1. Einleitung - Seelensammler.de

Werbung
Psychische Störungen
ZUSAMMENFASSUNG
DER EMPFOHLENEN KAPITEL
ZUR VORLESUNG
PSYCHISCHE STÖRUNGEN
GELESEN VON A.LAIREITER ®
SS/05
CONCEPT & TEXT (in alphabetischer Reihung)
© Dani (Schlafstörungen und Störungen durch psychotrope Substanzen)
© Jenny(Sexualstörungen und Dissoziative Störungen)
© JO (Schizophrenie und Essstörungen)
© Judith (Depression und Angststörungen)
© Rene (Wahrnehmungsstörungen und Gedächtnisstörungen)
TEXT REVISION © RENE
Post skriptum:
Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Tippselfehler - Freiheit ;-)
Bezug auf: U. Baumann & M. Perrez (Hrsg.), Lehrbuch: Klinische Psychologie –
Psychotherapie, 2. überarbeitete Aufl., Hans Huber Verlag, 1998
1
Psychische Störungen
2
26. WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN
11
26.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
11
1. BEDEUTUNG DER WAHRNEHMUNG
11
2. KLASSIFIKATION
2.1 SEHEN
2.2 HÖREN
2.3 TASTEN
2.4 RIECHEN UND SCHMECKEN
11
12
12
13
13
3. DIAGNOSTIK
13
26.2 ÄTIOLOGIE/BEDINGUNGSANALYSE
14
1. EINLEITUNG
2. WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN IN ABHÄNGIGKEIT VOM ORT DER SCHÄDIGUNG
2.1 VISUELLE WAHRNEHMUNGSLEISTUNGEN
2.2 HÖREN
2.3 TASTEN
2.4 RIECHEN UND SCHMECKEN
14
14
14
15
15
15
3. WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN IN ABHÄNGIGKEIT VON DER ÄTIOLOGIE
3.1 ZEREBROVASKULÄRE ERKRANKUNGEN
3.2 TRAUMATISCHE LÄSIONEN
3.3 ZEREBRALE HYPOXIE
3.4 HIRNTUMORE
3.5 DEGENERATIVE ERKRANKUNGEN
3.6 SCHIZOPHRENIE UND AFFEKTIVE STÖRUNGEN
16
16
16
16
16
17
17
3.7 ZUR ÄTIOLOGIE SUBJEKTIVER WAHRNEHMUNGSSYMPTOME
18
4. DIE BEDEUTUNG VON WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN FÜR ERLEBEN UND VERHALTEN
18
26.3 INTERVENTION
19
1. EINLEITUNG
2. KOMPONENTEN DER BEHANDLUNG VON WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN
19
19
3. THERAPEUTISCHE MÖGLICHKEITEN ZUR BEHANDLUNG VON WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN
4. AUSBLICK
19
20
27. GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN
21
27.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
21
1. EINLEITUNG: WAS IST GEDÄCHTNIS?
21
Psychische Störungen
3
2. KLASSIFIKATION
2.1 LEISTUNGSKOMPONENTEN UND IHRE STÖRUNGEN
2.2 WICHTIGE BEISPIELE FÜR AMNESIEN DES TYPS A UND B
3. DIAGNOSTIK
22
22
23
23
27.2 ÄTIOLOGIE/BEDINGUNGSANALYSE
24
1. EINLEITUNG
24
2. UNTERSCHIEDLICHE BEDEUTUNGEN UND URSACHEN FÜR VERGESSEN
3. DIE URSACHEN VON GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN
3.1 FALLBEISPIELE ZUR ANTEROGRADEN AMNESIE
3.2 DER STELLENWERT EPISODISCHER INFORMATION
3.3 DER UNTERSCHIED ZWISCHEN ERINNERN UND WISSEN UND DAS FALLBEISPIEL K.C.
3.4 AMNESTISCHE STÖRUNGEN UND DIE WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN EPISODISCHEM UND
SEMANTISCHEM GEDÄCHTNIS
3.5 AMNESTISCHE STÖRUNGEN UND DIE BEDEUTUNG DES EXPLIZITEN UND IMPLIZITEN
GEDÄCHTNISSES
24
25
25
26
26
4. GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN ALS URSACHE FÜR ANDERE PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN
HEMMUNGSAUSMAß
5. DIE ÄTIOLOGIE VON GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN AUS NEUROPSYCHOLOGISCHER SICHT
5.1 AMNESIEN VOM TYP A
5.2 AMNESIEN VOM TYP B
27
28
28
28
29
27.3 INTERVENTION
29
1. EINLEITUNG
2. INTERVENTIONSZIELE
29
30
3. INTERVENTIONSMETHODEN
3.1 KLASSIFIKATION DER METHODEN
3.2 VERÄNDERUNGEN DER UMWELT UND EXTERNE GEDÄCHTNISHILFEN
3.3 STIMULATION
3.4 TRAINING VON STRATEGIEN DER INFORMATIONSVERARBEITUNG
3.5 TECHNIKEN ZUM ERWERB NEUEN WISSENS
3.6 FÖRDERUNG VON METAKOGNITIVEM WISSEN UND ASPEKTEN DES PROBLEMLÖSENS
30
30
31
32
32
34
34
4. SCHWERPUNKTE ZUKÜNFTIGER FORSCHUNG
34
32. SCHLAFSTÖRUNGEN
35
32.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
35
1. KLASSIFIKATION
2. DIAGNOSTIK
35
37
26
27
Psychische Störungen
4
32.2 ÄTIOLOGIE/BEDINGUNGSANALYSE
38
1. EIN DESKRIPTIVES MODELL ZUR EINORDNUNG VON SCHLAFSTÖRUNGEN
2. AUSLÖSENDE BEDINGUNGEN VON SCHLAFSTÖRUNGEN
2.1 BIOLOGISCHE BEDINGUNGEN
2.2 PSYCHODYNAMISCHE BEDINGUNGEN
2.3 KOGNITIVE UND VERHALTENSORIENTIERTE BEDINGUNGEN
38
38
38
39
39
3. AUFRECHTERHALTENDE BEDINGUNGEN VON SCHLAFTSTÖRUNGEN
4. GESTÖRTER SCHLAF ALS BEDINGUNG FÜR ANDERE PSYCHISCHE STÖRUNGEN
4.1 DAS ZWEI-PROZESS-MODELL DER SCHLAFREGULATION (BORBÉLY, 1987)
4.2 DIE CHRONOBIOLOGISCHE „PHASE-ADVANCE“ HYPOTHESE
40
40
41
41
32.3 INTERVENTION
42
1. EINLEITUNG
42
2. MEDIKAMENTE
3. ENTSPANNUNGSVERFAHREN
4. STIMULUS- UND BETTZEITKONTROLLE
5. PARADOXE INTENTION
6. PSYCHODYNAMISCH ORIENTIERTE INTERVENTION
7. KOGNITIV-VERHALTENSORIENTIERTE INTERVENTIONEN
8. ABSCHLIEßENDE BEMERKUNG
42
42
43
44
44
44
45
33. ESSSTÖRUNGEN
45
33.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
45
1. EINLEITUNG
2. SYMPTOMATIK UND KLASSIFIKATION
2.1 ANOREXIA NERVOSA
2.1.2 DIAGNOSTISCHE KRITERIEN FÜR ANOREXIA NERVOSA IM DSM IV
2.1.3 DIAGNOSE IM ICD – 10
2.1.4 DIFFERENTIALDIAGNOSE BEI ANOREXIA NERVOSA
2.1.5 MEDIZINISCHE FOLGEPROBLEME DER ANOREXIA NERVOSA
2.2 BULIMIA NERVOSA
2.2.1 DIAGNOSTISCHE KRITERIEN FÜR BULIMIA NERVOSA NACH DSM – IV
2.2.2 DIAGNOSE IM ICD – 10
2.2.3 DIFFERENTIALDIAGNOSE DER BULIMIA NERVOSA
2.2.4 MEDIZINISCHE FOLGEPROBLEME DER BULIMIA NERVOSA
2.3 BINGE – EATING – STÖRUNG
2.3.1 FORSCHUNGSKRITERIEN FÜR DIE BINGE – EATING – STÖRUNG NACH DSM – IV
45
45
45
45
46
46
47
47
47
48
48
49
49
49
3. DIAGNOSTIK
3.1 EATING DISORDER INVENTORY (EDI)
50
50
Psychische Störungen
5
3.1 DIAGNOSTISCHE VERFAHREN
50
33.2 ÄTIOLOGIE/BEDINGUNGSANALYSE
51
1. EINLEITUNG: EPIDEMIOLOGISCHE BEFUNDE
51
2. GENETISCHE PRÄDISPOSITION
3. PHYSIOLOGISCHE UND BEHAVIORALE FAKTOREN
3.1. PERSONEN MIT „GEZÜGELTEN ESSSTIL“ (RESTRAINED EATERS)
3.2 PHYSIOLOGISCHE AKTIVIERUNGEN
52
52
52
53
4. SOZIALISATION
5. SOZIOKULTURELLE EFFEKTE
6. BELASTUNGSFAKTOREN
7. SCHLUSSBEMERKUNG
54
54
55
55
33.3 INTERVENTION
56
1. EINLEITUNG
2. KOGNITIV – BEHAVIORALE BEHANDLUNGSKONZEPTE
2.1 ERNÄHRUNGSUMSTELLUNG
2.2 THERAPIE VON KÖRPERSCHEMASTÖRUNGEN
2.3 THERAPIE VON BELASTUNGSREAKTIONEN
56
56
56
57
58
3. INTERPERSONELLE THERAPIE
4. WIRKSAMKEIT DER PSYCHOTHERAPIE
59
60
34. STÖRUNGEN DURCH PSYCHOTROPE SUBSTANZEN
60
34.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
60
1.KLASSIFIKATION
60
2. DIAGNOSTIK
61
34.2 ÄTIOLOGIE / BEDINGUNGSANALYSE
62
1. EINLEITUNG
2. GENETISCHE BEDINGUNGEN
3. BIOLOGISCH-PSYCHOLOGISCHE KONZEPTE
3.1 BIOCHEMISCHE ASPEKTE VON SÜCHTEN:
3.2 NEUROPHYSIOLOGISCHE VERSTÄRKERWIRKUNG VON DROGEN:
3.3 DAS OPPONENTEN-PROZESS-MODELL
3.4 EIN PSYCHOPHYSIOLOGISCHER INDIKATOR FÜR ALKOHOLISMUS
62
63
63
63
64
64
65
4. LERNTHEORETISCHE KONZEPTE
5. SOZIALISATIONSEINFLÜSSE
65
66
Psychische Störungen
6
5.1 MILIEU- VS FAMILIÄRBEDINGTER ALKOHOLISMUS
5.2 PERSÖNLICHKEITSFAKTOREN
66
67
6.SOZIOLOGISCHE BEDINGUNGSFAKTOREN
67
7. SOZIALPROTEKTIVE BEDINGUNGFAKTOREN
68
34.3 INTERVENTION
68
1. SYMPTOMATIK
2.1 SYMPTOMATIK
2.2 MOTIVATION ZU BEHANDLUNG
2.3 RÜCKFALL UND RÜCKFALLPRÄVENTION
2.4 THERAPEUTISCHE VERSORGUNGSSTRUKTUR
2.5 THERAPEUTISCHE KONZEPTE UND MAßNAHMEN
2.5.1 MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNG
2.5.2 PSYCHOTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNG
2.5.3 SOZIOTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNG
68
68
69
70
71
72
72
72
72
3. BEHANDLUNG VON ALKOHOLABHÄNGIGEN
3.1 THERAPEUTISCHE MAßNAHMEN UND PROGRAMME
3.2 ERGEBNISSE
72
72
74
4. BEHANDLUNG VON DROGENABHÄNGIGEN
4.1 THERAPEUTISCHE MAßNAHMEN UND PROGRAMME
4.2 ERGEBNISSE:
74
74
76
35. SCHIZOPHRENIE
76
35.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
76
1. KLASSIFIKATION
76
2. DIAGNOSTIK
77
35.2 ÄTIOLOGIE/BEDINGUNGSANALYSE
79
1. EPIDEMIOLOGISCHE BEFUNDE
2. GENETIK
3. BIOLOGISCHE FAKTOREN
3.1 BIOCHEMISCHE FAKTOREN
3.2 PSYCHOPHYSIOLOGISCHE FAKTOREN
80
80
80
80
81
4. NEUROKOGNITIVE DEFIZITE
5. PSYCHOSOZIALE FAKTOREN
5.1 PRÄMORBIDE SOZIALISATIONSBEDINGUNGEN
5.2 PSYCHOSOZIALE BELASTUNGEN
82
82
82
83
6. AUSBLICK
84
Psychische Störungen
35.3 INTERVENTION
7
84
1. BEHANDLUNGSANSÄTZE IM VERLAUF SCHIZOPHRENER ERKRANKUNGEN
84
2. BEHANDLUNG AKUT PSYCHOTISCHER EPISODEN
85
2.1 ANTIPSYCHOTISCHE MEDIKATION
85
2.2 PSYCHOSOZIALE MAßNAHMEN
86
2.2.1 DER EINFLUSS DES STATIONSKLIMAS AUF DEN VERLAUF DER SCHIZOPHRENEN SYMPTOMATIK:
87
2.2.2 WIRKUNG DER PSYCHOTHERAPIE BEI DER BEHANDLUNG SCHIZOPHRENER
87
3. LÄNGERFRISTIGE BEHANDLUNGSMAßNAHMEN FÜR SCHIZOPHRENE PATIENTEN
3.1 PHARMAKOTHERAPIE
3.2 PSYCHOSOZIALE MAßNAHMEN
3.2.1 STATIONÄRE BEHANDLUNG CHRONISCH SCHIZOPHRENER PATIENTEN
3.2.2 MAßNAHMEN GEGEN RÜCKFÄLLE UND CHRONIFIZIERUNG
87
88
88
88
89
36. DEPRESSIVE STÖRUNGEN
90
36.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
90
1.KLASSIFIKATION
2. DIAGNOSTIK
90
91
36.2 ÄTIOLOGIE / BEDINGUNGSANALYSE
91
1.EINLEITUNG
2. BIOLOGISCHE FAKTOREN
2.1 GENETISCHE ANSÄTZE
2.2 NEUROBIOLOGISCHE ANSÄTZE
91
92
92
92
3. PSYCHOSOZIALE FAKTOREN
3.1 KRITISCHE LEBENSEREIGNISSE
3.2 BELASTENDEN UND DEFIZITÄRE UMFELDBEDINGUNGEN
3.3 UNGÜNSTIGE UMWELTEINFLÜSSE IM ENTWICKLUNGSVERLAUF
92
92
93
93
4. PSYCHOLOGISCHE FAKTOREN
4.1 KOGNITIV-PSYCHOLOGISCHE ANSÄTZE
4.1.1 DIE ANSÄTZE VON BECK UND SELIGMAN
4.1.2 ANDERE KOGNITIV ORIENTIERTE ANSÄTZE
4.2 VERHALTENSPSYCHOLOGISCH-INTERPERSONELLE ANSÄTZE
4.3 PERSÖNLICHKEITSORIENTIERTE ANSÄTZE
93
93
94
94
95
95
5. ERGÄNZENDE ASPEKTE: KOMORBIDITÄT, DEMOGRAPHISCHE MERKMALE
6. SCHLUßBEMERKUNGEN
96
96
36.3 INTERVENTION
96
Psychische Störungen
8
1. EINLEITUNG
96
2. VERHALTENSORIENTIERTE ANSÄTZE IN DER DEPRESSIONSTHERAPIE
2.1 DER ANSATZ VON LEWINSOHN
2.2 DER ANSATZ VON WOLPE
97
97
98
3. KOGNITIV ORIENTIERTE ANSÄTZE IN DER DEPRESSIONSTHERAPIE
3.1 DER ANSATZ VON BECK:
3.2 DER ANSATZ VON SELIGMAN:
98
99
99
4. SELBSTKONTROLL- UND STRESSBEWÄLTIGUNGSANSÄTZE IN DER DEPRESSIONSTHERAPIE 100
4.1 DER ANSATZ VON REHM
100
4.2 DER ANSATZ VON MCLEAN
100
5. INTERPERSONELL ORIENTIERTE ANSÄTZE IN DER DEPRESSIONSTHERAPIE: ANSATZ VON
KLERMAN UND WEISSMAN
101
6. ZUR PRAKTISCHEN DURCHFÜHRUNG UND EFFIZIENZ DER NEUEREN PSYCHOLOGISCHEN
DEPRESSIONSTHERAPIEN:
7.ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN
102
102
37. ANGSTSTÖRUNGEN
103
37.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
103
1. NORMALE UND PATHOLOGISCHE ANGST
2. KLASSIFIKATION
2.1 DIE PHOBISCHEN STÖRUNGEN
2.2 PANIKSTÖRUNGEN UND GENERALISIERTE ANGSTSTÖRUNG
2.3 WEITERE ANGSTSTÖRUNGEN
103
103
104
104
105
3. DIAGNOSTIK
3.1 DIFFERENTIALDIAGNOSTIK
3.2 SELBST- UND FREMDBEURTEILUNGSVERFAHREN
3.3 TAGEBÜCHER
106
106
106
107
4. SCHLUSSBEMERKUNGEN
107
37.2 ÄTIOLOGIE/BEDINGUNGSANALYSE
107
1. ÄTIOLOGIE VON ANGSTSTÖRUNGEN
2. PANIKSTÖRUNGEN (PS) UND AGORAPHOBIE
2.1 PHÄNOMENOLOGIE UND DIFFERENTIALDIAGNOSE
2.2 BIOLOGISCHE ANSÄTZE ZUR ENTSTEHUNG UND AUFRECHTERHALTUNG DER PS
2.3 PSYCHOLOGISCHE ANSÄTZE
2.3.1 ZUR ENTSTEHUNG UND AUFRECHTERHALTUNG DER PS
2.3.2 ERKLÄRUNGSANSÄTZE BEI DER AGORAPHOBIE
2.4 ÄTIOLOGISCHE AUSSAGEN AUS EPIDEMIOLOGISCHEN BEFUNDEN
2.5 SCHLUSSFOLGERUNGEN
107
108
108
109
110
110
111
112
113
3. GENERALISIERTE ANGSTSTÖRUNG (GAS)
114
Psychische Störungen
9
3.1 PHÄNOMENOLOGIE
3.2 BIOLOGISCHE ANSÄTZE
3.3 PSYCHOLOGISCHE ANSÄTZE
3.4 ÄTIOLOGISCHE AUSSAGEN AUS EPIDEMIOLOGISCHEN STUDIEN
114
114
115
117
4. SOZIALE PHOBIE
4.1 PHÄNOMENOLOGIE UND DIFFERENTIALDIAGNOSE
4.2 ENTSTEHUNGSMODELLE BEI DER SOZIALEN PHOBIE
4.3 ÄTIOLOGISCHE AUSSAGEN AUS EPIDEMIOLOGISCHEN BEFUNDEN
117
117
117
118
5. SCHLUSSBEMERKUNG
119
37.3 INTERVENTIONEN
119
1. ALLGEMEINE VERHALTENSTHERAPEUTISCHE INTERVENTIONSSTRATEGIEN BEI
ANGSTSTÖRUNGEN
2. VERHALTENSTHERAPEUTISCHES VORGEHEN BEI PANIKSTÖRUNG UND AGORAPHOBIE
2.1 DIAGNOSTIK
2.2 AUFKLÄRUNG ÜBER DAS THERAPEUTISCHE VORGEHEN
2.3 KOGNITIVE PHASE
2.4 PLANUNG UND DURCHFÜHRUNG VON ÜBUNGSSITUATIONEN (EXPOSURE)
2.5 PRAKTISCHE UMSETZUNG UND ERGÄNZUNGEN
2.6 RÜCKFALLPROPHYLAXE
2.7 PERSPEKTIVE UND OFFENE FRAGEN
119
123
123
124
124
124
125
125
126
3. VERHALTENSTHERAPEUTISCHES VORGEHEN BEI DER GAS
4. SCHLUSSBEMERKUNGEN
127
128
38. SOMATOFORME UND DISSOZIATIVE STÖRUNGEN
128
38. KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
128
1. PSYCHOSOMATIK, SOMATISIERUNG, SOMATOFORME STÖRUNGEN
2. KLASSIFIKATION (DER SOMATOFORMEN STÖRUNGEN)
2.1 NACH DSM-IV
2.2 NACH ICD-10
128
129
129
131
3. DIAGNOSTIK
132
38.2 ÄTIOLOGIE / BEDINGUNGSANALYSE
132
1.GENETISCHE ASPEKTE
2. BIOLOGISCHE ASPEKTE
2.1 BIOCHEMISCHE ASPEKTE
2.2 NEUROPHYSIOLOGISCHE ASPEKTE
2.2 PSYCHOPHYSIOLOGISCHE ASPEKTE
132
133
133
133
133
Psychische Störungen
3. UMWELTKONZEPTE
3.1 SOZIALISATION
3.2 SOZIALPSYCHOLOGISCHE KONZEPTE
3.3 BELASTUNGEN / STRESS
3.4 SOZIOLOGISCHE ASPEKTE
10
133
133
134
134
134
4. PERSÖNLICHKEITSKONZEPTE
134
5. DIE „SOMATISIERTE DEPRESSION“ UND ANDERE PSYCHISCHE STÖRUNGEN ALS RISIKOFAKTOR
FÜR DIE ENTWICKLUNG VON SOMATISIERUNGSSYNDROMEN
135
6. INTEROZEPTION UND EXTERNALE STIMULIERUNG
7. VERHALTENSMERKMALE BEI SOMATOFORMEN STÖRUNGEN
135
135
8. ZUSAMMENWIRKEN MÖGLICHER RISIKOFAKTOREN BEI SOMATOFORMEN STÖRUNGEN
135
38.3 INTERVENTION
136
1. EMPIRISCHE BASIS KLINISCH-PSYCHOLOGISCHER INTERVENTION BEI SOMATOFORMEN
STÖRUNGEN UND DISSOZIATIVEN STÖRUNGEN
2. EMPIRISCHE BASIS PSYCHOPHARMAKOLOGISCHER INTERVENTION
3. EIN THERAPIEMODELL ZUR PSYCHOLOGISCHEN BEHANDLUNG BEIM SOMATISIERUNGS-
136
137
3.1 BEZIEHUNGSAUFBAU UND DIAGNOSTISCHE MAßNAHMEN (WARWICK, 1995):
3.2 ZIELDEFINITION
3.3 UMATTRIBUTION DES ORGANISCHEN KRANKHEITSMODELLS DES PATIENTEN
3.4 VERHALTENSÄNDERUNGEN
3.5 WEITERE MAßNAHMEN ZUR PSYCHISCHEN STABILISIERUNG
137
137
138
138
138
138
41. BEZIEHUNGS- UND SEXUALSTÖRUNGEN
139
41.1 KLASSIFIKATION UND DIAGNOSTIK
139
1. EINLEITUNG
2. KLASSIFIKATION
2.1 BEZIEHUNGSSTÖRUNGEN
2.2 SEXUALSTÖRUNGEN (SS)
2.3 STÖRUNGEN DES FAMILIENSYSTEMS
139
139
139
140
142
3. DIAGNOSTIK
143
41.2 INTERVENTION
143
1. EINLEITUNG
143
2. ASPEKTE DER FAMILIÄREN BINDUNG
3. AFFEKTENTWICKLUNG UND BINDUNGSVERHALTEN
4. INTERVENTION IN BEZIEHUNGSSYSTEMEN
144
144
145
SYNDROM
Psychische Störungen
11
4.1 EXISTENZIELLE EBENE
4.2 PHYSIOLOGISCHE EBENE
4.3 EMOTIONALE EBENE
4.4 KOGNITIVE EBENE
4.5 HANDLUNGSEBENE
4.6 SEXUELLE EBENE
4.7 PAAR-EBENE
4.8 FAMILIEN-EBENE
145
145
145
146
147
149
150
150
5. SCHLUSSBEMERKUNG
152
26. Wahrnehmungsstörungen (Hackstock)
26.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Bedeutung der Wahrnehmung
Die Wahrnehmung bildet die entscheidende Grundlage für die Analyse und das Erkennen der
Umwelt und die Steuerung und Kontrolle des Verhaltens. Zudem beeinflusst sie Gefühle und
Stimmungen. Unterteilen lassen sich Wahrnehmungsleistungen n ach ihrer Modalität und
ihrer Komplexität (komplexe Leistungen als emergente Leistungen, die aus dem Netzwerk der
Teilleistungen hervorgehen, aber durch sie alleine nicht ausreichend erklärbar sind). Neben
den einzelnen Teilleistungen bilden Aufmerksamkeit, Motivation u.ä. sowie die Fähigkeit zur
langfristigen Speicherung weitere Voraussetzungen für die Wahrnehmung.
2. Klassifikation
Wahrnehmungsstörungen lassen sich ebenso wie die -leistungen nach Modalität (sehen,
hören, riechen, tasten und schmecken) und Komplexität (Störung einer elementaren oder einer
komplexen Leistung) unterteilen. In dieser Übersicht sollen die nach Erkrankungen des ZNS
Psychische Störungen
12
bzw. bei psychiatrischen Erkrankungen auftretenden relevanten Wahrnehmungsstörungen
dargestellt werden.
2.1 Sehen
Homonyme (korrespondierende Bereiche des Gesichtsfeldes beider Augen) Ausfälle des
Sehens werden nach Lage und Ausdehnung in Hemianopsie (Halbseitenblindheit),
Quadrantenanopsie (Verlust des Sehens in einem oberen oder unteren Viertel des
Gesichtsfeldes) und parazentrales Skotom (kleiner blinder Bereich in der Nähe der Fovea)
eingeteilt. Weiters unterscheidet man Störungen der Sehschärfe (Herabsetzung typischerweise
nur nach bilateraler postchiasmatischer Schädigung), der Farbwahrnehmung, der Stereopsis
(Verlust des plastischen Sehens), der visuellen Raumwahrnehmung (Veränderung der
Hauptraumrichtungen) und visuell räumliche Orientierungsstörungen. Zusätzlich
unterscheidet man Störungen des visuellen Erkennens, die oft als visuelle Agnosien
bezeichnet werden. Diagnostische Kriterien für eine Agnosie sind: ausreichende
Wahrnehmungsleistungen, keine kognitiven oder sprachlichen Einbußen und der Erhalt des
Erkennens in einer anderen Wahrnehmungsmodalität. Störungen des visuellen Erkennens
können Objekte, Gesichter, Orte und Wege und Gegenden betreffen. Von einer visuellen
Perseveration spricht man bei einem wiederholten Auftreten der Wahrnehmung eines
optischen Reizes nach dessen Entfernung. Zu den subjektiven Sehstörungen zählen Illusionen
und Halluzinationen. Bei Illusionen handelt es sich um die verzerrte Wahrnehmung eines
realen Gegenstandes. Die Verzerrung kann sich dabei auf räumliche Verhältnisse, die Farbe
oder die Anzahl von Objekten beziehen. Unter einer Halluzination versteht man die
Wahrnehmung von einfachen optischen reizen, Objekten oder Szenen ohne reale Existenz.
Erkennen Patienten die Irrealität der Wahrnehmungsinhalte spricht man von einer
Pseudohalluzination.
2.2 Hören
Hier kann es zu Störungen der Wahrnehmung von Lautstärke, Tonhöhe, Klang und Tempo
kommen. Es kann aber auch zu einer Änderung der affektiven Wahrnehmung von z.B. Musik
kommen (bisher bevorzugte Stücke sagen einem nicht mehr zu oder klingen fremdartig).
Auch im Bereich des Hörens kann es zu agnostischen (Identifizierung von Geräuschen,
Worten,...), illusorischen (Lautstärke, Entfernung einer Schallquell, Rhythmus, Klang und
Qualität akustischer Reize) und perseverativen Störungen kommen. Bei akustischen
Halluzinationen unterscheidet man zwischen einfachen (Murmeln, tropfendes Wasser,
Psychische Störungen
13
Uhrticken und dergleichen) und komplexen Formen (Melodien, Stimmen). Eine besondere
Form der subjektiven Hörempfindung stellt der Tinitus dar.
2.3 Tasten
Störungen der Tastwahrnehmung betreffen vor allem die Lokalisation von Reizen am Körper,
der Wahrnehmung von Druck, Temperatur, Feuchtigkeit, Schmerz, sowie der taktilen
Unterscheidung von Oberflächenmerkmalen eines Objekts. Ebenso kommen
Sensibilitätseinbußen, Störungen der eigenen Körperwahrnehmung hinsichtlich der Position
bzw. Lage und Bewegung von Gliedern. Auch hier gibt es wieder Illusionen, diese können die
Sensibilität, die Wahrnehmung von Größe, Form und Lage von Gliedmaßen, Bewegungen,
sowie die Zugehörigkeit eines Körperteils zum eigenen Körper betreffen.
2.4 Riechen und Schmecken
Es kann zu einem teilweisen oder totalen Verlust der Geruchs- oder
Geschmackswahrnehmung kommen, wobei die Beeinträchtigung in der Regel in einer
pathologischen Erhöhung der Wahrnehmungsschwelle besteht. Auch hier kann es zu
Veränderungen der affektiven Wahrnehmungskomponenten kommen. Geruchs- und
Geschmacksillusionen zeigen sich in Form gesteigerter Wahrnehmungsintensität oder einer
illusionären Veränderung der Wahrnehmungsqualität. Geruchshalluzinationen wären die
Wahrnehmung von Gerüchen ohne Vorhandensein von Riechstoffen.
3. Diagnostik
Der erste Schritt einer Wahrnehmungsdiagnostik sollte immer eine gezielte, leistungs- bzw.
störungsspezifische Anamnese sein. Dabei sollte allerdings stets das maß der Erfahr- und
Mitteilbarkeit der Störung durch den Patienten im Alltag berücksichtigt werden. Für eine
Reihe von Teilleistungen stehen standardisierte Untersuchungsverfahren zur Verfügung, die
bereits in der Routinediagnostik im Einsatz sind, für andere Teilbereiche wurden erst kürzlich
Verfahren entwickelt und für andere gibt es noch gar keine. Für die Diagnostik komplexer
Wahrnehmungsstörungen, kann grundsätzlich empfohlen werden, die kritischen
Teilleistungen zuerst zu untersuchen um primär bedingte von sekundär bedingten Störungen
zu unterscheiden.
Psychische Störungen
14
26.2 Ätiologie/Bedingungsanalyse
1. Einleitung
In der klinischen Praxis spielen Wahrnehmungsstörungen auf Grund ihrer Häufigkeit, ihren
direkten Auswirkung auf Verhalten und Erleben und ihrer indirekten Beeinträchtigung
kognitiver Leistungen und Leistungen eine wichtige Rolle. Störungen elementarer Leistungen
kommen dabei wesentlich häufiger vor als Störungen komplexer Leistungen, wobei diese
entweder durch die Beeinträchtigung dieser Leistung selbst oder durch die Störung einer ihr
zu Grunde liegenden elementaren Funktion bedingt sein können. Die Störung kann dabei auf
verschiedenen Stationen der Informationsverarbeitung wurzeln. Angefangen von den
Sinnesorganen, über die Faserverbindungen zu subkortikalen und kortikalen Regionen, den
primären Rindenfeldern bis hin zu den Assoziationsfeldern. Die einzelnen Areale der
Großhirnrinde sind dabei über reziproke Fasern verbunden, sollten diese geschädigt sein,
kommt es zu einer Störung sowohl von bottom-up, als auch von top-down Prozessen. Da die
meisten zerebralen Noxen nicht auf ein Areal oder eine Region allein beschränkt bleiben, sind
als Resultat assoziierte Funktionsstörungen zu erwarten. Zusätzlich sind auch kognitive
Einbußen zu erwarten, die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis, Sprache, Planen und
Problemlösen sowie den Antrieb und die Affektsteuerung betreffen können.
Für das Auftreten von Wahrnehmungsstörungen spielen der Ort und das Ausmaß der
Schädigungen ebenso eine Rolle wie die Ätiologie.
2. Wahrnehmungsstörungen in Abhängigkeit vom Ort der
Schädigung
Die Großhirnrinde ist funktional spezialisiert, daher sind die unterschiedlichen
Wahrnehmungsmodalitäten in unterschiedlichen Bereichen repräsentiert, wobei es innerhalb
dieser modalitätsspezifischen Regionen wieder eine zusätzliche funktionale Spezialisierung
gibt.
2.1 Visuelle Wahrnehmungsleistungen
Die hierfür relevanten Regionen liegen im Okzipitallapen und im hinteren Parietal- und
Temporallappen.
Schädigungen des striären Kortex und der Sehstrahlung haben
Gesichtsfeldstörungen zur Folge (immer kontralateral zu Läsion), Schädigungen entlang der
okzipito – temporalen Verarbeitungsroute sind mit Einbußen der Farb-, Objekt- und
Psychische Störungen
15
Gesichtswahrnehmung assoziiert, während okzipito – parietale Läsionen zu einer
Beeinträchtigung von Leistungen der visuellen Raumwahrnehmung führen.
2.2 Hören
Hörstörungen können nach Schädigungen der Hörstrahlung, sowie nach einer Läsion im
Bereich des vorderen Temporallappens und auch nach Hirnstamm- und
Mittelhirnschädigungen auftreten. Unilaterale Schäden machen sich selten als Defizit
bemerkbar, auch gibt es für die meisten Teilleistungen des Hörens keine sicheren
Hemisphärenunterschiede (Ausnahme: bei Rechtshändern führt eine linkstemporale Läsion zu
einer Beeinträchtigung des Erkennens der Bedeutung von sprachlichen Reizen, während eine
rechtstemporale Schädigung die Diskrimination komplexer akustischer Reize beeinträchtigt).
2.3 Tasten
Beeinträchtigungen des Tastsinns treten nach Schädigungen der sensiblen Afferenzen, des
Thalamus und des somatosensorischen Kortex auf. Dieser enthält eine topographische
Repräsentation der Körperoberfläche (Homunkulus), somit können schon kleine Läsionen in
dieser Region zu einer sensiblen Störung in einem sehr begrenzten Gebiet führen.
2.4 Riechen und Schmecken
Das zentrale olfaktorische System umfasst den bulbus und den tractus olfactorius sowie das
Riechhirn mit Teilen der Amygdala, das Verbindungen zum orbifrontalen Kortex und zum
Hypothalamus (affektive Komponente) aufweist. Die zentrale Verarbeitung von
Psychische Störungen
16
Geschmacksreizen erfolgt über Verbindungen der Geschmacksnerven zum Thalamus und von
hier zum gyrus postcentralis im Bereich der somatosensorischen Repräsentation der Zunge.
3. Wahrnehmungsstörungen in Abhängigkeit von der Ätiologie
3.1 Zerebrovaskuläre Erkrankungen
Nach zerebrovaskulären Noxen können praktisch alle beschrieben Wahrnehmungsstörungen
beobachtet werden. Ausfälle im visuellen System können durch einen Infarkt oder eine
Blutung im Versorgungsgebiet der hinteren Hirnarterie, aber auch der temporalen und
parietalen Äste der mittleren Arterie beobachtet werden. Die mittlere Hirnarterie ist für die
Gebiete, die für Hörwahrnehmung, Sensibilität und Bewegungsempfindung wichtig sind,
zuständig. Störungen des Geruchs- und Geschmackssinnes können durch unilaterale Infarkte
im Versorgungsgebiet der vorderen Hirnarterie auftreten.
3.2 Traumatische Läsionen
Hierbei entstehen Störungen durch Gewebeläsionen nach einem schweren Schädelhirntrauma.
Häufig ist dabei der Temporallappen betroffen, was zu Störungen der auditiven
Wahrnehmungsleistung führt. Auch Aufmerksamkeitsleistungen sind häufig betroffen, was zu
einer sekundären Beeinträchtigung von Wahrnehmungsleistungen führen kann. Oft sind auch
Störungen der Geschmacks- und Geruchswahrnehmung durch Verletzungen des
Gesichtsschädels zu beobachten.
3.3 Zerebrale Hypoxie
Hierbei handelt es sich um einen globalen Sauerstoffmangel des Gehirns. Sehr empfindlich
reagiert darauf der Okzipitallappen, bei den daraus resultierenden Störungen handelt es sich
meist um eine Kombination von Sehverlusten im zentralen Gesichtsfeld oder den beiden
unteren Quadranten, einer hochgradigen Verminderung der Sehschärfe und der räumlichen
Kontrastauflösung, dem Verlust visuell-räumlicher Leistungen sowie um visuelle
Erkennungsstörungen. Die Farbwahrnehmung bleibt meist erhalten.
3.4 Hirntumore
Psychische Störungen
17
Okzipital und temporal gelegene Tumore verursachen Sehstörungen, parietal gelegene
verursachen Sensibilitätsstörungen und im Bereich des olfaktorischen Nervs und der
Hypophyse können sie Geruchsstörungen verursachen. Tumore im Hirnstamm führen zu
Störungen der Geschmackswahrnehmung. Normalerweise verhält sich das Ausmaß der
Störung proportional zur Größe des Tumors, eine Ausnahme bilden dabei Tumore im Bereich
der Sehnervkreuzung, da sie hier bereits in einem kleinen Stadium Ausfälle verursachen.
3.5 Degenerative Erkrankungen
Bei
Patienten
mit
einer
vaskulären
oder
degenerativen
Demenz
stehen
Wahrnehmungsstörungen nicht im Vordergrund, es kann jedoch bei einer Mitbeteiligung der
primär – sensorischen kortikalen Areale oder der kortikalen Assoziationsfelder zu Störungen
des Erkennens sowie der Orientierung im Raum und am eigenen Körper auftreten. Es gibt
aber auch fokale Atrophien vor allem in den hinteren Hirnregionen, die zu entsprechenden
visuellen Wahrnehmungsstörungen führen können. Hierbei sind aber im Gegensatz zur
globalen Degeneration keine intellektuellen Einbußen zu beobachten.
3.6 Schizophrenie und affektive Störungen
Neben
diesen
strukturellen
Schäden
können
auch
Funktionsstörungen
im
ZNS
Wahrnehmungsstörungen
auslösen.
Bei
Patienten
mit
Störungen
von
Aufmerksamkeitsfunktionen im Rahmen einer Schädigung zentralnervöser Strukturen sind
unweigerlich auch Wahrnehmungsstörungen verbunden, meist in Form
von
Beeinträchtigungen der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und -kapazität, der
Informationsselektion und der Steuerung und Kontrolle von Wahrnehmungsprozessen. Unter
diagnostischen Aspekten sollte daher zwischen primären Wahrnehmungsstörungen und
Beeinträchtigung der Wahrnehmung durch Aufmerksamkeitsstörungen unterschieden werden.
Bei schizophrenen und affektiven Störungen ist die Beeinträchtigung der Wahrnehmung
vorrangig durch die Koppelung an die Aufmerksamkeit bedingt.
Ein weitere zu unterscheidende Gruppe ist die Veränderung der Bewertung des
Wahrgenommenen. Da beide hier behandelten Patientengruppen veränderte Emotionen und
somit eine entsprechend abweichend emotionale Bewertung von Wahrnehmungsinhalten
aufweisen, kommt es auch zu einer Verzerrung der Wahrnehmung, was aber nicht als
Wahrnehmungsstörung betrachtet werden sollte.
Bei schizophrenen Patienten sind Störungen der Informationsselektion, der gleichzeitigen
Verarbeitung mehrerer Informationen, visuell – räumlicher Wahrnehmungsprozesse und eine
Beeinträchtigung der korrekten Deutung des mimischen Ausdrucks beschrieben worden.
Depressive Patienten zeigen eine Erhöhung von Wahrnehmungsschwellen sowie eine
verminderte Unterscheidungsfähigkeit der affektiven Komponenten im Gesichtsausdruck.
Psychische Störungen
18
3.7 Zur Ätiologie subjektiver Wahrnehmungssymptome
Illusionen und Halluzinationen kommen sowohl nach struktureller Schädigung, als auch bei
pathophysiologischen Zuständen des ZNS vor. Ihren Entstehungsort dürfte in jenen
Hirnstrukturen liegen, die (modalitätsspezifisch) für Verarbeitung und Kodierung zuständig
sind. Als Auslöser kommen in Frage:

Lokale pathophysiologische Prozesse (z.B.: Tumore, Durchblutungsstörungen,...)

Verlust der afferenten Informationszufuhr aufgrund einer Schädigung der peripheren
Anteile eines Wahrnehmungssystems ( Phantomschmerzen u.ä.)

