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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 1
VO
EINFÜHRUNG IN DIE
KLINISCHE PSYCHOLOGIE,
PSYCHOTHERAPIE &
GESUNDHEITSPSYCHOLOGIE
GELESEN VON U. BAUMANN ®
WS 04/05
CONCEPT, TEXT & TEXTREVISION © JO
Post skriptum:
Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Tippselfehler - Freiheit ;-)
Bezug auf: U. Baumann & M. Perrez (Hrsg.), Lehrbuch: Klinische Psychologie –
Psychotherapie, 2. überarbeitete Aufl., Hans Huber Verlag, 1998
1
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 2
Kapitel 1
Grundbegriffe – Einleitung
1. Begriff Klinische Psychologie
1.1 Definitionen, Positionen
Klinische Psychologie ist die Teildisziplin der Psychologie, die sich mit
psychischen Störungen und den
psychischen Aspekten
somatischer
Störungen/ Krankheiten befasst.
Dazu gehören folgende Themen
 Ätiologie/Bedingungsanalyse
 Klassifikation
 Epidemiologie
 Diagnostik
 Intervention
(Prävention,
Rehabilitation,
Psychotherapie,
Gesundheitsversorgung, Evaluation)
Im deutschsprachigen Raum verfasste Hellpach das Lehrbuch „Klinische
Psychologie“, verstand aber unter
Klinischer Psychologie die Psychologie
somatischer Krankheiten. Schraml betonte als erster, dass die Klinische Psychologie
viel breiter zu konzipieren ist als die gängige Meinung Klinische Psychologie sei die
Psychologie in der Klinik.
 Klinische Psychologie ≠ Psychologie der Klinik
Im amero - anglikanischen Sprachgebrauch wird die Klinische Psychologie synonym
mit Abnormal psychology verwendet.
2
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 3
1.2 Störung und Störungsart (psychisch, somatisch)
1.2.1 Störung
Bei Krankheit werden teilweise Einheiten mit spezifischen Symptomen und
Verlaufsmustern, sowie dazugehörende biologische Prozesse impliziert.
Bei gestörten psychischen Phänomenen ist dieser Tatbestand teilweise strittig, auch
sind manchmal andere Konzepte besser, deshalb wird der offenere Begriff Störung
verwendet.
1.2.2 Störungsart (psychisch, somatisch)
Zum Bereich Klinische Psychologie werden großteils psychische Störungen
subsumiert, aber auch psychische Begleitphänomene somatischer Krankheiten
z.B.: Dialysepatienten
Durch
die
Abhängigkeit
von
der
Dialysemaschine,
aufgrund
somatischer
Dysfunktionen, können psychische Störungen wie z.B.: Depressionen auftauchen).
Verschiedene Datenebenen zum Verständnis des Menschen
 biologisch/somatische Datenebene
 soziale Datenebene
 psychische Datenebene

ökonomische Datenebene
Diese Datenebenen sind untereinander verknüpft,
Psychophysiologie oder Psychosomatik schon andeuten.
wie
die
Begriffe
Aufgrund der oben erläuterten Position ist ein multimodales Vorgehen bei der
Ätiologie/Bedingungsanalyse und Intervention sehr wichtig.
So müssen z.B.: somatische Erkrankungen von einer psychischen & somatischen
Datenebene betrachtet werden, vice versa für psychische Störungen.
→eine Reduktion auf die biologische Ebene ist abzulehnen
3
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 4
1.3 Klinische Psychologie & Nachbargebiete
Verhaltensmedizin
Medizinische Psychologie
Klinische Neuropsychologie
Gesundheitspsychologie
Public Health
 interdisziplinär
 bio- psycho- soziales Konzept für Gesundheits- &
Krankheitsprobleme
 Erkenntnisse der verhaltens- und biomedizinischen
Forschung
sollen
bei
Gesundheitsund
Krankheitsproblemen in Prävention, Intervention
und Rehabilitation zur Anwendung kommen
 eher ein Wissenschaftsprogramm
 Erkenntnisse und Methoden der Psychologie werden
auf die Medizin angewandt
 Im Vordergrund steht die Situation des Patienten und
die Interaktion ärztliches Personal & Patient
 Wie wirken sich Lesionen auf das Erleben und
Verhalten aus?









