QM1 Skript Stefan

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Das mag ein wenig ernüchternd sein, hat aber wichtige
Anwendungen, wann immer externe Felder von Bedeutung sind, und ist auch schon ein Fortschritt relativ zur
Klassischen Mechanik. Mit der beginnen wir übrigens,
denn hier kann eine intuitive Verankerung gelegt werden,
durch deren Abstraktion der quantenmechanische Rahmen zur Behandlung von Streuprozessen verständlicher
wird.
A.
Klassische Präliminarien
Gegeben sei ein Hamilton–System (P ∼
= R3 × R3 , H),
wobei P durch (q, p) koordinatisiert sei, mit der Bewegungsgleichung
d
Z(t) = F (Z(t)) ,
dt
(174)
wobei Z(t) = (q(t), p(t))T den mechanischen Zustandes
des Systems zur Zeit t ∈ R beschreibt. Im linearen Fall ist
die rechte Seite der Hamilton–Bewegungsgleichung (174)
durch
�
� �
�
q(t)
p(t)/m
F p(t)
= −∇V
,
(175)
(q(t))
wobei V das Potentialfeld bezeichne und −∇V ist das
zugehörige Kraftfeld. Der Einfachheit halber nehmen wir
zunächst an, daß das Potential einen kompakten Träger
hat, und daß sich das Teilchen für t −→ −∞ und t −→
+∞ außerhalb dieses Trägers befinde. Dann gilt
lim q(t) = Qin + tPin /m ,
t→−∞
lim q(t) = Qfi + tPfi /m .
t→+∞
(176)
Aufgrund der Energieerhaltung gilt |Pin | = Pfi . Prinzipiell können die Größen (Qfi , Pfi ≡ limt→+∞ P (t)) aus
(Qin , Pin ≡ limt→−∞ P (t)) durch Integration der Bewegungsgleichung mit den Anfangsbedingungen q(t0 ) =
Qin +t0 Pin /m , p(t0 ) = p1 berechnet werden, wobei wir t0
so fern in der Vergangenheit wählen, daß q(t) für t < t0
außerhalbt des Trägers von V ist.
Die Streuabbildung ist dann die Abbildung
S :P −→ P ,
�
�
� �
Qin
fi
−→ Q
.
Pfi
Pin
(177)
∼ R6 definiert und
Die Streuabbildung S ist auf ganz P =
surjektiv, das heißt jeder Zustand Z ∈ P kommt als Anfangszustand Zin (initial) und als Endzustand Zfi (final) vor.
Bsp. IX.1 (Klassische Streuung an beschränktem
Potential in 1–d Konfigurationsraum) Sei P ∼
= R2
und das Potential beschränkt, V (q) ≤ E∗ := max(V ).
Für Energien E < E∗ wird das Teilchen an dem Potential reflektiert, wobei der Impuls des Teilchens zeitweise
variiert, solange der Ort des Teilchens im Träger von V
liegt, aber insgesamt wird nur das Vorzeichen des Impulses geändert. Die Streuabbildung hat also die folgende
Form:
�
� �
�
in
in ,Pin )
S Q
= Qfi (Q
.
(178)
Pin
−Pin
Für Energien E > E∗ bewegt sich das Teilchen durch den
gesamten Träger von V , wobei innerhalb des Trägers sein
Impuls zeitlich variiert, am Ende es jedoch den gleichen
Impuls besitzt wie zu anfangs. Im Vergleich zur freien
Bewegung wird allerdings die Dynamik aufgrund der Existenz von V eine andere sein. Die Streuabbildung hat die
Form
�
� �
�
,Pin )
in
S Q
= Qfi (QPin
.
(179)
Pin
in
Im Fall E = E∗ kommt das Teilchen am Ort q∗ : V (q∗ ) =
E∗ zur Ruhe, falls es diesen in endlicher Zeit erreichen
kann.