Verselbstständigung neuronaler Aktivität (Illusionen/Halluzinationen werden von den
modalitätsspezifischen Arealen produziert, aufgrund fehlender höher Kontrollprozesse
aber als real bewertet)
Tinnitus kann viele verschiedene Auslöser haben: degenerative und infektiöse Affektionen
des Innenohrs, Stoffwechsel- und Durchblutungsstörungen, Tumore, traumatische
Schädigungen im Bereich des Innenohrs oder Hirnstamm und falsche Medikationen.
4. Die Bedeutung von Wahrnehmungsstörungen für Erleben und
Verhalten
Störungen der Wahrnehmung wirken sich nicht nur innerhalb der gleichen Modalität aus,
sonder greifen auch auf andere Leistungsbereiche über, bzw. beeinflussen auch ‚höher
gestellte’ komplexe Leistungen. Die Beeinträchtigung kann dabei auf verschiedene Arten
stattfinden. Die Verarbeitung und Kodierung von Reizen kann durch nicht korrekte,
vollständige und zuverlässige Analyse, Weiterleitung oder Repräsentation gestört werden,
ebenso durch eine Modifikation von Information (Illusion) oder einer Produktion einer
Wahrnehmung ohne Entsprechung in der Realität. Als Folgen können daraus fehlerhafte
Grundlagen für die Steuerung der Verhaltensanteile (verursacht durch die unvollständige
Repräsentation der Außenwelt und veränderten oder eingeschränkten Abgleichprozessen mit
bisherigen Wahrnehmungserfahrungen), eine Beeinträchtigung der Vorstellung über die
Außenwelt oder den eigenen Körper und auch eine direkte Beeinträchtigung des Erlebens des
Wahrgenommenen (etwa bei Verlust der affektiven Komponente) resultieren.
Wahrnehmungsstörungen sind meist von kognitiven Einbußen begleitet.
Psychische Störungen
19
26.3 Intervention
1. Einleitung
Zu den Grundprinzipien neuropsychologischer Rehabilitation gehören die Feststellung von
betroffenen und erhaltenen Leistungen, die Erfassung von Restleistungen und die
Überprüfung der Auswirkungen des Therapieeffekts auf die Reduzierung einer Behinderung
im Alltag. Erfolgreiche Therapien zur Behandlung von Wahrnehmungsstörungen gibt es gibt
es erst seit jüngerer Zeit, das Hauptaugenmerk lag bei der Entwicklung auf Therapieformen
zur Behandlung visueller Wahrnehmungsstörungen, vor allem Gesichtsfeldstörungen.
2. Komponenten der Behandlung von Wahrnehmungsstörungen
Übergeordnetes Ziel jeder Behandlung ist die Abnahme der durch eine funktionelle
Beeinträchtigung bedingten Behinderung und ihrer Auswirkungen auf das Leben. Daraus geht
hervor, dass es nicht nur wichtig ist die Defizite der Wahrnehmung an sich zu erfassen,
sondern auch deren Auswirkung als Behinderung.
Grundsätzlich gibt es zwei Arten der Reduzierung einer Behinderung: die Verbesserung der
betroffenen Leistung selbst (Restitution) oder der Ersatz dieser Leistung durch eine andere
Leistung oder ein externes Hilfsmittel (Substitution  Kompensation der Folgen eines
Gesichtsfeldeinbusses durch vermehrte Kopf- und Augenbewegungen oder Verwendung eines
Leselineals bei Problemen mit der visuellen Orientierung). Bei aufmerksamkeitsbedingten
Störungen steht der Wiedergewinn von Aufmerksamkeitsleistungen im Vordergrund.
3. Therapeutische Möglichkeiten zur Behandlung von
Wahrnehmungsstörungen
Überprüfte Behandlungsverfahren stehen derzeit eigentlich nur für zerebrale Sehstörungen zur
Verfügung, die Behandlung von Störungen der Sensibilität und der Orientierung am Körper
können aber durch Ergotherapie behandelt werden.
Bei Störungen des Hörens, Riechens oder Schmeckens bieten bisweilen nur eine ausführliche
Beratung und Vermittelung von Copingstrategien an. Für den Tinnitus gibt es zur Zeit noch
keine allgemein akzeptierte und gesicherte Therapie, allerdings verschwindet er oft spontan
nach einigen Wochen oder Monaten (kann aber bedingt durch Stress oder Übermüdung
wieder auftauchen). Es gibt aber einige Therapieansätze, wie etwa die ‚Maskierung’ des
Tinnitus (durch z.B. Musik oder speziell durch Tinnitusmasker) oder auch
Psychotherapeutische
Maßnahmen
(Entspannungsübungen,
verhaltenstherapeutische
Psychische Störungen
20
Elemente,...). Bei Störungen des Geruchssinns sind Beratungen dann besonders wichtig, wenn
auch die affektive Komponente betroffen ist, was zu einer Beeinträchtigung im Umgang mit
anderen Personen führen kann. Auch Störungen des Geschmackssinns können entsprechende
Auswirkungen auf das Leben haben (Essen, Trinken), daher sind auch hier Copingstrategien
enorm wichtig (Essenszubereitung,...).
Tab.1
Art der Sehstörung
Auswirkung
Behandlungsmöglichkeit
parafovealer Gesichtsfeld-
ganzheitliche Worterfassung
okulomotorische
Verlust
beeinträchtigt
Kompensation
Visuseinbuße
normale Druckgröße
z.B. Großdruck
unzureichend; evtl. auch
Buchstabenerkennung
erschwert
visuelle Orientierungs-
Verluster der Orientierung auf
störung
einer Seite bzw. innerhalb
z.B. Leselineal
einer Zeile
visuelle Agnosie (reine
Identifizieren von Buchstaben
Alexie)
erschwert; ganzheitliches Lesen unterscheidung und -erkennung
beeinträchtigt
Wiedergewinn der Buchstabenund des ganzheitl. Lesens
Tabelle 1 zeigt einige zentrale Sehstörungen, die zu einer Behinderung der Lesefähigkeit
führen können und Möglichkeiten zu deren Behandlung. Etwas ausführlicher wird im Buch
der Erwerb von Copingstrategien für eine durch einen Gesichtsfeldverlust bedingte
Lesestörung beschrieben. Im wesentlichen bestehen diese daraus, dass der Patient seine
Aufmerksamkeit und seine Fixation in Abhängigkeit von der Seite des Verlustes steuert.
4. Ausblick
Die störungsspezifische Therapie einer Wahrnehmungsstörung setzt immer eine genaue
Analyse der zugrunde liegenden Faktoren voraus.
Nach wie vor gibt es leider nur wenige wissenschaftlich überprüfte Therapien in diesem
Bereich. Mögliche Gründe dafür sind der hohe Aufwand von der Analyse einer
Funktionsstörung bis zur Entwicklung und Evaluation einer Therapie, sowie die Schwierigkeit
bei der Erstellung eines Versuchsplanes Homogenität der Stichprobe in Hinblick auf
Hirnschädigung; zufällige Zuteilung zu ‚behandelt’ oder ‚nicht behandelt’). Dennoch sollte
man sich nicht mit unüberprüften, aus persönlichen Erfahrungen abgeleiteten ‚Therapien’
Psychische Störungen
21
zufrieden geben, sondern gerade in die Entwicklung und Evaluierung neuer gesicherter
Verfahren investieren.
27. Gedächtnisstörungen (Hackstock)
27.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Einleitung: Was ist Gedächtnis?
KZG: Kurzzeitgedächtnis
LZG: Langzeitgedächtnis
Die offensichtlichsten Funktionen des Gedächtnisses sind das gezielte Einspeichern und
Abrufen von Informationen, doch setzten diese bereits das Zusammenspiel unterschiedlicher
Gedächtnisprozesse und Systeme voraus. Eine längerfristige Speicherung etwa ist nur
möglich wenn die Information konsolidiert (physiologischer Vorgang der Festigung eines
KZG – Codes durch gezieltes lernen) und dabei vom mengenmäßigen und in der
Speicherdauer begrenzten KZG in das LZG übertragen werden kann. Diese klassische Bild
der Klassifikation ist zwar nach wie vor gültig, in einigen Punkt aber ergänzungsbedürftig:

Die Encodierungssequenz erfolgt in der Reihenfolge Wahrnehmung  LGZ 
KGZ  LGZ. Grund dafür ist die Identifizierung von Wahrnehmungsinhalten an
Hand von Informationen aus dem LGZ.

Die Encodierungsabfolge entspricht keinem linearen Vorgang, sonder vielmehr
einer Interaktion zwischen den beteiligten Komponenten. Unserem Bewusstsein
nicht zugänglich sind dabei die Vergleichsprozesse/ ‚matching’ Prozesse, mit
deren Hilfe Wahrnehmungsinhalte identifiziert werden. Dem Bewusstsein
zugänglich sind hingegen die Kontrollprozesse, die in Folge zum Aufbau eines
KZG Codes führen.

Je mehr Aufmerksamkeit einem Ereignis gewidmet wird, desto komplexer,
informationsreicher und vernetzter wird der resultierende KZG Code, und umso
langsamer wird er wieder vergessen.

Das KZG ist ein multimodales System mit verschiedenen Funktionen (
‚working’ memory)

Die Notwendigkeit neue Information zu erlernen um eine Einspeicherung zu
erreichen gilt primär für semantische, nicht aber für episodische Informationen.
Diese Unterscheidung ist sehr wichtig, da Amnesie meist das episodische
Gedächtnis betreffen.
Psychische Störungen

22
Deklaratives (explizites) Gedächtnis = semantisches + episodisches Gedächtnis 
propositionales Encodierungsformat; nicht deklaratives (implizites) Gedächtnis:
motorisch-sensorische Fähigkeiten, konditionierte Verhaltensweisen u.ä.;

Die wichtigsten derzeit bekannten neuroanatomische Korrelate des deklarativen
Gedächtnisses sind der Hippocampus, anschließende Regionen im medialen
Temporallappen und verschiedene Kerngebiete des Thalamus.
2. Klassifikation
Unter ‚Gedächtnis’ soll hier nur jenes Speichersystem verstanden werden, in das neue
Information eingespeichert und gezielt wieder abgerufen werden kann. Dadurch
ausgeschlossen werden das implizite Gedächtnis sowie jene im Gehirn gespeicherten
Strukturen, die elementare Encodierungsprozesse ermöglichen. Weitere wichtige
Klassifizierungsmerkmale sind die Unterscheidung von Störungen des LZG und KZG bzw.
semantischem und episodischem Gedächtnis sowie Störungen in der Aktivierungsausbreitung
beim Abrufen von Information aus dem LZG. Auch gibt es sehr spezifische Faktoren die die
Störanfälligkeit erhöhen, wichtig sind dabei der Zeitpunkt der Einspeicherung neuer
Information, die Art der gemerkten Information und die Art der Gedächtnisprüfung. Somit
kann eine erste umfassende Klassifikation über die Definition der Leistungskomponente des
Gedächtnisses erreicht werden.
2.1 Leistungskomponenten und ihre Störungen
Jede Gedächtnisleistung kann auf drei Komponenten zurückgeführt werden: die Genauigkeit
der Einspeicherung, die Effizienz von Suchprozessen und strukturell-funktionale
Eigenschaften (z.B. Art der Vernetzung und Aktivierung). Diese Dreiteilung wird auch zur
Klassifikation der verschiedenen Testmethoden zur Erfassung der Leistungsfähigkeit des
Gedächtnisses beibehalten. Bei einer Herabsetzung der Leistung einer oder mehrerer
Komponenten spricht man entweder von Vergessen (bei alltäglichen Phänomenen) oder von
Störungen (krankheitsbedingte Einflüsse). Unterschieden werden nun zwei Arten von
Störungen und Vergessen:
 Typ A: geht auf den Verlust gespeicherter Information zurück (degenerative
Amnesien sowie unfall- oder cerebro-vaskulär bedingte Amnesien)
 Typ B: entsteht durch Suchfehler oder dissoziative Prozesse (oft emotions-, schockoder drogenbedingte Hemmungsvorgänge)
Psychische Störungen
23
2.2 Wichtige Beispiele für Amnesien des Typs A und B
Wichtig ist zunächst die Unterscheidung zwischen retrograden und anterograden Symptomen.
Retrograd ist eine Amnesie, wenn sie sich auf den Zeitraum vor dem traumatischen Ereignis
bezieht (etwa nach Schädel-Hirn Trauma oder traumatischem Dämmerzustand), anterograd ist
sie hingegen, wenn nach dem Ereignis keine neuen Informationen längerfristig eingespeichert
werden können (nach bilateralen Läsionen in der hippocampalen Formation, nach chronischen
Vergiftungen oder im Rahmen dementieller Erkrankungen). Von einer ‚global transitorischen’
Amnesie spricht man bei plötzlich auftretenden, zumeist nur sehr kurzen amnestischen
Episoden, die durch primär anterograde Gedächtnisausfälle gekennzeichnet sind und
wahrscheinlich durch eine vorübergehende Mangeldurchblutung des Hippocampus verursacht
werden.
Störungen des Typs B sind weder auf physische Folgen eines Traumas, noch auf neurologisch
fassbare Ursachen oder auf degenerative Prozesse zurückzuführen. Beispiele hierfür wären
Amnesien im Rahmen von multiplen Persönlichkeitsstörungen, sowie posthypnotische und
hysterische Amnesien, bei denen allen nach Abklingen der Symptome vollständige Amnesie
über die vorangegangene (hypnotische bzw. hysterische) Phase herrscht. Da bei dissoziativen
Amnesien Vernetzungen zwischen bestimmten Gedächtnisinhalten blockiert oder funktional
gestört sind, ist auch klar, dass Assoziationen zwischen diesen Inhalten nicht mehr möglich
sind. Von diesem Standpunkt aus gesehen, könnte auch der umstrittene Begriff der
Verdrängung eine spezielle Form einer Amnesie des Typs B bezeichnen.
3. Diagnostik
Methoden zur Prüfung der Gedächtnisleistung lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen
einteilen, die die drei Leistungsdimensionen wiederspiegeln: Wiedererkennungs(Genauigkeit der Speicherung), Reproduktions- (Effizienz von Suchprozessen) und
Assoziationstests (Vernetzung).
Da uns das Wiedererkennen von Items wesentlich leichter fällt als die Reproduktion, wird
hierbei eher die Leistungsfähigkeit von Suchprozessen und -strategien getestet (wobei dies
durch Ähnlichkeit zwischen Distraktoren und Target erschwert werden kann). Ein
Reproduktionstest kann allerdings auch durch Hilfestellungen (Nennung von Kategorien und
Oberbegriffen) erleichtert werden  Cued Recall.
Assoziationstests sind sehr heterogen, zu ihnen zählen etwa Paarassoziationsaufgaben (lernen
von Itempaaren und bei Vorgabe des ersten dann das zweite reproduzieren), semantische
Kongruenz- und Entscheidungsaufgaben sowie Tests, die Primingprozesse erfassen.
Die wichtigsten diagnostische Verfahren zur Prüfung der Gedächtnisleistung versuchen dabei
stets, den Bezug zu wesentlichen Aspekten der gedächtnispsychologischen
Psychische Störungen
24
Grundlagenforschung herzustellen, andererseits wurden aber viele Gedächtnistests mehr nach
pragmatischen denn theoriegeleiteten Gesichtpunkten konstruiert.
In der wechsler memory Scale (WMS) gibt es sowohl episodische, als auch rein semantische
Subtests. Auch gibt es Tests zur Prüfung des visuellen und verbalen Gedächtnisses, ebenso
wie Tests zur Prüfung von Aspekten des LZG und KZG. Dabei wird bis auf in einem Subtest
ausnahmslos auf die Methode der freien Reproduktion zugegriffen.
Der Rivermead Behavioral Memory Test (RBMT)ist vor allem zur Untersuchung von
Gedächtnisstörungen im Alltag geeignet, dabei kommen Wiedererkennungs-, freie
Reproduktions- und Paarassoziationstests zum Einsatz.
Zusätzlich zu den hier besprochenen Kriterien ist zu berücksichtigen, ob ein Test für die
Normalbevölkerung oder für den klinischen Bereich konzipiert ist.
27.2 Ätiologie/Bedingungsanalyse
1. Einleitung
Es stellt sich nun die Frage, ab wann eine Mangelleistung des Gedächtnisses als pathologisch
zu bewerten ist, man sollte dabei aber nicht vergessen, dass zwischen Vergessen und einer
Gedächtnisstörung nicht bloß ein gradueller Unterschied in der Stärke der Symptome besteht.
Wichtige Anhaltspunke zur Unterscheidung liefern Gedächtnistests, ein weiterer wichtiger
Aspekt der Beantwortung der Frage ist aber auch die Kenntnis über die Ursache normalen
Vergessens.
2. Unterschiedliche Bedeutungen und Ursachen für Vergessen
Die verschiedenen Bedeutungen von Vergessen können unter 4 Aspekten zusammengefasst
werden:
 Relevante Information wird nicht rechtzeitig abgerufen (Ursache meist
fehlende Konzentration bzw. selektive Aufmerksamkeit)
 Eine vorübergehende Blockierung gespeicherter Information (Suchfehler)
 Ein Zustand der Kapazitätsüberschreitung
 Ein langsamer und gradueller Verlust bereits langfristig gespeicherter
Information (was hast du heute vor einer Woche, einem Jahr, 10 Jahren
gemacht?)
Psychische Störungen
25
Diese Einteilung macht auch die beiden großen Theoriefamilien sichtbar. Zerfallstheorien
gehen davon aus, dass Vergessen durch einen autonomen und zeitbedingten Prozess
verursacht wird, der den Verlust gespeicherter Information zur Folge hat. Interferenztheorien
hingegen sehen die Ursache für Vergessen in Hemmungsprozessen, die das Auffinden oder
Einspeichern erschweren oder unterbinden. Bisher konnte trotz vieler Experimente keine der
beiden konkurrierenden Theorien bestätigt werden. Das Dilemma liegt dabei darin, dass es
kaum möglich ist den endgültigen Verlust von Information zu belegen, da immer eingewendet
werden kann, dass das ‚sich-nicht-erinnern’ auf einen Suchfehler zurückführbar ist und die
Information zu einem späteren Zeitpunkt wieder abrufbar ist.
Ein weiterer interessanter Erklärungsansatz kommt aus der Ecke der Netzwerktheorien, die
annehmen, dass mit zunehmenden Vernetzungsgrad die Zerfallsneigung abnimmt. Je
differenzierter und integrierter Wissen also ist, umso resistenter ist es gegen vergessen.
3. Die Ursachen von Gedächtnisstörungen
Die meisten psychischen Störungen gehen mit Gedächtnisstörungen einher, was aber nicht
weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt dass beinahe jeder psychischer Vorgang mit
Gedächtnisfunktionen gekoppelt ist (Erkennen von Gesichtern, Aufmerksamkeit,
Emotionen,...).
Die Beeinträchtigung anderer psychischer Funktionen muss sich also auch immer auf das
Gedächtnis auswirken.
Die Hauptfrage hier sollte allerdings die nach den Ursachen der ‚klassischen’
Gedächtnisstörungen (Amnesien) bleiben.
3.1 Fallbeispiele zur anterograden Amnesie
Parkin definierte eine Amnesie wie folgt:
a) Das prämorbide Intelligenzniveau muss erhalten sein
b) Die KZG-Spanne darf nicht betroffen sein
c) Der anterograde Aspekt der Amnesie muss dominieren
d) Eine längerfristige Merkleistung ist primär für nicht episodische Information
möglich
Diese Definition schließt Mangelerscheinungen des Gedächtnisses auf Grund von
Abbauprozessen (Demenzen, Vergiftungen) aus.
Patient H.M.: zur Eindämmung einer schweren Epilepsie wurden ihm mediale Teile des
Temporallappens (mit hippocampalen Formationen und Mandelkernen) in beiden
Hemisphären entfernt. In Folge blieb der IQ zwar praktisch unverändert, aber es stellte sich
Psychische Störungen
26
eine starke anterograde Amnesie ein. Die KZG-Spanne blieb zwar unverändert, aber der
Patient war nicht mehr im Stande die neue Information ins LZG zu übertragen.
3.2 Der Stellenwert episodischer Information
Im Rahmen amnestischer Erkrankungen ist primär die Encodierung kontextueller bzw.
episodischer/autobiographischer Information gestört. Bedenkt man, dass jede bewusst
wahrgenommene Information immer vor dem Hintergrund ihrer autobiographischen und
zeitlich kontextuellen Information erkannt wird, dann zeigt sich, dass episodische Information
laufend neu eingespeichert und konsolidiert werden muss. Eine vergleichbare Notwendigkeit
gilt für semantische Information nicht.
3.3 Der Unterschied zwischen Erinnern und Wissen und das Fallbeispiel
K.C.
Der Begriff ‚erinnern’ wird eher in einem episodischen, ‚wissen’ in einem semantischen
Kontext verwendet. Tulving konnte zeigen, dass es amnestische Störungen gibt, die selektiv
das episodische Gedächtnis betreffen, so wie bei K.C..
Bei einem Motorradunfall erlitt K.C. ausgedehnte Läsionen in beiden Hemisphären und
wahrscheinlich anderen Regionen des Gehirns. In Folge dessen blieb das semantische
Gedächtnis zwar intakt, er konnte sich allerdings an kein einziges persönliches Ereignis
erinnern. Diese Amnesie war dabei sowohl retrograd als auch anterograd. Er verfügt zwar
über ein biographisches Wissen, dieses ist aber nicht Ich-bezogen, es gleicht dem eines
unbeteiligten Beobachters (er weiß, dass er einen Bruder hat, der unter tragischen Umständen
ums leben kam, weiß aber nicht, wann dies geschah). Er weiß etwa auch, dass seine Familie
ein Wochenendhaus besitzt, wie man hinkommt, wie es dort ausschaut etc., aber er kann sich
an kein Ereignis erinnern, dass sich dort zugetragen hat.
3.4 Amnestische Störungen und die Wechselwirkung zwischen
episodischem und semantischem Gedächtnis
Einem Patienten mit anterograder Amnesie wird es auch unmöglich sein, einen
Wiedererkennungstest zu bestehen. Das was ein Item zu einem Target oder Distraktor macht,
ist nur der unterschiedliche Kontext der Darbietung, und somit episodische Information. Bei
einer anterograden Amnesie, kann zwar neue Information eingespeichert werden, der Kontext
kann aber nicht mehr konsolidiert werden, und somit liegt kein Kriterium zur Unterscheidung
zwischen Target und Distraktor vor.
Psychische Störungen
27
3.5 Amnestische Störungen und die Bedeutung des expliziten und
impliziten Gedächtnisses
Untersuchungen mit amnestischen Patienten konnten implizite Gedächtnisleistungen
nachweisen, wenn die Merkleistung indirekt und unter Umgehung des expliziten Abrufens
episodischer Information geprüft wurde  keine Instruktion über Teilnahme an einem
Gedächtnistest, Wortergänzungsaufgaben, Identifikationsleistungen unter erschwerten
Bedingungen (tachistoskopische Darbietung, unscharfe Items u.ä.). Eine Untersuchung mit
einem Wortergänzungstest konnte zeigen, dass amnestische Probanden im Gegensatz zur
Kontrollgruppe nicht imstande sind, die Cues für die Wortreproduktion zu nutzen, obwohl sie
über eine ebenso gute implizite Gedächtnisleistung verfügen.
Eine weitere Untersuchung kam zu den gleichen Ergebnissen. Dabei wurde das implizite
Gedächtnis gemessen, indem man zu einem Satz ein Schlüsselwort finden musste, dass ihm
einen Sinn verlieh (Der Heuhaufen war wichtig, weil das Tuch riss  Fallschirm). Beim
ersten Anlauf erzielten die 3 Gruppen (schwer-, leicht amnestisch und gesund) etwa die
gleichen Werte (12-13%). Nach einigen Tagen Behaltensintervall erzielten die schwer
amnestischen immerhin eine Trefferquote von 50-60% (variierte weder in Abhängigkeit von
der Anzahl an Wiederholungen noch von der Länge des Behaltensintervalls), was auf ein
durchaus intaktes implizites Gedächtnis hinweist (leicht amnestische –92%, Gesunde 100%).
Das explizite Gedächtnis wurde bei dieser Untersuchung durch die Darbietung von
Distraktorsätzen bei der zweiten Sitzung erhoben, wobei die schwer amnestischen Patienten
auch bei der 5. Darbietung nicht im Stande waren sich explizit an einen Targetsatz zu erinnern
(implizit aber sehr wohl, vergleich die Steigerung von 1. auf 2. Sitzung).
Somit zeigt sich für schwer amnestische Patienten eine klare Dissoziation zwischen
explizitem und implizitem Gedächtnis. Die Ursache dafür könnte darin liegen, dass neue
Information zwar bis zu einem gewissen Grad eingespeichert wird, allerdings die episodische
Markierung massiv gestört ist, und somit für den Suchprozess keine expliziten Anhaltspunkte
vorhanden sind, ob der gesuchte Inhalt tatsächlich im Gedächtnis abgespeichert ist.
4. Gedächtnisstörungen als Ursache für andere psychische
Erkrankungen
Die Amnesien im Rahmen neurologischer Krankheitsbilder ( Typ A Amnesien) sind meist
sehr spezifische Ausfallserscheinungen, die Störung der Encodierung episodischer
Information ist dabei das auffallendste Symptom. Den Amnesien vom Typ B liegen aller
Wahrscheinlichkeit nach aber andere Ursachen zugrunde. Vergleicht man nun Typ A und Typ
B Amnesien, so zeigt sich dass:
Psychische Störungen
28
1. Typ A Amnesien durch sehr spezifische und selektive Ausfallserscheinungen
charakterisiert sind, während für Typ B Amnesien sehr diffuse und heterogene
Ursachen anzunehmen sind
2. Typ A Amnesien haben einen zentralen Stellenwert im Rahmen neurologischer
Symptome, während Typ B Amnesien primär im Rahmen psychischer Störungen eine
Rolle spielen ( massive Persönlichkeitsstörungen sind primär bei Typ B zu
beobachten)
Man nimmt nun an, dass die Ursachen dissoziative Amnesien mit Störungen der
Aktivierungsausbreitung im Kortex (und damit auch im LZG) zusammenhängen. Um zu
verhindern, dass ein Aktivierungsprozess ‚ausufert’, könnten irrelevante Netzwerkteile aktiv
gehemmt werden. An Hand der beiden Dimensionen ‚Ausbreitungsgeschwindigkeit eines
Aktivierungs- bzw. Suchprozesses’ und ‚Ausmaß von
Klassifikationsmerkmale für Störungen des LZG gewonnen.
Hemmung’
werden
nun
Geschwindigkeit der Aktivierungsausbreitung
Hemmungsausmaß
zu gering
normal
zu hoch
zu hoch
massive Per-
Perseveration
rigides Denken,
severation
normal
verlangsamtes
Gedankenabbruch
normal
Denken
zu gering
Konfabulation
rasche
Assoziation
Neigung zu Ge-
extreme Gedan-
dankenflucht
kenflucht
Empirische Befunde konnten zeigen, dass die Ausprägung der beiden Dimensionen mit der
Verfügbarkeit von Transmittern zu tun hat, die in engem Zusammenhang mit psychischen
Störungen stehen (z.B.: Dopamin, Gabba und Acetylcholin).
5. Die Ätiologie von Gedächtnisstörungen aus
neuropsychologischer Sicht
5.1 Amnesien vom Typ A
Für die Symptomatik anterograder Amnesien sind unbestritten bilaterale gleichzeitig
auftretende Läsionen in der hippokampalen Formation verantwortlich. Natürlich können auch
andere Regionen einen Einfluss auf Gedächtnisstörungen haben, aber vor allem die
hippokamkale Region dürfte für die Spezifität der Störungen bei einer anterograden Amnesie
verantwortlich sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die ’hippocampal memory
Psychische Störungen
29
indexing’ Theorie, die davon ausgeht, dass die Aktivierung distribuierter kortikaler Module
die Grundlage für die Einspeicherung neuer Information ist. Die Darbietung ähnlicher
Information führt zu einer Aktivierung ähnlicher Module und erlaubt somit ein (implizites)
Urteil über den Bekanntheitsgrad der Info. Für die explizite Beurteilung wird allerdings ein
Index benötigt, der für das gezielte Abrufen unumgänglich ist. Die Bereitstellung und
Speicherung diese Index ist Aufgabe der hippokampalen Formation, Läsionen des
Hippokampus führen demnach zu einer Störung des expliziten Gedächtnisses, da die
Indizierung zum Auffinden der gesuchten Information nicht zur Verfügung steht.
5.2 Amnesien vom Typ B
Bei Amnesien des Typ B liegen eher diffuse und sehr komplexe neurophysiologische
Störungen vor. Dafür spricht die Vermutung, dass das Gleichgewicht zwischen Aktivierung
relevanter und Hemmung irrelevanter Information wie ein Filter wirkt, und dass funktional
bedingte Verschiebungen dieses Gleichgewichts das Auffinden von Information erschweren.
Dies spricht deswegen dafür, da die Aufrechterhaltung der Aktivierung eine bedeutend
komplexere Leistung ist als die Indexbildung für neue Information.
Die Frage nach der Steuerung von Suchprozessen im Gedächtnis steht in engem
Zusammenhang mit der generellen Frage, wie kortikale Aktivierung kontrolliert und gesteuert
werden. Longitudinale Strukturen (thalamo-kortikale Verbindungen, retikuläre System,
Verbindungen zwischen limbischen System und Kortex), deren Bedeutung in engem
Zusammenhang mit Arousal, Aufmerksamkeit und Emotionen stehen, können kortikale
Aktivierungsvorgänge massiv beeinflussen. Dissoziative Vorgänge könnten nun also
Ausdruck einer Verschiebung des kortikalen Aktivierungsgleichgewicht sein, die durch
Einwirkungen longitudinaler Strukturen verursacht wurde. Dies erklärt aber auch, warum Typ
B Amnesien mit Persönlichkeitsstörungen zusammenhängen: pathologische Veränderungen
von longitudinalen Strukturen führen auch zu einer Beeinträchtigung vitaler Funktionen
(Emotionen, Arousal, Aufmerksamkeit).
27.3 Intervention
1. Einleitung
Die wichtigsten Impulse zur Entwicklung und Überprüfung effizienter psychologischer
Behandlungsmethoden für Lern- und Gedächtnisstörungen kamen in den letzten 20 Jahren aus
Psychische Störungen
30
der kognitiven- und Verhaltenspsychologie. Vorerst versuchte man, den Patienten mit
Methoden zu helfen, deren gedächtnisfördernde Wirkung bei gesunden Personen bekannt ist.
Seit den 80er Jahren versucht man auch Ergebnisse aus der klinischen Forschung über
erhaltengebliebene Gedächtniskomponenten amnestischer Patienten therapeutisch zu nutzen.
In diesem Kapitel werden nur die psychologischen Interventionsmaßnahmen für Lern- und
Gedächtnisstörungen, die durch Hirnschäden bedingt sind, diskutiert. Auch werden nur
anterograde und retrograde Amnesien (Typ A; organische Amnesien) behandelt, Typ B
Störungen (dissoziative) sind funktionale Fehlleistungen und kommen eher selten vor, daher
wird hier nicht näher auf sie eingegangen. Ebenso wird die Behandlung von
Gedächtnisstörungen, die im Rahmen anderer psychischer Störungen auftreten, hier nicht
näher beschrieben, da sie noch in den Kinderschuhen steckt.
2. Interventionsziele
Allgemein wird eine Unterstützung des Vorgangs der Wiederherstellung der ursprünglichen
Fähigkeiten erwartet, die ist aber nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Daher
konzentrierte man sich bis Mitte der 80er auf die Kompensation gestörter
Gedächtnisleistungen durch den Einsatz zuvor nicht genutzter Strategien der
Informationsverarbeitung. Andere Therapien setzten sich den Erwerb spezifischen Wissens
(ohne allgemeine Steigerung der Lern- und Merkfähigkeit) oder einen möglichst
störungsfreien Alltagsablauf unter Nutzung aller verfügbaren Ressourcen zum Ziel. Eine
zentrale Stellung nehmen dabei therapeutische Veränderungen der Umwelt,
Verhaltensmodifikation und der systematische Einsatz externer Gedächtnishilfen ein.
Die möglichen alltagsbezogenen Therapieziele variieren in Abhängigkeit vom Schweregrad
der Störung und reichen von der Verbesserung basaler Orientierungsleistungen bis hin zur
Bewältigung spezifischer beruflicher Anforderungen. Eine Schlüsselvariable für die
realistische Zielsetzung ist die Fähigkeit des Patienten zur Einsicht in vorhandene Störungen
und zur adäquaten Bewertung ihrer Auswirkungen im Alltag dar, deshalb ist die Verbesserung
metakognitiven Wissens ein wichtiges Ziel alltagsorientierter Therapieansätze. Bei der
Definition individueller Testziele ist es wichtig, die verfügbaren Ressourcen (kognitives
Leistungsbild), sowie Gedächtnisanforderungen und -probleme im täglichen Leben des
Patienten zu kennen.
3. Interventionsmethoden
3.1 Klassifikation der Methoden
Psychische Störungen
31
Die in der Therapie bei Gedächtnisstörungen nach Hirnschädigung eingesetzten
Interventionsmethoden lassen sich grob klassifizieren in:
 Methoden, die der Reduktion von Anforderungen an das Gedächtnis dienen
 Methoden, die auf eine Verbesserung von Gedächtniskomponenten abzielen
 Methoden, mit denen metakognitives Wissen und Aspekte des Problemlösens
verbessert werden sollen
3.2 Veränderungen der Umwelt und externe Gedächtnishilfen
Man versucht die Gedächtnisanforderungen zu verringern und sie somit dem niedrigeren
Leistungsniveau anzupassen.
Reduktion der Anforderungen an das Gedächtnis
Meidung von Situationen
mit zu hohen Anforderungen
Veränderungen der Umwelt
Einsatz externer
Gedächtnishilfen
Zu einer optimalen Gestaltung der Umwelt eines Patienten gehört etwa das Aufbewahren von
Dingen an festgelegten Orten, das Anbringen von Hinweisschildern sowie das verbale
Verhalten anderer Personen gegenüber dem Patienten. Beim Einsatz externer Hilfsmittel
unterscheidet man zusätzlich zwischen der Verwendung als kurz- oder längerfristiger externer
Informationsspeicher oder als Erinnerungshilfen bei prospektiven Gedächtnisleistungen. Als
kurzfristiger Speicher dienen sie bei Störungen des Arbeitsgedächtnisses (Probleme des
gleichzeitigen Haltens und Verarbeitens von Information  Zwischenschritte festhalten,
Information im Überblick behalten), als längerfristiger bei Störungen der Aufnahme, des
längerfristigen Behaltens bzw. Abrufens und des Alltagsgedächtnisses (systematische
Zusammenstellung berufsrelevanten Wissens oder biographischer Ereignisse). Bei der
Verwendung als Erinnerungshilfen ist zu berücksichtigen, dass die Patienten meist nicht nur
vergessen, dass sie etwas tun wollten, sondern auch was. Kriterien zur Wirksamkeit externer
hilfsmittel sind:
 Einfach zu handhaben
 Hoher Grad an Sicherheit (sowohl an Leistungsprofil als auch an
spezifische Gedächtnisanforderungen im Alltag angepasst)
 Sollten ‚aktiv’ (Alarmzeichen einer Uhr) und nicht ‚passiv’ (Notiz auf
einem Zettel) sein
 Erinnerung sollte möglichst unmittelbar vor dem Zeitpunkt erfolgen, zu
dem die Handlung geplant ist
 Hilfe sollte möglichst spezifisch sein
Psychische Störungen
32
Vorraussetzung für den Erfolg externer Hilfen ist das Aussuchen geeigneter Maßnahmen und
das systematische Training in der Anwendung. Ihre Bedeutung nimmt dabei mit steigendem
Schweregrad der Störung zu. Oft fühlt sich der Patient durch solche ‚Prothesen’ aber eher in
seiner Genesung behindert, daher ist eine ausführliche Aufklärung (Benutzung behindert
Normalisierung der Gedächtnisfunktionen in keinster Weise) des Patienten und eine
Akzeptanz dieser Methode von seiner Seite ebenso wichtig für eine erfolgreiche Behandlung.
3.3 Stimulation
Zu den im klinischen Alltag üblichen Methoden zählen
Gedächtnisfunktionen durch Spiele und einfache Übungsaufgaben.
das
Training
von
Verbesserung des Gedächtnisses
Verbesserung der Fähigkeit,
Informationen aufzunehmen und
Abzurufen
Stimulation Training
Nutzung
Erwerb spezifischen
neuen Wissens
Nutzung impliziter
Gedächtnisleistungen
systematisches errorless
Wiederholen learning
von Strategien der
Informationsverarbeitung
Imaginale
Verbale
Andere
Die
Möglichkeit einer Verbesserung
des Gedächtnisses
muss aber auf Grund vorliegender
Strategien
Strategien
Strategien
empirischer Befunde sehr skeptisch beurteilt werden. Neuere Untersuchungen konnten aber
auch zeigen, dass ein gezieltes Training prospektiver Gedächtnisleistungen zu einer
Verbesserung dieser und retrospektiver Gedächtnisleistungen führen kann. Auch der
Zeitpunkt der Stimulation könnte für die Wirksamkeit wichtig sein: in frühen Stadien nach
einer Hirnschädigung könnten durch Stimulation Gedächtnisverbesserungen erzielt werden,
die über eine spontane Rückbildung hinausgehen. Von einigen Autoren wird auch zusätzlich
ein Aufmerksamkeitstraining empfohlen, um die Wirkung zu verbessern bzw. zusätzliche
Auslöser für Gedächtnisprobleme zu eliminieren.
3.4 Training von Strategien der Informationsverarbeitung
Psychische Störungen
33
Der Versuch, die erhaltenen Kapazitäten gedächtnisgestörter Patienten mit Hilfe von
Techniken, die bei gesunden Probanden zu einer Steigerung der Gedächtnisleistung führen,
optimal zu nutzen, stellt einen Schwerpunkt traditioneller Therapieforschung dar. Als
therapeutischer Bezugsrahmen dienen dabei gedächtnispsychologische Modelle, die die
Bedeutung von Verarbeitungsprozessen betonen. Ausgehend von diesen Theorien lässt sich
überprüfen, ob ineffiziente Strategien eingesetzt werden, bzw. ob ein optimaler Umgang mit
dem Material zu verbesserten Gedächtnisleistungen führt und ob effizientere Strategien
erlernt und im Alltag eingesetzt werden können. Angewendet werden diese Strategien
hauptsächlich beim Lernen und Erinnern von Einzelinformationen und bi der Verarbeitung
von Texten. Da bei amnestischen Patienten die zeitlich-kontextuelle Information nicht
automatisch mit eingespeichert wird, was zu Abrufungsprobleme des Erlebten durch fehlende
Kontextmarkierung führt, erscheint es sinnvoll, dass die Patienten die für den Abruf benötigte
Kontextinformation bewusst mitlernen. Ebenso sollte auf eine möglichst Verknüpfung mit
bereits vorhandenem Wissen geachtet werden. Gut erprobt sind verbale Strategien zum
Einprägen/Erinnern mehrerer isoliert nebeneinander stehender Information, die manchmal mit
visuellen Vorstellungen kombiniert werden:

Die Organisation nach klanglichen oder semantischen Gesichtspunkten

Ihre Einbindung in Sätze, Reime oder Geschichten

Die Verknüpfung zweier Wörter durch einen verbalen Mediator (z.B. ‚Hand’ als
Mediator für das zu lernende Paar Uhr – Handschuh)

Der Gebrauch von Anfangsbuchstaben und Abkürzungen als Abrufhilfe
Es gibt auch weitere Strategien zur Verbesserung der Gedächtnisleistung für
Textinformationen, die alle von der PQRST-Technik abgeleitet sind. Dabei verschafft man
sich zuerst einen Überblick (Preview), formuliert daraufhin Fragen zum Text (Questions),
liest ihn anschließend sorgfältig (Read), wiederholt den Inhalt (State) und überprüft sich
anschließend anhand der gestellten Fragen (Test). Es konnte gezeigt werden, dass der positive
Effekt nicht durch die bloße längere Bearbeitungszeit bedingt ist, sondern durch das
Wiederholen der neuen Information  systematisches Wiederholen nach einem optimalen
zeitlichen Ablaufplan als zusätzliche Lernhilfe.
Ältere Therapiestudien untersuchten den Effekt von bildhaften Vorstellungen auf Lern- und
Gedächtnisleistungen. Als Grundlage diente dabei Paivios duale Kodierungstheorie, nach der
durch das Training doppelter Abspeicherung (verbal und bildhaft) die Vorzüge bildhafter
Repräsentation genutzt werden können. Dies biete zusätzliche Möglichkeiten für den
Informationsabruf, wie etwa die Integration mehrerer Einzelinformationen in ein Bild, das
sortieren von Einzelinformationen in eine Bilderreihe (‚Loci-Methode’: zu erlernende
Informationen werden an genau festgelegten Punkten entlang eines mental repräsentierten
bekannten Weges abgelegt) oder die Unterstützung beim Lernen von Namen-Gesicht
Assoziationen (Bsp.: Herr Vogel). Es gibt auch Untersuchungen der allgemeinen- und der
Psychische Störungen
34
Entwicklungspsychologie zur multiplen Kodierung, die zeigen, dass sich die verbale
Gedächtnisleistung gesunder Probanden durch Ausführend einer entsprechenden Handlung
während der Encodierungsphase verbessern lässt (gilt wohl auch für amnestische Patienten).
Die Ergebnisse der Therapieforschung zeigen, dass (leicht und mittelgradig) amnestische
patienteneffektive Strategien der Informationsverarbeitung in der Therapiesituation
gewinnbringend einsetzen, auch wenn sie dabei nur selten ein der Norm entsprechendes
Niveau erreichen. Unklar ist jedoch ob dieser Gewinn überdauernd ist, ebenso ob die
Strategien auch im Alltag angewendet werden.
3.5 Techniken zum Erwerb neuen Wissens
Bei schweren Amnesien ist sehr nur schwer möglich, neue Information einzuspeichern oder
abzurufen, dennoch können begrenzte Fortschritte durch den Einsatz der in 3.4 beschrieben
Techniken oder durch die Nutzung erhalten gebliebener impliziter Gedächtnisleistungen
erreicht werden. Eine solche Methode wären etwa die vanishing cues. Dabei werden zunächst
von einem zu lernenden Begriff so viele Buchstaben vorgegeben, wie zur Identifikation nötig
sind. Anschließend werden diese cues schrittweise reduziert. Diese Methode bewirkt zwar
einen stabilen, allerdings auch nur langsamen Wissenszuwachs, auch ist das so erworbene
Wissen nur gering flexibel, da es nur unter den Bedingungen der ursprünglichen Lernsituation
abrufbar ist. Ein weiteres Problem dabei ist, dass es amnestischen Patienten schwer fällt, beim
Lernen auftretende Fehler zu eliminieren, daher sind bei organischen Gedächtnisstörungen
Lernprozeduren besser, bei den Fehler vermieden werden (errorless learning).
3.6 Förderung von metakognitivem Wissen und Aspekten des
Problemlösens
Der Patient soll hierbei kritische Anforderungen seines Alltags erkennen lernen sowie seine
individuellen Bewältigungsmöglichkeiten.
4. Schwerpunkte zukünftiger Forschung
Unter Experten besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass am ehesten eine streng auf
den Alltag ausgerichtete Therapie Erfolg hat. Allerdings gibt es bisher nur wenig empirische
Belege für die Wirksamkeit verschiedener Interventionsmethoden. Auch ist die Entwicklung
therapeutischer Standards sowohl methodisch als auch inhaltlich sehr schwierig, da eine
Vielzahl relevanter Einflussgrößen beachtet werden muss. Wünschenswert wären auch
Studien über das Verhalten amnestischer Patienten in typischen Alltagssituationen, diese
Psychische Störungen
35
könnten zusammen mit Erkenntnissen über ätiologie- und lokalisationsspezifische
Störungsmuster hilfreich sein bei der Entwicklung verbesserter Bewältigungsstrategien.
Bisher wurde hauptsächlich auf die Verbesserung von Gedächtnisleistungen geachtet, in den
letzten Jahren fand aber auch die Eliminierung von Störfaktoren größere Beachtung.
32. Schlafstörungen (Jansesberger)
32.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Klassifikation
In der klinischen Praxis werden Schlafbeschwerden gewöhnlich beschreibend unterteilt in
Einschlafstörungen, Schlafunterbrechungen und frühzeitiges Aufwachen am Morgen.
Während diese Störungen mit einem Schlafdefizit einhergehen, wird aber auch ihr Gegenteil,
der exzessive Schlaf, als Symptom gewertet.
In einem umfangreichen Klassifikationssystem, das von der American Sleep Disorders
Association in Zusammenarbeit mit Research Societies in Europa, Japan und Lateinamerika
herausgegeben wurde (ISCD – The International Classification of Sleep Disorders, 1990)
ist das gesamte derzeitige Wissen über alle Formen von Schlafstörungen niedergelegt. Die
Taxonomie, die soweit als möglich von pathophysiologischen Kriterien ausgeht, ist in vier
Hauptgruppen eingeteilt:
Dyssomnien, Parasomnien, Schlafstörungen in Verbindung mit medizinisch/psychiatrischen
Erkrankungen und «vorgeschlagene », d.h. noch nicht eindeutig bestimmte Schlafstörungen.
Für 88 Arten von Schlafstörungen werden die wesentlichen Merkmale sowie Kriterien der
Schwere, der Dauer und der differentialdiagnostischen Abgrenzung beschrieben. Die
Einordnung des Beschwerdebilds erfolgt auf drei Achsen, auf denen die schlafbezogene
Diagnose, die angewandten diagnostischen Verfahren und andere somatische Erkrankungen
aufgeführt werden.
Eine vereinfachte Form wurde für das DSM IV ausgearbeitet, man beschränkte sich hier auf
subjektive Angaben, physologische Schlafmessungen werden nicht gefordert.
Im ICD-10 werden nur die psychogenen Schlafstörungen als eigene Gruppe klassifiziert,
übrige Schlafstörungen werden anderen Sektionen zugeordnet, zB.: Schlafapnoe den
Atmungserkrankungen.
Psychische Störungen
36
Die Hauptgruppen der Schlafstörungen im DSM-IV (ICD-9-CM, ICD-10)