Psychiatrie
Förderung & Erhaltung der Gesundheit
Verhütung von Krankheiten
Bestimmung von Risikoverhalten
Verbesserung der medizinischen Versorgung
Weite Definition: + pädagogischer Beitrag,
Behandlung
von
Krankheiten,
Diagnose/
Ursachenbestimmung und Rehabilitation
Interdisziplinär
Verbesserung der Gesundheit mittels gemeindebezogener Maßnahmen bzw. durch Beeinflussung
des Gesundheitssystems
Von der Makroebene
Teilgebiet der Medizin, das sich mit psychischen
Krankheiten befasst
Psychiatrie
Schwerpunkt:
Klinische Psychologie
Biologisch – somatische
Schwerpunkt:
Datenebene
Psychische Datenebene
4
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 5
1.4 Klinische Psychologie & Psychotherapie
Aus der Sicht der Klinischen Psychologie ist die Psychotherapie ein Teilgebiet der
Klinischen Psychologie. Fachwissenschaftlich aber ist die Psychotherapie ein
Spezialfall der klinisch – psychologischen Intervention.
Die klinisch – psychologische Intervention ist nicht durch die Ätiologie der Störung
oder durch einen Zielbereich charakterisiert, sondern durch ihre Methoden, die in der
Verhalten und Erleben (psychischen Datenebene) ansetzen.
Der traditionelle Psychotherapiebegriff beschreibt die Teilmenge der klinischpsychologischen Interventionen, die auf die Therapie gestörter Funktionsmuster
und gestörter interpersoneller Systeme ausgerichtet ist.
Das Naheverhältnis zur Psychologie wird aus berufspolitischen Gründen von der
Medizin bestritten, da:
 Behandlung von Krankheiten ist Aufgabe der Medizin
 Da Psychotherapie Krankheitsbehandlung ist, gehört sie zur Medizin
Doch auch tiefenpsychologisch oder humanistisch orientierte Psychologen &
Psychotherapeuten bestreiten ein Nahverhältnis der Klinischen Psychologie mit der
Psychotherapie und wollen die Psychotherapie als eigene Disziplin begründen, die von
der Psychologie, der Philosophie, der Medizin und der Theologie gespeist wird.
Berufspolitisch wichtig
Krankenkassen zahlen nur für eine Psychotherapie, nicht aber für eine klinisch –
psychologische Intervention. Deshalb wird aus berufspolitischen Gründen der Bereich
Klinische Psychologie immer mehr auf die Psychotherapie ausgedehnt (aber auch um
den Fortschritt und die Qualität im Sinne von Qualitätsmanagement – und sicherung
zu gewährleisten.
2. Geschichte der Klinischen Psychologie
Wesentlicher Punkt war das von Wundt gegründete Institut für experimentelle
Psychologie in Leipzig, wo er und Kollegen und Studierende die Klinische
Psychologie begründeten.
Ein amerikanischer Schüler Wundts, Ligthner Witmer, prägte später den Begriff
Klinische Psychologie und begründet in Amerika die erste Psychologische Klinik, die
aus heutiger Sicht eher eine Erziehungsberatungsstelle war, wo Kinder mit
Leistungsproblemen untersucht und behandelt wurden.
5
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 6
E. Kraepelin versuchte in Deutschland experimentelle Ansätze der Psychologie auf
psychiatrische Fragestellungen anzuwenden, was zu wesentlichen Impulsen in der
Klinischen Psychologie führte.
Auch Freud gilt im deutschsprachigen Raum als wesentlicher Impulsgeber für die
Klinische Psychologie, wobei Kraepelin die empirische Klinische Psychologie und
Freud ein hermeneutisches Wissenschaftsverständnis repräsentierten.
