Thromboseprophylaxe: Routineeinsatz bei internistischen Patienten

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Thromboseprophylaxe: Routineeinsatz bei internistischen
Patienten fragwürdig
Frage:
Reduziert die Thromboembolieprophylaxe mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin die
Gesamtmortalität von akuten internistischen Patienten?
Hintergrund:
Die routinemässige Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularem Heparin für
chirurgischen Patienten ist eine bewährte Praxis und es gibt Evidenz dafür, dass diese
Prophylaxe sowohl die Rate an tödlichen Thromboembolien als auch die Gesamtmortalität
senkt. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch internistische Patienten, die akut hospitalisiert
werden, von einer derartigen Prophylaxe profitieren würden. Bisherige Studien lieferten
widersprüchliche Daten. Mehrere davon legten nahe, dass das Risiko für venöse
Thromboembolien sowie für asymptomatische tiefe Beinvenenthrombosen bei internistischen
Akutpatienten um rund 45% sinkt. Die Ergebnisse der doppelblinden, placebokontrollierten,
randomisierten Studie zur Dosisfindung bei diesen Patienten ergaben, dass eine 40-mg-Dosis
Enoxaparin zudem die Gesamtmortalität um 25% reduzierte. Dahingegen zeigte eine
Metaanalyse von fünf Studien lediglich eine Reduktion der Inzidenz kardiopulmonal bedingter
Todesfälle, während die Gesamtmortalität durch die Thromboembolieprohylaxe unbeeinflusst
blieb.
Einschlusskriterien:
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Männer und Frauen ab dem 40. Lebensjahr, die zum Zeitpunkt der Randomisierung
innerhalb der letzten 48 Stunden aus einem der folgenden Gründe hospitalisiert worden
waren:
– akut dekompensierte Herzinsuffizienz, aktives Malignom
– schwere systemische Infektion mit Vorliegen einer der folgenden Komorbiditäten:
 Alter über 60 Jahre
 BMI über 30
 chronische Lungenerkrankung (COPD, Lungenfibrose, andere restriktive
Lungenerkrankung)
 anamnestische venöse Thromboembolie
Voraussichtliche Dauer des stationären Aufenthalts von mindestens sechs Tagen
Mittlerer Schweregrad der Erkrankung, d.h. «American Society of Anestiologists health
status score» kleiner/gleich 3 resp. im Fall von onkologischen Patienten «Eastern
Cooperative Oncology Group performance status score» kleiner/gleich 2
Ausschlusskriterien:
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Geplante Hospitalisierung zur Chemotherapie bei onkologischen Patienten, operativer
Eingriff oder Trauma innerhalb der vergangenen sechs Wochen, Lumbalpunktion resp.
spinale oder epidurale Anästhesie innerhalb der vergangenen 24 Stunden, Intubierter
Patient, Multiorganversagen, zerebrovaskuläres Ereignis bei Studieneinschluss resp.
innerhalb der vergangenen zehn Tage und eine Reihe anderer Faktoren.
Studiendesign und Methode:
Doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte Multizenterstudie
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Studienort:
Internistische Akutkliniken in China, Indien, Korea, Malaysia, Mexiko, Philippinen und
Tunesien
Intervention:
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Subkutane Injektion alle 20–24 Stunden während 6–14 Tagen
– Verumgruppe: 40 mg Enoxaparin
– Placebogruppe: 0,9-prozentige Kochsalzlösung
Stützstrümpfe mit graduiertem Kompressionsdruck von 15 mmHg am Knöchel und 10
mmHg für beide Interventionsgruppen
Outcome:
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Primärer Endpunkt bezogen auf die Wirksamkeit der Behandlung: Absolute Mortalitätsrate
von Studieneinschluss bis Tag 30
Primärer Endpunkt bezogen auf die Sicherheit der Behandlung: Rate schwerwiegender
Blutungskomplikationen
Sekundäre Endpunkte: Mortalitätsraten im Zeitraum vom Studieneinschluss bis Tag 14 resp.