Dyssomnien
– Primäre Insomnie (307.42; F51.0)
– Primäre Hypersomnie (307.44; F51.1)
– Narkolepsie (347; G47.4)
– Atmungsgebundene Schlafstörung (780.59; G47.3)
– Schlafstörung mit Störung des zirkadianen Rhythmus (307.45; F51.2)
– nicht näher bezeichnete Dyssomnie (307.47; F51.9)

Parasomnien
– Schlafstörungen mit Angstträumen (307.47; F51.5)
– Pavor nocturnus (307.46; F51.4)
– Schlafstörung mit Schlafwandeln (307.46; F51.3)
– nicht näher bezeichnete Parasomnien (307.47; F51.8)

Schlafstörungen in Zusammenhang mit einer anderen psychischen Störung
– Insomnie in Zusammenhang mit einer anderen psychischen Störung (307.42; F51.0)
– Hypersomnie in Zusammenhang mit einer anderen psychischen Störung (307.44; F51.1)

Andere Schlafstörungen
– Schlafstörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors (780.xx; G47.x)
– Substanzinduzierte Schlafstörung (–; F1x.8)
DSM IV – Diagnostische Kriterien für eine primäre Insomnie (DSM-IV, S. 634)
A. Die im Vordergrund stehende Beschwerde besteht in Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten oder in nicht erholsamem Schlaf seit mindestens einem Monat.
B. Die Schlafstörung (oder die damit verbundene Tagesmüdigkeit) verursacht in klinisch
bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen
wichtigen Funktionsbereichen.
C. Das Störungsbild tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Narkolepsie, einer
atmungsgebundenen Schlafstörung, einer Schlafstörung mit Störung des Zirkadianen
Rhythmus oder einer Parasomnie auf.
D. Das Störungsbild tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer anderen psychischen Störung
auf (z. B. Major Depression, Generalisierte Angststörung, Delir).
E. Das Störungsbild geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz
Psychische Störungen
(z.B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück.
2. Diagnostik
Die Differenzierung der Klassifikationssysteme macht deutlich, daß die Abklärung von
Schlafproblemen eine umfassende multivariate Diagnostik erfordert. Schwerpunkte der
klinischen Urteilsbildung sind folgende Fragen:
(1) Ist eine Schlafstörung als vorübergehend oder als chronisch zu definieren?
(2) Tritt eine Schlafstörung im Kontext von somatischen Symptomen und psychiatrischen
Erkrankungen auf oder ist sie als primäre Störung anzusehen?
(3) Stellt sich eine Schlafstörung nur im Erleben des Betroffenen dar oder wird sie durch
physiologische Messungen bestätigt?
Abklärungschritte von Insomnien:
1) Halbstrukturiertes Interview:
 Emotion, Kognition und Verhalten in bezug auf die Störung und ihre Folgen
 Schlafanamnese
 Einstellung zum Schlaf
 Lebenssituation
 Analyse von auslösenden und auftrechterhaltenden Bedingungen
2) Schlaftagebuch:
 Im Bett verbrachte Zeit
 Einschlaf- und Aufwachzeiten
 Schlafunterbrechungen
 Schlafqualität und Erholungsgefühl
 Medikamente
 Differenzierung von generalisiertn Aussagen über den Schlaf
3) Messung der Motorik:
 Kontinuierliche Aufzeichnung der Armbewegung
 Summierte Werte über jeweils 7,5 min
 Vergleich von Ruhe/Aktivitätsphasen mit den subjektiven Angaben
37
Psychische Störungen
38
4) Labormessung des Schlafs:
 EEG, EOG (Augenbewegungen), EMG (Kinnmuskel), Atmung, Puls,
 2–3 Labornächte
 Diagnose von Schlafstruktur und Schlafverlauf bei chronischen, primären und stark
belastenden Schlafstörungen
32.2 Ätiologie/Bedingungsanalyse
1. Ein deskriptives Modell zur Einordnung von Schlafstörungen
Engel und Knab (1985) haben ein Zwei-Komponenten-Modell vorgeschlagen, das die
subjektiven und objektiven Merkmale
von Schlafstörungen berücksichtigt. Sie
gehen von folgender Annahme aus: «das
klinische Bild des chronisch ‹schlechten›
Schlafs kommt nur dann zustande, wenn
eine somatische Dysregulation des
Schlaf-Wach-Rhythmus mit einer
erhöhten neurotischen Klagsamkeit
zusammenfällt»
Es wird eine dynamische
Wechselwirkung zwischen den beiden Komponenten angenommen.
Erweiterung des Modells: Auf der psychichen Dimension kann man auch Defizite in der
Stressver-abeitung hinzunehmen, diese müsse nicht immer neurotischer Natur sein.
2. Auslösende Bedingungen von Schlafstörungen
2.1 Biologische Bedingungen
Im Lauf der Entwicklung gibt es Phasen, in denen sich der Schlaf-Wach-Rhytmus natürlich
verändert. Es kann zu Anpassungsschwierigkeiten kommen und so wird auch die Anfälligkeit
für Schlafstörungen in diesen Phasen erhöht.

Frühe Kindheit
Psychische Störungen

Adoleszenz

Höheres Alter
39
Jedoch werden Schlafstörungen in diesen natürlichen Entwicklungsphasen kaum chronisch.
Bleiben Schlafstörungen zB. von Kindheit an bestehen sind sie oft auf leichte neurologische
Schädigungen zurückzuführen, also organische Ursache.
Neben diesen entwicklungsbedingten Grundlagen von Insomnien können auch konstitutionelle Faktoren guten Schlaf beeinträchtigen, zb. ein erhöhtes physiologisches Aktivierungsniveau.
2.2 Psychodynamische Bedingungen
Hoffmann (1975) hat in Anlehnung an die Strukturtheorie von Freud ein ätiologisches Modell
für Insomnien vorgeschlagen. Er unterscheidet chronische neurotische Schlafstörungen mit
internalisierten und mit nach außen gerichteten Konflikten
Es ist weiterhin eine bekannte Tatsache, daß belastende Lebensereignisse Schlafstörungen
hervorrufen können. Die überwiegende Mehrzahl chronisch schlafgestörter Patienten führt
die Beschwerden auf ihre Lebenssituation zurück, wobei persönliche Probleme am häufigsten
genannt werden. Hier spielen vor allem altersspezifische psychosoziale Konflikte eine Rolle
( Erikson’s Entwicklungsmodell).
Eine Unterstützung der Konflikthypothese wird in den zahlreichen Untersuchungen gesehen,
die einen Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und in Persönlichkeitstests gemessenen
Neurotizismuswerten nachgewiesen haben, dies ist jedoch kein spezifischer Indikator (auch
bei anderen psychischen Störungen).
Schlafgestörte Patienten zeichnen sich vor allem durch besonders hohe Werte auf der Skala
«Psychasthenie», die ängstliches Grübeln und Anspannung anzeigt, aus.
2.3 Kognitive und verhaltensorientierte Bedingungen
Man geht davon aus, dass eine im Umfeld des Schlafes stattfindende grüblerische Gedankentätigkeit schalfhindernd wirkt, besonders die Fixierung der Gedanken auf den ausbleibenden
Schlaf wirkt problemverstärkend  überbesorgte Einstellung zum Schlaf
Psychische Störungen
40
Befragungen haben gezeigt, dass mehr als die Hälfte der schlafgestörten Befragten störende
Gedankenabläufe angeben. Jeder Dritte erlebt kognitive als auch körperliche Aktivierung,
5 % verspüren nur körperliche Anspannung.
Erklärung aufgrund eines operanten Lernprinzip (Bootzin & Nicassio 1978):
Wenn sich in der Schlafsituation schlafinkompatible, aktivierende Gewohnheiten einschleifen, wie z.B. Fernsehen, Essen im Bett, verliert die Umwelt ihre schlaffördernde Funktion.
Untersuchungen haben dies widerlegt, gute Schläfer haben in Vergleich zu schlechten
Schläfern, häufiger schlaf-inkompatible Verhaltensweisen. Befunde weisen darauf hin, dass
die subjektive Bewertung von Stress und ein Defizit an Bewältigungsstrategien wesentlicher
sind. Untersuchungen des Tagesverhalten von schlafgestörten vs. normaler Schläfer haben
gezeigt, dass schlächte Schläfer eine geringere Tagesaktivität aufweisen, sie sich in ihren
Gedanken mehr mit sich selbst oder unpersönlichen Dingen beschäftigen, und sie ihre
Stimmung häufiger als ruhig, entspannt und unbeteiligt einstuften.
3. Aufrechterhaltende Bedingungen von Schlaftstörungen
Schlafstörungen gelten vor allem in den Gruppen der affektiven Störungen und der
Angstsyndrome als wichtiges Symtom. Die experimentelle Schlafforschung hat vor allem den
Schlaf bei der Major Depression untersucht, wobei sich gestörter Schlaf bei depressiven
Patienten in folgenden Merkmalen äußerte:
- Einschlaf- und Durchschlafstörungen mit zu frühem Erwachen
- Verminderung des Tiefschlafts, vor allem im ersten Zyklus
- Verkürzung der ersten Nicht-REM Periode, vorzeitiges Einsetzen des ersten REM
- Gleichmäßigere Verteilung des REM-Schlafs innerhalb des gesamten Schlafs
Diese Merkmale sind auch bei anderen psychischen Störungen (Angstst., Schizophrenie),
bei Gesunden im Alter und bei Jungen, die tagsüber inaktiv bleiben beobachtbar.
Ein totaler oder partieller Schlafentzug hat einen antidepressiven Effekt. Es zeigte sich, dass
bei 60 % der Patienten, die eine Nacht lang wachgehalten wurden, eine deutliche Besserung
der depressiven Symptome eintrat, diese hielt jedoch bestenfalls nur einige Tage an. Eine
antidepressive Wirkung wurde außerdem nach Schlafentzug der 2. Nachthälfte oder
selektivem REM-Schlafentzug nachgewiesen.
4. Gestörter Schlaf als Bedingung für andere psychische Störungen
Psychische Störungen
41
4.1 Das Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation (Borbély, 1987)
Es werden 2 biologische Prozesse die den Schlaf regulieren angenommen. Prozess S bestimmt
die Schlafbereitschaft und die Schlafintensität in Abhängigkeit von dem Schlaf-WachRhytmus (steigt im Wachsein, fällt im Schlaf) und wird durch die langsamen EEG-Wellen
operationalisiert. Prozess C wird durch die übergreifende individuelle zirkadiane
Tagesperiodik bestimmt.
Schlafprozesse S und C bei einer gesunden
Kontrollperson (gestrichelte Kurve) und
einem depressiven Patienten
(durchgezogene Kurve). Links ist ein
gewöhnlicher Schlaf-Wach-Zyklus
eingezeichnet, rechts der Verlauf bei
Schlafdeprivation. Die Schlaf-perioden des depressiven Patienten sind schraffiert.
Die These dieses Modells lautet, dass bei einer depressiven Erkankung der Prozess S, d. h. die
Schlaffähigkeit nicht genügend ausgebildet ist und dass diese Beeinträchtigung depressives
Befinden bewirkt. Da sich Prozess S am Tag nicht genug aufbaut, ist der nachfolgende Schlaf
in seiner Qualität und Intensität gestört, bei Schlafdeprivation wird Prozess S gestärkt.
4.2 Die chronobiologische „Phase-advance“ Hypothese
Ausgangspunkt sind die zirkadianen Rhythmen die von der inneren, biologischen Uhr
gesteuert werden. Störungen der gewohnten Schlaf-Wach-Rhythmen (zB. durch Schichtarbeit,..) führen zu einer Desynchronisation. Diese kann zu psychophysiologischen
Beschwerden führen. Ein bekanntes Merkmal depressiver Erkrankungen sind die Tagesschwankungen im Befinden, die auf einen Einfluß zirkadianer Faktoren verweisen.
Die «Phase-advance Hypothese» geht davon aus, daß der Schlaf von zwei zirkadianen
Oszillatoren reguliert wird. Der eine, stärkere Oszillator kontrolliert den REM-Schlaf, die
Körpertemperatur und die Cortisolausschüttung, der andere den Schlaf-Wachzyklus. In der
depressiven Erkrankung findet eine Phasenverschiebung statt, wobei der REM-Schlaf
Oszillator vorverschoben ist (normabweichenden REMSchlafmerkmale).
Wehr und Wirz-Justice, 1981, haben gezeigt, daß durch Vorverlegen der Schlafzeit um
6 Stunden depressive Symptome gebessert werden konnten. Sie nehmen an, daß durch die
Schlafzeitverschiebung die beiden Oszillatoren wieder synchronisiert werden.
Sie vermuten auch, daß im zirkadianen System die frühen Morgenstunden eine kritische
Phase darstellen, die depressive Symptome verstärkt, wenn zu dieser Zeit geschlafen wird.
Psychische Störungen
42
Durch Schlafdeprivation in der zweiten Nachthälfte sowie durch die Vorverlegung des
Schlafs kann ein solch «depressogener» Einfluß umgangen werden.
32.3 Intervention
1. Einleitung
Aus einer schweizer Untersuchung ging hervor, dass 45,6 % nichts gegen ihre
Schlafprobleme unternehmen, wird fachliche Hilfe gesucht dann meist bei einem Arzt (jeder
vierte nimmt rezeptphlichtige Medikamente). 11 % versuchen sich selbst mit frei erhältlichen
Medikamenten zu helfen, 18 % setzen auf Hausmittel und 8 % versuchen ihre Lebensweise zu
ändern.
Man unterscheidet zwischen Symtomorientierter I. und Persönlichkeitsorientierter I.
- Medikamente
- Entspannungsverfahren
- psychodynamisch orientiert
- kognitiv/verhaltensorientiert
- Stimulus- Bettzeitkontrolle
- Paradoxe Intention
2. Medikamente
Bei Schlafmitteln besteht immer die Gefahr der Überdosierung und einer psychischen
Abhängigkeit. Nebenwirkungen können sich in Veränderungen der Schlafstruktur,
Verwirrtheitszuständen und durch Benommenheit am nächsten Tag zeigen. Nach Absetzen
des Medikaments kommt es außerdem oft zu einer verstärkten Insomnie.
3. Entspannungsverfahren
zB.: Progressive Entspannung, Autogenes Training, Hypnose, Meditation, Biofeedback...

Entspannungsmethoden können Einschlafstörungen erheblich verbessern

Die progressive Relaxion hat gegenüber einfachen Entspannungen mehrfach bessere
Ergebnisse gezeigt
Psychische Störungen

43
Es ist nicht nachgewiesen, dass Besserung mit messbarer Reduktion körperlicher
Anspannung verbunden ist.

Wichtiger Faktor ist aber, dass durch Aufmerksamkeitsverschiebung das Grübeln über die
Schlafstörung unterbrochen wird

Ängstliche und angespannte Personen profitieren am meisten von Entspannungsverfahren
4. Stimulus- und Bettzeitkontrolle
Stimuluskontrolle von Schlafstörungen (Bootzin, 1980)
– Gehen Sie nur zu Bett, wenn Sie müde sind
– Benützen Sie das Bett nur zum Schlafen, d. h. nicht zum Lesen, Trinken, Rauchen,
Fernsehen (Sex ausgenommen)
– Wenn Sie nach 10 Minuten noch wach sind, stehen Sie auf und gehen Sie in ein anderes
Zimmer. Gehen Sie erst wieder ins Bett, wenn Sie sich müde fühlen
– Wenn Sie dann immer noch nicht einschlafen können, wiederholen Sie den vorhergehenden
Schritt
– Stehen Sie jeden Morgen zur gleichen Zeit auf
– Schlafen Sie nicht tagsüber
Die Verhaltensregeln haben einerseits das Ziel, schlafinkompatible Gewohnheiten und
Gedanken zu unterbinden, andererseits die zeitliche Abfolge des Schlaf-Wach-Rhythmus zu
festigen. Das Stimulus-Kontrollprogramm ist bei der Behandlung von Einschlafstörungen
erfolgreich eingesetzt worden. Es gibt jedoch Stimmen, die meinen, das die Unterbrechung
des grüblerischen Denkens den Effekt ausübt und nicht die im Bett ausgeführten Aktivitäten,
auch auf grund des mehrfachen Aufstehens eine Schlafdeprivation erreicht, die den
nachfolgenden Schlaf verbessert.
Bettzeitkontrolle (Spielman et al., 1987)
Die These lautet, dass vor allem die schlaflos im Bett verbrachte Zeit das Beschwerdebild
aufrechterhält. Bei Probanden wurde jeweils die subjektiv erlebte Schlafdauer berücksichtigt.
Verbringt ein Proband ca. 8 h im Bett, kann aber nur 5 h davon schlafen, wird seine Bettzeit
solange auf 5 h reduziert bis er 5 Nächte lang durchschnittlich 90 % der Zeit schlafen konnte.
Dann wird die Bettzeit um 15 min verlängert bis wirder 90 % geschlafen wurde usw. Die
Schlafeffizient konnte deutlich verbessert werden (auch noch 9 Mon. Später), die Schlafdauer
stieg jedoch nur geringfügig. Es ist jedoch schwierig Patienten zu dieser Maßnahme zu
motivieren.
Psychische Störungen
44
5. Paradoxe Intention
 entwickelt von V.E. Frankl im Rahmen seiner Logotherapie (Psychogott )
Es handelt sich um eine Selbstkontrolltechnik, bei der das Symtom explizit verschrieben wird
und ganz gut wirkt. Es liegt der Gedanke zugrunde, dass der Leistungsdruck „Einschlaften zu
wollen“ sekundäre Angst hervorruft, die das Symtom verstärkt.
Die paradoxe Intention lenkt direkt von symptombezogenen Gedanken ab. Diese Wirkung
kann aber ebenso mit indirekteren Instruktionen erreicht werden. Woolfolk und McNulty
(1983) konnten zeigen, daß die Aktivierung neutraler oder angenehmer Vorstellungen ohne
zusätzliche Entspannung Einschlafstörungen verbessert. Ein solches Imaginationstraining hat
sich auch für die Besserung von Durchschlafstörungen bewährt
6. Psychodynamisch orientierte Intervention
Man geht davon aus, dass nach einer Verarbeitung der psychischen Konflikte auch das
sekundäre Symtom der Schlafstörung verschwindet. Jedoch hat man das Problem, dass auch
wenn den Schlafstörungen ein Konflikt zu grunde liegt (zB. massive Alpträume,..), sind die
Patienten sehr symtomorientiert, d. h. sie wollen das die Schlafstörung behandelt wird, und sie
sind nicht motiviert ihre psychische Situation aufzudecken. Deshalb bedarf es eines sehr
aktiven Angehen der Konflikte, um dem Patienten den Zusammenhang zwischen Symtom
und Konflikt bewusst zu machen. Wirksamkeitsstudien liegen nicht vor.
7. Kognitiv-verhaltensorientierte Interventionen
Ein Beispiel für eine Verhaltenstherapie ist das Breitbandprogramm von Hohenberger und
Schindler (1984). Das Progamm besteht aus 11 halbstandardisierten Sitzungen. Aufgrund der
Erkenntnis, daß Wachen und Schlaf in einer engen Wechselwirkung stehen, sollen nicht nur
das Schlafverhalten und Einstellung zum Schlaf, sondern auch der Lebensstil des Klienten,
insbesondere der Umgang mit Belastungssituationen verändert werden.
Gegenüber einer Wartegruppe verbesserten sich bei den behandelten Klienten Einschlafzeit,
Schlafdauer und Schlafgewohnheiten, nicht aber die nächtlichen Wachzeiten und die Einstellung zum Schlaf. In den sekundären Zielvariablen veränderten sich nicht das Tagesbefinden
und das Ausmaß der Belastung, wohl aber in positiver Richtung der Umgang mit Belastung
und Depressivität.
Psychische Störungen
45
8. Abschließende Bemerkung
Die Wirksamkeitsstudien in diesem Bereich sind generell qualitativ nicht sehr hochwertig.
Eine Meta-Analyse von 59 Studien ergab, dass die Erfolgsquote bei der Besserung von
sujektiv eingeschätzer Einschlaflatenzen, nächtlicher Wachzeit und Schlafdauer zwischen 26
und 66 % beträgt. Bettzeitkontrolle und Biofeedback schnitten am besten ab.
Schlafstörungen können auf vielfältige Ursachen zurückgehen. Misserfolge bei der Behandlung werden in erster Linie auf schlechte Differentialdiagnosen zurückgeführt, bei denen nicht
klientenspezifisch gearbeitet wird.
33. Essstörungen (Fellner)
33.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Einleitung
Laut DSM – IV 3 Kategorien von Essstörungen im Erwachsenenalter:
(1) Anorexia Nervosa
(2) Bulimia Nervosa
(3) Nicht näher bezeichnete Restkategorien
2. Symptomatik und Klassifikation
2.1 Anorexia Nervosa
2.1.2 Diagnostische Kriterien für Anorexia Nervosa im DSM IV
(1) Weigerung das Minimum, des für Alter und Körpergewicht, normalen
Körpergewichtes zu halten
(2) Trotz Untergewicht besteht eine ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme
(3) Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und Körpergewichts.
Psychische Störungen
46
(4) Übertriebener Einfluss der Figur oder des Körpergewichts auf die Selbstbewertung
(5) Ausbleiben von mindestens 3 aufeinander folgenden Menstruationszyklen
Ab einem Body Mass Index unter 17.5 gilt man als untergewichtig.
Unterscheidung in:
a) Restriktiver Typus
Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa keine regelmäßigen „Fressanfälle“
oder Purging – Verhalten.
b) Binge – Eating/Purging – Typus
Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa regelmäßige „Fressanfälle“ und
Purging – Verhalten (z.B.: Selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Erbrech – oder
Abführmittel).
2.1.3 Diagnose im ICD – 10

weitgehende Übereinstimmung mit dem DSM – IV

Weiteres Diagnosekriterium: Entwicklungsverzögerungen, wenn die Anorexia
Nervosa vor der Pubertät auftritt

≠ Unterscheidung in restriktiven und Bige eating/ Purging Typus
Es gibt Hinweise darauf, dass sinnvoll ist, zwischen dem restriktiven und Binge –
eating/Purging Typus zu unterscheiden; So kommen z.B. Verhaltensweisen mit
eingeschränkter Impulskontrolle öfter beim Binge – eating/Purging Typus als beim
restriktiven Typus vor.
2.1.4 Differentialdiagnose bei Anorexia Nervosa
 Von der Anorexia Nervosa sind
a) körperliche Ursachen des Gewichtsverlustes (z.B.: Tumor, Magendarmerkrankungen)
b) Gewichtsverlust im Zusammenhang mit psychischen Störungen abzugrenzen, weil die
typischen Körperschemastörungen und Ängste vor einer Gewichtszunahme fehlen.
Psychische Störungen

47
Auch bei der Schizophrenie können bizarre Essgewohnheiten vorkommen, aber die
zentralen Merkmale der Schizophrenie sind bei der Anorexia Nervosa nicht gegeben.
2.1.5 Medizinische Folgeprobleme der Anorexia Nervosa
(1) Hormonelle und Blutbildveränderungen
(2) Störung des Elektrolythaushaltes (bei Binge – eating/Purging Typus)
(3) Aufgrund des geringen Körperfettanteils wird zuwenig Östrogen gebildet, was zu
Osteoporose führen kann
Steckbrief Anorexia Nervosa:

Betroffene haben eine krankhafte Angst vor einer Gewichtszunahme, obwohl sie
untergewichtig sind

Typisch sind Körperschemastörungen

Streben danach extrem dünn zu sein

Keine Krankheitseinsicht

biologische Veränderungen aufgrund der Unter- und Mangelernährung
2.2 Bulimia Nervosa
2.2.1 Diagnostische Kriterien für Bulimia Nervosa nach DSM – IV
(1) Wiederholte Episoden von „Fressattacken“. Eine „Fressattacken“ – Episode ist durch
folgende Merkmale gekennzeichnet:
a) In einem bestimmten Zeitraum wird eine Nahrungsmenge verzehrt, die erheblich
größer ist, als die Menge die Menschen in diesem Zeitraum und unter diesen
Bedingungen verzehren würden.
b)
Patient hat während dieser Episoden subjektiv keine Kontrolle über das
Essverhalten.
(2) Wiederholte
Anwendung
von
unangemessenen,
der
Gewichtszunahme
entgegensteuernden Maßnahmen (Fasten, Erbrechen, übermäßiger Sport)
(3) „Fressattacken“ und das unangemessene Kompensationsverhalten kommt 3 Monate
lang, mindestens 2x die Woche vor
Psychische Störungen
48
(4) Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf der Anorexia Nervosa auf
(5) Figur und Körperbewertung
Selbstbewertung
haben
einen
übermäßigen
Einfluss
auf
die
Unterscheidung in:
a) Purging – Typus
Während der aktuellen Episode der Bulimia Nervosa wird regelmäßiges Erbrechen oder
Missbrauch von Laxantien oder Klistiere betrieben
b) Nicht - Purging – Typus
Während der aktuellen Episode der Bulimia Nervosa andere unangemessene gegensteuernde
Maßnahmen ergriffen (Fasten, übermäßiger Sport etc.). Kein regelmäßiges Erbrechen oder
Missbrauch von Laxantien oder Klistiere.
Bulimiker des Purging – Typus

Sind jünger

Haben ein geringeres Körpergewicht
 Zeigen mehr psychopathologische Auffälligkeiten
Als der Nicht - Purging – Typus.
2.2.2 Diagnose im ICD – 10

weitgehende Übereinstimmung mit dem DSM – IV

Kontrollverlust ist kein diagnostisches Kriterium für Bulimia Nervosa

Keine operationalen Kriterien (Zeitdauer, Häufigkeit)

Keine Unterscheidung in Purging – Typus und Nicht - Purging – Typus
2.2.3 Differentialdiagnose der Bulimia Nervosa

Bulimia Nervosa grenzt sich durch die spezifische dysfunktionale Einstellung
gegenüber der Figur und Gewicht bezüglich
a) anderen psychischen Störungen (Major depression und Schizophrenie)
b) und bestimmten neurologischen Erkrankungen (Tumore des ZNS etc.)
bei denen ebenfalls ungewöhnliche Eßgewohnheiten bis hin zu Essanfällen vorkommen,
ab
Psychische Störungen
49
2.2.4 Medizinische Folgeprobleme der Bulimia Nervosa

Durch das Erbrechen sinkt der Kaliumspiegel

Chronische Veränderung des Säure – Basen Haushaltes

Herzrhythmusstörungen

Herzstillstand und chronisches Nierenversagen
2.3 Binge – Eating – Störung
2.3.1 Forschungskriterien für die Binge – Eating – Störung nach DSM – IV

Wiederholte Essanfälle mit dem Erleben von Kontrollverlust

a)
b)
c)
d)
e)
Essanfälle erfüllt mindestens drei der folgenden Kriterien:
wesentlich schnelleres Essen als normal
es wird bis zu einem unangenehmen Sättigungsgefühl gegessen
es werden ohne Hungergefühl große Nahrungsmengen gegessen
allein essen aufgrund von Verlegenheits – und Schamgefühlen
aufgrund der Essanfälle erleben die Betroffenen Ekelgefühl, Depressionen oder ein
schlechtes Gewissen

Aufgrund der Essanfälle ausgeprägter Leidensdruck

Essanfälle treten seit 6 Monaten mindestens 2x die Woche auf

Auf die Essanfälle folgen nicht regelmäßig kompensatorische Maßnahmen zur
Gewichtskontrolle und die Essanfälle treten nicht ausschließlich während einer
Anorexie oder Bulimia Nervosa auf.
Bei „Binge – Eating“ – Störungen leidet die Person an wiederkehrenden Essanfällen, wobei
die übrigen Kriterien der Bulimia Nervosa nicht erfüllt werden.
Aufgrund fehlender empirischer Befunde wird „Binge – Eating“ unter den „nicht näher
bezeichnete Essstörungen“ eingeordnet.
Gehäuftes Auftreten der „Binge – Eating“ – Störung bei:

Personen die an Gewichtreduktionsprogrammen teilnahmen/teilnehmen
Psychische Störungen

50
Hinweise das die „Binge – Eating“ – Störung mit der Stärke des Übergewichts bei
Personen korreliert (je höher das Übergewicht, desto häufiger die „Binge – Eating“ –
Störung)

Komorbidität mit Depression, Angststörungen und Persönlichkeits-störungen
3. Diagnostik
3.1 Eating Disorder Inventory (EDI)
Zur Erfassung der psychologischen Merkmale von Essstörungen wird häufig das Eating
Disorder Inventory (EDI) verwendet. Das EDI hat sich in gruppenbezogenen Anwendungen
bewährt.
Subskalen des Fragebogens Eating Disorder Inventory (EDI)
Sub - Skalen
Itembeispiele
Streben nach Dünnsein
„Ich denke über Diäten nach“
Bulimische Symptome
„Ich beschäftige mich gedanklich mit
Essanfällen“
Unzufriedenheit mit der Figur
Ineffektivität
Angst vor dem Erwachsenwerden
Perfektionismus
Zwischenmenschliches Misstrauen
Interozeption
„ Ich empfinde meinen Bauch zu dick“
„Ich fühle mich unfähig als Mensch“
„Ich wünschte ich wäre jünger“
„Ich hasse es nicht der Beste zu sein“
„Ich habe Schwierigkeiten anderen meine
Gefühle zu zeigen“
Ich kann meine Gefühle klar unterscheiden“
Als Interviewleitfaden zur Diagnose der Anorexia und Bulimia Nervosa ist die
Disorder Examination (EDE) verwendbar.

differenziert zwischen objektiven und subjektiven Essanfällen

erfasst welche Methoden der Patient zur Gewichtskontrolle einsetzt.

erfasst das Ausmaß an gezügelten Essverhalten (restrained eating),

erfasst Einstellungen und Gefühle gegenüber der Figur und Essen
3.1 Diagnostische Verfahren
Eating
Psychische Störungen
Bezeichnung des Verfahrens
Eating Disorder Inventory (EDI)
51
Kurzbeschreibung des Verfahrens
64 Items; 8 Skalen
Fragebogen zum Figurbewusstsein
(FFB)
36 Items; negative Kognitionen und
Gefühle im Umgang mit der eigenen
Figur
Dutch Eating Behavior Questionnaire (DEBQ)
Extern
bestimmtes
„gezügeltes“
Essverhalten und gefühls-induziertes
Essverhalten
Fragebogen zum Essverhalten
(FEV)
74 Items; „gezügeltes“ Essverhalten,
Störbarkeit des Essverhaltens, erlebte
Hunger-gefühle, flexible und rigide
Kontrolle des Ess-verhalten
Eating Disorder Examination (EDE) Interviewleitfaden zur
Diagnosestellung der Anorexia und
Bulimia Nervosa
Marburger Essanfallstagebuch
Tagebuch
zur
Erfassung
Ereignissen,
Stimmungen
Gedanken, die den
vorausgehen bzw. folgen
Marburger Ernährungstagebuch
von
und
Essanfällen
Tagebuch zur Erfassung der täglich
gegessenen Nahrung, der erlebten
Ängste vor Gewichtszunahme und der
eingesetzten
kompensatorischen
Maßnahmen
33.2 Ätiologie/Bedingungsanalyse
1. Einleitung: Epidemiologische Befunde
 bevorzugt in Industrieländern
 (Anorexia nervosa bei Frauen und Mädchen: 0.4 und 1%)
 (Bulimia Nervosa bei Frauen und Mädchen: 0.9 – 4%)

in höheren sozioökonomischen Schichten

Anorexia und Bulimia Nervosa treten meist bei Frauen auf
Psychische Störungen
52
 („Binge – Eating“ – Störungen treten 1.5 mal öfter bei Frauen als bei Männern auf)
Interessanter Aspekt:
Einwanderer, in deren Ländern Essstörungen selten sind, passen sich in der
Auftretenshäufigkeit an das Einwanderungsland an! Soziokulturelle und/oder behavoriale
Faktoren spielen also bei der Ausbildung von Essstörungen eine Rolle.
Meist treten die Essstörungen im Jugend – oder jungen Erwachsenenalter auf, jedoch selten
vor der Pubertät.
2. Genetische Prädisposition

Schwestern bzw. Angehörige ersten Grades von Anorexia nervosa Patienten haben ein
erhöhtes Risiko an einer Essstörung zu erkranken.

Konkordanz Eineiige Zwillinge zu Zweieiigen Zwillingen 56-68% : 7-8%

Bezüglich Eineiigen Zwillingen: sie haben eine ähnlichere Umwelt als zweieiige
Zwillinge!
Vermutlich prädisponieren genetische Faktoren nicht direkt für eine bestimmte Essstörung,
sind aber verantwortlich für gewisse körperliche Bedingungen (geringer Energieverbrauch,
füllige Figur), die unter speziellen soziokulturellen Bedingungen (gesellschaftlich induziertes
Schlankheitsideal – den Modezaren sei Dank), das Risiko für Essstörungen erhöhen.
3. Physiologische und behaviorale Faktoren

Essstörungen treten meist erstmals nach einer längeren Fastenzeit oder einer Phase des
Diäthaltens auf.

Einer Längsschnittstudie zufolge haben adoleszente Mädchen, die eine Diät machen,
ein vielfach höheres Risiko als adoleszente Mädchen, die keine Diät machen.

erhöhte Prävalenz von Essstörungen bei Berufsgruppen und Sportdisziplinen, bei
denen Figur und Gewicht von zentraler Bedeutung sind

Diätverhalten kann Essanfälle mitbedingen
3.1. Personen mit „gezügelten Essstil“ (restrained eaters)
Psychische Störungen
53
Experimentelle Untersuchungen bei Frauen mit „gezügelten Essstil“ konnten zeigen, dass
unter einer Reihe von Bedingungen, die kognitive Kontrolle über das Essen verloren gehen
kann. Besonders bei

Vorab – Mahlzeiten

Geruch oder Anblick von Speisen

Stressbelastungen
 Einfluss positiver oder negativer Stimmungen
kann es zu einer Enthemmung des Essverhaltens kommen.
Interessant:
Beim „Binge – Eating/Purging“ Typus und der Bulimia Nervosa geht die Kontrolle über das
Essverhalten bei den gleichen Bedingungen verloren!
3.2 Physiologische Aktivierungen
Beim Geruch und Anblick von Essen antwortet der Mensch mit antizipatorischen Reaktionen
(cephalic phase responses), wie:

Speichelfluss

Insulinanstiege, mit anschließenden Abfall des Blutzuckers
 Vermehrte Magenmotilität etc.
um sich so die Aufnahme der Nahrung vorzubereiten.
Im Prinzip wäre es plausibel, dass diese antizipatorischen Reaktionen bei
nahrungsdeprivierten Personen stärker ausgeprägt sein müssten, da ja der Energieverbrauch
kompensiert werden müsste.
ABER:
Patientinnen mit Anorexia Nervosa (Restriktiver Typus) , die eine strenge Diät einhielten und
dementsprechend nahrungsdepriviert waren, zeigten eine geringere Speichelsekretion als
Frauen mit Bulimia Nervosa, deren Diätverhalten starken Schwankungen Ausgesetzt ist.
Das klassische Konditionierungsmodell von Jansen (1995) kann dies aber erklären:
(1)
(2)
(3)
(4)
Nahrung (unkonditioniert) → Stoffwechselreaktion (unkonditioniert)
Anblick von Nahrung → meist reichliche Nahrungsaufnahme
Konditionierung
Nahrung wird zu einem konditionierten Stimulus
Psychische Störungen
54
(5) Anblick von Nahrung → Auslösung von antizipatorischen Reaktionen (cephalic phase
responses)
Aber auch andere externe/interne Reize (Leistungsdruck, depressive Stimmung) können zu
konditionierten Reitzen werden, die eine antizipatorische Reaktion auslösen können, wenn
ihnen eine regelmäßige Nahrungsaufnahme folgt.
Bei Anorektikerinnen (Restriktiver Typus) sind die Chancen für solche
Konditionierungsprozesse jedoch gering. Sie setzen sich bewusst diesen Reizen aus
(Kochrezepte studieren, für andere kochen etc.) um ihnen widerstehen zu können. Damit
kommt es zu einer Extinktion der antizipatorischen physiologischen Reaktionen.
4. Sozialisation

Familienklima
Es konnte beobachtet werden, dass das Familienklima von Patientinnen mit Anorexia Nervosa
durch Merkmale wie:
o Rigidität
o Geringe Konfliktbewältigung
o Überfürsorglichkeit u.ä.
gekennzeichnet sind.
 kann sich aber ebenso um Folgen der Essstörung handeln!

Modelllernen
o Sogar bei Eltern mit gezügelten Essverhalten zeigten sich Modell – Effekte: Töchter
haben eine stärkere Angst „dick zu werden“ als Vergleichskinder.
o Bei einer Vorab - Mahlzeit Labor treten bei ihnen die gleichen Enthemmungseffekte
wie bei Erwachsenen mit „gezügelten Essstil auf.
5. Soziokulturelle Effekte
Problem
Psychische Störungen
55
Vielfältiges, über den Appetit hinausgehendes Angebot an Essen
Extremes Schlankheitsideal

Deutliche Korrelation zwischen Selbstwertgefühl bei jungen Mädchen und ihrer
Figurbewertung

Besonders junge Mädchen lernen schon früh, dass positive Zuwendung und
Bewertung stark von ihrem Aussehen abhängig sind

Übermäßige Beschäftigung mit der Figur & Gewicht ist ein wichtiger Faktor für die
Entstehung von Essstörungen
6. Belastungsfaktoren

traumatische sexuelle Erlebnisse im Kindes – und Jugendalter erhöhen nicht die
Vulnerabilität für Essstörungen

aber Patienten mit Essstörungen weisen oft die gleichen Merkmale auf :
 ablehnende Haltung gegenüber dem eigenen Körper,
 Scham und Schuldgefühle belasten das Selbstgefühl
 eine ablehnende Haltung gegenüber Sexualität
7. Schlussbemerkung
An der Ätiologie von Essstörungen beteiligt sind:
(1)
(2)
(3)
(4)
genetische Faktoren
soziokulturelle Randbedingungen
Physiologische und behaviorale Faktoren
Sozialisation
Psychische Störungen
56
33.3 Intervention
1. Einleitung
Bei der Psychotherapie von Essstörungen werden 3 Behandlungsbausteine eingesetzt:
(1) Ernährungsumstellung
(2) Veränderung von Körperschemastörungen und negativen Gefühlen gegenüber der
Figur
(3) Veränderung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Belastung und Essverhalten
Bei der Bulimia Nervosa und „Binge –Eating“ werden zudem interpersonelle
Therapien eingesetzt.
2. Kognitiv – behaviorale Behandlungskonzepte
2.1 Ernährungsumstellung

Essgestörte Patienten werden angeleitet täglich 3 Hauptmahlzeiten und 2 kleinere
Zwischenmahlzeiten einzunehmen.

Bei Anorexia Nervosa Patientinnen ist zu Beginn der Therapie eine
Gewichtssteigerung ein zentrales Ziel. Um die Selbstverantwortung und
Selbstkontrolle beim Aufbau eines gesunden Essstils zu fördern, wird auf eine
Zwangsernährung verzichtet.

Um die beabsichtigte Gewichtssteigerung zu erreichen, muss auch das
Aktivitätsniveau der Patientinnen beeinflusst werden (z.B.: Anregung exzessives
Sporttreiben zu vermeiden)

Um die Compliance zu erhöhen, sollten spezielle Strategien der Gesprächsführung
eingesetzt werden.

