff. 324.201.
106 Art. 119 Abs. 2 Bst. c letzter Teilsatz BV; Art. 17 FMedG; BGE 119 Ia 498.
211
2) Embryonen haben einen eigenen verfassungs- und völkerrechtlichen Würdeschutz sowie einen durch das Heranwachsen im Körper der Mutter und deren Persönlichkeitsrecht bedingten verfassungsrechtlichen Lebens- und Gesundheitsschutz,
wobei diese Grundrechtsgarantien noch durch gewisse Verbotsschranken (Verbote
der Keimbahneingriffe, der Chimären- und Hybridbildung, der Ektogenese, der
Drittspende und der Kommerzialisierung) abgesichert sind. Was ergibt sich daraus
für den Umgang mit so genannten "überzähligen" Embryonen107?
a) Ethische und rechtliche Auffassungen, die den Embryo als potentielle menschliche Person verstehen und ihm einen uneingeschränkten Würdeschutz zuerkennen,
betonen die Notwendigkeit, in vitro erzeugte Embryonen grundsätzlich der Entwicklung in einer Frau zuzuführen. Ungeachtet einer Stellungnahme zum moralischen oder rechtlichen Status des Embryos, ist es sicher zutreffend festzustellen,
dass die Verfassung und mit ihr das Fortpflanzungsmedizingesetz davon ausgehen,
dass die in vitro-Erzeugung von Embryonen nur im Konnex mit einer Fortpflanzungshilfe zulässig ist. Dennoch ist m. E. die Auffassung etwa von Christian Starck,
dass bei Embryonen, die der Frau, von der die Eizelle stammt, z. B. aus persönlichen oder medizinischen Gründen nicht mehr eingepflanzt werden können, "primär
in Betracht" käme, diese übriggebliebenen Embryonen einer anderen Frau zu spenden, die sich ein Kind wünscht und es auf natürliche Weise nicht empfangen kann,
nach Bundesverfassung unzutreffend. Die Verfassungsregelung von Art. 119 Abs. 2
beruht nicht auf der Vorstellung, dass bei Unmöglichkeit der Implantation in die
Ei-spendende Frau, primär eine "andere Gebärmutter" gesucht werden soll, in der
die "unbehausten" Embryonen "ihrem natürlichen Telos entsprechend sich entwickeln könnten" und erst danach Embryonen ohne irgendeine "Entwicklungschance" der Forschung zur Verfügung gestellt werden dürfen108. Eine solche
Auffassung widerspricht m. E. tendenziell schon der Würde und Selbstbestimmung der Frau109. Vor allem aber verbietet ja Art. 119 Abs. 2 Bst. d BV
auch die Embyronenspende110. Die Leitidee für diese Verfassungsschranke ist das
Kindeswohl; es soll (wie gesagt) kein Kind gezeugt werden, das nicht von
107 Vgl. auch hier das Bundesgericht in BGE 119 Ia 485: "Es stellt sich bei der in vitroFertilisation mit Embryotransfer allerdings die sehr ernsthafte Frage nach der Verwendung und
dem Schicksal von überzähligen Embryonen und den damit verbundenen Gefahren von
Missbräuchen".
108 Starck (2001), F.A.Z., Nr. 124, S. 55. Der im Nationalrat 1991 obsiegende Antrag der
Minderheit II (NR Zwingli), der zum letzten Satzteil von Art. 119 Abs. 2 Bst. c führte, hatte
(auch) nicht dieses Ziel, siehe AB NR 1991. S. 603 (Zwingli), 615 (Frey Walter) sowie z. B.
AB SR 1991, S. 451ff., (bes. Piller und Josi Meier).
109 Ebenso Herdegen 2001, S. 778.
110 Ebenso Art. 4 FMedG; dazu allerdings kritisch z. B. Thévoz/Mauron 1992, S. 52.
212
mindestens einem (sozialen) Elternteil auch abstammt111. Zudem spricht heute
zunehmend für diese Schranke, dass damit eventuelle Missbräuche eingedämmt
werden können, die aus den starken wissenschaftlichen und ökonomischen
Interessen an "überzähligen" Embryonen (z. B. für die Stammzellengewinnung)
erwachsen können112.
b) Wenn die Bundesverfassung (stillschweigend) von der (allerdings wenn immer
zu vermeidenden) Möglichkeit "überzähliger" Embryonen ausgeht, so stellt sich
auch die Frage, ob sie eine Pflicht zur Vernichtung dieser Embryonen stipuliert.
Eine solche Pflicht ergibt sich weder aus der BV noch aus dem Völkerrecht
(Art. 18 Biomedizinkonvention); sie vorzusehen bleibt dem Gesetzgeber überlassen.
Angesichts der strengen Bindung (Konnexität) der in vitro-Fertilisation an eine
konkrete Fortpflanzungshilfe und deren Zyklen bestimmt Art. 17 Abs. 2 FMedG,
dass entwickelte Embryonen notfalls noch, solange sie noch implantiert werden
bzw. sich einnisten können113, am Leben erhalten werden dürfen, im übrigen aber
nach Art. 17 Abs. 3 FMedG nicht aufbewahrt bzw. konserviert werden dürfen114.
Art. 42 Abs. 2 FMedG enthält eine übergangsrechtliche Aufbewahrungsbeschränkung für bereits von früher her vorhandene Embryonen. Was mit diesen von früher
her noch vorhandenen Embryonen (z. B. in der medizinischen Forschung) und der
trotz Art. 17 FMedG fallweise "überzähligen" Embryonen noch geschehen soll und
darf, kann und muss der Bundesgesetzgeber ordnen (unter Beachtung der erwähnten zwingenden Verfassungsschranken).
c) Es steht außer Frage, dass die bewusst strenge Verfassungsordnung zum Umgang
mit Embryonen in vitro, soweit zwingende Bestimmungen bestehen, nicht durch
Importe umgangen werden darf. Es soll grundsätzlich nach Inkrafttreten des von
Art. 119 BV geforderten Fortpflanzungsmedizingesetzes nur ganz ausnahmsweise
noch "überzählige" Embryonen aus der Fortpflanzungshilfe geben. Ein noch so eindringlich begründeter Bedarf an verbrauchender Forschung und Verwendung von
Embryonen kann ohne Verfassungsänderung nicht durch Importe (etwa von "überzähligen" Embryonen aus Drittweltländern) "befriedigt" werden, wenn auch nur
Zweifel bestehen, dass die Bedingungen über die Entstehung der Embryonen den
schweizerischen Verfassungsgrundsätzen nicht entsprechen. Dabei ist auch zu prüfen, ob der Import nicht schon gegen Art. 119 Abs. 2 Bst. e BV verstößt! "Das
Interesse und das Wohl des menschlichen Lebewesens haben" in jedem Fall "Vor111 Siehe Botschaft Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 253ff., Ziff. 322.12; Schneider F.
1994, S. 394; Schweizer 1995, Rz. 83; Ben-Am 1998, S. 84ff. Zur Ausrichtung am Kindeswohl
vgl. bes. Botschaft BBl 1996 III 249ff., Ziff. 322.11.
112 Vgl. BGE 119 Ia 486 und Art. 3 FMedG.
113 Also ab dem 5./6. Tag bis ca. Mitte 2. Woche.
114 Botschaft Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 264ff., Ziff. 322.32 und 322.33. Vgl.
auch BGE 119 Ia 497ff.
213
rang gegenüber dem blossen Interesse der Gesellschaft oder Wissenschaft" (Art. 2
Biomedizinkonvention). Im Sinne völker- und grundrechtlicher Schutzpflichten ist
es m. E. geboten, in einer kommenden bundesgesetzlichen Forschungsgesetzgebung
Bestimmungen gegen Umgehungen der Verfassungsschranken, etwa durch Importe,
vorzusehen.
8.4
Verbot der Erzeugung und der Aufzucht von Embryonen
in vitro und in vivo zu Forschungszwecken
Es sei hier der Klarheit wegen besonders betont: Die Erzeugung von Embryonen zu
Forschungszwecken oder zu sonstigen, gegenüber der Fortpflanzungshilfe fremden
Zwecken ist verfassungsrechtlich unzulässig (Art. 119 Abs. 2 Bst. c BV). Eingeschlossen ist darin das Verbot der Ektogenese115. Dies war schon der klare Wille
des Parlamentes in der Verfassungsgebung von 1990/1116. Der Bundesrat ist heute
auch der Auffassung, dass die Schweiz die entsprechende völkerrechtliche Pflicht
nach Art. 18 Abs. 2 Biomedizinkonvention (schon von Bundesverfassungs wegen)
vorhaltlos anerkennen soll und muss117. Entsprechend sind auch Aufzucht im Ausland und Import, ja sogar Spenden der Leibesfrucht einer Schwangeren zu Forschungszwecken, rechtswidrig (ungeachtet schon der Schranken von Art. 119
Abs. 2 Bst. d und e und sinngemäß von Art. 119a Abs. 3 BV).
8.5
Die umstrittene Forschung an Embryonen
1) Die wissenschaftliche Forschung, "verstanden als Methode zur Vertiefung und
Mehrung der Erkenntnisse"118, ist durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 20 BV sowie völkerrechtlich insbesondere durch die Meinungsfrei-
115 Art. 30 Abs. 1 FMedG.
116 Siehe z. B. AB SR 1990, S. 491 (BR Koller); AB NR 1991, S. 608 (Nabholz), S. 614
(Darellay), S. 616 (BR Koller). Näheres zur Entstehungsgeschichte bei Koechlin Büttiker 1997,
S. 97ff.
117 Botschaft Biomedizinkonvention, BBl 2002, S. 318 f. Ziff. 3.6.4: "Artikel 18 Absatz 2 des
Übereinkommens verbietet, menschliche Embryonen in vitro zu Forschungszwecken zu
erzeugen. Damit wird eine Instrumentalisierung menschlichen Lebens vermieden. Das Verbot
steht im Einklang mit Artikel 119 Absatz 2 Buchstabe c BV, den das Fortpflanzungsmedizingesetz in Artikel 29 noch strafrechtlich absichert." Dementsprechend steht außer Frage, hier
einen Vorbehalt anzubringen.
118 BGE 119 Ia 501 Erw. 12b.
214
heit nach Art. 10 EMRK und Art. 19 Abs. 2 UN-Pakt II gewährleistet119. Die wissenschaftliche Forschung kann sich grundsätzlich auf alle Bereiche erstrecken, wo
sich ein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn ergeben kann, ungeachtet dessen, ob
diese Forschung den herrschenden Wissenschaftsvorstellungen entspricht120. Dementsprechend beschäftigen sich auch legitimerweise verschiedene Wissenschaftszweige mit menschlichem Keim- und Erbgut, insbesondere auch mit Embryonen in
vitro, von der medizinischen Embryologie in vivo ganz zu schweigen, was vielfältige Fragen nach der Verantwortung und etwaigen Grenzen wissenschaftlicher Forschung aufwirft121.
2) Nun erweist sich, wie das Bundesgericht sagte, der grundrechtliche "Freiraum"
der Forschungsfreiheit "besonders problematisch" "auf dem Gebiete der medizinischen Biologie, wo elementare Verfassungsziele und die Menschenwürde (ihr) entgegenstehen können"122. Dementsprechend hat der Verfassungsgeber mit der Regelung von Art. 24novies Abs. 1 und 2 bzw. Art. 119 BV "materielle Vorgaben" und
"verfassungsrechtliche Leitlinien" (auch) für die Forschung am werdenden Leben
aufgestellt123. Mit diesen Verfassungsnormen wurde die wissenschaftliche Forschung in dem oben angesprochenen Bereiche nicht untersagt, aber es wurden ihr
"weitgehende Grundrechtsschranken und Verantwortungen" auferlegt124. Grundrechtstheoretisch betrachtet, ließe sich auch sagen, dass die Bundesverfassung mit
den (nachfolgend 3) genannten zwingenden Verboten den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit eingegrenzt hat125 und dass das Völkerrecht auch dahin tendiert126. Daneben kann und soll (in einem vertretbaren Maße) der Gesetzgeber ver-
119 Näheres Botschaft Bundesverfassungsrevision, BBl 1997 I 164/5; Auer/Malinverni/Hotellier
2000, S. 291ff.; Schwander 2002, Kapitel 3, S. 53ff.; zur früheren Rechtslage z. B. Haller 1981,
S. 125ff.; Koechlin Büttiker 1997, S. 11ff.
120 Beispielhaft Urteil EGMR vom 25.8.1988 i.S. Hertel vs. Schweiz, Rec. 1998-IV, S. 2298ff.;
schwer verständlich ist m.E. dann allerdings die Reaktion des Bundesgerichts in BGE 125 III
185ff.
121 Dazu z. B. Losch 1993, bes. S. 319 ff; Iliadou 1999, S. 79 f.; Schwander 2002, S. 177ff., bes.
212ff.
122 BGE 119 Ia 501 Erw. 12c; ebenso schon BGE 115 Ia 269ff.
123 BGE 119 Ia 502 Erw. 12d.
124 Schweizer 1995, Rz. 36; siehe auch Koechlin Büttiker 1997, S. 56ff., 100ff.; Luchsinger 2000,
S. 71ff.; Schwander 2002, S. 212ff.
125 Anderer Auffassung Schwander 2002, S. 214ff., die die verfassungsrechtlichen Verbote (nur)
als Schranken der Wissenschaftsfreiheit versteht.
126 Aufzucht von Embryonen allein zu Forschungszwecken ist also m.E. keine Einschränkung der
Wissenschaftsfreiheit im Sinne von Art. 36 BV, sondern ist auch für ForscherInnen außer
Diskussion. Vgl. BGE 119 Ia 502 Erw. 12e.
215
fassungskonforme Beschränkungen vorsehen, entsprechend der Ziele von Art. 119
Abs. 2 i.pr. BV, wenn "Missbräuche" zu befürchten sind127.
3) Im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen war und ist die Forschung an
Embryonen in vitro besonders umstritten.
a) Deutlich machen dies die parlamentarischen Debatten sowie der Diskurs in und
mit den medizinischen Forschungsinstanzen. Bei der parlamentarischen Ausarbeitung von Art. 24novies BV (als Gegenvorschlag zur Beobachterinitiative) gab es
Voten, wonach die Forschung an Embryonen explizit zu verbieten sei128. Andere
brachten zum Ausdruck, dass die geplante Verfassungsnorm bereits ein Forschungsverbot am Embryo enthalte129. Bundesrat und Parlamentsmehrheit bekräftigten (mindestens) das Verbot der Erzeugung oder Aufzucht von Embryonen zu
Forschungszwecken130. Die eidgenössischen Behörden stellten bei ihren Entscheidungen 1990/91 namentlich auf den Bericht der Expertenkommission Humangenetik und Reproduktionsmedizin (Bericht der Kommission Amstad) vom 19. August
1988 ab, der offen ließ, ob Forschungen am Embryo in vitro überhaupt zuzulassen
seien, und wenn, dafür strenge Kontrollen forderte131, sowie auf die medizinischethischen Richtlinien der SAMW für die ärztlich assistierte Fortpflanzung vom
31. Dezember 1990132, welche in Ziff. 11 bestimmte: "Menschliche Embryonen
dürfen nicht als Forschungsobjekte verwendet werden"133.
b) Die politische, öffentliche Auseinandersetzung um die Zulässigkeit und die
Grenzen der Forschung an Embryonen brach erneut aus, als die eidgenössischen
Räte das Fortpflanzungsmedizingesetz behandelten. Der Bundesrat hatte sich in
der Botschaft vom 26. Juni 1996 verschiedenenorts zur Verantwortung, zur Kon127 Zum spezifischen Begriff der "Missbräuche" nach Art. 119 Abs. 1 BV siehe Schweizer 1995,
Rz. 16.
128 AB NR 1991, S. 563 (Seiler); S. 567 (Nussbaumer).
129 AB NR 1991, S. 613, Frau Segmüller: "Andere Ängste, die geäussert wurden: Forschung an
überzähligen Embryonen. Dafür werden wir eine restriktive Gesetzgebung machen, weil ja in
der Verfassung – so, wie wir das vorsehen – bereits das Forschungsverbot an Embryonen
enthalten ist. Auch das Verbot der Verwendung von Keimzellen Verstorbener, das alles ist
unbestritten ..."; siehe Koechlin Büttiker 1997, S. 100ff. Auch das Bundesgericht hatte diese
Auffassung: "Mit der heutigen Verfassungsnorm ging es dem Verfassungsgeber darum,
Missbräuche mit so genannten überzähligen Embryonen zum vorne herein zu unterbinden"
BGE 119 Ia 488.
130 AB NR 1991, S. 616 (BR Koller).
131 Siehe BBl 1989 III 1131ff.
132 Diese Richtlinie wurde durch das FMedG weitgehend obsolet und deshalb unlängst aufgehoben.
133 Auch der Zentralverband der FMH betonte, dass experimentelle Forschung am Embryo, die
sein Erbgut verändern oder seine körperliche Integrität beeinträchtigen, abzulehnen seien.
216
trolle und zu den Schranken wissenschaftlicher Forschung geäußert134. Der Bundesrat wies auf die Komplexität der Probleme der rasanten wissenschaftlichen Entwicklung hin: "Der sich beschleunigende wissenschaftliche Fortschritt und die heutigen technologischen Möglichkeiten in der Humanmedizin haben ihre Kehrseite,
indem sie einen Konflikt zwischen Können und Sollen auslösen können und nicht
einfach Interessenabwägungen vorzunehmen sind. Ärztinnen und Ärzte, Forscherinnen und Forscher und andere im Bereich der Humanmedizin tätige Personen sehen sich damit mit neuen, grundlegenden ethischen Fragen konfrontiert...."135.
Nicht zuletzt deshalb plädierte der Bundesrat auch für die Einsetzung einer Nationalen Ethikkommission (siehe Art. 28 FMedG). Gleichzeitig unterstrich der Bundesrat aber auch die Unzulässigkeit der Erzeugung von Embryonen zu irgendwelchen "fremdnützigen" Zwecken, und wären dies "noch so 'hochrangige' Forschungsinteressen" (vgl. Art. 30 FMedG)136. Im Ständerat stellte aber SR Thomas
Onken, im Nationalrat NR Hans Widmer mit einer Kommissionsminderheit je den
noch weitergehenden Antrag: "Menschliche Embryonen dürfen nicht als Forschungsobjekte verwendet werden"137. Dabei wurde namentlich kritisch vorgebracht, dass 1990 seitens der SAMW jegliche Forschung an Embryonen als unzulässig galt, jetzt aber finde eine "verfängliche Aufweichung" statt, wie Ständerat
Onken sagte: "Denn zugelassen werden soll eine therapeutische Forschung, das
wäre eine Forschung, die, medizinisch begründet, zugunsten eines bestimmten
Embryos unternommen wird, um seine Chancen zu verbessern, um sein Leben zu
verlängern. Es handelt sich, wie die Akademie schreibt, um eine 'gezielte Lockerung, um Betroffenen die Fortschritte der Medizin nicht vor zu enthalten'. Das heisst
mit anderen Worten, in Zukunft soll es doch Embryonenforschung geben. Es soll
zwischen einer erlaubten und einer unerlaubten Forschung am menschlichen Embryo unterschieden werden, zwischen einer zulässigen, begleitend-beobachtenden
Forschung zugunsten des Embryos und einer unzulässigen, vielleicht sogar verwerflichen Forschung, die dieses eng umrissen verantwortbare Feld der therapeutischen Forschung verlässt". Gemäß einem Schreiben der SAMW an den Bundesrat
gelte: "Mit jeder Manipulation am Embryo, von welcher der Forscher weiss oder
wissen müsste, dass sie nicht diesem Embryo dienen kann, betritt der Forscher unter
der Herrschaft unserer Richtlinien von 1985 und 1990138 verbotenen Boden". Dem
fügte SR Onken an: "Das, meine ich, ist der Anfang vom Ende des Verbotes, denn
der Verlauf zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem wird vage, wird fliessend. Die
Grenzziehung ist nicht kontrollierbar, die erlaubten Eingriffe lassen sich wohl nie
134 Vgl. Botschaft Fortpflanzungsmedizingesetz, BBl 1996 III 275ff. etwa Ziff. 323 und 324.
135 Botschaft FMedG, BBl 1996 III 275 Ziff. 323.1.
136 Botschaft FMedG, BBl 1996 III 277/8 Ziff. 324.201.
137 AB SR 1997, S. 685 (Onken); AB NR 1998, S. 1333/4 (Hans Widmer).
138 Sc. zur assistierten Fortpflanzung.
217
konsensfähig definieren"139. Die (deutliche) Mehrheit des Ständerates und eine
(knappe) Mehrheit des Nationalrates lehnten die oben genannten Minderheitsanträge ab und vertrauten Bundesrat und Kommissionsmehrheit, wonach das FMedG
klare und enge Schranken der Forschung setze: es verbiete verändernde Eingriffe
ins Erbgut bei Forschungen an Embryonen, sodann das Ablösen einer oder mehrerer
Zellen von einem Embryo in vitro, das Klonen von Embryonen, die Chimären- und
die Hybridbildung sowie die Ektogenese außerhalb des Körpers der Frau140. Nationalrätin Dormann machte allerdings noch deutlich, dass – selbst wenn eine nichttherapeutische Forschung141 und eine Grundlagenforschung am Embryo in vitro,
das zu Implantation bestimmt sei, außer Diskussion stehe − doch das Problem bestehen bleibe, wie weit an überzähligen Embryonen "mindestens Grundlagenforschung (z. B. über krankhafte Entwicklungen von Embryonen)" zulässig sein soll,
ein heikles Problem, das (gemäß ihrer Motion142) nur der Gesetzgeber lösen
könne143.
c) Die jüngst eingereichten parlamentarischen Vorstöße zeigen, dass die wissenschaftlichen Entwicklungen zu einer weiteren Runde der politischen Debatte über
die Forschung an Embryonen geführt haben144. Diskutiert werden sollte heute auch,
139 AB SR 1997, S. 685. Vgl. skeptisch gegenüber der Position der SAMW auch SR Gemperli, AB
SR 1997, S. 686.
140 BR Koller, AB SR 1997, S. 687; DERS., AB NR 1998, S. 1336.
141 Von der Arbeitsgruppe Amstad und danach von der Studiengruppe von Prof. H.-P. Schreiber
als "verbrauchende Forschung" bezeichnet, vgl. Bericht Biomedizinische Forschung am
Menschen (1995), S. 15ff. Kritisch zum Terminus äußerte sich NR Guisan: "La notion de
'verbrauchende Forschung' introduite par le rapport Schreiber sur la recherche appliquée à
l'homme, par opposition à la 'therapeutische Forschung' se laisse mal traduire en français. Veuton parler de 'recherche utilitaire' dépourvue de tout respect pour la vie, par opposition à la
'recherche thérapeutique' qui l'est par la définition? Quoiqu'il en soit, la majorité de la
commission est d'avis qu'une certaine prudence est effectivement nécessaire en la matière" (AB
NR 1998, S. 1336).
142 Motion 97.3623.
143 AB NR 1998, S. 1335.
144 Vgl. Parlamentarische Initiative Dormann (01.441 Pa.Iv.) vom 17. Sept. 2001: Verbot der
verbrauchenden Forschung an Embryonen, Moratorium; Interpellation der Grünen Fraktion
(01.3436) vom 18 Sept. 2001: Menschliche Embryonen als Rohstoff für die Forschung;
Interpellation Gutzwiller (01.3530) vom 4. Okt. 2001: Stammzellenforschung, Übergangsregelung; Motion Walter Schmied (01.3531) vom 4. Okt. 2001: Dringliches Bundesgesetz über
die Einfuhr von embryonalen Stammzellen. Motion Dunant (01.3700) vom 3. Dez. 2001:
Forschung an embryonalen Stammzellen; Interpellation Gutzwiller (02.3197) vom 17. April
2002: Überzählige Embryonen und Stammzellenforschung; Motion Gutzwiller (02.3335) vom
20. Juni 2002: Forschung an embryonalen Stammzellen und Fortpflanzungsmedizingesetz;
Interpellation Langenberger (02.3550) vom 2. Oktober 2002: Stammzellenforschung und
Präimplantationsdiagnostik. Politische und juristische Unklarheiten?; s. auch Kap. 9.3.1.
218
warum die Positionspapiere der SAMW145 und des Schweizerischen Nationalfonds
(SNF)146 die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen
nicht nur für wissenschaftlich notwendig, sondern auch für ethisch vertretbar halten.
4) Das Bundesgericht hat sich 1993 in seinem Leitentscheid zur Normenkontrolle
des Basler Reproduktionsmedizingesetzes auch mit Möglichkeiten und Grenzen
der Forschung an Embryonen auseinandergesetzt. Es führte dazu u. a. aus:
"Die Beschwerdeführer147 anerkennen denn auch selber, dass für lebende Embryonen und Feten gefährliche bzw. gesundheitsschädliche oder zerstörende Forschung
verboten sein soll bzw. verfassungsrechtlich verboten werden könne. [...] Das gilt
auch für die Forschung an Teilen von lebenden Embryonen oder Feten, soweit die
Herauslösung von solchen gesundheitsschädigende oder zerstörende Wirkung zeitigt. Weitere Grenzen ergeben sich ferner aus [...] (weiteren) Verboten. [...] Demgegenüber erscheint die Forschung an Embryonen und Feten in einem anderen Lichte,
soweit es sich um deren Beobachtung bzw. um Forschungsuntersuchungen handelt.
Die Beobachtung und das Verfolgen der Entwicklung eines Embryos in vitro, welche bereits als Forschung bezeichnet werden können, dienen dessen Gesunderhaltung und können darauf abzielen, bessere Bedingungen für die Entwicklung zu
schaffen. Eine solche Tätigkeit ist mit der Würde des Menschen, welche schon dem
Embryo in vitro zukommt, durchaus vereinbar (vgl. Art. 24novies Abs. 1 und 2 BV).
Bei solchen Vorgängen wird die heranwachsende Frucht nicht 'verbraucht' und
nicht in unwürdiger Weise instrumentalisiert. In diesem Rahmen steht einer Forschung an lebenden Embryonen oder Feten aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts
entgegen"148.
Das Bundesgericht stellte klar, dass Forschungen an Gameten149 sowie an einzelnen Zellen und Geweben von Embryonen und Feten zulässig sind150. An lebenden
Embryonen oder Feten (in vitro und in vivo) aber darf es keine Forschung geben,
die gesundheits- oder lebensgefährlich ist, die die Embryonen und Feten zerstört bzw. die zum Leben bestimmten Embryonen und Feten "instrumentali-
145 Positionspapier der Zentralen Ethikkommission der SAMW vom 26. August 2001. Eine
Minderheit dieser Ethikkommission erachtete auch das so genannte therapeutische Klonen zur
Stammzellengewinnung für vertretbar.
146 Positionspapier des SNF zur Verwendung von menschlichen, embryonalen Stammzellen in der
biomedizinischen Forschung, vom 28. September 2001.
147 Darunter FortpflanzungsmedizinerInnen.
148 BGE 119 Ia 502/3 Erw. 12e.
149 BGE 115 Ia 234; 119 Ia 500.
150 Vgl. BGE 119 Ia 499/500 Erw. 12a.
219
siert"151. Nicht explizit Stellung genommen hat das Gericht zur (z. B.) vom
Schweizerischen Nationalfonds vertretenen Auffassung, dass sich bei allenfalls
überzähligen Embryonen, "die ohnehin dem Tod geweiht sind", "die Problematik
der Instrumentalisierung menschlichen Lebens in ungleich vermindertem Masse"
stellt "und der Lebensschutz [...] ohnehin versagen" muss152.
5) Zusammenfassend ergibt sich aus Art. 119 Abs. 2 BV nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Zweck sowie nach der Verfassungspraxis des Bundesgesetzgebers
und des Bundesgerichts seit 1992 folgendes zur wissenschaftlichen Forschung an
Embryonen und Feten in vitro und in vivo:
a) Die Forschungsbedürfnisse sind grundsätzlich anerkannt, gerade auch, wo sie
der Verbesserung der Fortpflanzungshilfe und einer gesunden Entwicklung von
Embryonen und Feten dienen153.
b) Gewisse Tätigkeiten allerdings, insbesondere die Erzeugung (z. B. aus
kryokonservierten, überzähligen imprägnierten Eizellen) und die anschließende
Aufzucht von Embryonen zu Forschungszwecken, sind nicht nur verboten,
sondern jedenfalls nach einem Teil der Lehre gemäß der schweizerischen
Verfassungsordnung außerhalb des Schutzbereiches der grundrechtlichen
Wissenschaftsfreiheit. Sie unterliegen nicht nur Einschränkungen, sondern sind
nach der Bundesverfassung außer Diskussion.
c) Forschungen, die beobachtender Natur sind, oder therapeutische Forschungen,
die für den Embryo in vitro weder gesundheits- oder lebensgefährlich sind noch
ihn töten, sind zulässig. Sinngemäß gilt dies auch für Embryonen und Feten in
vivo (z. B. bei der pränatalen Diagnostik oder einer Fetaltherapie). Die verfassungsrechtlichen und auch völkerrechtlichen Leitschranken dieser Forschungen
sind namentlich die Wahrung der Identität und Integrität des Erbgutes, die Wahrung der physischen und (jedenfalls beim Fetus) auch psychischen Integrität sowie der Lebensschutz.
d) Problematisch und strittig sind Forschungen an so genannten "überzähligen"
Embryonen, besonders wenn sie diesen schädigen oder zerstören. Diese Frage
muss auf jeden Fall der Bundesgesetzgeber lösen. Da es nach Entstehungsgeschichte und bisheriger Verfassungspraxis eigentlich praktisch keine so genannten "überzähligen" Embryonen mehr geben darf, kann man – gerade auch wenn
151 BGE 119 Ia 500 und 503.
152 Positionspapier des SNF vom 28. Sept. 2001.
153 Die parlamentarischen Debatten von 1995/9 bzw. 1997/9 vermitteln übrigens nicht den
Eindruck, die Bundesversammlung sei forschungsfeindlich, doch wollte sie höchste Vorsicht
walten lassen.
220
man das Instrumentalisierungsverbot bedenkt – der Ansicht von Angela Augustin folgen und sagen, dass jedenfalls nach Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes "überzählige" Embryonen zu vernichten sind154. Der Bundesgesetzgeber kann aber auch Regeln für den weiteren Umgang mit nicht mehr implantierbaren Embryonen aufstellen. Dadurch würde er sich an ethische Vorstellungen anlehnen, die für die Transplantationsmedizin gelten, wo in Grenzfällen irreversibel, unwiderruflich dem Tod bestimmte Personen (non heart beating persons) oder unwiderruflich als tot festgestellte Personen für die Gewinnung von
Organen und Geweben und für besondere Forschungen und Nutzungen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings müssen dann, da die Embryonen noch leben,
alle noch einschlägigen Verfassungsschranken (wie z. B. das Verbot der Ektogenese oder die Verhinderung missbräuchlicher Gewinnung) beachtet werden155.
e) Sofern verbrauchende Forschung an so genannten "überzähligen" Embryonen
zugelassen wird, muss auch die Frage der Aufbewahrung solcher Embryonen
gesetzlich näher geregelt werden. Grundsätzlich ergibt sich ja aus der BV ein
Verbot der Aufbewahrung der befruchteten Eizelle nach der Kernverschmelzung
(seltene kurzfristige Ausnahmen in einem einzelnen Verfahren mögen vorbehalten bleiben)156. Werden aber Embryonen abgetrennt vom Fortpflanzungsverfahren als "überzählige" der Forschung zugeführt, so kann in deren Interesse mit
bestimmten Sicherungen auch eine befristete Aufbewahrung zugelassen werden.
f) Sofern Forschungsarbeiten an so genannten "überzähligen" Embryonen zugelassen werden, sind der Stand der Forschung, die Hochrangigkeit der Forschungsziele und die Unerlässlichkeit der Untersuchung im Einzelfall zu prüfen und die
Einwilligung der Eltern sowie die Aufsicht über die Forschung zu regeln (s. dazu
unten Kap. 8.7 und 8.8).
154 Angela Augustin meint deshalb: "Sowohl die Art. 119 Abs. 2 Bst. c BV als auch das
Fortpflanzungsmedizingesetz verbieten – jedenfalls den Mittelweg gehend – die Herstellung
von Embryonen, die nicht im Mutterleib implantiert werden sollen. Das kann man dahin
interpretieren, dass auch rechtswidrig erzeugte aber nicht implantierte Embryonen auch nicht
zu irgendetwas anderem verwendet werden dürfen. Fraglich ist aber, was mit früher erzeugten
Embryonen geschehen darf und soll, deren Existenz der zuständigen Bundesstelle gemeldet
werden musste" (Augustin 2001, S. 174/5).
155 Vgl. hier auch die Empfehlung der Mehrheit im Bericht der Studiengruppe "Forschung am
Menschen" (Studiengruppe Prof. H.-P. Schreiber 1995), S. 18. Der Bericht handelte allerdings
die Bundesverfassung und die Verfassungspraxis sehr kursorisch ab.
156 Dazu Botschaft FMedG, BBl 1996 III 266 Ziff. 322.33 am Ende.
221
8.6
Verbot des Klonens
1) Folgende Arten des Klonens sind zu unterscheiden:
a) "Ein Klon ist eine Gruppe genetisch identischer, also erbgleicher Organismen.
Klone entstehen auf einfachste Weise durch Zweiteilung, auch vegetative Vermehrung genannt"157. Bekanntermaßen gibt es auch bei Menschen Zwillingsbildung
(ca. 1% der lebenden Menschen sind Zwillinge), wobei etwa 20 % der Zwillinge
eineiig (monozygot), also Klone sind, mit identischem Genotyp, aber häufig recht
unterschiedlichem Phänotyp158. Künstlich können menschliche Klone namentlich
1. durch Teilung eines Embryos mit noch totipotenten Zellen, und möglicherweise
auch 2. durch Nucleustransfer (Kerntransfer), aus einer embryonalen, aus einer
fötalen Zelle oder auch aus einer differenzierten somatischen Zelle einer Person, in
eine entkernte Eizelle erzeugt werden159.
b) Vom Erzeugen menschlicher Klone zu unterscheiden sind 1. Klonierungen von
einzelnen Zellen, und 2. (in einer anderen Perspektive) die Verwendung von Gameten oder embryonalen oder fötalen Zellen in der Klonierungstechnik160. Zur
Klonierung von Zellen ist zu bemerken, dass die Klonierungstechnik in der Zellbiologie geläufig ist; z. B. werden menschliche Blutzellen (ungeschlechtlich) so
vermehrt. Zu 2. sind die oben in Kap. 8.1 erwähnten rechtlichen Aspekte der Verwendung von so genanntem menschlichem, insbesondere embryonalem oder fötalem "Material" zu beachten.
2) Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten ist das Klonieren durch die Methode
des Kerntransfers nach dem so genannten "Dolly-Prinzip", um auf diese Weise
ntES-Zellen gewinnen zu können, die zu einem bestimmten Zelltyp differenziert
würden, welcher (weil mit dem Zellkernspender weitgehend genidentisch) als
Transplantat kaum riskierte, abgestoßen zu werden (s. auch Kap. 4.3)161. Unlängst
sind erstmals Wissenschaftler zu einem solchen Experiment mit menschlichen Zellen gestanden und haben über diesen "first human embryo clone" berichtet162. Für
therapeutische Zwecke wird diese Art des Klonens zum Teil in einzelnen Staaten
befürwortet163, obwohl sie "Herstellung und Verbrauch" von Embryonen für an157 Eser/Frühwald/Honnefelder/Markl/Reiter/Tanner/Winnacker 1997, S. 358.
158 Eser et al. 1997, S. 358.
159 Näheres s. Kap. 4.3 sowie z. B. bei Rendtorff et al. 1999, S. 5ff.
160 Vgl. Botschaft Biomedizinkonvention, BBl 2002 327ff. Ziff. 5
161 Für viele z. B. Rendtorff et al. 1999, S. 14ff.; Knoepfler/Haniel/Simon 2000, S. 21ff.
162 Cibelli/Kiessling/Cunniff et al. 2001, S. 25ff.
163 Z. B. in Großbritannien: Royal Society, Statement January 1998: "Wither Cloning?";
einschränkender allerdings jetzt dies.: Statement von 2000 "Therapeutic cloning, A Submission
by the Royal Society to the Chief Medical Officers Expert Group". Dies., "Stem Cell research
222
dere Zwecke als eine Fortpflanzung bedeutet und obwohl sie entwicklungsbiologisch, wie sich immer deutlicher zeigt, als "unnatürlich", "programmwidrig" angesehen wird164. Von den regelmäßig festzustellenden genetischen Defekten165, den
vielen Fehlgeburten und von den enormen Gesundheitsrisiken für eventuell sich
entwickelnde Kinder bei der ja unzulässigen Aufzucht solcher humaner Klone muss
hier gar nicht gesprochen werden166.
