JOH 3,16-21 (PREDIGT)

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JOH 3,16-21 (PREDIGT)
C HRISTVESPER 2010 IN A LTDORF
Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater, und unserem Herrn Jesus
Christus.
1. WIE WIRD ES LICHT? WIE WIRD ES HELL?
Nacht. Tiefe, schwarze Nacht. Ein Mensch schleicht um die Häuser. Was macht er da? Ist
es überhaupt ein „Er“? Ja, es ist ein Mann. Er tastet sich vorwärts. Er sucht den Weg. Er
schaut scheu um sich. Heimlich blickt er nach seinem Ziel. Er möchte nicht gesehen werden.
Allerdings bringt das auch einen Nachteil mit sich: er sieht ebenfalls nicht besonders viel.
Die Schritte sind mühsam. Er muss Acht geben, dass er nicht in ein Loch tritt oder neben den
Weg und ausrutscht.
Wer ist dieser Mann? Warum ist er bei Nacht unterwegs? Was treibt ihn um?
Still ist die Nacht. Schwarz, tief und still. Der Mann ist berühmt. Er ist ein geschickter
und gebildeter Redner. Er hat etwas zu sagen. Er kann mit den Leuten umgehen. Und nur
hat er etwas vor und dabei möchte er nicht entdeckt werden. Leise zieht er weiter, von
Straße zu Straße, er kommt seinem Ziel näher.
Was hat Sie heute Nacht hinausgetrieben? Warum sind sie zur Kirche gekommen?
Waren sie still unterwegs? Oder war es eher laut? Ich denke, dass sie nicht heimlich
hergekommen sind. Das nicht. Aber vielleicht haben sie doch etwas gemeinsam mit unserem
nächtlichen Wanderer. Vielleicht teilen Sie seine Unruhe. Vielleicht suchen Sie wie er.
Vielleicht auch eher still und mehr bei sich – als öffentlich.
Er jedenfalls ist beunruhigt. Und er möchte nicht in aller Öffentlichkeit darüber sprechen.
Das, was ihn möglicherweise ein bisschen peinlich berührt, ist: Er hat eine Kinderfrage. Sie
ist ganz einfach. Sie ist aber gleichzeitig auch sehr schwierig. Und eben beunruhigend. Wenn
ein gescheiter und begabter Kerl wie er, wenn so eine richtige Persönlichkeit eine so billige
Frage stellt, dann doch lieber im Verborgenen. Seine Frage ist:
Wie wird mir licht? Wie wird es hell in meinem Leben?
Wie im soeben gesehenen Anspiel das Kind nach dem Licht fragt, auf dieser Frage
beharrt und eine Antwort darauf haben will, so geht es auch unserem schlauen Mann hier.
Sein Name ist Nikodemos, was so viel heißt wie „Sieger in der Volksversammlung“. Ihn lässt
diese Frage nicht los. Er will Antwort darauf. Deshalb geht er zu Jesus, von dem er so
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manches gehört hat. Er vertieft sich mit ihm in ein Gespräch. Am Ende des Gesprächs hören
wir folgende Worte:
(Langsam lesen, das Tempo am eigenen Verstehen des Gelesenen orientieren)
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn
glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die
Welt durch ihn gerettet werde.
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er
glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die
Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und
kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut,
der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
2. DIE DOPPELTE ANTWORT
Jetzt sitzen wir in diesem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemos. Wir haben seine
heimliche Frage gehört. Jetzt ist sie raus. Wir wissen, dass sie ihm unangenehm ist. Und nun
diese Antwort Jesu! Ist diese Antwort beruhigend? Stillt sie die drängende Frage, wie es in
mir licht wird?
Zwei Richtungen hat die Antwort Jesu. Einerseits hört Nikodemos, und mit ihm auch
wir, etwas von einer Welt, die in sich selbst verloren ist. Andererseits ist zu hören: Gott liebt
diese Welt und sendet seinen Sohn, damit die Welt gerettet wird. Gott gibt ihn hin, damit wir
Leben haben.
2.1. EINERSEITS: BESTÄTIGUNG DER UNRUHE
Auf der einen Seite wird die Unruhe von Nikodemos bestätigt. Es ist was faul im Erdenstaat. Nicht nur ein bisschen, nicht nur hier und da, sondern überall. Alles trägt das Merkmal
der Vergänglichkeit. Nikodemos ist sich im Klaren darüber, dass nichts, überhaupt gar
nichts auf dieser Welt für die Ewigkeit ist. Alles wird irgendwann dahinsinken, wegbrechen,
zerfallen, nicht mehr sein.
Joseph von Eichendorff dichtet einmal:
Es wandelt was wir schauen// Tag sinkt ins Abendrot. // Die Lust hat eignes Grauen//
und alles hat den Tod. // Ins Leben schleicht das Leiden// sich heimlich wie ein Dieb. //
Wir alle müssen scheiden// von allem was uns lieb.