Anorektikerinnen müssen oft stationär behandelt werden, bevor sie ambulant
therapiert werden können
Psychische Störungen
57
Wann müssen Anorektikerinnen stationär aufgenommen werden?
a) bei schweren körperlichen Komplikationen und einem BMI < 13
b) bei akuter Suizidgefahr
c) wenn sie trotz Therapie nicht an gewicht zunehmen
Patientinnen mit einer „Binge –Eating“ – Störung werden vorwiegend ambulant behandelt.
Die Intervention zielt darauf ab, den Patientinnen ein geregeltes Essverhalten zu lernen und
einer übermäßigen Kalorienaufnahme entgegenzuwirken.
Im Rahmen der Ernährungsumstellung werden Patientinnen angehalten einen Essstil zu
lernen, den sie, ohne sich a) biologisch oder psychologisch depriviert zu fühlen, oder b) ohne
phobische Ängste gegenüber Nahrungsmittel zu erleben, einhalten können. In den
Ernährungsplan werden deshalb von Anfang an „verbotene Nahrungsmittel“ aufgenommen,
die die Patientinnen in moderaten Mengen essen lernen.
2.2 Therapie von Körperschemastörungen
Um negative emotionale Reaktionen gegenüber dem Körper zu ändern und die
Beurteilungskriterien gegenüber der äußeren Erscheinung und Attraktivität zu erweitern,
werden folgende Techniken verwendet:
(1) Expositionsübungen anhand von Videos und Spiegeln
(2) Bewegungsübungen
Vorgehen bei einer Figurexposition
(1) Zeitlich ausgedehnte Konfrontation mit der Figur/äußeren Erscheinung anhand von
Videos und Spiegeln, die eine Ganzkörperbetrachtung erlauben
(2) Durchführen der Übungen zu verschiedenen Tageszeiten und in unterschiedlichen
Stimmungslagen
(3) Patientinnen werden angeregt bei den Übungen unterschiedliche Kleidung zu tragen
(4) Es werden Strategien der Gesprächsführung eingesetzt, die den Patientinnen helfen,
ihre körperliche Erscheinung genau zu beschreiben sowie Gedanken und Gefühle zu
verbalisieren, die sie beim Anblick ihres Körpers erleben.
Psychische Störungen
58
(5) Therapeut achtet darauf, dass die Patientinnen nicht durch Vermeidungsstrategien
ablenken
(6) Übungen werden beendet, wenn die negativen Gefühle deutlich zurückgegangen sind.
2.3 Therapie von Belastungsreaktionen
Viele essgestörte Patientinnen zeigen unter belastenden, stressigen Situationen ein gestörtes
Essverhalten. So reagieren Bulimikerinnen bei mentalen Stressoren, mit interpersonellem
Inhalt, mit einem deutlichen Anstieg ihres Essbedürfnisses.
Klinische Beobachtungen deuten darauf hin, dass essgestörte Patientinnen auf zahlreiche
Belastungssituationen mit Essanfällen reagieren.
Die Art der therapeutischen Intervention, zur Änderung des funktionalen Zusammenhangs
zwischen Belastungen und Essverhalten, hängt weitgehend davon ab ob die Patientinnen
Fertigkeitsdefizite haben (z.B.: Defizite in Problemlöse – und Stressbewältigungsstrategien)
oder übermäßige Reaktionen auf Belastungen zeigen.
1. Problemlösetraining

Die Patientinnen definieren zuerst was sie als Problem erleben.

Dann zählen sie alle Lösungsmöglichkeiten auf und bewerten diese in Hinblick auf die
Effizienz bezüglich der Bewältigung des Problems

Patientinnen werden angeregt eine oder eine Kombination von Lösungsmöglichkeiten
zu erproben

Nach der Erprobungsphase bewerten die Patientinnen inwiefern sie die
Lösungsstrategie umsetzen konnten und inwiefern sie das Problem erfolgreich lösen
konnten

Fällt das Ergebnis unbefriedigend aus, suchen Patientin und Therapeut zusammen
nach einer Erklärung für das ungünstige Problemlöseergebnis
2. Stressbewältigungstraining
Beim Stressbewältigungstraining sollen die Patientinnen die Belastungssituationen und ihre
Belastungsreaktionen, die mit problematischen Essverhalten
in Verbindung stehen,
beobachten. Danach werden eigene Stressbewältigungs-strategien erarbeitet und eingeübt.
3. Expositionstherapie
Wird bei übermäßig starken, emotionalen Reaktionen auf Belastungen oder eine zu geringe
Toleranzschwelle gegenüber aversiven Situationen und Gefühlslagen, eingesetzt. Patientinnen
werden von Therapeuten in Situationen und Gefühlslagen hineingeführt, die bei ihnen für
Psychische Störungen
59
gewöhnlich zu Essanfällen führten. Synchron werden sie mit den Lebensmitteln konfrontiert,
die sie während eines Essanfalles zu sich nehmen (können daran riechen und kleine Bissen
Essen ). Im Verlaufe der zeitlich ausgedehnten Expositionsübungen geht die anfangs oft
starke emotionale Erregung zurück und es werden vermutlich die antizipierten,
physiologischen Heißhungerattacken gelöscht.
4. Kognitive Interventionen
Kognitive Interventionen nach dem Konzept von Tuschen und Florin basieren weitgehend auf
systemimmanenten Strategien der Gesprächsführung. Der Therapeut fühlt sich empathisch in
die Patientinnen ein und nimmt zentrale Werte, Befürchtungen, Konflikte etc. vorweg.
Gleichzeitig lässt der Therapeut wie zufällig wissenschaftlich fundierte Information
einfließen, ohne die Patientinnen dabei zu einer Entscheidung zu drängen.
Vorgehen bei einer kognitiven Umstrukturierung
(1) Patientinnen identifizieren dysfunktionale Gedanken/Überzeugungen und schreiben
diese auf
(2) Patientinnen sollen nach Beweisen für diese Gedanken suchen
(3) Patientinnen sollen nach Argumenten und Beweisen suchen, die die Glaubwürdigkeit
der betreffenden dysfunktionalen Überzeugung in Frage stellen
(4) Patientinnen werden angeleitet die Pro – und Contra Argumente sorgfältig
gegeneinander abzuwägen, um so zu einer Neueinschätzung zu kommen, die
zukünftiges Denken und Verhalten leiten kann.
3. Interpersonelle Therapie
Die interpersonelle Therapie zur Behandlung der Bulimia Nervosa konzentriert sich auf die
Veränderung der interpersonellen Belastungen, die die bulimische Symptomatik
aufrechterhalten. Zu Beginn werden zentrale interpersonelle Probleme diagnostiziert, die
vermutlich mit der Essstörung in Zusammenhang stehen. Dafür werden 3 diagnostische
Zugänge gewählt:
(1) Ausführliche Erfassung lebensgeschichtlicher Bedingungen
(2) diagnostische Abklärung der Qualität aktueller Beziehungen
(3) Identifikation interpersoneller Probleme
Während der Therapie, werden Sichtweisen, Erwartungen und Gefühle der Patientinnen im
Hinblick auf den betreffenden Problembereich detailliert herausgearbeitet. Dabei werden auch
Psychische Störungen
60
Ansätze zur Veränderung der Probleme erarbeitet und die Patientinnen werden angeregt, diese
selbstständig in ihrem sozialen Umfeld umzusetzen.
4. Wirksamkeit der Psychotherapie

Für Anorexia Nervosa wenige kontrollierte und methodisch gut durchgeführte
Therapiestudien

50% werden geheilt, 30% Verbesserung; 20% Chronifizierung

vor allem symptomorientierte kognitiv – verhaltenstherapeutische Interventionen sind
systematisch evaluiert

Behandlungsprogramme beinhalten vor allem die vorhin besprochenen Interventionen
und führen bei der Bulimia Nervosa zu einer Normalisierung des Essstils,
Veränderung der dysfunktionalen Einstellung gegenüber Figur & Gewicht und zum
Aufbau von Coping – Skills, um Essanfällen und Ess – Brech – Episoden zu
widerstehen.
34. Störungen durch psychotrope Substanzen
(Jansesberger)
34.1 Klassifikation und Diagnostik
1.Klassifikation
Definition Störungsgruppe:
Missbrauch und/oder Abhängigkeit von Substanzen, die eine direkte Wirkung auf die
Funktion des zentralen Nervensystems ausüben.
Es wird zwischen Substanzmissbrauch und Substanzabhängikeit unterschieden:
Substanzmissbrauch (sofern Abhängigkeit ausgeschlossen ist) liegt gem. DSM-IV bei
Auftreten eines oder mehrer Merkmale innerhalb des letzten Jahres vor:

Der wiederholte Substanzgebrauch führt zur Beeinträchtigung der Verpflichtungen am

Arbeitsplatz, in der Schule oder zu Hause.
Psychische Störungen

61
Wiederholter Gebrauch der Substanzen in Situationen, in denen der Gebrauch ein
körperliche Gefährdung darstellt.

Wiederholte substanzbedingte Rechtsverstöße.

Obwohl durchgehende oder wiederholt auftretende soziale oder interpersonelle Probleme
durch die Substanz verursacht oder verstärkt werden, wird diese fortdauernd
eingenommen.
Substanzabhängigkeit (ausgenommen Coffein)
Für eine Diagnose müssen min. drei der folgenden Kriterien in demselben 12-MonatsZeitraum auftreten:

Toleranzentwicklung ( Neuroadaptation) definiert durch eines der folgenden Kriterien:
a) Verlangen nach Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand oder erwünschten
Effekt herbeizuführen,
b) deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetzter Einnahme derselben Dosis.

Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:
a) charakteristisches Entzugssyndrom der jeweiligen Substanz (erhöhte Körpertemp.,
Schwitzen, Tremor, Übelkeit,..)
b) dieselbe (oder eine sehr ähnliche) Substanz wird eingenommen, um Entzugssymptome
zu lindern oder zu vermeiden.

Die Substanz wird in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt eingenommen.

Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder
zu kontrollierten.

Viel Zeit für Aktivitäten, um die Substanz zu beschaffen (z.B. Besuch verschiedener Ärzte
oder Fahrt langer Strecken), sie zu sich zu nehmen (z. B. Kettenrauchen) oder sich von
ihren Wirkungen zu erholen.

Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Substanzmißbrauchs aufgegeben oder eingeschränkt.

Fortgesetzter Substanzmißbrauch trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden
sozialen, psychischen oder körperlichen Problems, das wahrscheinlich durch den
Substanz-mißbrauch verursacht oder verstärkt wurde
2. Diagnostik
Die Diagnose Abhängigkeit kann objektiv an dem Auftreten von Entzugserscheinungen bzw.
über einen pharmakologischen Toleranztest gestellt werden. Bei Missbrauchsdiagnosen ist
Psychische Störungen
62
dies schwieriger, man muss sich auf anamnestische und Selbstbeurteilungsinformationen
berufen. Die wichtigest Daten betreffen:
-
Dauer des Substanzmissbrauchs
Alter zu Beginn des Missbrauchs
Bisherige Behandlungen
Suizidversuche
Menge des Konsums
Örtliche und zeitliche Konsumgewohnheiten
Kognitive Bedingungen (Einstellungen, Erwartungen bzgl. Konsum)
Schwierigkeiten die Anforderungen des Arbeitsplatzes zu erfüllen
Befund soziale Anamnese (Familie, Sozialkontakte, Kommunikationsschwierigkeiten)
Die beiden letzten Punkte sollten nach Möglichkeit auch durch eine Fremdbeurteilung
validiert werden. Für den Bereich der Alkoholismusdiagnose gibt es eine Reihe von
deutschsprachigen Testverfahren, zB. Münchener Alkoholismustest MALT (Diagnose
Abhängigkeit) oder den
Kurzfragebogen für Alkoholgefährdete KFA (Frühdiagnostik Alkgefährdung). Für den
Bereich Medikamenten- und Drogenabhängigkeit fehlen leider Instrumente.
34.2 Ätiologie / Bedingungsanalyse
1. Einleitung
Abhängigkeit wird definiert als
Ein Cluster von physiologischen, Verhaltens- und kognitiven Phänomenen, in dem die
Einnahme einer oder mehrerer Substanzen (Polytoxikomanie) gegenüber anderen
Verhaltensweisen, die früher einen hohen Wert für die Person besaßen, eine höhere Priorität
einnimmt.
Eine zentrale Charakteristik für psychische Abhängigkeit ist das unüberwindbare Verlangen
nach der jeweiligen Substanz. Pysische Abhängigkeit kennzeichnet sich durch die
körperlichen Entzugssymtome.
Die 10 Substanzklassen, die vom DSM IV genannt werden, lassen sich nach ihrer Wirkung
auf das ZNS in 3 Kategorien einteilen:
-
sedierene Wirkung auf ZNS-Aktivität (Alkohol, Opiate, Sedativa)
Psychische Störungen
-
stimulierende Wirkung auf ZNS-Aktivität (Kokain, Amphetamine, Inhalantien,
-
Nikotin)
Halluzinogene (LSD, Meskalin, MMDA (Ecstasy), PCP (angel dust),..)
63
Zwischenstellung: Cannabis-Drogen (3 in einem! )
Generelle Theorien zur Entstehung von Süchten lassen sich kaum aufstellen, man versucht
somit einfach bestehende Befunde, ohne Anspruch einer vollständigen Theoriebildung, zu
integrieren (multifaktorielles Geschen od. Polykausales Bedingungsgefüge). Diese Befunde
stammen aus der genetischen, neurobiologischen und pharmakologischen Forschung
einerseits und aus den epide-miologischen, soziologischen und psychologischen
Untersuchungen andererseits.
2. Genetische Bedingungen
Man geht von einen allgem. Diathese-Streß-Modell aus, wobei eine genetisch bedingte Veranlagung (Mutation Gen bzw. Genorte) den Vulnerabilitätsfaktor definiert. Es ist z.B. aus
Familien-untersuchungen, Zwillings- und Adaptionsstudien, bekannt, dass ein phänotypisch
definiertes genetisches Risiko für die Entwicklung von Alkoholismus besteht.
3. Biologisch-psychologische Konzepte
3.1 Biochemische Aspekte von Süchten:
Drogen hängen in ihrerer Wirksamkeit und Wirkdosis von 4 Charakteristika ab:
(1) Art der Einnahme, (2) Leichtigkeit mit der sie das Gehirn erreichen,
(3) Interaktion mit Rezeptoren des ZNS und (4) Geschwindigkeit des Abbaus im Körper.
A. Drogen können zur Entleerung von Vestikeln innerhalb der
präsynaptischen Endigung führen,
B. die Transmitterkonzentration vor der präsynaptischen Membran
erhöhen,
C. sie können den Transmitterausstoß in den synaptischen Spalt
blockieren,
D. Drogen können Enzyme inhibieren, die Transmitter synthetisieren,
E. den Reuptake von Neurotransmittern hemmen,
F. sie können Enzyme blockieren, die Neurotransmitter im synaptischen Spalt abbauen,
Psychische Störungen
64
G. Drogen können auf Grund ihrer chemischen Ähnlichkeit an postsynaptische Rezeptoren binden und
dadurch die natürlichen Transmitter ersetzen oder deren Wirkung blockieren.
3.2 Neurophysiologische Verstärkerwirkung von Drogen:
In tierexperimentellen Arbeiten wurde gezeigt, dass sich auch Primaten Substanze
(Amphetamin, Koffein, Kokain, Morphin,..) selbst zuführen wenn sie Gelegenheit dazu haben
(*machen viele Tiere in der Natur auch, zB. fressen Rentiere Fliegenpilze um high zu werden)
Nahezu alle psychoaktiven Substanzen haben eine positive Verstärkerwirkung auf
verschiedene Hirnstruk-turen. Eine zentrale Rolle nimmt der nucleus accumbens im
Hirnstamm ( Miller & Olds) ein. Es können sich belohnende Drogenwirkungen mit
externen und internen Hinweisreizen koppel können, sind auch assoziative Lernprozesse zu
erwarten (zb. needle-freak-Phänomen – ex-Fixer erreichen drogenähnliche Wirkung durch das
Einstechen einer Nadel).
3.3 Das Opponenten-Prozess-Modell
Auf motivationaler Ebene bildet das Opponenten-Prozess-Modell von Solomon und Corbit
am besten die neurophysiologischen bzw. -pharmakologischen Vorgänge bei der
Suchtentstehung ab. Es Basiert auf drei Phänomenen:
(a) positiver Primärfaktor (hedonistischer Zustand durch die Substanzeinnahme)
(b) affektive Toleranz (bei wiederholtem Gebrauch nimmt die subjektive Wirkung ab)
(c) affektive Entzugsphänomene (negative hedonistische Komponente während Abnahme
der Wirkung nach dem Gebrauch)
Prozess A initiiert als kompensatorische Reaktion den Prozess B. Eine solche Reaktion
besteht z.B. darin, dass sich nach mehrmaligem Konsum postsynaptische Rezeptoren
vermehren oder sensitiver werden. Bei Absetzen der Droge oder methabolischer
Konzentrationsabnahme (man braucht immer mehr) hält die relativ hohe Feuerungsrate der
Nervenzelle an und erzeugt so die Nachwirkungen. Diese können auch bereits bei der
Antizipation A-B, bei wiederholtem Konsum, auftreten oder an konditionierte Hinweisreize
gekoppelt werden.
Psychische Störungen
65
Im linken Teil der Abbildung wird der Verlauf einer einzelnen frühen Drogengebrauchsepisode dargestellt, in der der Wirkungsverlauf unkonditioniert ist. Rechts ist der Primäreffekt bereits habituiert und
Prozeß B stark ausgeprägt. In der Abhängigkeitsphase wird die Drogeneinnahme durch die
konditionierte Motivation initiiert, Prozeß A herzustellen und Prozeß B zu reduzieren oder zu
vermeiden.
3.4 Ein psychophysiologischer Indikator für Alkoholismus
Die P300, eine als endogen bekannte Reizantwort im evozierten EEG-Potential (
Klimesch!), tritt bei Alkoholikern mit signigikant verringerten Amplitude auf. Dies trifft auch
auf den Großteil von nicht erkrankten Kindern von Alkoholikern zu.
4. Lerntheoretische Konzepte
Als entscheidene auslösende Bedingungen für den ersten Substanzkonsum und alle weiteren
Substanzeinnahmen werden Neugierde, sozialer Druck, aversive Situationen,
Entzugserschein-ungen und ein allgem. Verlangen genannt. Im Sinne einer Zwei-FaktorenLerngeschehens wirken als positive Verstärker die euphorisierende Drogenwirkung, die
erlangt soziale Akzeptanz und das verbesserte soziale und emotionale Reaktionsvermögen
(vor allem bei Alkis wenn besoffen). Im Sinne der negativen Verstärkung wird konsumiert
um Entzugserscheinungen zu beenden, Spannungen, Hemmungen, Minderwertigkeitsgefühle,
Langeweile oder Angst zu redu-zieren. Die Spannungsreduktionshypothese besagt dass
mangelnde Angst- und Stressbewäl-tigung indirekt für die Entstehung von
Drogenabhängigkeit verantwortlich ist. Der Risikofaktor mangelnde Stressbewältigung als
Psychische Störungen
66
Ursache für die Entstehung von Abhängigkeit hat jedoch heute nur mehr in sehr
eingeschränkten Maß Bedeutung.
5. Sozialisationseinflüsse
Die meisten Ätiologiemodelle verschiedenster Suchtformen gehen davon aus, dass Einflüsse
der sozialen Umwelt die Ausprägung von Risikofaktoren für die Entwicklung einer
Abhängigkeit fördern.
5.1 Milieu- vs familiärbedingter Alkoholismus
Das bekannte Modell der „neurogenetisch adaptiven Mechanismen des Alkoholismus“ von
Cloninger (1987) unterscheidet 2 Typen von Alkoholikern: Typ I, oder auch
milieubeeinflussten, und Typ II Alkoholismus, der nur auf Männer eingeschränkt wird. Milieu
wird als das weite soziale Umfeld (Verwandte, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen) definiert.
Typ I Alkoholiker:
 Kinder von TypI Alkoholikern haben ein doppelt so hohes Risiko zu erkrankten als eine
Vergleichsgruppe
 Abhängigkeit entwickelt sich nach dem 25. Lebensjahr
 Kaum spontanes Bedürftnis nach Alkohol,
 wenig aggressiv, kaum Probleme mit Gesetz
 Häufig psychische Abhängigkeit von Alkohol und Kontrollverlust, Schuldgefühle und Angst
vor Alkoholismus
 Haben Tendenz aversive Ereignisse zu vermeiden und starke Abhängigkeit von sozialer
Belohnung
 Geringe Persönlichkeitstendenz sich zu aktivieren und sich neuen Situationen auszusetzen
 Haben häufiger Lebererkrankungen als Typ II
Typ II Alkoholiker:
 Adoptierte Söhne von Typ II Alkoholikern tragen ein neunfach höheres Risiko, während
Töchter kaum ein erhöhtes Risiko für Alkoholabhängigkeit aufweisen
Psychische Störungen
67
 Abhängigkeit entwickelt sich sehr früh (vor 25 LJ.)
 Spontanes Verlangen nach Alkohol,
 physischer Aggression,häufig Gesetzeskonflikte
 Psychische Abhängigkeit und Schuldgefühle wegen Trinken sind gering
 Tendenz aversive Ereignisse zu vermeiden und Abhängigkeit von sozialer Belohnung ist
gering
 Suchen gerne neue Situationen auf und mögen stimulierende Aktivitäten
 Entwickeln mehr soziale und berufliche Probleme als Typ
Cloninger schreibt die Unterschiede zwischen diesen zwei Typen verschiedenen
Verhaltensregula-tionen im Gehirn zu. Danach werden die Persönlichkeitseigenschaften des
Typ I-Alkoholikers über-wiegend durch die Aktivität der serotonerg und noradrenerg
arbeitenden Hirnregionen des Verhalt-ensinhibitionssystems und des
verhaltensaufrechterhaltenden Belohn-ungssystems vermittelt. Die Verhaltenseigenschaften
des Typ II-Alkoholikers werden hingegen überwiegend vom dopaminerg arbeitenden
Verhaltensaktivierungssystem gesteuert.
5.2 Persönlichkeitsfaktoren
Im Bereich psychopathologischer Auffälligkeiten weisen Personen aus belasteten Familien
vor ihrem Dorgenmissbrauch vermehrt Diagnosen von Angst und Depression auf. Diese
Störungen sind oft durch das abnorme Verhalten (Partnerschaftsschwierigkeiten...) bedingt.
Im Rahmen von Persönlich-keitsuntersuchungen wurden vor allem 2 Merkmale bei
Risikoprobanden beschrieben: die antisoziale Persönlichkeitsstörung und die Hyperaktivität
und Impulsivität.
Häufig wird auch die Determinante broken-home-situation beschrieben. Der familiäre
Erziehungsstil scheint ein wichtiger Faktor zu sein. Ein vernachlässigender Erziehungsstil
wirkt sich negativ aus, während Jugendliche, die wenig oder keine Probleme mit Drogen
aufweisen, oft aus Familien kommen die Wärme und Zuwendung mit klaren Erwartungen
verbinden. Somit kann der Erzieh-ungsstil als ein entscheidender protektiver Faktor genannt
werden.
6.Soziologische Bedingungsfaktoren
Psychische Störungen
68
Historisch betrachtet gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen psychotrope Substanzen. Es
existierten jedoch auch kulturelle Gebrauchsnormen und der Zugang zu diesen war über
religiöse Tabus oder Prohibition eingeschränkt oder nicht möglich. Auch waren viele Drogen
(zB pharma-zeutische Entwicklung der Barbiturate oder Benzodiazepine,...) noch nicht
erfunden und der Drogen-handel durch Katelle wurde erst in den 70ern zum big business. Die
Verfügbarkeit einer Droge ist immer eine entscheidende Vorraussetzung für das Entstehen
einer Sucht.
7. Sozialprotektive Bedingungfaktoren
Der am besten dokumentierte psychologisch protektiv wirksame Faktor besteht in der
Vermittlung von sozialen Kompetenzen. Primärpräventionsstudien haben gezeigt dass durch
frühzeitige Program-me in Schulen gute Erfolge erzielt werden können. Inhalte solcher
Programme sind zB. Aufklärung über Suchtmittel, erkennen von sozialem Druck Drogen zu
nehmen, sammeln von Argumenten gegen Drogenmissbrauch, Training im Nein-Sagen,... 
so können sich Jugendliche auch gegen eine negative peer-group oder Umgebung zur Wehr
setzen.
34.3 Intervention
1. Symptomatik
Das Erscheinungsbild von betroffenen Personen ist sehr unterschiedlich, dennoch wird
versucht die gemeinsamen Symptome und Funktionsstörungen aller Substanzabhängigen
stärker in den Vorder-grund zu rücken. Für den Behandlungsplan sind individuelle
Unterschiede jedoch zu beachten.
2. Gemeinsame Merkmale der Symptomatik und Behandlung aller
Klassen der Substanzabhängigkeit
2.1 Symptomatik
Die Symptome müssen für den Behandlungsplan auf 3 Ebenen ausdifferenziert werden:
Psychische Störungen
69
(1) Behandlungen der körperlichen Auswirkungen
- Köperliche Abhängigkeit von einer Hauptsubstanz (Toleranz, Entzug)
- Zusätzlicher Missbrauch
- Körperliche Begleit- und Folgeerkrankungen
(2) Behandlung der psychischen Funktionsstörungen
- Wahrnehmungsstörungen (zB. Entzugserscheinungen)
- Gedächtnisstörungen (Konzentrationsstörungen)
- Denkstörungen/Problemlösestörungen
- Sprachstörungen
- Emotionale Störungen
- Motivationsstörungen
- Störungen der Psychomotorik
(3) Behandlung der Entwicklungsstörungen im Bereich Lebensführung
zB. selbstständige Lebensführung, Schul- und Berufsausbildung, Bezugsgruppe,
Lebensperspektiven
2.2 Motivation zu Behandlung
Unter Motivation wird verstanden: Grad der Veränderunsbereitschaft in hinblick auf a)
Beginn einer Behandlung b) aktive Mitarbeit bei Erreichung Terapieziele bis zum
planmäßigen Abschluss
c) Vermeidung von Rückfällen nach Terapieende.
Prochaska und DiClemente (1986) haben mehrere Phasen der Veränderungsbereitschaft
gefunden. Ein Abhängiger durchläuft in der Regel mehrmals diesen Zyklus, da er immer
wieder rückfällig wird. Für den Behandlung muss erfasst werden in welcher Phase sich der
Patient befindet und entsprechend gehandelt werden.
Phasen:
1. Fehlendes Problembewußtsein («precontemplation»)
• keine Einsicht
• keine Veränderungsbereitschaft
Therapeutische Maßnahmen:
• geringe therapeutische Einflußmöglichkeit
• Einfluß durch Umweltfaktoren (z. B. Verlust des Arbeitsplatzes; polizeiliche Verfolgung)
und durch innere Faktoren (emotionale und körperliche Schäden)
Psychische Störungen
2. Aufbau eines Problembewußtseins («contemplation»)
• Selbstbeobachtung
• Abwägen der Vor- und Nachteile des Drogenkonsums
• Beobachtung der Reaktion von Dritten auf den eigenen Drogenkonsum
Therapeutische Maßnahmen:
• Förderung der Selbstbeobachtung
• Betonung negative Konsequenzen des Konsums/positiven Konsequenzen einer
Veränderung
• Förderung der Entscheidungsbildung
• Aufbau einer therapeutischen Allianz
• Vereinbarung individueller Ziele
3. Beginn einer Behandlung («action»)
• Bereitschaft zur Veränderung
Therapeutische Maßnahmen:
• Vermittlung von Kompetenzen zur Führung eines Lebens ohne Abhängigkeit (zB
Entspannung, Selbstbehauptung, Konfliktlösung)
• Zukunftsplanung (Lebensgestaltung; Zeitstruktur)
4. Aufrechterhaltung der Behandlungsziele («maintenance»)
• Bereitschaft zur Aufrechterhaltung der Veränderungen
Therapeutische Maßnahmen:
• Kompetenzen zur Verminderung des Rückfallrisikos (Beobachtung und Vermeidung
kritischer Situationen, Ablehnungstraining)
• Kompetenzen zur Bewältigung von Rückfällen
5. Rückfall («relapse»)
• längere Phasen erneuten Mißbrauchs oder erneuter Abhängigkeit
Therapeutische Maßnahmen:
• geringe therapeutische Einflußmöglichkeit
2.3 Rückfall und Rückfallprävention
Etwa 40-80 % aller behandelten Abhängigen werden spätestens 2-3 Jahre nach Beendigung
der Behandlung rückfällig. Eine Abhängigkeitskarriere dauert häufig zwischen 10 und 20
70
Psychische Störungen
71
Jahre, wobei Schweregrad und Häufigkeit der Rückfälle im Verlauf der Jahre sehr variieren.
Marlett und Gordon (1985) gehen davon aus, das jedem Rückfall eine Reihe von kognitiven,
emotionalen und motori-schen Bedingungen vorangehen. Eine Risikosituation, für die keine
adäquaten Bewältigungsstrate-gien zur Verfügung stehen, führt in ihrem Modell zu einer
verminderten Bewertung der Selbst-Effektivität (Bandura) und gleichzeitig zu einer positiven
Erwarung für die Stubstanzeinnahme. Beides erhöht die Wahrscheinlichkeit eines erneuten
Konsums und bedingt damit das Abstinenz-verletzungssyndrom, das im Sinne einer
selbsterfüllenden Prophezeiung eine längere Rückfall-episode einleitet. Die therapeutischen
Maßnahmen dieses Modells stammen aus dem verhaltensthera-peutischen Methodeninventar,
zB. Verständnis des Rückfallkonzepts, Zusammenstellung individuell kritischer
Situationen/Vermeidungstraining, Programmierter Rückfall,...
2.4 Therapeutische Versorgungsstruktur
Therapievorbereitung  Entgiftungsbehandlung  Entwöhnungsbehandlung 
Nachsorgebehandlung
Traditionell ist es üblich, dass nach einem ersten Kontakt mit einer ambulanten Einrichtung
und vorbereitenden therapeutischen Gesprächen die «eigentliche» Therapie in stationären
Spezialeinrichtungen (zB. Suchtkliniken) durchgeführt wird. Nachsorgebehandlungen finden
in Regel ambulant, zunehmend auch teilstationär statt (zB. therapeutische
Wohngemeinschaften, Drogenberatungsstellen,..). Erst in jüngster Zeit werden vor allem
Alkoholabhängige mehr und mehr ambulant behandelt, was in anderen Ländern wie etwa in
den USA schon immer der Fall war. Die klassische Versorgungsstruktur wurde in den letzten
Jahren durch zahlreiche neue Angebote erweitert, zB.:
 Notschlafstellen
Vor allem im Drogenbereich wurden „niederigschwellige“ Angebote geschaffen, die primär
lebenspraktische Hilfen darstellen
 Qualifizierter Entzug
Ist ein Konzept bei Entgiftungseinrichtungen in dem die Schwellen für die Behandlung ganz
oder teilweise abgebaut werden und zusätzlich zur Entgiftung Maßnahmen zur Motivierung
für eine weitere Behandlung durchgeführt werden.
 Methadon-Substitution
Folgt auch dem Ziel des Abbaus von Schwellen, vor allem durch die Einbeziehung von
Arztpraxen und Gründung von Substitutionsambulanzen.
Psychische Störungen
72
2.5 Therapeutische Konzepte und Maßnahmen
2.5.1 Medikamentöse Behandlung
• Unterstützung bei der Entgiftung (z. B. Beruhigung, Schmerzlinderung)
• Behandlung der Begleit- und Folgeerkrankungen
• Methadon-Substitution bei Drogenabhängigen (Behandlung mit legalen Ersatzstoffen
illegaler Substanzen)
• Opiatantagonisten (Blockierung der Opiatrezeptoren, auch bei „Turbo-Entzug“)
• Alkoholsensibilisierende Medikamente (z. B. Disulfiram)
• Anti-Craving-Substanzen bei Alkoholabhängigen (z.B. Acamprosat)
2.5.2 Psychotherapeutische Behandlung
• Verhaltenstherapie (bei emotionalen und kognitiven Problemen, Änderung Lebensführung)
• Tiefenpsychologische Therapieformen
• Gesprächspsychotherapie (vor allem wenn Klient in Phase der Urteilsbildung)
• Eklektische Ansätze (Kombination verschiedener Ansätze)
2.5.3 Soziotherapeutische Behandlung
• Therapeutische Wohn- und Lebensgemeinschaft mit ehemaligen Abhängigen als «Personal»
• Therapeutische Gemeinschaft mit professionellen Therapeuten (Fachklinik)
• Ambulante Selbsthilfegruppen (z. B. AA, Blaukreuz, Guttempler)
3. Behandlung von Alkoholabhängigen
3.1 Therapeutische Maßnahmen und Programme
Allgemeine Therapieziele bei einem stationären verhaltenstherapeutischen Programm
(Schneider, 1982):
– Einsicht in die Notwendigkeit einer langfristigen Abstinenz,
– Vermeidung von Rückfällen in kritischen Situationen,
– Adäquates Verhalten nach Rückfällen,
– Verbesserungen in belastenden Lebensbereichen (z. B. Arbeitsbereich)
Psychische Störungen
73
– Beseitigung bzw. Reduzierung individueller Störungen (z.B. Sexual- oder
Partnerschaftsstörungen)
Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sind:
 Funktionale Verhaltensanalyse (Patient erkennt Alkoholmissbrauch als fehlgeschlagene
Problemlösung für tiefersitzende Probleme und lernt das komplexe Bedingungsgefüge zu
verstehen)
 Entspannungstraining (Alternativen zur Entspannung in belastenden Situationen)
 Selbstkontrolltraining/Ablehnungstraining
 Einübung von Selbstsicherheit
 Kognitive Umstrukturierung (Belastungstrainings, Patient lernt seine Gefühle kennen und
lernt sie zu steuern)
 Anleitung zu sinnvollen Freizeitgestalung
 Selbstorganisation (von Tagesplanung bis zur Lebensplanung)
Die stationäre Behandlung dauert ungefähr 4 Monate, aus Kostengründen werden in Klinken
gruppentherapeutische Maßnahmen durchgeführt. Je nach Problemanalyse werden im
Einzelfall noch zusätzlich indikative Gruppen und Einzeltherapie durchgeführt.
In dem beschriebenen stationären Programm von Schneider sind 4 Jahre nach Ende der
Behandlung 41 % aller aufgenommenen bzw. 50 % aller planmäßig entlassenen Patienten
erfolgreich oder ge-bessert (alle in der Katamnese nicht erreichten Klienten wurden als
Mißerfolg gewertet).
Ziele und Maßnahmen einer ambulanten Behandlung (Vollmer, 1982):
Verhaltensbereiche:
Alkoholkonsum, Sozialverhalten, Freizeitverhalten, Arbeitsverhalten, Sonstige
Verhaltensbereiche
Ziele:
Alkoholfreiheit oder kontrolliertes Trinken, Adäquate Kommunikation, Kontaktfähigkeit,
Selb-stsicherheit, Belastungsfähigkeit, Freizeit selbständig gestalten, Wahl einer Arbeits- oder
Ausbild-ungsstelle, Regelmäßige Arbeit, Individuelle Ziele und Maßnahmen
Psychische Störungen
74
Maßnahmen:
Selbstkontrollverfahren (Verdeckte Sensibilisierung, Coverant-Kontrolle u. a.), Verträge,
Ablehn-ungstraining, Entspannungstraining, Sozialtraining (Gruppe), ln-vivo-Übungen,
Partnertherapie,
Entspannungstraining, Strukturierte Freizeitplanung, Freizeitaktivität mit Therapiehelfer,
Indivi-duelle Maßnahmen
Auch in diesem Programm werden standardisierte Teile mit individuellen Maßnahmen
verbunden. Das Programm dauert etwa 5 Monate mit je ca. 25 Einzel- und
Gruppentherapiesitzungen. Nach einer 3wöchigen Reduktionsphase und einer 8wöchigen
alkoholfreihen Phase entscheiden Klient und Therapeut gemeinsam, welche weiteren Ziele
verfolgt werden (abstinent oder kontrolliertes Trinken).
In einer Untersuchung über das ambulante Programm von Vollmer et al. (1982) waren zwei
Jahre nach Ende der Behandlung 40 % der Klienten erfolgreich oder gebessert, wobei der
Wert für die Untergruppe der Klienten mit dem Therapieziel «Abstinenz» bei 25 % und der
für die Gruppe «kontrolliertes Trinken» bei 45 % lag.
3.2 Ergebnisse
Süß (1995) untersuchte in einer Metaanalyse die verschiedenen Verfahren bei
Alkoholabhängigen. Die generellen Erfolgskriterien waren dauerhafte Abstinenz im gesamten
Katamnesezeitraum und erhebliche Besserung. Der Gesamtmittelwert der Abstinenzrate
streute zwischen 34 und 48 %
 generelle Wirksamkeit: „Ein-Drittel-Quote“.
Andere Studien, die auch die Qualität der untersuchten Studien berücksichtigt, legen nahe,
dass kurze Interventionen sowie Breitband-Fertigkeitstrainings sehr gute Ergebnisse erzielen.
Auch Familien- bzw. Paartherapie, kognitiv-behaviorale Ansätze und medikamentöse
Behandlung sind sehr effektiv. Weniger bedeutsam: Aversionstherapie, Hypnose, VideoSelbstkonfrontation und Behandlung mit Anxiolytika und Psychedelika.
4. Behandlung von Drogenabhängigen
4.1 Therapeutische Maßnahmen und Programme
Ziele und Maßnahmen für ein Progamm zur stationären Behandlung (Bühringer & DeJong,
1980):
• Aufbau neuer Verhaltensalternativen in ehemals kritischen Auslösersituationen
Psychische Störungen
75
(Rollenspiel, Reizkontrollschritte zur Einengung diskriminativer Stimuli für
Drogenmißbrauch)
• Selbstkontrollmaßnahmen (Koverantenkontrolle, Gedankenstopptraining, verdeckte
Sensibilisierung)
• Aufbau neuer bzw. Förderung bestehender Freizeitinteressen (gestuftes
Verstärkerprogramm)
• Aufbau von Verhaltensweisen, die als Voraussetzung geregelten Arbeits- und
Ausbildungslebens
gelten (Punktegramm)
• Vorbereitung auf die Wiedereingliederung in das Berufs- bzw. Schulleben (Lerntraining,
Entscheidungstraining, Rollenspielübungen)
• Aufbau neuer Kontakte, Aufbau sozialer Sicherheit und eines effektiven
Verstärkeraustausches
in sozialen Beziehungen (Training zur Förderung sozialer Kompetenz, ATP)
• Verbesserung von Kommunikationsfähigkeiten (ATP, Kommunikationsübungen)
• Aufbau von Verhaltensweisen, die ein selbständiges Leben ermöglichen bzw. erleichtern
(Kontrakte, Rollenspiele)
• Aktive Problembewältigung, überlegtes Entscheidungsverhalten (Problemanalyse und
Entscheidungstraining)
Das Programm für eine stationäre Einrichtung dauert etwa 6 Monate, wobei je nach
individuellem Fortschritt der Aufenthalt zwischen 3 und 10 Monaten variieren kann. Neben
einem standardisierten Rahmen für den Aufenthalt in der Einrichtung (Hausregeln,
Arbeitstherapie) wird das Programm aufgrund der Problemanalyse möglichst individuell
geplant und durchgeführt.
2 Jahre nach Ende der Behandlung sind 32 % der Klienten drogenfrei, bei den planmäßig
entlassenen sind es 80 %.
Ambulante Konzepte für Drogenabhängige / Substitution:
Die für die drogenfreie stationäre Behandlung beschriebenen therapeutischen Maßnahmen
können grundsätzlich auch im Rahmen der Substitution durchgeführt werden. Problematisch
ist, daß bis auf wenige Substitutionsambulanzen die medizinischen Maßnahmen
einschließlich der Substitution von niedergelassenen Ärzten durchgeführt werden, die
sonstigen Maßnahmen jedoch von Suchtambu-lanzen. Es fehlt dadurch an einheitlichen
Ansätzen für die Diagnostik, Therapieplanung und
Psychische Störungen
76
–durchführung, in den meisten Fällen fehlen psychologische oder psychosoziale Maßnahmen
völlig.
Zu den zentralen Wirkfaktoren für eine erfolgreiche Einrichtung gehören neben einer
ausreichend hohen Dosierung des Methadons vor allem gut ausgebildete Mitarbeiter und ein
gut ausgebautes psychotherapeutisches und soziales Angebot.
4.2 Ergebnisse:
Maddux & Desmond (1992) haben Studien zur Substitution und drogenfreihen Behandlung
analysiert, die 5-10 Jahre nach Behandlungsbeginn den Anteil der erfolgreichen Klienten
(auch von Methadon drogenfrei und sozial integriert) erfassen:
 Nach Methadon-Substitution: 15-20 % (1-3 Monate Abstinenz vor Katamnese), 10 % (1-4
J. Abstinenz vor Katamnese)
 Nach drogenfreiher stationärer Behandlung: 10-20 % bei Katamnese-Zeiträumen von 3-10
J.
 auch bei Langzeitkatamnesen werden ung. 20-30 % gute therapeutische Ergebnisse
erreicht.
35. Schizophrenie (Fellner)
35.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Klassifikation

Unter dem Begriff Schizophrenie wird eine psychopathologisch und vermutlich
auch ätiologisch ähnliche Gruppe von psychischen Störungen zusammengefasst,
die erst seit DSM – III (1980) reliabel diagnostiziert werden kann

Es kommt bei der Schizophrenie zu einem drastischen Abfall des psycho-sozialen
Funktionsniveaus im frühen oder mittleren Erwachsenenalter - dabei sind keine
gravierenden Ursachen dafür erkennbar (wie Trauma, zerebraler Schaden etc.