Zur Rechtfertigung dieser Klonmethode wird u. a. geltend gemacht, dass hier eigentlich gar keine Fertilisation, keine Befruchtung einer Eizelle stattfinde, da ja ein
schon diploider Kern transplantiert wird; und da diese Klonierung nur in therapeutischer Absicht erfolge, so stünden keine Bedenken aus Sicht des Schutzes der Würde
und des Lebens von Embryonen entgegen. Auf dieses Argument hin ist nur schon
zu bemerken, dass ein solcher Klon, würde er in eine Frau implantiert und würde er
sich trotz aller Schwierigkeiten dort entwickeln, nach der Geburt sehr wohl ein
Mensch wäre. Arbeiten mit Klonen aus Nukleustransfer sind demnach auch unzulässige Forschungen mit menschlichen Lebewesen bzw. unverantwortbare Menschenversuche. Der rechtliche Status kann nicht nach den Absichten Dritter variieren167; in rechtlicher Sicht sind das reproduktive Klonen und das so genannte therapeutische Klonen gleich zu behandeln168.
3) In therapeutischer Absicht wird auch experimentiert mit der Parthenogenese
(Jungfernzeugung). Dabei wird eine weibliche Eizelle (Oozyte) ohne Befruchtung
durch Sperma so aktiviert, dass sich ihr Chromosomensatz verdoppelt und sie sich
zu entwickeln beginnt. Das wurde jüngst auch mit menschlichen Eizellen versucht,
ohne dass allerdings Blastozysten mit Embryoblasten entstanden169. Ob diese Methode ethisch und rechtlich vertretbarer erscheint als Klonieren, ist, weil fraglich ist,
ob sich ein parthenogenetisch erzeugter "Embryo" überhaupt richtig entwickeln
kann, in verfassungsrechtlicher Perspektive sehr zu bezweifeln.
4) Die verfassungsrechtliche Beurteilung jeder Methode künstlichen Klonierens,
diene diese reproduktiven oder therapeutischen Zwecken, ist eindeutig: Art. 119
Abs. 2 Bst. a BV verbietet, wie es seit 1999 sogar ausdrücklich heißt, "alle Arten
and therapeutic cloning: an update" vom November 2000, sowie: "second update" vom Juni
2001.
164 Siehe z. B. Rendtorff et al. 1999, S. 17ff.; Nüsslein-Volhard 2001, S. 55.
165 Vgl. neustens Eggan/Akutsu/Jaenisch et al. (2001).
166 Siehe Jaenisch/Wilmut 2001, S. 2552 f.; Rehmann-Sutter 2001, S. 1532 f.; Kap. 4.3.2.
167 Schöne-Seifert 2002, bes. S. 102/3.
168 A.A. offenbar Luchsinger 2000, S. 252/3: Mit dieser Klonmethode werde nie ein lebensfähiger
Klon entstehen.
169 Cibelli/Grant/Chapmann et al. 2002b, S. 819.
223
des Klonens" (sc.) von menschlichen Keimzellen und Embryonen170/171. Es steht
außer Frage, dass damit in der Schweiz gerade auch ein so genanntes "therapeutisches" Klonen durch Nucleustransfer verhindert werden sollte172. Verfassungsrechtlich unzulässig ist schließlich auch, Frauen als "Eizellen-Lieferantinnen" zu
behandeln (Art. 8 Abs. 3, Art. 119 Abs. 2 Bst. e BV).
5) In vielfältiger Weise spricht sich zunehmend auch das Völkerrecht gegen künstliche Klonierungen zur Erzeugung menschlicher Lebewesen aus. Schon aus der
Biomedizinkonvention ergibt sich aus Art. 1 betreffend den Schutz der "Identität
aller Menschen" in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 betreffend das Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken und Art. 13 betreffend das Verbot
der Veränderung des Genoms von Nachkommen implizit die Unzulässigkeit mindestens des reproduktiven Klonens von Embryonen173. Zudem hat der Europarat
1998 das (1.) Zusatzprotokoll zum Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen
verabschiedet, das nach Art. 1 jede Intervention verbietet, die darauf gerichtet ist,
ein menschliches Lebewesen zu erzeugen, das mit einem anderen lebenden oder
toten menschlichen Lebewesen genetisch identisch ist174/175. Der Bundesrat hat das
Protokoll (wie erwähnt) jetzt zusammen mit der Hauptkonvention den Räten zur
Ratifikation zugeleitet176. Neben diesen Normen seien noch erwähnt: die
UNESCO-Deklaration über das menschliche Genom und Menschenrechte vom
11. November 1997, die in Art. 11 das Klonen von Menschen als potentiell menschenunwürdige Praktik ächtet177, oder Art. 3 Abs. 2 4. Lemma der EU-Grundrechte-Charta, wo mindestens das reproduktive Klonen des Menschen verboten
wird.
170 Vgl. Entwurf Verfassungskommission NR, vom 21. November 1997; Entwurf
Verfassungskommission SR, vom 27. November 1997; AB NR 1998, S. 342 (BR Koller).
171 Das Klonierungsverbot ergab sich schon aus Art. 24novies Abs. 2 aBV sowie Art. 36 FMedG.
172 So AB NR 1998, S. 342 (Vallender). Botschaft Biomedizinkonvention, BBl 2002, S. 328 Ziff.
5. Schwander 2002, S. 215/6. Das Bundesgericht hatte übrigens schon 1993 auf diese
bedenkliche Technik hingewiesen (BGE 119 Ia 470).
173 Siehe Winter, Europäisches Protokoll zum Verbot des Klonens, 2001c, S. 81/2 Rdnr. 177/8;
Miklos 2002, S. 133ff.
174 Nicht verboten ist das Klonen von Genen der menschlichen mitochondrialen DNA (Herdegen/
Spranger 2000, Rdnr. 59).
175 Dass das Zusatzprotokoll auch das so genannte therapeutische Klonen verbietet, denken z. B.
auch Herdegen/Spranger 2000, Rdnr. 60, und Miklos 2002, S. 134ff.
176 Botschaft Biomedizinkonvention BBl 2002 275/6 (Ziff. 1.3) und 327ff. (Ziff. 5). Näheres zum
Zusatzprotokoll im Rapport explicatif von 1998; Herdegen/Spranger 2000, S. 23ff. Rdnr. 55ff.;
Winter 2001, S. 79ff. Rdnr. 173.
177 Siehe Fulda 2001, S. 196ff. Rdnr. 504ff., bes. 512; Winter 2001, S. 83 Rdnr. 181.
224
6) Die ethischen und rechtlichen Argumente gegen oder für das Klonen, auch
das so genannte "therapeutische" Klonen, sind vielfältig178/179. Aus der Fülle der
Argumente, die in verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend gegen "jede Art des
Klonens" sprechen, sind hervorzuheben: Menschliches Leben wird, in welcher Lebensphase und in welchem Gesundheitszustand es sich auch befindet, um seiner
selbst willen geachtet und geschützt. Es soll dabei namentlich seine Einmaligkeit
und einzigartige Identität geachtet werden. Menschliches Leben soll nicht zu irgendeinem Zweck – außer seiner Existenz – entwickelt, "gezüchtet" oder "genutzt"
werden180. Man muss sich von daher fragen, ob letztlich das Klonieren von Embryonen nicht ein fundamentales Tabu des Menschen, ein Tabu wie das Verbot des
Inzestes zwischen einem Elternteil und einem Kind oder zwischen leiblichen Geschwistern oder eines wie das Verbot des Kannibalismus verletzt. Sicher, käme ein
wie ein immer geklonter Fetus zur Welt, würde er (wie ein Inzest-Kind) uneingeschränkt als Mensch anerkannt. Doch darf es gesellschaftlich und rechtlich nicht so
weit kommen.
7) Da aus ethischen und rechtlichen Gründen die Gewinnung von embryonalen
Stammzellen keineswegs unproblematisch ist und deren Entwicklung zu verschiedenen Zelltypen noch viele wissenschaftliche Probleme stellt, sollen auch Forschungen mit adulten Stammzellen gefördert werden. Deren Potenziale sind noch
offen181. Immerhin gelang es unlängst, ausdifferenzierte Zellen wieder zu stammzellenähnlichen Zellen zurück zu entwickeln182. Aufhorchen lassen zudem die Forschungen an so genannten multipotenten adulten Vorläuferzellen (MAPCs) aus
Knochenmark, die langlebig und sehr differenzierungsfähig sind183.
178 FRANKREICH: Comité Consultatif National d'Ethique: Avis No 54, 22 avril 1997, Réponse au
Président de la République au sujet du clonage réproductif; avis No 67 du 18 janvier 2001 sur
l'avant-projet des lois de bioéthique; BELGIEN: Comité consultatif de Bioéthique de Belgique:
Avis No 10 du 14 juin 1999 concernant le clonage humain réproductif: DÄNEMARK: CloningStatement from the Danish Council of Ethics, vom Januar 2001; USA: Senat, 107th Congress,
1st Session H.R. 2505: Human Cloning Prohibition Act, vom August 2001.
179 Vgl. aus der Literatur z. B. Rendtorff et al. 1999, S. 4ff.; Knöpfler/Haniel/Simon 2000, S. 37ff.;
einlässlich Rehmann-Sutter 2001a-2001d, S. 983ff., 1214ff., 1530ff., 2145ff.; Habermas 2001,
S. 70ff.; Ackermann 2002, S. 27ff.; Markl 2001, S. 48; J.P. Müller/Klein/Chiarello 2002, im
Druck.
180 Deutlich z. B. Ackermann 2002, S. 37: "Allein für die Bekämpfung der Abstossungsreaktionen
ist der Preis der Etablierung der Klonierung von Menschen aber zu hoch, und bei der Güterabwägung fällt dieses Argument wenig ins Gewicht gegenüber der Tatsache, dass beim
therapeutischen Klonen ein menschliches Wesen, das die Anlage zur Person in sich trägt, nur
mit dem Ziel der Gewebeentnahme gezeugt und abgetötet wird, was einer totalen Instrumentalisierung gleichkommt".
181 Vgl. Clarke/Frisén 2001, S. 575ff.; Weissmann/Anderson/Gage 2001, S. 387ff.; Donovan/
Gaerhart 2001, S. 92ff.
182 Mikkola/Heavey/Horcher/Busslinger 2002, S. 110ff.
183 Jiang/Jahagirdar/Reinhardt/Verfaillie et al. 2002, S. 41ff.
225
8.7
Gewinnung menschlicher Stammzellen
Bei der Gewinnung menschlicher Stammzellen stellen sich verschiedene verfassungs- und völkerrechtliche Fragen.
1) Die Gewinnung von ES-Zellen und ntES-Zellen aus der inneren Zellmasse der
Blastozyste (s. auch Kap. 4.2-4.3) wirft alle Rechtsfragen der "verbrauchenden",
d. h. schädigenden Forschung am Embryo auf (s. Kap. 8.5; Art. 5 Abs. 3
FMedG)184. ES-Zellen können deshalb höchstens aus "überzähligen" oder verwaisten Embryonen im Rahmen der hier geplanten Gesetzgebung gewonnen
werden185. Dabei dürfen diese "überzähligen" oder verwaisten Embryonen
eigentlich nicht – zur Stammzellengewinnung – über das Stadium, in dem sie
"zurückblieben" weiter entwickelt werden. Vorgeschlagen wird neu mit dem
Entwurf und der Botschaft des Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die
Forschung an überzähligen Embryonen (Embryonenforschungsgesetz, EFG) am
20. November 2002, dass es für die Gewinnung von ES-Zellen aus überzähligen
Embryonen eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit braucht (Art. 8 ff.
Entwurf Embryonenforschungsgesetz) und dass ebenfalls Forschungsprojekte mit
ES-Zellen bewilligungspflichtig sind (Art. 13 ff.). Dafür dürfen Embryonen
(immerhin) bis zum 14. Tag entwickelt weren (vgl. Art. 3 Abs. 2 Bst. b Entwurf
Embryonenforschungsgesetz). Das vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetz erlaubt
allerdings noch weitere Forschungen an Embryonen (z. B. nach Art. 6 Abs. 1 Bst. b
auch entwicklungsbiologische Forschungen). Umfang und Dringlichkeit sollte sich
allerdings auch nach dem Stand der Forschung richten. Zu denken gibt etwa, dass
von den gegen 80 bekannten ES-Zell-Linien186 bisher weltweit praktisch nur mit 56 Linien gearbeitet wird187. Forschungen zur Gewinnung und Entwicklung von ESZellen wird es in den nächsten Jahren in der Schweiz nur wenige geben.
Außer Frage steht, dass in der Schweiz die Herstellung von Embryonen (sei es
durch IVF, sei es durch Klonierung) zu Zwecken der Stammzellengewinnung verfassungsrechtlich unzulässig ist (Art. 119 Abs. 2 Bstg. a, c und d BV)188. Der
künftige Bedarf der Forschung und von klinischen Therapien an Stammzellen kann
184 Es sei denn, es gelänge eines Tages eine Zellentnahme ohne Schädigung des Embryos.
185 Ähnlich Augustin (2001), S. 174/5. Gleichzeitig wäre die gesetzliche Vernichtungspflicht (Art.
42 Abs. 2 FMedG) zu modifizieren. Ob die vom Schweizerischen Nationalfonds beanspruchte
rechtliche "Lücke" bezüglich des Imports von Stammzell-Linien aus "überzähligen"
Embryonen im Ausland nach Verfassung und Verfassungspraxis tatsächlich besteht, ist eine offene Frage (siehe Positionspapier des SNF vom 28. Sept. 2001; Guillod (2001). Die Gesetzgebung ist umso dringlicher.
186 Siehe NIH Human Embryonic Stem Cell Registry, vgl. Kap. 4.2, Tab. 4.1.
187 Hauptsächlich mit denjenigen von Wisconsin und Melbourne; vgl. Kap. 4.2, Tab. 4.1.
188 Ebenso Augustin (2001), S. 175/6.
226
m.a.W. die Zahl der gewünschten Embryonen in der Schweiz nicht bestimmen. Ich
halte auch den Import von Stammzellen und Zell-Linien, die aus solchen verfassungsrechtlich verpönten Verfahren stammen, für rechtswidrig. Die fremdnützige
Stammzellengewinnung von solchen Embryonen, seien diese "gespendet" oder
"therapeutisch" geklont, im Ausland, erscheint wegen der Ubiquität der zwingenden
Verfassungsnormen in jedem Fall dem schweizerischen ordre public zu widersprechen bzw. ist verfassungswidrig, weshalb auch der Import, obwohl nur dieser
der schweizerischen Rechtsordnung untersteht, invalidiert wird.
2) Für die Gewinnung von EG-Zellen aus primordialen Keimzellen aus abgetriebenen Embryonen und Feten gelten die allgemeinen verfassungs- und völkerrechtlichen Grundsätze für den Umgang mit solchen menschlichen Zellen und Geweben189. Danach sind weder die abgetriebenen oder abgegangenen Embryonen und
Feten noch Zellen und Gewebe aus ihnen handelbare, kommerzialisierbare "Sachen". Das ergibt sich schon aus Art. 119 Abs. 2 Bst. e und Art. 119a Abs. 3 BV,
ebenso aus Art. 21 Biomedizinkonvention und Art. 20 und 21 Entwurf eines Zusatzprotokolls zur Biomedizinkonvention über die Transplantation von Organen und
Geweben. Verfügungsbefugt ist einzig die Frau, von der der Embryo bzw. Fetus
stammt, eventuell noch dessen Vater. Zudem sei hier insbesondere an die schwierige Situation und die häufige seelische und soziale Not einer zum Schwangerschaftsabbruch entschlossenen Frau mit der besonderen Problematik selbst einer expost-Zustimmung zur Gewinnung von Zellen190 sowie an die Spende- und Experimentierverbote erinnert. Information und Zustimmung der Frau müssen dort,
wo die Stammzellen danach genetisch untersucht werden, auch die Anliegen des
Datenschutzes bzw. des informationellen Selbstbestimmungsrechtes nach Art. 13
Abs. 2 BV, Art. 119 Abs. 2 Bst. f BV und Art. 10 Biomedizinkonvention191/192
und der einschlägigen Gesetzgebung beachten.
3) Für die Gewinnung von ES-Zellen und für die Forschungen an "überzähligen"
Embryonen wurde wie erwähnt am 20. November 2002 vom Schweizerischen
Bundesrat ein Entwurf eines Bundesgesetzes über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz, EFG) dem Parlament zugeleitet. Dieser Entwurf berücksichtigt weitest189 Siehe auch Augustin (2001), S. 176ff.
190 Dieses Problems nimmt sich auch der Entwurf eines Transplantationsgesetzes an, vgl. Art. 38
des Entwurfs, Botschaft BBl 2002, S. 162/3.
191 Art. 10 Biomedizinkonvention lautet: "(1) Jede Person hat das Recht auf Wahrung der Privatsphäre in Bezug auf Angaben über ihre Gesundheit. (2) Jede Person hat das Recht auf Auskunft
in Bezug auf alle über ihre Gesundheit gesammelten Angaben. Will eine Person jedoch keine
Kenntnis erhalten, so ist dieser Wunsch zu respektieren. (3) Die Rechtsordnung kann vorsehen,
dass in Ausnahmefällen die Rechte nach Absatz 2 im Interesse des Patienten eingeschränkt
werden."
192 Dazu Hinweise bei Schweizer (1995), Rz. 88-96; ders.. (2001), S. 704/5.
227
gehend die verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben193, namentlich mit den
strikten gesetzlichen Schranken sowie durch die gesetzlichen Anforderungen an die
Forschungen und deren Bewilligungen. Fraglich allerdings ist, ob der
Bundesgesetzgeber heute neben dem Fortpflanzungsmedizingesetz von 1998 und
dem geplanten Bundesgesetz über Forschungen mit ES-Zellen auch gleichzeitig
eine allgemeine Regelung über Forschungen an "überzähligen" Embryonen zu
irgendwelchen Zwecken schlechthin (vgl. Art. 5-7 des Entwurfs) aufstellen soll.
Hier sind jedenfalls die möglichen ethischen und rechtlichen Implikationen bei
weitem noch nicht angemessen ausgeleuchtet. Eine Gesetzgebung (nur) über die
Gewinnung und wissenschaftliche Nutzung von ES-Zellen hat im übrigen auch die
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin am 19. Juni 2002
mehrheitlich befürwortet (vgl. Kap. 9.3).
4) Die Gewinnung von Stammzellen aus Nabelschnurblut und Placentablut
(neonatale Stammzellen) (s. auch Kap. 4.6.1.3) wurde schon vertieft rechtlich
untersucht194. Bei der Frage, wer über die Gewinnung (Spende und weitere Verwendung, z. B. in Nabelschnurblutbanken)195 entscheidungsberechtigt ist, kann
sicher der Umstand, dass Placenta und Blut (bisher) von den Spitälern entsorgt
wurden, kein Grund sein, den verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz der
Mutter196 und (umstritten) eventuell des Kindes197 zu missachten und wie früher
die Spitäler verfügen. Einerseits sind die hier gewinnbaren Stammzellen von besonderem (suspensiv bedingtem) Wert für Kind und Mutter (und Vater?) und andererseits enthalten sie genetische Informationen über das Kind und seine biologischen
Eltern. Die Gewinnung von Nabelschnurblut muss dementsprechend inskünftig
auch Art. 22 Biomedizinkonvention beachten, der betreffend der "Verwendung
eines dem menschlichen Körpers entnommenen Teiles" bestimmt: Wird bei einer
Intervention ein Teil eines menschlichen Körpers entnommen, so darf er nur zu dem
Zweck aufbewahrt und verwendet werden, zu dem er entnommen worden ist; jede
andere Verwendung setzt angemessene Informations- und Einwilligungsverfahren
voraus198.
193 Dazu das Gutachten Schweizer (2002); Botschaft EFG Ziff. 1.10.1.2 sowie Ziff. 1.4.2.
194 Siehe Augustin (2001), S. 178/9; Seelmann (2001), S. 86ff. zu den "Rights in cord blood";
International standards for cord blood collection, processing, testing, banking, selection and release.
195 Vgl. Surbeck/Holzgreve (2000), S. 2285/86.
196 Betr. der Verfügung über die Placenta und ev. das Blut
197 Betreffend die Verfügung über das Nabelschnurblut, weil dieses vorwiegend aus dem fetalen
Blutkreislauf stammt.
198 Näheres dazu: Erläuternder Bericht, Ziff. 135-138; Botschaft Biomedizinkonvention, BBl 2002
S. 324 Ziff. 3.8.2.
228
5) Die Gewinnung anderer adulter Stammzellen von Personen richtet sich nach
den Verfassungsgrundsätzen des Transplantationsrechts, besonders nach Art. 10
BV und Art. 119a BV199. Zu den hier ebenfalls einschlägigen Art. 19 und (bei
einwilligungsunfähigen Personen) Art. 20 Biomedizinkonvention möchte der
Bundesrat allerdings im Hinblick auf das bezüglich der Spende etwas offenere
Transplantationsgesetz zwei Vorbehalte anbringen lassen200/201. Besondere Regeln
sind selbstverständlich von den heute gefestigten Würdevorstellungen bei der Entnahme von Stammzellen von verstorbenen Personen zu beachten202. Im Hinblick
auf die genetischen Untersuchungen der Personen und der von diesen gewonnenen
Stammzellen gelten zudem (wie schon unter Bst. b und c angesprochen) die verfassungs- und völkerrechtlichen Datenschutzbestimmungen203 sowie deren Umsetzung durch das geplante Bundesgesetz über genetische Untersuchungen am Menschen und das Transplantationsgesetz204.
199 Näheres Art. 6/7, 12-14 Entwurf Transplantationsgesetz, BBl 2002, S. 137ff.; vgl. auch
Augustin (2001), S. 170/1.
200 Botschaft Biomedizinkonvention, BBl 2002, S. 319ff. Ziff. 3.7.1, 3.7.2 sowie zu den geplanten
Vorbehalten Ziff. 4.
201 Art. 19 und 20 Biomedizinkonvention lauten: Art. 19: "(1) Einer lebenden Person darf ein
Organ oder Gewebe zu Transplantationszwecken nur zum therapeutischen Nutzen des Empfängers und nur dann entnommen werden, wenn weder ein geeignetes Organ oder Gewebe einer
verstorbenen Person verfügbar ist noch eine alternative therapeutische Methode von Vergleichbarer Wirksamkeit besteht. (2) Die nach Artikel 5 notwendige Einwilligung muss ausdrücklich und eigens für diesen Fall entweder in schriftlicher Form oder vor einer amtlichen
Stelle erteilt worden sein."
"Art. 20: (1) Einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, dürfen weder Organe noch Gewebe entnommen werden. (2) In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Schutzbestimmungen darf die Entnahme regenerierbaren Gewebes bei einer einwilligungsunfähigen Person zugelassen werden, wenn die
folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: (i) Ein geeigneter einwilligungsfähiger Spender steht
nicht zur Verfügung; (ii) der Empfänger ist ein Bruder oder eine Schwester des Spenders; (iii)
die Spende muss geeignet sein, das Leben des Empfängers zu retten; (iv) die Einwilligung nach
Artikel 6 Absätze 2 und 3 ist eigens für den Fall und schriftlich in Übereinstimmung mit der
Rechtsordnung und mit Billigung der zuständigen Stelle erteilt worden, und (v) der in Frage
kommende Spender lehnt nicht ab."
202 Siehe Art. 8-11 Entwurf Transplantationsgesetz, BBl 2002, S. 139ff.; Augustin (2001), S.
171/3.
203 Siehe Art. 13 Abs. 2, Art. 119 Abs. 2 Bst. f BV sowie auch Art. 10 Biomedizinkonvention.
204 Vgl. etwa Art. 55-58 Entwurf Transplantationsgesetz, BBl 2002, S. 175/6 Ziff. 2.7.3.
229
8.8
Offene Fragen der Forschung an und der Verwendung
von Stammzellen
Die weltweit intensive Forschung an bzw. mit menschlichen Stammzellen und deren Verwendungsmöglichkeiten in der regenerativen Medizin hat schon erstaunliche
Erkenntnisse zu Tage gefördert, aber auch noch zahlreiche Problemfelder bewusst
gemacht205. Insbesondere fehlen, außer bei Blutstammzellen aus Knochenmark,
bisher weitgehend klinische Untersuchungen206. Eine rechtliche, insbesondere
eine verfassungs- und völkerrechtliche Untersuchung und Beurteilung kann erst
richtig einsetzen, wenn und soweit einigermaßen gesicherte biologische und medizinische Erkenntnisse und Meinungsbildungen vorliegen. Nachfolgend werden
deshalb nur einige mögliche erste Rechtsprobleme skizziert207:
1) Rechtlich strittig kann sein, wer was über die Kultivation und Verwendung welcher Zell-Linie nach welchen Voraussetzungen entscheidet. Dazu muss aber u. a.
mehr Klarheit bestehen, wie die zelluläre und molekulare Steuerung der Ausdifferenzierung erfolgt bzw. beeinflussbar ist. Rechtlich lässt sich namentlich sagen,
dass die Forschungen zur Entwicklung und Verwendung von Stammzell-Linien die
Information der Eltern des Embryos voraussetzt (wie das Art. 10 des Entwurfs
EFG vom 20. November 2002 bestimmt) und die Zusicherungen an diese bei der
Gewinnung der Stammzellen respektieren müssen, denn immer sind auch die
Schutzwürdigkeit der genetischen personenbezogenen Informationen über die
Herkunftspersonen zu beachten. Die erhobenen Daten gelten, da sie die Gesundheit
betreffen, nach schweizerischem und europäischem Recht als "besonders
schützenswerte Personendaten"208.
2) Eine Diskussion findet zurzeit über die Toti- oder Pluripotenz von ES-Zellen und
von EG-Zellen statt. So ergab sich z. B., dass die Entwicklung von embryonalen
Stammzellen in vitro zu so genannten "embryoid bodies" führen kann, die Embryonen im Postimplantationsstadium (mit allen Gewebetypen der drei Keimblätter)
ähneln209. H. M. Beier formuliert die diskutierte Frage allgemein dahin, dass noch
205 Nicht zuletzt, weil etwa die seit einigen Jahren vorliegenden Forschungsergebnisse mit embryonalen Stammzellen der Maus möglicherweise nur beschränkt auf Menschen übertragen werden können (s. auch Kap. 4 und 5). Eine breite Auslegungsordnung der zahlreichen Forschungsfragen bietet jetzt der Stem Cell-Report der NIH vom Juni 2001, Executive summary
S. 7ff.; "What are some of the Questions that Need to be Answered about Stem Cells?"
206 Siehe zur adulten Stammzellforschung Blau et al. (2001), S. 829ff.; s. auch Kap. 5.
207 Einige behandelt auch schon Augustin (2001), S. 179-185.
208 Art. 3 Bst. c Ziff. 2 Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG) (SR 235.1);
Art. 6 Übereinkommen des Europarates zum Schutz des Menschen vor der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, vom 28. Januar 1981 (BBl 1997 I 1717ff.; SR 0.235.1).
209 Denker 2000, S. 297ff.; auch Heinemann 2000, S. 264ff.; Kap. 4.2.2.2.
230
offen sei, ob sich ES-Zellen auch an der Entwicklung der Keimbahn (der "germ
line") beteiligen oder ob sie sich zu praktisch allen Zelltypen außer zu Keimbahnzellen auszudifferenzieren vermögen210. Es ist offensichtlich, dass da unter Umständen wieder Grundsatzfragen des Schutzes von Embryonen aufbrechen könnten.
3) Für die schwierigen und umfangreichen Forschungen an ES- und EG-Zellen,
namentlich für Forschungen über die Aufreinigung, Fortentwicklung und Ausdifferenzierung solcher Zellen und Zell-Linien besteht ein Bedürfnis nach Stammzellbanken. Dazu braucht es eine gesetzliche Grundlage (die im Entwurf des EFG noch
nicht vorgesehen ist). Zudem sind in den Forschungsbewilligungen die
Bedingungen der Konservierung, Aufbereitung und Verteilung der Zellen und ZellLinien jeweils konkret festzulegen.
4) Wohl noch heikler sind Forschungen mit menschlichen Stammzellen, die zur
Chimären- und Hybridbildung führen (vgl. Art. 119 Abs. 2 Bst. b BV). Zu prüfen
ist etwa, ob eine Weiterentwicklung von Stammzellen nur zu erreichen ist, wenn sie
in einen anderen Embryo eingefügt werden, womit mindestens vorübergehend, bis
die Zellen des empfangenden Embryos "ausgeschaltet" sind, eine (rechtlich verpönte) Chimäre geschaffen wird211. Noch heikler sind Klonversuche mit Zellkernen
aus menschlichen embryonalen Stammzellen oder aus menschlichen Blastomeren,
die in Eizellen von Tieren eingeführt werden, wie dies schon verschiedentlich mit
Zellen von verschiedenen Tieren geschah (das wäre verfassungsrechtlich
unzulässig, vgl. Art. 119 Abs. 2 Bst. a BV)212.
5) Sobald Stammzellentransplantate am Menschen klinisch versucht werden, gelten selbstverständlich alle verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen, gesetzlichen
und berufsständischen Grundsätze für Forschungen am Menschen213. Geprüft werden namentlich die Risiken von Tumorbildungen und von Infektionen. Die Hoffnungen richten sich in der Stammzellenforschung u.a. auf geringere Transplantationsabstoßungen (auch ohne ntES-Zellen).
6) Werden Stammzelltransplantationen durchgeführt, so kann sich unter Umständen die schwierige Frage stellen, ob es nur um eine Zell- oder Gewebetransplantation oder aber auch um eine Gentherapie geht, bei der körperfremde Gene transferiert werden, wie dies z. B. heute mit den immunologisch günstigen pränatalen The-
210 Beier 2001, S. 56.
211 So Luchsinger 2000, S. 251/2 m.w.H.
212 Siehe auch hierzu Denker 2000, S. 300ff.; Heinemann, bes. S. 272ff.; Beier 2001, S. 64ff., bes.
S. 66.
213 Näheres z. B. Augustin 2001, S. 182ff. sowie jetzt in der revidierten Helsinki-Tokio-Erklärung
vom Okt. 2000 des Weltärztebundes.
231
rapien versucht wird214. Dann sind allerdings die besonderen Schranken gemäß
Art. 119 Abs. 2 Bst. a und Art. 13 Biomedizinkonvention zu beachten215.
7) Schließlich sei auf das komplexe und strittige Thema hingewiesen, wie weit
Stammzellverfahren und menschliche Stammzellen-Linien allenfalls patentiert
werden können216. Die Hauptfragen sind, wie weit 1.) der Ausschluss der Patentierbarkeit, der für Verfahren der Chirurgie, Therapie und Diagnostik gilt, die am
menschlichen oder tierischen Körper angewendet werden (Art. 2 Bst. b Patentgesetz
und Art. 52 Abs. 4 Europäisches Patentübereinkommen217) auch für den Einsatz
von Stammzellen maßgeblich ist, und wie weit 2.) die Arbeiten mit Stammzellen
angesichts der strikten verfassungs- und völkerrechtlichen Schranken des Umgangs
mit embryonalen und adulten Geweben und Zellen und des Umgangs mit
Embryonen und Feten nicht eine Patentierung ausschließt wegen des Verstoßes
gegen die öffentliche Ordnung und gegen die guten Sitten (entsprechend Art. 2
Bst. a Patentgesetz und Art. 53 Bst. a Europäisches Patentübereinkommen). Der
2001 vorgelegte Vorentwurf zur Revision des Bundesgesetzes über die Erfindungspatente218 berücksichtigt allerdings nur die Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998
über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen219, nicht aber die verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben für den Umgang mit Embryonen und
Feten. Der Entwurf des Embryonenschutzgesetzes vom 20. November 2002
verzichtet – leider neuerlich – auf eine Entscheidung dieser Fragen. Denn es ist
zwar richtig, dass die Schranken der kommerziellen Nutzung nicht allein vom
Patentrecht, sondern durch zwingendes Recht allgemein gesetzt werden; doch wäre
es dringlich, dass das Patentrecht selbst ethische Grenzen setzt. Klar ist, dass schon
nach geltendem Patentrecht ES-Zellen und ES-Zell-Linien in ihrem natürlichen
Zustand nicht patentierbar sind. Art. 4 Entwurf Embryonenschutzgesetz verbietet
jede Entgeltlichkeit von überzähligen Embryonen, denn verfassungs- und
völkerrechtlich ist menschliches Leben in allen Phasen der Entstehung und
Entwicklung, einschliesslich von Klonversuchen nicht wirtschaftlich nutzbar und
nicht patentierbar. Die Unentgeltlichkeit und Unzulässigkeit einer Kommerzialisierung gilt auch für ES-Zellen und für Zellen in ihren biologischen Entwicklungen.
Strittig ist, ob so genannte modifizierte ES-Zellen bzw. ES-Zell-Linien, sofern sie
im Hinblick auf eine bestimmte gewerbliche Anwendbarkeit "behandelt" wurden,
214 Vgl. die Studie von Surbek/Holzgreve (2002)
215 Näheres hierzu bei Luchsinger 2000, S. 205ff.
216 Vgl. z. B. Spranger 1999b, S. 595ff.; Herdegen 2000, S. 859ff.; Flammer 2002, S. 199ff.
217 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG; SR 232.14);
Übereinkommen vom 5. Okt. 1973 über die Erteilung Europäischer Patente (Europäisches
Patentübereinkommen; SR 0.232.142.2).
218 Vgl. BBl 2001, S. 6370.
219 ABl. Nr. L 213/13 vom 30.7.1998.
232
einer Patentierung zugänglich sind. Die europäische Gruppe für Ethik in den
Naturwissenschaften und neuen Technologien bei der EG-Kommission könnte sich
in solchen Fällen eine Patentierung vorstellen (European Group on Ethics in
Science and New Technologies to the European Commission 2002; s. auch
Kap. 6.3.2). Nach schweizerischem Verfassungsrecht steht das generelle
Kommerzialisierungsverbot für alle Zellen, Gewebe und Organe nach Art. 119a
Abs. 3 BV der Patentierung entgegen.
Zusammenfassend empfiehlt es sich, im Hinblick auf kommende rechtliche Diskussionen die Problemsicht und den Erkenntnisstand bezüglich der Forschungen
mit Stammzellen transdisziplinär sorgfältig aufzuarbeiten, damit in der Folge die in
der Schweiz tatsächlich relevanten Rechtsfragen vertieft geprüft werden können.
233
9.
Gesellschaftliche Debatte
Die Stammzelldebatte wird nicht nur in der Schweiz, sondern auch im europäischen
und außereuropäischen Ausland intensiv geführt. Dabei zeigt sich, dass in diesen
Ländern der Umgang mit menschlichen embryonalen Stammzellen nicht nur unterschiedlich geregelt ist bzw. geregelt werden soll, sondern auch die Stammzelldebatte in teils sehr verschiedenen Bahnen verläuft. Im Folgenden wird zunächst ein
Überblick über die wichtigsten Berichte, Stellungnahmen, Positionspapiere bzw.
rechtlichen Regelungen in der Schweiz, Europa, ausgewählten europäischen Ländern sowie den USA gegeben (Kap. 9.1). Anschließend werden Inhalt und Verlauf
der Stammzelldebatte in ausgewählten europäischen Ländern (Großbritannien,
Frankreich, Deutschland, Österreich) sowie den USA kurz skizziert (Kap. 9.2). Danach wird die Situation der Schweiz (Kap. 9.3) in diese "Landkarte" eingeordnet.