Hat das Potential V keinen kompakten Träger, sondern sind V und |∇V | für große |t| nur hinreichend klein
aber endlich, so wird die Bewegung auch für sehr große
|t| nicht exakt durch Qin,fi + tPin,fi /m beschrieben. Es ist
aber intuitiv zu erwarten, daß die Bewegung wenigstens
asymptotisch frei ist, also
∃ (Qin,fi , Pin,fi ) : lim |q(t) − Qin,fi + tPin,fi /m| = 0 .
t→±∞
Nun ja, es zeigt sich allerdings, daß dies viel weniger
intuitv ist, als gedacht, und zwar in folgendem Sinne:
Das Potential muß asymptotisch schon sehr klein sein,
zum Beispiel gilt asymptotische Freiheit bereits für das
Coulomb–Potential nicht.
Wir waren ein wenig engstirnig, denn eigentlich werden
nur die Impulse ausreichend vor und nach der Streuung
gemessen. Diese sollten asymptotisch konstant sein, was
auch für langsamer abfallende Potentiale erwartet werden darf. Die Streuabbildung ist dann nur die Abbildung
Pin −→ Pfi .
Im Folgenden passen wir unsere intuitive Beschreibung
von Streuprozessen dem formalen Rahmen an, den die
Quantenmechanik zur Beschreibung von Streuung verlangt. Der Zustand eines Teilchens sei durch Z(t) =
(q(t), p(t)) gegeben und werde zum Beispiel zur Zeit t = 0
durch Z(0) = (Q0 , P0 ) beschrieben. Wie zuvor bezeichnen wir die zugehörigen asymptotischen freien Zustände
in der fernen Vergangenheit bzw. der fernen Zukunft
durch (Qin,fi , Pin,fi ). Wir führen neue Abbildungen ein:
Win,fi : (Qin,fi , Pin,fi ) −→ (Q0 , P0 ) .
(180)
Die Komposition S := Wfi −1 ◦ Win ist dann der sogenannte Streuoperator. Dieser Operator beschreibt offenbar den Streuvorgang im Endeffekt so, daß die Streuung selbst nicht dynamisch aufgelöst wird, da wir ja
lediglich die asymptotisch freien Zustände miteinander
vergleichen. Das ist komfortabel, aber stellt uns auch
vor schwere Aufgaben, wenn wir das sogenannte inverse Problem lösen wollen, also von S auf das Potential
52
oder etwa die Form eines reflektierenden Körpers zurückschließen möchten. Dies ist offenbar eine der wichtigsten
Fragestellungen in der Streutheorie, aber auch eine der
schwierigsten.
B.
Ein instruktives Beispiel
Im folgenden Beispiel betrachten wir ein Paar von Evolutionsgleichungen, das so einfach ist, daß der Streuoperator explizit berechnet werden kann. Die Überlegungen
sind weitgehend unabhängig vom zu Grunde liegenden
Funktionenraum und Funktionalanalysis spielt allenfalls
im Hintergrund eine Rolle (aus diesem ist sie ohnehin nur
schwerlich wegzudenken).
Bsp. IX.2 (Konstruiertes Beispiel zur raschen
Veranschaulichung) Die Einfachheit der folgenden
Diskussion liegt an folgender Annahme: Gegeben sei ein
klassisches System im R1 mit der Dispersionsrelation
(Energie–Impuls–Beziehung für ein freies Teilchen) E =
p. Diese ist artifiziell, da sie nicht einmal approximativ aus der relativistischen folgt. Wir benutzen sie trotzdem, weil sie offenbar die schöne Eigenschaft hat, qua
Quantisierung eine Prozessgleichung zu liefern, die ausschließlich Ableitungen erster Ordnung enthält, was die
Diskussion enorm vereinfacht und eine exakte Behandlung ermöglicht.
Kanonische Quantisierung liefert für die freie Evolution der Wellenfunktion im Ortsraum die Prozessgleichung
i�∂t Ψ(t, x) = H0 Ψ(t, x) ,
(181)
wobei H0 := Op ≡ −i�∂x auf R.
Die freie Zeitentwicklung ist durch U0 (t) :=
exp (−iH0 /�) gegeben. Wegen der Form von H0 ist
U0 (t) gerade die unitäre Darstellung von räumlichen
Translationen um die Distanz t (c=1), jedenfalls im
L2 (R)–Fall. Mit anderen Worten, (181) hat die Lösung
Ψ(t, x) = U0 (t)Ψ(0, x) = Ψ(0, x − t) .