Diese Perspektive ist dunkel. Mit diesen Gedanken im Herzen kann Nikodemos keine
Ruhe finden. Ihm ist bewusst, dass er in einem kleinen Zeitraum eingeschlossen ist. Er sieht,
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dass er an einem begrenzten Ort lebt. Er weiß, dass er keine Türe hat, die ihm über seine
Lebenszeit hinaus einen Weg eröffnet. Es gibt kein Hinaus! Wir können nicht hinaus. Wir
sind eingeschlossen, weil wir Sünder sind. Und doch sucht Nikodemos in seinem Räumchen,
in seinem Zimmer, er geht auf und ab und gibt sich nicht zufrieden und sucht. Getrieben von
Angst und Verzweiflung sucht er einen Ausweg. Mit seinem Ende, mit dem Ende von
Familienmitgliedern und Freuden will er sich nicht abfinden. Wie wird es hell in diesem
Dunkel? Wie komme ich hinaus? Wie wird die Macht der Sünde gebrochen?
2.2. ANDERERSEITS: VERÄNDERUNG UND AUFHEBUNG DER UNRUHE
Auf der anderen Seite wird die Unruhe von Nikodemos an- und weggenommen. Gott
weiß um unsere Grenze, um alles Dunkle in unserem Leben.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die
Welt durch ihn gerettet werde.
2.2.1. Das Geheimnis der Rettung: Das Kind
Hier hören wir das Geheimnis, wie diese Rettung zugeht. Hier lesen wir, wie Gott uns
Menschen hilft, uns Menschen frei macht. Hier bekommen wir gesagt, dass Gott unsere
Situation, unsere Umstände, unseren engen Raum kennt. Gott weiß um unsere Not. Gott
kennt die Sorge, die wir um das Leben von Familie und Freunden in uns tragen. Gott ist
voller Mitleid, voller Sympathie mit uns. Er kann uns so nicht alleine lassen, weil er nicht mit
ansehen kann, dass wir im Dunkeln herumirren Deshalb sendet er seinen Sohn. Deshalb lässt
er Weihnacht werden. Deshalb wird Gott, der Sohn, Mensch. Deshalb geht das Licht in der
Finsternis auf über denen, die im Schatten des Todes sitzen. Ein Kind wird geboren gegen
unser Verhängnis.
Gott kommt in diese Welt als Kind, damit es hell wird. Gott kommt unausweichlich. So
gewiss, wie jeden Morgen neu ein Tag heranbricht, so gewiss kommt Gott. Er spricht davon,
dass Gott langsam aber sicher die Dunkelheit verdrängt. Kein Gericht, sondern Gnade.
Weil Gott mit seinem Sohn Jesus die Welt hell macht, ist die Frage „Wie wird es hell in
mir?“ eigentlich die Frage: „Wie wird es Weihnachten bei mir?“ Wir finden die Antwort auf
die Frage „Wie wird es hell in unserem Leben“ in dem Kind in der Krippe. Wir finden sie an
Weihnachten. Als Kind nähert sich Gott uns. Sehr liebevoll und vorsichtig, ja ohnmächtig
betritt Gott diese Welt. Wie bei einem Sonnenaufgang in unseren Breiten wird es ganz
allmählich Tag, die Nacht weicht. Gott kommt nicht grell oder in einem Blitz, sondern so,
dass unsere Augen sich an ihn gewöhnen können. Sehr behutsam öffnet er uns die Augen
für unsere Umgebung und uns selbst. Und dieses Licht ist nicht kalt, „monochromatisch“,
wie wir im Anspiel hörten, sondern warm. Dieses Licht deckt nicht einfach auf und zeigt wie
es ist. Nein, in diesem Licht scheint auch die Liebe Gottes zu uns durch. In diesem Licht wird
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niemand abgelehnt oder verworfen. In diesem Licht ist jede und jeder geliebt. Egal was in
der Vergangenheit oder heute passiert ist. Egal, was für schlimme Worte gefallen sind – Gott
holt sie ans Licht und verwandelt sie. Egal, wie schlecht wir jemanden behandelt haben oder
wie verletzend wir uns benommen haben – in Gottes Licht kommt es zum Vorschein und
wird verändert. Egal, wie gleichgültig uns wir gegenüber Familie und Freunden verhalten,
in Gottes Licht wird die Gleichgültigkeit zur Fürsorge. Es gibt nichts Schlimmes, was Gott
nicht verändern könnte. Es gibt nichts, was im Licht des Kindes nicht neu werden könnte.