9.1
Wichtige Stellungnahmen, Positionspapiere, Richtlinien
und Gesetze
9.1.1
Schweiz
•
Bericht der Expertenkommission Humangenetik und Reproduktionsmedizin (Bericht Amstad 1988)
•
Biomedizinische Forschung am Menschen im Zusammenhang mit Art. 24novies
der Bundesverfassung, Bericht der Studiengruppe "Forschung am Menschen"
(1995)
•
Positionspapier der Zentralen Ethikkommission zur Gewinnung von und Forschung an menschlichen Stammzellen (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW 2001)
•
Positionspapier zur Verwendung von menschlichen, embryonalen Stammzellen
in der biomedizinischen Forschung (Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF/FNS 2001)
•
Forschung an importierten embryonalen Stammzellen. Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (Nationale Ethikkommission
im Bereich der Humanmedizin 2001)
•
Zur Forschung an embryonalen Stammzellen. Stellungnahme der Nationalen
Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (Nationale Ethikkommission im
Bereich der Humanmedizin 2002)
234
•
Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen
Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz, EFG), Entwurf vom 22. Mai 2002,
mit einemerläuternden Bericht (Eidgenössisches Departement des Inneren 2002)
•
Menschliche Stammzellen. Zwischenbericht (Zentrum für TechnologiefolgenAbschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat 2002)
•
Publifocus zur Forschung an embryonalen Stammzellen. Bericht eines Mitwirkungsverfahrens (Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat 2002)
•
Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen
Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz, EFG), Entwurf vom 20. November
2002, mit der Botschaft des Bundesrates zur Überweisung des Entwurfs ans
Parlament
9.1.2
Europarat
•
Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im
Hinblick auf die Anwendung der Biologie und Medizin (Übereinkommen über
Menschenrechte und Biomedizin); Oviedo, 4. April 1997 (Council of Europe
1997)
•
Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der
Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung der Biologie und Medizin,
über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen vom 12. Januar 1998
(Council of Europe 1998)
9.1.3
Europäische Union
•
Resolution on genetic engineering (European Parliament 1989)
•
Resolution on IVF (European Parliament 1989)
•
Ethical aspects of cloning techniques (Group of Advisers to the European Commission on the Ethical Implications of Biotechnology 1997)
•
Ethical aspects of research involving the use of human embryos in the context of
the 5th framework programme (European Group on Ethics in Science and New
Technologies 1998)
•
Directive 98/44/EC on legal protection of biotechnological inventions (European
Commission 1998)
•
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Klonen von Menschen (European Parliament, 7.9.2000)
235
•
Ethical aspects of human stem cell research and use (European Group on Ethics
in Science and Technology 2000)
•
The ethical implications of research involving human embryos (European Parliament 2000)
•
Ethical Aspects of Patenting Inventions Involving Human Stem Cells. Opinion
No. 16 vom 7. Mai 2002 (European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission 2002)
9.1.4
Großbritannien
•
Human Fertilisation and Embryology Act. London 1990
•
Cloning issues in reproduction, science and medicine (Human Genetics Advisory
Commission and Human Fertilisation and Embryology Authority 1998)
•
Briefing paper for Church of England Board for Social Responsibility (2000)
•
Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility (Chief Medical
Officer's Expert Group 2000)
•
Government Response to the Recommendations made in the Chief Medical Officer’s Expert Group Report "Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility" (Department of Health 2000)
•
Stem cell therapy: The ethical issues (Nuffield Council on Bioethics 2000)
•
Therapeutic cloning: A submission by the Royal Society to the Chief Medical
Officer's Expert Group (Royal Society 2000)
•
Stem Cell Research and Therapeutic Cloning: An Update (Royal Society 2000)
•
Stem Cell Research – Second Update (Royal Society 2001)
•
Human Fertilisation and Embryology (Research Purposes) Regulations 2001
9.1.5
Frankreich
•
Rapport éthique et recherche biomédicale (CCNE 1985)
•
Les lois de bioethique: cinq ans après (Conseil d'État 1999)
•
Rapport sur clonage, la thérapie cellulaire et l'utilisation thérapeutique des cellules embryonnaires (2000)
236
9.1.6
Deutschland
•
Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer 1985)
•
Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz) (in Kraft seit
1. Januar 1991)
•
Richtlinien zur Verwendung fetaler Zellen und fetaler Gewebe (Zentrale Kommission der Bundesärztekammer zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Reproduktionsmedizin, Forschung an menschlichen Embryonen und Gentherapie
1991)
•
DFG-Stellungnahme zum Problemkreis "Humane embryonale Stammzellen",
19. März 1999 (Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999)
•
Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit
menschlichen Stammzellen, 3. Mai 2001 (Deutsche Forschungsgemeinschaft
2001)
•
Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zur Stammzellforschung (Bundesärztekammer 2001)
•
Zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen. Stellungnahme (Nationaler
Ethikrat 2001)
•
Stellungnahme zu Fragen der Biomedizin "Der Mensch, sein eigener Schöpfer?"
(Deutschen Bischofskonferenz 2001)
•
Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin. Teilbericht Stammzellforschung (Enquete-Kommission Recht und
Ethik der modernen Medizin 2001)
•
Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz
– StZG)(in Kraft seit 1. Juli 2002)
9.1.7
Österreich
•
Evangelische Denkschrift zu Fragen der Biomedizin "Verantwortung für das
Leben" (Evangelische Kirche 2001)
•
Stellungnahme zu Fragen der Stammzellenforschung im Kontext des 6. Rahmenprogramms der EU im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung
und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des europäischen Forschungsraums (2002-2006) (Bioethikkommission 2002)
237
9.1.8
USA
•
NABER Report on human cloning through embryo splitting: an amber light
(National Advisory Board on Ethics in Reproduction 1994)
•
Cloning human beings (National Bioethics Advisory Commission 1997)
•
Ethical Issues in Human Stem Cell Research (National Bioethics Advisory
Commission 1999)
•
On Human Embryos and Stem Cell Research: An Appeal for Legally and Ethically Responsible Science and Public Policy (The Center for Bioethics and Human Dignity 1999)
•
Stem cell research and applications (American Association for the Advancement
of Science and Institute for Civil Society 1999)
•
Stem cell research (U.S. Department of Health and Human Services 1999)
•
Guidelines for Research Using Human Pluripotent Stem Cells (National Institutes of Health 2000)
•
Research involving human biological materials: Ethical issues and policy guidance (National Bioethics Advisory Commission 2000)
•
Stem Cells: Scientific Progress and Future Research Directions (National Institutes of Health 2001).
•
Statement on Stem Cell Research (The American Society of Human Genetics
2001)
•
Stem cells and the future of regenerative medicine (National Academy of
Science 2001)
•
Remarks by the President on Stem Cell Research (9.8.2001) (The White House,
Office of the Press Secretary)
•
Human Cloning and Human Dignity: An Ethical Inquiry (The President's Council on Bioethics 2002)
9.1.9
•
Vatikan
Erklärung über die Herstellung sowie die wissenschaftliche und therapeutische
Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen (Päpstliche Akademie für das Leben 2000)
238
9.1.10
•
UNESCO
The Use of Embryonic Stem Cells in Therapeutic Research (International Bioethics Committee, Division of Human Sciences, Philosophy and the Ethics of
Science and Technology, United Nations Educational, Scientific and Cultural
Organization 2001)
9.2
Die Stammzelldebatte im Ausland
Da sich der Umgang einer Gesellschaft mit neuen Technologien nicht unabhängig
von ihren kulturellen, religiösen und rechtlichen Traditionen entwickelt (Nationale
Ethikkommission im Bereich Humanmedizin 2002), wird auch die kulturellreligiös-rechtliche Dimension zur Erklärung nationaler Unterschiede und Eigenheiten in der gesellschaftlichen Debatte um menschliche Stammzellen berücksichtigt. In Europa lassen sich zwei Pole ausmachen, zwischen denen sich die Debatte
bewegt: ein eher liberaler Pol und ein eher restriktiver Pol. Stellvertretend für diese
Pole stehen die Länder Großbritannien und Deutschland.
Die angelsächsische Moralauffassung ist stark vom Utilitarismus geprägt, einer moralphilosophischen Position, die sich bei der Beurteilung von (wissenschaftlichen)
Handlungen am größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit orientiert. Das bedeutet: wenn die Errungenschaften des biomedizinischen Fortschritts einen Nutzen
für die Gesamtgesellschaft versprechen, werden sie als legitim angesehen. Das britische Rechtssystem ist so ausgestaltet, dass es menschlichem Leben erst ab dem
Zeitpunkt der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter besonderen Schutz gewährt. Der Utilitarismus wird außerhalb Europas insbesondere von den USA vertreten.
Der deutschsprachige Raum Europas ist hingegen stark von der Ethik Immanuel
Kants geprägt, d. h. durch dessen kategorischen Imperativ, demzufolge man den
Menschen niemals nur als Mittel, sondern immer auch als Zweck an sich behandeln
sollte. Speziell in Deutschland werden dieser Moralauffassung entsprechend intensive bioethische Debatten über die Menschenwürde und die Instrumentalisierung
menschlichen Lebens geführt. Hinzu kommt, dass Deutschland und Österreich auf
Grund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit Fragen des Lebensschutzes besonders sensibel behandeln (Schreiber 2001).
Frankreich nimmt eine Stellung zwischen dem angelsächsischen und dem deutschen
Pol ein. Die französische Position orientiert sich zwar überwiegend am Utilitarismus, kennzeichnender ist jedoch der Wunsch, die eigenständige frankophone Wis-
239
senschaftstradition, die vom Gedanken der Aufklärung und des Fortschritts geprägt
ist, zu erhalten und fortzusetzen.
In diesem Spannungsbogen, der von Großbritannien/USA über Frankreich nach
Deutschland/Österreich verläuft, vollziehen sich derzeit die entscheidenden Debatten und Weichenstellungen im Umgang mit den biomedizinischen Herausforderungen, wie z. B. der Stammzellforschung oder dem therapeutischen Klonen. Zusätzlich zu den national motivierten Entwicklungen gewinnen Regelungen auf supranationaler Ebene zunehmend an Bedeutung für die Nationalstaaten. So beschloss das
Europaparlament Mitte Mai 2002 zwar innerhalb des 6. Forschungs-Rahmenprogramms die Forschung an menschlichen Stammzellen mit bis zu 254 Millionen
Euro zu fördern, doch war umstritten, auf welche Stammzelltypen und welche Arten der Gewinnung menschlicher Stammzellen sich diese Förderung erstrecken
sollte. Im September 2002 wurde dann ein Kompromiss beschlossen, nach dem bis
Dezember 2003 Forschungsarbeiten nicht finanziert werden sollen, die das Klonen
von Menschen für reproduktive Zwecke, die Veränderung des Erbguts des Menschen in der Keimbahn oder die Erzeugung von Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken, zur Gewinnung von Stammzellen bzw. durch somatischen Kerntransfer zur Gewinnung von Stammzellen zum Ziel haben. Trotz dieser Einschränkung werden durch das Forschungsprogramm in einem ethisch umstrittenen Gebiet
Anreize gesetzt und Entwicklungen befördert, die zum Teil weit über das hinausgehen, was in einzelnen EU-Staaten zurzeit rechtlich zulässig ist.
9.2.1
Die Debatte in Großbritannien
Die Nutzung menschlicher Embryonen für die Forschung wird in Großbritannien
bereits seit 1980 intensiv diskutiert. Die Unvereinbarkeit der Extremstandpunkte,
die in dieser Debatte offensichtlich wurde, verhinderte aber nicht substanzielle Fortschritte in der britischen Gesetzgebung und Politik zu diesem Thema. Während der
1980er-Jahre setzte die Regierung drei Ausschüsse ein, die sich mit den Fortschritten in den biomedizinischen Wissenschaften befassen sollten. Einer dieser Ausschüsse beschäftigte sich mit der Embryonenforschung und legte 1984 den so genannten Warnock-Report (Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology) vor. Auf Grundlage dieses Berichts wurde 1990 der "Human Fertilisation and Embryology Act" (HFE Act) in Kraft gesetzt und als Aufsichtsbehörde die "Human Fertilisation and Embryology Authority" (HFEA) gegründet (Lanzerath 1996).
Der HFE Act lässt die Forschung an menschlichen Embryonen bis zum 14. Tag
ihrer Entwicklung zu, wenn folgende Gründe bestehen (Lezemore et al. 2001):
•
Fortschritte in der Behandlung von Unfruchtbarkeit
•
Wissenserweiterung über die Gründe von Erbkrankheiten
240
•
Wissenserweiterung über die Gründe von Fehlgeburten
•
Entwicklung effizienterer Methoden der Empfängnisverhütung
•
Entwicklung von Methoden zur Identifizierung von Gen- oder Chromosomenabnormalitäten bei Embryonen vor der Implantation
Dabei ist sowohl die Forschung an "überzähligen", für die Forschung gespendeten
menschlichen Embryonen als auch die gezielte Herstellung von menschlichen Embryonen für Forschungszwecke zulässig.
Die therapeutische Nutzung von Stammzellen wurde erst 1998 im Bericht der
HFEA und der Human Genetics Advisory Commission (HGAC) berücksichtigt. In
Reaktion auf diesen Bericht setzte die britische Regierung im Juni 1999 einen Expertenrat ein, der ein Jahr später empfahl, die Embryonenforschung zusätzlich zu
den fünf oben genannte Gründen auch zu genehmigen, wenn die folgenden Gründe
vorliegen (Lezemore et al. 2001, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung
2001b, S. 13ff.):
•
Forschung zum besseren Verständnis der Embryonalentwicklung
•
Forschung zum besseren Verständnis schwerer Krankheiten
•
Forschung zur Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für schwere Krankheiten
Die Empfehlungen des Expertenrats wurden von der Regierung vollständig übernommen und anschließend im Unter- und im Oberhaus diskutiert. Kurz vor Weihnachten 2000 stimmten nach leidenschaftlicher Diskussion 366 Abgeordnete für die
Regierungsvorlage zur Erweiterung der Forschungsgründe an menschlichen Embryonen; es gab 174 Gegenstimmen. Die Gegner argumentierten nicht grundsätzlich
gegen die Ausweitung der Embryonenforschung, sondern gegen die Hast, mit der
die Regierung die Neuregelung betreibe. Die Befürworter nannten in der Debatte
v.a. zwei Argumente: durch die Embryonenforschung könnten neue medizinische
Behandlungsmethoden entwickelt werden und die britische Wissenschaft müsse der
Gefahr zuvorkommen, im internationalen Wettbewerb zurückzufallen. Fast ebenso
leidenschaftlich verlief am 23.1.2001 die Debatte im Oberhaus, nach der 212 Lords
dem Gesetz zustimmten bei 92 Ablehnungen. Die Skeptiker im Oberhaus setzten
sich nur in ihrem Anliegen durch, eine Kommission einzusetzen, die verschiedene
Punkte der Stammzellforschung, einschließlich der Nutzung adulter Stammzellen,
prüfen soll.
Im Mittelpunkt der britischen Debatte stand und steht der moralische Status des
Embryos (Lezemore et al. 2001). An einem Ende des Meinungsspektrums stehen
diejenigen, die dem menschlichen Embryo von der Befruchtung an denselben moralischen Status zusprechen wie Erwachsenen. Entsprechend ist jegliche Art der
Zerstörung des Embryos oder die Verhinderung seiner Weiterentwicklung verboten.
241
Weiter kann nach dieser Meinung der Nutzen Dritter, den sie bspw. aus der Behandlung mit embryonalen Stammzellen ziehen, niemals eine Rechtfertigung sein,
menschliche Embryonen zu zerstören. Diese Position wird v.a. von religiösen
Gruppen, u.a. vom Katholizismus vertreten.
Am anderen Ende des Meinungsspektrums stehen diejenigen, die dem Embryo den
gleichen Schutzstatus zumessen wie jeder anderen Ansammlung menschlicher Zellen, also z.B. einer Leber oder einer Niere. Entsprechend können, ja sollten Embryonen zur Behandlung und Heilung anderer Menschen genutzt werden. Diese Extremposition findet in der Öffentlichkeit allerdings kaum Unterstützung.
Zwischen beiden Extremen gibt es in Großbritannien eine liberale Position, die am
ehesten dem entspricht, wie die Menschen denken und handeln. Die meisten Akteure der britischen Stammzelldebatte, einschließlich der Patientenorganisationen,
der Chief Medical Officer's Expert Group, der Royal Society, des Wellcome Trust,
des Nuffield Council on Bioethics und der anglikanischen Kirche vertreten die liberale Position. Danach ist der moralische Status des menschlichen Embryos abhängig
von dessen Fähigkeiten, so bspw. von der Fähigkeit zu Selbstbewusstsein, den Beziehungen zu anderen Menschen oder der Erfahrung von Gefühlen. Da der menschliche Embryo aber notwendiges Bindeglied hin zum späteren Menschen ist, kommt
ihm ein besonderer Wert zu, der ihn von nicht-menschlichen Embryonen und von
anderen Ansammlungen menschlicher Zellen unterscheidet. Deshalb sollte die Nutzung von Embryonen auch nicht leichtfertig erfolgen. Allerdings ist dieser spezifische Wert des Embryos nicht absolut und kann entsprechend gegen andere Güter
abgewogen werden. Wenn also die Zerstörung von Embryonen zu substantiellen
Vorteilen für die jetzige oder eine zukünftige Generation führen sollte und diese
Vorteile auf keinem anderen Weg erreicht werden können, unterstützt die liberale
Position die Embryonenforschung.
Die Rechtslage in Großbritannien gestattet es, die Option des therapeutischen Klonens für die Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen zu nutzen.
Hingegen soll das reproduktive Klonen nach dem Willen des Gesetzgebers verboten
sein. Einige kontroverse Diskussionen rief die Tatsache hervor, dass das reproduktive Klonen durch den HFE Act nicht verboten ist. Das Problem lag in der gesetzlichen Embryodefinition, die – wie in der Schweiz – lediglich Embryonen umfasst,
die das Resultat der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle sind, beim therapeutischen wie reproduktiven Klonen aber Embryonen durch die Verschmelzung einer
Körperzelle mit einer entkernten Eizelle entstehen (vgl. Kap. 4.3). Daraufhin wurde
ein Eilgesetz verabschiedet, das das reproduktive Klonen explizit verbietet. Das
therapeutische Klonen mit dem Ziel der Gewinnung von ntES-Zellen bleibt weiterhin zulässig.
242
9.2.2
Die Debatte in Frankreich
In Frankreich hat sich bislang keine breite öffentliche Debatte über bioethische
Herausforderungen entwickelt. Die Diskussion wurde und wird überwiegend in
politischen und wissenschaftlichen Fachgremien220 geführt, dort allerdings sehr
intensiv. Christliche oder religiöse Einwände gegen die Embryonenforschung
wurden in der Debatte kaum geäußert, da Staat und Kirche in Frankreich streng
getrennt sind. Auch die Frage nach den Grundrechten des Embryos und dem Zeitpunkt, von dem an sie gelten sollen, spielte in der Debatte nur eine untergeordnete
Rolle. In Frankreich herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Forschung an
Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen ermöglicht werden soll. Sehr umstritten war hingegen, ob das therapeutische Klonen zugelassen werden soll. Die prominentesten Vertreter der Pro-Seite waren der ehemalige Ministerpräsident Jospin und
noch exponierter der frühere Gesundheitsminister Bernard Kouchner. Die ContraSeite wurde in erster Linie durch den französischen Staatspräsidenten Chirac und
die frühere Arbeitsministerin Elisabeth Guigou vertreten. Wie sich die personellen
Umbesetzungen in der französischen Regierung nach den Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen auf die Debatte auswirken werden, bleibt abzuwarten.
Das derzeit geltende französische Bioethikgesetz stammt aus dem Jahr 1994 und
lässt die Forschung an menschlichen Embryonen bisher nur in zwei Bereichen zu,
und zwar bis 7 Tage nach der Befruchtung:
•
Forschung, die für den betroffenen Embryo von direktem Vorteil ist und insbesondere die Chance einer erfolgreichen Implantation erhöht,
•
Erweiterung des Kenntnisstandes in der menschlichen Reproduktionsbiologie,
um die Verfahren der Reproduktionsmedizin zu verbessern.
Um den aktuellen Entwicklungen in den Biowissenschaften gerecht zu werden, verabschiedete die Nationalversammlung im November 1999 eine umfassende Studie,
die wichtige Revisionen des Bioethikgesetzes vorschlug. In einem Vorentwurf des
revidierten Bioethikgesetzes, den der frühere französische Premierminister Lionel
Jospin Ende November 1999 vorstellte, wurde bereits eine Ausweitung der Möglichkeiten zur Embryonen- und Stammzellforschung angekündigt, die (wenn auch
nicht direkt so genannt) auch die Möglichkeit des therapeutischen Klonens mit einschloss. Im November 2000 sprach sich Jospin dann vorsichtig für das therapeutische Klonen aus. Staatspräsident Jacques Chirac widersprach daraufhin im Februar
2001 auf einem Biotechnologie-Kongress in Lyon klar den Plänen seines Premierministers. Auch die bürgerliche Opposition kritisierte die Pläne Jospins heftig.
Selbst das nationale Ethikkomitee zeigte sich gespalten und sprach sich nur mit
knapper Mehrheit (14:12) für das therapeutische Klonen aus.
220 Der französische Nationale Ethikrat wurde 1983 gegründet.
243
Eine veränderte Version des Gesetzentwurfs zu einem neuen Bioethikgesetz, die im
Juni 2001 im Kabinett verabschiedet wurde, erlaubt weiterhin die Stammzellforschung an "überzähligen" Embryonen, stellt jedoch sowohl das reproduktive als
auch therapeutische Klonen unter Strafe. Dieser Version stimmte nach einer hitzigen Debatte Mitte Januar 2002 auch die französische Nationalversammlung in erster Lesung zu. Auf Grund der Präsidentschaftswahl und der sich anschließenden
Neuwahl des Parlaments wird das Gesetz jedoch nicht vor Herbst 2002 verabschiedet werden.
Die wichtigsten Argumente der Befürworter von Embryonenforschung und therapeutischem Klonen in Frankreich sind (Holderegger 2001):
•
das Solidaritätsargument, nach dem die Pflicht zur Solidarität mit leidenden
Menschen eine Verzögerung auf dem Gebiet der Stammzellforschung und des
therapeutischen Klonens verbiete, weil Betroffene ansonsten ungerechtfertigterweise benachteiligt würden,
•
das Argument des Forschungsnachteils, wonach man nicht nur ins Hintertreffen,
sondern auch in Forschungsabhängigkeit vom Ausland geraten würde und Forschungsergebnisse annehmen müsste, die eigener wissenschaftlicher und ethischer Kontrolle entzogen wären sowie
•
das Argument der Missbrauchseingrenzung, das in strengen Eingrenzungen und
Kontrollmechanismen Möglichkeiten sieht, Missbrauch zu verhindern.
Die wichtigsten Contra-Argumente in der französischen Debatte um die Stammzellforschung und das therapeutische Klonen sind (Holderegger 2001):
•
das Reifikationsargument, nach dem die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken den Respekt verletze, der dem individuellen Embryo mit Anspruch auf Eigenentwicklung zukomme, und den Embryo weiter verdingliche,
•
das Missbrauchsargument, das mit Zulassung des therapeutischen Klonens den
Weg hin zum reproduktiven Klonen beschritten sieht,
•
das Merkantilisierungsargument, wonach der hohe Bedarf an Eizellen potenzielle Spenderinnen unter Druck setzen könnte und einen Markt für Eizellen
entstehen ließe sowie
•
das Argument der unsicheren Forschungsaussichten, nach dem das therapeutische Potential von Stammzellen derzeit noch zu hypothetisch sei, um eine Ausweitung der Embryonenforschung zu rechtfertigen.
244
9.2.3
Die Debatte in Deutschland
Die deutsche Debatte um menschliche embryonale Stammzellen zählt neben der in
den USA zu den intensivsten weltweit. Die Thematik löste umfassende Diskussionen in allen deutschen Zeitungen und Zeitschriften aus, war Mittelpunkt vieler Tagungen, Workshops und Vorlesungsreihen für Wissenschaftler und für Laienpublikum, war Anlass für zwei Debatten des Deutschen Bundestags innerhalb von nur
acht Monaten und beschäftigte zwei beratende nationale Ethikgremien über mehrere
Monate hinweg.
Ähnlich wie in der Schweiz ist in Deutschland auf Grund des seit 1991 geltenden
Embryonenschutzgesetzes die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen
verboten, der Import aus dem Ausland jedoch nicht geregelt. Kurz nach Bekanntwerden der erfolgreichen Gewinnung menschlicher ES- und EG-Zellen Ende 1998
in den USA veröffentlichte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine erste
Stellungnahme zur Stammzellforschung, in der sie aus verschiedenen Gründen im
Hinblick auf die Forschung mit humanen pluripotenten Stammzellen keinen Handlungsbedarf für eine Änderung der deutschen Rechtslage sah und sich dafür einsetzte, einen Meinungsbildungsprozess auf breiter Basis zu führen (Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999). Ausgangspunkt für die weitere Debatte war ein im
Oktober 2000 an die DFG gestellter Antrag auf Forschungsförderung durch den
Bonner Wissenschaftler Oliver Brüstle, der für seine Forschungsarbeiten menschliche embryonale Stammzellen aus dem Ausland importieren wollte. Die Entscheidung über die Förderung dieses Forschungsantrages stellte die DFG auf Bitte der
deutschen Forschungsministerin Edelgard Bulmahn zurück. Anfang Mai 2001 veröffentlichte die DFG eine zweite Stellungnahme, "Empfehlungen der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Forschung mit menschlichen Stammzellen"
(Deutsche Forschungsgemeinschaft 2001). Darin sprach sich die DFG dafür aus,
deutschen Wissenschaftlern zunächst den Import menschlicher embryonaler
Stammzellen unter bestimmten Auflagen zu gestatten, um zu gewährleisten, dass
deutsche Wissenschaftler den Anschluss an die internationalen Entwicklungen in
diesem Forschungsbereich nicht verpassen. In einem zeitlich nachfolgenden Schritt
sollte der Gesetzgeber in Überlegungen eintreten, Wissenschaftlern in Deutschland
die Möglichkeit zu eröffnen, aktiv an der Gewinnung menschlicher embryonaler
Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen zu arbeiten, falls sich die Wissenschaftlern in Deutschland zur Verfügung stehenden pluripotenten Zell-Linien objektiv als nicht geeignet erwiesen oder die Forschungsarbeiten mit ihnen in nicht zu
rechtfertigender Weise eingeschränkt seien. Dies würde jedoch eine Änderung des
Embryonenschutzgesetzes voraussetzen. Die Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke sowie das therapeutische Klonen wurden abgelehnt.
Der Vorstoß der DFG fand Zustimmung bei vielen Wissenschaftlern und der FDP,
stieß zugleich aber auf erbitterten Widerstand der christlichen Kirchen, mehrerer
Behindertenverbände, von Bündnis 90/Die Grünen, der PDS sowie Teilen der SPD,
245
der CDU und der CSU. Selbst Bundespräsident Johannes Rau griff das Thema in
seiner Rede über Chancen und Risiken der Gentechnik Mitte Mai 2001 auf, warnte
vor einem blinden Fortschrittsglauben hinsichtlich der Gentechnik und forderte eine
Grundsatzentscheidung des Parlaments zur Embryonenforschung. Am 31. Mai 2001
fand im Deutschen Bundestag dann eine mehrstündige Debatte über "Recht und
Ethik der modernen Medizin und Biotechnologie" statt. In der Debatte waren sich
die Abgeordneten darin einig, dass der Gesetzgeber sich nicht von Wissenschaft
und Wirtschaft unter Zeitdruck setzen lassen dürfe, sondern erst in Ruhe ausloten
müsse, wie mit den Herausforderungen der Biomedizin und speziell mit der Regelungslücke im Embryonenschutzgesetz zum Import von embryonalen Stammzellen
umgegangen werden solle. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel forderte sogar ein
Moratorium, das deutschen Wissenschaftlern in der Zwischenzeit untersagen sollte,
embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken zu importieren.
Doch bereits einen Tag nach der Bundestagsdebatte sprach sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement medienwirksam dafür aus, die Forschung an embryonalen Stammzellen in seinem Bundesland kurzfristig durch die
Importlösung zu ermöglichen. Mit diesem Vorstoß spitzte sich die deutsche
Stammzelldebatte weiter auf die Frage zu, ob die Einfuhr embryonaler Stammzellen
aus dem Ausland genehmigt werden solle oder nicht. Insbesondere der Anfang Mai
2001 vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder einberufene Nationale Ethikrat sowie die Ende März 2000 vom deutschen Parlament eingesetzte EnqueteKommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" sollten sich von nun an vorrangig mit diesem Thema beschäftigen. Da die Stellungnahmen der beiden Gremien
die Grundlage für eine umfassende Debatte des Deutschen Bundestages bilden
sollten, wurde die DFG ein weiteres Mal gebeten, ihre Entscheidung über die Förderung des Forschungsantrages von Oliver Brüstle und damit indirekt für oder gegen den Import embryonaler Stammzellen nach Deutschland zu verschieben.
Die Enquete-Kommission legte Mitte November 2001 als erstes der beiden nationalen Ethikgremien ihre Stellungnahme vor (Enquete-Kommission Recht und Ethik
der modernen Medizin 2001). Darin sprachen sich die Kommissionsmitglieder mit
einer deutlichen Mehrheit von 26 zu 12 Stimmen gegen den Import von embryonalen Stammzellen aus. Ende November 2001 folgte die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates, der mit einer 15 zu 10-Mehrheit den Stammzellimport befürwortete
(Nationaler Ethikrat 2001). Beide Gremien wollten trotz des jeweils deutlichen
Votums keine Empfehlung an den Bundestag geben, weil jeder Abgeordnete in dieser Frage seine eigene Gewissensentscheidung treffen solle.
Am 30. Januar 2002 hatte der Deutsche Bundestag dann über einen Gesetzesentwurf zum Import embryonaler Stammzellen abzustimmen. Den Abgeordneten lagen
drei parteiübergreifende Anträge vor, nach denen der Import embryonaler Stammzellen verboten, nur in Ausnahmen erlaubt bzw. vollständig erlaubt werden sollte.
Im zweiten Wahlgang setzte sich schließlich die Kompromisslösung durch, die den
246
Import grundsätzlich verbot, aber streng zu regelnde Ausnahmen zuließ. Einen Tag
nach dem Beschluss des Deutschen Bundestags bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Forschungsantrag des Bonner Wissenschaftlers Brüstle,
der wesentlichen Einfluss auf die deutsche Stammzelldebatte gehabt hatte, unter
dem Vorbehalt, dass die Voraussetzungen für den Import embryonaler Stammzellen
gesetzlich geregelt werden.
Nach fast dreimonatiger Arbeit in den Ausschüssen wurde das deutsche Stammzellgesetz am 25. April 2002 in zweiter Lesung durch den Bundestag verabschiedet, es
ist am 1. Juli 2002 in Kraft getreten. In einer zum Vollzug des Gesetzes notwendigen Rechtsverordnung wird das Robert-Koch-Institut (RKI) zur zuständigen Behörde für die Genehmigung bestimmt und das Verfahren zur Berufung und zur Arbeit der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung festgelegt. Die
wichtigsten Bestimmungen des Stammzellgesetzes sind:
•
Die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen sind in Deutschland
grundsätzlich verboten. Abweichend davon sind jedoch die Einfuhr und die
Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken unter den folgenden Voraussetzungen zulässig:
−
−
−
−
−
•
Die embryonalen Stammzellen müssen vor dem 1. Januar 2002 gewonnen
worden sein, die Herstellung der Stammzellen muss in Übereinstimmung mit
der Rechtslage im Herkunftsland geschehen sein.
Die Stammzellen müssen aus so genannten "überzähligen" Embryonen gewonnen sein, d. h. aus Embryonen, die zum Zweck der Herbeiführung einer
Schwangerschaft erzeugt worden sind, jedoch endgültig dafür nicht mehr
verwendet wurden.
Die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung darf nicht mit einem geldwerten Vorteil verbunden gewesen sein.
Forschungsprojekte an embryonalen Stammzellen dürfen nur durchgeführt
werden, wenn sie hochrangigen Forschungszielen dienen und sich für den im
Forschungsvorhaben angestrebten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn keine
Alternative bietet.
Jedes Forschungsprojekt mit embryonalen Stammzellen muss von der zuständigen Behörde, dem Robert-Koch-Institut, genehmigt werden. Die Behörde
muss zu jedem beantragten Projekt die Stellungnahme der Zentralen EthikKommission für Stammzellenforschung (je fünf Sachverständige der Fachrichtungen Biologie und Medizin und je vier Sachverständige der Fachrichtungen Theologie und Ethik hinsichtlich seiner ethischen Vertretbarkeit einholen.
Die Bundesregierung legt dem Deutschen Bundestag alle zwei Jahre, erstmals
Ende 2003 einen Erfahrungsbericht vor, der auch die Ergebnisse der Forschung
an anderen Formen menschlicher Stammzellen darstellt.
247
Ihre Brisanz zieht die deutsche Stammzelldebatte aus ihrer Verknüpfung mit der
Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryos, also aus der Frage
nach dem Grund, dem Umfang und dem Beginn seiner Schutzwürdigkeit. In der
deutschen Gesellschaft finden sich dazu verschiedene ethische Grundpositionen, die
sich entsprechend auch in der Frage unterscheiden, ob die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen vertretbar ist. In der Debatte teilen die Vertreter unterschiedlicher Schutzkonzepte zwar wichtige Prinzipien und Prämissen,
trotzdem ist es ihnen in den letzten 20 Jahren nicht gelungen, eine von allen geteilte
Sichtweise über den moralischen Status des Embryos zu finden (van den Daele
2001). Im folgenden werden einige der in der Debatte vertretenen Positionen kurz
vorgestellt, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich hierbei nicht um spezifisch
deutsche Standpunkte handelt, sondern um Positionen, die sich auch in anderen
Ländern finden (vgl. auch Kaminsky 1998), wie unser Überblick über die Stammzelldebatte im Ausland zeigt.
Eine Position geht davon aus, dass dem menschlichen Embryo von der Befruchtung
an der Schutz der menschlichen Würde zukommt. Die Unverletzlichkeit der dem
Menschen zukommenden Würde wird in engem Zusammenhang mit dem Schutz
des Lebens gesehen. Da das leibliche Leben die Voraussetzung dafür ist, sittliches
Objekt zu sein, folgt aus dem Würdeschutz der Lebensschutz. Entsprechend ist
menschliches Leben der Güterabwägung entzogen und findet nur an Schutzansprüchen gleichen Ranges seine Grenzen. Weiter wird argumentiert, dass "menschliches
Leben" und "Subjekt" ihrer Natur nach identisch sind (Identitätsargument), dass der
geborene Mensch in ungebrochener Kontinuität zu dem ungeborenen steht, aus dem
er sich entwickelt (Kontinuitätsargument) und dass mit der abgeschlossenen Befruchtung ein neues Lebewesen entstanden ist, das das Potenzial besitzt, sich zu
einem geborenen Menschen zu entwickeln (Potenzialitätsargument) (EnqueteKommission Recht und Ethik der modernen Medizin 2001).
Eine zweite Grundposition differenziert zwischen dem Würde- und Lebensschutz.
Zwar fällt ein menschliches Lebewesen von der abgeschlossenen Befruchtung an
unter die Unverletzlichkeit der dem Menschen zukommenden Würde und ist damit
auch nicht gegen andere Güter abwägbar. Doch der Lebensschutz folgt nicht automatisch aus dem Würdeschutz, sondern wiegt umso schwerer, umso weiter die
Entwicklung bis zur Geburt vorangeschritten ist (Enquete-Kommission Recht und
Ethik der modernen Medizin 2001).
Die Vertreter der dritten Position gehen davon aus, dass dem Menschen von der
abgeschlossenen Befruchtung an Schutzwürdigkeit zukommt. Das Maß der
Schutzwürdigkeit steigt jedoch mit den Stufen der Entwicklung. Die volle Schutzwürdigkeit, die dem Menschen als Subjekt und Person geschuldet ist, wird erst mit
dem Erreichen eines bestimmten Entwicklungsstandes gefordert, z. B. dem Ausschluss der Mehrlingsbildung und der damit verbundenen endgültigen Individualität, der Einnistung des Embryos in den Uterus oder dem Beginn des Hirnlebens. Extreme Vertreter dieser Position verbinden die volle Schutzwürdigkeit gar mit Eigen-
248
schaften wie Besitz und Wahrnehmung von Interessen, Selbstbewusstsein oder Zukunftsbezug (Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin 2001).