(182)
Dies gilt natürlich nur dann, wenn Ψ differenzierbar ist.
Der unitäre Operator (im L2 (R)–Fall) U0 (t) dagegen ist
auf jedem vernünftigen Funktionenraum über R wohldefiniert und stark stetig (überlegen Sie sich Beispiele),
insbesondere in L2 (R). Unitarität von U0 (t) (im L2 (R)–
Fall) impliziert U0 † (t) = U0 −1 (t) = U0 (−t).
Nun kann das Teilchen auch in den Einflußbereich
eines Potentials V (x) mit geeignetem Träger geraten,
dann wird die zeitliche Entwicklung der zugehörigen Wellenfunktion nicht mehr von H0 generiert, sondern von
H = H0 + V (x). In vielen realistischen Fällen wird V (x)
als Störung von H0 betrachtet, da die Evolution im allgemeinen nicht mehr exakt lösbar sein wird, und die exakte Evolution wird um die freie Evolution entwickelt. Das
führt uns zu weit im Moment. Die exakte Evolution der
Wellenfunktion wird also folgendermaßen beschrieben:
i�∂t Ψ(t, x) = (H0 + V (x)) Ψ(t, x) ,
(183)
wobei per Konstruktion die Anfangsbedingung mit der der
freien Evolution übereinstimmen soll.
Wie schaut der Zeittranslationsoperator U (t) in diesem
Fall explizit aus? Zunächst setzen wir
� � x
�
i
df
W Φ(x) = exp
dy V (y) Φ(x) .
(184)
� 0
Offenbar ist H = W −1 H0 W, das heißt HΨ(t, x) =
(W −1 H0 W)Ψ(t, x) für geeignete Wellenfunktionen, wobei wir Kompositionszeichen unterdrückt haben. Also gilt
(Zeigen Sie dies!)
Ψ(t, x) = U (t)Ψ(0, x) = W −1 U0 (t)WΨ(0, x)
�
�
�
i x
= exp −
dy V (y) ◦
� 0
�
� � x
�
�
i
◦ U0 (t) exp
dy V (y) Ψ(0, x)
� 0
� � x−t
�
i
= exp
dy V (y) Ψ(0, x − t) . (185)
� x
Sie können das ganz explizit durch Einsetzen in die Prozessgleichung (183) überprüfen oder etwas formaler folgendermaßen:
∂t U (t)Ψ(0, x) = ∂t W −1 U0 (t)WΨ(0, x)
= W −1 ∂t U0 (t)WΨ(0, x)
= W −1 (−iH0 /�) U0 (t)WΨ(0, x)
= −(i/�)W −1 H0 WW −1 U0 (t)WΨ(0, x)
= −(i/�)HU (t)Ψ(0, x) .
(186)
Der Zustand eines freien Teilchens Ψ± ist genau dann
asymptotisch gleich dem Zustand eines Teilchens, daß
dem Potential ausgesetzt war, wenn in der fernen Vergangenheit bzw. Zukunft folgendes gilt:
lim {U0 (t)Ψ± (0, x) − U (t)Ψ(0, x)} = 0 . (187)
t→±∞
Dann gilt weiter
Ψ± (0, x) = lim t → ±∞ exp
� � x
�
i
dy V (y) Ψ(0, x) .
� x+t
Salopp gesprochen wird die Zeitentwicklung auf der
rhs(188) vom Wechselwirkungsanteil (also vom Potential) in H betrieben statt von H0 oder ganz H. Die Grenzwerte in (188) existieren genau dann, wenn V bei ±∞
uneigentlich integrierbar ist. Dann ist
� � x
�
i
Ψ+ (0, x) = exp
dy V (y) Ψ(0, x)
� ∞
�
�
�
i ∞
dy V (y) Ψ(0, x)
= exp −
� x
�
�
� ∞
i
= exp −
dy V (y) ◦
� x
�
�
�
i x
◦ exp −
dy V (y) Ψ− (0, x)
� −∞
�
�
�
i +∞
= exp −
dy V (y) Ψ− (0, x) .