90; Rate kardiopulmonaler Todesursachen sowie kombinierte Rate plötzlicher Todesfälle
und Lungenembolien im Zeitraum vom Studieneinschluss bis Tag 14 resp. 30 und 90; Rate
klinisch relevanter, nicht schwerwiegender Blutungen, die zum Absetzen der Medikation
führten, Gesamtrate nicht schwerwiegender Blutungen, Rate unerwünschter
Behandlungsnebenwirkungen, Rate von Thrombozytopenien und HIT im Zeitraum vom
Studieneinschluss bis Tag 90
Resultat:
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Ausgewertet wurden die Daten von 8307 Patienten, davon 37,3% Frauen. 4174 erhielten
das Verum Enoxaparin, 4145 Placebo; mittleres Alter: 65 Jahre.
Grund für die Hospitalisation war in 64,4% der Fälle eine schwere systemische Infektion,
davon rund die Hälfte (49,8%) aufgrund einer chronischen Lungenerkrankung.
Hinsichtlich sämtlicher primärer und sekundärer Endpunkte, die sich auf die Wirksamkeit
der Prophylaxe beziehen, liessen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen
der Verum- und der Placebogruppe feststellen.
Schwerwiegende Blutungskomplikationen traten bei 16 Patienten der Enoxaparingruppe
(0,4%) und 11 Patienten (0,3%) der Placebogruppe auf, der Unterschied war nicht
signifikant. Nicht schwerwiegende Blutungen traten in der Enoxaparingruppe bei 73
Patienten (1,8%) auf, in der Placebogruppe bei 47 (1,1%). Dieser Unterschied war
signifikant. Daraus ergab sich eine signifikant höhere Gesamtblutungsrate bei Patienten
unter Enoxaparin gegenüber Placebo (2,2% vs. 1,5%; p=0,01).
Kommentar:
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Nach den vorliegenden Studienergebnissen scheinen internistische Akutpatienten im
Gegensatz zu chirurgischen Patienten keinen Überlebensvorteil durch die
Thromboembolieprophylaxe mit Enoxaparin zu haben.
Die Autoren sehen darin einen Hinweis darauf, dass sich der natürliche Verlauf venöser
Thromboembolien bei hospitalisierten internistischen Patienten per se vom Verlauf bei
chirurgischen Patienten unterscheiden könnte, so dass sich die Wirkung der
medikamentösen Prophylaxe bei ihnen nicht gleich entfaltet.
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Eine andere mögliche Erklärung ist die vergleichsweise hohe Multimorbidität von
internistischen Patienten, was dazu führt, dass bei ihnen andere Erkrankungen bereits zum
Tod führen, bevor durch die Immobilisierung während der Hospitalisierung eine
Thromboembolie eintritt. Somit würde eine Reduktion tödlicher Thromboembolien die
Gesamtmortalität nicht signifikant senken können. Es ist fraglich inwiefern ein
prophylaktischer Routineeinsatz unter derartigen epidemiologischen Voraussetzungen zu
rechtfertigen ist.
Eine Limitation der Studie ist ihre reduzierte statistische Power: Die Studie war darauf
ausgelegt, eine allfällige Reduktion der Gesamtsterblichkeit um 25% durch den Wirkstoff
Enoxaparin mit 90-prozentiger Sicherheit (statistische Power) zu zeigen. Weil der
Placeboeffekt bei der initialen statistischen Powerkalkulation überschätzt worden war,
verringerte sich die statistische Aussagekraft der Studienergebnisse jedoch.
Literatur:
LIVENOX investigators; Kakkar AK, Cimminiello C, et al.: Low-molecular-weight heparin and
mortality in acutely ill medical patients. N Engl J Med 2011; 365(26): 2463–2472.
Verfasser:
Dr. med. Sima Djalali
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