Zusätzlich zu den genannten Positionen gibt es noch eine feministische Perspektive,
nach der der Status des Embryos nur in der Beziehungseinheit mit seiner Mutter
und unter Berücksichtigung deren Subjektstatus angemessen betrachtet werden
kann. Eine Beurteilung des Embryos als eigenständiges Schutzgut stellt den Embryo in einen Gegensatz zu seiner Mutter, was sowohl der sozialen Erfahrung der
Frau als auch der Verbundenheit des Embryos mit seiner Mutter widerspricht (Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin 2001).
Auch der Nationale Ethikrat hat sich in seiner Stellungnahme "Zum Import
menschlicher embryonaler Stammzellen" zur Frage des moralischen Status des
menschlichen Embryos geäußert und dabei im Kontext seiner Präsentation der Argumentationslinien für und wider den Import humaner ES-Zellen zwei Hauptpositionen vorgestellt und diskutiert, und zwar das Konzept des abgestuften vorgeburtlichen Würde- und Lebensschutzes und das Konzept des Würde- und Lebensschutzes
ab der Befruchtung.
Weiterhin gibt es auch die Position, die mit der symbolischen Funktion des Schutzes menschlicher Embryonen argumentiert. "Unabhängig vom moralischen Status,
der dem Embryo als solchem zukommt, hat sein verlässlicher Schutz in unserer
Kultur eine symbolische Funktion und Bedeutung. Die Abwehr der Instrumentalisierung des Embryos für fremdnützige Zwecke steht für den Schutz aller, die sich
nicht selbst schützen und hierfür auch nicht selbst argumentieren können. Es gilt,
die Ängste, die es in der Bevölkerung vor der Forschung an Embryonen gibt, ernst
zu nehmen. Darüber hinaus müssen die Folgen bedacht werden, die Embryonenforschung und –nutzung für unser Menschenbild, für die weitere Entwicklung der Reproduktionsmedizin, für die Patienten und nicht zuletzt für die Menschen haben,
von denen die Keimzellen oder Embryonen stammen." (Nationaler Ethikrat 2001).
9.2.4
Die Debatte in Österreich
Grundlage der österreichischen Haltung zu den Herausforderungen der modernen
Biomedizin ist das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) aus dem Jahre 1992.
Dieses Gesetz verbietet die Forschung an menschlichen Embryonen und die Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen. Der Import bereits existierender Stammzell-Linien ist hingegen nicht verboten. Auch die Verwendung von
embryonalen Stammzellen für medizinische Behandlungen wäre rein rechtlich
möglich. In der Tatsache, dass die gesamte Materie der Embryonenforschung und
neuer Verfahren der Reproduktionsmedizin bislang rechtlich nicht umfassend und
eindeutig geregelt ist, liegt ein wesentlicher Auslöser für biopolitische Debatten in
Österreich. So flackerte die österreichische Debatte kurz, aber intensiv auf, als An-
249
fang Mai 2001 der Wiener Gynäkologe Prof. Johannes Huber die Freigabe der
"überzähligen" Embryonen aus der künstlichen Befruchtung für die Forschung forderte. Diese Forderung fand bei den Gesundheitssprechern aller Parteien ungeteilte
Zustimmung, rief aber zugleich heftigen Widerspruch von Vertretern der Kirchen
hervor.
Um der rechtlich unsicheren Situation zu begegnen, rief Bundeskanzler Wolfgang
Schüssel eine Bioethik-Kommission ins Leben, der 19 Experten angehören. Die
Kommission konstituierte sich Anfang Juli 2001 und wählte Johannes Huber zu
ihrem Vorsitzenden. Auf ihrer ersten Tagung Ende Oktober 2001 setzten sich die
Kommissionsmitglieder zwei Schwerpunkte für ihre Arbeit. Zum einen wollten sie
zur Europäischen Menschenrechtskonvention der Biomedizin Stellung beziehen
und zum anderen auf die aktuellen Probleme aus dem Bereich der Reproduktionsmedizin, wie Kryokonservierung von Keimzellen, Forschung an embryonalen
Stammzellen und Grundrechte des Menschen reagieren. Von Beginn an war diese
"Ethikkommission der Bundesregierung" der Kritik ausgesetzt, dass Mediziner,
Theologen und selbst die Pharmaindustrie in ihr Sitz und Stimme hätten, Frauen
aber deutlich unterrepräsentiert seien (3 von 19) und Behinderte ganz fehlten. Gerade das Fehlen von Behinderten führte dazu, dass sich Vertreter der wichtigsten
österreichischen Behindertenverbände zu einer "Ethikkommission für die österreichische Regierung" zusammenschlossen, um eine zweite Perspektive zu Fragen der
Ethik zu bieten. Zur Vorsitzenden wurde Birgit Primig-Eisner von der Lebenshilfe
Österreich gewählt. Thematisch sollten dieselben Punkte abgearbeitet werden, die
sich die Regierungskommission gestellt hatte. Um die Brisanz aus dieser Entwicklung zu nehmen, betonte der Vorsitzende der Bioethik-Kommission der Bundesregierung, dass es von vornherein geplant war, Behindertenorganisationen zu den Sitzungen einzuladen, auf denen Themen behandelt werden, die sie beträfen. Auch
solle es in Zukunft öffentliche Veranstaltungen geben, auf denen sich Kommissionsmitglieder der Diskussion mit der Bevölkerung stellen wollen.
Ein zweiter Auslöser, sich in den, aber auch außerhalb der genannten Ethikkommissionen mit Fragen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu
beschäftigen, kam von der EU. Im 6. EU-Rahmenprogramm ist vorgesehen, von
insgesamt 17 Milliarden Euro bis zu 254 Millionen Euro für die Forschung an embryonalen Stammzellen auszugeben. Nachdem dies Anfang Dezember 2001 bekannt wurde, sprach sich Bildungsministerin Elisabeth Gehrer dagegen aus und
hinterließ bei der EU eine Protokollnotiz, in der sie betonte, dass eine Förderung
dieser Arbeiten auf europäischer Ebene aus österreichischer Sicht nicht akzeptabel
sei. Zugleich bat sie die Ethikkommission der Regierung, sich vorrangig mit dem
Thema der Förderung von Forschungsprojekten mit embryonalen Stammzellen zu
beschäftigen. Nach mehrmonatigem Ringen, doch noch eine gemeinsame Position
zu finden, sprach sich die Kommission Anfang Mai 2002 mit einer Mehrheit von
11:8 Stimmen für die Finanzierung der Forschung mit embryonalen Stammzellen
auf europäischer Ebene aus, allerdings nur für Projekte, in denen mit bereits beste-
250
henden Stammzell-Linien gearbeitet wird. Einigkeit bestand in dem Punkt, die Forschungen an adulten Stammzellen zu forcieren.
Im Zentrum der österreichischen Debatte um menschliche embryonale Stammzellen
stehen, abgesehen von den Anlässen, die folgenden Fragen:
•
Wann beginnt das menschliche Leben?
•
In welchem Umfang sind Embryonen zu schützen?
•
Haben Embryonen eine Würde, oder handelt es sich nur um "Zellhaufen"?
Diese Fragen spalten die österreichische Gesellschaft, Organisationen oder Parteien.
Klar gegen die Einfuhr oder Gewinnung von bzw. die Forschung an menschlichen
embryonalen Stammzellen haben sich die "alternative" Ethikkommission für die
österreichische Regierung und die katholische Kirche ausgesprochen. Die evangelischen Kirchen sind hingegen nicht grundsätzlich gegen die Embryonenforschung.
Auch Bundeskanzler Schüssel hat sich dafür ausgesprochen, doch gibt es in seiner
eigenen Partei, der ÖVP, bis hinauf in die Ministerämter keine einheitliche Meinung zur Stammzellforschung. Die Befürworter einer Zulassung der Forschung an
embryonalen Stammzellen führen in erster Linie wirtschaftliche Argumente ins
Feld. So sprach sich beispielsweise Wirtschaftsminister Martin Bartenstein auf dem
1. Bioethik-Kongress der ÖVP Mitte Juli 2001 aus Sorge um den Standort Österreich gegen eine Begrenzung der Forschung aus. Die Argumente der Gegner reichen von generellen Erwägungen zum moralischen Status des Embryos bis zum
Dammbruchargument, dass die Zulassung der Forschung an embryonalen Stammzellen auch die Tür zur verbrauchenden Embryonenforschung und zum Menschen
nach Maß öffnen würde.
9.2.5
Die Debatte in den USA
Die Thematik menschliche embryonale Stammzellen war und ist in den USA immer
wieder Gegenstand heißer Debatten. Gerade im Vorfeld und im Nachklang wichtiger biopolitischer Reden des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush
flammten die Diskussionen zwischen Gegnern und Befürwortern stark auf, so im
August 2001 zu seiner Rede zur staatlichen Förderung der Stammzellforschung
oder im April 2002 zu der Rede zum Verbot jeglichen Klonens. Vordergründig betrachtet, stehen sich in den USA Vertreter der christlich-konservativen und der freiheitlich-liberalen Tradition gegenüber. Doch auch innerhalb dieser beiden Lager
gibt es Personen, Gruppen und Institutionen, die die Forschung an embryonalen
Stammzellen befürworten und solche, die diese Forschung ablehnen. Der Riss geht
quer durch die Reihen der Politiker, Wissenschaftler, Ärzte und religiösen Gemeinschaften.
251
Die USA weisen im Vergleich zu vielen europäischen Ländern insofern eine besondere Situation auf, als rechtliche Einschränkungen der Forschung an menschlichen
Embryonen vor allem im Bereich der aus Steuermitteln finanzierten Forschung
bestehen, während im Bereich der privat finanzierten Forschung diese Restriktionen
nicht bestehen. Dementsprechend geht es in der politischen Debatte auch nicht um
ein umfassendes Verbot der Forschung an menschlichen Embryonen, sondern um
die Frage, ob sich der Staat durch die Förderung solcher Forschung mit Steuermitteln an der Vernichtung von Embryonen beteiligen darf. Nach einer Gesetzesnovelle von 1996 darf die Embryonenforschung nicht Gegenstand staatlicher Förderung sein. Durch die verheißungsvollen Ergebnisse der privatwirtschaftlich geförderten Stammzellforschung geriet das Gesetz von 1996 auch in die politische Diskussion. Im Sommer 2000 – noch in der Amtszeit von Präsident Clinton – schien
eine staatliche Förderung der Stammzellforschung möglich. Durch den Wechsel im
Amt des US-amerikanischen Präsidenten änderte sich jedoch auch das allgemeine
Klima im Umgang mit dem biomedizinischen Fortschritt. Der neue Präsident Bush
schob seine Entscheidung zur Forschungsförderung immer wieder auf und legte
schließlich im August 2001 fest, dass in Forschungsprojekten, die mit Bundesmitteln finanziert werden, nur embryonale Stammzellen verwenden dürfen, die von
bereits existierenden Stammzell-Linien herrühren. Mit dieser Stichtagsregelung
entspricht Bush dem Forschungsverbot von 1996 insofern, als keine weiteren Embryonen für die öffentlich finanzierte Forschung verbraucht werden dürfen (Vogel
2001).
Um dem Wertkonservatismus seiner Wählerschaft Rechnung zu tragen, kündigte
Bush gleichzeitig ein Gesetz an, welches das Klonen von Menschen zu reproduktiven wie therapeutischen Zwecken verbieten sollte und damit auch die Option,
menschliche ntES-Zellen zu gewinnen. Dieses Gesetz wurde Ende Juni 2001 vom
US-Repräsentantenhaus mit der Mehrheit der republikanischen Abgeordneten beschlossen. Der US-Senat ist in dieser Frage jedoch gespalten. Etwa 40 der 100 Senatoren sprachen sich für ein Verbot des "therapeutischen" Klonens aus, 40 Senatoren waren gegen ein Verbot und 20 hatten im Frühjahr 2002 ihren Entscheidungsprozess noch nicht abgeschlossen. Interessant war die Bildung einer überparteilichen Gruppe, die sich für die Billigung des "therapeutischen" Klonens bei einem
generellen Verbot des reproduktiven Klonens einsetzte. In dieser Phase versuchten
verschiedene Seiten, auf die Entscheidung der Senatoren Einfluss zu nehmen. So
warnte eine Gruppe von 40 Nobelpreisträgern vor einer Behinderung der Forschung, sollte das therapeutische Klonen verboten werden. Anfang März 2002
sprach sich die größte Organisation der orthodoxen Juden in den USA ebenfalls für
das "therapeutische" Klonen aus. Zudem unterstützen Mormonen, Muslime und
einige protestantische Denominationen die Stammzellforschung. Von der überwiegenden Zahl der Bevölkerung wird das "therapeutische Klonen" zur Gewinnung
von embryonalen Stammzellen abgelehnt.
252
Präsident Bush sprach sich im April 2002 vor ca. 200 geladenen Ärzten, Politikern,
Wissenschaftlern und Vertretern der Kirchen im Weißen Haus gegen jegliche Form
des Klonens aus (NZZ 2002). Auch der von Präsident Bush berufene Council on
Bioethics, der die Bundespolitik in Bezug auf das Klonen beraten sollte, ist in der
Frage der Zulässigkeit des "therapeutischen" Klonens gespalten. Am 11. Juli 2002
legte das 18köpfige Expertengremium seinen Bericht "Human Cloning and Human
Dignity: An Ethical Inquiry" vor, in dem 10 Mitglieder ein vierjähriges Moratorium
für das "therapeutische Klonen" befürworteten, während 7 Mitglieder entsprechende
Forschungsarbeiten unter strikten Bedingungen sofort zulassen wollten (The President's Council on Bioethics 2002, Hall 2002). Nachdem die Gegner einer breit angelegten Stammzellforschung im Juni 2002 im amerikanischen Senat mit ihrem
Antrag gescheitert sind, die Patentierung von Erfindungen aus der Stammzellforschung zu untersagen, wird es 2002 voraussichtlich keine Abstimmung zu dem Gesetz, das auch das "therapeutische" Klonen verbieten soll, mehr geben.
Grundsätzlich streiten Gegner und Befürworter der Stammzellforschung um die
ethische Frage, wie hoch das Lebensrecht eines Embryos im Vergleich zum Recht
eines Kranken auf Heilung bzw. eines kinderlosen Paares auf Nachwuchs zu gewichten ist. Befürworter der Stammzellforschung argumentieren in der Regel mit
den neuen Therapiemöglichkeiten v.a. für Krankheiten und Verletzungen des zentralen Nervensystems. Während Gegner ihre Ablehnung der Stammzellforschung
damit begründen, dass die Technik selbst unethisch und der daraus für Patienten zu
ziehende Nutzen höchst spekulativ sei, dass die Überwachung der Forschung und
die Sicherstellung ihres Missbrauchs illusorisch sei und dass das Klonen eine Ausbeutung des Körpers von Frauen bewirken und einen großen nationalen Markt für
Eispenden schaffen würde.
9.3
Die Stammzelldebatte in der Schweiz
9.3.1
Verlauf der schweizerischen Debatte
Das Auffällige an der schweizerischen Debatte um menschliche embryonale
Stammzellen ist ihre Unauffälligkeit. Speziell im Vergleich mit der deutschen Debatte lief die schweizerische nur zögerlich an, obwohl in beiden Ländern ähnliche
Ereignisse den "Startpunkt" der Debatte markierten: In der Schweiz richteten Genfer Forscher im Frühjahr 2000 ein Forschungsgesuch an den Schweizerischen Nationalfonds (SNF), das auch den Import menschlicher embryonaler Stammzellen
umfasste. Dies löste in der Schweiz – anders als in Deutschland – zunächst keine
große Diskussion aus, während auf ein ähnliches Gesuch, das in Deutschland von
Forschern der Universität Bonn an die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerichtet
253
wurde, nahezu unmittelbar eine heftige und breite gesellschaftliche Debatte folgte.
Der Ethiker Klaus Peter Rippe vom Ethikzentrum der Universität Zürich erklärte
diesen zwischen der Schweiz und Deutschland unterschiedlichen Verlauf der Debatte damit, dass in Deutschland Tabuthemen berührt wären und dass beide Länder
eine unterschiedliche Diskussionskultur hätten (Tagblatt 2.2.2002).
Gestützt auf ein Rechtsgutachten, das auch die rechtliche Zulässigkeit des Imports
menschlicher embryonaler Stammzellen beleuchtet (Guillod 2001), bewilligte der
SNF im September 2001 den Antrag der Genfer Forscher, obwohl das Eidgenössische Departement des Inneren (EDI) und die Nationale Ethikkommission sich kurz
zuvor dafür ausgesprochen hatten, eine Entscheidung über die Finanzierung von
Forschungen mit embryonalen Stammzellen weitere sechs Monate zurückzustellen,
um der politischen und gesellschaftlichen Diskussion Raum zu geben (Nationale
Ethikkommission im Bereich Humanmedizin NEK-CNE 2001). Dies führte dazu,
dass das Thema embryonale Stammzellen von nun an in der Schweiz intensiver
diskutiert wurde. So wurden beispielsweise in zeitlicher Nähe zum SNF-Entscheid
mehrere parlamentarische Vorstöße unternommen.
In Reaktion auf verschiedene parlamentarische Vorstöße, zur Klärung der den Import von embryonalen Stammzellen betreffenden Rechtslage und zur Regelung des
noch offenen Umgangs mit so genannten "überzähligen" menschlichen Embryonen
aus IVF erteilte der Bundesrat im November 2001 dem Eidgenössischen Departement des Innern den Auftrag, ein spezielles Bundesgesetz zur Forschung an Embryonen auszuarbeiten. Dadurch wurde die gesetzliche Regelung bestimmter Aspekte
vorgezogen, die ursprünglich im Gesetz über die Forschung am Menschen geregelt
werden sollten. Allerdings soll dieses Spezialgesetz später in das angekündigte Gesetz über die Forschung am Menschen integriert werden. Am 22. Mai 2002 wurde
der unter Federführung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) erarbeitete Entwurf
zu einem "Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und
embryonalen Stammzellen" in die Vernehmlassung geschickt, die bis August 2002
dauerte. Der überarbeitete Gesetzesentwurf wurde vom Bundesrat am
20. November 2002 zu Handen des Parlaments verabschiedet.
In Tabelle 9.1, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, wird der Verlauf der
schweizerischen Debatte im Zeitraum vom Frühjahr 2000 bis Frühsommer 2002
anhand ausgewählter, markanter Ereignisse skizziert. In Kapitel 9.3.3 werden die
Argumentationen und Standpunkte schweizerischer Akteure dargestellt, die ihre
Positionen in entsprechenden Stellungnahmen und Berichten veröffentlicht haben.
Meinungsäußerungen weiterer Akteure in der Schweiz wurden in Form einer "Momentaufnahme" erhoben, die im Anhang (s. A2) dokumentiert wird.
254
Tabelle 9.1:
Datum
Charakterisierung der gesellschaftlichen Debatte über menschliche
embryonale Stammzellen in der Schweiz anhand ausgewählter Ereignisse im Zeitraum Frühjahr 2000 bis Frühsommer 2002
Ereignis
März 2000
Die Forscher Marisa Jaconi und Karl-Heinz Krause der Universität
Genf reichen beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) ein Gesuch
um finanzielle Unterstützung eines Projektes ein, das den Import
menschlicher embryonaler Stammzellen vorsieht.
Mai 2000
Eine Expertengruppe des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) beginnt
mit dem Vorentwurf für ein neues Bundesgesetz über die Forschung
am Menschen, das voraussichtlich 2005 in Kraft treten soll.
1. Januar 2001
Das Fortpflanzungsmedizingesetz tritt in Kraft.
13. Juni 2001
Der SNF beurteilt das Gesuch der Genfer Forschergruppe als wissenschaftlich unterstützungswürdig, verschiebt den Entscheid jedoch auf
den Spätsommer.
3. Juli 2001
Der Bundesrat setzt die Nationale Ethikkomission im Bereich Humanmedizin (NEK) ein.
28. August 2001
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
(SAMW) veröffentlicht das "Positionspapier der Zentralen Ethikkommission zur Gewinnung von und Forschung an menschlichen
Stammzellen".
17. September 2001 Parlamentarische Initiative 01.441 der Nationalrätin Rosmarie Dormann (CVP): Verbot der verbrauchenden Forschung an Embryonen.
Moratorium.
19. September 2001 Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin veröffentlicht ihre Stellungnahme "Forschung an importierten embryonalen Stammzellen".
28. September 2001 Der SNF bewilligt das Gesuch der Genfer Forschergruppe, das den
Import menschlicher embryonaler Stammzellen beinhaltet. Gleichzeitig veröffentlicht er sein "Positionspapier des SNF zur Verwendung
von menschlichen, embryonalen Stammzellen in der biomedizinischen Forschung".
4. Oktober 2001
Interpellation 01.3530 des Nationalrats Felix Gutzwiller (FDP):
Stammzellenforschung. Übergangsregelung.
4. Oktober 2001
Motion 01.3531 des Nationalrats Walter Schmied (SVP): Dringliches
Bundesgesetz über die Einfuhr von embryonalen Stammzellen. Bundesrat beantragt Ablehnung der Motion
255
Fortsetzung Tabelle 9.1
Datum
Ereignis
21. November 2001 Bundesrätin Ruth Dreifuss, Vorsteherin des Eidgenössischen Department des Inneren (EDI) teilt mit, dass der Bundesrat dem EDI den
Auftrag erteilt, bestimmte Aspekte der Embryonenforschung aus der
laufenden Erarbeitung des Gesetzesentwurfs über die Forschung am
Menschen auszukoppeln und hierfür bis zum Frühsommer ein spezielles, vorgezogenes Bundesgesetz zur Forschung an Embryonen
auszuarbeiten. Das Spezialgesetz soll später in das Gesetz über die
Forschung am Menschen integriert werden. Die Gesetzesarbeiten
sollen mit einer breiten Debatte einhergehen, die durch die Stiftung
Science et Cité organisiert wird.
3. Dezember 2001
Motion 01.3700 des Nationalrats Jean Henri Dunant (SVP): Forschung an embryonalen Stammzellen. Bundesrat beantragt Umwandlung der Motion in Postulat
10. Dezember 2001 Frage 01.5273 der Nationalrätin Maya Graf (Grüne): Überzählige
Embryonen in der Schweiz
14. März 2002
Die von den Genfer Forschern in den USA bestellten Stammzellen
treffen in der Schweiz ein.
15. April 2002
Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat veröffentlicht den Zwischenbericht
seiner
Studie
"Technologiefolgen-Abschätzung
Menschliche Stammzellen".
17. April 2002
Interpellation 02.3197 des Nationalrats Felix Gutzwiller (FDP):
Überzählige Embryonen und Stammzellenforschung.
22. Mai 2002
Die Vernehmlassung zum Entwurf des Embryonenforschungsgesetzes
wird eröffnet.
5. Juni 2002
Die Stiftung Science et Cité stellt ihre Kampagne vor, mit der sie die
öffentliche Debatte rund um das Thema "Forschung an Stammzellen"
unterstützen will.
17. Juni 2002
Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat veröffentlicht die Ergebnisse zum publifocus "Menschliche Stammzellen".
19. Juni 2002
Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK)
veröffentlicht ihre Stellungnahme "Zur Forschung an embryonalen
Stammzellen".
20. Juni 2002
Motion 02.3335 des Nationalrats Felix Gutzwiller (FDP): Forschung
an embryonalen Stammzellen und Fortpflanzungsmedizingesetz.
Bundesrat beantragt Umwandlung der Motion in Postulat
2. Oktober 2002
Interpellation 02.3550 der Ständerätin Christiane Langenberger
(FDP): Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik.
Politische und juristische Unklarheiten?
20. November 2002 Der Bundesrat verabschiedet den überarbeiteten Entwurf des
Embryonenforschungsgesetzes zu Handen des Parlaments
256
9.3.2 Inhalte der schweizerischen Debatte
Im Zentrum der schweizerischen Debatte stehen die Fragen:
•
Darf die medizinische Forschung zur Entwicklung neuer Therapien auf embryonale Stammzellen zurückgreifen, auch wenn zu deren Gewinnung wenige Tage
alte menschliche Embryonen zerstört werden, die auf Grund ihrer "Überzähligkeit" ohnehin der Vernichtung anheimfallen würden?
•
Darf man, da die verbrauchende Embryonenforschung im eigenen Land verboten
ist, menschliche embryonale Stammzellen zumindest importieren?
Hinter der ersten Frage steht die Frage nach dem moralischen Status menschlicher
Embryonen in vitro und den daraus abzuleitenden Schutzansprüchen. Ein weiteres
Problem im Zusammenhang mit der Stammzellforschung ist das der Instrumentalisierung menschliches Lebens. Darf es überhaupt (auch wenn es sich um "überzählige" Embryonen handelt) und wenn ja, unter welchen Umständen, für die medizinische Forschung genutzt werden? Die Frage nach dem moralischen Status des Embryos und den daraus erwachsenden Schutzansprüchen wird international sehr unterschiedlich beantwortet. Wie oben beschrieben, wird im Rechtssystem Großbritanniens, aber auch Israels, menschliches Leben erst nach dem 14. Tag nach der
Befruchtung als besonders schützenswert angesehen. Die Rechtslage in der Schweiz
spiegelt hingegen ein Verständnis wider, nach dem menschlichem Leben bereits
von der Befruchtung an besonderer Schutz zu gewähren ist. Ein Spezifikum der
schweizerischen Debatte im internationalen Vergleich ist, dass sie sich auf die allfällige Verwendung "überzähliger" Embryonen konzentriert. Dieser Umstand ist
sicherlich auch der geltenden Rechtslage geschuldet, die die Verwendung dieser
"überzähligen" Embryonen noch nicht abschließend gesetzlich geregelt hat
(vgl. Kap. 8). Die zweite Kernfrage beleuchtet das ethische Dilemma, in das man
sich begäbe, verböte man im eigenen Land die Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen aus guten Gründen, importiere jedoch Stammzell-Linien
und tolerierte damit die Tötung von Embryonen im Ausland.
9.3.3
Beiträge, Stellungnahmen und Positionen ausgewählter Akteure
9.3.3.1
Eidgenössisches Departement des Inneren (EDI)
In Reaktion auf verschiedene parlamentarische Initiativen, zur Klärung der den Import von embryonalen Stammzellen betreffenden Rechtslage und zur Regelung des
noch offenen Umgangs mit so genannten "überzähligen" menschlichen Embryonen
aus IVF beschloss der Bundesrat im November 2001, bestimmte Aspekte der Embryonenforschung aus der laufenden Erarbeitung des Gesetzesentwurfs über die
257
Forschung am Menschen auszukoppeln. Er erteilte deshalb dem Eidgenössischen
Departement des Innern (EDI) den Auftrag, hierfür bis zum Frühsommer 2002 ein
spezielles, vorgezogenes Bundesgesetz zur Forschung an Embryonen auszuarbeiten,
das zu einem späteren Zeitpunkt wieder in das noch zu erarbeitende Gesetz über die
Forschung am Menschen integriert werden soll.
Unter der Federführung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wurde der Entwurf
zu einem "Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und
embryonalen Stammzellen (Embryonenforschungsgesetz, EFG), Loi fédérale
relative à la recherche sur les embryons surnuméraires et sur les cellules souches
embryonnaires, LRE" ausgearbeitet. Das EDI schickte diesen Entwurf am
22. Mai 2002 in die Vernehmlassung, die bis Ende August 2002 dauerte.
9.3.3.2
Der Bundesrat
Auf Grund der Ergebnisse der Vernehmlassung wurde der Gesetzesentwurf
geringfügig angepasst und am 20. November 2002 vom Bundesrat zusammen mit
der erläuternden "Botschaft" zu Handen des Parlaments verabschiedet. Dieser
Gesetzesentwurf regelt die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen aus
"überzähligen" Embryonen für die Forschung, die Forschung an embryonalen
Stammzellen sowie die Forschung an "überzähligen" Embryonen. Er bezweckt, den
missbräuchlichen Umgang mit "überzähligen" menschlichen Embryonen und mit
menschlichen embryonalen Stammzellen in der Forschung zu verhindern und die
Menschenwürde zu schützen. Der Gesetzesentwurf lässt die Gewinnung
embryonaler Stammzellen aus und die Forschung an "überzähligen" Embryonen
zwar zu, jedoch ausschließlich zu Forschungszwecken und nur unter bestimmten,
im Gesetzesentwurf ausgeführten Bedingungen. Dabei soll es unerheblich sein, ob
die Stammzellen aus dem In- oder Ausland stammen.
Diese Entscheidung wurde vor allem mit der Hoffnung begründet, mit Hilfe der
Forschung an Stammzellen neue Therapien gegen schwere Krankheiten zu finden,
die Verfahren der in vitro-Fertilisation zu verbessern und wesentliche Erkenntnisse
über die Entwicklungsbiologie des Menschen zu erlangen. Die Herstellung von
Embryonen allein zu Forschungszwecken soll auch in Zukunft untersagt bleiben, da
dies einer Instrumentalisierung menschlichen Lebens gleich käme. Ebenso bleiben
der Import von Embryonen, die zu Forschungszwecken hergestellt wurden, aus
ihnen hergestellte embryonale Stammzellen und das "therapeutische" Klonen untersagt. Um Missbrauchsmöglichkeiten der Forschung an "überzähligen" menschlichen Embryonen zu erschweren, legt der Gesetzesentwurf für die Forschung mit
menschlichen Embryonen und daraus gewonnenen Stammzellen folgende Einschränkungen fest:
•
Die "überzähligen" Embryonen dürfen nicht über den 14. Tag hinaus entwickelt
werden.
258
•
Zu Forschungszwecken verwendete "überzählige" Embryonen dürfen nicht auf
eine Frau übertragen werden.
•
Das Paar, von dem der Embryo stammt, muss in die Forschung schriftlich ausdrücklich einwilligen; es hat das Recht, diese Zustimmung zu verweigern oder
bis zum Beginn der Forschungsarbeiten ohne Angabe von Gründen zu
widerrufen.
•
Die Forschung muss unabhängig vom Fortpflanzungsverfahren des betreffenden
Paares sein.
•
Für die Forschung an "überzähligen" Embryonen und für die Gewinnung von
embryonalen Stammzellen ist eine Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit
(BAG) notwendig.
•
Die Forschung an bereits gewonnenen embryonalen Stammzellen setzt die
Zustimmung der zuständigen Ethikkommission voraus.
•
Nach Abschluss eines Forschungsprojektes muss eine Zusammenfassung der Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht werden.
•
Gleichwertige Erkenntnisse dürfen nicht auch auf einem anderen Weg erreichbar
sein, z. B. durch Forschung an adulten Stammzellen, an bestehenden embryonalen Stammzell-Linien, an tierlichen Embryonen.
•
Es darf nur das Minimum an menschlichen Embryonen verbraucht werden, das
für die Erreichung des Forschungsziels bzw. die Gewinnung der Stammzellen
zwingend erforderlich ist.
•
Es sind nur bestimmte, hochrangige Forschungsziele zulässig, für die menschliche "überzählige" Embryonen verbraucht werden.
•
"Überzählige" Embryonen und daraus gewonnene Stammzellen dürfen nicht für
kommerzielle Zwecke verwendet werden, sie dürfen nicht gegen Entgelt veräußert oder erworben werden.
•
Die Projekte müssen ethische und wissenschaftliche Kriterien erfüllen.
•
Die Forschung an importierten embryonalen Stammzellen bedarf ebenfalls der
Einwilligung des betroffenen Paares.
•
Der Import und Export von "überzähligen" Embryonen soll gemäß Gesetzesentwurf verboten werden.
Da im Zusammenhang mit der Stammzellenforschung ebenfalls relevante rechtliche
Fragen der Patentierung von Embryonen, Organen, Zellen oder Zell-Linien von der
schweizerischen Rechtssystematik her in den Geltungsbereich des Patentgesetzes
fallen, sind diese Fragen im Entwurf des Embryonenforschungsgesetzes nicht geregelt.
259
9.3.3.3
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEKCNE)
Die am 3. Juli 2001 vom Bundesrat eingesetzte Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-CNE) hat ein beratendes Mandat. Sie soll ethische
Fragen in der Entwicklung der Medizin und der biomedizinischen Wissenschaften
vorausschauend identifizieren und zu ihnen richtungsweisend Stellung nehmen. Zu
Fragen im Zusammenhang mit der Stammzellforschung hat sie zweimal Stellung
genommen, und zwar im September 2001 zur "Forschung an importierten embryonalen Stammzellen" (Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin
2001) sowie im Juni 2002 "Zur Forschung an embryonalen Stammzellen" (Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin 2002).
In ihrer ersten Stellungnahme war es der Kommission ein zentrales Anliegen, dass
durch eine Bewilligung oder Nichtbewilligung eines Forschungsgesuchs, das den
Import menschlicher embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken vorsah,
keine "Fakten geschaffen" würden, die zu der in der Schweiz aktuell gegebenen
Situation zu Präjudizien führen könnten. Deshalb empfahl die Mehrheit der Mitglieder der Ethikkommission, solche Forschungsgesuche vorerst zurückzustellen,
bis die Klärung sowohl in rechtlicher als auch in ethischer Hinsicht erreicht sei. Um
den Klärungsprozess sowohl in rechtlicher als auch in ethischer Hinsicht in der
Schweiz aktiv voranzutreiben, kündigte die Ethikkommission an, diesen Klärungsprozess zu unterstützen, indem sie die grundsätzliche ethische Frage der Forschung
an embryonalen Stammzellen zu einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in der kommenden Zeit machen werde. Das Resultat dieser Arbeit wurde in Form einer zweiten Stellungnahme im Juni 2002 vorgelegt.
Mitte Juni 2002 gab die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin ihr
öffentliches Votum zur Stammzellforschung ab (Nationale Ethikkommission im
Bereich Humanmedizin 2002). Die Mehrheit der Kommission sprach sich darin
dafür aus, die Gewinnung und Verwendung von embryonalen Stammzellen aus
"überzähligen" menschlichen Embryonen unter strengen Auflagen für Forschungsund Therapiezwecke zuzulassen. Da "überzählige" Embryonen aus der künstlichen
Befruchtung sowieso vernichtet werden müssten, so die Argumentation, könne die
Nutzung der embryonalen Stammzellen in der Forschung zu Ergebnissen führen,
mit denen kranken Menschen geholfen werden könne. Damit folgte die Kommissionsmehrheit in wesentlichen Punkten dem Gesetzesentwurf des EDI. Das Votum
der NEK-CNE umfasste zudem die Forderung nach einem Verbot der Patentierung
von menschlichen Embryonen, Organen, Zellen und Zell-Linien. Dieser Punkt wird
jedoch im Gesetzesentwurf gar nicht angesprochen (s. Kap. 9.3.3.1).
Eine Minderheit in der Kommission möchte die Forschung an menschlichen Embryonen generell verbieten. Sie befürchtet, dass mit der Zulassung der Forschung
der Instrumentalisierung menschlichen Lebens Tür und Tor geöffnet werde. Außer-
260
dem sprach sich die Kommissionsminderheit für die Anwendung der Grundrechte
auf Gesundheit und Selbstbestimmung auch auf frühe Embryonen aus, womit jegliche Nutzung menschlicher Embryonen für Experimente verboten wäre.
9.3.3.4
Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)
Im Frühjahr 2000 reichten Forscher der Universität Genf beim Schweizerischen
Nationalfonds (SNF) ein Forschungsgesuch ein, das auch den Import von im Ausland gewonnenen menschlichen embryonalen Stammzellen beinhaltete. Gestützt auf
ein Rechtsgutachten, das auch die rechtliche Zulässigkeit des Imports menschlicher
embryonaler Stammzellen beleuchtet (Guillod 2001), bewilligte der SNF im
September 2001 den Antrag der Genfer Forscher, obwohl das Eidgenössische Departement des Inneren (EDI) und die Nationale Ethikkommission sich kurz zuvor
dafür ausgesprochen hatten, eine Entscheidung über die Finanzierung von Forschungen mit embryonalen Stammzellen weitere sechs Monate zurückzustellen, um
der politischen und gesellschaftlichen Diskussion Raum zu geben (Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin NEK-CNE 2001). Zeitgleich mit der Bewilligung des oben erwähnten Forschungsgesuchs veröffentlichte der SNF das "Positionspapier des SNF zur Verwendung von menschlichen, embryonalen Stammzellen in der biomedizinischen Forschung".
