Mit dem Herzsimulator zur optimalen Therapie

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Mit dem Herzsimulator zur optimalen Therapie
Ein naturgetreues Computermodell des menschlichen Herzens soll die Behandlung von
Herzkrankheiten effektiver machen: Ärzte sollen Medikamente und Operationstechniken vorab
am Computerherzen testen können und so die wirksamste Therapie ermitteln. Prof. Dr. Olaf
Dössel, Direktor des Instituts für Biomedizinische Technik am KIT, zählt das Herzmodell seines
Teams zu den Top 5 weltweit.
Je älter wir werden, desto größer ist das Risiko einer Herzkrankheit: Mal verengen sich die
Gefäße, mal verstopfen sie gar, mal gerät das Herz aus dem Takt. Zwar existieren bereits eine
Reihe zuverlässiger Techniken, um ein Herzleiden zu diagnostizieren – das EKG macht die
Herzströme sichtbar, die Ultraschall-Bildgebung den Blutfluss und damit etwa undichte
Herzklappen. Aber bislang können Kardiologen die Erfolgsaussichten einer Therapie nicht
vorhersagen. Geht es nach Olaf Dössel, Direktor des Instituts für Biomedizinische Technik am
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), soll sich das in den nächsten Jahren ändern: „Die
Suche nach einer geeigneten Therapie folgt in der Medizin häufig dem „Trial and Error"-Prinzip.
Man weiß erst hinterher, welche Therapie am besten wirkt. Unser Motto lautet hingegen: „First
time right". Unser Modell soll den Erfolg einer Therapie vorhersagen können."
Mathematik als Grundstein
Ein dreidimensionales Computermodell des Herzens. Für die Visualisierung wurde es in der Mitte durchgeschnitten.
Rot dargestellt ist die Kontraktion des Ventrikels, also die aktive Kraftentwicklung zum Ende der Systole, der
Blutausströmungsphase im Herzzyklus. © Lukas Baron, KIT
Dazu arbeiten Olaf Dössel und sein Team in Zusammenarbeit mit Kardiologen seit mehreren
Jahren an der Entwicklung eines naturgetreuen Computerherzens: „Wir steuern die
Mathematik und die Software bei", so Dössel. Die mathematische Simulation des menschlichen
Herzens ist allerdings eine gewaltige Herausforderung: Es ist mit vier Kammern, vier Klappen
und den Zu- und Abflüssen nicht nur kompliziert aufgebaut, sondern auch die Pumpbewegung
ist komplex: Zunächst entspannen sich Vorhöfe und Ventrikel und Blut fließt ein, kurz darauf
kontrahieren die Kammern. Die linke Kammer drückt das mit Sauerstoff angereicherte Blut in
die Aorta, die den Körperkreislauf versorgt, die rechte Kammer pumpt das sauerstoffarme Blut
in die Lungenarterien, die zur Lunge führen.
Das alles muss so berechnet werden, dass auf dem Bildschirm schließlich ein „echtes",
dreidimensionales Herz entsteht. „Da es sich auch bewegt, sprechen wir von einem 4D-Modell",
erklärt Dössel. Das realistische Abbild des Organs ist auch dem enormen Fortschritt in der
Bildgebung zu verdanken: Erst die Bilder von Computertomografie ( CT) und
Magnetresonanztomografie ( MRT) machten den Aufbau des Herzens so hochpräzise sichtbar,
und die Daten unzähliger solcher Scans fließen in die Berechnung des virtuellen
Durchschnittsherzens ein.
Herzmedizin am Computer
„Unser Modell für ein gesundes Herz ist schon sehr gut. Nach einer Demonstration kommen
immer wieder Kardiologen zu uns und sagen, dass sie die komplexen elektrischen und
mechanischen Vorgänge des Herzens noch nie so klar gesehen haben", sagt Dössel.