Bis weit in die erste Hälfte des 20.Jhrts. hatte die Klinische Psychologie nur eine
geringe Bedeutung und wurde indirekt durch die Psychodiagnostik,
Erziehungsberatung & Psychologische Intervention vertreten.
3. Struktur der Klinischen Psychologie
3.1 Störungsübergreifende Aspekte
Verschiedene Problemfelder der Klinischen Psychologie finden sich bei
unterschiedlichen Störungen, dadurch bietet sich hier eine Strukturierung an, die
unabhängig von Störungsgruppen ist (wie z.B.: Ätiologie, Diagnostik etc.).
→Man arbeitet eher allgemeine Gesichtspunkte heraus, negiert aber die
differentiellen Aspekte nicht.
3.2 Störungsbezogene Aspekte
Stehen psychische Störungen im Vordergrund, werden Einheiten gemäß ICD/DSM
verwendet, bei somatischen Krankheiten finden wir eine Unterteilung in Hauptgebiete
der Medizin (wie z.B.: Gynäkologie, Ontologie etc.).
→ Hier werden verschiedene Gesichtspunkte wie Klassifikation, Diagnose,
Intervention etc. auf eine Störung bezogen.
3.3 Verschiedene Auflösungsgrade
Störungen sollten nicht nur durch Diagnose oder Symptomen strukturiert werden, es
sollte auch das Wissen aus anderen Gebieten der Psychologie einfließen. Daher
können Störungen mit unterschiedlichem Auflösungsgrad betrachtet werden, wobei
eine inter – oder intrapersonelle Perspektive eingenommen werden kann.
3.3.1 interpersonell:
Störungen bei Systemen, die einen unterschiedlichen Auflösungsgrad besitzen
(Paar, Familie, Schule …)
6
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 7
3.3.2 intrapersonell:
Störungen bei psychischen Funktionen und Funktionsmuster
 Den geringsten Auflösungsgrad besitzen Störungen von einzelnen psychischen
Funktionen des Menschen (Lernen, Wahrnehmung etc.).
 Eine komplexere Auflösung besitzen Störungen von Funktionsmustern.
Dabei spricht man entweder von einer Störung bei unterschiedlichen
Funktionsmustern oder von mehreren Störungen bei einem komplexen
Funktionsmuster.
Kapitel 2
Psychische Gesundheit, Psychische Krankheit,
Psychische Störung
1. Krankheit, Kranksein, Krankenrolle
Sobald ein Verhalten soweit von der Norm abweicht, dass es als nicht mehr „normal“
betrachtet werden kann, benutzt man den Begriff Krankheit, um diesen Sachverhalt zu
kennzeichnen.
→ Krankheit bezeichnet beobachtbare Veränderung im Wohlbefinden, im Verhalten
oder in der Leistungsfähigkeit einer Person, die normalerweise nicht zu erwarten
sind.
Kranksein = erlebter Zustand, aufgrund der Krankheit
Krankheit = Veränderung der Person
1.1 Auswirkungen der Krankheit
Man erkrankt an einer Krankheit und erlebt die Krankheit als Kranksein. Doch die
Krankheit wird nicht nur subjektiv erlebt, sondern auch von anderen, da ich ein
verändertes Verhalten (Krankheitsverhalten) an den Tag lege. Ab nun ist es ein
soziales Phänomen und ich bin von einigen sozialen Regeln befreit, dafür treten aber
andere in Kraft (sich schonen, im Bett bleiben etc.) – nach Talcott Parsons nimmt das
Individuum eine Krankenrolle ein
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 8
Krankheit
Kranksein
(Erleben der Krankheit)
Krankheitsverhalten
Krankenrolle
lllll
Wie oben angedeutet kann der Begriff Krankheit also von mehreren
Perspektiven betrachtet werden (vice versa mit Gesundheit)
Biologisch Veränderter Zustand
des Körpers, der Person oder
seiner Teile
Erleben von
Beeinträchtigung/Unwohlsein
Psychischer Aspekt
Biologischer Aspekt
Krankheit
Zugeschriebene Rolle mit
besonderen Erwartungen &
Privilegien
Sozialer Aspekt
2. Der allgemeine Krankheitsbegriff als Modell
Der Begriff „Krankheit“ bezeichnet ein theoretisches Konstrukt/Denkmodell oder
Paradigma, das dazu dient auffällige und unerklärbare Veränderungen beim
Menschen zu erfassen und (scheinbar) zu erklären.