In diesem Positionspapier vertritt der SNF die Auffassung, dass die Wissenschaftsfreiheit dann höher zu gewichten sei, wenn es darum gehe, für wissenschaftliche
Zwecke mit hochwertigen therapeutischen Zielen embryonale Stammzellen aus
"überzähligen" und deshalb ohnehin dem Tod geweihten menschlichen Embryonen
zu gewinnen. Zudem lädt der SNF den Gesetzgeber dazu ein, die Forschung an
menschlichen embryonalen Stammzellen gesetzlich zu regeln und hierfür klare
Rahmenbedingungen aufzustellen. Dabei strebe der SNF an, die Gewinnung
menschlicher embryonaler Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen auch in der
Schweiz zuzulassen. Für die Festlegung der Rahmenbedingungen, unter denen dies
erfolgen könne, könne man sich an den Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 3. Mai 2001 orientieren (Schweizerischer Nationalfonds zur
Förderung der Wissenschaftlichen Forschung 2001).
Darüber hinaus führt der SNF in seinem Positionspapier auf, unter welchen Bedingungen er künftig Forschungsprojekte, in denen menschliche embryonale Stammzell-Linien verwendet würden, fördern werde. Folgende Bedingungen müssten kumulativ erfüllt sein (Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung 2001, S. 5):
•
Der Nationale Forschungsrat und beigezogene Experten beurteilen die Projekte
aus wissenschaftlicher Sicht als förderungswürdig.
•
Die Projekte sind rein wissenschaftlicher und nicht kommerzieller Natur.
261
•
Sie sind auf eindeutig festgelegte, therapeutische Zwecke ausgerichtet, die nach
dem aktuellen Stand des Wissens, namentlich durch die Verwendung adulter
Stammzellen, nicht zu erreichen sind.
•
Die zuständigen Ethikkommissionen der betroffenen Hochschulen bringen gegen
ihre Durchführung keine ethischen Bedenken vor.
•
Die embryonalen Stammzell-Linien werden unentgeltlich aus dem Ausland beschafft und sind im Ursprungsland auf nicht kommerzieller Basis aus "überzähligen", zu Fortpflanzungszwecken in vitro hergestellten Embryonen legal gewonnen worden.
•
Die Spenderinnen der "überzähligen" Embryonen sind über die wissenschaftliche
Verwendung der embryonalen Stammzellen informiert worden und haben ihr
zugestimmt.
9.3.3.5
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
(SAMW)
Zu den Aufgaben der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zählt – neben anderen Aufgaben – auch das Erkennen von neuen ethischen Fragestellungen, die sich aus der biomedizinischen Spitzenforschung und der
Entwicklung von neuen Technologien ergeben, das Erarbeiten von ethischen Richtlinien und Handlungsanweisungen sowie das Nachdenken über die Zukunft der
Medizin. Seit 1979 unterhält die SAMW eine eine Zentrale Ethikkommission
(ZEK).
Am 28. August 2001 veröffentlichte die Schweizerische Akademie ihr "Positionspapier der Zentralen Ethikkommission zur Gewinnung von und Forschung an
menschlichen Stammzellen", das sie als Beitrag zu einer von ihr erhofften breiten
öffentlichen Meinungsbildung versteht. Die Stellungnahme befasst sich mit vier
Kategorien menschlicher Stammzellen: Stammzellen aus adulten Organismen bzw.
Geweben, Stammzellen aus Nabelschnurblut, fötalen Stammzellen aus abgetriebenen Föten sowie embryonalen Stammzellen, die in ES-Zellen aus "überzähligen"
Embryonen sowie in ES-Zellen aus eigens für den Zweck der Stammzellgewinnung
hergestellten Embryonen (IVF, "therapeutisches Klonen") unterteilt werden. Jede
dieser Kategorien bzw. Gewinnungsarten wird gesondert diskutiert.
In ihrem Positionspapier ist die ZEK der SAMW der Ansicht, dass aus ethischer
Sicht der Gewinnung und Verwendung adulter Stammzellen nichts im Wege steht,
solange die Achtung der körperlichen Unversehrtheit des Spenders, dessen frei und
nach Aufklärung erteilte Einwilligung sowie das Verbot des Handels gewährleistet
sind. Bei Einhaltung dieser Bedingungen erblickt die ZEK auch bei neonatalen
Stammzellen prinzipiell keine ethischen Bedenken, weist jedoch auf den noch bestehenden Regelungsbedarf hin. Die Mehrheit der ZEK hält auch die Verwendung
262
von Stammzellen aus abgetriebenen Föten (fetale Stammzellen) bei Einhaltung der
medizinisch-ethischen Richtlinien zur Verwendung von fötalem Gewebe für ethisch
vertretbar; eine Minderheit lehnt diese Option aus grundsätzlichen Erwägungen
heraus ab. Insgesamt spricht sich die ZEK dafür aus, die Forschung an adulten
Stammzellen zu bevorzugen und mit aller Kraft zu fördern.
Die ZEK der SAMW ist mehrheitlich der Auffassung, dass die Gewinnung von
embryonalen Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen in Erwägung gezogen
werden sollte, wobei die Freigabe dieser "überzähligen" Embryonen jedoch an
strikte Auflagen gebunden sein müsste, um Missbrauch vorzubeugen. Eine gezielte
Herstellung von Embryonen durch IVF einzig zum Zweck der Forschung wird hingegen einhellig abgelehnt. Zudem äußert eine Mehrheit der Kommission gegenüber
der Option des "therapeutischen Klonens" erhebliche ethische Bedenken; einige
Kommissionsmitglieder halten sie jedoch für ethisch vertretbar. Darüber hinaus sie
die ZEK dringenden Klärungsbedarf hinsichtlich des Imports von Stammzellen zu
Forschungszwecken. Sie lässt offen, wie diese Frage letztlich in der Sache entschieden werden solle, plädiert aber für eine eine klare und eindeutige Regelung, die vor
allem konsistent mit der inländischen Rechtslage sein müsse (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften 2001).
9.3.3.6
Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim Schweizerischen
Wissenschafts- und Technologierat
Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat versteht sich als Vermittler möglichst unabhängigen
Wissens über die Chancen, Risiken und Auswirkungen neuer Technologien. Durch
Studien und partizipative Verfahren leistet das TA-Zentrum einen originären Beitrag zur fundierten und unabhängigen Information der Öffentlichkeit und an die
politische Entscheidfindung.
Am 15. April 2002 veröffentlichte das TA-Zentrum den Zwischenbericht "Technologiefolgen-Abschätzung Menschliche Stammzellen". Dieser Zwischenbericht gibt
einen Überblick über den aktuell erreichten Wissensstand der Stammzellforschung,
stellt die ethischen Argumentationslinien in Bezug auf die Gewinnung und Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen dar und thematisiert rechtliche und wirtschaftliche Aspekte. Dabei werden sowohl embryonale als auch adulte
Stammzellen differenziert betrachtet, um einen Beitrag dazu zu leisten, die gesellschaftliche Diskussion breit und differenziert zu führen und sie nicht allein auf die
Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen zu verkürzen.
Außerdem führte das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung im April und
Mai 2002 sechs Publifocus-Veranstaltungen durch, deren Ergebnisse am 17. Juni
2002 veröffentlich wurden (TA-Swiss 2002). Die Publifocus-Methodik ermöglicht
es, einen Einblick in das Meinungsspektrum von Bürgerinnen und Bürgern zum
263
Thema Forschung an embryonalen Stammzellen zu gewinnen indem Argumentationsketten bis hin zu verbreiteten Widersprüchen und Ambivalenzen qualitativ
erfasst werden. Drei der Diskussionsrunden fanden in der Deutschschweiz, der Romandie und im Tessin mit zufällig ausgewählten, demografisch gemischten Gruppen statt. Zu drei weiteren Runden wurden spezifische Gruppen der schweizerischen Bevölkerung geladen, und zwar Menschen mit engem Bezug zu den großen
Kirchen des Landes, Frauen und Patienten, die an einer schweren Krankheit leiden.
Insgesamt nahmen 50 Personen an den sechs Veranstaltungen teil.
Die meisten der Teilnehmenden stimmten der Forschung an embryonalen Stammzellen unter Einhaltung strenger Leitlinien zu. Gerechtfertigt wurde diese Haltung
damit, dass die "überzähligen" Embryonen sowieso geopfert werden müssten und
die Forschung durch die Nutzung der embryonalen Stammzellen möglicherweise
bisher unheilbare Krankheiten heilen könne. Dieser Schritt erfordere nach Meinung
der Bürgerinnen und Bürger die Zustimmung der eigentlichen Eltern des Embryos.
Allerdings wurde auch die Befürchtung geäußert, dass die Verwendung von "überzähligen" Embryonen die Nachfrage ankurbeln könne und so nachfolgend Embryonen speziell zu Forschungszwecken hergestellt werden könnten. In zwei Punkten
herrschte unter allen Diskutanten Einigkeit. Erstens: Falls in der Schweiz die Herstellung embryonaler Stammzellen verboten werden sollte, müsse konsequenterweise auch deren Import aus dem Ausland untersagt bleiben. Zweitens: Wissenschaftliche oder wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit genüge alleine noch nicht als
Argument, um die Forschung an embryonalen Stammzellen zu rechtfertigen.
9.3.4
Die Argumente der Debatte
Obwohl die Debatte um die Genehmigung der Forschung an embryonalen Stammzellen in der Schweiz bislang in ruhigen Bahnen verlief, lassen sich trotzdem eigene
Argumentationslinien von Befürwortern und Gegnern unterscheiden. Die Befürworter argumentieren in der Regel aus der Lebenspraxis des Individuums heraus. So
stehen individuelle Heilungschancen, kommerzielle Erwartungen und Forschungsfreiheit im Mittelpunkt ihrer Argumentation. Die Gegner begründen ihren Standpunkt dagegen eher mit den ethischen und sozialen Konsequenzen, die die Stammzellforschung für die gesamte Gesellschaft mit sich bringt. Im Folgenden werden
diese unterschiedlichen Argumentationslinien detaillierter dargestellt.
9.3.4.1
Argumente der Befürworter
Die Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen begründen ihre Haltung häufig mit Argumenten aus dem Bereich Gesundheit. Embryonale Stammzellen besäßen, ihrer Meinung nach, ein riesiges Potenzial, weit verbreitete Krankheiten, wie Parkinson oder Alzheimer zu heilen. So könnten durch Stammzellen Leiden gemindert und die Gesundheit wieder hergestellt werden. Dabei werde das the-
264
rapeutische Potenzial menschlicher adulter Stammzellen durchaus anerkannt. Doch
gerade deshalb sei es wichtig, auch an embryonalen Stammzellen zu forschen, um
eine Vergleichsmöglichkeit zu haben und um den Differenzierungsprozess sowohl
embryonaler als auch adulter Stammzellen zu erforschen.
Ähnlich bedeutsam wie die therapeutischen müssten zukünftig auch die kommerziellen Potenziale der Stammzellforschung eingeschätzt werden. Das bedeute aber,
wolle man den Wirtschafts- und Forschungsstandort Schweiz international konkurrenzfähig halten, müsse die Forschung an embryonalen Stammzellen auch im eigenen Lande möglich sein. Andernfalls drohe die Abwanderung von Unternehmen
und Forschern in Länder, in denen die Embryonenforschung erlaubt sei.
Die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen wird nicht als
ethisch bedenklich angesehen, da ausschließlich "überzählige" Embryonen aus der
künstlichen Befruchtung genutzt werden sollten. Diese müssten von Gesetzes wegen sowieso nach einigen Jahren zerstört werden. Deshalb sei es sinnvoll, sie für die
Forschung zu verwenden. Zudem gehen die Befürworter in der Regel von einem
abgestuften Embryonenschutz aus. Embryonen besäßen zwar eine eigene moralische Würde, könnten aber nicht mit einem geborenen Menschen gleichgestellt werden. Entsprechend könne ihr Grundrechtsschutz gegen andere Grundrechte abgewogen werden, z. B. gegen die Forschungsfreiheit, wenn sie für hochrangige therapeutische Ziele eingesetzt wird.
Insgesamt plädiert die Mehrheit der Befürworter für die Gewinnung von Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen. Der Import dieser Zellen könne allenfalls
eine Übergangslösung sein, da er sowohl aus ethischer als auch aus wirtschaftlicher
Sicht eine sehr fragwürdige Lösung sei. So sei es ethisch gesehen unehrlich, die
Gewinnung von embryonalen Stammzellen, und damit die Verantwortung für die
Tötung menschlicher Embryonen, dem Ausland zu überlassen. Zusätzlich führe die
Forschung allein an importierten Stammzellen dazu, dass Forscher keine unabhängigen Patente für Erfindungen anmelden dürften, die in diesem Zusammenhang
gemacht würden. Dies bedeute wiederum einen Nachteil für den intellektuellen
Standort Schweiz.
9.3.4.2
Argumente der Gegner
Akteure, die die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ablehnen,
begründen ihre Haltung in erster Linie damit, dass menschliches Leben in allen Stadien seiner Entwicklung schützenswert sei. Einerseits verlaufe die Entwicklung von
der befruchteten Eizelle hin zum fertigen Menschen kontinuierlich, andererseits sei
bereits der Embryo eine potenzielle Person im Werden. Auf Grund seiner Kontinuität und Potenzialität falle der Embryo auch von Beginn an unter den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Würde des Menschen und sei entsprechend unantastbar. Menschliches Leben dürfe damit weder zerstört, noch für irgendwelche anderen Zwecke, wie z. B. die Heilung anderer Menschen, instrumentalisiert werden.
265
Eine weitere wichtige Argumentationslinie der Gegner richtet sich darauf, dass die
Handlungskonsequenzen, die die Zulassung der Forschung an embryonalen Stammzellen mit sich brächte, nicht absehbar seien und die Verantwortungsfähigkeit des
Menschen überstiegen. So würde die Zulassung der Embryonenforschung die Überschreitung einer ethischen Grenze bedeuten und so Tatsachen schaffen, die das
Überschreiten weiterer Grenzen ermögliche. Indem die Forschung an embryonalen
Stammzellen in der Schweiz ermöglicht würde, würde damit bereits ein erster Spalt
hin zur Zulassung des therapeutischen und letztlich des reproduktiven Klonens geöffnet. Stammzellforschung und therapeutisches Klonen wiederum steigerten die
Nachfrage nach menschlichen Eizellen, die für die Forschung benötigt würden. Dies
bedeute aber eine unzulässige Instrumentalisierung der Frau.
Unter dem Gesichtspunkt der Gefahr der Instrumentalisierung von Embryo und
Frau folgt für die Gegner der Forschung an embryonalen Stammzellen, dass die
Forschungsfreiheit nicht grenzenlos sein dürfe. Und auch die Behauptung, "überzählige" Embryonen aus der künstlichen Befruchtung hätten keine Überlebenschance und könnten deshalb für die Forschung genutzt werden, stelle ihrer Meinung
nach Ursache und Wirkung auf den Kopf. Denn erst auf künstliche Weise habe man
dem Embryo seine Überlebenschancen abgeschnitten.
Schließlich zweifeln die Gegner der Stammzellforschung auch an den enormen Potenzialen, die embryonale Stammzellen für die Gesundheit der Menschen haben
sollen. Die bisherigen therapeutischen Versprechungen seien nur vage. Stattdessen
solle man im Auge behalten, dass durch eine Stammzelltherapie auch Krebswucherungen ausgelöst werden könnten und embryonale Stammzellen damit auch eine
Gesundheitsgefahr darstellen könnten.
9.3.4.3
Argumente im Diskurs
Obwohl Befürworter und Kritiker der Stammzellforschung sehr unterschiedliche
Argumentationslinien zur Untermauerung ihrer jeweiligen Position nutzen, bewegen sie sich nicht in völlig getrennten Diskurs-Welten. Häufig gehen die Akteure
indirekt, zeitweise auch direkt auf die Argumente der Gegenseite ein: So führt
bspw. das Argument der Gegner der Stammzellforschung "Menschliches Leben
darf nicht für die Forschung instrumentalisiert werden, da es in all seinen Stadien
schützenswert ist" zu der Antwort der Befürworter "Es ist heuchlerisch, selber nicht
an Stammzellen zu forschen, aber in Zukunft die Forschungsergebnisse anderer
Länder zu nutzen". Dieses Argument ist wiederum in den Augen der Gegner ein
"Totschlagargument, denn damit könnte eine Wissenschaft, die sich am weitesten
über moralische Bedenken hinwegsetzt, ihre Standards allen anderen Gesellschaften
aufzwingen".
266
Eine andere Reaktion der Befürworter der Stammzellforschung auf das Argument
der prinzipiellen Schutzwürdigkeit des Embryos ist, dass "der Embryo zwar das
Potenzial besitzt, sich zu einer Person zu entwickeln, aber noch kein Mensch ist.
Deshalb wäre auf ihn nur das Prinzip des Lebensschutzes, nicht aber das des Schutzes der Menschenwürde anwendbar. Damit wird es aber möglich, den Embryonenschutz mit anderen hochrangigen gesellschaftlichen Gütern abzuwägen". Die Kritiker kommen aufgrund der Potenzialität des Embryos, Mensch zu werden, zu der
genau entgegengesetzten Schlussfolgerung, nämlich dass "der Embryo gerade deshalb bereits Mensch ist, damit unter den verfassungsrechtlich garantierten Schutz
der Menschenwürde fällt und entsprechend unantastbar ist."
Ein weiteres Argument, das von den Befürwortern in die Debatte eingebracht wird,
ist: "Da 'überzählige' Embryonen sowieso getötet werden müssen, ist es nur vernünftig, sie nutzbringend der Forschung zu überlassen". Die Gegenseite kontert
damit, dass "Reproduktionsmediziner erst widerrechtlich 'überzählige' Embryonen
erzeugt und ihnen dann willkürlich die Überlebensmöglichkeit abgeschnitten haben". Außerdem ist nach Meinung der Befürworter die Stammzellforschung nicht
nur aus wissenschaftlichen Gründen geboten sondern auch, weil ansonsten "der
Wirtschaftsstandort Schweiz in Gefahr ist". Hierauf kontern die Gegner, dass "es
bei der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen nicht um Marktlogik, sondern um ethische Erwägungen gehe".
Auf das Argument, dass "durch die Stammzellforschung Möglichkeiten geschaffen
werden, Leid zu verhindern und Krankheiten zu heilen" führen die Gegner dieser
Forschung mehrere Argumente ins Feld. So ist ihrer Meinung nach "das Ideal der
Leidens- und Krankheitsfreiheit generell unvereinbar mit den Grundgesetzen des
Lebens und der Evolution". Dann kann es gerade durch Therapieversuche mit
Stammzellen zu "Krebswucherungen und degenerativen Veränderungen bei den
Patienten kommen" und schließlich "rechtfertigt auch die Verhinderung von Leid
nicht die Vernichtung von menschlichen Leben".
Einem weiteren wichtigen Argument der Gegner "Die Forschung an embryonalen
Stammzellen sei nicht notwendig, da in Form der adulten Stammzellen ein ethisch
unproblematisches Forschungsobjekt vorliege" begegnen die Befürworter in der
Debatte damit, dass "es notwendig sei, an embryonalen und adulten Stammzellen
gleichzeitig zu forschen, weil nur so die jeweiligen Potenziale der Zelltypen ergründet werden können". Die Kritiker der Forschung an embryonalen Stammzellen widersprechen dieser Argumentation folgendermaßen: "Da in den adulten Stammzellen ähnliche Potenziale stecken wie in den embryonalen, gilt es die Forschungsgelder auf die adulten Stammzellen zu konzentrieren".
Außerdem, so die Gegner, "führt die Zulassung der Forschung an menschlichen
embryonalen Stammzellen unweigerlich dazu, dass die ethischen Dämme brechen
und in einem nächsten Schritt das therapeutische Klonen zugelassen wird". Die Be-
267
fürworter glauben zwar, dass "Missbrauch der Stammzellforschung durch strenge
Gesetze und Kontrollen verhindert werden kann", doch genau das bezweifeln die
Gegner: "Missbrauch lässt sich nicht verhindern".
9.3.5
Die Einordnung der schweizerischen Debatte
Die Debatte um menschliche embryonale Stammzellen verläuft in der Schweiz in
vergleichsweise ruhigen, geordneten Bahnen und ist nicht so überschäumend wie
z. B. in Deutschland. Diese relative Unaufgeregtheit erklärt sich einerseits aus dem
Prozedere der Gesetzesentstehung, nach dem jeder Akteur während der Vernehmlassung die garantierte Chance hat, seine Meinung in den gesamtgesellschaftlichen
Diskussionsprozess einzubringen. Andererseits wird die Debatte um die neuen
Techniken der Biomedizin weit weniger mit Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus verknüpft, als dies in Deutschland oder Österreich der Fall ist. Die
schweizerische Debatte ist vielmehr in eine Reihe weiterer Problemfelder eingebettet (Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin 2002).
Ansonsten werden in der schweizerischen Gesellschaft ähnliche Punkte der Stammzellproblematik debattiert wie in den anderen untersuchten Ländern Europas bzw.
den USA. Umstritten sind auch in der Schweiz insbesondere die embryonalen
Stammzellen, während die Forschung an adulten Stammzellen als moralisch integere Technik angesehen wird. Im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht (wie in
den anderen Ländern) der moralische Status des Embryos. Und auch in der Schweiz
gibt es zu dieser Statusfrage unterschiedliche Haltungen. Es gibt Akteure, für die
bereits der Embryo auf Grund der ihm zukommenden Würde des Menschen unantastbar ist und für die die Embryonen- bzw. Stammzellforschung ausgeschlossen ist.
Andere Akteure halten das Lebensrecht des Embryos für abwägbar gegen andere
Güter wie z. B. die Forschungsfreiheit. In ihren Augen verpflichtet bereits die Hoffnung, mit Hilfe der Stammzellforschung neue Therapien für derzeit unheilbare
Krankheiten zu entwickeln, dazu, diese Forschung auch zu befördern. Auffällig ist
jedoch, dass unter den schweizerischen Akteuren Extrempositionen selten zu finden
sind und eine eher pragmatische Haltung gegenüber der Zulassung der Stammzellforschung dominiert.
Kennzeichen dieser pragmatischen Haltung ist, dass die Embryonen- bzw. Stammzellforschung nur mit so genannten "überzähligen" Embryonen durchgeführt werden soll, also mit Embryonen, die ansonsten ohnehin in den nächsten Jahren vernichtet werden müssten. Anstatt vernichtet zu werden, könnte die Verwendung der
Embryonen in der Forschung noch guten Zwecken dienen. Die Erzeugung von
Embryonen allein zu Forschungszwecken wird von den schweizerischen Akteuren
einhellig abgelehnt, weil dies eine Instrumentalisierung menschlichen Lebens bedeuten würde.
268
Ein weiteres Kennzeichen des schweizerischen Pragmatismus ist, dass in der gesellschaftlichen Debatte um menschliche Stammzellen nach klaren Lösungen gesucht
wird, die eine Doppelmoral ausschließen. Wenn die Gesellschaft die Stammzellforschung im eigenen Land befürwortet, dann soll es auch in der Schweiz möglich
sein, Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen zu gewinnen. Sollte sich die Gesellschaft gegen die Zulassung der Stammzellforschung entscheiden, dann muss
auch der Import von Stammzell-Linien aus dem Ausland untersagt bleiben.
Zudem zeigt sich der eher pragmatische Zugang der Mehrzahl der schweizerischen
Akteure auch darin, dass von den Akteuren in starkem Maße die finanziellen Auswirkungen der Stammzellforschung und möglicher Therapien thematisiert werden.
Noch ist gar nicht abzuschätzen, ob Stammzelltherapien zu einer Entlastung oder
eher zu einer untragbaren Belastung des Gesundheitssystems führen werden.
Insgesamt scheint die gesellschaftliche Debatte um menschliche Stammzellen in der
Schweiz eher in der Tradition des Utilitarismus zu stehen. Da die aus der künstlichen Befruchtung stammenden "überzähligen" Embryonen sowieso vernichtet werden müssen, sollten sie zur Nutzenmaximierung der Gesamtgesellschaft verwendet
werden. Die gezielte Erzeugung und anschließende Tötung von Embryonen allein
für Forschungszwecke wird hingegen strikt ausgeschlossen. Weitere Merkmale der
überwiegend utilitaristischen Haltung in der schweizerischen Debatte sind die Betonung der Leidvermeidung, die Einforderung der Forschungsfreiheit und das Argumentieren gegen jegliche Doppelmoral. Damit spiegelt die gegenwärtige gesellschaftliche Diskussion in der Schweiz über den Umgang mit den Herausforderungen der Stammzellforschung im europäischen Kontext eine liberalere Haltung wider, als sie an dem Pol der leichten Öffnung bzw. strikten Schließung Deutschlands
und Österreichs zu finden ist.
269
10.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Untersuchungsgegenstand
Als Stammzellen bezeichnet man Zellen, die sich durch drei Eigenschaften auszeichnen:
•
Sie sind nicht endgültig differenziert.
•
Sie haben die Fähigkeit zur fortgesetzten Selbsterneuerung und Vermehrung in
einem relativ undifferenzierten Zustand.
•
Sie haben die Fähigkeit, sich unter geeigneten Bedingungen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung zu differenzieren, so z. B. zu Herz-, Nerven-, Hautoder Muskelzellen.
Die Kombination dieser drei Eigenschaften in einem Zelltyp machen Stammzellen –
und zwar insbesondere menschliche Stammzellen – für vielfältige biomedizinische,
wissenschaftliche und technische Anwendungen hochinteressant. In der Regel unterscheidet man zwei Gruppen von Stammzelltypen: adulte Stammzellen sowie
embryonale Stammzellen. Sie unterscheiden sich in ihrer Herkunft, der Art ihrer
Gewinnung, ihrer Fähigkeit zur Vermehrung sowie in der Fähigkeit, zu wie vielen
verschiedenen Zell- und Gewebetypen sie sich auszudifferenzieren vermögen. Zudem sind sie in rechtlicher und ethischer Hinsicht sehr unterschiedlich zu beurteilen.
Insbesondere derjenige Bereich der Stammzellforschung, der sich auf menschliche
embryonale Stammzellen stützt, stößt in ethische und rechtliche Grenzbereiche vor:
die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen ist nur unter Zerstörung
des menschlichen Embryos bzw. Fetus möglich, aus dem diese Stammzellen gewonnen werden, und wird deshalb sowohl in der Schweiz wie auch international
sehr kontrovers diskutiert. Die Debatte berührt zum einen die Frage, welcher moralische Status dem menschlichen Embryo in vitro zukommt und welche Schutzansprüche daraus erwachsen. Da mit dem menschlichen Embryo ein Schutzgut betroffen ist, dem in der Schweiz – beispielsweise durch die Schweizerische Bundesverfassung – bislang ein sehr hoher Wert zugemessen wird, ist außerdem zu fragen, ob
diese Form der Stammzellforschung ein notwendiges, geeignetes und ethisch vertretbares Mittel221 zur Erreichung der Zielsetzungen darstellt.
221 Zwar sind Notwendigkeit, Erfolg und Durchführbarkeit einer Technologie für deren Rechtfertigung nicht hinreichend. Sind sie jedoch fraglich, so wiegen ethische Bedenken um so
schwerer.
270
Mit diesem Bericht werden Sachinformationen, Auslegeordnungen und Bewertungen vorgelegt, die eine sachlich fundierte, breit abgestützte Meinungsbildung zur
Forschung an menschlichen Stammzellen unterstützen sollen. Dabei wird bewusst
nicht nur die Gewinnung von und Forschung an menschlichen embryonalen
Stammzellen beleuchtet, selbst wenn sich die meisten kontrovers beurteilten Aspekte im Zusammenhang mit diesem Bereich der Stammzellforschung ergeben und
auch der in der Schweiz zurzeit zur Entscheidung anstehende Entwurf eines Embryonenforschungsgesetzes222 ebenfalls nur diesen Bereich abdeckt. Vielmehr lässt
es die Problemstellung erforderlich erscheinen, diesen Forschungsbereich in den
Gesamtzusammenhang der Stammzellforschung zu stellen, um zusätzlich beurteilen
zu können, ob nicht auch ethisch und rechtlich weniger problematische Mittel223 als
menschliche embryonale Stammzellen zur Erreichung der Ziele der Stammzellforschung geeignet sind. Indem dieser Bericht den Gesamtkontext der Stammzellforschung berücksichtigt, sind die hier enthaltenen Informationen und Bewertungen
nicht nur im Zusammenhang mit der Diskussion über den Entwurf des Embryonenforschungsgesetzes, sondern auch für Teilbereiche des umfassenderen geplanten
Bundesgesetzes zur Forschung am Menschen relevant.
Leitfragen der Zusammenfassung
Im Folgenden soll die Thematik anhand folgender Leitfragen diskutiert werden:
•
Welche Ziele werden in der Stammzellforschung verfolgt, und sind sie ethisch
vertretbar?
•
Wie ist nach heutigem Kenntnisstand die Realisierbarkeit der therapeutischen
Zielsetzungen mit Hilfe menschlicher adulter Stammzellen einzuschätzen, und
wie sind diese Optionen ethisch zu beurteilen?
•
Inwieweit erscheint zusätzlich die Gewinnung von menschlichen embryonalen
Stammzellen und deren Nutzung ein ethisch vertretbares, notwendiges und geeignetes Mittel zur Erreichung der Zielsetzungen der Stammzellforschung?
•
Welche Optionen zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen gibt
es, und wie sind sie ethisch und unter Berücksichtigung der Rechtslage in der
Schweiz zu beurteilen?
•
Welche Regelungsoptionen bieten sich in der Schweiz für die Gewinnung von
und Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen an?
222 Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen
(Embryonenforschungsgesetz, EFG, Loi fédérale relative à la recherche sur les embryons surnuméraires et sur les cellules souches embryonnaires, LRE). Dieses Gesetz soll später in das
Bundesgesetz zur Forschung am Menschen integriert und mit dessen Inkrafttreten aufgehoben
werden.
223 Hierbei sind insbesondere menschliche adulte Stammzellen sowie tierliche embryonale Stammzellen in Betracht zu ziehen.
271
Zielsetzungen der Stammzellforschung
Nach heutigem Kenntnisstand sind menschliche Stammzellen für vielfältige biomedizinische, wissenschaftliche und technische Anwendungen hochinteressant: Zum
einen lassen sich aus der Erforschung von Stammzellen grundlegende Erkenntnisse
über Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge von Lebewesen gewinnen, die in
vielfältiger Weise praktisch nutzbar wären, so z. B. in der Reproduktionsmedizin, in
der toxikologischen und pharmakologischen Forschung und Entwicklung oder bei
zellkulturbasierten Testsystemen als Alternative zu Tierversuchen.
Zum anderen bergen diese Zellen das Potenzial, mit ihrer Hilfe neuartige Therapiekonzepte zu entwickeln, die möglicherweise auch eine erstmalige oder verbesserte
Therapie von schwer wiegenden Krankheiten erlauben könnten, die heutzutage
nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Diese neuartigen Therapiekonzepte lassen sich folgendermaßen skizzieren:
(1)
Vermehrung menschlicher Stammzellen und deren gezielte Differenzierung
zu geeigneten Zelltransplantaten im Labor, funktioneller Ersatz ausgefallener
Zell- und Gewebsfunktion im Patienten durch Transplantation dieser Zellen.
(2)
Direkte Transplantation menschlicher Stammzellen in den Patienten; die Differenzierung zu den erforderlichen Zellen erfolgt im Körper des Patienten, gesteuert durch Signale aus dem geschädigten Gewebe.
(3)
Einsatz menschlicher Stammzellen als Zellquelle im Rahmen des Tissue Engineering, über das eine geeignete Umgebung für die Differenzierung bzw.
physiologische Funktion der menschlichen Zellen bereitgestellt wird.
(4)
Entwicklung neuartiger Medikamente aus Erkenntnissen der Stammzellproliferation und -differenzierung; die Gabe dieser Medikamente regt die Vermehrung und Differenzierung der patienteneigenen, gewebespezifischen Stammzellen so an, dass funktionelle Zellen und Gewebe im Körper des Patienten
regeneriert werden.
Die drei erstgenannten Therapiekonzepte erscheinen grundsätzlich sowohl auf
menschliche embryonale als auch auf adulte Stammzellen anwendbar; das vierte
Konzept macht sich ausschließlich adulte Stammzellen zunutze.
Diese hier genannten Zielsetzungen der Stammzellforschung erscheinen für sich
betrachtet ethisch vertretbar und erstrebenswert. Daher soll im Folgenden die Frage
nach der Realisierbarkeit der therapeutischen Zielsetzungen vertieft werden, da
diese einen Schwerpunkt in der öffentlichen Stammzelldebatte darstellen und es
ethisch hochrangiger Zielsetzungen wie der des Heilens und Helfens bedarf, um
eine Abwägung mit Rechten des menschlichen Embryos in Erwägung zu ziehen.
272
Realisierbarkeit therapeutischer Zielsetzungen der Stammzellforschung durch
adulte bzw. embryonale menschliche Stammzellen
Gewebespezifische, adulte Stammzellen kommen in vielen Geweben und Organen
von Embryonen, Feten und geborenen Menschen vor. Generell stellen die Seltenheit
von adulten Stammzellen und die Schwierigkeit, sie in ausreichenden Mengen zu
isolieren bzw. in vitro zu vermehren, ein Hindernis für ihre therapeutische Anwendung dar. Prinzipiell bieten adulte Stammzellen das Potenzial, sowohl autologes
(d. h. vom Patienten selbst stammendes Gewebe) als auch allogenes (d. h. von passenden Spendern stammendes) Gewebe für allfällige Zelltherapien bereitzustellen.
Autologe Zellpräparate unterliegen, anders als allogene Zellpräparate, nach Einbringen in den Körper des Patienten nicht der Abstoßung und erfordern daher keine
dauerhafte Immunsuppression oder andere Maßnahmen zur Verhinderung der Abstoßung. An Grenzen stoßen Therapiekonzepte unter Verwendung autologer adulter
Stammzellen, wenn nicht mehr genug bzw. ausreichend aktive adulte Stammzellen
für eine therapeutische Anwendung gewinnbar sind, z. B. auf Grund des fortgeschrittenen Alters der Patienten oder der Schädigung der Stammzellen tragenden
Gewebe durch die Krankheit; und wenn die Krankheit auf einem genetischen Defekt beruht, der auch in den Stammzellen vorliegt. Dann müsste auf allogene
Stammzellen zurückgegriffen werden.
Derjenige Bereich der Forschung an adulten Stammzellen, der sich mit Differenzierungsprozessen innerhalb der Gewebespezifität dieser Stammzellen befasst, hat
bereits heute erhebliche klinische Bedeutung erlangt, so z. B. bei der Vermehrung
von menschlicher Haut zur Behandlung großflächiger Verbrennungen und schlecht
heilender Wunden; bei der Rekonstitution des Immun- und Blut bildenden Systems
nach Strahlen- oder Chemotherapie bei bestimmten Krebsformen und Autoimmunerkrankungen mit Hilfe neonataler Stammzellen aus Nabelschnurblut oder Blut
bildender Stammzellen aus dem Knochenmark; Gewinnung von Knorpel- und
Knochengewebe aus mesenchymalen Stammzellen des Knochenmarks. Die weitere
Erforschung der Differenzierungsprozesse adulter Stammzellen innerhalb ihrer
Gewebespezifität lässt auf Erkenntnisse hoffen, die folgende therapeutische Potenziale bergen:
•
Optimierung der bislang etablierten Zelltherapien auf Basis adulter Stammzellen,
Ausweitung der Indikationsgebiete, Ausweitung auf größere Patientenkreise.