Bei der Schizophrenie fehlt das für eine Diagnose spezifische psychopathologische
Merkmal/spezifische Merkmalskonfiguration (so treten die häufigsten Positiv –
Psychische Störungen
77
Symptome wie Wahngedanken nur bei 75% der schizophrenen Patienten auf, und
das auch nur zeitweilig)

lange kein Konsens über die schizophrene Leitsymptomatik

Probleme bei der Differentialdiagnose, Reliabilität und Stabilität der Diagnose
vor allem gegenüber „benachbarten“ bzw. ähnlichen Störungen

Schizophrene Patienten unterscheiden sich wesentlich im Krankheitsverlauf und in
der Symptomatik
Schizophrenie
Hepephrene
Schizophrenie
(desorganisiertes
Verhalten, inadäquater
Affekt)

Katatone
Schizophrenie
(Störungen der Psychomotorik)
In letzter Zeit erlangen Faktorenanalytsiche Modelle an Bedeutung: Man versucht
unterschiedliche Symptome zu Syndromen oder Störungs-dimensionen
zusammenzufassen, die zumindest in akut psychotischen Phasen miteinander
korrelieren
Zunächst ging man von einer Zweiteilung aus:
1. Negativ Symptomatik (defizitäres Syndrom)
2. Positive Symptomatik ( akut – psychotisches Syndrom)
Doch neuere Arbeiten sprechen für einen 3ten Faktor, der sich aus

Paranoide
Schizophrenie
(dominierende
Wahngedanken,
akustische
Halluzinationen
inadäquaten Effekt
 desorganisiertem Denken und Verhalten
zusammensetzt.
2. Diagnostik
Psychische Störungen
78
Begrenzter Nutzen von Selbstbeurteilungsverfahren bei schizophrenen Patienten, da sie kaum
in der Lage sind Auskünfte über die psychotischen Veränderungen zu geben und auch keine
Krankheitseinsicht besitzen. Deshalb werden weitgehend Fremd-beurteilungsverfahren
genützt.
Bezüglich der Fremdbeurteilungsverfahren sind 2 Entwicklungen festzustellen:
1. Ergänzung diagnosen – übergreifender Verfahren, durch Skalen die typischen
negativ und positiv Symptome der Schizophrenie erfassen.
2. Standardisierung der Beobachtungsbedingungen durch Festlegung bestimmter
Fragen und Antwort – bzw. Beobachtungskategorien.
Ad 2) Erhöhung der Reliabilität, aber wie steht’s mit der Validität?
Selbst – und Fremdbeurteilungsverfahren bei schizophrenen Störungen
Psychische Störungen
Verfahren
79
Zielsetzung
Methodik
Brief Psychiatric
Rating Scale
(BPRS) (F)
Erfasst 5 Störungsdimensionen bei 18 Items die nach einem
stationären Psychiatrie Patienten
klinischen
Interview
beurteilt werden
Nurses Observation Scale for Inpatient Evaluation
(NOSIE) (F)
Das Pflegepersonal und Betreuer führen 30 Items zur Beurteilung
eine
Verhaltensbeurteilung
von des Verhaltens während
stationären Patienten auf 7 Faktoren der letzten 3 Tage
durch
Scale for Assesment of Negative
Symptoms (SANS)
(F;S)
Erfassung schizophrener Minus
Symptomatik auf 5 Dimensionen
Positive and Negative Syndrome
Scale (PANSS) (F)
Erfasst schizophrene positiv und
Bewertung anhand eines
negativ Symptomatik sowie allgemeine
Psychopathologie
klinischen Interviews und
des Verhaltens in den
letzten 7 Tagen
– Verhaltensbeobachtung
und
Selbsteinschätzung
während eines klinischen
Interviews
Erfassung
subjektiver
BeeinParanoid – Depressivitäts – Skala trächtigung durch (1) depressiv – FB mit 43 Items
ängstliche Verstimmtheit; (2) paranoide
(PD-S) (S)
Tendenzen
und
(3)
Krankheitsverleugnung
IntentionalitätsSkala (InSka)
(F)
Frankfurter
Beschwerde
Fragebogen (S)
Erfassung schizophrener
Residualsymptomatik (Gesamtscore)
60 Items zur Symptombeurteilung aufgrund des
Verhaltens der letzten 2
Wochen
Selbsteinschätzung subjektiv erlebter
Beeinträchtigungen
du
Defizite Fragebogen oder Interview
(Basissymptome) in 10 Kategorien
mit 98 Items
35.2 Ätiologie/Bedingungsanalyse
Psychische Störungen
80
1. Epidemiologische Befunde

Inzidens von 10 : 100 000 (bei einer engen Schizophreniedefinition und beim
Vergleich psychiatrischer Zentren in Europa, Amerika, Afrika und Asien)

Auch in der Längsschnittstudie bleibt die Inzidens gleich

Inzidens ist geschlechtsunabhängig

Es scheint das weder ökonomische, kulturelle noch ethnische Faktoren einen
Einfluss darauf ausüben, das verweist auf eine starke Bedeutung biologischer und
genetischer Faktoren
2. Genetik

sehr gut abgesicherte Aussagen

bei den biologischen Verwandten von Schizophrenen wurde ein erhöhtes und nach
Verwandtschaftsgrad abgestuftes Morbidätsrisiko gefunden

Zwillingsstudien zeigten, dass Kinder von einem Schizophrenen Elternpaar ein Risiko
von 46 – 48% haben.

Adoptivstudien von Kindern, die von schizophrenen Müttern wegadoptiert wurden,
zeigen eine erhöhte Häufigkeit von Schizophrenie und Störungen, die dem
schizophrenen Spektrum zugerechnet werden
Fazit: Es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine genetisch übertragene Disposition zur
Entwicklung einer schizophrenen Störung. Es müssen aber auch bestimmte nicht –
genetische Umstände hinzutreten, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass aus der
Disposition eine manifeste Erkrankung wird (z.B. ist das Risiko für einen Eineiigen Zwilling,
wenn sein Zwillingsbruder an Schizophrenie erkrankt ist, auch an Schizophrenie zu erkranken
< 50%.
3. Biologische Faktoren
3.1 Biochemische Faktoren

Mit den Akutsymptomen einer Schizophrenie, wie Halluzinationen und Wahnideen
geht eine gesteigerte Dopaminaktivität einher.

Vermutung, dass eine dopaminerge Unterfunktion im mesokortico - präfrontalen
System mit negativen Symptomen verbunden ist.

Bei schizophrenen kommt es häufig zu einer Vergrößerung der Seitenventrikel
Psychische Störungen
81

Es wird aber auch eine Volumenverringerung des Temporallappens berichtet

In nur wenigen Arbeiten wurden verschiedene Areale gleichzeitig vermessen, deshalb
kann keine Aussage über systematische Zusammenhänge zwischen den multiplen
Auffälligkeiten gemacht werden.

Immunologische Hypothesen gehen von einer Schädigung des sich pränatal
entwickelten ZNS durch Viren aus (geringfügige Erhöhung der Geburtsraten
Schizophrener nach einer Grippeepedemie und in Winterjahreszeiten).

Geschlechtsunterschiede in der Schizophrenie: Frauen erkranken später an
Schizophrenie, aber warum? Erklärung: In Tierexperimenten konnte nachgewiesen
werden, dass Östrogen eine antidopaminerge Wirkung hat. Während der
Menopause kommt die Östrogenproduktion zum Erliegen, dies führt zu einer
Zunahme der Vulnerabilität.
3.2 Psychophysiologische Faktoren

Veränderung der psychophysiologischen Reaktionsmuster und Funktionsabläufe bei
Schizophrenen

Hinweise, dass Schizophrene anders als Gesunde auf Reize auf ihre Bedeutung hin
analysieren.
Es
wird
ohne
Reaktionsanforderung
keine
zentrale
Verarbeitungskapazität zur Verfügung gestellt.

„Oddball Paradigma“ (es werden 2 Töne präsentiert, wobei ein Ton als selten
deklariert wird. Die VP soll dabei auf den seltenen Ton achten, wenn dieser erklingt,
lässt sich eine positive Komponente in der Hirnaktivität nachweisen, die P3000) Im
„Oddball Paradigma“ zeigen Schizophrene bei den seltenen Tönen eine erheblich
reduzierte P300.

P300 ist ein Indikator für kontrollierte Prozesse der Aufmerksamkeit und der
Reizbewertung  Ergebnis deutet auf eine Störung dieser Prozesse bei
Schizophrenen hin.

Grillon, Amelli, Chourchesne und Braff (1991) zeigten anhand der P300, dass sich
bei Schizophrenen die Aufmerksamkeit ziemlich gleich auf relevante und irrelevante
Reize verteilt. Die P300 ist für seltene Reize kleiner, aber größer auf nachfolgende
irrelevante Reize.

Fehlen von Orientierungsreaktion und die verminderte Kovariation hirnelektrischer
Signale mit der Reizbedeutung, verwiesen auf eine Störung der
Informationsverarbeitung.
Psychische Störungen
82
4. Neurokognitive Defizite

erhöhte Ablenkbarkeit Schizophrener Patienten

leichte Ablenkbarkeit und Probleme bei konzentrativen Daueranforderungen
verweisen auf Störungen der Informationsverarbeitung und Aufmerksamkeit im
schizophrenen Verlauf

Schizophren nennen seltener das übliche Wort, wenn ein Reizwort genannt wird 
Hinweis auf das Fehlen hemmender Einflüsse auf die Assoziations-bildung. Könnte
auf eine Fehlfunktion des dopaminergen Systems im Frontallappen zurückgeführt werden.
5. Psychosoziale Faktoren
5.1 Prämorbide Sozialisationsbedingungen

bei später als Schizophren beurteilten Jungen, gab es laut Lehrerurteil mehr Verstöße
gegen die Schulordnung, sie wurden auch als ängstlicher und zurückgezogener
beurteilt.

Studie anhand einer Bostoner Erziehungsberatungsstelle fand sozialen Rückzug,
geringe Impulskontrolle und Tendenz zu bizarren Verhaltensweisen
Aber: Frage der Repräsentativität!!!

Mütter von Schizophrenen zeigten in einer Kopenhagener Risikogruppen –
Untersuchung
a) Weniger Verantwortungsbewusstsein
b) Weniger emotionale Stabilität
Als Mütter in der Kontrollgruppe.

double bind (z.B. Ich hab dich lieb; Der Gesichtsausruck passt jedoch nicht)
nicht empirisch bewiesen!
Psychische Störungen

83
Deutliche Unterschiede in der Kommunikation bei Eltern schizophrener Kinder und
Eltern von gesunden Kindern. Aber welche Bedeutung das für die Störung hat, ist
nicht geklärt – sie könnte auch als Folge der Störung auftreten

Kombination von Kommunikationsstörung und ablehnenden affektiven Stil bei Eltern
von Schizophrenen
5.2 Psychosoziale Belastungen

höchste Prävalenz für Schizophrenie in von der Unterschicht bewohnten
Wohngebieten der Innenstadt Chicagos. Bei Übergang zu besser gestellten
Wohngebieten nahm die Prävalenz systematisch ab

Zusammenhang zwischen der Prävalenz und sozioökonomischen Status

Ist aber nur in Großstädten deutlich, in mittleren Städten schwach und am Land nicht
nachweisbar
Potentielle Erklärungen:
a) Social stress/social causation Hypothese
Das Leben unter schwierigen psychosozialen Bedingungen erhöht die Prävalenz für
Schizophrenie
b) social drift/social selection Hypothese
Bereits im Vorfeld der Erkrankung, sind die Fähigkeiten zur Rollenerfüllung eingeschränkt,
das führt zu einem Absinken („drift“) in untere Sozialschichten beziehungsweise können die
Betroffenen an dem im Rahmen der Generationen üblichen Aufstieg in bessere
Lebensbedingungen nicht teilhaben („selection“).
 es gibt dafür Evidenz
c) Lebensverändernde Ereignisse können als psychosoziale Stressoren an der
Ätiologie schizophrener Erkrankungen beteiligt sein

Studien belegen das lebensverändernde Ereignisse im Zusammenhang mit einem
„Rückfall“ stehen
Psychische Störungen
84
6. Ausblick
Risikofaktoren für schizophrene Erkrankungen:
(1) Genetische Faktoren
(2) Hirnlesionen
(3) Psychosoziale Belastungen

Genetische Modelle können die Entstehung der Schizophrenie nur teilweise erklären
(vgl. die Diskordanz bei Monozygoten Zwillingen).

Befunde über strukturelle Veränderungen des Hirns treffen nicht auf alle
Schizophrenie Patienten zu. Es gibt keine Evidenz dafür, das Hirnveränderungen
zwangsläufig mit Schizophrenie verbunden sind.

Bei psychosozialen Faktoren gibt es einen Zusammenhang zwischen
lebensverändernde Ereignissen, EE (expressed emotions) und einem Rückfall.

psychosozialen Faktoren sind schwer zu „fassen“ und auch nur Teilfaktoren

Es wirken mehrere Risikofaktoren auf die Entstehung von Schizophrenie ein

Wahrscheinlich bestimmt die Interaktion der Risikofaktoren die unterschiedlichen
Krankheitsbilder, prämorbide Auffälligkeiten und längerfristige Verläufe bestimmt.
35.3 Intervention
1. Behandlungsansätze im Verlauf schizophrener Erkrankungen
Aufgrund der Faktorenanalyse wird zwischen 3 Syndromen unterscheiden:
a) Positiv Symptomatik (Halluzinationen, Wahnerlebnisse und Ich – Störungen)
Psychische Störungen
85
b) Negativ Symptomatik
Treten häufig vor den positiven Symptomen auf und bleiben auch nach deren Abklingen
teilweise lange bestehen.
c) Desorganisiertes Verhalten, Denkstörungen und inadäquater Affekt
Hohe Komorbidität (in Industrieländern circa 60%) von Schizophrenie und dem Missbrauch
psychotroper Substanzen. Aber warum?
Hypothesen:
(1) Substanzmissbrauch löst generell oder bei vulnerablen Personen Schizophrenie aus
(2) Substanzmissbrauch entsteht aus der Selbstmedikation oder Bewältigung
schizophrener Störungen
(3) Koinzidenz ätiologisch völlig unabhängiger Störungen
2. Behandlung akut psychotischer Episoden
Erstmaliges Auftreten einer akuten schizophrenen Psychose führt zur Aufnahme in ein
psychiatrisches Krankenhaus. Erworben Betroffene und Angehörige ein gewisses Verständnis
der Erkrankung und Vertrauen in professionelle Hilfe, kann auch ohne Klinikeinweisung
behandelt werden. In der Behandlung akuter schizophrener Psychosen liegt derzeit der
Schwerpunkt auf der Pharmakotherapie und psychosozialer Betreuung, die komplementär
zueinander wirken.
2.1 Antipsychotische Medikation
Therapeutische Fragen bezüglich neuroleptischer Behandlung:
(1) Erfolgsraten
(2) Abgrenzung der pharmakologischen Wirkung gegen Placebo – Effekte
(3) Abgrenzung der spezifisch antipsychotischen Wirkung gegenüber unspezifischer
Sedierung
(4) Erfassung der Art und Häufigkeit unerwünschter Nebenwirkungen
 Neuroleptika lassen Negativ – Symptome weitgehend unbeeinflusst!
Psychische Störungen
86
 Nebenwirkungen können einen Abbruch bewirken (bei Cole waren es 3%)
 einige typische Nebenwirkungen wie Tremor, Rigor und Ruhelosigkeit wurden auch bei
medikamentenfreien Patienten beobachtet; Die Beschwerden sind aber bei medikamentös
behandelten Patienten ausgeprägter.
 In der Regel überwiegen die Vorteile der Neuroleptika (besonders die erhebliche
Verkürzung der stationären Behandlung)
2.2 Psychosoziale Maßnahmen
Therapeutische Grundregeln für Schizophrenie:
(1) Möglichst entspanntes, übersichtliches, reizarmes Behandlungsmilieu mit konstanten
Personal
(2) Personelle und konzeptionelle Kontinuität mit konstanter zentraler Bezugsperson und
längerfristiger Koordination der Behandlungsmaßnahme
(3) Eindeutige, klare und affektiv – kognitiv kongruente Kommunikation
(4) Möglichst einheitliche Informationen und Ansichten bei Patient, Angehörigen,
stationären und ambulanten Betreuern über die Störung, die konkreten Ziele der
Behandlung und die Prognose
(5) Erarbeitung gemeinsamer, möglichst realistisch – positiver Zukunftserwartungen
(6) Vermeidung von Über – und Unterstimulation
(7) Kombination von Sozio – und Pharmakotherapie
Eine Studie von Ciompi in einer kleinen Behandlungseinrichtung, wo er den Schwerpunkt auf
psychosoziale Maßnahmen und nur zeitweiser Medikamentation legte, zeigte dass:
(1) In der Regel kann eine völlige medikamentenfreie Behandlung auch unter günstigen
psychosozialen Bedingungen nicht verwirklicht werden
(2) Es reichen deutlich niedrigere Neuroleptikadosen aus, als wie üblicherweise
angewandt
(3) Die Vorteile einer geringeren Medikamentation ist gegenüber einer längeren
Hospitalisierung abzuwägen
Psychische Störungen
87
2.2.1 Der Einfluss des Stationsklimas auf den Verlauf der schizophrenen
Symptomatik:

wenn relativ wenige Mitpatienten aggressives oder irritierendes Verhalten zeigten

wenn häufig soziale Kontakte stattfanden
deutliche Abnahme der schizophrenen Symptomatik.
2.2.2 Wirkung der Psychotherapie bei der Behandlung Schizophrener
Es wurden mehrere Schulen miteinander verglichen und die Effektstärke wurde ermittelt:
TOP DREI SCHULEN:
(1) Familientherapie (+ 0.28); N= 6
(2) Kognitive Therapie (+ 0.28); N= 6
(3) Körperorientierte Therapie (+ 0.27); N=1
3. Längerfristige Behandlungsmaßnahmen für schizophrene
Patienten

bei 25% der Betroffenen klingen schizophrene Störungen ohne schwere psychische
und soziale Beeinträchtigungen ab

bei ≈ 25% kommt es zu einer chronischen Negativ – Symptomatik, mit Tendenz zur
Besserung

bei 50% ist der Langzeitverlauf instabil mit auftreten von akuten psychotischen
Zuständen
Langfristige therapeutische Aufgaben:
(1) Rückfall – Prävention
(2) Behandlung persistierender Defizite und Störungen
Psychische Störungen
88
3.1 Pharmakotherapie
In einem einjährigen Beobachtungszeitraum erlitten

70% der Patienten unter einem Placebo einen Rückfall

23% der Patienten unter Neuroleptika einen Rückfall

Bei kontrollierten Absetzversuchen kam es im Zeitraum von 6 – 24 Monaten zu einer
Rückfallquoten von circa 75%

Depressivität und sozialer Stigmatisierung kann die Negativ – Symptomatik
verstärken

es besteht bei neuroleptischer Langzeitbehandlung auch das Risiko irreversibler
Spätdyskinesien

Spätdyskinesie umfasst qualitativ abnorme, oft stereotype unwillkürliche
Bewegungen vor allem von Zunge, Mund und Gesicht (tritt bei 15% der
Langzeitbehandelten auf; 1% davon ist irreversibel)

Dagegen versuchte man Intervallbehandlungen anzuwenden (bei einem stabilen
symptomfreien Zustand setzt man die Medikamentation ab und erst beim Auftreten
von Frühwarnzeichen werden Medikamente verabreicht). Doch dabei stiegt die
Rückfallquote um 50%.
3.2 Psychosoziale Maßnahmen
Schon Bleuler weist darauf hin, das Schizophrene nur bei akuten Anfällen (wegen störenden
Benehmens, Suizidgefahr etc.) in die „Anstalt“ gehören. Sobald es möglich ist, sollen sie
wieder entlassen werden, da sich sonst Patienten und Angehörige zu stark an den Aufenthalt
in der Anstalt gewöhnen.
3.2.1 Stationäre Behandlung chronisch schizophrener Patienten

5 – 10% der Schizophrenen ist stationär
In einer Studie über Klinikmilieu und Symptomatik konnte folgendes gezeigt werden:
Psychische Störungen
89
(1) Abteilungen mit wenig sozialer Anregung und Anforderung an die Patienten
führten zu einer stärkeren Ausprägung der Negativ – Symptomatik
(2) Korrelation des Ausmaßes der Symptomatik mit der Aufenthaltsdauer

Aber auch eine Überstimulation durch intensives Engagement erhöht das Risiko
einer positiven Symptomatik.

Mechanistische Maßnahmen eines Verstärkersystems, die soziale Interaktion
vorhersagbar und überschaubar machen, können auf Schizophrene heilsam wirken (in
einem Versuch gab es damit exzellente Erfolge).
3.2.2 Maßnahmen gegen Rückfälle und Chronifizierung

je länger die stationäre Behandlung, desto größer die Gefahr zunehmender Negativ –
Symptomatik

Deshalb möglichst rasche Entlassung nach Abnahme der Akutsymptomatik und
Fortsetzung der Behandlung auf außerklinischer Basis
Nach Zubin´s Vulnerabilitäts –Stress Modell sind psychotische Rückfälle das Resultat einer
individuell variierenden Anfälligkeit und bestimmter psychosozialer Streß – Faktoren.
Bezüglich psychosozialer Streß – Faktoren wurden besonders 2 Faktoren untersucht:
a) Lebensverändernde Ereignisse (life events)
b) Expressed emotions enger Bezugspersonen
Man versucht die sozialen Fertigkeiten zu trainieren, ein soziales Netzwerk aufzubauen
und den Stress in zwischenmenschlichen Kontakten zu verringern. Zusätzlich kann man
ein wöchentliches Treffen mit Familienmitgliedern arrangieren.
Spezifische Behandlungsverfahren bei Störungen und Defiziten schizophrener Patienten
Zielverhalten
Behandlungsmaßnahmen
Soziale Fähigkeiten und Kommunikation
Social Skills Training
Berufliche Eingliederung
Berufl. Rehabilitationsprogramme
Lebenspraktische Fähigkeiten
Life Skills Training
Krankheitsverständnis - & bewältigung
Psychische Störungen
Kognitive Leistungen
Kognitive Trainingsprgramme
Körperwahrnehmung; Ich - Empfindung
Leiborientierte Therapie
Verringerung von Halluzinationen & Wahn
Kognitive Verhaltenstherapie
90
Studie von Hogarty und Anderson (1986):
88 Patienten mit neuroleptischer Standard – Medikation aus high EE Familien wurden per
Zufall verschiedenen Therapien zugewiesen und mit einer Kontrollgruppe verglichen:
Kontrollgruppe: 33% Rückfallquote
Familientherapie: 19% Rückfallquote
Sozial – Training : 21% Rückfallquote
Familientherapie & Sozial – Training: 0% Rückfallquote
36. Depressive Störungen (Schider)
36.1 Klassifikation und Diagnostik
1.Klassifikation
Die Multidimensionalität depressiver Störungsbilder wird heute sowohl auf der
phänomenologischen als auch auf der ätiologischen Ebene anerkannt und unterstrichen. Unter
Depression als Symptom wird eine traurig-gedrückte Stimmungslage verstanden die auch
ängstliche/gereizte Züge miteinschließen kann. Unterscheidung von Subtypen war daher in
großer Anzahl und auf der Basis sehr heterogener Einteilungskriterien; multiple und v.a.
dichotome Klassifikationsansätze ( endogen vs. neurotisch-reaktiv; uni- vs. bipolar ). In der
heute gängigen Klassifikation nach ICD-10 und DSM-IV Bestimmung der Subtypen
weitgehend nach deskriptiven operational definierten Unterscheidungsmerkmalen.
Tab. 1 (S.854): ICD-10-Kategorien: (siehe auch Skriptum)

Affektive Störungen

Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen

Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Psychische Störungen
91
Tab. 2 (S.855): DSM-IV-Kategorien: (siehe auch Skriptum)

Affektive Störungen

Schizophrenie und andere Psychotische Störungen

Anpassungsstörungen
2. Diagnostik
Interviewverfahren zur Erstellung von Diagnosen sind stark in den Vordergrund getreten.
Daneben Fremdbeurteilungsskalen und Selbstbeurteilungsfragebögen um den Schweregrad
der Depression quantitativ zu erfassen.
Tab. 4 (S.856): Verfahren zur dimensionalen Depressionsdiagnostik:

HAMD (Hamilton-Depression-Scale)  Fremdbeurteilungs-Skala (Basis: Interview)

MADRS (Montgomery Asberg Depression Scale)  Fremdbeurteilungs-Skala (Basis:
Interview)

BDI (Becks Depressions-Inventar)  Selbstbeurteilungs-Fragebogen

ADS (Allgemeine-Depressions-Skala)  Selbstbeurteilungs-Fragebogen
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an diagnostischen Verfahren zur Messung bestimmter
Aspekte depressiver Störungen (Anwendung nicht nur auf diesen Bereich beschränkt), z.B.
UBV (Fragebogen zum Umgang mit Belastungen im Verlauf) oder H-Skalen (Skalen zur
Hoffnungslosigkeit).
36.2 Ätiologie / Bedingungsanalyse
1.Einleitung
Die Entstehung von Depressionen ist multikausal bedingt; ein breites Spektrum von
biologischen, umweltspezifischen und psychologischen Faktoren kann zur Genese beitragen.
In jüngster Zeit wurden verstärkt einzelne Forschungslinien zu verbinden versucht, d.h. dass
derzeit ausgesprochener Trend zur Entwicklung von integrativen „biopsychosozialen“
Depressionsmodellen herrscht. Dieser aktuelle Trend darf allerdings nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Beantwortung der Frage nach den Ursachen einer Depression noch
keineswegs möglich ist.
Abb. 1 (S.860): Grundzüge eines biopsychosozialen Modells:
Biologische Faktoren
Psychosoziale F.
-Genet. Prädisposition,
-Belastende Lebens-Neurobiolog. Dysfunkt.
-Ereignisse
-Ungünstige Umwelteinflüsse im Entwicklungs-
Psychologische F.
-kognitive Dysfunktionen
-Sozial-behaviorale
Dysfunktionen
Psychische Störungen
92
verlauf



Dysregulation der basalen psychobiologischen Adaptationsmechanismen

Depressives Syndrom
2. Biologische Faktoren
2.1 Genetische Ansätze
Die Familien-, Adoptions- und Zwillingsforschung zeigt, dass genetische Faktoren an der
Entstehung von affektiven Störungen beteiligt sein können. Der Einfluss prädisponierender
hereditärer Faktoren scheint zu variieren (je nach Art/Schwere d. Störungsform). So betragen
die Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen für psychotische unipolare Depressionen 50 %,
für nicht-psychotische unipolare Depressionen 40 % und für bipolare affektive Störungen
liegen die Werte merklich höher. Die Rolle genetischer Einflüsse bietet bei leichteren
depressiven Störungen ein inkonsistentes Bild, scheint jedenfalls geringer ausgeprägt zu sein
als obengenannte Störungsformen.
2.2 Neurobiologische Ansätze
In den letzten Jahren sind im Kontext depressiver Störungen in bezug auf eine Fülle von
biochemischen,
neuroendokrinologischen
und
neurophysiologischen
Indikatoren
Untersuchungen zum Stellenwert neurobiologischer Dysfunktionen durchgeführt worden.
Besonders Ansätze zur Erfassung von Dysregulationen im Neurotransmitterhaushalt,
Dysfunktionen der Cortisolsekretion und der Sekretion des Schilddrüsen und
Wachstumshormons sowie chronobiologischen Abweichungen nehmen einen breiten Raum
ein. Bei Depressivenfinden sich neurobiologische Störungszeichen häufig in signifikanter
Ausprägung; der schlüssige Nachweis von neurobiologischen Dysfunktionen steht bisher aber
noch aus. Generell richtet sich die Suche heute mehr und mehr auf die Erfassung von
gestörten Interaktionsmustern zwischen verschiedenen neuronalen Systemen.
3. Psychosoziale Faktoren
3.1 Kritische Lebensereignisse
In so gut wie allen neueren Modellen wird der Einfluss von kritischen Lebensereignissen zur
Depressionsgenese anerkannt. Die Auftretenshäufigkeit solcher Ereignisse im Vorfeld
Psychische Störungen
93
depressiver Störungen ist signifikant (Zusammenhang empirisch gut gestützt). Ein besonderer
Stellenwert wird interpersonellen Verlust- und Separationsereignissen im Vorfeld der
Depression zugeschrieben; oder aber sozialen Rang- und Rollenverlusten (evolutionspsychologisches Konzept). Als wesentliches Element der Depressionsgenese ist die
Wechselwirkung zwischen belastenden Umweltgegebenheiten und personspezifischen
Vulnerabilitätsfaktoren zu betrachten. Das interaktive Stress-Diathese-Konzept ist zwar
empirisch gestützt, es gibt aber auch Resultate, die eher für das additive Zusammenwirken
verschiedener ungünstiger Variablen in der Entwicklung depressiver Störungen sprechen.
3.2 Belastenden und defizitäre Umfeldbedingungen
Im Blickpunkt: der Einfluss von akuten und chronischen psychosozialen Stressoren.
Depressive haben in Familie und Partnerschaft häufig dysfunktionale Beziehungen sowie
erhöhte Belastung(en) am Arbeitsplatz. Das soziale Umfeld ist nicht durch ausgeprägte
aversive Bedingungen, sondern durch ausgeprägte Defizite an hilfreichen und fördernden
Kontakten charakterisiert. Ob dies nun Antezedentien oder Folgen sind lässt sich nicht
einheitlich beantworten.
3.3 Ungünstige Umwelteinflüsse im Entwicklungsverlauf
In zahlreichen Modellansätzen betrachtet man die Möglichkeit dass in der Kindheit eine
Prädisposition für das Auftreten von Depressionen im Erwachsenenalter durch ungünstige
Lebensereignisse und –Umstände geschaffen werden könnte. Verluste und Deprivationen im
familiären Milieu stehen dabei im Mittelpunkt. Die Ergebnisse retrospektiver Studien in
Bezug
auf
den
Zusammenhang
zwischen
einschneidenden
Verlustund
Separationsereignissen im Kindesalter und der Manifestation depressiver Störungen in
späteren Lebensperioden habe sich allerdings als wenig konsistent herausgestellt. Empirisch
belegt ist dagegen, dass depressive Erwachsene überdurchschnittlich häufig über ein
ungünstiges familiäres Klima (v.a. einen Mangel an adäquater emotionaler Zuwendung
seitens der Eltern) berichten.
4. Psychologische Faktoren
4.1 Kognitiv-psychologische Ansätze
Global formuliert wird in diesen Modellen dysfunktionalen Denk- und Einstellungsmustern
(dysfunktionalen Prozessen der Informationsverarbeitung) eine substantielle Rolle im
Psychische Störungen
94
Bedingungsgefüge depressiver Störungen zugemessen; dabei wird auf die Streß-DiatheseHypothesen Bezug genommen.
4.1.1 Die Ansätze von Beck und Seligman
Beck (1970) geht in seiner Theorie der „kognitiven Schemata“ davon aus, dass als Basis
depressiver Störungsbilder dysfunktionale kognitive Grundmuster zu betrachten sind, die sich
primär in 3 Bereichen manifestieren:
1. in den negativen Einstellungen depressiver Personen zu sich selbst
2. zu ihrer Umwelt und
3. zu ihrer Zukunft.
Der Ursprung dafür liegt in frühen ungünstigen Umwelterfahrungen, kann später speziell
durch belastende Ereignisse analoger Art reaktiviert werden. In der Reformulierung der
Konzepts der „Erlernten Hilflosigkeit“ von Abraham, Seligman und Teasdale (1978) sind die
ursprünglichen Hypothesen durch attributionstheoretische Annahmen ergänzt und spezifiziert
worden. Das Vorhandensein eines „pessimistischen Attributionsstils“ bzw. eines
„pessimistischen Explanationsstils“ (Tendenz, negative Umweltereignisse auf internale,
stabile und globale Ursachen zurückzuführen) wird als Risikofaktor für die Genese von
Depressionen aufgefasst (Buchanan & Seligman,1995). Das gehäufte Vorkommen von
dysfunktionalen Einstellungen und negativen Attributionen bei Depressiven wurde durch
zahlreiche empirische Studien bestätigt. Die Annahmen zur prädisponierenden Rolle
kognitiver Dysfunktionen ließen sich keineswegs durchgehend stützen, vielmehr sprechen die
Ergebnisse dafür, dass es sich bei den festgestellten Abweichungen um Korrelate bzw.
Konsequenzen der depressiven Störung handelt. Auf dem Hintergrund dieser Daten wird
heute die Möglichkeit von Wechselwirkungsbeziehungen zwischen negativen
Kognitionsmustern und depressiver Verstimmung zunehmend unterstrichen.
4.1.2 Andere kognitiv orientierte Ansätze

Modell der „Hoffnungslosigkeitsdepression“;
Im Anschluss an das revidierte „Hilflosigkeitskonzept“ von Abramson, Metalsky und
Alloy (1989) vorgelegt; in diesem Modell wird negativen Kognitionsmustern
zukunftsbezogener Art eine zentrale Rolle zugewiesen (nur bei best. Subtypen).

Hypothese der differentiellen Aktivierung
von Teasdale (1988); im Mittelpunkt steht die Annahme, dass die Tendenz zur
Psychische Störungen
95
Aktivierung spezifischer negativer Kognitionen in Zuständen leicht depressiver
Gestimmtheit als prädisponierender Faktor für die Entstehung klinisch depressiver
Störungsbilder aufzufassen ist.
Die empirische Fundierung dieser Ansätze bleibt abzuwarten.
4.2 Verhaltenspsychologisch-interpersonelle Ansätze
Auch die Annahmen zum prädisponierenden Einfluss dysfunktionaler sozialer
Verhaltensmuster haben eine lange Tradition; maßgebliche Impulse kamen dabei v.a. von
frühen lernpsychologisch-verstärkungspsychologischen Beiträgen von Lewinsohn. In dessen
Konzept wird ursprünglich postuliert, dass massive Reduktion von positiv verstärkenden
Umweltrückmeldungen dem Auftreten der Depression zugrunde liegen; am Zustandekommen
solcher Verstärkerverluste können sowohl ungünstige Umweltgegebenheiten als auch
ungünstige Verhaltensmerkmale (mangelhafte soziale Fertigkeiten/Kompetenzen) der
Betroffenen beteiligt sein. Diese Hypothese wird nach wie vor in einer Reihe von
theoretischen Ansätzen vertreten und hat die Gestaltung neuerer psychologischer
Therapiezugänge mitbestimmt, auch wenn das Konzept in Richtung eines integrativen
Modells verändert wurde (Lewinsohn, Hoberman, Teri & Hautzinger, 1985). Ein breites
Spektrum von empirischen Befunden die überzufällige Ausprägung von Mängeln in sozialen
Fertigkeiten/Kompetenzen bei Depressiven; ebenso dass das interpersonelle Verhalten
Depressiver negative Reaktionen hervorruft und somit die Aufrechterhaltung ungünstiger
Kreislaufprozesse begünstigt wird. Die Annahme von der möglichen Vorfeldfunktion
mangelhafter sozialer Fertigkeiten/Kompetenzen kann empirisch bisher allenfalls partiell
gestützt werden.
4.3 Persönlichkeitsorientierte Ansätze
Hier stehen globale Konzeptionen im Sinn des Begriffs „prädepressive Persönlichkeit“ neben
einer Vielzahl von Konzepten, in denen der Beitrag einzelner Persönlichkeitsmerkmale zur
Entwicklung von Depressionen in spezifischer Weise hervorgehoben wird. Auch in diesem
Forschungsgebiet erwies sich die Unterscheidung zwischen Antezedentien und
Symptomen/Folgen der depressiven Störung als schwierig (empirischer Befundstand eher
vorläufig). Zu obengenannten Persönlichkeitsvariablen gehören u.a.:

Merkmal der erhöhten interpersonellen Dependenz
 Merkmal der reduzierten /labilen Selbstwertschätzung;
auch hier sind die empirischen Belege eher spärlich. Dasselbe gilt für die Annahme von
erhöhten Neurotizismuswerten depressionsanfälliger Personen.
Die potenzielle
Psychische Störungen
96
Prädiktorfunktion subklinischer depressiver Tendenzen für das Auftreten von Depressionen
klinischen Schweregrads wird durch die Ergebnisse mehrerer prospektiver Untersuchungen
neueren Datums belegt (Lewinsohn, Hoberman &Rosenbaum, 1988; ...).
5. Ergänzende Aspekte: Komorbidität, demographische Merkmale
Wie aus einer Reihe von epidemiologischen Studien zur Komorbiditätsthematik hervorgeht,
ist mit einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit von Depressionen im Gefolge von
Angststörungen zu rechnen (Verläufe in Gegenrichtung merklich seltener). Die
Prävalenzraten depressiver Störungen sind bei Frauen fast durchgehend wesentlich höher als
bei Männern - wirft naheliegenderweise auch unter ätiologischen Aspekten bedeutsame
Fragen
auf.
Dasselbe
gilt
für
Altersspezifische
Prävalenzraten
(erhöht
Auftretenswahrscheinlichkeit bei jungen Erwachsenen und deutlicher Häufigkeitsanstieg nach
der Pubertät; neuerdings mehrfach nachgewiesen).
6. Schlußbemerkungen
Die ätiologische Depressionsforschung ist noch in der Pionierphase, die involvierten Prozesse
auf der biologischen, psychologischen und der psychosozialen Ebenehaben sich als
wesentlich
komplexer
herausgestellt
als
angenommen.
Die
einschlägigen
Forschungsaktivitäten werden sich offensichtlich in der nächsten Zeit auf die systematische
empirische Überprüfung
von integrativen Modellvorstellungen kurzer bis mittlerer
Reichweite konzentrieren müssen (von der Erfassung einzelner Risikofaktoren zur Erfassung
von „Risikokonstellationen“).
36.3 Intervention
1. Einleitung
Sowohl somatische als auch psychologische Behandlungszugänge haben in der
Depressionstherapie ihren Platz; auf beiden Ebenen liegt ein breites Spektrum von
einschlägigen Verfahren und eine (unüberschaubare) Fülle von empirischen
Forschungsbeiträgen vor. Der deutliche Interessensanstieg (für psychologische
Depressionstherapie) seit 1970 geht auf zwei Entwicklungslinien zurück: die Entwicklung der
Psychische Störungen
97
verhaltenspsychologischen Ansätze und die der kognitiv-psychologischen Ansätze zum
Depressionsproblem. Impulse von diesen Richtungen haben die Therapieforschung und –
Praxis der letzten beiden Jahrzehnte stark geprägt. Daneben hat sich mit der interpersonellen
Psychotherapie (Klerman &Weissman) eine weitere bedeutsame Interventionsform
herausgebildet. Alle diese Therapieformen bemühen sich grundsätzlich um die Herstellung
von Querverbindungen zu verschiedenen Gebieten der psychologischen Grundlagenforschung
und um die systematische empirische Kontrolle des Therapieerfolgs. Inhaltlich haben sie
gemein dass sie nicht auf die Veränderung basaler Merkmale der Persönlichkeitsstruktur (auf
dem Weg der Aufdeckung und Bearbeitung frühkindlicher Konflikte) abzielen, vielmehr steht
die Vermittlung von adäquaten Bewältigungsstrategien im Vordergrund um dem Patienten
einen konstruktiven Umgang mit aktuellen Lebensproblemen zu ermöglichen.
Tab.1 S. 870: Psychologische Ansätze zur Therapie depressiver Störungen
(zusammenfassender Überblick; im Text enthalten)
Die Unterscheidung zwischen verhaltensorientiert, kognitiv orientiert und interpersonell
orientierten Zugängen ist im Sinn einer Schwerpunktsetzung zu verstehen (die einzelnen
Ansätze haben sich im Lauf der letzten Jahre multimodaler Sicht und Vorgehensweisen
angenähert). Die Verfahren der Selbstkontroll- und Stressbewältigungsansätze (der „zweiten
Generation“) sind explizit auf einer kombinierten kognitiv-behavioralen Basis entwickelt
worden (Patienten mit mäßig bis mittelschweren depressiven Episoden; meist erwachsene
Depressive zwischen 20-60 Jahren). Die Dauer der Therapien beträgt in der Regel
(beträchtliche Schwankungen) einige Monate bei 1-2 Sitzungen pro Woche, wobei der
Stellenwert einer positiven und kooperativen Beziehung zwischen Patient und Therapeut
durchgehend unterstrichen wird.
2. Verhaltensorientierte Ansätze in der Depressionstherapie
Am Beginn steht der Versuch, Konzepte und Befunde aus der experimentellen Lernforschung
mit der Genese und der Behebung von Depressionen in Beziehung zu bringen. Der
verstärkungspsychologische Ansatz von Lewinsohn ist in diese Richtung besonders stark,
daneben kommt grundsätzlich auch dem angstorientierten Ansatz von Wolpe eine bedeutsame
Rolle zu.
2.1 Der Ansatz von Lewinsohn
1.
Theoretischer
Hintergrund:
Anknüpfungspunkt
bildet
die
ausgeprägte
Verhaltensreduktion (Passivität, Interessenverlust und Antriebsmangel) welche mit
dem Wegfall positiver Verstärker in Zusammenhang gebracht wird (Lewinsohn,
1975). Diese ätiologische Modellvorstellung wurde in den folgenden Jahren in
Psychische Störungen
Richtung
eines
multifaktoriellen-behavioral-kognitiven
98
Konzepts
der
Depressionsgenese erweitert. Auch hier hat die Reduktion positiv verstärkender
Umweltrückmeldungen eine tragende Rolle in der Entwicklung/Aufrechterhaltung der
depressiven Störung.
2.
Therapeutische Vorgehensweisen: Primäre Beeinflussung durch die Veränderung
inadäquater
Verstärkungsbedingungen
durch
Modifikation
bestimmter
Verhaltensweisen des Patienten (die eine Nutzung vorhandener Verstärker verhindern)
und Modifikation
von ungünstigen Umweltgegebenheiten. Zu den basalen
Interventionsstrategien gehören:
a)
Die Veränderung ungünstiger Verstärkungsbedingungen zwischen Patient und
seiner Familie/dem Partner (z.B. mittels kontingenzmodifikatorischen
Verfahren)
b)
Das generelle Training sozialer Fertigkeiten um Patienten Zugang zu
potentiellen Verstärkern zu ermöglichen
c)
Erhöhung der Frequenz positiv verstärkender Aktivitäten sozialer und nonsozialer Art (z.B. Freizeit- /Leistungsebene).
Wichtige Hilfsmittel sind dabei Aktivitätspläne, Tagesprotokolle und gestufte
Aufgaben. In den neuen Therapieprogrammen Entspannungstechniken zur
Angstreduktion und verschieden kognitive Interventionsmethoden als Erweiterung.
2.2 Der Ansatz von Wolpe
3. Theoretischer Hintergrund: Bei Wolpes verhaltenstherapeutischen Ansatz steht die
Rolle emotionaler Konditionierungsprozesse im Vordergrund. Man nimmt an dass
verschiedene (neurotische) Formen der Depression auf der Basis von massiven,
langdauernden Ängsten (v.a. im sozialen Bereich) entstehen.
4. Therapeutische Vorgehensweisen: Ziel ist, die sozialen Basisängste des Patienten
mittels verschiedener Dekonditionierungsmethoden (system. Desensibilisierung) zu
beheben. Diese Therapie wurde in den letzten Jahren nur gelegentlich eingesetzt,
dagegen nehmen assertive Trainingsverfahren in neueren multimodalen
Depressionstherapien eine wichtige Rolle ein. Das gehäufte Auftreten von
Angststörungen im Vorfeld von Depressionen ist in jüngster Zeit mehrfach empirisch
bestätigt worden.
3. Kognitiv orientierte Ansätze in der Depressionstherapie
Psychische Störungen
99
Die Grundannahme besagt, dass Störungen im Bereich der Wahrnehmungs-, Denk- und
Einstellungsprozesse in der Entwicklung der Depression eine Rolle spielen; bei der Therapie
steht
demzufolge
die
Veränderung
solcher
dysfunktionaler
Prozesse
der
Informationsverarbeitung im Vordergrund.
3.1 Der Ansatz von Beck:
5. Theoretischer Hintergrund: dysfunktionale kognitive Grundmuster sind als Basis
depressiver Störungsbilder zu betrachten; negative kognitive Schemata die sich primär
in der negativen Einstellung zu sich selbst, zur Umwelt und zur Zukunft (kognitive
Triade) manifestieren. Diese Schemata haben den Ursprung in frühen ungünstigen
Umwelterfahrungen und werden später oft durch geringfügige Belastungen ähnlicher
Art reaktiviert. Die Vielfalt potentieller Einflussfaktoren in der Depressionsgenese
wird zunehmend unterstrichen.
6. Therapeutische Vorgehensweisen: das spezifische Ziel besteht darin, die negativen
Schemata des Klienten zu identifizieren und zu verändern (mit verhaltensorientierten
und kognitiven Strategien). Begonnen wird in der Regel mit verhaltensorientierten
Strategien (gestufte „Hausaufgaben“, Verhaltensaufzeichnungen) die zu konkreten
positiven Aktivitäten anleiten; die dysfunktionalen Denkmuster werden dann im
therapeutischen Gespräch aufgezeigt und zu ersetzen versucht.
3.2 Der Ansatz von Seligman:
7. Theoretischer Hintergrund: Grundlage ist das Hilflosigkeitsmodell (wiederholte
Erfahrung des Kontrollverlusts führt zu reaktiv-depressiven Prozessen)Nach dem
erweiterten Modell von Abraham, Seligman & Teasdale (1978) hängt die Entwicklung
davon ab, welche Ursachen den erlebten Kontrollverlusten zugeschrieben werden (v.a.
Tendenz zu internalen, globalen und stabilen Ursachen). Das Vorhandensein eines
„pessimistischen Explanations- bzw. Attributionsstils“ wird als Risikofaktor für die
Genese aufgefasst.
8. Therapeutische Vorgehensweisen: Keine eigene Therapierichtung, nur bestimmte
therapeutische Einzelstrategien die an das Konzepte der Hilflosigkeit anknüpfen. Es
wird darauf abgezielt, dysfunktionale Attributionen zu verändern (Reattribuierungsstrategien als Zusatzmethode).
Psychische Störungen
100
4. Selbstkontroll- und Stressbewältigungsansätze in der
Depressionstherapie
Konzipiert auf der Basis behavioral-kognitiver Modellvorstellungen; hier die zwei wichtigsten
Ansätze:
4.1 Der Ansatz von Rehm
9. Theoretischer Hintergrund: geht von Auffälligkeiten des depressiven Erleben und
Verhaltens aus; Personen mit basalen Selbstkontrolldefiziten können im Fall von
externen Verstärkerwegfall nicht auf ausreichende internale Regulationsmechanismen
zurückgreifen  besonders anfällig für die Entwicklung depressiver Störungen.
10. Therapeutische Vorgehensweisen: Selbstkontrollprozesse modifizieren; sodass Patient
eine größere Unabhängigkeit von externalen Verstärkern erreicht. Im Verlauf der
Therapie werden systematisch verschieden Phasen des Selbstkontrollvorgangs
angestrebt
Phase der Selbstbeobachtung
Phase der Selbstbewertung
Phase der Selbstverstärkung
Diverse behaviorale und kognitive Strategien kommen (aufeinander abgestimmt) zum
Einsatz.
-
4.2 Der Ansatz von McLean
11. Theoretischer Hintergrund:
behavioral-kognitiver Ansatz; weist ebenfalls viele
Querverbindungen zu verstärkungspsychologischen Ansätzen auf. Hebt jedoch die
interpersonellen Aspekte der Depression stärker hervor und nimmt auf Konzepte und
Befunde aus der Stressforschung Bezug. Man nimmt an dass die Entwicklung von
Depression(en) Resultat ineffizienter Bewältigungsstrategien im Umgang mit
belastenden Lebenssituationen und –Ereignissen (speziell sozialer Natur) ist.
12. Therapeutische Vorgehensweisen: multimodales Therapieprogramm; verschiedene
behaviorale und kognitive Verfahren zur Behebung von Defiziten im bereich von
- Kommunikation
Psychische Störungen
101
- Verhaltensproduktivität
- Soziale Interaktion
- Selbstbehauptung
- kognitive Selbstkontrolle
- Entscheidungsfindung und
- Problemlösung.
Die Therapeutischen Prozeduren werden auf die Gegebenheiten im Einzelfall
zugeschnitten; der/die Ehepartner/in wenn möglich miteinbezogen.
5. Interpersonell orientierte Ansätze in der Depressionstherapie:
Ansatz von Klerman und Weissman
13. Theoretischer Hintergrund: die Interpersonelle Psychotherapie nach Klerman &
Weissman knüpft an Konzepte aus der sozialpsychiatrischen Forschung unter
Einbeziehung entwicklungs- und sozialpsychologischer Konzepte an; dabei wird
besonders auf die Attachment- und Unterstützungsforschung bezug genommen. Man
postuliert, dass
a) enge interpersonelle Beziehungen in der Depression eine wichtige Rolle spielen
b) Verluste und Probleme auf interpersoneller Ebene für die Entwicklung/
Aufrechterhaltung der Depression von wesentlicher Bedeutung sind.
14. Therapeutische Vorgehensweisen: Strategien zur effizienteren Bewältigung aktueller
Lebensprobleme und –Schwierigkeiten erarbeiten. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass
es in der Regel notwendig ist den Depressiven durch angemessen stützende
Information hinsichtlich Art und Prognose der Störung symptomatisch zu entlasten.
Man klärt mit dem Patienten, welcher von vier basalen interpersonellen
Themenkreisen
- Trauer
- Interpersoneller Konflikt
- Rollenveränderung und
- Interpersonelle Defizite
der Beginn der depressiven Entwicklung zu sein scheint; die Behandlung konzentriert
sich dann in erster Linie auf den Problemkreis. Die Identifizierung und Veränderung
problemrelevanter Emotionen und Kognitionen steht im Mittelpunkt, zugleich
Verbesserung inadäquater Kommunikationsmuster und Aufnahme positiver Kontakte
und Aktivitäten. Im Unterschied zu kognitiv-behavioralen Therapien werden die Ziele
primär durch Vermittlung von Leitlinien zu erreichen gesucht (spezifische
Trainingsverfahren nur fallweise).
Psychische Störungen
102
6. Zur praktischen Durchführung und Effizienz der neueren
psychologischen Depressionstherapien:
Kasten 1 S. 876: Therapeutische Fallstudie – behavioral-kognitive (verstärkungsorientierte)
Therapie einer Patientin mit reaktiver Depression (ICD-9)
Kasten 2 S. 877: Therapeutische Gruppenstudie – Effekte einer kognitiven Therapie nach
Beck bei Patienten mit Diagnose „Major Depression“ mit medikamentös behandelter
Vergleichsgruppe sowie kombinierter kognitiv-medikamentöser Behandlung.
Seit einigen Jahren nehmen die Vergleiche mit pharmakotherapeutischen
Behandlungsmethoden (v.a. trizyklische Antidepressiva) zu. Global formuliert spricht die
empirische Beweislage dafür, dass mit neueren psychologischen Therapiezugängen wirksame
Möglichkeiten zur Behandlung depressiver Störungen zur Verfügung stehen, deren Wirkung
sich mit einer Antidepressivatherapie durchaus vergleichen lässt. Nachdrücklich festzuhalten
ist, dass die derzeit verfügbaren psychologischen Therapien und somatotherapeutischen
Methoden keineswegs ein Allheilmittel darstellen (Responderdaten für beide
Interventionsformen bei 60-70 %). Hoffnungen der letzten Jahren auf eine Kombination
medikamentöser und psychologischer Verfahren haben sich nur zum Teil erfüllt; die
Einzelmodalitäten zeigten sich häufig äquivalent oder kaum weniger effizient. In einigen
Studien zeigten sich kognitiv-verhaltenstherapeutisch behandelte Patienten den medikamentös
behandelten überlegen; doch bedürfen diese Befunde wegen des hohen Rezidiv- bzw.
Rückfallrisikos sorgfältiger Aufmerksamkeit.
7.Abschliessende Bemerkungen
Besonderes Augenmerk wird derzeit der Adaptation kognitiv-behavioraler und interpersonelltherapeutischer Verfahren zur Behandlung von depressiven Kindern und Jugendlichen
gewidmet, desgleichen gilt für die Behandlung von chronischen und therapieresistenten
Depressionen. Im Hinblick auf die Rückfall- und Rezidivprophylaxe sind neuerdings
Versuche zur Fortführung der psychologischen Interventionsprogramme auch nach Abklingen
der depressiven Symptomatik hinweg in den Vordergrund getreten. Auf ätiologischer Ebene
wird heute weitgehend anerkannt, dass depressive Zustandsbilder das Resultat einer
Entwicklung (eingeleitet aus psychologisch-psychosozialen und physiologischen
Ausgangspunkten) darstellen. In Bezug auf die spezifischen Wirkprozesse und –Faktoren
steht das Wissen jedoch noch in den Anfängen, empirische Detailanalysen haben bisher
vorläufige und inkonsistente Ergebnisse gebracht.
Psychische Störungen
103
37. Angststörungen (Schider)
37.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Normale und pathologische Angst
Für die spezifische Indikationsstellung einer Angststörung ist die möglichst Trennscharfe
Differenzierung von
Angst als Primäremotion (mit affektiven, körperlichen und kognitiven Komponenten);
Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal;
verschiedene Formen pathologischer Angst und
die Abgrenzung pathologischer Angst von anderen Formen psychischer Störungen.
Übergreifende Merkmale pathologischer Angst sind:
1. Angstreaktionen/Vermeidungsverhalten werden vom Betroffenen als unbegründet,
unangemessen stark und unangemessen häufig erlebt;
2. der Patient beginnt zu vermeiden und verliert die Kontrolle über die Angst;
3. Angstreaktionen treten konsistent und überdauernd auf;
4. es kommt zu ausgeprägtem Leiden und Beeinträchtigung der Lebensqualität
Pathologische Angst ist das Leitsymptom der Angststörungen; kann jedoch auch bei anderen
psychischen Störungen (z.B. Depression) und körperlichen Erkrankungen (z.B. endokrine
Störungen) vorkommen. Angstuzstände zeigen sich besonders häufig bei akuten
schwergradigen affektiven Störungen, psychotischen Erkrankungen und progredienten
Stadien der Substanzabhängigkeit (z.B. während des Entzugssyndroms).
Tab. 1 S. 883: Die Klassifikation von Angststörungen in der ICD-10 und im DSM-IV
(siehe auch Skriptum)
2. Klassifikation
ICD-10 und DSM-IV betonen die Notwendigkeit, spezifische Angststörungen wesentlich
differenzierter als in der Vergangenheit zu erfassen. Wann immer nötig sollen auch
Diagnosen aus anderen Störungskapiteln vergeben werden, da früh (z.B. in der Kindheit)
auftretende phobische Störungen anderen psychischen Störungen vorausgehen und sowohl
deren Verlauf wie auch die Auswahl passender Behandlungsstrategien beeinflussen können.
Die Aufsplittung von „Angstneurose“ und „Phobie“ in verschiedene Einzeldiagnosen wird
mit vielfältigen Befunden aus der Grundlagen- und Anwendungsforschung begründet.
Einige relevante Unterschiede zwischen DSM-IV und ICD-10:
1. DSM-IV fasst Angststörungen wesentlich weiter als ICD-10
Psychische Störungen
104
2. in der ICD-10 wird Agoraphobie hierarchisch höher eingestuft als die Panikstörung
(bedeutet in der Praxis, dass nach DSM-IV mehr Panikstörungen diagnostiziert
werden)
3. Die generalisierte Angsterkrankung wird in der ICD-10 über eine Liste von 22
Symptomen definiert, mindestens 4 (und mind. 1 vegetatives) Symptome müssen
erfüllt sein. Das DSM-IV verlangt 3 von 6 vorgegebenen Symptomen (bedeutet in der
Praxis, dass nach ICD-10 mehr Diagnosestellungen folgen)
4. ICD-10 verzichtet (im Gegensatz zu DSM-IV) weitestgehend auf spezifische
psychosoziale Einschränkungskriterien und schlägt stattdessen die (unscharfe)
Formulierung „klinisch“ vor.
5. ICD-10 betont verschiedene, unscharf definierte Mischdiagnosen (im DSM-IV nur im
Anhang), sollen Zustandsbilder diagnostizieren, die nie die vollen Kriterien z.B. einer
Angststörung erfüllten, aber trotzdem zu klinisch bedeutsamen Leiden führten.
6. DSM-IV betont die Bedeutung von organisch- und substanzbedingten
Angstsyndromen (gibt ihnen auch wesentlich mehr Raum)
2.1 Die phobischen Störungen

Agoraphobie (F40.0)
Die Angst vor/das Vermeiden von Plätzen oder Situationen, in denen eine Flucht beim
Auftreten stark beeinträchtigender, panikähnlicher oder extrem peinlicher Symptome
schwer möglich oder keine Hilfe zu erwarten wäre.

Spezifische Phobie (F40.2)
Konsistent auftretende, klinisch bedeutsame Angstreaktionen, die durch die
tatsächliche oder befürchtete Konfrontation mit einem bestimmten Objekt/einer
bestimmten Situation ausgelöst werden und häufig zu Vermeidungsverhalten führen.
Die Person erkennt die Unangemessenheit.

Soziale Phobie (F40.3)
klinisch bedeutsame, konsistente Angstreaktionen die durch die tatsächliche oder
befürchtete Konfrontation mit sozialen oder Leistungssituationen ausgelöst werden
und in der Regel zu Vermeidungsverhalten führen.
Tab. 2 S. 885: Kriterien für Panikattacken, Panikstörung und Soziale Phobie in der
ICD-10 und im DSM-IV
(siehe auch Skriptum)
2.2 Panikstörungen und generalisierte Angststörung
Psychische Störungen

105
Panikattacke (PA)
ist zwar keine kodierbare Störung aber von großer differentialdiagnostischer
Bedeutung als zentrales psychopathologisches Syndrom; wird deshalb im DSM-IV
ausführlich diskutiert. Als PA wird ein abgrenzbarer Zeitraum bezeichnet, in dem
starke, überwältigende Angst, Besorgnis oder Schrecken plötzlich einsetzen und
häufig mit dem Gefühl drohenden Unheils einhergehen. Auftretende Symptome:
Kurzatmigkeit,
Palpitation,
Brustschmerzen,
körperliches
Unbehagen,
Erstickungsgefühle, Atemnot, Angst verrückt zu werden oder die Kontrolle zu
verlieren.

Panikstörung (F41.0)
wiederkehrende, unerwartete und für die Betroffenen nicht erklärbare Angst- und
Panikattacken; mit letzteren verbunden ist in der Folge die (dauerhafte) Sorge vor dem
Auftreten solcher Anfälle und damit verbundenen Konsequenzen. PA werden von
einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Symptomen sowie einem Gefühl
andauernder Bedrohung begleitet; sie steigern sich innerhalb von min zum Höhepunkt
und dauern meist 20-30 min an (können aber auch erheblich länger oder kürzer sein).
PA entstehen meist ohne für die Betroffenen erkennbare Ursache und sind nicht
immer an bestimmte Situationen gebunden. Ohne Behandlung kommt es zu
Vermeidungsverhalten in dessen Folge die Betroffenen ihren Lebensstil einschränken
und Orte/Situationen meiden in denen PAs auftreten könn(t)en.

Generalisierte Angststörung (F41.1)
ist durch monatelang anhaltende, übertriebene und unrealistische Ängste und Sorgen
gekennzeichnet, die sich meist auf Alltagssituationen und alltägliche Probleme
beziehen. Dabei tritt ein charakteristisches Cluster von muskulären, autonomen und
kognitiven Symptomen auf.
2.3 Weitere Angststörungen

Organische (F06.4) und substanzinduzierte Angststörungen (F1x.8)
“Angststörungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors“; charakteristische
Angstsymptome welche eindeutig als direkte körperliche Folge eines medizinischen
Krankheitsfaktors
angesehen
werden
können;
und
„substanzinduzierte
Angststörungen“
die als direkte Folge einer Droge/Medikaments/toxischen
Exposition auftreten.

Zwangsstörungen (F42)
Hauptmerkmale sind (sehr zeitaufwendige - mehr als 1 std/Tag - oder ausgeprägte
Belastungen/Beeinträchtigungen verursachende) wiederkehrende Zwangshandlungen
Psychische Störungen
106
oder –Gedanken von denen die Person erkennt, dass sie übertrieben oder unbegründet
sind. Zwangsgedanken sind anhaltende Ideen, Gedanken, Impulse oder Vorstellungen
die als aufdringlich und unangemessen wahrgenommen werden und ausgeprägte
Angst oder Leiden verursachen. Zwangshandlungen sind sich wiederholende
Verhaltensweisen (z.B. Händewaschen, Ordnen, Prüfen) oder geistige Handlungen
(z.B. Beten, Zählen, Wörter wiederholen) deren Ziel es ist Angst/Unwohlsein zu
verringern/reduzieren und nicht Wohlbefinden/Befriedigung hervorzubringen.
Zwangshandlungen sind deutlich übertrieben oder stehen in keinem sinnvollen
Zusammenhang zu dem was sie zu neutralisieren/verhindern versuchen. Wiedersteht
die Person der Zwangshandlung, wachsen Angst und Anspannung; dies nimmt wieder
ab wenn der Zwangshandlung nachgegeben wird.

Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
ist durch das Wiedererleben einer traumatischen Erfahrung gekennzeichnet. Das
Trauma führt initial zu massiver emotionaler Belastung (über viele Mon.) in Form von
vielfältigen Symptomen eines erhöhten Arousals, des Wiedererlebens und der
Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind.
3. Diagnostik
3.1 Differentialdiagnostik
Zunächst muss abgeklärt werden ob eine Angststörung vorliegt und welche (komplexe
Aufgabe!); siehe auch
Abb. 1 S. 889: Differentialdiagnose der Angststörungen – Entscheidungsbaum - nach
DSM-IV.
Verfahren zur standardisierten Befunderhebung nach DSM-IV:

DIA-X – Diagnostisches Expertensystem für Psychische Störungen

SKID – Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV

CIDI – Composite International Diagnostic Interview

F-DIPS – Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen
3.2 Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren
Zur Objektivierung und Quantifizierung von Angstmerkmalen sind eine Vielzahl von
Angstskalen (Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren, vgl. Tab. 3 S.890) entwickelt worden;
ihre Reliabilität und Validität sind allerdings nur unzureichend gesichert. Zu unterscheiden ist
zwischen Breitbandverfahren und störungsspezifischen Fragebögen. Die Mehrzahl der
Psychische Störungen
107
Verfahren sind als Selbstbeurteilungsverfahren einzustufen. Die meisten Verfahren werden
zur Veränderungs- und Erfolgsmessung eingesetzt; aufgrund des Fehlens
Parallelversionen ist dieser Einsatz jedoch als methodisch unbefriedigend zu beurteilen.
von
3.3 Tagebücher
Für Therapieplanung, -durchführung und Prophylaxe ist eine kontinuierliche, detaillierte
Analyse des Problemverhaltens von entscheidender Bedeutung. Je nach Art des Tagebuchs
werden
Beschwerdenstärke und –häufigkeit
Angstauslöser
Gedanken, Gefühle, Konsequenzen
von der Person festgehalten. Diese Informationen dienen als Grundlage für die
Therapieindikation, zusätzlich bieten sie Ansatzpunkte in der anschließenden therapuetischen
Intervention. Tagebücher zur Erfassung von Angststörungen:
-

Marburger Angst-Tagebuch

Marburger Aktivitäts-Tagebuch

Das generalisierte Angsttagebuch

Angsttagebuch für Panikstörungen
4. Schlussbemerkungen
Die Diagnostik von Angststörungen bedarf standardisierter Interviews; diese sind zu Beginn
der diagnostischen Phase einzusetzen (z.B. Erstgespräch, Anamneseerhebung). Die Interviews
erlauben die effiziente Bestimmung psychopathologischer Zielbereiche der Therapie sowie
die Ermittlung grober psychopathologischer Ausschlusskriterien einer psychologischen
Behandlung. Besondere Beachtung sollte bei der Diagnostik der Komorbidität gewidmet
werden (welche Diagnosen beim Patienten im Lebenslauf und in welcher Reihenfolge).
37.2 Ätiologie/Bedingungsanalyse
1. Ätiologie von Angststörungen
Die Frage, warum es zu einer Angststörung kommt (Ätiologie) kann weniger gut beantwortet
werden als die Frage, wie es zum Vollbild einer behandlungsbedürftigen Angststörung kommt
(Pathogenese). Bisherige Ansätze sind primär pathogenetische Modelle; sie sind
Psychische Störungen
108
multifaktoriell und nehmen nicht nur ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen
personeninternen und –externen Faktoren an, sondern betonen darüber hinaus dass
a) Die pathogenetischen Variablen auf das Individuum einwirken und umgekehrt, und
b) die pathogenetischen Variablen nicht als Konstanten sondern als in einem
dynamischen Prozess veränderliche Variablen aufgefasst werden.
Solche komplexe Wechselwirkungsmodelle werden als Diathese-Stress-Modelle bezeichnet;
diese gehen davon aus, dass Angststörungen durch aktuelle und chronische Belastungen
(Stress) unterschiedlichster Art (biologische, soziale, psychische) vor dem Hintergrund der
Veranlagung des Betroffenen (=Diathese) entstehen. Als Diathese werden biologische,
genetische, familiengenetische, kognitive und umweltbezogene Faktoren angenommen. Die
Störung wird über die dynamische Interaktion prädisponierender, auslösender und
aufrechterhaltender Faktoren erklärt. Man nimmt an dass beim Erwerb der Prädispositionen/
bei der Entwicklung/Aufrechterhaltung der Störung operante und klassische
Konditionierungsprozesse eine Rolle spielen. In der Bedingungsanalyse wird versucht, die
Variablen zu identifizieren, welche die Störung bedingen und aufrechterhalten (Bindeglied
zwischen Störungswissen und Interventionsplanung und –durchführung). Die Strategische
und konkrete Therapieplanung bzw. –Durchführung muss sich an der (von Patient zu Patient
unterschiedlich ausfallenden) individuellen Bedingungsanalyse orientieren.
2. Panikstörungen (PS) und Agoraphobie
2.1 Phänomenologie und Differentialdiagnose

Panikstörung:
relativ häufig auftretende, schwere Form der Angststörung; gekennzeichnet durch
wiederholt auftretende Panikattacken und in der Folge langandauernde
Sorgen/Befürchtungen über weitere Attacken sowie deren Konsequenzen/Implikationen.
Der Verlauf einer Panikstörung mit Agoraphobie wird durch eine sekundäre Depression
oder Substanzmissbrauch verkompliziert. Im Rahmen der Differentaldiagnostik wird
geklärt
- ob organische Ursachen vorliegen
- ob die Symptomatik im Rahmen eines Substanzmittelentzugs oder einer anderen
psychischen Störung auftritt. Für die klinische Betrachtung und daraus resultierende
therapeutische Konsequenzen sind besonders die psycho-physiologische und die
kognitiv-lerntheoretische Konzeptualisierung von Bedeutung.
 Agoraphobie:
Die Angst vor/das Vermeiden von Plätzen oder Situationen, in denen eine Flucht beim
Auftreten stark beeinträchtigender, panikähnlicher Symptome schwer möglich oder
Psychische Störungen
109
extrem peinlich wäre. Bei Agoraphobie ohne Panikstörung steht die Angst vor dem
Auftreten plötzlicher, panikartiger Symptome im Vordergrund.
2.2 Biologische Ansätze zur Entstehung und Aufrechterhaltung der PS
Auf unterschiedlichen Ebenen konnte eine Reihe von Faktoren eines gestörten Regelkreises
identifiziert werden, die ätiologisch und pathogenetisch für Panikstörungen bedeutsam sind.
Abb. 1 S. 895: Panikmodell nach Klein, erweitert nach Wittchen (1996)
Die Ausgangshypothese dieses Modells sieht initiale spontane Panikattacken als Ausdruck
einer neurobiologischen Funktionsstörung. Bei wiederholtem Auftreten kommt es zur
Panikstörung und folglich zu agoraphobischem Vermeidungsverhalten, inadäquatem
Bewältigungsverhalten (Alkoholmissbrauch etc.), und Demoralisation (Depression). Hinweise
auf die Beteiligung zentralnervöser neurochemischer Prozesse können aus der gut belegten
Wirksamkeit pharmakologischer Substanzen gewonnen werden. Ein weiterer
Forschungsansatz ist die experimentelle Panikprovokation mit unterschiedlichen Substanzen
(z.B. Koffein, CO²-Beatmung). Personen mit Panikstörungen bilden bei CO²-Inhalation
signifikant häufiger panikartige Angstsyndrome aus (als Normale); die Befunde führen zur
Annahme von CO²-Rezeptor-Hypersensitivität bei Panikern. Andere Studien bestätigen bei
Panikern chronisch leichte Hyperventilation. Pharmakologische Substanzen (wie Imipramin,
Aplprazolam und Clonazepam) regulieren die CO²-Rezeptorsensitivität herunter und sind
deshalb in der Lage, Panikattacken zu blocken. Auch neuropsychologischer Sicht stellt sich
die Anfallsangst nicht anders dar als andere aus dem Verhaltenskontext herausgerissene
Verhaltensstereotypien. Solche Erlebens- und Verhaltensbruchstücke treten bei abnormen
Erregungen in bestimmten Hirnstrukturen auf (können auch durch Reizung d. Regionen
produziert werden); die solcherart entstandene Angst hat gleichzeitig alle Merkmale der
Panikanfälle. Auch wenn die Mechanismen noch im Dunkeln liegen, besteht kein Zweifel
dass auch die Panikanfälle mit Funktionsänderungen der Hirnstruktur verbunden sind.
Nachgewiesen ist auch eine genetische Mitbedingung der Panikstörung sowie eine familiäre
Psychische Störungen
110
Anhäufung (Erziehung, Sozialisation haben große Bedeutung bei familiärer Weitergabe von
Panikstörungen).
2.3 Psychologische Ansätze
2.3.1 Zur Entstehung und Aufrechterhaltung der PS
Nach dem Modell von Clark entsteht ein Panikanfall durch als bedrohlich wahrgenommene
internale oder externale Reize; auf diese bedrohliche Wahrnehmung reagiert die Person mit
Furcht und körperlichen Veränderungen die schließlich als lebensbedrohlich bewertet werden.
Dies produziert wiederum weitere körperliche Symptome und so kommt es zum Panikanfall.
Nach dem Modell von Barlow (1988) kommt es zuerst zu einer falschen Alarmreaktion auf
Stress; die Alarmreaktion beinhaltet eine dysfunktionale Fluchtreaktion. Durch eine
Assoziation internaler Reize mit dieser falschen Alarmreaktion können interne Reize selbst
eine Panikreaktion auslösen. Eine klinische Panikstörung entwickelt sich in der Folge wenn
die Person Erwartungsangst vor weiteren Panikreaktionen aufbaut. Durch diese
Erwartungsangst wird die Schwelle für weitere Alarm- und Panikreaktionen weiter gesenkt.
Abb. 2 S. 897: Psychophysiologisches Modell der Panikstörung nach Ehlers & Margraf
(1989) Dieses Modell betont ebenfalls die Rolle internaler Reize für die Herausbildung eines
Panikanfalls.
Ein Panikanfall (Ursache: Hitze, Koffein, Erregung etc.) beginnt typischerweise mit
physiologischen (z.B. Herzklopfen, Schwindel) oder psychischen (z.B. Gedankenrasen,
Konzentrationsschwierigkeiten) Veränderungen; werden diese mit unmittelbarer Bedrohung
oder Gefahr assoziiert so reagiert die Person mit Angst. Durch die Angst werden weitere
körperliche und kognitive Veränderungen ausgelöst; werden diese wahrgenommen und mit
Gefahr verbunden so kommt es zu weiteren Angststeigerungen. Diese Rückkoppelung kann
mehrmals eintreten sodass es zu einem Aufschaukelungsprozess und in der Folge zu einem
Psychische Störungen
111
Panikanfall kommen kann (psychophysiologischer Teufelskreis). Ein Panikanfall kann nach
dem psychophysiologischen Modell auf 2 Arten beendet werden:
a) Durch die Wahrnehmung von Bewältigungsmöglichkeiten und
b) durch automatisch einsetzende negative Rückkoppelungsprozesse (Habituation,
Ermüdung etc.)
Als kurzfristige Bewältigungshilfe: Hilfesuch- und Vermeidungsverhalten; weitere
Verhaltensweisen wären
eine Veränderung der Atmung
Ablenkung auf externe Reize
Die Reattribution von Körperempfindungen
Auf diese Rückkoppelungsprozesse können mehrere Faktoren Einfluss nehmen. Eher
langfristig wirken dagegen überdauernde situative Einflüsse und individuelle Prädispositionen
(Aufmerksamkeitszuwendung auf Gefahrenreize, lerngeschichtlich erworbene Symptomdeutung, etc.) der Person. Für das psychophysiologische Modell liegt eine Vielzahl von
Belegen vor; so konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Panikattacken häufig mit der
Wahrnehmung körperlicher Empfindungen beginnen und Paniker dazu neigen,
Körperempfindungen mit Gefahr zu assoziieren; sie halten es für wahrscheinlicher (als
Andere) dass physiologische Reaktionen Schaden anrichten können. Nicht klären kann das
Modell die Frage warum es überhaupt zu einem Panikanfall kommt. Möglicherweise wird
familiär eine unspezifische Vulnerabilität weitergegeben während die spezifische
Ausformung des spezifischen Störungsbildes eher von Umweltfaktoren beeinflusst wird.
Studien von Ehlers (1993) und Schneider (1995) geben Hinweise darauf, wie eine
psychologische Transmission der Panikstörung aussehen könnte; etwa könnten spezifische
Erfahrungen in der Kindheit und Jugend bedeutsam sein für die Herausbildung einer
Panikreaktion; ebenso der elterliche Umgang mit panikrelevanten Symptomen (wichtiger
Umweltfaktor). Die Hyperventilationstheorie von Ley (1987) nimmt an, dass die Ursache für
die Entwicklung einer Panikstörung Hyperventilation sei; dies konnte allerdings empirisch
nicht bestätigt werden; durch Instruktionen konnten z.B. bei Hyperventilation subjektive und
physiologische Angstreaktionen hervorgerufen oder beseitigt werden. Margraf & Schneider
(1996) weisen darauf hin, dass Hyperventilation heute eher als Therapieansatz (denn als
ätiologische Theorie) gesehen werden sollte. Andere Autoren sehen hingegen kognitive
Faktoren als entscheidend für Entstehung/Entwicklung einer Panikstörung; ungefährliche
Situationen werden demnach inadäquat umgedeutet und als gefahrvoll interpretiert. Spezielle
Faktoren für agoraphobe Vermeidensweisen sind Situationen, die tatsächlich bedrohlich sein
können (enge, geschlossene oder überfüllte Räume); in diesen Situationen können die
Betroffenen ihre Ängste kaum auf Sinngehalt überprüfen.
2.3.2 Erklärungsansätze bei der Agoraphobie
Psychische Störungen
112
Die Zwei-Faktoren-Theorie (Mowrer, 1960) war zunächst ein einflussreicher theoretischer
Ansatz und dient heute noch häufig als Grundlage für die Indikationsstellung entsprechender
therapeutischer Verfahren. Diese Theorie nimmt an, dass bei Phobien neutrale Reize aufgrund
traumatischer Ereignisse mit einem zentralen motivationalen Angstzustand assoziiert werden
und die darauffolgende Vermeidung dieser Reize durch den Abbau des Angstzustandes
verstärkt wird (operante Konditionierung). Diese Theorie erwies sich aber als nicht
hinreichend zur Erklärung klinischer Phobien/Agoraphobien (weder können sich Betreffende
an traumatische Ereignisse erinnern, noch konnte man erfolgreich Phobien bei Menschen
konditionieren/erzeugen; vgl. „Experiment mit dem kleinen Albert“ von Watson & Rayner,
1920). Goldstein & Chambless (1978) unterschieden 2 Arten von Agoraphobie:
a) Die einfache, an traumatische Ereignisse gebundene; und
b) die (weit häufigere) komplexe Form, die sich primär durch Angst vor der Angst
auszeichnet.
Goldstein & Chambless betonen ebenfalls die Rolle interozeptiver Konditionierung
(Körperempfindungen wie schneller Herzschlag werden zu konditionierten Reizen für
Panikanfälle, welche wiederum mit externen Situationen gekoppelt werden können. Die
Annahmen zu den spezifischen Prädispositionen und Auslösern sind nach wie vor fraglich;
gewisse Faktoren können durchaus prädisponierend wirken, liegen jedoch weit nicht bei allen
Patienten vor. Auch dass Panikstörungen vorwiegend in interpersonalen Konfliktsituationen
ausgelöst werde konnte nicht bestätigt werden. Die modifizierte Zwei-Faktoren-Theorie bleibt
aber immer noch als vereinfachtes (patientenorientiertes) Erklärungsmodell für die Ableitung
konfrontativer Interventionsmethoden von großer Bedeutung. Die ursprüngliche
neurobiologische Hypothese (initiale unerwartete Panikattacken Beteiligt an Entwicklung von
Agoraphobie) bleibt eine wichtige Hypothese.
2.4 Ätiologische Aussagen aus epidemiologischen Befunden
Die Lebenszeitprävalenz für die Panikstörung beträgt ca. 2,5-3,2 %; für Agoraphobie 2,110,9 % (Schwankungsbreite aufgrund wechselnder diagnostischer Kriterien), davon nach
DSM-IV 7 %. Panikanfälle ohne Entwicklung eines Vollbilds sind häufiger, zwischen 9-15
%. Frauen sind fast doppelt so häufig von Panikstörungen betroffen wie Männer; darüber
hinaus lassen sich keine soziologischen Risikovariablen bestätigen. Panikattacken und
Störungen treten meist in der Kindheit bis frühes Erwachsenenalter auf; bei Männern zweiter
Ersterkrankungspeak (2-gipfelige Verteilung) jenseits des 40. Lebensjahres. Das Alter bei
Ersterkrankungen an Agoraphobie ist im Schnitt 2 Jahre höher (Median = 28 J.). Nach einer
initialen Panikattacke ist das Risiko statistisch erhöht, eine Panikstörung, Agoraphobie oder
andere Angststörung zu entwickeln; das Risiko ist aber diagnostisch relativ unspezifisch da
Panikattacken in weiterer Folge mit affektiven, psychotischen, somatoformen und sowie
Psychische Störungen
113
Substanzmissbrauch-Störungen assoziiert sein können. Dies unterstreicht die Bedeutung der
Panikattacke als Vulnerabilitätsfaktor für psychische Störungen, unterstützt aber auch das
Symptomprogressionsmodell welches Panikattacken eine zentrale pathogenetische Rolle für
die Entwicklung von Agoraphobie und Panikstörungen zuweist. Ungeklärt ist auch der
epidemiologische Befund, der bei Agoraphobikern keine Panikattacken exploriert während
klinische Studien bei Agoraphobikern fast immer panikähnliche Symptome nachweisen
können. Epidemiologische Studien zeigten auch, dass Panikattacken und –Störungen extrem
häufig mit anderen psychischen Störungen assoziiert sind; die Panikstörung speziell mit
anderen Angststörungen (GAS), Depressionen und Substanzstörungen. Das Risiko von
Personen mit Panikstörung (im Vergleich zu „Normalen“) ist um das 15,8-fache erhöht im
weiteren Verlauf eine depressive Störung zu entwickeln; bezüglich Substanzstörungen (v.a.
Alkoholmissbrauch und –Abhängigkeit) sogar 21-fach erhöht. Eine Reihe von
Langzeitstudien zeigt, dass Personen mit Panikstörung einem wachsenden Risiko ausgesetzt
sind, massivere psychosoziale Beeinträchtigungen zu entwickeln (wobei Probleme im
Beziehungsbereich, erhöhte finanzielle Abhängigkeit und Probleme im Arbeits- und
Freizeitbereich eine entscheidende Rolle spielen). Bei Panikstörungen ist sowohl der
körperliche Gesundheitszustand wie auch die psychosozialen Beeinträchtigungen
gravierender. Typisch für die Panikstörung und Agoraphobie mit Panikattacken ist ein extrem
erhöhtes Hilfesuchverhalten bei verschiedensten (v.a. ärztlichen) Gesundheitsberufen; fast
jeder zweite mit Panikstörung hat fachspezifische Behandlungen hinter sich (bei komorbiden
Fällen sogar 62,3 %). Die Behandlung ist meist medikamentös (81,3 %) wobei die
erfolgversprechenden Therapien (kognitive/behaviorale Verfahren) nur selten angeboten
werden. Möglicherweise kommt diesem medizinischen Krankheitsverhalten eine
pathogenetische Bedeutung zu; das initiale Auftreten einer Panikattacke ist fast immer mit
sofortigem Hilfesuchverhalten beim Arzt verbunden. Die Assoziation der Symptome mit einer
realisitschen Gefahrenquelle wird vermutlich durch das medikamentöse und instrumentelle
labortechnische Untersuchungsverhalten der Ärzte verstärkt ( Chronifizierung des
Krankheitsverhaltens).
2.5 Schlussfolgerungen
Ätiologie und Pathogenese der Agoraphobie und der Panikstörung sind von einer
vollständigen Aufklärung noch entfernt. Auch was genetisch vermittelt wird und welchen
Anteil der genetische Faktor hat ist unklar. Nach dem derzeitigen Stand sind psychologische
und biologische Einflussfaktoren beteiligt; eine Verstärkung durch situative Auslösefaktoren,
Stress und aktuelle Konflikte fast immer zu beobachten. Diese Angststörungen entstehen
somit aus einem Faktorenbündel von dem spezifische Faktoren für bestimmte Störungen von
Bedeutung
sind,
was
eine
individuell
orientierte,
klinisch-psychologische
Behandlungsmethode nahe legt. Eine genaue Differentialdiagnose, Beachtung der
Psychische Störungen
114
Komorbidität und sorgfältige individuelle therapeutische Zielsetzung sind für eine
erfolgreiche Therapie unerlässlich.
3. Generalisierte Angststörung (GAS)
3.1 Phänomenologie
Fast 10 % aller Allgemeinarztpatienten leiden an GAS, einer häufig auftretenden schweren
Form der Angststörung. Hauptmerkmale sind nach ICD-10 länger andauernde, generalisierte,
frei flottierende Ängste, Sorgen und Befürchtungen begleitet von einer Vielzahl
psychomotorischer, vegetativer und psychischer Symptome und dem Gefühl drohenden
Unheils. Die Besorgnis richtet sich meist auf alltägliche Problem /Situationen und wird als
unangemessen/übertrieben aber nicht kontrollierbar erkannt. Die GAS ist durch das
monatelange Persistieren der Symptomatik gekennzeichnet; Personen mit kürzeren
Krankheitsepisoden können als „sonstige Angstzustände“ (ICD-10 F41.8) diagnostiziert
werden. Die GAS entsteht ohne für den Patienten ersichtliche Ursachen und ist nicht an
bestimmte Situationen oder durch unerwartete Panikattacken gekennzeichnet. Ohne
Behandlung kommt es zu Vermeidungsverhalten welches den Patienten stark einschränkt
(Lebensstil, Beruf, Hausarbeit, soziale und familiäre Beziehungen). Typische
Begleiterscheinungen sind Demoralisation, Entwicklung einer sekundären Depression und
Missbrauch/Abhängigkeit von sedierenden Substanzen (Alkohol, Tranquilizer und
Hypnotika).
3.2 Biologische Ansätze
Psychologische und biologische Vulnerabilitäts- und Einflussfaktoren spielen eine
entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der GAS. Eine Verstärkung
der Problematik durch situative Auslösefaktoren, körperliche Erkrankungen oder
Beschwerden, Stress oder aktuelle Konflikte ist deutlicher zu beobachten als bei der
Panikstörung. Bestimmte Schlüsselmerkmale der GAS könnten genetisch vermittelt sein
(Zwillingsstudien von Kendler et al., 1992); etwa treten ängstlich-nervöse Eigenschaften
familiär gehäuft auf. In Tierversuchen konnten besonders ängstliche Nachkommen gezüchtet
werden, ängstliche Persönlichkeitseigenschaften korrelieren hoch bei monozygoten
Zwillingen (bei die dizygoten nicht). Die empirische Befundlage ist insgesamt als
unbefriedigend einzuschätzen. Eine Vielzahl an Studien hat verdeutlicht, dass verschiedene
Neurotransmittersysteme eine Schlüsselrolle spielen, z.B. das BZD-, das GABA-Erge, das
noradrenerge und vor allem das serotonerge System (siehe auch S 903). Ob Besonderheiten in
diesen Systemen spezifisch für die GAS sind kann noch nicht befriedigend beantwortet
werden.
Psychische Störungen
115
3.3 Psychologische Ansätze
Auch die psychologischen Modelle sind eher als Funktions- und weniger als
Entstehungsmodelle zu bezeichnen. Auch in diesem Störungsbereich können die vorliegenden
psychologischen Ansätze als Diathese-Stress-Modelle bezeichnet werden. Je nach Modell
werden unterschiedliche (Neurobiologische, Psychophysiologische oder kognitive)
Vulnerabilitäten postuliert, kognitive/neurobiologische Prozesse entscheiden im Rahmen der
individuellen Lerngeschichte über das Entstehen und persistieren von GAS. Eine (umstrittene
und nicht bestätigte) Familiengenetisch vermittelte Angstbereitschaft wird angenommen.

Barlows Modell (1988)
Im Mittelpunkt steht die Entwicklung einer konsistenten ängstlichen Erwartung,
charakterisiert durch a) eine erhöhte Vigilanz, b) die Annahme, dass zukünftige
Ereignisse nicht kontrollierbar/vorhersehbar seien, c) eine durch Lernprozesse
(klassische und operante Konditionierung, Modelllernen, Generalisierung) veränderte
Aufmerksamkeitsrichtung auf innere Vorgänge. Durch diese wird ein Teufelskreis in
Gang gesetzt: die autonome Erregung erhöht sich weiter, die Aufmerksamkeit wird
weiter eingeängt, das Individuum wird hypervigilant auf alle möglichen
Gefahrenquellen. Bei starker Intensität dieser diffusen ängstlichen Erwartung kommt
es zum Zusammenbruch der normalen Konzentration, die Person kann nicht mehr
adäquat reagieren und vermeidet sicherheitshalber verschiedenste Situationen.
Differenzialdiagnostisch grenzt sich die GAS von anderen Angststörungen dadurch
ab, dass der Fokus der Sorgen auf breitere, schlechter beschriebene Reize gerichtet
wird. Die Erwartungsangst könnte Folge von früheren (als unkontrollierbar
wahrgenommenen) Lebenserfahrungen sein, solche Lebensereignisse konnten bei
Panikstörungen nicht nachgewiesen werden, aber es gibt Hinweise, dass bei GAS dies
tatsächlich ausschlaggebend sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit für eine GAS bei
Männern (nicht aber bei Frauen) die im vergangenen Jahr vier oder mehr belastende
kritische Lebensereignisse erlebt hatten ist signifikant erhöht, ebenso wenn sie
mindestens ein belastendes negatives und sehr wichtiges Ereignis erlebt hatten. In
neueren Studien konnte ermittelt werden, das Personen mit einer GAS von mehr
traumatischen Ereignissen berichten als Personen ohne GAS. Nach diesen Ergebnissen
scheinen traumatische/belastende Erlebnisse dazu zu führen die Welt als
bedrohlich/gefährlich zu erleben; da die Angaben retrospektiv erhoben wurden
könnten sich ängstliche Personen möglicherweise eher an belastende Ereignisse
erinnern als nicht ängstliche Personen und dies den Unterschied erklären.