� −∞
53
Damit haben wir ein wichtiges Resultat gefunden,
nämlich: Wenn V bei ±∞ uneigentlich integrierbar ist,
existiert also der Streuoperator S:
Ψ+ = SΨ−
�
�
�
i +∞
= exp −
dy V (y) Ψ− .
� −∞
(188)
Der Streuoperator ist einfach die Multiplikation mit einer
komplexen Zahl vom Betrag eins. Auf allen normierten
Funktionenräumen über R ist S somit isometrisch und
bijektiv, in L2 (R) sogar unitär.
Die Abbildungen
W± : Ψ± −→ Ψ ,
�
�
�
i x
W± Ψ± (0, x) = exp −
dy V (y) Ψ± (0, x)
� ±∞
heißen Wellenoperatoren, und es gilt S = W+ −1 ◦W− .
C. Das kleine ABC der
Sturm–Liouville–Operatoren
Dieser Einschub ist lediglich eine kleine Erinnerung,
Auffrischung oder Einführung in die aufregende und
für die Physik wichtige Theorie der Sturm–Liouville–
Operatoren. Je nach dem, wie sehr Ihre kleinen grauen Zellen diesen Stoff bereits verdaut haben, können Sie
diesen Abschnitt überspringen, oberflächlich durchgehen
oder tiefsinnig studieren, auch wenn er nicht so tiefsinnig
präsentiert wird.
Ein Sturm–Liouville–Differentialausdruck ist der
folgende gewöhnlicher Differentialausdruck in einem beliebigen (beschränkten oder unbeschränkten) Intervall
I = (a, b):
df
OSL Ψ(x) =
1
r(x)
{−∂x (p(x)∂x Ψ(x)) + V (x)Ψ(x)} .
(189)
mit einer als positiv vorausgesetzen Funktion r : R −→
R, die die Rolle einer Gewichtsfunktion in einem Skalarprodukt spielen wird. Solche Differentialausdrücke treten typischer Weise in der Physik auf, nach dem die
Zeitabhängigkeit eines dynamischen Systems vom zugehörigen Zustand absepariert wurde. Wichtige Beispiele
sind die schwingende Saite, die schwingende Kreismembran, oder der eindimensionale Schrödinger–
Operator, also OSL := −Op ◦ Op + V (x) in I mit
−∞ ≤ a < b ≤ ∞.
1.
Voraussetzungen und minimaler & maximaler Operator
Wir setzen dabei stets voraus:
(1): p, V, r sind meßbare reellwertige Funktionen mit
1/p, V, r ∈ L1lok (I), das heißt sie sind über jedes
kompakte Teilintervall von I integrierbar.
(2): p(x) > 0 , r(x) > 0 für fast alle x ∈ I.
Mit diesen recht allgemeinen Voraussetzungen ist es oft
technisch sehr aufwendig und langwierig, die Theorie der
Sturm–Liouville–Operatoren zu entwickeln, und es ist
dann verlockend von folgenden wesentlich stärkeren Voraussetzungen auszugehen:
(1� ): V, r sind stückweise stetige reellwertige Funktionen
auf I, p ist stetig und stückweise differenzierbar.
(2� ): Es gilt r(x) > 0 und p(x) �= 0 für alle x ∈ I.
Die zusätzlichen Einschränkungen betreffen nur das Verhalten der Koeffizienten im Innern von I. In vielen Anwendungen sind die Koeffizienten dort hinreichend regulär und bereiten keine Probleme. Was beiden Sätzen
an Voraussetzungen gemein und damit also wichtig ist:
Es wird beliebig singuläres Verhalten am Rand von I
zugelassen.
Ist Φ : I ≡ (a, b) −→ C meßbar und z ∈ C, so
heißt eine Funktion Ψ : I −→ C eine Lösung von
(OSL − z)Ψ = Φ, wenn Ψ und p∂x Ψ absolut stetig sind
und −∂x (p∂x Ψ)(x) + (q(x) − zr(x))Ψ(x) = r(x)Φ(x) für
fast alle z ∈ I.