Hierzu ist es erforderlich, Verfahren zur Gewinnung und Aufreinigung entsprechender Stammzellen zu etablieren bzw. zu optimieren, verbesserte Marker zur
Isolierung und Charakterisierung der relevanten Stammzellpopulationen zu entwickeln, Verfahren zur Expansion (Vermehrung) der gereinigten Stammzellen
zu verbessern, Verfahren zu gezielten Differenzierung der gereinigten Stammzellen zu etablieren, das für eine Transplantation in den Patienten optimale Differenzierungsstadium zu identifizieren sowie die Transplantationsverfahren zu optimieren. Hierdurch können auch Erkenntnisse erlangt werden, die für Zellthera-
273
pien, die andere Zelltypen als menschliche adulte Stammzellen verwenden, von
Nutzen sein könnten.
•
Bereitstellung von Zellmaterial für das Tissue Engineering.
•
Entwicklung von Verfahren und Wirkstoffen, die es ermöglichen, in vivo vorhandene adulte Stammzellen gezielt zur Vermehrung und Differenzierung anzuregen, um geschädigtes Gewebe zu regenerieren.
•
Nutzung von Erkenntnissen aus Differenzierungsprozessen von adulten Stammzellen, um fehlgeleitete Differenzierungsprozesse (z. B. Krebs) besser zu verstehen und dadurch neue Therapieoptionen zu erschließen.
Jüngere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich – zumindest einige –
adulte Stammzelltypen über ihre Gewebespezifität hinaus zu differenzieren vermögen. Sollte sich die zurzeit noch lückenhafte Beweisführung zur so genannten Plastizität, Retro- und Transdifferenzierung von adulten Stammzellen als tragfähig erweisen, wären diese Forschungsergebnisse sowohl von erheblicher grundlegender
als auch praktischer und politischer Relevanz:
•
Das bisher geltende Dogma in der Zell- und Entwicklungsbiologie, dass sich
adulte Stammzellen ausschließlich entlang eines gewebespezifischen, linearen
Pfades irreversibel differenzieren, müsste revidiert werden.
•
Es könnte eventuell möglich werden, inhärente Nachteile bestimmter Typen
adulter Stammzellen auszugleichen, so z. B. die schwierige Vermehrbarkeit bestimmter adulter Stammzellen oder die schlechte Gewinnbarkeit, ohne den
Spender zu schädigen. Mit leicht gewinnbaren, gut expandierbaren und zu verschiedensten Geweben differenzierbaren adulten Stammzellen könnten zahlreiche neue therapeutische Optionen für menschliche adulte Stammzellen erschlossen werden. Allerdings ist es aus heutiger Sicht nicht wahrscheinlich, dass es einen "universell nutzbaren" Stammzelltyp geben wird, der für alle möglichen
Therapiekonzepte gleichermaßen einsetzbar wäre. Jedoch ist beim heutigen
Kenntnisstand nicht entscheidbar, welcher Stammzelltyp sich für die Zelltherapie
einer bestimmten Krankheit als brauchbar erweisen wird. Dieses Wissen kann
nur durch systematische und vergleichende Studien zum Vermehrungs- und
Entwicklungspotenzial von Stammzellen unterschiedlicher Herkunft erlangt
werden. In der Fachwelt ist jedoch umstritten, inwieweit zum jetzigen Zeitpunkt
menschliche embryonale Stammzellen in diese Untersuchungen einbezogen
werden müssten, um den notwendigen Erkenntnisfortschritt zu erzielen.
•
Möglicherweise könnten sich einige adulte Stammzelltypen sogar wie die embryonalen Stammzellen als pluripotent erweisen. Sollte sich dies bewahrheiten,
könnten adulte Stammzellen in Bezug auf die Fähigkeit zur Bereitstellung beliebiger Gewebe für therapeutische Zwecke den menschlichen embryonalen
Stammzellen gleichwertig sein. Da ihre Gewinnung aber ethisch und rechtlich
274
weniger brisant ist, könnte dadurch die Forschung an menschlichen embryonalen
Stammzellen entbehrlich erscheinen.
Zurzeit ist offen, ob man leicht zugängliche und vermehrbare adulte Stammzellen in
alle diejenigen Zell- und Gewebetypen gezielt differenzieren könnte, die man für –
noch zu entwickelnde – Zelltherapien einsetzen möchte. Deshalb kann beim derzeitigen Kenntnisstand nicht entschieden werden, ob in Bezug auf die Vielzahl der
prinzipiell herstellbaren Zell- und Gewebetypen menschliche adulte Stammzellen
mit menschlichen embryonalen Stammzellen als gleichwertig einzuschätzen sind.
Die Prozesse, die diesen Phänomenen der Retro- und Transdifferenzierung bzw.
Plastizität von gewebespezifischen Stammzellen zu Grunde liegen, sind im Detail
weitgehend unbekannt. Es ist daher auch noch nicht möglich, sie gezielt zu beeinflussen bzw. zu nutzen, wenn auch vereinzelt bereits Heilversuche mit adulten
Stammzellen außerhalb ihrer Gewebespezifität durchgeführt werden (z. B. Herzinfarkt). In der Fachwelt ist umstritten, inwieweit eine weitergehende Untersuchung
der Mechanismen, die die Transdifferenzierung und Retrodifferenzierung steuern,
an den adulten Stammzellen selbst erfolgen kann, oder ob man hierzu auf embryonale Stammzellen zurückgreifen muss und wenn ja, ob dies zwingend menschliche
embryonale Stammzellen sein müssen, oder ob nicht auch tierliche embryonale
Stammzellen wesentliche Beiträge liefern könnten.
Im Hinblick auf eine therapeutische Anwendung ist die Forschung unter Nutzung
menschlicher adulter Stammzellen derzeit deutlich weiter fortgeschritten als unter
Nutzung menschlicher embryonaler Stammzellen. Die aktuelle Forschung an
menschlichen embryonalen Stammzellen ist vor allem auf die Entwicklung von
Verfahren zur Gewinnung dieser Stammzellen, zur Charakterisierung ihrer Eigenschaften sowie auf die Erforschung und Steuerung der Mechanismen, die der
Stammzellvermehrung und -differenzierung zu Grunde liegen, ausgerichtet. Die
therapeutische Anwendung von embryonalen Stammzellen des Menschen ist bislang rein hypothetisch. Auch die schon seit längerem betriebenen Forschungsarbeiten an embryonalen Stammzellen der Maus liefern bislang nur wenige Erkenntnisse
im Hinblick auf therapeutische Anwendungen, da diese Stammzellen bislang
schwerpunktmäßig für transgene Mausmodelle für die Forschung eingesetzt wurden.
Im Vergleich zu adulten Stammzellen erhofft man sich vom Einsatz embryonaler
Stammzellen für therapeutische Zwecke, dass sie es ermöglichen werden, auf Grund
ihrer Pluripotenz und besseren Vermehrbarkeit in vitro alle gewünschten Zelltypen
und Gewebe für – noch zu entwickelnde – Zelltherapien in einheitlicher Qualität
und ausreichender Menge bereitstellen zu können. Allerdings ermöglichen embryonale Stammzellen in erster Linie allogene Zelltherapien mit dem Problem der
Transplantatabstoßung. Autologe Transplantate wären nur durch die Gewinnung
von ntES-Zellen über den Weg des therapeutischen Klonens zugänglich.
275
Ausgehend vom aktuellen Stand der Forschung an menschlichen – adulten wie
embryonalen – Stammzellen erscheint es unwahrscheinlich, dass stammzellbasierte
Therapien in absehbarer Zeit entwickelt werden, die über die Verwendung von
adulten Stammzellen innerhalb ihrer Gewebespezifität signifikant hinausgehen. In
diese Einschätzung fließt auch ein, dass Zelltherapien – unabhängig vom verwendeten Zelltyp – bislang nur in Ausnahmefällen etablierte Therapieformen sind. Daher muss bei der Entwicklung stammzellbasierter Therapiekonzepte mit zwei Kategorien von wissenschaftlich-technischen Problemen gerechnet werden:
•
Probleme, die in der Verwendung von Stammzellen liegen. Hierzu zählen beispielsweise die schwierige Vermehrbarkeit adulter Stammzellen und die derzeitige Unmöglichkeit, sowohl adulte als auch embryonale Stammzellen gezielt, effizient und vollständig zu einem rein vorliegenden Zelltyp zu differenzieren und
aufzureinigen. Ebenfalls noch offen ist, inwieweit eine mögliche Tumorbildung
durch embryonale Stammzellen kontrolliert werden kann, inwieweit eine Differenzierung zu nicht gewünschten Zelltypen in vivo vermieden werden kann und
wie mögliche Infektionsrisiken durch Kultivierung von embryonalen Stammzellen auf tierlichen "feeder layers" zu bewerten und ggf. zu vermeiden sind.
•
Probleme, die in der Ausgestaltung des Zelltherapiekonzeptes liegen und nicht
allein durch die Verfügbarkeit von Stammzellen gelöst werden können. Hierzu
zählen beispielsweise die technische Durchführung, der Ort der Transplantation,
Zahl und Differenzierungsgrad der transplantierten Zellen und die Kontrolle der
Abstoßung.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es beim bisherigen Stand der Forschung keine gesicherten Erkenntnisse gibt, die belegen, dass menschliche embryonale Stammzellen über ein größeres therapeutisches Potenzial verfügen als adulte
Stammzellen. Zwar können sowohl die Gewinnung als auch die Verwendung bestimmter Typen adulter Stammzellen, namentlich fetaler und neonataler Stammzellen, mit teilweise erheblichem Problempotenzial belastet sein, das zu thematisieren ist. Als relativ unproblematisch ist hingegen die Verwendung von Stammzellen
aus vergleichsweise leicht zugänglichen Geweben, wie Knochenmark oder Fettgewebe, einzuschätzen. Voraussetzung für die Bewertung als "unproblematisch" ist
jedoch die Einhaltung der für die Forschung am Menschen geltenden Normen und
eine gesetzliche Regelung und Kontrolle, um Missbrauch und Schaden für Spender,
Patient und Gesellschaft zu verhindern.
Die Forschung an und Verwendung von "unproblematischen" adulten Stammzellen
erscheint im Vergleich zu den embryonalen Stammzellen in ethischer Hinsicht aus
folgenden Gründen sehr viel weniger brisant: Die bei der Forschung an Embryonen
strittige Frage nach dem moralischen Status des Embryos und einer damit gegebenenfalls verbundenen Verletzung seiner Würde stellt sich im Kontext adulter
Stammzellforschung nicht, da adulte Stammzellen vermutlich nicht totipotent sind,
ihnen gegenüber dementsprechend keine vergleichbare moralische Verpflichtung
276
besteht und zu ihrer Gewinnung nicht zwangsläufig Embryonen getötet werden
müssen.
Vor diesem Hintergrund ist zu erwägen, ob eine Embryonen verbrauchende Forschung zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen zum jetzigen Zeitpunkt in der Schweiz für erforderlich gehalten wird.
Moralischer Status von menschlichen embryonalen Stammzellen – Pluripotenz
und Totipotenz
Zurzeit können menschliche embryonale Stammzellen nur gewonnen werden, indem der menschliche Embryo, dem sie entstammen, zerstört wird. Für eine Entscheidung über die ethische Vertretbarkeit der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen muss zum einen geprüft werden, welcher moralische Status
den Embryonen zukommt, aus denen diese Zellen gewonnen werden, denn im
moralischen Status einer Entität begründet sich deren Schutzwürdigkeit. Außerdem
muss aber auch geprüft werden, welcher moralische Status den menschlichen embryonalen Stammzellen selbst zukommt, denn hätten sie denselben moralischen
Status wie menschliche Embryonen, würden sich für Forschungen an diesen Zellen
dieselben ethischen und rechtlichen Probleme stellen wie für fremddienliche Forschungen an Embryonen. Ethisch problematisch wäre also nicht nur die mit der Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen verbundene Zerstörung von
Embryonen, sondern auch die Forschungen an diesen Zellen selbst.
Der moralische Status des Embryos gründet sich auf seine Totipotenz, d. h. seine
Fähigkeit, unter den dafür erforderlichen Bedingungen einen Entwicklungsprozess zu
durchlaufen, der zur Geburt eines oder mehrerer Individuen führen kann. Zur Klärung
des moralischen Status der menschlichen embryonalen Stammzellen ist es daher
wichtig, ob diese auch totipotent sind oder nur pluripotent. Unter Pluripotenz wird
die Fähigkeit verstanden, zwar alle Zelltypen des menschlichen Organismus
hervorzubringen, nicht aber ein menschliches Individuum.
Bislang wurde mehrfach der Nachweis erbracht, dass menschliche embryonale
Stammzellen (ES- und EG-Zellen) pluripotent sind. Zudem gibt es plausible, indirekte
Hinweise darauf, dass eine Totipotenz von menschlichen ES- und EG-Zellen unwahrscheinlich ist. Weil es beim Menschen aber aus ethischen Gründen keine Möglichkeit gibt, die Nichttotipotenz von embryonalen Stammzellen direkt experimentell zu
überprüfen, ist es letztlich nicht vollkommen sicher, dass sie nur pluripotent sind. In
diesem Bericht wird jedoch die Auffassung zu Grunde gelegt, dass menschliche
embryonale Stammzellen als pluripotent aufzufassen sind und sich ethische und
rechtliche Probleme damit vorrangig mit dem Prozess ihrer Gewinnung stellen, jedoch weniger mit den Forschungen unter Verwendung der menschlichen embryonalen Stammzellen selbst.
277
Optionen zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen und ihre
biomedizinische, ethische und rechtliche Bewertung
Menschliche embryonale Stammzellen können prinzipiell auf verschiedenen Wegen
gewonnen werden. Diese sind nach dem derzeitigen Kenntnisstand:
•
Gewinnung embryonaler Stammzellen aus menschlichen Embryonen (Blastocysten),
− die im Rahmen von in vitro-Fertilisationen (IVF) ursprünglich zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt wurden, hierfür nun aber endgültig nicht
mehr verwendet werden (so genannte "überzählige" Embryonen) (ES-Zellen);
− die mit Hilfe der IVF gezielt für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen erzeugt wurden (ES-Zellen);
− die nach dem "Dolly-Prinzip" zum Zweck des "therapeutischen Klonens" gezielt für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen erzeugt wurden
(ntES-Zellen).
•
andere Möglichkeiten (Parthenogenese, ooplasmatischer Transfer) zur Gewinnung embryonaler Stammzellen;
•
Gewinnung primordialer Keimzellen (EG-Zellen) aus toten Embryonen oder
Feten nach Abtreibung oder Fehlgeburt.
Alle diese Optionen haben gemeinsam, dass es sich hierbei um verbrauchende Embryonenforschung handelt, die – mit Ausnahme der letzten Option – mit der Zerstörung des Embryos bzw. Fetus einhergehen. In biomedizinischer Hinsicht sind diese
Optionen nach heutigem Kenntnisstand jedoch nicht gleichwertig. Auch in ethischer
und rechtlicher Hinsicht unterscheiden sie sich erheblich, so dass sie einzeln beurteilt werden müssen.
Bislang konnten menschliche embryonale Stammzellen nur durch zwei Methoden
gewonnen werden, und zwar aus Blastocysten, die durch IVF erhalten wurden (ESZellen), sowie aus den primordialen Keimzellen abgetriebener bzw. abortierter
Embryonen und Feten (EG-Zellen). Es ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten,
menschliche embryonale Stammzellen auch über die anderen oben genannten Methoden (durch Klonen (ntES-Zellen), aus parthenogenetisch erzeugten Embryonen
oder durch ooplasmatischen Transfer) zu gewinnen. Bislang haben diese Arbeiten
noch nicht zur Etablierung entsprechender menschlicher embryonaler StammzellLinien geführt, doch ist dies möglicherweise nur eine Frage der Zeit. Während den
ES-Zellen ein breites Anwendungspotenzial insbesondere für therapeutische Zielsetzungen zugeschrieben wird, kann zurzeit nicht sicher beurteilt werden, inwieweit
auch menschliche embryonale Stammzellen, die über andere Methoden gewonnen
wurden, ähnlich breit einsetzbar sein würden. Konkret besteht für EG-Zellen die
begründete Vermutung, dass wahrscheinlich zahlreiche epigenetische Fehler
vorliegen, die durch das fehlende Imprinting in den Urkeimzellen bedingt sind.
Ähnliches wird für menschliche ntES-Zellen, die über das Klonen gewinnbar sein
278
könnten, befürchtet. Somit könnten EG- und ntES-Zellen möglicherweise allein auf
Grund biomedizinisch-technischer Kriterien als Zell- und Gewebeersatz und als
Alternative zu ES-Zellen ausscheiden.
Für die ethische und rechtliche Beurteilung ist es von großer Bedeutung, welcher
moralische Status menschlichen Embryonen zukommt, und welche Schutzrechte
sich daraus jeweils ableiten. Speziell für die Stammzell-Debatte ist es zudem wichtig zu klären, ob die Beurteilung des moralischen Status des Embryos und die sich
daraus ableitenden Schutzrechtsansprüche danach zu differenzieren sind,
•
ob er sich im Mutterleib befindet oder ob er in vitro vorliegt,
•
ob es sich um so genannte "überzählige" Embryonen handelt, die ursprünglich
zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt wurden, hierfür aber endgültig
nicht mehr verwendet werden,
•
ob er durch Klonen nach dem "Dolly-Prinzip" entstand.
In der Diskussion um die Frage, welchen moralischen Status der Embryo selbst
hat, d. h. ob und bis zu welchem Grade er um seiner selbst willen schützenswert ist,
lassen sich mindestens fünf Positionen voneinander unterscheiden, die hier in der
Reihenfolge ihrer zunehmenden Strenge aufgeführt werden.
1.
Der frühe Embryo ist nichts als ein Zellhaufen, dem wir keinerlei Respekt
schulden (Reduktionismus).
2.
Schutzwürdigkeit und Lebensrecht des Embryos wachsen graduell. Bereits dem
frühen Embryo schulden wir zumindest eine Art von Respekt (Stufenmodell
des Lebensschutzes oder ethischer Gradualismus). In Abhängigkeit vom jeweils erreichten Entwicklungsstadium des Embryos und Fetus wäre dementsprechend eine Skala von Gütern steigender Wertigkeit anzugeben, die gegen
die Schutzwürdigkeit und das Lebensrecht von Embryo bzw. Fetus abzuwägen
wäre.
3.
Der Embryo verfügt vom Beginn seiner Entwicklung an über den vollen Schutz
der Menschenwürde und damit prima facie224 im selben Maße über ein Recht
auf Leben und den uneingeschränkten Lebensschutz wie der geborene Mensch.
In "qualifizierten" Konfliktsituationen ist jedoch eine Abwägung zwischen dem
Lebensschutz des Embryos und anderen Interessen, z. B. Leben, Gesundheit
und Selbstbestimmung der schwangeren Frau, ethisch vertretbar.
4.
Der Embryo verfügt vom Beginn seiner Entwicklung an über den vollen Schutz
der Menschenwürde und damit im selben Maße über ein Recht auf Leben und
den uneingeschränkten Lebensschutz wie der geborene Mensch, wobei das
224 "Prima facie" bedeutet, dass die moralische Verpflichtung besteht, dieses Recht zu respektieren,
so lange dem keine übergeordneten Pflichten entgegenstehen.
279
Spektrum dessen, was als "qualifizierter" Konflikt anerkannt wird, enger ist als
bei Position 3.
5.
Der Embryo verfügt vom Beginn seiner Entwicklung an über den vollen Schutz
der Menschenwürde und damit im selben Maße über ein Recht auf Leben und
den vollen Lebensschutz wie der geborene Mensch, so dass in Konfliktsituationen das Los oder der Würfel darüber zu entscheiden hat, ob ein Embryo oder
ein Geborener leben darf.
Bei allen fünf Positionen besteht Konsens darüber, dass die Würde des Menschen
unantastbar ist, dass die Achtung vor dieser Würde Richtschnur unseres Handelns
sein soll und dass es unveräußerliche Menschenrechte gibt. Mit Ausnahme des
Reduktionismus wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Embryo einen
Wert und damit eine Schutzwürdigkeit hat. Differenzen bestehen jedoch bei der
Bestimmung der Höhe des Wertes und des Grades der Schutzwürdigkeit, in der
Frage, ob dem Embryo von Anfang an eine unbedingte Schutzwürdigkeit um seiner
selbst willen zukommt, wie die Positionen drei bis fünf annehmen, oder ob diese in
Abhängigkeit vom jeweiligen Entwicklungsgrad wächst, wie dies Vertreter der
zweiten Position voraussetzen.
Es ist nicht davon auszugehen, dass es innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft
wie in der Schweiz einen vollkommenen Konsens in der Frage nach dem moralischen Status des Embryos geben wird. Auch wenn das Spektrum der vertretenen
Positionen eingekreist werden kann, bleibt noch Dissens übrig. Dies kann jedoch
nicht als Freibrief für einen kulturellen und ethischen Relativismus in Anspruch
genommen werden, sondern vielmehr als eine Aufforderung, sich unter Berücksichtigung des heutigen empirischen Kenntnisstandes und unter Anwendung allgemein verbindlicher Wertmaßstäbe und Prinzipien um eine verfassungskonforme
Lösung zu bemühen.
Im bestehenden Gesetzeswerk der Schweiz werden jedoch nicht alle relevanten Aspekte der Forschung an menschlichen Embryonen und Feten einschließlich der
menschlichen embryonalen Stammzellen erfasst, die sich im Zusammenhang mit
den neuen technischen Möglichkeiten und biomedizinischen Anwendungen dieser
Forschungszweige ergeben. Es verbleiben nicht oder nur indirekt geregelte Bereiche225. Dennoch lassen sich aus der Schweizerischen Bundesverfassung und dem
geltenden Völkerrecht eine Anzahl wesentlicher Teilantworten bzw. spezifischer
Vorgaben für den Umgang mit dem Embryo in vitro entnehmen. Sie besagen u. a.,
•
dass die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken oder sonstigen, gegenüber der Fortpflanzungshilfe fremden Zwecken explizit verboten ist, die Ek-
225 Eine klare und umfassende Regelung wird mit dem geplanten Bundesgesetz zur Forschung am
Menschen angestrebt, das zurzeit erarbeitet wird.
280
togenese verboten ist und zudem Schranken der Entwicklung und Aufbewahrung
von Embryonen in vitro bestehen,
•
dass sowohl das "therapeutische" als auch das reproduktive Klonen explizit verboten sind,
•
dass Embryonen ausschließlich mit dem Ziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft durch IVF gezeugt werden dürfen, dass mindestens ein Elternteil genetisch und sozial identisch sein soll und dass das Verfahren so auszugestalten ist,
dass (praktisch) keine "überzähligen" Embryonen anfallen,
•
dass sich die grundrechtlich garantierte Forschungsfreiheit nicht auf die Erzeugung und anschließende Aufzucht von Embryonen zu Forschungszwecken erstreckt. Es sind nur solche Forschungen zulässig, die beobachtender Natur sind
oder therapeutische Forschungen, die für den Embryo weder gesundheits- noch
lebensgefährlich sind noch ihn töten.
Demnach haben Embryonen einen gewissen eigenen verfassungs- und völkerrechtlichen Würdeschutz, wobei diese Grundrechtsgarantien noch durch gewisse Verbotsschranken (Verbot der Keimbahneingriffe, der Chimären- und Hybridbildung,
der Ektogenese, der Drittspende und der Kommerzialisierung) abgesichert sind.
Aus diesen Teilantworten und spezifischen Vorgaben ergibt sich, dass zurzeit allein
die Gewinnung embryonaler Stammzellen (EG-Zellen) aus den primordialen Keimzellen von abgetriebenen oder abortierten Embryonen oder Feten in der Schweiz
rechtlich zulässig ist, doch ist diese Option mit demselben rechtlich-ethisch-gesellschaftlichen Problempotenzial belastet wie die Gewinnung (adulter) fetaler Stammzellen (siehe oben). Zudem kann beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht sicher
beurteilt werden, ob EG-Zellen möglicherweise allein auf Grund biomedizinischtechnischer Kriterien als Zell- und Gewebeersatz und als Alternative zu ES-Zellen
ausscheiden.
Außerdem ergibt sich, dass es aktuell in der Schweiz keine rechtlich zulässige
Möglichkeit gibt, ES-Zellen zu gewinnen. Nach geltendem Verfassungs- und Völkerrecht ist sowohl die gezielte Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken
(und auch die anschließende Gewinnung von ES-Zellen) als auch die Gewinnung
von embryonalen Stammzellen aus Embryonen, die über die Methode des "Klonens
nach der 'Dolly-Methode'" erzeugt wurden, explizit verboten. Wahrscheinlich ist
auch die Gewinnung von embryonalen Stammzellen über Parthenogenese implizit
verboten. Obwohl strittig, erscheint es höchstens möglich, durch eine noch zu erlassende Gesetzgebung die Gewinnung von ES-Zellen aus so genannten "überzähligen" Embryonen zulässig werden zu lassen, und genau diese Möglichkeit soll durch
das zurzeit im Entwurf vorliegende Embryonenforschungsgesetz eröffnet werden.
281
Eine Zustimmung zu dieser Option setzt jedoch voraus, dass der moralische Status
von "überzähligen" Embryonen anders beurteilt würde als der von Embryonen in
vitro. Die hierbei maßgeblichen Argumente und Positionen lauten:
•
Vertreter des Reduktionismus werden vermutlich keine ethischen Probleme in
der Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen sehen, da für sie
der frühe menschliche Embryo noch keine Schutzwürdigkeit besitzt.
•
Vertreter des ethischen Gradualismus können die Verwendung "überzähliger"
Embryonen für Forschungszwecke für ethisch vertretbar, sogar für geboten halten. Da der Lebensschutz dieser Embryonen ohnehin nicht gewährleistet sei, sei
es auch kein Zeichen für mangelnden Respekt, wenn sie für hochrangige Forschungsziele verwendet würden, insbesondere nicht für Ziele mit medizinischtherapeutischem Fokus. Da sie der Auffassung sind, dass wir bereits dem frühen
Embryo Respekt schulden, knüpfen sie die Verwendung "überzähliger" Embryonen jedoch an strenge Bedingungen226. Auf diese Bedingungen wird unten näher
eingegangen.
•
Vertreter der dritten Position müssten entscheiden, ob der Konflikt zwischen der
Lebenserhaltung von Embryonen und der Forschung an ES-Zellen mit hochrangigen wissenschaftlichen und therapeutischen Zielsetzungen unter strengen
Auflagen und Kontrollbestimmungen ein "qualifizierter Konflikt" ist, der mindestens mit einem Schwangerschaftsabbruch nach einer sozialen Indikation vergleichbar ist, der dieser Position zufolge ja vertretbar ist. Bei der Qualifizierung
des Konflikts müssten jedoch ethisch vertretbare Alternativen zur Verwendung
von ES-Zellen, wie die Erforschung des Potenzials anderer Stammzelltypen, berücksichtigt werden sowie die Tatsache, dass die Erfolgsaussichten der ESZelltechnologie mit Blick auf spätere Therapien bisher nicht abschätzbar sind
und dass man sich zur Rechtfertigung des Embryonenverbrauchs daher auch
nicht direkt auf die Möglichkeit einer Linderung von Leiden und Schmerzen, des
Helfens und Heilens, berufen kann.
•
Vertreter der vierten Position, die davon ausgehen, dass Embryonen von Anfang
an uneingeschränkt Menschenwürde und damit Lebensschutz zukommt, werden
auch die Vernichtung "überzähliger" Embryonen für hochrangige Forschungszwecke mit medizinisch-therapeutischer Perspektive als unzulässige Instrumentalisierung frühen menschlichen Lebens ablehnen. Sie werden auch keine
Parallele zum Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation zulassen.
Für Vertreter dieser Position ist die Beziehung zwischen dem Embryo oder Fetus
und der Schwangeren eine akute Notsituation und damit anders zu bewerten als
die Beziehung zwischen dem Embryo und den potenziellen zukünftigen Patien-
226 Auch im Entwurf des Embryonenforschungsgesetzes wird die Forschung an überzähligen Embryonen, die Gewinnung embryonaler Stammzellen und die Forschung an embryonalen
Stammzellen an solche Bedingungen geknüpft.
282
ten, für deren potenzielles Wohl diese Embryonen verbrauchende Forschung mit
zudem ungewisser Chance auf Erfolg stattfinden soll.
•
Vertreter der fünften Position werden die Verwendung "überzähliger" Embryonen zur ES-Zellgewinnung strikt ablehnen.
Vertreter der Positionen zwei und drei lassen zwar beide unter bestimmten Bedingungen eine Abwägung zwischen den Zielsetzungen der Forschung und prospektiven Therapie und dem Schutz "überzähliger" Embryonen zu. Beide haben jedoch
auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, der Geeignetheit und der Notwendigkeit der Verwendung "überzähliger" Embryonen in Relation zu den intendierten
Zielsetzungen zu stellen.
Durch die Etablierung von Forschungen an "überzähligen" Embryonen könnte zudem ein Anreiz für die gezielte Erzeugung "überzähliger" Embryonen geschaffen
werden, womit bei der in vitro-Fertilisation von vornherein die mögliche spätere
Verwendung einiger der im Reagenzglas erzeugten Embryonen einkalkuliert würde
und damit de facto Embryonen für verbrauchende Forschungen hergestellt würden.
Darüber hinaus könnte die Freigabe der Verwendung "überzähliger" Embryonen
auch eine Türöffnerfunktion für weitere Formen der Herstellung von Embryonen
haben, wie für die Erzeugung von Embryonen rein zu Forschungszwecken außerhalb reproduktionsmedizinischer Zielsetzungen und die Herstellung von Embryonen nach der "Dolly-Methode".
Mögliche Regelungsoptionen für menschliche embryonale Stammzellen in der
Schweiz
Sofern die Gewinnung von und Forschung an embryonalen Stammzellen zum jetzigen Zeitpunkt für die Schweiz als wünschenswert erachtet wird, müssen folgende
Fragen auf politischer Ebene bewertet werden, da sich daraus ergibt, inwieweit
Handlungsbedarf in Bezug auf die Rechtslage besteht:
•
Kann – zumindest in der Grundlagenforschung – auf menschliche ES-Zellen
verzichtet werden, da zentrale Forschungsfragen auch an ES-Zellen anderer Arten bzw. an Tiermodellen geklärt werden könnten? Wenn ja, wäre keine Änderung der aktuellen Rechtslage erforderlich.
•
Sind (die in der Schweiz rechtlich zulässig gewinnbaren) menschliche EG-Zellen
eine hinreichende Alternative zu menschlichen ES-Zellen? Wenn ja, wäre keine
Änderung der aktuellen Rechtslage erforderlich, doch müssten die oben angesprochenen Aspekte im Rahmen des geplanten Gesetzes zur Forschung am Menschen geregelt werden.
•
Reicht es aus, wenn sich die künftige Stammzellforschung nur der bereits etablierten menschlichen ES- Zell-Linien bedient, so dass keine menschlichen Embryonen für die Gewinnung von ES-Zell-Linien mehr zerstört werden müssten?
283
Wenn ja, sollten die Rechtslage zum Import embryonaler Stammzellen klarer
gestaltet und Bedingungen festgelegt werden, unter denen der Import erfolgen
dürfte.
•
Stellt die Gewinnung von embryonalen Stammzellen, gemessen an den Zielsetzungen der Stammzellforschung und auch unter Berücksichtigung alternativer
Optionen, ein notwendiges, verhältnismäßiges und angemessenes Mittel dar, das
es rechtfertigt, die bisher errichteten Schranken bei der verbrauchenden Embryonenforschung in Bezug auf die Nutzung "überzähliger" Embryonen zu senken?
Wenn ja, ist hierfür ein Bundesgesetz erforderlich, und es sind die Bedingungen
festzulegen, unter denen diese Forschung rechtlich zulässig sein soll.
In Bezug auf die letztgenannte Option dürfte es erforderlich sein, die Zulässigkeit
an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zu binden. Hierzu gehören die freie
und aufgeklärte Zustimmung des Paares, aus dessen Keimzellen der Embryo erzeugt wurde, so dass das Paar Forschungsziele und Verwendungszweck seines
Embryos kennt, Nichtkommerzialisierung in dem Sinne, dass das Paar für seine
Einwilligung weder finanzielle noch anderweitige Vergünstigungen erhalten darf,
die Aussicht auf eine medizinisch-therapeutische Perspektive der mit dem Forschungsvorhaben angestrebten Erkenntnisse, die nicht vergleichbar an anderen
menschlichen Zellen gewonnen werden können und für die die erforderlichen Voruntersuchungen an Zellen von Tieren dargelegt worden sind, die Überprüfbarkeit
der wissenschaftlichen Qualität des Forschungsvorhabens an ES-Zellen durch eine
geeignete Fachbegutachtung und anhand bewährter wissenschaftlicher Kriterien, die
Befürwortung des Forschungsvorhabens durch eine interdisziplinär zusammengesetzte, unabhängige Ethikkommission u. a.
Eine andere Option wäre, menschliche ES-Zellen aus anderen Ländern mit liberalerer Gesetzgebung zu importieren. Dies ließe sich damit begründen, dass ES-Zellen
selbst ja als pluripotent gelten und damit keine Embryonen sind, so dass die Forschung an ES-Zellen selbst keine ethischen und rechtlichen Probleme aufzuwerfen
scheint, sofern die Ziele klar definiert sind. Diese Option weist jedoch Züge von
Doppelmoral auf. Zum anderen ist unseres Erachtens auch der Import von Stammzellen, die aus verfassungsrechtlich verpönten Verfahren stammen, rechtswidrig,
also der Import von Stammzellen, die aus gezielt für Forschungszwecke erzeugten
Embryonen gewonnen wurden, einschließlich solcher, die nach der "Dolly Methode" erzeugt wurden. Ein Import scheint sich daher als die in rechtlicher Hinsicht
am wenigsten problematische Option darzustellen, wenn er an ähnliche Kriterien
gebunden würde, wie sie oben für die Gewinnung von ES-Zellen aus "überzähligen" Embryonen skizziert wurden. Hierbei stellt sich zum einen die Frage, wie die
Einhaltung dieser Kriterien im Ausland kontrolliert werden kann.
Zum anderen könnte durch eine Nachfrage nach embryonalen Stammzellen, die von
der Schweiz ausginge, im Ausland ein Anreiz zur verbrauchenden Embryonen-
284
forschung geschaffen werden. Eine Option, diesen Anreiz gering zu halten, bestünde in einer Stichtagsregelung, wie sie beispielsweise im deutschen Stammzellgesetz227 implementiert wurde. Danach dürften nur solche Stammzellen importiert
werden, die bereits vor einem bestimmten Stichtag gewonnen worden wären. Dies
würde jedoch implizieren, dass die zu diesem Stichtag bereits vorhandenen
menschlichen ES-Zell-Linien für die weitere Stammzellforschung ausreichen. Zwar
stützt sich die Forschung an ES-Zellen der Maus weltweit nahezu ausschließlich auf
nur 7-8 murine ES-Zell-Linien. Ob aber die Verwendung menschlicher embryonaler
Stammzellen insbesondere für therapeutische Zwecke mit einer so geringen Zahl an
Stammzell-Linien auskäme und ob die bereits etablierten Zell-Linien die
erforderlichen Eigenschaften aufweisen, ist zurzeit offen.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die komplexe Frage, ob und
inwieweit Stammzellverfahren und menschliche Stammzell-Linien allenfalls
patentiert werden können, weder in der EU noch in der Schweiz geklärt ist.
Schlussbetrachtung
Wie immer auch der moralische Status des menschlichen Embryos in vitro und der
daraus abgeleitete Schutz im Kontext der Stammzellforschung ausfallen mag, so
wird diese Festlegung mittelbare oder gar unmittelbare Auswirkungen auf den Umgang mit menschlichen Embryonen und Feten in anderen Bereichen haben. Als Beispiele für diese Bereiche seien hier genannt: der menschliche Embryo im Mutterleib, beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage des Schwangerschaftsabbruchs, der Pränataldiagnostik und der fetalen Therapien im Mutterleib; der
menschliche Embryo in vitro im Rahmen der Reproduktionsmedizin (in vitro-Fertilisation als Fortpflanzungshilfe), die Präimplantationsdiagnostik, die Verwendung
embryonaler und fetaler Gewebe aus toten menschlichen Embryonen oder Feten
nach Abtreibung oder Fehlgeburt, z. B. in der Transplantationsmedizin oder biomedizinischen Forschung. Obwohl die Forschung an Stammzellen große Hoffnungen
weckt, rechtfertigt dies keinen beliebigen Umgang mit menschlichen Embryonen –
ein sorgfältiges Abwägen ist angezeigt. Man sollte sich bewusst sein, dass Entscheidungen über den Umgang mit Embryonen im Rahmen der Stammzellenforschung eine erhebliche Tragweite haben könnten, da sie sich womöglich auch auf
den Umgang mit Embryonen in den anderen genannten Gebieten auswirken.
