Antibiotika und Keime im Gemüse

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TV – WDR – Servicezeit vom 2. Februar 2012
Von Georg Lembeck
Antibiotika und Keime im Gemüse
In Deutschland werden jedes Jahr Hunderte Tonnen Antibiotika an Nutztiere verfüttert. Mit der
Gülle aus der Tiermast landen Rückstände da von auf den Äckern. Dass Pflanzen, die auf belasteten
Böden wachsen, Antibiotika enthalten können, ist bekannt. Schon vor sechs Jahren
hat die Servicezeit darüber berichtet. Neu ist allerdings, dass immer öfter auch multiresistente
Keime eben nicht nur auf Hähnchenfleisch, sondern auch auf Gemüse gefunden werden.
Erschreckend dabei ist: Diese Keime wachsen sogar ins Gemüse hinein.
Risiko Massentierhaltung
Bei der Intensivmast von Hähnchen oder Schweinen bekommen die Tiere teils mehrere Male in
ihrem kurzen Leben Antibiotika verabreicht. Wie groß das Ausmaß der Medikamentengabe ist,
drang mit dem Geflügelfleischskandal im Januar 2012 an die Öffentlichkeit und sorgte für
Empörung. Zwar müssen die Bauern und Viehmäster in der Europäischen Union seit 2006 gänzlich
ohne Antibiotika als leistungs- und wachstumsfördernde Mittel im Tierfutter auskommen, jedoch
sind sie als Arzneimittel auch weiterhin zugelassen. Haben etwa einzelne Tiere eines
Stalls eine Infektion, kann es gut sein, dass aus Vorsorgegründen der gesamte Bestand Antibiotika
verabreicht bekommt. Dieser großflächige und kontinuierliche Einsatz des eigentlich sehr
wirkungsvollen Medikaments hat einen extremen Nachteil: Es entstehen multiresistente Keime,
gegen die kaum ein Antibiotikum wirkt. Diese Erreger finden sich laut neuerer Untersuchungen
auf einem großen Teil des konventionell erzeugten Fleisches.
Von der Gülle in den Boden und von dort in die Pflanzen
Die resistenten Keime wurden von Forschern nun auch in Pflanzen gefunden. Prof. Manfred
Grote von der Universität Paderborn forscht schon viele Jahre auf diesem Gebiet. „Die Keime
können von den Nutzpflanzen aufgenommen werden, das haben unter anderem in Österreich
Pflanzenphysiologen festgestellt. Es können also Bakterien vom Salmonellentyp oder Colibakterien
über die Feinwurzel aufgenommen werden, dann sind sie in der Pflanze drinnen und
können in der Pflanze transportiert werden“, so Prof. Manfred Grote. Über die belastete Gülle
aus den Tiermastanlagen, die zur Düngung auf Äckern ausgebracht wurde, sind diese gefährlichen
Bakterien in das Getreide beziehungsweise ins Gemüse gelangt.
Prof. Manfred Grote hat schon vor mehr als sechs Jahren nachgewiesen, dass Antibiotikarückstände
auch von den Pflanzen aufgenommen werden. Den Wissenschaftler wundert das
nicht: „Es wird geschätzt, dass pro Jahr 800 bis 1.500 Tonnen Antibiotika auf die Felder kommen,
und die werden auf den Feldern nicht zersetzt“, erklärt er.
Medikamentenrückstände allein sind für den Menschen bei regelmäßigem Verzehr schon schlimm
genug. Jetzt macht den Wissenschaftlern aber ihre jüngste Erkenntnis Sorge, dass nämlich Pflanzen
Krankheitskeime aufnehmen, die sich dort verändern können. „Und wenn zusätzlich zu diesen
Krankheitskeimen noch Antibiotikaspuren in der Pflanze enthalten sind, dann können diese
brisanten Mischungen aus Keimen und aus Antibiotikaspuren vielleicht zu einer verstärkten
Bildung resistenter Keime führen. Und die gelangen dann auf diesem Wege und gerade beim
Gemüse direkt in die Nahrungsmittelkette. Und das kann dann verhängnisvolle Folgen haben.“ so
Prof. Grote wörtlich.
Böden mit Gedächtnis
Die Beständigkeit der Antibiotika ist ein großes Problem. Deren langjährige Nutzung in der
Landwirtschaft hat nach Meinung des Experten feste Spuren in den Böden hinterlassen. Die
Rückstände sammeln sich an. Der Forschungsbedarf ist nach wie vor hoch, aber dennoch
warnt Prof. Grote bereits jetzt: „Selbst wenn Jahre später auf diesen Feldern Gemüse angebaut
wird, nehmen die Pflanzen noch Antibiotikarückstände auf.“
Besonders kritisch sei zudem, dass sich unter Einfluss von Antibiotikarückständen auch
NichtKrankheitskeime verändern und zu multiresistenten Keimen verwandeln können. Auch auf
diesem Gebiet laufen Untersuchungen, um die Erkenntnisse zu vertiefen.
Antibiotika: zunehmend wirkungslos
Diese Forschungsarbeit ist lebenswichtig. Denn welche Folgen eine Infektion mit resistenten
Keimen haben kann, zeigte sich 2011 an einer Bremer Klinik: Vier Säuglinge mussten sterben,
weil Antibiotika nicht gewirkt haben. Europaweit sind jedes Jahr mehrere Tausend Tote zu
beklagen, die den multiresistenten Keimen zum Opfer fallen, weil keine Gegenmittel mehr helfen.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Antibiotikaresistenzen weltweit stark zugenommen. Das
heißt: Immer mehr Bakterienstämme sind gegenüber Antibiotika unempfindlich. Dadurch verlieren
diese lebenswichtigen Medikamente bei Patienten mit bakteriellen Infekten ihre Wirkung.