Wir führen folgenden Hilbert–Raum ein:
�
df �
L2 (I, r) = Ψ : I −→ C : Ψ meßbar , r|Ψ|2 ∈ L1 (I)
mit dem Skalarprodukt und der Norm
�
df
�Ψ, Φ�r =
dx (ΨΦr) (x) ,
df
�Ψ�r =
I
�
�Ψ, Ψ�r .
(190)
Der maximale durch OSL erzeugte Operator T ist definiert durch
�
df
D(T ) = Ψ ∈ L2 (I, ∇) : Ψ und p∂x Ψ absolut stetig
�
in I , OSL Ψ ∈ L2 (I, r)
T Ψ = OSL Ψ .
Der minimale durch OSL erzeugte Operator T0� ist die
Einschränkung von T auf
�
�
df
D(T0� ) = f ∈ D(T ) : Ψ hat kompakten Träger in I .
Der minimale Operator T0� besitzt selbstadjungierte Fortsetzungen, die auch als selbstadjungierte Realisierungen von OSL bezeichnet werden.
Um dies verständlicher zu machen, benötigen wir
einen allgemeinen Existenz– und Eindeutigkeitssatz für
gewöhnliche lineare Differentialgleichungen: Gegeben sei
das Anfangswertproblem (AWP)
∂x y(x) = a(x)y(x) + h(x) , x ∈ I ,
y(x0 ) = y0 , x0 ∈ I , y0 ∈ Cn ,
(191)
54
wobei y, h : I −→ Cn und a : I −→ GL(n, C), und die
üblichen Meßbarkeitsanforderungen gelten. Eine Funktion nennen wir eine Lösung von (191), wenn jede Komponente absolut stetig ist und das (AWP) für fast alle
x ∈ I erfüllt ist.
Dieses (AWP) ist gewissermaßen das Rollenmodell für
Sturm–Liouville–Probleme, was wir alsbald zeigen. Zuvor
nehmen wir diese Aussage hin als Motivation, um die
folgenden grundsätzlichen Aussagen zu studieren.
y(x) , x ∈ I(x0 , η). Dieser Fixpunkt löst das Anfangswertproblem in I(x0 , η). Das Verfahren kann nun an den
Rändern von I(x0 , η) fortgesetzt werden, das heißt, das
gleiche Verfahren kann in I(x0 − η, η) und I(x0 + η, η)
vollzogen werden, usw. Da I(x0 , eta) ∩ I(x0 ± η, η) �= {0}
und die Fixpunkte jeweils eindeutig sind, erhalten wir so
schließlich eine eindeutige Lösung in I.
Die Beweise der Aussagen (b) & (c) bleiben Ihnen beziehungsweise Ihrem Selbststudium überlassen. ∗–< [{; 0)
Satz IX.1 (a): Im Anfangswertproblem (AWP) seien
|a| , |h| lokal integrierbar in I Dann existiert für
jedes x0 ∈ I und jedes y0 ∈ Cn genau eine Lösung.
Sind a, h stetig, so ist y stetig differenzierbar.
Es folgt nun die angepriesene verwandtschaftliche Beziehung zwischen (AWP) und dem Sturm–Liouville–
Anfangswertproblem.
(b): Seien aj : I −→ Cn×n , j ∈ {1, 2} meßbar und lokal
integrierbar. Gilt a = a1 + za2 mit z ∈ C, so ist
die Lösung yz (x) , x ∈ I von (AWP) eine ganze
Funktion von z.
(c): Gilt aj −→ a, hj −→ h in L1lok (I) und y0 j −→ y0 ,
so konvergiere die entsprechenden Lösungen yn in
I lokal gleichmäßig gegen die Lösung y.
Beweis IX.1 Sind die Koeffizienten von (AWP) stückweise stetig auf I = (a, b) und ersetzen wir in (c) die
L1lok –Konvergenz durch gleichmäßige Konvergenz, so ist
der Satz Ihnen vermutlich aus der klassischen Theorie
gewöhnlicher linearer Differentialgleichungen bekannt.
(a) Die Idee zum Beweis dieser Aussage fußt auf einer
lokalen Fixpunktkonstruktion. Lokal deswegen, weil verankert um den Anfangswert es gelingt, eine Kontraktion
zu konstruieren, deren Fixpunkt das (AWP) lokal eindeutig löst. Die Konstruktion kann dann sukzessive auf
I erweitert werden.