227 Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG)(in Kraft seit
1.7.2002)
285
11.
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309
A1
Methodik und Vorgehensweise
A1.1
Generelle Methodik und Vorgehensweise
Methodisch stützt sich die Studie auf die Auswertung relevanter Fachliteratur und
grauer Literatur, auf die Teilnahme an Fachveranstaltungen sowie auf eine schriftliche Befragung relevanter Schweizerischer Akteure.
Um aktuelle Fachliteratur, einschlägige Studien sowie graue Literatur zu ermitteln,
wurden Literaturrecherchen in Fachzeitschriften wie Science, Nature, Nature Medicine, Nature Biotechnology, The Lancet, British Medical Journal, New England
Journal of Medicine, Hastings Center Report, Journal of Medical Ethics, Kennedy
Institute of Ethics Journal, Ethik in der Medizin, Zeitschrift für medizinische Ethik,
Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik sowie in Schweizerischen Zeitschriften wie
z. B. in der Schweizerischen Ärzte-Zeitung durchgeführt. Außerdem wurden Recherchen in den Literaturdatenbanken MEDLINE, Bio-ethicsline, Euroethics,
BEKIS, BELIT, LEWI, Philosopher's Index uns Swisslex-Westlaw durchgeführt.
Zudem werden Internetrecherchen durchgeführt. Darüber hinaus werden im nationalen und internationalen Raum bisher existierende offizielle Berichte, Stellungnahmen, Empfehlungen, Gesetze und untergesetzliche Regelungen bzw. Richtlinien
zur Thematik gesammelt. Die ermittelten Dokumente wurden auf den erreichten
Stand des Wissens, die verfolgten Forschungsansätze, offene Fragen bzw. auf die
angeführten Argumente und vertretenen Positionen ausgewertet.
Der allgemeine ethische Rahmen, der in dieser Studie vorausgesetzt wird, ist der einer
Verantwortungsethik, wobei diese keinen Gegensatz zu bestimmten anerkannten Prinzipien der Gesinnungsethik darstellt. Die Verantwortungsethik betrachtet nach dem
Verständnis der Gutachterinnen die Konsequenzen wissenschaftlich-technischen Handelns unter dem Aspekt der Vereinbarkeit mit den grundlegenden ethischen Prinzipien
des Respekts vor der Menschenwürde und anderen anerkannten Prinzipien, wozu in
erster Linie die bekannten Prinzipien der biomedizinischen Ethik (Respekt vor Autonomie oder Selbstbestimmung des Patienten, Nichtschädigung, Wohltun oder Fürsorge und Gerechtigkeit oder Fairness) gehören.
Die Integration der Analyselinien, deren Bewertung und die Erarbeitung von
Schlussfolgerungen erfolgte in interdisziplinärer Zusammenarbeit im Projektteam
sowie in Abstimmung mit der Begleitgruppe.
310
A1.2
Analyse der gesellschaftlichen Debatte
Im Untersuchungsschritt "Gesellschaftliche Debatte" (Kap. 9) wurden die offiziellen Positionen und Sichtweisen herausragender Akteure auf dem Gebiet der Anwendung von Stammzellen in der Medizin ausgewertet, um einen Überblick über
das Spektrum der Meinungsäußerungen, Interessen und Positionen zu geben. Diese
Analyse hatte eine internationale und eine nationale Dimension.
Zur Charakterisierung der gesellschaftlichen Debatte im europäischen Ausland und
in den USA wurden bis Anfang Juli 2002 alle relevanten Fachartikel, Presseveröffentlichungen und Publikationen in den elektronischen Medien gesammelt. Die
Auswertung dieser Beiträge orientierte sich an dem folgenden Analyseraster:
•
allgemeine Einschätzung der Intensität der Debatte
•
Skizzierung des Verlaufs der Debatte
•
die wichtigsten Akteure der Debatte
•
Kernpunkte der Debatte
Für die schweizspezifische Analyse der gesellschaftlichen Debatte um menschliche
Stammzellen sowie die Bewertung der Problematik durch schweizerische Akteure
wurde zum einen eine schriftliche Befragung in einem breiten Kreis gesellschaftlicher Gruppen in der Schweiz durchgeführt, um ihnen die Möglichkeit zu geben,
ihre Standpunkte und Interessen in dieses TA-Vorhaben einzubringen. Zum anderen
wurden Meinungsäußerungen der Akteure in der Presse bzw. den elektronischen
Medien ausgewertet.
Zur Erfassung des Meinungsspektrums wurde eine rein qualitative Erhebungsmethode gewählt. Anfang Januar 2002 wurde eine nicht repräsentative Stichprobe von
insgesamt 224 Schweizer Personen und Institutionen der folgenden gesellschaftlichen Gruppierungen228 schriftlich um eine Stellungnahme zum Thema menschliche
embryonale Stammzellen gebeten:
•
In Gesetzgebungsverfahren eingebundene staatliche Institutionen und Behörden
•
Politische Parteien
•
Forschung und Wissenschaft mit Schwerpunkt Biologie und Medizin
•
Akteure aus dem Bereich Wirtschaft
•
Kirchen
•
Gentechnikkritische Organisationen
•
Medien
228 Einzelne Akteure können prinzipiell mehreren Gruppierungen zugeordnet werden.
311
Die Liste relevanter Akteure wurde unter Berücksichtigung aller Landesteile der
Schweiz auf der Basis von Vorarbeiten des Projektteams, persönlichen Kontakten,
Internetrecherchen, Literatur- und Presseauswertungen, einschlägigen Adressenverzeichnissen, Nennungen durch das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung
und durch Mitglieder der Begleitgruppe zusammengestellt.
In einem Anschreiben wurden die ausgewählten Akteure über den Auftraggeber, die
Projektleitung und Projektgruppe sowie Hintergrund, Zielsetzung und Ablauf des
Projektes "Menschliche Stammzellen" informiert. Sie wurden gebeten, dem ISI eine
schriftliche Stellungnahme zum Thema "Menschliche Stammzellen" aus der Sicht
ihrer Institution zuzustellen, um die von ihnen vertretenen Standpunkte und Interessen zur Problematik in das Projekt einzubringen. Es wurde ebenfalls darüber informiert, dass die Ergebnisse der Auswertung der eingehenden Stellungnahmen in die
Sachstandsanalyse, die Bewertungen und Schlussfolgerungen des Abschlussberichtes des Projektes einfließen werden.
Die angeschriebenen Akteure wurden gebeten, sich bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahme an den folgenden bewusst offen formulierten Fragen zu orientieren, sofern diese für ihre Institution von Relevanz sind:
•
Sind menschliche Stammzellen ein relevantes Thema für Ihre Organisation? Warum? Welchen Stellenwert in der Gesellschaft hat die Forschung an menschlichen Stammzellen aus Sicht Ihrer Organisation?
•
In welcher Weise und welchem Umfang hat sich Ihre Organisation bereits mit
der Thematik "Menschliche Stammzellen" befasst?
•
Welches sind die wichtigsten Aspekte zur Gewinnung von und zur Forschung an
menschlichen Stammzellen sowie zum Import von embryonalen menschlichen
Stammzellen aus Sicht Ihrer Organisation?
•
Zu welchen (Zwischen-)Ergebnissen und Einschätzungen ist Ihre Organisation
gekommen? Warum? Welche Aspekte hat Ihre Organisation noch nicht abschließend beurteilt?
•
In welcher Weise will sich Ihre Organisation künftig mit der Thematik
"Menschliche Stammzellen" befassen?
•
Welchen Handlungsbedarf sieht Ihre Organisation?
•
Welche Maßnahmen erscheinen aus Sicht Ihrer Organisation notwendig bzw.
geeignet, die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die menschlichen
Stammzellen zu führen?
Mitte Februar 2002, nach ca. 6 Wochen, wurde ein Erinnerungsschreiben an jene
Akteure versandt, von denen noch keine Antwort eingegangen war. Der Rücklauf
der Antworten wurde Mitte März 2002 abgeschlossen.
312
Von den 224 Akteure, die in allen Landesteilen der Schweiz angeschrieben worden
waren, antworteten insgesamt 101, was einer Rücklaufquote von 45 % entspricht.
45 Akteure (45 %, bezogen auf die 101 Antworten) nahmen ausführlich Stellung
zur Thematik. 56 Akteure (55 %) gaben keine Stellungnahme ab, weil sie sich nicht
vom Thema "Menschliche Stammzellen" betroffen fühlten, weil sie zu wenig Zeit
und personelle Engpässe hatten, um sich detailliert mit dem Thema auseinander
zusetzen, weil sie sich am Vernehmlassungsverfahren beteiligen wollten sowie in
einem Fall weil sie sich an Umfragen ausländischer Institute grundsätzlich nicht
beteiligen. Auch die begründeten Absagen und Weiterleitungen lieferten wichtige
Hinweise auf die aktuelle Situation und das in der Schweiz vorherrschende Meinungsbild im Bereich "Menschliche Stammzellen".
313
A2
Charakterisierung der gesellschaftlichen Stammzelldebatte im Frühjahr 2002
In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse der in Abschnitt A1.2 beschriebenen Befragung Schweizerischer Akteure zum Thema "Menschliche
Stammzellen" sowie ergänzender Recherchen in Printmedien und im Internet dokumentiert. Der Stand ist Frühjahr 2002. Es ist davon auszugehen, dass sich nachfolgend im Zuge des Vernehmlassungsverfahrens zum Embryonenforschungsgesetzes, das im Zeitraum Mai bis Anfang September 2002 stattfand, verschiedene
schweizerische Akteure ihre Position zum Themenkomplex der menschlichen
Stammzellen weiter ausdifferenziert haben, veröffentlicht haben bzw. sich erstmals
eine Meinung gebildet haben. Deshalb sei betont, dass die folgenden Ausführungen
eine "Momentaufnahme" der gesellschaftlichen Stammzell-Diskussion im Frühjahr
2002 darstellen.
A2.1
Parteien
Von den angeschriebenen schweizerischen Parteien nahmen die vier großen Parteien, nämlich die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die Freisinnigdemokratische Partei (FDP), die Sozialdemokratische Partei (SP) und die Schweizerische
Volkspartei (SV) sowie von den kleineren Parteien die Grünen (GPS) und die
Schweizer Demokraten (SD) Stellung zum Thema Stammzellen.
Mit Ausnahme der Schweizer Demokraten geben alle Parteien an, dass die Forschung an bzw. der Import von embryonalen Stammzellen für sie ein Thema von
hoher gesellschaftlicher Relevanz sei.
Die FDP ist die Einzige der schweizerischen Parteien, die die Forschung mit embryonalen Stammzellen am Forschungsstandort Schweiz klar befürwortet. Sie begründet ihre Position mit den Hoffnungen, die die Stammzellforschung zur Heilung
bislang unbehandelbarer Krankheiten eröffne. Trotz dieser medizinischen Chancen
sehe die FDP auch ethische und v.a. rechtliche Probleme. Doch anstatt Moratorien
zu fordern, "hat die Politik den Dialog mit der Forschung ohne weitere Verzögerung
aufzunehmen, die ethischen Fragen seriös zu prüfen und gestützt darauf klare Rahmenbedingungen für die Zukunft zu formulieren. Dabei sind strenge Auflagen und
Kontrollen Verboten sicher vorzuziehen." (FDP-Pressedienst 2002). Eine gesetzliche Regelung müsse den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Subsidiarität
dienen, d. h. die Forschung dürfe nicht kommerzieller Natur sein und müsse therapeutischen Zwecken dienen, die nicht anders erreichbar seien. Als Schritt in die
Richtung Dialog verstehe die FDP ihre öffentliche Fachtagung "Forschung und Po-
314
litik: Partner oder Gegner?", die Anfang Februar 2002 u.a. das Thema Stammzellforschung behandelte. Am 13. Mai 2002 stellte die FDP ein Positionspapier mit
dem Titel "Verantwortungsvolle Stammzellenforschung im Interesse von Gesundheit und Wissenschaft" vor, in dem sie ihre aufgeschlossene Haltung bekräftigte.
Über den Ende Mai 2002 vom EDI vorgelegten Gesetzesentwurf zur embryonalen
Stammzellforschung zeigte sich die FDP erleichtert.
Die CVP spreche sich grundsätzlich gegen die verbrauchende Embryonenforschung
aus. Die Nationalrätin Rosmarie Dormann reichte aus diesem Grund im Namen der
CVP im Herbst 2001 eine parlamentarische Initiative ein, um bis zur Inkraftsetzung
des neuen "Bundesgesetzes zur Forschung am Menschen" ein Moratorium zu erlassen, das die verbrauchende Forschung an menschlichen Embryonen sowie die Gewinnung von embryonalen Stammzellen ausschließt. In eingeschränktem Umfang
sei die CVP jedoch bereit, den Import von bereits existierenden embryonalen
Stammzellen, die legal aus "überzähligen" Embryonen gewonnen wurden, in die
Schweiz zuzulassen. Dies jedoch nur, um das tatsächliche Potenzial von embryonalen Stammzellen im Vergleich mit adulten Stammzellen festzustellen. Zu weiteren Zugeständnissen sei die CVP nicht bereit, weil sie befürchte, dass mit der Herstellung von Stammzell-Linien in der Schweiz auch dem therapeutischen Klonen
Tür und Tor geöffnet werde. Entsprechend setze sich die CVP auch dafür ein, die
ethischen Komponenten des Gesetzentwurfs zur Stammzellforschung zu vertiefen
und die Rahmenbedingungen zu verschärfen. Derzeit würden von der Arbeitsgruppe
"Biopolitik" die Grundlagenpapiere der CVP zu biomedizinischen Fragestellungen
überarbeitet. Zusätzlich wolle man die Biopolitik auch parteiintern verstärkt zum
Thema machen. Eine Frage, die der CVP im Zusammenhang mit der Stammzellforschung am Herzen liege, sei, welche Auswirkungen die Forschungsergebnisse auf
die bereits jetzt als zu hoch kritisierten Krankenversicherungskosten hätten.
Die SP stehe der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen skeptisch
gegenüber. Sie fühle sich verpflichtet, ihre ethischen und sozialen Bedenken zu artikulieren. Dazu zähle, ob die Grenzen der zulässigen Forschung am Menschen weiter verschoben werden sollten, ob die Stammzellforschung ihre Versprechen tatsächlich halten könne, welche Missbrauchsgefahr sie mit sich bringe und ob es
Alternativen zu Forschung an embryonalen Stammzellen gebe, inwieweit werdendes Leben verwertet werden dürfe und wie die Würde des Menschen vor zunehmender Instrumentalisierung geschützt werden könne. Die SP plädiere dafür, einen
so wichtigen Bereich wie die Forschung an bzw. den Import von menschlichen
embryonalen Stammzellen nicht der Selbstregulierung der Forschung, sondern der
Gesetzgebung zu überlassen. Die Partei unterstütze die Bemühungen des Departements des Innern, die Bevölkerung möglichst breit zu informieren und Diskussionsprozesse zu dem Thema zu fördern. Der Meinungsbildungsprozess innerhalb der SP
werde seit kurzem intensiv geführt, sei aber noch nicht abgeschlossen. Im Oktober
2001 habe in diesem Zusammenhang durch die Fachkommission für Wissenschaftsund Bildungspolitik der SP eine Anhörung von zwei Wissenschaftlern stattgefun-
315
den, die direkt mit dem Thema Stammzellen befasst seien, und im März 2002 eine
weitere Anhörung durch die SP-Fraktion in der Bundesversammlung. Doch bereits
jetzt zeichne sich eine Spaltung der Partei in eine forschungsfreundliche und eine
eher zurückhaltende Gruppe ab. Selbst wenn es der Partei und der Parlamentsfraktion gelingen sollte, einen Mehrheitsentscheid herbeizuführen, werde eine starke
Minderheit eine gegenteilige Auffassung auch öffentlich vertreten.
Bei der SVP sei die Stammzellforschung parteiintern derzeit kaum ein Thema, die
Partei habe sich in ihrem Parteiprogramm jedoch immer klar für den Schutz des
menschlichen Lebens ausgesprochen. In diesem Sinne forderte der SVP-Nationalrat
Walter Schmied im Oktober 2001 die Einführung eines dringlichen Bundesgesetzes,
um die Rahmengesetzgebung für den Import von embryonalen Stammzellen klar zu
definieren. Sein Parteikollege Jean-Henri Dunant sieht hingegen in der Stammzellforschung ein enormes Potenzial im Hinblick auf neue Therapieformen (Motion
vom Dezember 2002). Obwohl sich die Vorstöße diametral gegenüberliegen, haben
zahlreiche SVP-Vertreter gleich beide unterzeichnet.
Die GPS wende sich klar gegen die verbrauchende Embryonenforschung und somit
auch gegen den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen. Stattdessen
fordere die GPS eine verstärkte Förderung der Forschung an adulten Stammzellen.
Die GPS habe sich bereits im Parlament mit dem Thema Stammzellen befasst, eine
Interpellation durch die Nationalrätin Maya Graf eingebracht und werde sich insbesondere im Rahmen der Vernehmlassung zum geplanten Bundesgesetz zu diesem
Thema äußern. In der Interpellation fragten die Grünen den Bundesrat, ob er bereit
sei, den Import embryonaler Stammzellen zumindest solange zu verbieten, bis eine
vertiefte öffentliche Debatte (begleitet von einem Publiforum) stattgefunden habe
und klare gesetzliche Regelungen festgesetzt seien. Anfang Juni 2002 rief die CoPräsidentin der Grünen und Zürcher Nationalrätin Ruth Genner auf einer Medienkonferenz zu mehr Zurückhaltung bei der Stammzellforschung auf. Die Politik
dürfe nicht einfach die von der Wissenschaft überschrittenen Grenzen nachträglich
absegnen. Stattdessen müsse eine breite Diskussion und Aufklärung über die übersteigerten Erwartungen, die in die Forschung mit embryonalen Stammzellen gesetzt
würden, und über Alternativen wie die Forschung an adulten Stammzellen und
Stammzellen aus Nabelschnurblut stattfinden. Anfang Juni 2002 fand im Rahmen
der Jahresversammlung der Grünen Partei ein Hearing zum Thema embryonale
Stammzellen statt.
Die SD sehe in der Stammzellforschung zwar mittelfristig einen wichtigen medizinischen Forschungszweig, das "politische Theater", das darum gemacht werde,
stehe jedoch in keinem Verhältnis zu der Leichtfertigkeit, mit der mit dem Problem
der großen Zahl der Schwangerschaftsabbrüche umgegangen werde. Es sei sogar zu
befürchten, dass bei liberalen Regelungen der Stammzellforschung der Leichtsinn
im Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen sogar noch zunehmen würde. Einen
besonderen Handlungsbedarf sähen die SD in diesem Zusammenhang nicht, da zwi-
316
schen einer Stammzelle und einem Embryo ein klarer Unterschied bestehe – nur
Letzterer könne auch ohne besonderes menschliches Zutun zu einem Menschen
heranwachsen.
A2.2
Parlamentarische Aktivitäten
Es wurden mehrere parlamentarische Vorstöße unternommen, die in Tabelle A.1
aufgeführt sind.
Tabelle A.1:
Parlamentarische Vorstöße in der Schweiz seit 2001 zum Thema
Stammzellenforschung
No.
Datum der
Einreichung
01.441
17.9.2001
Parlamentarische Initiative der Nationalrätin Rosmarie Dormann
(CVP): Verbot der verbrauchenden Forschung an Embryonen.
Moratorium. Im Plenum noch nicht behandelt.
01.3530
4.10.2001
Interpellation des Nationalrats Felix Gutzwiller (FDP): Stammzellenforschung. Übergangsregelung. Im Plenum noch nicht
behandelt.
01.3531
4.10.2001
Motion des Nationalrats Walter Schmied (SVP): Dringliches
Bundesgesetz über die Einfuhr von embryonalen Stammzellen.
Bundesrat beantragt Ablehnung der Motion; im Plenum noch
nicht behandelt.
01.3700
3.12.2001
Motion des Nationalrats Jean Henri Dunant (SVP): Forschung an
embryonalen Stammzellen. Bundesrat beantragt Umwandlung
der Motion in Postulat; im Plenum noch nicht behandelt.
01.5273
10.12.2001
Frage der Nationalrätin Maya Graf (Grüne): Überzählige Embryonen in der Schweiz
02.3197
17.4.2002
Interpellation des Nationalrats Felix Gutzwiller (FDP): Überzählige Embryonen und Stammzellenforschung. Im Plenum noch
nicht behandelt.
02.3335
20.6.2002
Motion des Nationalrats Felix Gutzwiller (FDP): Forschung an
embryonalen Stammzellen und Fortpflanzungsmedizingesetz.
Bundesrat beantragt Umwandlung der Motion in Postulat; im
Plenum noch nicht behandelt.
Erläuterung
Quelle: online-Datenbank, http://www.parlament.ch; Stand 17.9.2002
In ihrer Oktobersitzung 2001 ließen sich die Kommission für Wissenschaft, Bildung
und Kultur (WBK) den Standpunkt des SNF durch die Präsidentin des Forschungs-
317
rates und den Präsidenten des Stiftungsrates sowie von Seiten des zuständigen
Departements des Innern (EDI) erläutern. Darüber hinaus organisierte die Parlamentarische Gruppe Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie (BWFT) in der
Woche nach der Entscheidung des SNF eine Diskussionsveranstaltung unter dem
Titel "Stammzellforschung: Der Nationalfonds hat entschieden. Nun liegt der Ball
bei der Politik."
A2.3
Behördliche Institutionen
Von den Kantonsärzten wurden im Rahmen der Umfrage drei Stellungnahmen abgegeben, in denen betont wird, dass die Diskussion zum Thema embryonale
Stammzellen in den Kantonen gerade erst begonnen habe und man noch nicht zu
einem abschließenden Urteil gekommen sei. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stünden dabei ethische Fragen, Fragen zum volkswirtschaftlichem Potenzial
von Stammzellen und zu den Kostenfolgen, die durch Stammzelltransplantationen
im medizinischen System entstehen würden. Auch der Handel mit Stammzellen
müsse EU-einheitlich geregelt werden. Die Bewilligung und Aufsicht von Forschungsvorhaben die Stammzellforschung betreffend könne jedoch nicht in den
Kantonen liegen, sondern fiele in den Aufgabenbereich der Bundesbehörden.
Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic habe aus juristischen Gründen
keinen Auftrag, im Bereich embryonale Stammzellen aktiv zu werden. Das liege
daran, dass Stammzellen nach schweizerischem Recht nicht als Arzneimittel im
weitesten Sinn, sondern als Transplantate definiert seien.
Für das Eidgenössische Institut für geistiges Eigentum sei die Thematik hinsichtlich
der Patentierbarkeit der aus der Forschung an menschlichen Stammzellen resultierenden Erfindungen von Relevanz. Auf Grund der ethischen Bedenken bei der Gewinnung und Verwendung von embryonalen Stammzellen werde derzeit diskutiert,
inwieweit Erfindungen betreffend menschliche Stammzellen von der Patentierbarkeit auszunehmen seien. Das Patentrecht sei aber ungeeignet, wie in der Stellungnahme betont wird, Forschung zu lenken und Missbräuche zu vermeiden. Hier seien
staatliche Gesetze notwendig, die der Forschung ethische Leitplanken setzten.
A2.4
Wissenschaft
Die Stellungnahmen und Positionierungen aus dem Bereich Wissenschaft werden
im Folgenden nach Disziplinen untergliedert, da die jeweiligen Disziplinen sehr
unterschiedliche Herangehensweisen an die Stammzellthematik haben.
318
A2.4.1
Medizin und Naturwissenschaften
In den 13 Stellungnahmen, die im Rahmen der Umfrage von Wissenschaftlern aus
der medizinischen bzw. molekularbiologischen Forschung eingingen, wird die Forschung an embryonalen und adulten Stammzellen des Menschen ausnahmslos
befürwortet. Als Stammzellquelle wird zumindest der Import von Stammzell-Linien
befürwortet, verschiedene Forscher sprechen sich jedoch auch für die Gewinnung
von menschlichen embryonalen Stammzellen im eigenen Land aus. Die Forscher
begründen ihre Haltung mit den neuen therapeutischen Optionen, die sich grundsätzlich durch die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen eröffneten. So könnten infarktgeschädigte Herzen oder neurodegenerative Krankheiten wie
Parkinson geheilt werden. Die Herstellung insulinproduzierender Zellen werde
vereinfacht. Es könnten Knorpelzellen und Bindegewebszellen gezüchtet werden,
um zerstörtes Gewebe im Gelenk bzw. der Haut wieder aufzubauen. Als in der
Ferne liegendes Ziel wird von den Forschern der Aufbau ganzer Organe genannt.
Diese therapeutischen Möglichkeiten gelte es breit in der Bevölkerung bekannt zu
machen, um so ein Gegengewicht zu den Informationen über Missbrauchsmöglichkeiten der Stammzellforschung zu schaffen. Transparenz in der Forschung sei in
den Augen verschiedener Wissenschaftler das beste Mittel, um das Vertrauen der
Öffentlichkeit für neue Technologien zu gewinnen. Um Missbrauch zu verhindert,
würden die Schaffung eines zeitgemäßen rechtlichen Rahmens, Kontrollinstanzen,
ethische Kommissionen und Aufsichtsbehörden gefordert. Transparenz und Kontrolle sei nach Ansicht der Forscher besser als Verbote.
Auch die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) sowie die Schweizerische Diabetesgesellschaft befürworteten die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Für die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften
(SANW) sei die Stammzellforschung zwar ein wichtiges und aktuelles Thema, doch
schwerpunktmäßig fiele es eher in den Aufgabenbereich der Schweizerischen
Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW, s. Kap. 9.3.3.5). Aus diesem Grunde sei die Thematik im Kreise der SANW zwar diskutiert worden, doch
habe man nie versucht, eine abschließende Meinung zu bilden. Die Vereinigung
anthroposophischer Ärzte in der Schweiz lehne die Forschung an embryonalen
Stammzellen ab. Aus Sicht der anthroposophischen Medizin sei bereits die gesamte
Embryonalentwicklung Menschwerdung. Entsprechend würde die Forschung an
Embryonen diese instrumentalisieren und sie in ihren elementaren Menschenrechten
verletzen. Neue Perspektiven eröffne aus anthroposophischer Sicht aber die
Forschung an adulten Stammzellen, sofern die Zellentnahme unter vollgültiger
Einwilligung der Betroffenen erfolge.
319
A2.4.2
Ethik und Theologie
Es wurden insgesamt neun Stellungnahmen von Wissenschaftlern aus den Bereichen Ethik und Theologie ausgewertet. In der Regel handelte es sich um Aufsätze
bzw. Artikel und Interviews in schweizerischen Zeitungen. Daran lässt sich bereits
ablesen, dass das Thema embryonale Stammzellen für diese Wissenschaftszunft ein
intensiver Denk- und Publikationsstoff ist. In der Frage der Gewinnung von
menschlichen embryonalen Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen sind die
Ethiker und Theologen uneinig. Ein Teil lehnt diese Option ab, während sich ein
anderer Teil für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus "überzähligen"
IVF-Embryonen ausspricht. Für die Befürworter der Embryonenforschung ist
übergangsweise auch der Import von Stammzell-Linien aus dem Ausland denkbar.
Die Herstellung von menschlichen Embryonen eigens zum Zweck der Stammzellgewinnung wird fast einhellig abgelehnt. Mehrere Personen sprechen sich für eine
verstärkte Forschung an adulten Stammzellen aus, entweder als Alternative oder als
Vergleichsmöglichkeit zu embryonalen Stammzellen. Allgemeiner Konsens ist,
dass das Thema gesetzlich klar geregelt werden müsse.
Die Stiftung für humanwissenschaftliche Grundlagenforschung (SHG) sprach sich
klar für die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen aus, da die Wissenschaftsfreiheit dann höher zu gewichten sei als die Menschenwürde, wenn wissenschaftlich exzellente Forschungsprojekte darauf ausgerichtet seien, die Lebensund Gesundheitschancen bereits geborener Menschen zu verbessern.
A2.4.3
Recht
Beiträge von Rechtsexperten in der Debatte reflektieren vor allem, was nach geltendem schweizerischen Recht erlaubt sei und was nicht. Typische Fragen, die von den
Wissenschaftlern angesprochen werden, sind:
•
Ab wann ist der Embryo durch die Bundesverfassung und das Fortpflanzungsmedizingesetz geschützt?
•
Inwieweit verbieten die schweizerischen Gesetze die Forschung an embryonalen
Stammzellen?
•
Inwieweit ist der Import von embryonalen Stammzellen aus dem Ausland gestattet?
•
Welche rechtlichen Probleme entstehen durch den Aufbau von Nabelschnurbanken?
Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Frage, wie die bestehenden Gesetze verändert
werden müssten, um die Forschung an bzw. den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen zu ermöglichen bzw. eindeutig zu verbieten. Sofern die Gewin-
320
nung menschlicher embryonaler Stammzellen auch in der Schweiz zulässig werden
solle, müsse nach Ansicht der Rechtsexperten weiterhin darüber nachgedacht werden, welche Auflagen und Bedingungen notwendig seien, um missbräuchliche Anwendungen zu vermeiden.
A2.4.4
Sozialwissenschaften
Von den beiden Instituten mit sozialwissenschaftlich orientierter Forschung, die im
Rahmen der Umfrage Stellung genommen haben, fühlte sich eines nur indirekt von
Fragen der Stammzellforschung betroffen. Thematisiert wurde dort v.a., welche
Rückwirkungen sich auf den sozio-ökonomischen Bereich durch die Ergebnisse
dieser Forschung ergeben können, z.B. durch eine veränderte Lebensspanne des
Menschen oder durch einen veränderten Bedarf an medizinischem Personal. Das
zweite Institut wandte sich hingegen explizit gegen jede Form von Forschung an
menschlichen Embryonen. Da menschliche Embryonen, so die Argumentation, potenziell einzigartige Menschen seien, sollten sie nicht für die Forschung instrumentalisiert und zu einem industriellen Rohstoff reduziert werden. Vielmehr sollten
adulte Stammzellen als Alternative ernsthaft in Betracht gezogen werden. Begründet wurde diese restriktive Haltung in erster Linie damit, dass mit der Zulassung der
Forschung an embryonalen Stammzellen auch die Tür für das therapeutische und
schließlich das reproduktive Klonen geöffnet würde.
A2.5
Wirtschaft
Aus dem Bereich Wirtschaft gingen Stellungnahmen von zwei pharmazeutischen
Unternehmen und einem Versicherungsunternehmen im Rahmen der Umfrage ein.
Die beiden ersten Unternehmen sprechen sich deutlich für die Möglichkeit des Imports von und der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen aus. Das
Interesse der pharmazeutischen Industrie an der Stammzellforschung liege zum
einen im großen Erkenntnisgewinn, der eines Tages therapeutisch für die Heilung
von Krankheiten bzw. die Linderung von Leiden genutzt werden könne. Zum anderen besäße die Forschung an embryonalen Stammzellen zukünftig damit auch ein
kommerzielles Potenzial. In Anbetracht des raschen Fortschreitens der Stammzellforschung könne der Import von etablierten Stammzell-Linien, so die Unternehmen,
nur eine Übergangslösung für die Schweiz sein. Langfristig müssten klare gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die die Gewinnung von Stammzellen aus
menschlichen Embryonen auch in der Schweiz möglich machten. Für die Herstellung dürften aber ausdrücklich nur "überzählige" Embryonen aus der künstlichen
Befruchtung genutzt werden und nur nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem
Schutz des Embryos und der Wahrung der Forschungsfreiheit im Hinblick auf das
Wohl der Patienten. Außerdem fühlten sich die pharmazeutischen Unternehmen bei
321
der Gewinnung von und dem Umgang mit Stammzellen den jeweiligen lokalen und
nationalen Gesetzen verpflichtet.
Durch das Krankenversicherungsunternehmen wurde der Aspekt der Finanzierbarkeit der Stammzelltherapie angesprochen. Durch die Einführung immer komplexerer Therapiesysteme erhöhe sich nicht nur der mögliche Nutzen, sondern auch das
Risiko von Nebenwirkungen. Dieses Risiko könne jedoch in seinem Ausmaß nicht
sicher abgeschätzt werden, gehöre jedoch in den Leistungsbereich der Krankenversicherer. Der potenzielle finanzielle Aufwand, der dadurch entstehen könnte, könne
die Solidarität und Finanzierung des schweizerischen Versicherungswerkes ernsthaft gefährden. Gefordert werde deshalb, vor der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Klinik und vor der Aufnahme in die Leistungspflicht die Zweckmäßigkeit, Wirksamkeit und Risikoabschätzung sorgfältig zu qualifizieren und quantifizieren.
A2.6
Kirchen
Beide Großkirchen in der Schweiz sprachen sich in der Umfrage entschieden gegen
die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken aus. Aus katholischer Sicht
beginne das menschliche Leben mit der Zeugung und damit sei auch das kleinste
embryonale Wesen als Mensch anzusehen. Entsprechend habe die katholische Kirche auch große ethische Bedenken, wenn Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen würden, selbst wenn es sich dabei um "überzählige" Embryonen
handele. Angemahnt werde eine gesellschaftliche Debatte, in der nicht nur über die
Technik und die Perspektiven der Stammzellforschung aufgeklärt werde, sondern
auch die ethischen Implikationen dieser Technik zur Sprache kämen. Die Schweizer
Bischofskonferenz setzte sich auf ihrer Versammlung im Dezember 2001 mit der
Thematik auseinander und erkannte die Notwendigkeit einer bioethischen Fachgruppe, die die Bischöfe zu medizinethischen Fragen berät. Diese Aufgabe werde
zukünftig eine Kleinkommission "Bioethik und Medizinethik" übernehmen. Anfang
April 2002 richteten römisch-katholische Bischöfe, darunter der Baseler Bischof
Kurt Koch, ein Hirtenwort an die Pharmaunternehmen, wichtige chemische, biologische und medizinische Forschungsinstitute sowie die Universitätskliniken der
Oberrheinregion. Darin forderten sie die Einrichtungen auf, auf die technische Erzeugung und den Verbrauch von menschlichen Embryonen zu verzichten, weil
dieses Handeln ethisch nie gerechtfertigt werden könne.
In der Frage, ab wann menschliches Leben geschützt werden sollte, vertritt die
evangelische Kirche der Schweiz keine einheitliche Linie. Tendenziell sprechen
sich das Institut für Sozialethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes
sowie namhafte evangelische Universitätsprofessoren, darunter Johannes Fischer
von der Universität Zürich, für einen abgestuften Schutz des Embryos aus. Danach
322
sei die Forschung an "überzähligen" Embryonen, die aus verschiedenen Gründen
nicht mehr für eine Schwangerschaft in Frage kommen, sowie an Stammzell-Linien
ethisch vertretbar. Zugleich wird in den evangelischen Kirchen aber auch die Position vertreten, dass dem Embryo in jeder Entwicklungsstufe der volle Lebensschutz
zustehe. Da es sich bei den Entscheidungen zur Stammzellforschung um Fragen
handele, die tief in das menschliche Leben eingriffen und die ganze Gesellschaft
beträfen, werde von evangelischer Seite ein intensiver öffentlicher Dialog gefordert,
auf dessen Ergebnissen rechtliche Regelungen aufbauen sollten.
A2.7
Gentechnikkritische Gruppen
Der Basler Appell gegen Gentechnologie setze sich für ein Verbot jeglicher Embryonenforschung ein. Denn durch eine Genehmigung der Forschung an menschlichen
Embryonen würde eine letzte wichtige Grenze überschritten und der Instrumentalisierung menschlichen Lebens Tür und Tor geöffnet. Bereits im Juni 2001 wandte
sich der Basler Appell entschieden gegen das Gesuch einer Genfer Forschergruppe
menschliche embryonale Stammzellen aus den USA zu importieren (Basler Appell
2001). Stattdessen solle am Grundsatz des Verbots der Forschung an Embryonen
und embryonalen Stammzellen festgehalten und alternativ die Forschung mit adulten Stammzellen intensiviert werden.