Eysencks Modell (1992)
Nimmt eine rein kognitive, durch Lernprozesse determinierte Vulnerabilität an, die
Störung wird durch kritische Lebensereignisse ausgelöst. Nach dem Modell
Psychische Störungen
116
entwickeln Personen mit hoher Trait-Angst unter Belastung leichter überdauernde
Veränderungen ihren Aufmerksamkeit, das ausschlaggebende Charakteristikum ist
eine daraus resultierende Hypervigilanz, welche bedingt, dass Ereignisse und
Umweltveränderungen generell als gefährlich/bedrohlich wahrgenommen werden;
konnte experimentell nicht belegt werden.

Borkovec, Shadick und Hopkins (1991)
Schlugen ein Modell vor, in dem Sorgen als eine Form geistiger Vermeidung
konzipiert werden. Der Prozess des Sorgens dient dazu bildhafte Vorstellungen zu
vermeiden und physiologisch-vegetative Begleitreaktionen zu unterdrücken, wodurch
wiederum die Sorgen negativ verstärkt werden (experimentell bestätigt). Patienten mit
GAS neigen eher zu verbal-linguistischen Repräsentationen einer Situation als zu
bildhaften Vorstellungen; die Konfrontation mit bildlichen Vorstellungen eine
gefürchteten Situation führt bei GAS zu einer höheren psychophysiologischen
Aktivierung als die Konfrontation mit verbalen Artikulationsinhalten.
Abb. 3 S. 905: Modell der GAS nach Turowsky und Barlow (1996)
Biologische Vulnerabilität
für das Erleben von Ängsten
↓
Streß
(zurückzuführen auf negative Lebensereignisse)
↓
Erwartungsangst
(psychologische Vulnerabilität)
↓
Prozess der Besorgnis
Intensive kognitive Verarbeitung
Vermeidung bildhafter Vorstellungen
↓
Eingeschränkte
vegetative
Reaktionen
Modifiziert durch Mangel
an Problemlösefertigkeiten
↓
GAS
Psychische Störungen
117
3.4 Ätiologische Aussagen aus epidemiologischen Studien
Aufgrund neuerer Studien kann eine Lebenszeitprävalenzrate für die GAS von 5,1%
angenommen werden, diese Zahlen sind bemerkenswert höher als die für die Panikstörung.
Auch bei dieser Störung ist die Prävalenz bei Frauen höher als bei Männern, jedoch nicht
derart ausgeprägt wie bei der Panikstörung. Die GAS ist die einzige Angststörung, die gehäuft
erst im höheren Lebensalter auftritt; es ist darauf hinzuweisen, dass manche Patienten
berichten Symptome schon seit ihrer Kindheit gehabt zu haben. Patienten mit einer GAS
schildern das Erstauftreten ihrer Erkrankung meist als allmählich und langsam, deswegen ist
es möglich, dass diese Erkrankung eine allgemeine charakteristische Eigenschaft der Person
darstellen könnte, sich Sorgen zu machen und dazu zu neigen, starke Angst zu erleben. Eine
Detailanalyse zeigt, dass junge Menschen häufiger kürzere Angstepisoden haben, wohingegen
ältere eher unter überdauernden Angststörungen leiden. Die Psychosozialen Risikofaktoren
für die GAS ähneln denen der Panikstörung; gleichzeitig finden wir bei der GAS (im
Gegensatz
zur
Panikstörung/Agoraphobie)
jedoch
signifikante
Schichtund
Ausbildungseffekte. Danach sind GAS in den unteren Einkommensschichten als in den
höheren, die psychosozialen Einschränkungen der GAS weisen eine wesentlich höhere
Streuung auf als Panikstörungen. Schwerste Verläufe werden meist nur bei gleichzeitig
massiver Komorbidität mit depressiven Störungen beobachtet, auch das Hilfesuchverhalten ist
weniger ausgeprägt als bei Panikstörungen (nur 10% aller Personen mit GAS haben
fachspezifische Behandlung aufgenommen). Fast 90% aller Personen mit einer GAS weisen
zumindest eine weitere psychische Störung auf, wobei vor allem die Komorbidität mit
depressiven Störungen beeindruckt (70%).
4. Soziale Phobie
4.1 Phänomenologie und Differentialdiagnose
Hauptcharakteristikum ist eine anhaltende Angst vor bzw. Vermeidung von sozialen oder
Leistungssituationen, die Konfrontation mit der Situation ruft fast immer unmittelbar die
Angstreaktion hervor, weshalb die Situation vermieden oder unter großer Angst ertragen wird.
4.2 Entstehungsmodelle bei der Sozialen Phobie
Zur Erklärung sind eine Reihe von kognitiv- behavioralen Modellen entwickelt worden;
besondere Bedeutung haben das Selbstdarstellungsmodell von Schlenker und Leary (1982)
Psychische Störungen
118
sowie das Modell der kognitiven Vulnerabilität von Beck und Emery (1985). Im ersten
Modell muss die Person ein Ziel haben, auf andere einen besonderen Eindruck zu machen und
ihre Fähigkeiten bezweifeln dies auch zu erreichen; in späteren Weiterentwicklungen dieses
Modells werden zusätzliche Situations- und Dispositionsfaktoren ergänzend angeführt,
welche die Motivation und die Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit beeinflussen können.
Becks und Emerys Ansatz basiert auf dem Modell der kognitiven Schemata, welche helfen
sich an Situationen anzupassen, selektiv relevante Informationen abzurufen und relevante
Aspekte der laufenden Situation auszuwählen. Personen mit Angststörungen handeln im
folgenden Vulnerabilitätsmodus: sie nehmen an unkontrollierbaren internen und externen
Gefahren ausgesetzt zu sein, dies führt zu Verunsicherung und einem Mangel an
Selbstsicherheit; die Person lenkt ihre Aufmerksamkeit auf eigene Schwächen/Erlebnisse
früheren Versagens. Sozial-ängstliche Personen schätzen permanent das Ausmaß der
potenziellen Bedrohung und kalkulieren Möglichkeiten zur Bewältigung ein. Kognitive
Verzerrungen (unlogische/negative Gedanken) hindern die Person die Bedrohung und eigene
Selbstwirksamkeit richtig einzuschätzen. Ein besonderes Merkmal sozialer Phobie ist, dass
die Furcht vor bestimmten Ereignissen im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung die
Angst hervorrufen kann; diese Furcht hält ängstliche Personen von sozialen Interaktionen fern
und verstärken damit die verzerrten Überzeugungen des Vulnerabilitätsmodus. Beide Modelle
sind nur in einzelnen Komponenten experimentell überprüft, sie können nicht erklären warum
Personen ein Vollbild der sozialen Phobie entwickeln. Hiefür wurde kürzlich ein integriertes
Diathese-Stress-Modell vorgelegt (siehe Tab. 1 S. 908). Für die Entwicklung einer sozialen
Phobie scheint eine genetische Prädisposition vorzuliegen, ein weiterer wesentlicher Faktor
dürfte die Sensibilisierung durch Umwelteinflüsse darstellen (sozial ängstliche Eltern fördern
bei Kindern Soziale Angst); außerdem können negative Erfahrungen mit Peergroups oder
gegengeschlechtlichen Partnern genannt werden. Aus diesen Erfahrungen ziehen sie den
Schluss dass soziale Situationen bedrohlich seien und sie diese Problematik durch perfektes
Verhalten lösen können, was aber nicht machbar ist. Folglich erwarten sie Zurückweisung,
Erniedrigung, Verlegenheit und Statusverlust; diese subjektiven Überzeugungen/Vorhersagen
bewirken dass die Personen sich sozialen Situationen besorgt nähert oder diese gleich
vermeidet. Zusätzlich wird ihre Erwartungshaltung hinsichtlich potenziell bedrohlicher
Ereignisse sensibilisiert; die Folge ist eine Flut negativer Gedanken (über Unzulänglichkeit
und Unfähigkeit mit möglichen Gefahren umzugehen). Die dabei auftretende physiologische
Erregung dient als weitere Bestätigung der Gefahr und der Schwierigkeit sie zu meistern. Da
diese Angstkonstellation v.a. in der Jugend auftritt, kann es zu einer weiteren Anhäufung
echter sozialer Defizite kommen was die Problematik verstärkt. Teilaspekte dieses Modells
sind empirisch gestützt.
4.3 Ätiologische Aussagen aus epidemiologischen Befunden
Psychische Störungen
119
Das Lebenszeitrisiko für Spezifische Phobien liegt bei 11,5 %, für Soziale Phobien bei 13,3
%. Die Querschnittprävalenz (1-Monatsprävalenz) liegt allerdings mit 5,5 % für die
Spezifische und 4,5 für die Soziale Phobie deutlich niedriger. Dies kann bedeuten dass diese
Phobien entweder häufig spontan remittieren oder (wahrscheinlicher) häufig einen
fluktuierenden Verlauf aufweisen. Im Lebensverlauf Betroffener scheinen häufig Phasen
symptomreicher, schwerwiegender Einschränkungen mit solchen relativer Symptom- und
Einschränkungsarmut abzuwechseln. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger von Spezifischen
Phobien und leicht überwiegender von sozialen Phobien betroffen als Männer (15,5 % zu
11,1%). Spezifische und soziale Phobien sind besonders häufig mit der zeitlich sekundären
Entwicklung anderer Angststörungen (5,8 - 8,5fach höheres Risiko als Personen ohne
Phobie), depressive Störungen (3,7 – 5,6fach höheres Risiko) sowie Substanzmissbrauch und
–Abhängigkeit assoziiert (2faches Risiko). Die Entwicklung von Komorbidität ist mit einem
erheblichen Anstieg von symptombezogenen Einschränkungen im Alltagsleben und Beruf
verbunden; ebenso erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, Hilfe bei Ärzt/innen und
Psycholog/innen zu suchen.
5. Schlussbemerkung
Sowohl für die Zwangsstörung als auch für die Posttraumatischen Belastungsstörungen
wurden verschiedene Modelle unterschiedlicher Komplexität vorgelegt, welche die
Entstehung der beiden Störungsbilder zu erklären versuchen. Für die beiden Störungen gilt
ebenfalls, dass ihre Ätiologie und Pathogenese noch längst nicht vollständig aufgeklärt sind;
die einzelnen Modellvorstellungen können zwar nicht als abgesichert gelten, aus ihrer
Grundlage können aber wertvolle Ansatzpunkte für therapeutische Interventionen abgeleitet
werden.
37.3 Interventionen
1. Allgemeine verhaltenstherapeutische Interventionsstrategien bei
Angststörungen
Zunächst sollen einige Diagnoseübergreifende Interventionsaspekte dargestellt werden.
Bezüglich der ätiologischen und pathogenetischen Modelle von Angsterkrankungen beziehen
sich verhaltenstherapeutische Verfahren meist auf komplexere psychobiologische Konzepte,
bei denen Störungen im Ablauf kognitiver und psychophysiologischer Prozesse als
Psychische Störungen
120
entscheidend bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Angststörungen identifiziert
wurden. Verhaltenstherapie im engeren Sinn ist ein umfassendes Interventions- oder
Behandlungsmodell, das die Störungsspezifische Beachtung relevanter psychobiologischer
Grundlagenerkenntnisse ebenso erfordert wie die Kenntnis störungsspezifischer und –
übergreifender diagnostischer und therapeutischer Vorgehensweisen. Die Auswahl von
Strategien und Techniken geschieht auf der Grundlage opernationalisierter Diagnostik, der
Problemanalyse der individuellen Problem- und Krankheitsgeschichte sowie der konkreten
Behandlungssituation (ambulant oder stationär). Hierzu gehören vor allem verschiedene
Varianten der sogenannten Konfrontationsverfahren (systematische Desensibilisierung),
kognitive Verfahren (Rational-Emotive Therapie) und komplexere Entspannungsverfahren
(progressive Muskelentspannung), wie auch ergänzende Verfahren zur Verbesserung der
individuellen
Problemlösungskompetenzen.
Um
die
konkrete
Durchführung
verhaltenstherapeutischer Verfahren in der Forschung und Praxis zu erleichtern und besser
durchschaubar zu machen hat sich in den letzten 20 Jahren der Einsatz von
verhaltenstherapeutischen Manualen durchgesetzt.
Tab.1 S. 912: Therapie-Manuale und Selbsthilferatgeber zur Behandlung von
Angststörungen
Psychische Störungen
121
Diese Manuale gibt es nicht nur für den Therapeuten/die Therapeutin, sondern auch für die
Betroffenen und ihre Angehörigen. Sie erleichtern nicht nur das Lernen neuer
Therapieverfahren und helfen oft schon im Sinne einer Selbsttherapie den Betroffenen selbst,
sondern scheinen auch besseren Therapieerfolg als individualisierte Therapiestrategien zu
versprechen. Die Entwicklung von Therapie-Manualen hat die Beurteilung von
Therapieeffekten in der vergleichenden empirischen Therapieforschung erheblich gefördert;
Ziel ist herauszufinden, welche therapeutischen Interventionen/Prozesse entscheidend für den
Verlauf der Therapie sind und wie die Effektivität verhaltenstherapeutischer Verfahren im
Vergleich zu Pharmakologischen Standardstrategien ist. Obwohl Metaanalysen von
Therapiestudien mit einer Reihe grundsätzlicher methodischer Probleme behaftet sind, bieten
sie zumindest die Möglichkeit einen groben Gesamtüberblick über die Wirksamkeit
verschiedener Verfahren zu bekommen. Bei den Ergebnissen der Metaanalyse in Tab.2 muss
einschränkend darauf hingewiesen werden, dass nur ein grober Überblick über die
Wirksamkeit verschiedener Methoden gegeben wird.
Tab.2 S. 914: Ergebnisse einer hypothetischen Stichprobe nach einer Metaanalyse von
Michelson und Marchione (1991)
Psychische Störungen
122
Beim Vergleich medikamentöser mit psychologischen Therapien kann man zunächst
feststellen, dass die drop-out-Raten bei pharmakologischen Strategien etwas höher sind;
erwartungsgemäß sind sie bei nebenwirkungsintensiveren trizyklischen Antidepressiva und
NAO-Hemmern am höchsten. Die klinischen Besserungsraten liegen am höchsten für
kognitive Therapieverfahren und am niedrigsten für Beta-Blocker, niedrig potente
Benzodiazepine und die programmierte Praxis. Die Rückfallraten sind (ausser trizyklische
Antidepressiva) bei allen pharmakologischen Strategien sehr hoch, bei psychologischen
Strategien sehr niedrig. Zusammenfassend ergibt sich aus dem globalen Effektivitätsindex
eine eindeutige Überlegenheit der kognitiv-behavioralen Exposure-Verfahren gegenüber allen
anderen Therapiestrategien. Was kennzeichnet die im Vergleich zu pharmakologischen
Verfahren offensichtliche erfolgreicheren psychologischen und vor allem die kognitivbehavioralen Strategien?
1) Alle Verhaltenstherapeutischen Strategien beziehen sich auf das sogenannte DreiKomponenten-Modell der Angst; dieses geht davon aus, dass Angst sich immer auf
drei Ebenen manifestiert: der körperlichen, der kognitiv-emotionalen und der
Psychische Störungen
verhaltensmäßigen/interaktionalen.
Erst
bei
123
Berücksichtigung
dieser
Wechselwirkungen ist ein adäquates Verständnis der Angst und eine sinnvolle
Interventionsplanung möglich. Dabei wird die Angstreaktion als grundsätzlich
normale, aber übersteigerte Alarmreaktion betrachtet. Diese Annahmen nimmt Bezug
auf die Erkenntnis von Angst als einer normalen (im Organismus biologisch
verankerten) Reaktionsform, die im Falle einer Angststörung lediglich in krankhafter
Weise stark/dysfunktional ausgeprägt ist. Vielfach wird davon ausgegangen, dass ein
generell tonisch erhöhtes Anspannungsniveau (Erwartungsangst) dafür verantwortlich
sein können, dass Angstpatienten bereits bei alltäglichen Stressoren Angstreaktionen
erleben.
2) Alle erfolgreichen Therapiestrategien versuchen den Teufelskreis der Angst zu
unterbrechen; dieser besteht darin, dass bestimmte Körpersignale zu körperlichen
Veränderungen (Herzschlag, Schwitzen, ...) führen die wiederum wahrgenommen oder
bewertet werden womit ein Kreislauf geschlossen ist der zu einem Anstieg des
Angstsyndroms führt (biologische wie auch Umwelt- und Verhaltensfaktoren werden
explizit mit einbezogen). Der Aufschaukelungsprozess kann an vielen Stellen
vorübergehend
unterbrochen
werden:
durch
Medikamente,
durch
Entspannungsverfahren oder durch kognitive Techniken bei denen der Patient lernt,
vermeintlich bedrohliche Symptome anders zu bewerten.
3) Dauerhaft wirksam wird der Teufelskreis erst unterbrochen, wenn der behaviorale
Anteil der Angst (Vermeidung der Angstauslösenden Situation) unterbunden wird.
Dies ist das Ziel von Konfrontationsverfahren deren Durchführung das Erlernen einer
Umbewertung der als bedrohlich bewerteten Reize zum Ziel hat. Die befürchteten
Konsequenzen bleiben aus und der Betroffenen braucht die Situation nicht länger zu
vermeiden.
4) Alle Verhaltenstherapeutischen Verfahren enthalten praktische Übungen, in denen der
Umgang mit akuten Angstsituationen (im therapeutischen Setting und alleine zu
Hause) erlernt wird. Je nach Art der Therapie liegt der Behandlungsschwerpunkt auf
der Veränderung von Einstellungen oder von sichtbaren Verhaltensweisen (auf der
Konfrontation mit der Situation).
2. Verhaltenstherapeutisches Vorgehen bei Panikstörung und
Agoraphobie
2.1 Diagnostik
Diagnostik beschränkt sich nicht nur auf die Exploration der Symptome und Beschwerden
(zur Stellung einer Diagnose nach ICD-10 oder DSM-IV) sondern versucht eine detaillierte
Aufklärung der derzeitigen und vergangenen Einflussfaktoren. Darüber hinaus werden die
Psychische Störungen
124
durchführungstechnischen Aspekte beurteilt die für oder gegen den Einsatz verschiedener
therapeutischer Vorgangsweisen sprechen. Die Ergebnisse einer solchen Diagnostik münden
in ein individuell angepasstes diagnosespezifisches Bedingungsmodell, das die Bestimmung
der Therapiestrategie, sowie patientenspezifische Ergänzungen (Einbeziehung des Ehegatten
etc.) ermöglicht. In dieser Stufe fällt auch die Entscheidung über weitere
Therapiekomponenten, wie z.B. die Behandlung einer sekundären Medikamenten- oder
Alkoholabhängigkeit, die bei vielen Angstpatienten das Störungsbild verkomplizieren kann.
2.2 Aufklärung über das therapeutische Vorgehen
Sobald die Diagnose gesichert erscheint, beginnt die Therapie mit einer umfassenden
Aufklärung; hierbei soll der Patient aufgeklärt werden über die Diagnose, Modelle der Angst,
die kritische Rolle von Gedanken und Gefühlen bei der Angstreaktion und den Teufelskreis
von Angst und Vermeidung. Die Aufklärung soll sich an den individuell bestehenden
Problemsituationen orientieren und Gelegenheit zur Aussprache und Erklärung bieten
(praktische Hilfe in Form von Informationsbroschüren mitgeben).
2.3 Kognitive Phase
Die Informationen sollen dem Patienten eine Veränderung seiner Einstellungen erleichtern
und die angestrebte Attributionsänderung vorbereiten. Der Patient lernt die Ursachen seiner
Angst nicht länger ausschließlich in äußeren Bedingungen oder einer biologischen
Dysfunktion zu sehen, sondern in der Art wie er bestimmte Reize gedanklich verarbeitet.
Dabei beginnt er zu erkennen wie er sie in Zukunft verarbeiten kann, ohne dass es wiederum
zu einem Teufelskreis der Angst kommt. Die kognitive Veränderung wird nicht alleine im
Gespräch bewirkt,
sondern zum Teil durch so genannte Verhaltenstests
(Hyperventilationstests) oder durch kleinere praktische Übungen in angstauslösenden
Situationen. Neben der Attributionsänderung gehört die Identifikation und Veränderung
dysfunktionaler Kognitionen (Katastrophisieren, absolute Forderungen und das so genannte
Muss-Denken) zu den kognitiven Therapiestrategien. Darüber hinaus werden
Fehlinterpretationen von Körper- oder Umweltreizen korrigiert und logische Fehler im
Denken aufgedeckt und durch rationale Denkweisen ersetzt.
2.4 Planung und Durchführung von Übungssituationen (Exposure)
Nach der Vorbereitung durch die kognitive Therapiephase und der Akzeptanz des Patienten
sich Situationen auszusetzen kann mit dem praktischen Konfrontationsübungen begonnen
Psychische Störungen
125
werden. Die praktischen Übungen werden im Sinne der konfrontativen Verfahren bzw.
Exposure-Methoden durchgeführt. Nach bestimmten Regeln soll der Patient einerseits den
Teufelskreis durchbrechen, andererseits die Erfahrung der Ungefährlichkeit der bis dahin als
bedrohlich erlebten Situation machen. Beim konfrontativen Vorgehen werden zunächst
situationsgebundene Hypothesen über das Eintreten bestimmter Konsequenzen aufgestellt und
dann in der Konfrontationsübung auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Einige Gruppen
legen den Schwerpunkt mehr auf die Bearbeitung der kognitiven Elemente in der
Therapiesitzung und üben die Konfrontation in nur wenigen Standartsituationen; den
eigentlichen Übungsteil überlassen sie dem Patienten im Sinne von Hausaufgaben (Manual
von Margraf und Schneider, 1990). Es setzt implizit voraus, dass der Patient sich lang und
intensiv genug und entsprechend der vereinbarten Richtlinien den Angstsituationen auch
außerhalb der Therapiesituationen den Angstsituationen aussetzt. Andere (z.B. Wilke und
Hand, 1988 oder Fiegenbaum, 1990) heben stärker die Bedeutung der praktischen
Konfrontation hervor; die Expositionssitzungen bei denen sich der Patient meist in Begleitung
in die befürchtete Situation begibt, dauern meistens mehrere Stunden an (manchmal
erstrecken sie sich auch über Tage – für die Routinepraxis nur schwer umsetzbar). Die große
Zeitdauer von Exposure-Übungen kann damit begründet werden, dass der Patient die
Bewältigung seiner Angst in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen körperlich,
gedanklich und verhaltensmäßig erfahren muss. Fiegenbaum geht sogar von einer
einwöchigen Intensiv-Konfrontationsübung (z.B. Flugreisen ins Ausland) aus; hier wird
erwartet, dass durch die praktische Übungskomponente und die konsequente Unterbindung
des Vermeidungsverhaltens schneller/umfassender der Angstteufelskreis durchbrochen
werden kann. Weitere Modifikationen bestehen darin, dass manche Therapeuten graduiert
(mit wachsendem Schwierigkeitsgrad der Konfrontation) vorgehen, etwa systematische
Desensibilisierung; während andere (Reizkonfrontation von Fiegenbaum und Tuschen, 1996)
mit höchstem Schwierigkeitsgrad beginnen.
2.5 Praktische Umsetzung und Ergänzungen
Ist der Konfrontationsübungsteil abgeschlossen, soll der Patient sukzessive sein Angst- und
Vermeidungsverhalten im Alltag verändern; hier kann es nötig sein ein allgemeines
Problemlösetraining oder ein Training sozialer Fertigkeiten anzuschließen. In dieser Phase
wird eine Generalisierung der gemachten Erfahrung angestrebt.
2.6 Rückfallprophylaxe
Psychische Störungen
126
Der Einsatz gezielter Maßnahmen zur Rückfallprävention sowie das Üben von
Verhaltensweisen im Umgang mit Rückfällen
verhaltenstherapeutischer Angstbehandlung.
ist
ein
impliziter
Bestandteil
2.7 Perspektive und offene Fragen
Sowohl pharmakologische als auch verhaltenstherapeutische Methoden in der
Angstbehandlung sind wirksam; die zu Teil noch nicht ganz befriedigenden Erfolgsraten
rufen dazu auf weiter in Richtung einer differentiellen Indikation zu speziellen
Therapiemaßnahmen zu suchen und besonders der in der Metaanalyse als problematisch
beurteilten Effektivität von Kombinationsbehandlungen mit Antidepressiva/PharmakaStrategien genauer nachzugehen. Die Ergebnisse von Kombinationsbehandlungen sind wenig
beeindruckend; die Addition einzelner Effektiver Therapieformen führt vielleicht sogar zu
schlechteren Ergebnissen. Weitere zukünftige Forschungsarbeiten werden zeigen, ob die
Überlegenheit kognitiv-behavioraler Therapieverfahren tatsächlich in diesem Ausmaß
Bestätigung findet; kritisch könnte angemerkt werden, dass die kognitiv-behaviorale Therapie
immer explizit eine kognitive Umstrukturierung beinhaltet (dies könnte sich möglicherweise
auf das Antwortverhalten der Patienten in den Fragebögen auswirken). Diese Überlegenheit
kann auch dadurch erklärt werden, dass alle untersuchten verhaltenstherapeutischen
Therapien eine Stabilisierungsphase enthalten (schriftlich festgelegtes Programm in Form
eines Manuals, sodass der Patient 6, 12 oder 18 Monate nach dem Therapieende implizit
weiter „therapeutisch behandelt“ wird). Ferner werden Übungen mit dem Lebenspartner
einbezogen, Hilfen vermittelt wie mit depressiven Gefühlen und Abhängigkeitsproblemen
umgegangen werden kann und es werden spezielle Hinweisen für den Umgang mit
Risikosituationen gegeben. Diese Ausführungen haben deutlich gemacht, dass
verhaltenstherapeutische Behandlungen bei Panikstörungen und Agoraphobie außerordentlich
komplex sind und ein erhebliches Ausmaß von fachlicher Kompetenz und praktischer
Erfahrung erfordern. Nach dem Manual von Margraf und Schneider dauert eine solche
Therapie etwa 15 Doppelstunden zzgl. einer längerfristigen Nachbehandlungsphase mit
seltenen Therapiekontakten (30 – 40 Sitzungen). Bei diesen Schätzungen muss berücksichtigt
werden, dass diese Gruppen mit Therapiemanualen arbeiten die den Ablauf der Therapie
erheblich ökonomisieren (bei Individualisierung ist eine erheblich längere Behandlungszeit zu
erwarten). Neben der Therapiedauer sind folgende weitere Vorteile zu nennen:
a) Die Durchführung der Therapie ist rational nachvollziehbar und leichter von
„Anfängern“ erlernbar/überprüfbar;
b) Eine erfolgreiche Behandlung ist auch dann möglich, wenn die ursprünglich
auslösenden Bedingungen nicht in die Therapie einbezogen werden;
c) Die manualisierten Angsttherapien weisen auch im Vergleich mit pharmakologischen
Therapien eine gleich hohe/höhere Effizienz auf.
Psychische Störungen
127
Von vielen Kritikern dieser Methode wird häufig übersehen, dass Konfrontationsverfahren
besonders einer guten und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung bedürfen; es ist
unabdingbare Voraussetzung jeder Expositionstherapie, dass der Patient dem Therapeuten
voll vertraut und nichts ohne eine explizite Aufklärung seitens des Therapeuten und
Einwilligung des Patienten erfolgt.
3. Verhaltenstherapeutisches Vorgehen bei der GAS
Für die verhaltenstherapeutische Behandlung der GAS liegen wenige Störungsspezifische
Strategien vor; solche speziellen Behandlungsmethoden sind erst in der Entstehung begriffen.
In der Vergangenheit wurden hauptsächlich behaviorale und kognitiv-behaviorale
Behandlungsstrategien angewendet mit eher bescheidenen Effekten. Analog zu
Angststörungen wie z.B. der Panikstörung könnte der Schluss gezogen werden, dass als
spezifisches therapeutisches Vorgehen die Konfrontation mit bildhaften Vorstellungen
indiziert wäre. Als erste haben Brown, O´Leary und Barlow (1993) einen Behandlungsansatz
vorgelegt, indem speziell die (für GAS typische) Sorgenkomponente therapeutisch bearbeitet
wird. Im Folgenden soll ein Ansatz vorgestellt werden, wie er von Turowsky und Barlow
vorgelegt wurde; folgende Behandlungskomponenten werden formuliert:
1) Information und Selbstbeobachtung: Im Vordergrund steht zunächst die
Psychoedukation: Was ist Angst, wie äußert sie sich? Es werden die drei Ebenen der
Angst (physiologisch, kognitiv, behavioral) in Zusammenhang mit dem Kernproblem
der GAS „Sorgen und Befürchtungen“ vorgestellt und die spezifische Problematik des
Teufelskreises wird veranschaulicht. Im Rahmen der Selbstbeobachtung soll der/die
PatientIn erfahren, dass die übertriebenen Sorgen/Befürchtungen von bestimmten
internen oder externen Reizen ausgelöst werden und nicht einfach auftreten.
2) Entspannungstraining: Wird bereits in den ersten Stunden eingeführt damit der Patient
die physiologische Ebene der Angst kontrollieren kann (z.B. progressive
Muskelrelaxation).
3) Kognitive Therapie: Mittels der klassischen Beck´schen Vorgehensweise der
Identifikation automatischer Gedanken, Einschätzung kognitiver Verzerrungen und
Veränderung der dysfunktionalen Kognitionen wird dann erarbeitet, welche Gedanken
mit dem Auftreten der akuten Sorgen/Befürchtungen unmittelbar verbunden sind,
welche kognitiven Verzerrrungen dem Teufelskreis (Sorgen, Befürchtungen,
körperliche Angst und Vermeidung) zu Grunde liegen und wie diese in adäquaten
Gedanken verändert bzw. ersetzt werden können. Auch hier wird die Konfrontation
mit den Störungstypischen Sorgen eingeführt; zunächst wird die Imaginationsfähigkeit
(bildhafte Vorstellungen machen zu können) trainiert, anschließend werden die
jeweiligen Sorgen vorgegeben und die Person soll sich für jede Sorge den
schlimmstmöglichen Ausgang vorstellen (Turowsky und Barlow schlagen ein
graduelles Vorgehen vor). Die Vorstellung des schlimmsten Ausganges wird über eine
bestimmte Zeit festgehalten und anschließend alternative Vorstellungen entwickelt.
Psychische Störungen
128
Die Konfrontation soll beibehalten werden bis der Gedanke weniger Angst hervorruft,
in Laufe der Therapie auch außerhalb des therapeutischen Settings.
4) „Prävention“
von
Sorgeverhalten:
Die
Angstreduktion
verstärkt
Vermeidungsverhalten negativ; als ein Behandlungsziel wird deshalb das Unterlassen
dieses Verhaltens angestrebt. Auch hier wird hierarchisches vorgehen vorgeschlagen:
zuerst soll das jenige Verhalten beendet werden, dessen Aufgabe am wenigsten
bedrohlich erscheint.
4. Schlussbemerkungen
Auch für die Behandlung der Zwangsstörung und der posttraumatischen Belastungsstörung
werden Verhaltenstherapeutische Interventionsmethoden eingesetzt; primär werden kognitive
Verfahren und Konfrontationsverfahren herangezogen.
38. Somatoforme und dissoziative Störungen
(Hrudka)
38. Klassifikation und Diagnostik
1. Psychosomatik, Somatisierung, somatoforme Störungen
Historische Aspekte und Begrifflichkeiten

Altertum: Erkennen eines Zusammenhangs zwischen psychischen Prozessen und
körperlichen Beschwerden; aufgrund weniger Beobachtungen wurden komplexe Theorien
aufgestellt.

Der französische Arzt Paul Briquet (1859) betonte die Notwendigkeit, sich den
Krankheitsbildern mehr deskriptiv zu nähern und sie wissenschaftlichen Erhebungen
zugänglich zu machen.

Neuzeit: Begriff „Psychosomatik“= Lehre des Zusammenhangs körperlicher Krankheiten
und seelischer Prozesse.  wurde für alle Krankheitsbilder als relevant angesehen.

Gegenbewegung dazu: „Psychosomatik“ als Begriff, der nur spezifische Krankheitsbilder
umfasst = psychophysiologische Störungen.  kein einheitliches Verständnis des
Psychosomatik-Begriffs. Bei psychophysiologischen Störungen: große Bandbreite an
Entstehungsmöglichkeiten  rein organisch biologisch bis stark psychisch.
Psychische Störungen

129
Kellner (1994): psychosomatische Störungen = körperliche Krankheiten, psychologische
Prozesse spielen bei der Ätiologie eine Rolle. Diese klassischen psychosomatischen
Krankheiten werden nach den neuen Klassifikationskriterien primär unter den organischen
Krankheiten diagnostiziert.

„Somatisierung“: Personen drücken Belastungen, die mit psychosozialen und emotionalen
Problemen verbunden sind, in erster Linie durch körperliche Symptome aus.

Unterscheidung: Psychosomatische Beschwerden als körperliche Erkrankung mit
psychischen Einflussvariablen vs. somatoforme Störungen; trotzdem große
Überlappungen.
(Somatoforme Störungen = Krankheitsbilder, bei denen körperliche Beschwerden ohne
eindeutig organische Ursache im Vordergrund stehen oder bei denen Ängste um die
körperliche Gesundheit von krankhaftem Ausmaß sind.)
2. Klassifikation (der somatoformen Störungen)
2.1 nach DSM-IV
7 Untergruppen:
- Somatisierungsstörung
- Undifferenzierte somatische Störung
- Konversionsstörung
- Schmerzstörung
- Hypochondrie
- Körperdysmorphe Störung
- Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung
Somatisierungsstörung: häufigste Gruppe bei somatoformen Störungen; Patienten mit
multiplen körperlichen Beschwerden ohne organische Ursache. Schwerste Form dieses
Störungsbildes = Somatisierungsstörung.
Diagnostische Kriterien für Somatisierungsstörung nach DSM-IV:
A) Eine Vorgeschichte mit vielen körperlichen Beschwerden, die vor dem 30.
Lebensjahr begann und über mehrere Jahre auftrat und zum Aufsuchen einer
Behandlung führten oder zu deutlichen Beeinträchtigungen in sozialen,
beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
B) Jedes der folgenden Kriterien muss erfüllt gewesen sein, wobei die einzelnen
Symptome irgendwann im Verlauf der Störung aufgetreten sein müssen:
1) 4 Schmerzsymptome
Psychische Störungen
130
2) 2 gastrointestinale Symptome
3) 1 sexuelles Symptom
4) 1 pseudoneurologisches Symptom
C) Entweder 1) oder 2):
1) Nach adäquater Untersuchung kann keines der Symptome von Kriterium
B vollständig durch einen bekannten medizinischen Krankheitsfaktor
oder durch die direkte Wirkung einer Substanz (z.B. Droge oder
Medikament) erklärt werden.
2) Falls das Symptom mit einem medizinischen Krankheitsfaktor in
Verbindung steht, so gehen die körperlichen Beschwerden oder daraus
resultierende soziale oder berufliche Beeinträchtigungen über das
hinaus, was aufgrund von Anamnese, körperlicher Untersuchung oder
den Laborbefunden zu erwarten wäre.
D) Die Symptome sind nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht (wie bei der
vorgetäuschten Störung oder Simulation.)
Undifferenzierte somatoforme Störung: Patienten mit multiplen körperlichen Beschwerden
(aufgrund der strengen Kriterienfassung bei Somatisierungs-störungen, fallen viele Patienten
unter diese Störungsklassifikation)
Konversionsstörung: Symptome im Bereich der Willkürmotorik oder der sensorischen
Funktionen angesiedelt und Verdacht auf nicht bestätigte neurologische Erkrankung; Bsp.
Personen mit psychogenen Krampfanfällen, Lähmungserscheinungen oder sensorischen
Störungen
Schmerzstörung: Schmerzsymptome im Vordergrund; Unterscheidung zwischen: eindeutig
psychischen Faktoren vs. psychische als auch körperliche Aspekte
Hypochondrie: im Vordergrund stehen Ängste vor einer körperlichen Erkrankung oder die
Überzeugung krank zu sein; mit körperlichen Beschwerden gekoppelt
Körperdysmorphe Störung: Patient empfindet bestimmte Körperteile von sich als schwer
missgestaltet, obwohl keine offensichtliche Missbildung vorliegt. Unterschied zu wahnhaften
Erkrankungen und anderen Körperschemastörungen.
Psychische Störungen
131
2.2 nach ICD-10
Unterscheidung:
> Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) vs.
> Somatoforme Störungen
Dissoziative Störungen:
- Kennzeichen = Vorliegen von „pseudoneurologischen Symptomen“
- Diagnostische Kriterien:
1) Kein Nachweis einer körperlichen Krankheit, welche die für diese
Störung charakteristischen Symptome erklären könnte.
2) Überzeugender zeitlicher Zusammenhang zwischen den
dissoziativen Symptomen und belastenden Ereignissen, Probleme
oder Bedürfnissen.
- Syndrome:

dissoziative Amnesie

dissoziative Fugue

dissoziativer Stupor

Trance- und Besessenheitszustände

dissoziative Bewegungsstörung

diss. Krampfanfälle

diss. Sensibilität- und Empfindungsstörung

diss. Störungen gemischt

Sonstige dissoziative Störungen
Somatoforme Störungen:
- ausgeprägteste Form = Somatisierungsstörung
- mindestens 6 Symptome aus verschiedenen Organ- und Beschwerdebereichen müssen
vorliegen
- Körperliche Symptome einer Somatisierungsstörung:

Gastro- intestinale Symptome (6)

Kardio-vaskuläre Symptome (2)

Urogenitale Symptome (3)
 Haut- und Schmerzsymptome (3)
- Einführung der somatoformen autonomen Funktionsstörung = multiple
somatoforme Symptome, deren Schwerpunkt bei Symptomen der autonomen (vegetativen)
Erregung liegt.
Psychische Störungen
132
Bsp.: Für Symptome: Missempfindungen im Herzbereich, Schweißausbrüche,
Mundtrockenheit, Hitzewallungen oder Erröten, Kribbeln oder Unruhe im Bauch.
3. Diagnostik
Somatoforme Störungen  verschiedene Beschwerdelisten:

Beschwerdeliste BL

Freiburger Persönlichkeitsinventar FPI-R

Skala körperliche Beschwerden

Freiburger Beschwerdeliste FBL

Giessener Beschwerdebogen

Symptom-Check-List SCL-90-R (!!)

MMPI Subskala „Hypochondrie“
 Screening für somatoforme Störungen SOMS (!!) …. uvm.
Schmerzsymptome  verschiedene Verfahren zur Schmerzdiagnostik

Schmerzempfindlichkeitsskala (Geissner; erfasst über 5 Dimensionen versch.
Sensorische und affektive Komponenten des Schmerz-erlebens.)