Das Anfangswertproblem (AWP) ist äquivalent zur Integralgleichung
� x
y(x) = y0 +
dt [a(t)y(t) + h(t)] .
(192)
x0
Sei I(x, η) := [x − η, x + η] , x ∈ I , η > 0. Wir wählen
η > 0 so, daß gilt:
�
dt |a(t)| ≤ q < 1 .
I(x0 ,η)
Nun betrachten wir die Integralgleichung in dem Banachraum C(I(x0 , η)) mit der Maximumnorm � ◦ �∞ . In diesem Raum ist die Abbildung B mit
� x
df
Bu(x) = y0 +
dt [a(t)y(t) + h(t)] , x ∈ I(x0 , η)
x0
eine Kontraktion, denn
�Bu − Bv�∞ ≤ �u − v�∞
�
I(x0 ,η)
≤ q�u − v�∞ .
dt |a(t)|
(193)
Mit dem Fixpunktsatz von Banach folgt somit, daß B
einen eindeutig bestimmten Fixpunkt y hat, also By(x) =
Lemma IX.1 Der Sturm–Liouville Differentialausdruck
OSL erfülle die obigen Voraussetzungen {(1), (2)} oder
{(1� ), (2� )}. Ist Φ : I −→ C meßbar und rΦ ∈ L1lok (I),
so ist für beliebige z ∈ C und (y0 , y1 ) ∈ C2 das Anfangswertproblem
(OSL − z) Ψ = Φ ,
Ψ(x0 ) = y0 , (p∂x Ψ) (x0 ) = y1
(194)
eindeutig lösbar. Die Lösung Ψz (x) ist für jedes x ∈
I eine ganze Funktion von z. Letzteres gilt auch für
(p∂x Ψz )(x).
Der Beweis ergibt sich aus der Äquivalenz von dem Anfangswertproblem (194) mit (AWP). Die Äquivalenz ist
rasch etabliert:
�
�
� �
� �
Ψ
y0
0
y=
, y(x0 ) =
,h =
,
p∂x Ψ
y1
rΦ
�
�
0
1/p
a=
.
(195)
V − zr 0
Die Lösungen der homogenen GLeichung (OSL −z)U = 0
bilden einen zwei–dimensionalen Vektorraum über dem
komplexen Zahlenkörper. Zwei Lösungen U1 , U2 bilden
genau dann ein Fundamentalsystem, wenn die (modifizierte) Wronskideterminante
�
�
U1 (x)
U2 (x)
df
W(U1 , U2 ) = det
(196)
p∂x U1 (x) p∂x U2 (x)
nicht verschwindet. Beachten Sie, daß die Determinante
nicht von x abhängt. Zeigen Sie das ruhig.
Ist Φ : I −→ C so, daß rΦ lokal integrierbar ist, und
ist U1 , U2 ein Fundamentalsystem von (OSL −z)U = 0, so
sind alle Lösungen Ψ von (OSL −z)Ψ = Φ folgendermaßen
gegeben:
Ψ(x) = c1 U1 (x) + c2 U2 (x) +
� x
�
1
+
U1 (x)
dt r(t)U2 (t)Φ(t) +
W(U1 , U2 )
�c x
�
−U2 (x)
dt r(t)U1 (t)Φ(t) ,
c
(197)
wobei c1 , c2 ∈ C, c ∈ I.
55
Def. IX.1 Seien Ψ, Φ : I ≡ (a, b) −→ C absolut stetige Funktionen, für die p∂x Ψ und p∂x Φ stetig sind. Die
Lagrange–Klammer von Ψ mit Φ für x ∈ I ist definiert
als
df
[Ψ, Φ]x = Ψ(x) (p∂x Φ) (x) − (p∂x Ψ) (x)Φ(x) . (198)
Offenbar gilt speziell für Lösungen Ψ, Φ von (OSL −z)U =
0, daß [Ψ, Φ]x = W(Ψ, Φ)(x).