Dabei wird folgende Verursachungskette angenommen:
Ursache – Defekt – Erscheinungsbild – Folgen
bzw.
Krankheitsursache – Krankheit – Kranksein - Krankenrolle
In der Forschung dient das allgemeine Krankheitsmodell zur Hypothesenbildung
und zur Erklärung erklärungsbedürftiger Abweichungen.
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 9
In der Praxis bietet das allgemeine Krankheitsmodell die Möglichkeit
Forschungsergebnisse direkt zu nutzen (Arzt kann aufgrund der Symptomatik die
Beschwerden/Auffälligkeiten des Patienten einer gewissen Krankheitseinheit
zuordnen).
Das hat zur Folge, dass der Arzt auf eine bestehende Klassifikation zurückgreifen
kann und nicht immer eine neue Einordnung vornehmen muss.
Des Weiteren hat der Krankheitsbegriff auch eine gesellschaftliche Komponente, da er
auf die Gesellschaft einwirkt – so werden bestimmte Berufsgruppen und Institutionen
mit der Versorgung & Behandlung beauftragt bzw. legitimiert.
3. Die Anwendung des Krankheitsmodells
Zu Beginn eines Urteils – und Bewertungsprozesses, der zu einer Diagnose führt, hat
man nur Hinweise, dass eine Krankheit vorliegt. Diese Hinweise erhalte ich durch die
Beobachtung eines Verhaltens, dass als abweichend bewertet wird. Daraus entsteht
eine Vermutung die überprüft werden muss.
Beobachtung eines Verhaltens
Hinweise auf eine Krankheit
Bewertung
Überprüfung
a) Beobachtung
Damit man das Krankheitsmodell anwenden kann, müssen Abweichungen erst
beobachtet werden. Dabei muss der Zustand oder das Verhalten als „anders als“
auffallen, dabei handelt es sich meist um eine Abweichung vom vorigen
Zustand/Verhalten (intraindividuelle Abweichung in der Zeit), es kann aber auch ein
vorgegebener „abweichender“ Zustand vorhanden sein (z.B.: Erbkrankheit,
genetischer Defekt...)
b) Bewertung
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 10
Wie schon erwähnt reicht es noch nicht aus, von der Norm abzuweichen – Diese
Abweichung muss als nicht mehr im Spielraum des „natürlichen/normalen“ betrachtet
werden - die Abweichung muss bemerkt werden.
Um Abweichungen erkennen/ bewerten zu können
verwendet man verschiedene Normen
 Statistische Norm
Hier werden Durchschnittswerte herangezogen, dies ist aber nicht immer passend:
z.B.: Karies – eine Person die noch nie in ihrem Leben Karies hatte, wäre im
Vergleich zur Population abnormal. Aber im Prinzip ist die Mehrheit abnormal, sie
weicht streng genommen von der Gesundheit ab.
 Funktionale Normen
Für einzelne Krankheiten und Symptome werden funktionale Normen (z.B.:
Blutdruck) definiert. Diese funktionalen Normen bewerten Zustände in Hinblick
auf ihre Funktion und Folgen (ist dieser Zustand funktional oder dysfunktional etc.)
für übergeordnete Zustände. Diese funktionellen Normen werden durch
gesellschaftlich legitimierte Berufsgruppen oder Experten festgelegt.
 Idealnormen
Allgemeingültig postulierte philosophisch – weltanschaulich begründete Zustände der
„Vollkommenheit“. Beispiel für Idealnormen wäre die Unantastbarkeit des Lebens.