Es gibt verschiedene Ursachen für diese Entwicklung. Zum einen liegt diese an von Patienten
zu häufig oder falsch eingenommenen Antibiotika. Zum anderen nehmen Menschen durch das
Fleisch aus der Massentierhaltung und auch über manch pflanzliche Kost kleine Dosen Antibiotika
auf. Besonders die niedrig dosierte, aber kontinuierliche Einnahme von Antibiotika fördert
die Entwicklung von Resistenzen. Denn wenn ein Antibiotikum im Körper zu niedrig dosiert ist
oder nicht lange genug eingenommen wird, tötet es nur die empfindlichsten Bakterien ab, weniger
empfindliche überleben und entwickeln eine Resistenz.
Vage Verbrauchertipps der Experten
Die Erkenntnis, dass nun auch Gemüse als möglicher Träger dieser gefährlichen Keime gilt, sei
zwar besorgniserregend, doch eine akute Warnung vor Gemüse sprechen weder Prof. Grote
noch die anderen Wissenschaftler aus. In dem Forschungsverbund RESET arbeiten viele
Disziplinen zusammen, um das Problem der Resistenzen zu erforschen.
Gemüse liefert dem Körper viele gesunde Vitalstoffe, und die positiven Wirkungen überwiegen
im Alltag eines gesunden Menschen allemal. Die Experten haben aber durchaus einen Tipp, der
allerdings nicht leicht umzusetzen ist: Es wäre ratsam, sich beim Einkauf zu informieren, woher das
Gemüse stamme, denn es gebe ja durchaus einen konventionellen Gemüseanbau, bei
dem nur mineralisch, das heißt ohne Gülle, gedüngt wird.
Manfred Grote will daher auch nicht ausschließlich Bioware empfehlen, denn auch auf oder in
Biogemüse seien schon resistente Keime beziehungsweise Antibiotikarückstände gefunden
worden. Dies kann vor allem daran liegen, dass es auf vorbelasteten Böden gewachsen ist,
also vor der ökologischen Bewirtschaftung mit konventioneller Gülle gedüngt wurde. In der
Biolandwirtschaft sind nur in absoluten Ausnahmefällen Antibiotikagaben an Masttiere erlaubt.
Weniger Risiko durch Bio
Wer die Möglichkeit hat, kann also seinen Gemüsebauern beziehungsweise -händler fragen, ob
mit Gülle gedüngt wurde. Ein Ökolandwirt sollte Auskunft geben können, wie lange die
Anbaufläche nicht mit konventioneller Gülle behandelt wurde – bis zu zehn Jahre sind die Keime
und Antibiotikarückstände schließlich noch nachweisbar.
Prinzipiell ist der Griff zu Bioprodukten ratsam. Das gilt für Gemüse, ebenso wie für Fleisch.
Denn je weniger konventionelle Tiermast existiert, so viel scheint gewiss, desto weniger Antibiotika
landen auf den Feldern und damit im Gemüse. Diesen unseligen Kreislauf gilt es letztlich zu
durchbrechen.
Geringeres Risiko durch Waschen
Es sollten jedoch unbedingt Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, um das Risiko beim Verzehr
von Gemüse zu verringern. Kochprofis lernen beispielsweise bei der Ausbildung: Absolute
Hygiene ist angesagt, vor allem, wenn das Gemüse zu Rohkost oder Salat verarbeitet wird.
Salat etwa sollte man entweder gründlich unter fließendem Wasser abbrausen oder mehrmals
vorsichtig in Wasser baden, bis das Wasser klar bleibt.
Bei Möhren sollte die Schale mit einem Sparschäler entfernt werden. Die geschälten Möhren
müssen zusätzlich unter fließendem Wasser abgespült werden, da man beim Schälen mit den
Händen möglicherweise auf der Schale anhaftende Keime verteilt hat. Und auch folgenden
Fehler gilt es zu vermeiden: Das gereinigte Gemüse nicht auf der Arbeitsfläche schneiden, auf
der eben noch ungereinigte Pflanzen gelegen haben!
Links:
• Gemüse: resistente Bakterien
(markt vom 16. Mai 2011)
• Antibiotika in pflanzlichen Lebensmitteln
(Servicezeit-Spezial)
• Analytik im gesundheitlichen Verbraucherschutz
Kontaktseite zu Prof. Manfred Grote
• RESET – Resistenzen bei Tier und Mensch
Forschungsverbund
• „Hähnchenfleisch in Supermärkten mit antibiotikaresistenten Keimen belastet“
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND)
• „Antibiotikaresistenz“
Informationen des Robert Koch-Instituts zum Thema
• Zündstoff Antibiotika-Resistenz
Initiative der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V., der Deutschen Gesellschaft
für Infektiologie e. V. (DGI) sowie der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiolo-gie
(DGHM)
• „Antibiotikaresistenzen in der Lebensmittelkette“
Information des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)
© WDR Köln 2012
Textmarkierungen proM.U.T. e.V., die rote Textpassage wurde als wörtliches Zitat aus der TV
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