Der nächste Schritt ist noch in Arbeit: Die Entwicklung personalisierter Herzmodelle. Dazu
müssen die Karlsruher Wissenschaftler das virtuelle Durchschnittsherz in ein virtuelles
Patientenherz verwandeln. Das heißt, all die Daten, die durch EKG, Katheter, CT, MRT und
Ultraschall gewonnen wurden, müssen in das Computermodell einfließen. Am Ende muss das
Patientenherz mit all seinen Eigenschaften – etwa vernarbtes Gewebe nach einem Herzinfarkt
oder einer Störung der Erregungsleitung – auf dem Bildschirm sichtbar sein. „Ist das Modell
gut, können wir berechnen, was der Herzinfarkt bei Patient X für Konsequenzen hat oder wie
sein Herz auf verschiedene Behandlungen reagiert", sagt Dössel.
Volksseuche Vorhofflimmern
Dössel und sein Team haben sich auf Herzmodelle für Infarkte und Herzrhythmusstörungen
spezialisiert. Das sogenannte Vorhofflimmern ist dabei die am weitesten verbreitete
Arrhythmie. Rund 800.000 Deutsche, vor allem ältere Menschen, leiden darunter. Beim
Vorhofflimmern schlägt das Herz unregelmäßig. Die elektrischen Impulse, die für die
Pumpbewegung sorgen, entstehen nicht nur im sogenannten Sinusknoten, dem eigentlichen
Taktgeber des Herzens, sondern auch an anderen Orten im Herz.
Helfen Medikamente nicht weiter, muss mithilfe einer Sonde eingegriffen werden: Kardiologen
versuchen, die Orte, wo die elektrischen Störsignale entstehen, zu veröden, indem sie das
Gewebe stark erhitzen. Auf diese Weise unterbricht man die falsche Stromleitung und stellt im
KIT-Mitarbeiter Tobias Oesterlein im Nebenraum des Herzkatheterlabors des Städtischen Klinikums Karlsruhe.
Kardiologen führen hier elektrische Messungen am Herzen durch, um Patienten mit Herzrhythmusstörungen zu
behandeln. Die Biomedizintechniker des KIT entwickeln Computermodelle, die solche Behandlungen noch
erfolgreicher machen sollen. © KIT
Idealfall den normalen Herzrhythmus wieder her. „Bei vier von zehn Patienten kommt die
Rhythmusstörung aber schon nach wenigen Wochen wieder", sagt Dössel, der mit seinem
Modell schon vor der Operation herausfinden möchte, wo man die Narben genau setzen muss,
damit der Erfolg von Dauer ist.
Virtuelle Therapie spart Kosten
Auf diese Weise ließen sich auch Kosten sparen: „Zwar muss man für ein perfektes
Computermodell in noch bessere Bildgebung investieren, dafür spart man sich aber
Operationszeit. Statt rund vier Stunden könnte eine Stunde reichen", sagt Dössel, der davon
überzeugt ist, dass in Zukunft die Beantwortung vieler medizinischer Fragestellungen mit
einem Computermodell unterstützt werden wird. Tatsächlich arbeiten Wissenschaftler weltweit
an der Simulation von Niere, Blutkreislauf oder Gehirn. Die Industrie wendet solche Techniken
bereits seit Jahren an: So konstruieren Ingenieure Flugzeuge oder Autos zunächst immer am
Computer.
Ein personalisierter Herzsimulator für den Einsatz am Patienten könnte laut Dössel in rund
fünf Jahren zum Einsatz kommen. Derweil unterstützen die Karlsruher mit ihrem Modell die
Forschung: Sie versuchen die Entstehung von Herzkrankheiten besser zu verstehen, Therapien
zu optimieren und Hinweise für neue Medikamente zu geben.
Fachbeitrag
21.12.2015
Juliette Irmer
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Olaf Dössel
Tel.: +49 (0)721 608-42650
olaf.doessel(at)kit.edu
KIT – Institut für Biomedizinische Technik
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Geräteentwicklung - neue Werkzeuge für die Life Sciences
Herz
Medizintechnik
Bildgebende Verfahren
Software
Simulation
KIT
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