 Soziale Normen
Soziale Normen wurden aus dem sozialen Zusammenspiel entworfen und steuern
unsere soziale Interaktion. Man kann psychische Störungen oder Krankheiten auch als
Abweichung von der sozialen Norm verstehen, wobei man dann kritisieren kann, dass
eine Behandlung eigentlich eine Anpassung an den „Sozialen Mittelwert“ ist.
 subjektive Norm
Vergleichspunkt sind hier die Möglichkeiten und die Leistungsfähigkeit des
Individuums in seinem gesunden Zustand.
Wie aus diesen Normen ersichtlich ist, gibt es je nach Perspektive unterschiedliche
Konstruktionen von „Normalität“. Bei der Beurteilung des Zustandes einer Person auf
eine etwaige psychische Störung, wirken immer die verschiedenen Normen & Regeln
ein. So können manche als abnorm beurteilte Zustände durchaus toleriert werden,
solange sie nicht eine zweite Schwelle überschreiten, die impliziert dass die Person
änderungsbedürftig ist.
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 11
Dies lässt sich folgt abbilden:
Normal
Tolerierbare
Abweichung
Änderungsbedürftige
Abweichung
Ab wann ist ein Zustand/Verhalten änderungsbedürftig?
…. Wenn die Symptome die berufliche Leistungsfähigkeit, die üblichen sozialen
Aktivitäten oder die sozialen Beziehungen beeinträchtigen oder ausgeprägtes Leiden
verursachen...
© Klassifikationssystem ICD & DSM
→Beeinträchtigung somatischer und/oder psychischer Fähigkeiten durch NichtKönnen (nicht durch nicht-wollen).
c) Überprüfung
Eine abnorme bzw. änderungsbedürftige Veränderung im Zustand oder Verhalten
einer Person legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Krankheit handelt. Mit
Hilfe von objektiven Befunden (Röntgenbild etc.) wird versucht dies zu erhärten.
Wenn, wie es bei psychischen Störungen oft der Fall ist, objektive Befunde fehlen,
verlagert sich das Gewicht auf die „Beobachtung einer Abweichung“ - hier allem auf
die Bewertung „abnorm und änderungsbedürftig“. Diese beiden Kriteria besitzen
besonders für die Interpretation „pathologisch“ und damit verbunden das
Krankheitsmodell ein erhebliches Gewicht.
Da die Bewertung sehr wichtig ist, wird das Krankheitsmodell sehr offen gehalten, um
es dem Wertewandel und Erkenntnisgewinn durch Ausdehnung (Nikotinsucht,
Spielsucht,...) bzw. Rücknahme (Bewertung der Homosexualität als nicht krank etc.)
anzupassen.
4. Definition von Krankheit und Gesundheit
4.1 Krankheit und Gesundheit
Der Begriff Krankheit kann unter vielen Aspekten betrachtet werden:




wissenschaftlich
ökonomisch-sozial (damit verknüpft sind Leistungen und Erwartungen)
juristischer (Festlegung wer krank ist und wer sich damit beschäftigen darf)
klinischer (andere Handlungsschemen)
11
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 12
 sozialer (man ist netter zu Kranken)
 anthropologischer (Leid, Tod,... als existentielle Begriffe) Begriff.
Im Prinzip ist eine Abgrenzung des Krankheitsbegriffes im Bereich der Forschung
nicht gerade förderlich, da gerade die Offenheit des Krankheitsmodells dieses so
flexibel und anwendbar macht. Da Krankheit an sich durch die Flexibilität dieses
Konstruktes per se nicht definierbar ist, wird dieser Begriff meist über verschiedene
Krankheiten/Störungen definiert Krank sind diejenigen die vom Arzt als krank
definiert werden.
Bezüglich der Gesundheit gibt es keinen einschlägigen Gesundheitsbegriff, und es
ist analog zur Krankheit auch keine Definition durch verschiedene
Gesundheitszustände möglich, man könnte den Begriff Gesundheit aber wie folgt
eingrenzen/definieren:
Gesundheit ist die Abwesenheit jeglicher Krankheit © good old Jahoda.
4.2 Kranksein und Gesundsein
Man kann krank sein und sich gesund fühlen (z.B.: unbemerkter Tumor) oder ich kann
mich krank fühlen obwohl ich gesund bin.