A2.8
Diskurs mit der Bevölkerung
Einen Hinweis auf die Haltung der schweizerischen Bevölkerung zur Forschung mit
embryonalen Stammzellen liefert eine nichtrepräsentativen Online-Umfrage der
Zeitschrift Medical Tribune. An der Umfrage beteiligten sich 81 Personen. 57 %
von ihnen beantworteten die Frage "Soll in der Schweiz die Forschung mit embryonalen Stammzellen erlaubt werden?" mit "Ja". 43 % verneinten diese Frage.
Da durch die Stammzellforschung neben rechtlichen auch ethische Fragen aufgeworfen werden, wurde die Stiftung "Science et Cité" damit beauftragt, eine breite
öffentliche Debatte zu lancieren, um die Anliegen, Hoffnungen und Bedenken der
Bevölkerung aufzunehmen. Zurzeit sind etwa 40 Veranstaltungen in allen Landesteilen zum Thema "Stammzellen", auch in Kooperation mit lokalen Partnern,
geplant. Neben der Bereitstellung von Informationsmaterial (Broschüre, Präsentationsmaterial, Newsletter, CD-ROM) unterhält Science et Cité auch ein InternetDiskussionforum und hat einen Wettbewerb unter dem Motto "Was für ein Leben!?" ausgeschrieben, bei dem Schüler und Schülerinnen im Alter zwischen 15
und 20 Jahren sich über den Einfluss der wissenschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Biomedizin auf ihr individuelles und kollektives Leben Gedanken machen
323
und diese Überlegungen in Worten, Bildern, als Installation, als Video umsetzen
sollen.
Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung führte im Frühjahr 2002 sechs
Diskussionsrunden mit Bürgerinnen und Bürgern zum Thema Forschung an embryonalen Stammzellen durch (s. auch Kap. 9.3.3.6). Die Ergebnisse wurden qualitativ
ausgewertet und in einem Bericht publiziert (TA-Swiss 2002).
325
A3
Mitglieder der Begleitgruppe
Die Studien des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss sollen
möglichst sachliche, unabhängige und breit abgestützte Informationen zu den Chancen und Risiken neuer Technologien vermitteln. Deshalb werden sie in Absprache
mit themenspezifisch zusammengesetzten Expertengruppen erarbeitet. Durch die
Fachkompetenz ihrer Mitglieder decken diese so genannten Begleitgruppen neben
den wissenschaftlichen bzw. technischen Grundlagen eine breite Palette von weiteren Aspekten der untersuchten Thematik ab. Sie tragen dadurch zur Qualitätssicherung der interdisziplinär ausgerichteten Studien bei. Die Begleitgruppe zur Studie
"Menschliche Stammzellen" hatte folgende Mitglieder:
•
Sibylle Ackermann, Departement für Moraltheologie und Ethik, Université de
Fribourg, Fribourg
•
Prof. Kurt Bürki, Direktor des Instituts für Labortierkunde, Universität Zürich,
Zürich
•
Dr. Reto Guetg, Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer (KSK),
Solothurn
•
Dr. Uwe Junker, Novartis Pharma AG, Basel
•
Dr. Margit Leuthold, Vorsitzende der Begleitgruppe, Generalsekretärin der
Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), Basel
•
Prof. Alex Mauron, Bioéthique/CMU, Université de Genève, Genève
•
Prof. Catherine Nissen-Druey, Mitglied des Schweizerischen Wissenschafts- und
Technologierates, Experimentelle Hämatologie, Dept. Forschung, Kantonsspital
Basel, Basel
•
Prof. Hans-Peter Schreiber, Mitglied des Leitungsausschusses des Zentrums für
Technologiefolgen-Abschätzung, Ethik-Stelle, Abt. XII, ETH Zürich, Zürich
•
Verena Schwander, Leiterin des Sekretariats der Kommission "Forschung am
Menschen", Abteilung Recht, Bundesamt für Gesundheit (BAG), Bern
•
Verena Soldati, Geschäftsführerin des Basler Appells gegen Gentechnologie,
Basel
327
A4
Begriff
Abort
Glossar
Erklärung
Fehlgeburt, Ausstoßung der Frucht innerhalb der ersten 28 Wochen
der Entwicklung
Adulte Stammzelle synonyme Bezeichnungen: gewebespezifische Stammzelle, somatische Stammzelle. Pluri- oder multipotente Zelle mit Stammzelleigenschaften, die aus spezifischen Geweben des Fetus (fetale Stammzelle), des Nabelschnurbluts (neonatale Stammzelle) oder des Menschen nach seiner Geburt isoliert werden kann
Als Allele werden die verschiedenen Ausprägungen eines Gens beAllele
zeichnet. Für jedes Gen liegen im è Zellkern zwei Allele vor (je
eines auf dem mütterlich vererbten und je eines auf dem väterlich
vererbten Chromosomensatz), die entweder identisch (è homozygot)
oder verschieden (è heterozygot) sein können.
Allogene TransÜbertragung von Zellen, Geweben und Organen zwischen genetisch
plantation
nicht identischen Mitgliedern der selben Spezies, zum Beispiel
Mensch-zu-Mensch-Transplantationen; erfordern in der Regel eine
nachfolgende è Immunsuppression, um die Abstoßung des Transplantats zu vermeiden (è autologe T.)
Aminosäure
Einzelne Bausteine der èProteine (Eiweiße), die gemäß den Informationen im Erbgut zusammengebaut werden
Autologe TransÜbertragung körpereigener Zellen oder Gewebe (z. B. Blut, Haut); da
plantation
das Transplantat vom Patienten selber stammt, ist in der Regel keine
Immunsuppression zur Vermeidung der Transplantatabstoßung erforderlich (è allogene T.)
Autolytische ProProzesse, die beim Absterben von Gewebe einsetzen und durch zellzesse
eigene Enzyme zu einer Zerstörung der Zellen führen
Basen
Bausteine des Erbguts (è DNA). Die genetische Information wird
durch die Basen Adenin (A), Cytosin (C), Thymin (T) und Guanin
(G) festgelegt. Dabei bilden Adenin und Thymin sowie Cytosin und
Guanin jeweils Paare aus. Jeweils drei Basenpaare kodieren für den
Einbau einer bestimmten è Aminosäure in ein Protein.
Befruchtung
Der über eine Reihe von Zwischenstufen verlaufende Prozess der
Vereinigung einer Eizelle mit einer Samenzelle zu einer befruchteten
Eizelle (è Zygote), vom ersten Kontakt des Spermiums mit der
Hülle (zona pellucida) der Eizelle bis zur abgeschlossenen Vereinigung der è Chromosomen der Eizelle und der Samenzelle zu einem
neuen, individuellen Genom. Die Chromosomen des neuen è Genoms liegen in doppelter Ausführung vor (Chromosomenpaare).
Produkt der è Befruchtung ist ein è Embryo.
Blastocoel
Flüssigkeitsgefüllte Höhle im Innern einer è Blastocyste
Blastocyste
Frühes embryonales Entwicklungsstadium, beim Menschen etwa am
4. bis 6. Tag nach der è Befruchtung erreicht, bestehend aus ca. 100
bis 200 Zellen. Die äußere Zellschicht (è Trophoblast) ist später an
der Bildung der è Plazenta beteiligt, die innere Zellmasse (è Embryoblast) besteht aus è Vorläuferzellen für den späteren è Embryo. Im Blastocystenstadium könnten embryonale Stammzellen aus
der inneren Zellmasse gewonnen werden.
328
Begriff
Blastomeren
Erklärung
Die ersten, noch undifferenzierten Zellen eines Embryos nach Teilung
der è Zygote bis zum è Morulastadium
Chimärenbildung
Nicht einheitlich gebrauchter Begriff. Hier: Die Vereinigung è totipotenter Zellen aus zwei oder mehreren genetisch unterschiedlichen
è Embryonen zu einem Zellverband.
Chromosomen sind die im Zellkern enthaltenen Träger der genetischen Information, die bei jeder Zellteilung an die Tochterzellen
weitergegeben werden. Sie bestehen zu fast gleichen Anteilen aus
einem langen Faden Erbsubstanz – èDNA – und assoziierten
è Proteinen. Die Anzahl und Morphologie der Chromosomen ist
artspezifisch.
auch: Zytoplasma. Inhalt einer Zelle mit Ausnahme des Zellkerns.
Cytoplasma besteht aus einem gallertartigen bis flüssigen Medium
und aus zahlreichen Zellorganellen sowie einem filamentösen Netzwerk, dem Cytoskelett. Die meisten essenziellen Zellfunktionen und
Stoffwechselvorgänge finden im Cytoplasma statt. Dieses ist zum
Zellkern durch die Kernmembran, zur Außenwelt durch die Zellmembran abgegrenzt.
Differenzierung ist der Prozess der Entwicklung der Zellen des Embryonalstadiums zu hochspezialisierten, auf ihre jeweilige spezielle
Funktion ausgerichteten Zellen im vollständig ausgebildeten Organismus. In sich differenzierenden Zellen werden unterschiedliche
Gene aktiviert bzw. inaktiviert. Dabei hat zwar – von Ausnahmen
abgesehen – weiterhin jede Zelle die gesamte genetische Information,
genauso wie die ursprüngliche befruchtete Eizelle, sie kann aber nur
einen Teil dieser Information "abrufen". Eine ausdifferenzierte Zelle
steht am Ende eine Reihe von Differenzierungsschritten. Differenzierte Zellen unterscheiden sich in ihrer Morphologie und Funktion
erheblich voneinander und von ihren Ausgangszellen. Die Differenzierung von Stammzellen kann durch die Zugabe oder den Entzug
bestimmter Wachstumsdifferenzierungsfaktoren eingeleitet werden
(è Transdifferenzierung).
Bezeichnung für einen Chromosomensatz, in dem jedes èChromosom zweifach vorhanden ist. è Somatische Zellen weisen im Unterschied zu Keimzellen des Menschen einen diploiden Chromosomensatz auf (è haploid).
Abkürzung für die chemische Bezeichnung der Erbsubstanz aller
Organismen, Desoxyribonucleinsäure (englisch desoxyribonucleic
acid)
Botenstoff zwischen Nervenzellen (è Neuronen)
Auf è Dopamin ansprechend
auch gonadale embryonale Stammzelle, embryonale Keimzelle, engl.
embryonic germ cell. Pluripotente Zelle, die aus Vorläuferzellen von
Ei- und Samenzellen, den so genannten è primordialen Keimzellen,
gewonnen wird. Primordiale Keimzellen lassen sich aus einer spezifischen Region des Embryos bzw. Fetus isolieren, die sich in der 4.
Schwangerschaftswoche entwickelt und als è Genitalleiste bezeichnet wird.
Chromosom
Cytoplasma
Differenzierung
Diploid
DNS, DNA
Dopamin
Dopaminerg
EG-Zelle
329
Begriff
Eizelle
Ektoderm
Embryo
Embryoblast
Embryogenese
Embryoidkörperchen
(embryoid bodies)
Embryonale
Keimzelle
Embryonale
Stammzellen
Erklärung
auch Oozyte, Ovum. Weibliche Keimzelle
Äußeres der drei embryonalen Keimblätter, aus dem sich unter anderen das Zentralnervensystem sowie die Haut entwickeln
Nicht einheitlich gebrauchter Begriff für ein frühes Entwicklungsstadium. In diesem Bericht in Anlehnung an die in der Schweiz geltende
rechtliche Definition die Leibesfrucht von der befruchteten è Eizelle
von Auflösung der Kernmembranen an bis zum Abschluss der Organogenese etwa 8 Wochen danach.
Innere Zellmasse der è Blastocyste, aus der sich der è Embryo
entwickelt. Für die Gewinnung è embryonaler Stammzellen wird
diese innere Zellmasse entnommen und è in vitro kultiviert.
Die Entwicklung des è Embryos aus der befruchteten è Eizelle
Zellkolonien aus noch nicht endgültig differenzierten Zellen, die sich
in Kultur aus è embryonalen Stammzellen bilden können und Zelltypen aller drei è Keimblätter enthalten; können manchmal morphologische Ähnlichkeit mit è Embryonen haben, sind jedoch keine
Embryonen
è EG-Zelle
Oberbegriff für verschiedene Typen der embryonalen Stammzellen,
die auf unterschiedliche Art und Weise gewonnen werden und auch
unterschiedliche Eigenschaften aufweisen:
a) embryonale Stammzellen i. e. S. (ES-Zellen), die aus der inneren
Zellmasse, dem Embryoblasten von è Blastocysten gewonnen
werden.
b) embryonale Keimzellen, auch: gonadale embryonale Stammzellen (è EG-Zellen), die aus den Urkeimzellen (primordialen
Keimzellen) der Gonaden-Anlagen (Genitalleisten) von Embryonen oder von Feten gewonnen werden.
c) embryonale Stammzellen aus Blastocysten nach Kerntransfer
(ntES-Zellen).
EmbryonenÜbertragung eines è Embryos in die Gebärmutter einer Frau, bei der
adoption
es sich nicht um die genetische Mutter handelt. Dies könnte eine
Möglichkeit sein, "überzähligen" Embryonen die Chance auf Entwicklung zu einem vollständigen Individuum zu geben. In der
Schweiz ist diese Möglichkeit verboten.
Embryonensplitting Verfahren der künstlichen Mehrlingsbildung, bei dem der Embryo im
Zweizell- bis è Blastocystenstadium durch mechanische Trennung
des Zellverbandes in mehrere Teile aufgeteilt wird
Entoderm
Inneres der drei Keimblätter, aus dem sich unter anderem Leber,
Schilddrüse und Bauchspeicheldrüse sowie Auskleidungen des Magen-Darm-Traktes und der Lunge bilden
Enukleation
Entfernung des è Kerngenoms, zum Beispiel aus einer è Eizelle,
zur Vorbereitung für die Aufnahme einer Spenderzelle bzw. eines
Spenderzellkerns
Enukleierte Eizelle è Eizelle nach Entfernung des Zellgenoms
330
Begriff
Epigenetisch
Epithelzellen
ES-Zellen (Embryonic Stem Cells)
Extrakorporal
Fertilisation
Fetus
Follikel
Follikelpunktion
Gameten
Gametentransfer
Gastrulation
Gen
Genexpression
Genitalleiste
Genom
Genotyp
Gentechnisch veränderte Organismen
Erklärung
Sammelbezeichnung für diejenigen Einflüsse auf die Entwicklung
eines Organismus, die nicht direkt in der è Basenabfolge des Erbguts kodiert sind und auf Interaktionen zwischen genetischen Faktoren oder zwischen genetischen Faktoren und Umweltfaktoren beruhen
können
Zellen, die äußere oder innere Körperoberflächen bedecken und aus
dem äußeren der drei è Keimblätter entstehen, zum Beispiel Hautzellen
Pluripotente Stammzellen der inneren Zellmasse der è Blastocyste
Außerhalb des Körpers verlaufend bzw. stattfindend
è Befruchtung (è In-vitro-Fertilisation)
Auch Foetus, Fötus. In der Medizin die Bezeichnung für die Leibesfrucht nach Abschluss der Organentwicklung, d. h. ab der
9. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt.
Eibläschen; Hülle der heranreifenden è Eizelle im Eierstock
Entnahme einer sich in einem Follikel befindenden è Oozyte mittels
einer Nadel
Männliche oder weibliche Geschlechtszellen (è Keimzellen)
Übertragung von Keimzellen (è Gameten)
Bestimmte Phase in der Embryonalentwicklung, in der es zur Bildung
des è Mesoderms und è Entoderms kommt. Die Gastrulation beginnt mit der Bildung des Primitivstreifens.
Ein è DNA-Abschnitt, der für eine Funktion, z. B. ein Protein kodiert. Neben den kodierenden Bereichen (Exons) umfassen Gene
weitere Regionen wie Introns (nicht kodierende Abschnitte) und
Promotoren (Regulationselemente). Das menschliche Genom umfasst
ca. 40.000 Gene.
Umsetzung der genetischen Information in ein Genprodukt, meist ein
è Protein
In der 4. Woche entstehende embryonale Struktur, aus der sich die
Eierstöcke bzw. die Hoden entwickeln. Aus diesen Strukturen werden
primordiale Keimzellen entnommen, aus denen è EG-Zellen gewonnen werden können.
Die Gesamtheit der genetischen Information. Der größte Teil des
Genoms liegt auf den è Chromosomen, ein geringer Teil außerhalb
des Zellkerns in den so genannten è Mitochondrien.
Sammelbegriff für alle in den Genen eines Organismus festgelegten
Erbinformationen, die sich im è Phänotyp manifestieren können
Organismen, deren genetisches Material mit Hilfe gentechnischer
Methoden verändert wurde. In der Regel werden Veränderungen vorgenommen, die unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzung, Mutation oder natürliche Rekombination nicht vorkommen würden
331
Begriff
Erklärung
Gentherapie, soDie Anwendung des somatischen Gentransfers, d. h. der gezielten
matische, am Men- Einbringung isolierter exprimierbarer Nukleinsäuren in somatische
schen
Zellen im Menschen, oder die Anwendung derart außerhalb des
menschlichen Organismuses veränderter Zellen am Menschen
Gewebe
Strukturierte Zellverbände, zusammengesetzt aus gleichen oder verschiedenen Zellen, die im Körper eine gemeinsame Funktion besitzen
Gewebetypisierung Bei einer Gewebetypisierung werden verschiedene Merkmale bestimmt, die zusammen eine Einschätzung der Verträglichkeit der
Spenderzellen mit möglichen Empfängerinner oder Empfängern
erlauben. Von besonderer Bedeutung sind dabei die sog. HLAMerkmale (è Histokompatibilität).
Gonaden
Geschlechtsdrüsen (Eierstöcke und Hoden) sowie die Zellen der
Keimdrüsen vor der Geschlechtsdifferenzierung
Hämatopoetisch
Blutbildend
Haploid
Bezeichnung für einen è Chromosomensatz in dem jedes Chromosom nur einmal vorhanden ist. Die è Keimzellen des Menschen weisen im Unterschied zu somatischen Zellen einen haploiden Chromosomensatz auf (è diploid).
Heterozygot
Mischerbig für ein bestimmtes Gen, d. h. die beiden è Allele eines
Gens sind nicht identisch
Histokompatibilität Gewebeverträglichkeit ( è Gewebetypisierung)
Homozygot
Reinerbig für ein bestimmtes Gen, d. h. die beiden è Allele eines
Gens sind identisch
Hybrid
Nicht einheitlich verwendeter Begriff. Hier: Das Bewirken des
Eindringens einer nicht menschlichen Samenzelle in eine menschliche
è Eizelle oder einer menschlichen Samenzelle in eine nicht menschliche Eizelle.
ImmunUnterdrückung oder Abschwächung der Immunreaktionen eines Orsuppression
ganismus, zum Beispiel durch Verabreichung immunsuppressiver
Medikamente zur Verhinderung der Abstoßung von Geweben oder
Organen in der Transplantationschirurgie
Implantation
(1) Einbringen oder Einpflanzung von körperfremden Materialien in
den Organismus (2) die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter
(Synonym: è Nidation)
Imprägnation
Eindringen des Spermiums in die reife è Eizelle
Imprägnierte Eiè Eizelle, in die eine Samenzelle im Rahmen der è Befruchtung
zelle
eingedrungen ist, beide Zellkerne aber noch getrennt voneinander
vorliegen. In diesem Stadium der Befruchtung gilt die befruchtete
Eizelle rechtlich noch nicht als è Embryo.
Imprinting
Unterschiedliche Expression eines Gens (è Genexpression) oder
einer Genregion auf Grund der elterlichen Herkunft eines è Allels
In vitro
"Im Glas" (Reagenzglas etc.); gemeint ist ein Vorgang außerhalb des
Organismus, im Unterschied zu è in vivo
In vivo
Im lebenden Organismus, innerhalb des Körpers (è in vitro)
332
Begriff
Informed consent
Intrauterin
In-vitro-Fertilisation (IVF)
Juveniler Diabetes
Keimbahn
Keimbahntherapie
Keimblätter
Keimscheibe
Keimzellen (Gameten)
Kerngenom
Kerntransfer
Klon
Klonierung/
Klonen
Körperzelle
Erklärung
Freiwillige Zustimmung nach Aufklärung; selbstbestimmte Autorisierung einer Behandlung oder Beteiligung an einem Forschungsvorhaben durch einzelne Patientinnen und Patienten oder Versuchspersonen
Innerhalb der Gebärmutter liegend bzw. erfolgend
Vereinigung von Ei- und Samenzellen außerhalb des Körpers (è in
vitro); die In-vitro-Fertilisation gehört zu den etablierten Verfahren
der Fortpflanzungsmedizin
Im Jugendalter aufgrund fortschreitender Zerstörung der Insulin produzierender Zellen in der Bauchspeicheldrüse auftretende genetisch
prädisponierte Form des Diabetes mellitus (Diabetes Typ I, Zuckerkrankheit)
Alle Zellen, die in einer Zell-Linie von der befruchteten è Eizelle bis
zu den Ei- und Samenzellen des aus ihr hervorgegangenen Lebewesen
führen, sowie die Eizelle vom Einbringen oder Eindringen der Samenzelle an bis zu der mit der Kernverschmelzung abgeschlossenen
è Befruchtung
Therapeutischer Eingriff in das Genom von Keimbahnzellen (u. a.
Spermien, Eizellen, frühe Embryonen). Ein derartiger Eingriff hat zur
Folge, dass sich diese genetische Veränderung auf alle nachfolgenden
Generationen vererbt.
Allg. Bezeichnung für die in der frühen Embryonalentwicklung entstehenden Zellschichten Ektoderm, Entoderm und Mesoderm, aus
denen sich sämtliche in der weiteren Entwicklung des è Embryos
entstehenden Strukturen ableiten
Aus zwei (zweiblättrige Keimscheibe; 8. Entwicklungstag) bzw. aus
drei (dreiblättrige Keimscheibe; 3. Entwicklungswoche) è Keimblättern bestehender è Embryoblast
è Eizellen und Samenzellen. Reife Keimzellen enthalten die
è Chromosomen in einfacher Kopie (è haploider Chromosomensatz). Nach Verschmelzung zweier Keimzellen (Eizelle und Samenzelle) durch den Vorgang der è Befruchtung ist wieder der doppelte
(è diploide) Chromosomensatz erreicht.
Als Kerngenom wird die è DNA des è Zellkerns bezeichnet
Überführung eines è diploiden è Zellkerns in das è Cytoplasma
einer entkernten (è enukleierten) è Eizelle; ist ein Verfahren zum
è Klonen von Individuen, mit dem u. a. das Schaf "Dolly" erzeugt
wurde
Gruppe von genetisch identischen Zellen oder Organismen, die durch
Teilung aus einer einzigen Zelle oder einem einzelnen Organismus
hervorgegangen sind
Die Erzeugung genetisch identischer Organismen
Jede Zelle eines è Embryos, è Fetus oder geborenen Menschen, die
nicht dazu bestimmt ist, sich zu einer Keimzelle zu entwickeln. Alle
Körperzellen enthalten die è Chromosomen eines Menschen in
doppelter Ausfertigung und verfügen i.d.R. über die gleiche genetische Information
333
Begriff
Erklärung
Kryokonservierung Bei -196°C erfolgende Kälte- oder Tiefgefrierkonservierung regenerationsfähiger Zellen oder Gewebe.
Maligne
Bösartig
Mesenchym
Zellgewebe (embryonales Bindegewebe), das vom mittleren der drei
è Keimblätter abstammt und aus dem sich das Stütz- und Bindegewebe, Muskelzellen, Gefäßendothelien u.a. entwickeln
Mesenchymal
Zum è Mesenchym gehörend bzw. dieses betreffend
Mittleres der drei è Keimblätter, aus dem sich u. a. Knochen und
Mesoderm
Knorpel, Nieren, Muskeln sowie Blut- und Lymphgefäße bilden
Mitochondriale
Innerhalb der è Mitochondrien befindliche ringförmige, eigenstänDNA
dige è DNA, die einem maternalen Erbgang unterliegt
Zellorganellen, die sich im Zytoplasma einer Zelle befinden und ein
Mitochondrien
eigenes kleines è Genom besitzen (beim Menschen 37 Gene). Mitochondrien sind wesentlich für Energiebereitstellung einer Zelle zuständig ("Kraftwerke" der Zelle)
Morula
Embryonales Entwicklungstadium, in dem die einzelnen è Blastomeren nicht mehr erkennbar sind, sondern als geschlossener Zellverband erscheinen, beim Menschen etwa 3 Tage nach der è Befruchtung erreicht
Die Entwicklung der Stammzellen ist bereits gewebespezifisch (z. B.
Multipotenz
Blutstammzellen bilden Blutzellen, Knochenstammzellen bilden
Knochenzellen)
Vererbbare Veränderungen im Erbgut. Sie entstehen spontan durch
Mutationen
Fehler während der Zellteilung oder durch äußere Einflüsse. Es können dabei einzelne Gene oder ganze è Chromosomenabschnitte
verändert werden.
Myelin
Isolationshülle, die bestimmte Nervenfasern spiralförmig umwickelt.
Sie ist für die störungsfreie Weiterleitung der elektrischen Impulse am
Nerv entlang verantwortlich. Werden die Myelinscheiden zerstört,
kommt es zum Verlust der Leitungsfähigkeit
Myeloablativ
Das funktionsfähige Knochenmark beseitigend
Myelosuppressiv
Die Funktion des Knochenmarks unterdrückend
Nabelschnurblut
Bei der Abnabelung in der Nabelschnur verbleibendes Restblut, das
è neonatale Stammzellen enthält
NabelschnurblutStammzellen, die im Blut von Nabelschnur und Plazenta (Mutterkustammzellen
chen) vorkommen, auch als neonatale Stammzellen bezeichnet. Nabelschnurblutstammzellen gehören zu den è adulten Stammzellen.
Neonatal
Das Neugeborene betreffend
Neuronen
Nervenzellen
Nidation
Einnistung (è Implantation) der è Blastocyste in die Schleimhaut
der Gebärmutter, beim Menschen etwa ab dem 7. Tag nach der
è Befruchtung
Nukleotid
Einzelner è DNA-Baustein, bestehend aus einer der vier è Basen
(Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin), einem Phosphorsäurerest und
einem Zuckermolekül
Organe
Alle Teile des Körpers, deren Zellen und Gewebe zusammen eine
Einheit mit bestimmter Funktion bilden.
334
Begriff
Organogenese
Ovar
Ovarielles Hyperstimulationssyndrom
Ovulation
Parthenogenese
Parthenot
Phänotyp
Plazenta
Pluripotente Zelle
Pluripotenz
Postmortal
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Pränatal
Prävalenz
Primitivstreifen
Erklärung
Vorgang der Entstehung der Organe aus den Organanlagen während
der Embryonalentwicklung, beim Menschen etwa während der vierten
bis achten Schwangerschaftswoche
Eierstock; paarig angelegtes weibliches Geschlechtsorgan, Bildungsort der weiblichen Keimzellen sowie der weiblichen Geschlechtshormone
Potenziell lebensbedrohende Erkrankung, die bei Frauen durch die
Verabreichung von Hormonen zur Follikelstimulation und Ovulationsinduktion im Rahmen reproduktionsmedizinischer Behandlungen
bzw. zur Gewinnung von reifen è Eizellen hervorgerufen werden
kann.
Eisprung; die bei der geschlechtsreifen Frau mit einem 28-tägigen
Menstruationszyklus normalerweise am 14. Tag nach Einsetzen der
Menstruation erfolgende Ausstoßung einer reifen è Eizelle aus dem
Ovar
Sog. Jungfernzeugung; eingeschlechtliche Fortpflanzung aus unbefruchteten è Eizellen
Durch è Parthenogenese entstandener, nicht entwicklungsfähiger
menschlicher è Embryo
Äußere Ausprägung eines Merkmals, das durch die Wechselwirkung
zwischen der genetischen Information (è Genotyp) und Umwelteinflüssen entsteht
Zum überwiegenden Teil aus fetalem und zum kleineren Teil aus
mütterlichen Zellen bestehender "Mutterkuchen", der die Ernährung
des Feten (Austausch von Stoffwechselprodukten und Gasen) und die
Produktion von verschiedenen Hormonen übernimmt; wird nach der
Geburt ausgestoßen (Nachgeburt)
Nicht einheitlich verwendeter Begriff. Zelle, die sich unter bestimmten Voraussetzungen in alle verschiedenen Zelltypen eines
Organismus è differenzieren kann. Eine pluripotente Zelle kann sich
jedoch im Unterschied zu einer è totipotenten Zelle nicht zu einem
ganzen Individuum entwickeln.
"Vielseitige Entwicklungsfähigkeit". Pluripotente Zellen können sich
in sehr viele unterschiedliche Gewebe und Zelltypen eines Organismus entwickeln, jedoch nicht ein ganzes Individuum bilden
einen Zeitpunkt nach dem Tod betreffend
Abspaltung und genetische Untersuchung einer Zelle eines durch Invitro-Fertilisation entstandenen Embryos vor der Übertragung in die
Gebärmutter
Vorgeburtlich
Häufigkeitsrate einer bestimmten Krankheit oder eines bestimmten
Merkmals zu einem gegebenen Zeitpunkt bzw. einer bestimmten
Zeitperiode
Erste Symmetrieachse des è Embryos; Voraussetzung für die Bildung des Nervensystems
335
Begriff
Primordiale Keimzelle
Erklärung
Anlagen der Keimzellen. Zellen, aus denen über eine Reihe von Entwicklungsstadien die Keimzellen entstehen. Primordiale Keimzellen
haben im Gegensatz zu reifen Keimzellen die Chromosomenzahl
einer Körperzelle, den è diploiden Chromosomensatz. Sie unterscheiden sich von adulten und embryonalen Stammzellen durch Art
und Ausmaß des è DNA-Methylierungsmusters (Imprinting), das für
die Regulation der Genaktivität von Bedeutung ist. Aus ihnen können
embryonale Keimzellen (è EG-Zellen) gewonnen werden.
Proliferation
Vermehrung
Pronukleus
Kern der è Eizelle bzw. des in die Eizelle eingedrungenen Spermiums kurz vor deren Verschmelzung
Proteine
Eiweiße
Reproduktives
Verfahren der künstlichen Mehrlingsbildung, bei dem – im UnterKlonen
schied zum è therapeutischen Klonen – die Geburt eines genidentischen Individuums intendiert ist
Reprogrammierung Umkehrung der Differenzierung; Rückwandlung einer Zelle in ein
früheres Entwicklungsstadium. Eine Reprogrammierung des Zellkerns einer ausdifferenzierten Körperzelle auf das Niveau einer befruchteten è Eizelle kann durch Vereinigung einer Körperzelle mit
einer entkernten Eizelle erreicht werden.
Somatisch
Den Körper betreffend
Somatische GenTherapeutischer Eingriff in das Erbgut von Körperzellen. Im Untertherapie
schied zur è Keimbahntherapie wird eine durch einen solchen Eingriff verursache Veränderung nicht an die Nachkommen weitervererbt.
Stammzellen
Undifferenzierte Zellen eines Embryos, Fötus oder geborenen Individuums, die sich durch die Fähigkeit zur Selbsterneuerung sowie zur
è Differenzierung in spezialisierte Zelltypen auszeichnen
Stammzell-Linie
Stammzellen, die in spezifischen Nährmedien über längere Zeiträume
kultiviert werden können und sich durch bestimmte Merkmale und
Zellfunktionen auszeichnen
Therapeutisches
Herstellung eines è Klons durch è Zellkerntransfer mit dem Ziel,
Klonen
aus diesem sich entwickelnden Embryo Stammzellen für den therapeutischen Einsatz zu gewinnen, diesen Embryo jedoch – im Gegensatz zum reproduktiven Klonen – nicht in eine Gebärmutter zu übertragen, so dass er keine Chance auf Entwicklung zu einem vollständigen Individuum erhält. Auf diesem Wege gewonnene Stammzellen
sollen mit dem Spender des in die Prozedur eingesetzten Zellkerns
genetisch weitestgehend identisch sein und sich daher als autologe
Transplantate eignen.
Totipotenz
Die Fähigkeit von Zellen oder Geweben, sich unter geeigneten Bedingungen zu einem vollständigen Lebewesen zu entwickeln. Wahrscheinlich weisen in der menschlichen Embryonalentwicklung alle
Zellen des Embryos bis zum 4-Zell-Stadium (natürliche) Totipotenz
auf, während im 8-Zell-Stadium nur noch einige Zellen dieses Potenzial besitzen.
336
Begriff
Toxizitätsprüfung
Erklärung
Überprüfung der Giftigkeit einer Substanz, zum Beispiel an Zellkulturen, im Tierversuch oder im Humanversuch
TransdifferenzieEntwicklung einer Zelle zu einem Zelltyp, der nicht zum bisherigen
rung
Entwicklungsspektrum dieser Zelle gehört, ohne durch è Reprogrammierung frühere Entwicklungsstadien zu durchlaufen
Trophoblast
Äußere Zellschicht der è Blastocyste, aus der im weiteren Verlauf
der Embroynalentwicklung die embryonalen Anteile der è Planzenta
hervorgehen
Überzähliger
Durch è In-vitro-Fertilisation im Rahmen einer reproduktionsmediEmbryo
zinschen Behandlung erzeugter Embryo, der planwidrigerweise und
endgültig nicht für die Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet wird
Vorkernstadium
Zustand von è Eizellen, bei denen nach Eindringen des Spermiums
die è Befruchtung begonnen hat, aber noch keine Verschmelzung
der Kerne von Ei- und Samenzelle erfolgt ist
Vorläuferzelle
Zelle, aus der über eine Reihe von Differenzierungsschritten ein bestimmter Zelltyp entsteht
Zellkern
Bestandteil der Zelle, der die è Chromosomen enthält
Zellkerntransfer
Überführung eines Zellkerns einer Körperzelle in das è Zytoplasma
einer entkernten è Eizelle (è Kerntransfer)
Zell-Linie
Eine aus Zellen verschiedenen Ursprungs etablierte Zellkultur, die in
spezifischen Nährmedien kultiviert werden kann und sich durch bestimmte Merkmale und Zellfunktionen auszeichnet. Eine embryonale
Stammzell-Linie wird aus Zellen des Embryoblasten gebildet. Zellen
einer Zell-Linie vermehren sich durch Zellteilung und können u. U.
durch Zugabe geeigneter Wachstumsfaktoren zu bestimmten Zelltypen differenziert werden.
Zell-Reihe (lineage Generationsfolge von Zellen einer Entwicklungslinie (z. B. mesoderoder cell lineage)
male, entodermale, ektodermale Linie, oder hämatopoetische, neurale
Linie usw.)
Zygote
Befruchtete è Eizelle als Produkt der Verschmelzung der Zellkerne
von Ei- und Samenzelle, Ausgangszelle der embryonalen Entwicklung (è Embryo)
Zytoplasma
s. Cytoplasma
337
A5
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Rec.
resp.
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SAMW
sc.
SNF
SR
SR
u.a.
u.Umst.
UNESCO
vgl.
z.B.
Ziff.
z.T.
Abkürzungsverzeichnis
Amtliches Bulletin der Bundesversammlung
Amtsblatt der EG
Absatz
Artikel
Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft
Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung)
Buchstabe
Bundesrat
(alte) Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
beziehungsweise
Comité directeur pour la bioéthique (des Europarates)
dasselbe
derselbe
dieselbe
Herausgeber
Embryonenforschungsgesetz
Europäische Gemeinschaft(en)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Konvention zum Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom
4. November 1950 (SR 0.101)
Erwägung
et altres (und andere)
Europäische Union
Frankfurter Allgemeine Zeitung
folgende, fortfolgende
Bundesgesetz vom 18. Dezember 1998 über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz) (SR 814.90)
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
Herausgeber/herausgegeben
in principio
(deutsche) Juristen Zeitung
meines Erachtens
National Institutes of Health
Nationalrat
Parlamentarische Initiative
Randnummer
Recueil
respektive
Randziffer
Seite
siehe
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
scire licet
Schweizerischer Nationalfonds
Systematische Sammlung des Bundesrechts
Ständerat
unter anderem / und andere
unter Umständen
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
vergleiche
zum Beispiel
Ziffer
zum Teil
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