Die Gestalt der Rettung: Glaube oder Christus in uns
Dieser Anfang Gottes mit uns ist ganz zart. Es ist nicht wichtig, an welchem Punkt wir
mit dem Kind in der Krippe verbunden sind. Ein einziger Punkt genügt. Ganz klein ist
darum auch am Anfang unser Glaube. Er ist klein wie ein Kind. Er braucht Nahrung, damit
er wachsen kann. Er nährt sich durch Gott selbst. Wir machen Erfahrungen mit Christus und
mit Menschen, die sich Christen nennen –Erfahrungen von Hoffnung und Trost.
Unser Glaube wächst daran, dass wir selbst von Gott ausgehalten, festgehalten, toleriert
und geliebt werden. In dieser Liebe Gottes können wir annehmen, dass wir nicht so gut sind,
wie wir gerne von uns denken. In dieser Liebe sehen wir, dass Gott uns nahe ist. Auch wenn
wir das Gefühl haben, er sei weit weg, er habe sich distanziert. Gerade dann ist Gott da.
Irgendwann bemerken wir das. Ich habe Freunde, denen ist ein Kind gestorben. Aus lauter
Trauer wussten sie nicht ein noch aus. Die Gemeinde dort war auch ganz geschockt und
keiner hatte ein Wort, um zu helfen. Jahre später erzählte mir die Mutter, dass in dieser Zeit
ihnen jemand ein Essen vorbeibrachte. Einfach nur ein ganz normales Essen. Sie erzählte
auch, dass sie in der Zeit dieser Trauer und des Schocks sich kaum noch regen konnte. Auch
an Essen war nicht zu denken. Als dann dieses Essen gebracht wurde, war sie überwältigt. In
all ihrer unsagbaren Not war doch ein winzig kleiner Funke Licht gekommen.
Sehen Sie, so zart kommt das Licht Gottes in unsere Welt. Ganz leise, ganz sanft, fast
unsichtbar, fast unhörbar, aber es ist eben doch da.
Darum kann es für und nur heißen: Ins Licht, ins Licht! Zur Krippe des Christkinds! Wir
haben anderswo nichts zu suchen! In dieses Licht gehören wir! Unser ganzes Leben hat in
diesem Licht gelebt zu werden! Und in diesem Licht sollen wir uns anschauen. Alles
Kritische, alles, was im Licht unansehnlich, dürftig oder sogar hässlich ist gehört hier hinein.
Das Kind in der Krippe leuchtet uns unter der Decke, die alles zu verheimlichen sucht. Das
Kind selbst ist das Licht, das uns den Weg hinaus weist. Das Kind in der Krippe ist die Tür,
die aus unseren Grenzen herausführt.
Diese Erfahrung hat wie viele andere Christen auch der französische Mathematiker und
Philosoph BLAISE PASCAL gemacht. Für ihn war sie besonders intensiv. Offensichtlich war
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Pascal ein sehr rationaler Mensch. Aber dieser scharfe Denker machte eine Erfahrung, die
ihn nicht mehr los ließ. Er schrieb sie sogar so weit er konnte auf. Das war für ihn gar nicht
so einfach. Das Wunderbare und Herrliche an Gott mit Worten zu erfassen. Und dann nähte
er diese Worte heimlich in seinen Mantel ein. Der Mantel selbst lässt erkennen, dass Pascal
dies immer wieder getan hat. Was er aufschrieb, muss ihm sehr wichtig gewesen sein. Als
sogenanntes „Mémorial“ ist dieses Stück Papier mit seinen aneinandergereihten Worten und
bruchstückhaften Sätzen in die Geschichte eingegangen. Es zeugt von einer wunderbaren
Erfahrung, einer heiligen Nacht. Einen Ausschnitt davon möchte ich ihnen vortragen:
Jahr der Gnade 1654
Montag, den 23. November, Tag des heiligen Klemens, Papst und Märtyrer, und anderer
im Martyrologium. Vorabend des Tages des heiligen Chrysogonos, Märtyrer, und anderer.
Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht.
Feuer
„Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs“, nicht der Philosophen und Gelehrten.
Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede.
Gott Jesu Christi
Deum meum et Deum vestrum. (Mein Gott ist euer Gott.) „Dein Gott wird mein Gott
sein“- Ruth - Vergessen von der Welt und von allem, außer Gott. Nur auf den Wegen, die
das Evangelium lehrt, ist er zu finden.
Größe der menschlichen Seele
„Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich.“ Freude, Freude,
Freude und Tränen der Freude. Ich habe mich von ihm getrennt. Dereliquerunt me fontem
aquae vivae. (Sie haben mich, die Quelle des lebendigen Wassers verlassen.)
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Möge ich nicht auf ewig von ihm
geschieden sein.
„Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du
gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“
Jesus Christus!
Jesus Christus!
In diesem Sinn: Helligkeit, Herrlichkeit, Heilige Nacht! Amen.
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