Satz IX.2 (a): Sind Ψ, Φ : I = (a, b) −→ C und
p∂x Ψ, p∂x Φ absolut stetig, so gilt für J = [α, β] ⊂
I die Lagrange–Identität
�
�
�
OSL Ψ(x)Φ(x) − Ψ(x)OSL Φ(x) r(x) =
J
β
= [Ψ, Φ]β − [Ψ, Φ]α =: [Ψ, Φ]α .
(199)
Es ist instruktiv, zunächst sogenannte reguläre Operatoren zu betrachten. OSL heißt regulär bei a, wenn
a > −∞ ist, und die Funktionen 1/p, V, r (neben den obigen allgemeinen Voraussetzungen) über [a, c] integrierbar
sind für ein (dann alle) c ∈ I. Der Operator OSL heißt
regulär bei b, wenn b < ∞ ist und 1/p, V, r über [c, b]
integrierbar sind für ein (dann alle) c ∈ I. OSL heißt
regulär, wenn er bei a und b regulär ist. OSL heißt singulär bei a (bzw. b) wenn er bei a (bzw. b) nicht regulär ist. OSL heißt singulär, wenn OSL nichr regulär
ist. Diese Flut von Begriffsbildungen sind der Gültigkeit
des folgenden Satzes gebührend geschuldet.
Satz IX.3 Sei OSL regulär bei a, z ∈ C, Φ : I −→ C
meßbar und rΦ über I � := (a, c) integrierbar für c ∈ I,
zum Beispiel Φ ∈ L2 (I � , r).
(a): Für jede Ls̈ung Ψ von (OSL − z)Ψ = Φ existieren
die folgenden Grenzwerte:
Sind Ψ, Φ ∈ D(T ), so existieren folgende Grenzwerte:
df
df
df
Ψ(a) = lim Ψ(x) , p∂x Ψ(a) = lim p∂x Ψ(x) .(201)
x→a+
x→a+
df
[Ψ, Φ]b = lim [Ψ, Φ]x , [Ψ, Φ]x = lim [Ψ, Φ]x (200)
,
x→b−
x→b−
und es gilt
b
�T Ψ, Φ�r − �Ψ, T Φ�r = [Ψ, Φ]a .
(b): Ist λ ∈ R und U eine Ls̈oung von (OSL − λ)U = 0,
so gilt [U, U ]x = W(Ū , U ) = 0 genau dann, wenn
U komplexes Vielfaches einer reellen Lösung ist.
Beweis IX.2 (a): Gleichung (199) folgt direkt durch
partielle Integration. Aus (199) folgt die Existenz
der Grenzwerte in (200) und Gleichung (201) durch
Grenzübergang α −→ a+ und β −→ b−.
�
�
(b): Es ist [U, U ]x = 2i� Ū p∂x U . Dieser Wert ist genau dann Null, wenn die Funktionen U und p∂x U
in einem reellen Verhältnis stehen. Dies gilt genau
dann, wenn U bis auf einen komplexen Vorfaktor
eine reelle Lösung ist
Das war es auch schon. ∗–< [{; 0)
(b): Für beliebige c0 , c1 ∈ C gibt es genau eine Lösung
von (OSL − z)Ψ = Φ mit Ψ(a) = c0 und p∂x Ψ(a) =
c1 .
(c): Ist OSL auch bei b regulär, so gilt: Für beliebige
c0 , c1 , d0 , d1 ∈ C gibt es ein (nicht eindeutig bestimmtes) Ψ ∈ D(T ) mit Ψ(a) = c0 , p∂x Ψ(a) = c1
und Ψ(b) = d0 , p∂x Ψ(b) = d1 .
Die Aussage des Satzes ist, daß für Elemente Ψ ∈ D(T )
im regulären Fall Ψ und p∂x Ψ stetig auf [a, b] fortsetzbar
sind. Die Funktion ∂x Ψ selbst kann im allgemeinen nicht
stetig in die Randpunkte fortgesetzt werden.
Beweis IX.3 (a): Ergibt sich aus Lemma IX.1, das in
diesem Fall bis zu den Randpunkten anwendbar ist.
(b): Ergibt sich aus Lemma IX.1, das in diesem Fall bis
zu den Randpunkten anwendbar ist.
(c):
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