Fragebogen zur Erfassung schmerzbezogener Kontrollüber-zeugungen FSK
(Flor; Hilflosigkeit und Kontrollierbarkeit im Umgang mit Beschwerden als
Dimensionen)
Ausmaß der Behinderung  Pain Disability Index (ökonomisches Verfahren)
Erfassung des Beschwerdeerlebens und relevanten Verhaltensweisen  Tagebücher
(Verhaltens- und Bedingungsanalyse)
38.2 Ätiologie / Bedingungsanalyse
Somatoforme Störung: Keine uniforme Prozesse, sondern verschiedene Risiko-faktoren mit
unterschiedlicher Gewichtung liegen vor.
1.Genetische Aspekte
Es gibt Indizien für eine genetische Komponente, die jedoch nicht spezifisch für
Somatisierungsstörungen sind, sondern antisoziales Verhalten sowie Alkoholproblemen mit
Psychische Störungen
133
einschließt und schwächer ausgeprägt ist als bei manchen anderen psychischen Störungen
(Bsp. Schizophrenie)
2. Biologische Aspekte
2.1 Biochemische Aspekte
Zentralnervöse, endokrine und immunologische Prozesse beeinflussen die Wahrnehmung
körperlicher Empfindungen. Parallele zwischen Somatisierungssyndrom und einer
depressiven Erkrankung wurde aufgrund eines erhöhten Morgencortisol-Spiegels festgestellt.
2.2 Neurophysiologische Aspekte
Verteilung somatoformer Symptome bezüglich bestimmter Körperregionen; Bevorzugung für
linke Körperhälfte; Zusammen-hang zur Hemisphärenspezifizierung. Es zeigen sich
Besonderheiten im rechtshemisphärischen Bereich, vor allem wenn selektive
Aufmerksamkeits-prozesse oder intensive emotionale Reize bei der Untersuchung von
Relevanz sind.
2.2 Psychophysiologische Aspekte
Erhöhtes
psychophysiologisches
Aktivier-ungsniveau
führt
zu
einer
Wahrnehmungsverzerrung
körperlicher
Signale,
erhöhter
physiologischer
Reaktionsbereitschaft,
fehlende
oder
reduzierte
Fähigkeit
zur
Habituation.
Psychophysiologische Korrelate des Störungsbildes sollten berücksichtigt werden.
3. Umweltkonzepte
3.1 Sozialisation
Art des Umgangs mit Körpersignalen, ihre Bewertung sowie Verhaltenskonsequenzen
können über eigene Erfahrung oder über Modelle gelernt werden.
Psychische Störungen
134
„Chronisches Krankheitsverhalten“: Verhaltensmerkmale wie gehäuftes Aufsuchen von
ärztlicher Diagnostik und Behandlung, Selbstmedikation, Ausstellenlassen von
Krankheitsunfähigkeits-Bescheinungen; Verhaltens-weisen können von der Umwelt des
Betroffenen bestärkt werden.
3.2 Sozialpsychologische Konzepte
Typische Einstellungen prägen die Art und Weise, wie Körperempfindungen bewertet
werden und welche Verhaltenskonsequenzen ihnen folgen. Patienten neigen dazu, leichte
körperliche Missempfindungen als Krankheitssignale zu bewerten.
Typische Einstellungen von Somatisierungspatienten:
 Katastrophisierende Bewertung körperlicher Empfindungen
 Intoleranz gegenüber körperlichen Beschwerden
 Körperliche Schwäche
3.3 Belastungen / Stress
Erhöhtes Risiko für Entwicklung von Somatisierungs-symptomen bei traumatischen
Lebensereignissen: Opfer von Gewalttaten und sexuellen Übergriffen, andere aggressive
Handlungen mit Körperbedrohung.
3.4 Soziologische Aspekte
Somatisierungsstörungen häufiger bei Frauen; diese sind von den Risikofaktoren häufiger
betroffen; typisches Alter bei Erstauftreten der Symptome liegt zwischen 15-25 Jahren;
häufiger bei Personen aus unteren sozialen Schichten, städtische Gegend.
4. Persönlichkeitskonzepte
Barsky und Wyshak (1990): Wichtigstes Merkmal von Somatisierungspersonen =
„somatosensorische Verstärkung“= stabiles Persönlichkeitsmerkmal, körperliche Symptome
mehr zu beachten, eine Aufmerksamkeitsfokussierung vorzunehmen, wodurch sich die
subjektive Empfindung der körperlichen Sensationen verstärkt und die Gefahr erhöht, dass
diese körperlichen Missempfindungen als krankhaft fehlbewertet werden. Bsp. Hypochondrie,
Alexithymie (jedoch nicht wissen-schaftlich fundiert)
Psychische Störungen
135
5. Die „somatisierte Depression“ und andere psychische Störungen
als Risikofaktor für die Entwicklung von Somatisierungssyndromen
Bei Somatisierung kann es sich auch um das körperliche Äquivalent von Depressionen
handeln, deren affektive Komponente eher im Hintergrund steht; Indiz dafür ist die hohe
Komorbidität zwischen Somatisierungssyndromen und Depression. Dennoch sind sowohl
Somatisierungsstörungen als auch Depression unabhängig voneinander auftretende
Störungsbilder. Ebenfalls deutlich erhöhte Komorbidität zwischen Somatisierung und
Angststörungen. Die 3 genannten psychischen Störungen sind als gegenseitige Risikofaktoren
zu betrachten.
6. Interozeption und externale Stimulierung
2 Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung und Bewertung körperlicher Miss-empfindungen:
a) Signalstärke des interozeptiven Reizes (z.B. Stärke des Herzklopfens,
der Atmungsgeräusche, Ausmaß der muskulären Verspannung…)
b) Ausmaß der externalen Stimulation (z.B. monotone Umgebung vs.
interessante, stimulierende Umgebungsbedingungen)
7. Verhaltensmerkmale bei somatoformen Störungen
Verhaltensmerkmale sind für die Aufrechterhaltung der Störung von Bedeutung (sind seltener
Risikofaktor für die Entstehung).
2 relevante Merkmale:
a) Schonverhalten / Vermeidungsverhalten: körperlicher Trainingszustand reduziert sich
weiter. Folge: körperliche und psychische Belastungsmomente führen zu stärker
wahrnehmbaren körperlichen Veränderungen. Weiters wird vermehrt eine reizarme
Umgebung aufgesucht (sozialer Rückzug, passive Frei-zeitgestaltung)
b) Kontrollverhaltensweisen („checking behaviour“): den Körper ständig kontrollieren;
langfristige Ängste vor körperlicher Krankheiten.
8. Zusammenwirken möglicher Risikofaktoren bei somatoformen
Störungen
Buch Seite 938; Abb. 2
Zentrales Merkmal dieses Modells ist ein Regelkreis von perzeptiven Prozessen, kognitiven
Bewertungsprozessen und Verhaltensweisen. Verhaltensweisen tragen dazu bei, dass sich die
Aufmerksamkeitsfokussierung auf körperliche Prozesse erhöht, das beeinflusst wiederum
Psychische Störungen
136
deren Wahrnehmung und die Einschätzung als etwas „nicht normales“. Zur Entstehung und
Aufrechterhaltung dieses Regelkreises können zeitstabile Faktoren beitragen: Biologische
Aspekte, psychische Dispositionen und Umweltfaktoren.
38.3 Intervention
1. Empirische Basis klinisch-psychologischer Intervention bei
somatoformen Störungen und dissoziativen Störungen
Vorschläge zur Hypochondrie-Behandlung:

Kellner (1983): Hypochondrie-Behandlung mittels „natürlichen“ Bedingungen, nicht
standardisiert.
Inhaltliche Behandlungsmerkmale: ausführliche Information über das Ent-stehen der
Symptomatik durch psychophysiologische Prozesse, Heraus-arbeiten der Bedeutung von
selektiver Wahrnehmung auf Körperempfind-ungen, weiter Maßnahmen zur
Angstbewältigung und Depressionsbe-wältigung.

Visser und Bouman (1992): Ihr Therapieansatz lehnt sich stark an Angst-behandlung an.
Patienten erhielten verhaltenstherapeutische Maßnahmen und eine kognitive Therapie.
Expositionstherapie effektiver als rein kognitive Therapie.

Salkovsky (1995): 3 Gruppen (Gruppen 1 und 2 erfolgreicher als Gruppe 3)
Gruppe 1: kognitive Verhaltenstherapie
Gruppe 2: Programm zum Stressmanagement
Gruppe 3: Wartegruppe
 gemeinsames Merkmal der psychologischen Therapieansätze bei Hypochondrie: Betonung
des Prozesses der Umattribution der Bewertung körperlicher Empfindungen.

Barsky, Geringer und Wool (1988): Interventionsebenen
1) Aufmerksamkeitsfokussierung und Entspannung
2) Kognitionen und Symptomattribution
3) Situative Aspekte
4) Dysphorischer Affekt (aktive Maßnahmen
Stimmungsaufhellung)
zur
Selbstverstärkung
und
Vorschläge zur Behandlung von somatoformen Symptomen
(ohne hypochondrische Ängste):
Das somatoforme Syndrom wird beschrieben als: zur Chronifizierung neigend und
veränderungsresident.
Psychische Störungen

137
Rief, Hiller, Geissner & Fichter (1995): psychotherapeutischer Ansatz, stationäre
verhaltensmedizinische Behandlung; Verbesserung in der somatoformen Symptomatik als
auch bei komorbiden Erkrankungen.

Smith, Rost, Kashner (1995): wollten Chronifizierungsprozesse verhindern; Informationen
zum Verlauf somatoformer Störungen (geringe Mortalität, Neigung zu chronischen
Verläufen) sollte dem Patienten geben werden, dass regelmäßige Behandlung in festen
Zeitabständen realisiert werden soll, während Arztbesuche vermieden werden sollen.
Patienten erlebten sich in ihrer körperlichen Funktionsfähigkeit als verbessert
2. Empirische Basis psychopharmakologischer Intervention
Es wird symptomatisch vorgegangen. z.B. hoher Einsatz von niedrigpotenten Neuroleptika,
Tranquilizer, Antidepressiva…
3. Ein Therapiemodell zur psychologischen Behandlung beim
Somatisierungs-syndrom
Der Therapieleitfaden zur psychologischen Behandlung von Patienten mir somatoformen
Störungen umfasst folgende Aspekte:
3.1 Beziehungsaufbau und diagnostische Maßnahmen (Warwick, 1995):
Behandlerseite: Hilflosigkeit und Unwissenheit über das Störungsbild.
Patientenseite: erhöhte Klagsamkeit, negative Beziehungserwartungen.
4 Bereiche in denen auf der Patientenseite Unzufriedenheit entsteht:
1) Diagnostikphase: Anwendung einer Ausschlussdiagnostik, was das
Problem nicht ist; Erklärungen für Beschwerden werden selten gefunden.
2) Negativer Bewertungsprozess: Patienten sollten dem Therapeuten eine
Zusammenfassung der Therapiesitzung geben, wie der Patient die Information
verarbeitet.
3) Patienten kommen mit negativer Erwartungshaltung zur psychologischen
Behandlung; man sollte dem Patienten die Glaubhaftigkeit seiner Beschwerden
vermitteln.
4) Behandlung meist fremdmoriviert begonnen, ausreichend Informationen
geben und in der Anfangsphase der Behandlung die Ängste und Erwartungen
thematisieren.
Psychische Störungen
138
Weiters: Erhebung der Anamnese und Beschwerdebild des Patienten, Exploration der
subjektiven Krankheitsattributionen des Patienten, Gesundheitsbegriff des Patienten
explorieren, auch weitere Komponenten und Konsequenzen der Erkrankung erfahren,
Durchführen von Symptomtage-büchern.
3.2 Zieldefinition
Aufgabe der Therapie ist es, realistische Zieldefinitionen vorzunehmen, die sowohl
verschiedene Lebensbereiche als auch verschiedene Abstufungen umfasst.
3.3 Umattribution des organischen Krankheitsmodells des Patienten
Krankheitsmodell des Patienten geht von organischen Ursache aus, Patient soll jedoch dieses
Krankheitsmodell hinterfragen; psychosomatisches Krankheits-verhältnis oder Erkrankung im
psychosozialen Bereich haben Rückwirkungen auf das subjektive Krankheitserleben; können
somit auch Teil eines individuellen Krankheitsmodells sein. Verschiedene Techniken:
Symptomtagebuch, Verhaltensexperimente, Biofeedback- Sitzungen mit Provokationstests.
3.4 Verhaltensänderungen
Ein typisches Verhaltensmerkmal der Erkrankung ist das Durchführen von häufigen
Arztbesuchen und das Veranlassen von medizinischen Untersuchungen. Sinnvolles Ziel wäre,
auf Arztbesuche zu verzichten oder diese zumindest zeitkontingent durchführen, nach
Zeitplan. Weitere Verhaltenskomponente kann das permanente Erfragen von
Rückversicherungen über die Unbedenklichkeit der Beschwerden sein. Patient sollte
effektive selbstständige Bewältigungsstrategien entwickeln. Bevor Verhaltensänderungen
angestrebt werden, sollte eine Phase der kognitiven Vorbereitung und Herstellen der
motivationalen Voraussetzungen erfolgen. Kreislauf, der die Komponenten „Bewertung als
krank“ -„Erhöhung des Schon- und Vermeidungsverhaltens“ -„Reduktion der körperlichen
Belast-barkeit“ -„Häufigere körperliche Missempfindungen“ beinhaltet.
3.5 Weitere Maßnahmen zur psychischen Stabilisierung
Psychische Störungen
139
Kommunikationsprobleme (von seelischen Konflikten über körperliche Symptome) können
zur Aufrecht-erhaltung der Störung beitragen. Patient wollte eigene Bedürfnisse oder
Emotionen direkt mitteilen, ohne den Umweg über Somatisierungssymptome zu nehmen.
Z.B. Kommunikationstherapie, Verfahren zum Erwerb von sozialer Kompetenz..
41. Beziehungs- und Sexualstörungen
(Hrudka)
41.1 Klassifikation und Diagnostik
1. Einleitung
Eine strikte psychophysiologische Parallelität scheint zwischen diesen Bereichen nicht
vorzuherrschen, denn manche Paare tragen ihre Konflikte mehr auf der verbalen, andere mehr
auf der sexuellen Ebene aus. Die Störungsbilder werden nach 3 Rubriken geordnet: PaarBeziehung, Sexualität, Familie.
2. Klassifikation
2.1 Beziehungsstörungen

Es gibt Störungen, die auf individuelle Persönlichkeitsmerkmale und die
entsprechenden neurotische Partnerwahl zurückgehen = Kollusionen, die auf
Fixierung in psychosexuellen Phasen (narzistisch, oral, anal und phallisch)
zurückführt. Regressive vs. progressive Form der Fixierung, ergänzen sich in PaarBeziehung komplementär.

Zeitliche Entwicklung von Beziehungsstörungen: Beziehungen können problematisch
werden, wenn sie sich im Laufe der Zeit nicht weiterentwickeln, wenn einer der
Partner einen individuellen Entwicklungsschritt im Sinne seiner Individualität
vollzieht oder sie können durch eine zunehmende Verhärtung eines zugrunde
liegenden neurotischen Konflikts beider Partner kritisch werden

Balance-Theorie (Gottman, 1993): Stabilität oder Auflösung einer Beziehung kann
anhand 2 Variablen vorausgesagt werden: das Überwiegen von positiven
Gesprächsreaktionen (Interesse, positive Zuwendung…) oder von negativern
Psychische Störungen
140
Gesprächsreaktionen ( Kritik, Abwertung, abwehrendes Verhalten…). Verhältnis
zwischen positiven und negativen Interaktionen sollte bei 5:1 liegen.

Auf der Balance-Theorie basiert eine Beziehungstypologie, die 5 Arten von Paaren
anhand ihres Sprecher- und Zuhörerverhaltens unterscheidet. 1-3 stabil, 4 u. 5 instabil.
1) Impulsive Paare: emotionale Expressivität in positive und negative
Richtung; Streit und lebhafte Auseinandersetzungen; Ausdruck von
Interesse , Humor und Zuneigung
2) Sich bestätigende Paare: bewältigen Konflikte in Diskussionen;
unterstützender, respektvoller Umgang, arbeiten kooperativ an Lösung
3) Konfliktvermeidende Paare: betonen Gemeinsamkeiten; konflikthafte
Themen werden ignoriert
4) Feindselige Paare: verhalten sich bei Konfliktsituationen anklagend und
abwehrend; Gedankenlesen, gegenseitige negative Unterstellungen und
verallgemeinernde Anklagen
5) Feindselig-distanzierte Paare: wirken im Umgang miteinander emotional
gleichgültig, bei trivialen Themen kurze und heftige Auseinander-setzungen, ein
Partner attackiert, der andere wehrt ab

Therapeut muss entscheiden, ob Schwerpunkt der Therapie
a) im sexuellen Bereich
b) in der verbalen Kommunikation
c) im Austausch auf der Handlungsebene liegt.
Sollen d) individuelle neurotische Anteile, die sich eventuell ergänzen,
betrachtet werden, oder soll
e) die Beziehung zu den Eltern oder Kindern miteinbezogen werden?

Unterscheidung von Stufen der Intervention: (LI-SS-IT)
Limitierte Intervention
Spezifische Suggestion
Intensive Therapie
2.2 Sexualstörungen (SS)
Zu unterscheiden sind:

Sexuelle Funktionsstörungen

Störungen der Geschlechtsidentität

Störungen der Sexualpräferenz
(nur auf diese wird hier eingegangen)
Unterscheidung im DSM-IV zwischen 4 Phasen des sexuellen Erlebens:
Psychische Störungen

141
Appetenzphase: als Störungen werden Aversion und Mangel oder Verlust des
sexuellen Verlangens genannt ( im ICD-10 wird zusätzlich gesteigertes sexuelles
Verlangen klassifiziert)

Erregungsphase: auch hier kann eine Erregungsschwäche oder ein Erregungsverlust
vorliegen; Symptome dafür: Lubrikation der Scheide oder Erektionsschwäche beim
Mann.

Orgasmusphase: beim Mann – Emission vs. Ejakulation; bei der Frau – einheitlicher
Reflex klonischer Kontraktionen bestimmter Muskelgruppen. Orgasmusstörungen:
Orgasmus tritt gar nicht oder stark verzögert ein. Weiters: beim Mann – verfrühte
Ejakulation (Ejaculation praecox); bei der Frau – 2 Schmerzstörungen: Vaginismus
(reflexartige Verkrampfung der Scheidenmuskulatur bei Penetration), Dyspareunie (
Schmerzen, Jucken, Brennen während Geschlechtsverkehr).

Resolutionsphase: zu Störungen in dieser Phase zählen Missempfindungen nach dem
Geschlechtsverkehr (Schmerzen, Erschöpfung, depressive od. aggressive
Verstimmung)
Primäre SS: wenn Erregung oder Orgasmus noch nie stattgefunden hat
Sekundäre SS: Sexualstörungen kommen nur in bestimmten Situationen vor oder waren zu
einem anderen Zeitpunkt abwesend.
Vor einer Differenzierung der funktionellen SS, sind organische Störungen der Sexualität
abzuklären: misslungene Dammnaht nach Geburt, Verengung der Vorhaut, Missbildungen der
äußeren Geschlechtsorgane, Hymenreste…
Sexuelle Probleme treten auch unter Drogeneinfluss auf ( Appetenzverlust,
Erektionsschwäche oder vorzeitige Ejakulation), bei Drogenabhängigen (Ejakulationsverlust).
Weites wirken sich viele Neuroleptika, Antidepressiva, Sedativa, Beta-Blocker… negativ auf
die sexuelle Appetenz, Erregung und Orgasmusfähigkeit aus.
Psychosexuelle Funktionsstörungen im Überblick:
PHASE
Appetenz
Hemmung
Exzess
Aversion
Erregung
Orgasmus
Störung mit verminderter sexueller Appetenz
ICD: gesteigertes sexuelles Verlangen
Störung mit sexueller Aversion
Störung der sexuellen Erregung
Vaginismus (Frau)
Dyspareunie (Frau)
Weibliche Orgasmusstörung
Psychische Störungen
142
Männliche Orgasmusstörung
Ejaculation Praecox (Mann)
2.3 Störungen des Familiensystems
Systematische Ansätze der Familientherapie gehen von der regulativen Funktion individueller
Symptome aus. Der Symptomträger leistet mit seinem Problem-verhalten einen meist
unbewussten Beitrag zur Erhaltung der Familiengemein-schaft.
Folgende Möglichkeiten, wie sich eine Störung im Familiensystem äußern kann:
1) Entwicklungsstufe: jede Familie durchläuft unterschiedliche Phasen, die in der
Regel mit Übergangskrisen verbunden sind. Bsp. Ehemann wendet sich
Ersatzobjekten zu, da sich die Aufmerksamkeitsverlager-ung der Frau nach der
Geburt mehr auf das Kind bezieht.
2) Struktur: Innerhalb der Familie existieren funktionelle Subsysteme (Eltern, Kinder,
Großeltern). Wenn die Grenzen zwischen den Generat-ionen unklar werden,
kommt es zu einer Störung der natürlichen Hierarchie.
3) Regeln: haben die Funktion, die Homöostase im System aufrecht zu erhalten. In
symptomatischen Familien können rigide Muster und Regeln die
Weiterentwicklung auf systematischer und individueller Ebene verhindern.
4) Sequenzen: Störungen in der Familie zeigen sich in wiederkehrenden markanten
Kommunikationsformen und Verhaltenssequenzen.
5) Familienidentität: Wenn es den Kindern übertragen wird, bestimmte Lebensziele
zu erreichen, an denen die Eltern gehindert waren, spricht man von Delegation.
Entwicklungsfreiheit der Kinder wird einge-schränkt.
Olson, Sprenkle, Russel (1979):
Konflikte lassen sich auf den Dimensionen Kohäsion und Adaptibilität lokalisieren.
-
geringe Kohäsion: einzelne Partner leben nebeneinander isoliert
-
Verstrickung: es gibt keine persönlichen Freiräume mehr, Maß an Intimität ist
überzogen
-
Adaptibilität des Verhaltens innerhalb des Systems kann rigide sein, und
unverändert über längere Zeit festgehalten werden
- Chaotisches Zusammenleben: keine / ständig veränderte Regeln
Extreme Kombinationen sind sehr anfällig für Beziehungsstörungen: chaotisch-isoliert,
chaotisch-verstrickt, rigide-verstrickt, rigide-isoliert.
Psychische Störungen
143
Konflikt auf Dimension Nähe-Distanz: Intervention bezieht sich auf die Regelung der
Distanz. Konflikt auf Dimension Adaptibilität: Intervention geht um die Veränderung der
Einflussnahme einzelner Personen und um die Revision der Regeln innerhalb der Familie.
Modelle zur Klassifikation und Diagnostik von Familiensystemen:
Circumplex-Modell von Olson
Beavers-System
McMasters Modell
3. Diagnostik

Beziehungsstörungen:
Instrumente:
Interaktionsbeobachtungen (am aufwendigsten)
Selbstbeurteilungsfragebögen (am einfachsten)
Systematische Verhaltensbeobachtung

Sexualstörungen:
2 Fragebögen: LASS – Leitfaden zur Anamnese sexueller Störungen;
Fremdbeurteilungsfragebogen
TSTT – Tübinger Skalen zur Sexualtherapie; 6 Skalen

Störung des Familiensystems:
Verfahren:
Fragebögen
Verhaltensbeobachtung in experimentellen Situationen
Skulpturverfahren
Projektive Verfahren
Zur Diagnose von Paar- und Familiensystemen kann man die oben genannten 5
Betrachtungsebenen durchgehen, um pathologische Muster, Strukturen und Regeln zu
analysieren und geeignete Ansatzpunkte für die Intervention zu finden. Die störungsbezogene
Diagnostik ist zweckmäßigerweise durch Interaktions-diagnostik zu ergänzen: wie flexibel
reagiert die Familie auf Veränderungen, welche Vorerfahrungen können hier aktiviert werden
41.2 Intervention
1. Einleitung
Psychische Störungen
Psychische Störungen lassen sich als Beziehungsstörungen
144
in der frei gewählten
Partnerschaft (Paartherapie) oder innerhalb der Primärfamilie (Familientherapie) auffassen.
Unterschiedliche Betrachtungsebenen:
a) Ebene der Primärfamilie
b) Existenzielle Ebene
c) Emotionale Ebene
d) Kognitive Ebene
e) Handlungsebene
f) Ebene der Paarbeziehung
g) Ebene des sozio-kulturellen Kontextes
Diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen sind im Sinne eines Zwiebel-Modells zu
verstehen, in dem die äußeren Schalen die inneren implizieren.
2. Aspekte der familiären Bindung

Sager (1976) unterscheidet:
Romantischen -Typ
Egalitären-Typ
Kameradschaftlichen-Typ
Eltern-Kind-Typ
Der zentrale Moment jeder Zweierbindung ist eine affektive Bindung.

Kelley (1983) unterscheidet zwischen Liebe und Verbindlichkeit; und zwischen
3 Typen von Liebe: leidenschaftliche, pragmatische, altruistische Liebe

Empirische Untersuchungen: 5 deutlich getrennte Aspekte intimer Bindung:
Sehnsucht, Körperliche Zuwendung, Sorge, Vertrauen, Toleranz

Kelleys 3 Typen lassen sich in diesen 5 Faktoren wieder erkennen:
Leidenschaftliche Liebe: Sehnsucht, körperliche Zuwendung, Sorge
Pragmatische Liebe: Körperliche Zuwendung, Sorge, Vertrauen
Altruistische Liebe: Sorge, Vertrauen, Toleranz

Deskriptive Aspekte von Liebesbeziehungen:
Leidenschaft
Verbindlichkeit
Nähe
3. Affektentwicklung und Bindungsverhalten

Bowlbys Bindungstheorie (1975): beschreibt Entwicklung und Differenzierung der
Affekte in ihrer sozialen Funktion, erklärt wie die affektive Bindung zwischen
Psychische Störungen
145
Erwachsenen im Zusammenhang mit der kindlichen Entwicklung des emotionalen
Repertoires zu sehen ist. 3 Phasen: Bindungsverhalten, Erkundungsverhalten,
Reproduktionsverhalten.
Intime
Beziehungen
entstehen
in
dieser
dritten
Erwachsenenphase sind nur dann unbeeinträchtig, wenn eine vertrauensvolle Bindung
möglich war und das Erkundungsverhalten entwickelt werden konnte. War dies nicht der
Fall, ist die Person in ihrem Bindungsverhalten verunsichert. Bowlby unterscheidet:
Angstbindung, zwanghafte Unabhängigkeitsstreben, Über-fürsorglichkeit, emotional
isolierte Person.

Kollusionskonzept von Willi (1975): Partner wählen sich aufgrund gegenseitig
entsprechender emotionaler Profile, wirken sich zunächst auf das wechselseitige Geben
und Nehmen positiv aus, können jedoch die Beziehung auf Dauer konflikthaft machen,
aber im günstigen Fall kann auch eine Art Bedürfnis-komplementarität bestehen.
4. Intervention in Beziehungssystemen
4.1 Existenzielle Ebene

Identität wird im Verlauf der Adoleszenz bewusst. Identität kann in Krisensituationen in
Frage gestellt werden aber auch neu erworben werden. In dauerhaften Beziehungen
definiert sich die Identität zu einem gewissen Teil über diese Beziehung – in Abgrenzung
zum anderen oder in der Gemeinsamkeit mit ihm.

Therapeutische Provokation von Farellys und Brandsmas (1986): Technik besteht darin,
entweder das Symptom umzudeuten und als kluge Lebenslösung zu preisen oder das
Unglück des Betroffenen als Katastrophe zu übertreiben. Man möchte den Widerspruch
des Klienten provozieren, damit er mit einer eigenen Sinndeutung aufwartet und auf diese
Weise einen Beitrag zu seiner Identität liefert.
4.2 Physiologische Ebene
Beziehungsaspekte können sich in physiologischen Parametern niederschlagen.
4.3 Emotionale Ebene

Bindungen werden von Emotionen getragen. Emotionen haben eine Lernge-schichte, die
das biologische Spektrum mit individueller Gewichtung versieht. Solche Emotionsprofile
wurden als Circumplex beschrieben.
Psychische Störungen

146
Auffassung der Gestalttherapie: emotionale Muster werden häufig überformt (z.B. eine
Ärgerreaktion wird bei entsprechender Lernerfahrung gewohnheitsgemäß von Angst
überlagert. Der Therapeut wird auf der Suche nach emotionalen Ressourcen, die den
Handlungsspielraum erweitern, diese Anteile in das Bewusstsein der Person heben. In
Gesprächen zwischen intimen Partnern kann man eine beiderseits verhärtete Interaktion
dadurch auflösen, dass man ein für die Beziehung relevantes Gefühl lebendig werden lässt
und verhindert, dass der Partner in gewohnter Weise reagieren kann. Prozessfragen: man
fragt nach Wahrnehmung(Was nehmen sie wahr? Woran merken sie, dass sie blockiert
sind?), Fühlen Was fühlen Sie in diesem Moment?), Denken (Was denken Sie jetzt?) und
dem Handlungsentwurf (Was wünschen Sie sich in diesem Moment? Was hindert Sie
daran etwas bestimmtes zu tun?). Das bisherige Schema der negativen Interaktion wird
durchbrochen und es wird vom Partner eine neue Reaktionsweise gefordert.
4.4 Kognitive Ebene

Übersteigerte Erwartungen und irrationale Gedanken sind für mangelndes Wohl-befinden
und Neurosen verantwortlich. Für intime Beziehungen sind das folgende Erwartungen:
vom anderen total geliebt zu werden / in jeder Hinsicht anerkannt zu werden, dass der
andere sich so verhält wie man es erwartet, dass Streit furchtbar ist, dass die Beziehung
ewig halten wird, dass Unverträglichkeiten unerträglich sind.

Irrationale Gedanken in gestörten Beziehungen: „der Partner oder die Qualität der
Beziehung kann unmöglich verändert werden“; „der Partner soll in der Lage, sein ohne
Worte zu wissen, was der andere von ihm will.“ Man sollte irrationale Überzeugungen
dann entkräften, wenn sie sich auf die Beziehung negativ auswirken.

Wichtige Funktion von kausaler Attribution besteht darin, unsere komplizierte Welt
berechenbarer und einfacher zu gestalten. Bei intimen Beziehungen: Attributionsaktivität
ist am Beginn der Beziehung besonders ausgeprägt, bis sich stabile Erwartungen
bezüglich des Charakters und des Verhaltnes des Partners herausgebildet haben, die in den
späteren Stadien der Beziehung als weitgehend automatischer Prozess ablaufen.
Unerfreuliche Ereignisse rufen in der Beziehung mehr Attributionsaktivität hervor als
angenehme. In gestörten Beziehungen wird das negative Verhalten des Partners
attribuiert, aber nicht das ebenfalls auftretende positive Verhalten. Erwünschtes
Partnerverhalten wird unstabilen, externen und spezifischen Faktoren zugeschrieben.
Negatives Verhalten wird als global, stabil und internal beurteilt. Man sollte destruktive
Attributionsprozesse und irrationale Überzeugungen, die eine positive Entwicklung der
Beziehung blockieren, auflösen und beziehungs-fördernde, konstruktive kognitive Muster
durch kognitive Umstrukturierung herbeirufen.
Psychische Störungen
147
4.5 Handlungsebene

Es ziehen sich solche Partner an, die in der Lage sind, sich gegenseitig mit attraktiven
Verstärkern zu versorgen und die Aussicht auf den zukünftigen Erhalt dieser Verstärker
die Entscheidung beeinflusst, eine dauerhafte Beziehung einzugehen.

4 Prozesse, die zur Entwicklung von Beziehungsstörungen beitragen:
1) Auch die schönsten Dinge im Leben verlieren durch ständige Wieder-holung an
Attraktivität.
2) Spätestens im ständigen Zusammenleben treten Gegensätze zwischen den Partnern
zutage.
3) Es gibt Gegensätze oder Unvereinbarkeiten, die erst durch gemeinsame
Lebenserfahrungen entstehen.
4) Entstehen von Gegensätzlichkeiten durch die jeweils individuelle Entwick-lung der
Partner
Jeder dieser 4 Prozesse bedeutet für mindestens einen der Partner Verstärker-entzug oder
Bestrafung. Es beginnt hier ein Kreislauf von aversiver Kontrolle (Patterson, 1982),
Kommunikation in gestörten Familien. Maßnahmen der aversiven Kontrolle sind
Rückzug, Weinen, Liebesentzug, Wecken von Schuld-gefühlen, körperliche Gewalt.
Dominanz eines Partners kann sich auf 2 Arten ausdrücken:
1) Reden: beansprucht die meiste Redezeit, ohne sich für den anderen zu interessieren
2) Nicht-Zuhören: interessiert sich nicht für das, was der andere erzählt, aber auch nichts
von sich selbst vermittelt

Singer, Wanne, Toohey (1987): in Familien mit gestörten Beziehungen besteht eine
bestimmte Art von Kommunikationsdevianz, kommt in tangentialer Bezug-nahme auf den
Partner und Mangel an gegenseitiger Validierung zum Ausdruck.

2 Hauptstrategien der verhaltensorientierten Paartherapie:
1) Austausch gegenseitig verstärkender Verhaltensweisen (AV): Ziel – Erreichung einer
schnellen emotionalen Entlastung für das Paar, indem die Häufigkeit positiven,
verstärkenden Verhaltens gesteigert und negativen, strafenden Verhaltens reduziert
wird.
3 Schritte:
1. Wunschliste: jeder richtet seinen Fokus darauf, was der Partner braucht, um
sich in der Beziehung wohler zu fühlen und was er selbst dazu beitragen kann.
2. Umsetzung: Wunschlisten in konkretes Handeln umsetzen. Welche Wünsche
wann erfüllt werden, bleibt dem Gegebenen selbst überlassen.
3. Verstärkung: gut gemeinten Handlungen sollten gewürdigt und damit auch
verstärkt werden, um den positiven Austausch dauerhaft aufrecht zu erhalten.
Psychische Störungen
148
AV arbeitet zielorientiert darauf hin, dem Paar möglichst schnell ermutigende
Erfolgserlebnisse zu vermitteln und so für eine weitere Bemühung um die Verbesserung
der Beziehung zu motivieren. Dabei werden handlung-orientierte Hausaufgaben verteilt
und diese nachher mit dem Therapeuten besprochen.
2) Kommunikations- und Problemlösetraining (KPT): hat prozessorientierten Charakter,
wird während der Therapiesitzungen durchgeführt. Langsame Veränderungen, aber
hohen Präventionswert.

Programme zur Förderung der Kommunikationsfähigkeiten:
a) Aktives Zuhören: Gesprächspartner üben im Rollentausch sich zuzuhören um später
erst Stellung zu beziehen.
1 Partner A - Mitteilung
2 Partner B - Zusammenfassung
3 Partner A – Korrektur (wenn nötig)
4 Partner B – Mitteilung (z.B. Stellungnahme zu 1)
5 Partner A - Zusammenfassung
6 Partner B – Korrektur (wenn nötig)
Damit wird möglich, Absicht und Wirkung einer Mitteilung zu vergleichen und der
Zuhörer lernt zwischen Verstehen und Reagieren zu unterscheiden.
b) Nicht- anklagende Kritik: Training von Ich-Botschaften
Gelenkter Dialog: zielt auf Konfliktlösung ab; aktives Zuhören und nicht-anklagende
Kritik können kombiniert werden.
7 Phasen:
1) Problemdarstellung gemäß des Schemas des aktiven Zuhörnes und der nicht anklagenden Kritik
2) Wunschdarstellung gemäß des Schemas aktives Zuhören
3) Lösungsmöglichkeiten suchen (Brainstorming)
4) Konkretisierung (Ort, Umfang, Zeit…)
5) Aushandeln gegenseitiger Leistungen und Wünsche
6) Belohnung
7) Überprüfen der Abmachung
Therapeutische Manöver im gelenkten Dialog:
a) Direkte Verhaltensvorschläge
b) Distanzierungs-Manöver
c) Paradoxe Manöver
c) Akzeptanz: 4 Strategien
Psychische Störungen
149
1) Entwicklung eines empathischen Diskussionsstils: behandelt das Problem als
gemeinsamen Feind; „geteiltes Leid ist halbes Leid“; Konfliktstoff wird zur Quelle
neuer Intimität.
2) Innere Distanzierung von dem Problem: durch Humor oder durch objektive Analyse
des typischen Ablaufs einer Problemsituation.
3) Erhöhung der Toleranz gegenüber dem negativen Verhalten des Partners: auf
positiven Seiten des Problems hinweisen. Das Paar auffordern, das Problemverhalten
und die Reaktion darauf in einer neutralen Situation zu spielen.
4) Entwicklung von mehr Unabhängigkeit: Partner sollen lernen mehr für sich selbst
zu sorgen. Unzugänglichkeit wird leichter akzeptiert.
Die beschriebenen Interventionen haben auch dann positive Wirkung, wenn sie mit einzelnen
Klienten durchgeführt werden, denn es handelt sich im Prinzip um Fertigkeiten des
Individuums.
4.6 Sexuelle Ebene

Natürliche Sexualfunktion kann von vielerlei Faktoren gestört / gehemmt werden;
physiologischer, psychischer, zwischenmenschlicher, kultureller oder situativer Art. Es
geht in der Behandlung sexueller Störungen um das Erkennen und Auflösen von
Einschränkungen und Blockierungen.
Auf der individuellen Ebene: Leistungsängste, Schuldgefühle, Wertvorstellungen, Angst vor
Kontrollverlust, überhöhte Erwartungen und Minderwertigkeitsgefühle.
Auf der Paarebene: Schuldzuweisungen, Missverständnisse aufgrund mangelnder
Kommunikation, Unwissenheit über die Sexualität des anderen Geschlechts.
Auf der kulturellen Ebene: Normen, Mythen, moralisch begründete Schamgefühle

Sexualtherapie: Einzelpersonen oder Paare; großer Teil der Zeit wird damit verwendet, die
Verarbeitung von Frustration, Ärger in der Beziehung, Bedeutung der oben genannten
Hemmungen und Blockaden zu klären. Partner werden dazu angeleitet, die durch die
Übungen vermittelten Erfahrungen im Gespräch miteinander auszutauschen.

Basistechnik: Gefühlskonzentrationsübungen
Paar sollte direkte Sexualkontakte sowie genitale Berührungen unterlassen, dadurch
sollten Leistungsorientierung und Versagensängste ausgeschaltet werden. Sitzungen zu
Hause sollen Spielarten der Zärtlichkeit erweitern und die Orgasmusfixierung abbauen.

Zusätzliche spezifische Techniken für einzelne Störungen:
Erektionsstörung: Abbau von Leistungsdruck vorrangig, spielerischer Umgang mit
Sexualität soll vermittelt werden. Partnerin darin instruieren, durch fraktionierte
Masturbation ein wiederholtes Entstehen und Abklingen der Erektion herbeizuführen.
Psychische Störungen
150
Ejaculation praecox: Frau stimuliert den Penis des Partners manuell bis kurz vor der
Ejakulation und unterbricht dann sofort. Nach Ejakulationsdrang wird fortgesetzt. „StoppStart“ Zyklus endet schließlich mit Ejakulation. „Quetsch-Technik“: während koitalen
Stimulation übt die Frau in gewissen Abständen manuellen Druck an der Peniswurzel oder
unterhalb der Eichel aus.
Orgasmusstörungen:
Training,
fünfwöchige
Behandlung:
Gruppendiskussion,
physiologische Information über weibliche Anatomie und Sexualität, Heim-übungen
(Vertraut werden mit dem eigenen Körper, Training der Becken-muskulatur.
Unterstützende sexuelle Phantasien, gestufte Masturbation), Individualunterricht.
Vaginismus: Training zur Anspannung und Entspannung dieses Bereiches, Dilatatoren mit
zunehmendem Umfang, tägliche Übung.
4.7 Paar-Ebene

Geht um Beziehung der Partner zueinander. Annahme, dass Regulative existieren, die
zwar mit Disposition und Intention der Individuen im Einklang stehen, sich aber nicht
vollständig davon ableiten lassen. In den Naturwissen-schaften entspricht dies dem
Popperschen Emergenz-Prinzip. In Bezug auf psychische Reaktionen, kann das Phänomen
der freien Entscheidung plausibel gemacht werden.

Sager (1976): zwischen den Partnern besteht eine Eltern.Kind-Bindung mit einem
impliziten Vertrag der Nichtaggression und Fürsorglichkeit und den Erwartungen immer
füreinander da zu sein. Als Intervention: Bewusstmachung dieser Erwartungen und eine
Neuverteilung des Vertrages.
5 Bindungstypen:
1) romantische Bindung
2) Eltern-Kind-Bindung
3) Egalitäre Bindung
4) Kameradschaftliche Bindung
5) Pragmatische Bindung

Entwicklungsmodell von Bader und Pearson (1988): Unterscheidung zwischen Symbiose,
Differenzierung und Konsolidierung in der Ehe-Beziehung. Für jede dieser Phasen sind
unterschiedliche Interventionen vorgesehen: Auflösung symbiotischer Verstrickung,
Auflösung feindseliger Verstrickung, Förderung der Autonomie.
4.8 Familien-Ebene

Systematische Betrachtungsweise: 3 Gesichtspunkte
Psychische Störungen
151
1) der Zugewinn an Freiheitsgraden auf höherer Ebene (Emergenz-Prinzip; Popper)
2) die spontane Selbstorganisation von komplexen Systemen und ihre restriktiven
Randbedingungen (Synergetik, Hagen)
3) kybernetische Betrachtungsweise von Regelmechanismen

Die Parameter, die die Interaktion in Familien regeln und bei solchen
Organisationsprozessen Berücksichtigung finden, lassen sich häufig auf die Dimensionen
Intimität (Nähe/Distanz) und Kontrolle (Rigidität/Chaos) zurück-führen.

Intervention zielt darauf ab, das Ausmaß einer dieser beiden Dimensionen in der Familie
zu ändern.

Morphostase: In der Kybernetik
werden Regelkreise beschrieben, die der
Aufrechterhaltung bestimmter Soll-Niveaus dienen (Homöostase). Dies geschieht durch
negative Rückkopplung, durch Gegensteuerung. Neben der symptomspezifischen
Vulnerabilität wäre auch eine immunsuppressive Wirkung bestimmter Hormone unter
Stress möglich. Neben der homöostat-ischen gibt es auch eine zweite Tendenz im
biologischen System: die des Wachstums und der Differenzierung von Organismen.
Krisen treten dann auf, wenn Wachstum oder Differenzierung durch die Umstände
gefordert werden, das System aber an seinem alten Regelmodell homöostatisch festhält.

Morphogenese: positive Rückkopplung in der Familienkommunikation. Hier kann es
leicht zu einer Schädigung kommen, z.B. körperliche Verletzung des Organismus.
Positives Bsp. Gegenseitige erotische Stimulation.

Systematische Therapie: Ziel – Familie zur Auflösung einer überholten oder schlecht
funktionierenden Regel und zur Adaption an geänderte Bedingungen zu bringen.
Dysfunktional gewordene Regeln betreffen dein Informationsfluss in der Familie, die
zusammen verbrachte Zeit, die Glaubwürdigkeit einzelner Familienmitglieder, das
Ausmaß an Selbstöffnung, Vertrauen und Toleranz, Verteilung von Verantwortung und
Ressourcen….  kommen in strukturellen Merkmalen der Familie zum Ausdruck.

Grenzen der Subsysteme: Grenzen zwischen Großeltern, Eltern und Kindern sowie der
Familie nach außen. 3 Bsp. von Grenzüberschreitungen (S. 1030).
Geprägt werden solche Strukturen von entwicklungsgeschichtlichen Dispositionen, die zu
Bindungsscheu, Überfürsorglichkeit oder Verlustangst führen können.

Bei den systematischen Interventionen wird zwischen strukturellen und strategischen
Maßnahmen unterschieden.
o Strukturelle Maßnahmen: Ziel – Beziehungsmuster direkt und aktiv umgestalten. 3
Typen:
 Rekomposition: in Kommunikationsprozess werden Personen eliminiert
oder neue Personen hinzugefügt.
 Symptomveränderung: Unbenennen, Herunterspielen, auf ein neues
Symptom hinarbeiten
Psychische Störungen

152
Strukturelle Modifikation: Kommunikation in bestimmten Kanälen
unterbrechen oder fördern, Verhalten verschieben / verstärken, Koalition
auflösen, Kommunikationsfertigkeiten einüben.
Bei Appell der Familie an den Therapeuten, das Symptom zu beseitigen, im
übrigen jedoch alles andere beim alten zu lassen.
o Strategische Maßnahmen: paradoxe Interventionen; Form der Umdeut-ung geht
mit einer Form der Symptomverschiebung mitein. Positive Umdeutung des
Verhaltens des Symptomträgers allein kann leicht zu Schuldattribution auf die
restlichen Familienmitglieder führen. Umdeutung sollte toxisch und wohlwollen
zugleich sein.
 Positive Umdeutung einer negativen Interaktion




Provokative Überzeichnung oder Bagatellisierung des Symptoms, um seine
Bedeutung in unerwarteter Weise zu ändern.
Symptomsimulation und Verschreibung
Misserfolgsvorhersage und Warnung vor zu schnellem Fortschritt, um
Enttäuschungen zu vermeiden und um die eigene Verantwortung für das
Verhalten anzustacheln.
Rückfallverschreibung
5. Schlussbemerkung



Familientherapie: wird als viel versprechend eingeschätzt; durchschnittliche
Verbesserungsrate für Familien in familientherapeutischer Behandlung  73%. Bei
psychosomatischen Problemen der Adoleszenz und bei Drogen-abusus häufig angezeigt.
Einzeltherapie von Beziehungsstörungen eher ungünstig.
Verhaltenstherapeutische Paartherapie: bei mittleren Störungen der Bezieh-ung
erfolgreich. Operante Methoden sind bei aggressiven Problemen zwischen Eltern und
Kindern sehr erfolgreich.
Mangel an kontrollierten Studien.
Herunterladen