Somit werden objektive Krankheit/Gesundheit und subjektives Kranksein/Gesundsein
meist als zwei unabhängige Dimensionen gesehen ( dimensionaler Ansatz).
Es wird versucht den Begriff Gesundheit einzugrenzen, so konnte Jahoda in der
Literatur 6 Kriterien psychischer Gesundheit extrahieren:
(1) Positive Einstellung zur eigenen Person
(2) Wachstum und Selbstverwirklichung
(3) Integrierte Persönlichkeit
(4) Autonomie, Selbstständigkeit
(5) Adäquate Realitätswahrnehmung
(6) Kompetenz in der Bewältigung der Anforderungen der Umwelt
Becker unterscheidet aufgrund von Fragebogenuntersuchungen 3 Hauptkomponenten
(1) Seelisch – körperliches Wohlbefinden
(2) Selbstaktualisierung ( Autonomie Expansivität)
(3) Selbst – und Fremdbezogene Wertschätzung
→ Die WHO versteht unter Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit,
sondern auch körperliches, geistliches und soziales Wohlbefinden.
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 13
Anhand dieser Versuche zeigt sich, dass in die Definition von Gesundheit auch sozio –
kulturelle Bewertungen eingehen, die nicht konstant sind. Weiters kann man hier nicht
von einem Durchschnittszustand sprechen, sondern nur von einem Idealbild.
Zwischen den Extrempolen „Idealzustand des psychischen Gesundseins“ und
„psychisches Kranksein“ liegt wahrscheinlich eine fließende „Grauzone der
Normalität“ (typologischer Ansatz zur Definition von Krankheit und Gesundheit:
Extreme sind definierbar, der Zwischenraum nicht)
Gesundheit
Gesundsein
N
O
R
M
A
L
B
E
R
E
I
C
H
Krankheit
Kranksein
4.3 Rolle des Kranken und Rolle des Gesunden
Von einem Menschen ohne Hinweise auf Beeinträchtigung wird erwartet, dass er seine
normale Rolle zu erfüllen vermag. Die Rolle des Gesunden wird aber erst dann explizit
zugesprochen, wenn die Person auch als sportlich und ausgeglichen gilt. Analog zur
stigmatisierenden Wirkung der Zusprechung einer Krankenrolle kann auch die Rolle
des Gesunden Rückwirkungen haben (Erwartung hoher Leistung und Belastbarkeit).
4.4 Krankheitsursachen und Gesundheitsursachen
Eine Person ist nur dann vollständig geheilt, wenn auch die individuellen
Krankheitsursachen beseitigt sind. Doch lässt sich die Krankheit nicht nur als
unmittelbare Folge von Krankheitsursachen sehen, da Krankheit bzw. Gesundheit im
Rahmen gesundheitsfördernder/protektiver (gutes Immunsystem etc.) und
krankheitsfördernder/ vulnerabilisierender (Viren, Stress etc.) Faktoren zu sehen
ist. Dabei spielen die Merkmale der Psyche, des Körpers, der ökologischen,
ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen eine Rolle.
G
E
S13
U
N
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 14
Vulnerabilisierende
Faktoren
Protektive
Faktoren
3. Kapitel
Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Klassifikation,
Ätiologie und Diagnostik
1. Einleitung
Wissenschaftstheorie handelt vorrangig von den Zielen wissenschaftlicher Forschung,
dabei versucht sie Zielzustände in allgemeiner Form möglichst präzise zu beschreiben
und Kriterien bereitzustellen, inwieweit sich eine Forschungsdisziplin diesen Zielen
angenähert hat.
2. Klassifikation
Klassifizieren ist in der Klinischen Psychologie zentral.
Typische Klassifikationen in der Klinischen Psychologie:
Einheiten
Klassen
 krank vs. gesund
 gestört vs. normal
 behandelt vs. unbehandelt
Personen
 belastend vs. nicht belastend
 künstlich vs. natürlich
 in vitro vs. in vivo
Situationen
 auslösend vs. aufrechterhaltend
 positiver vs. negativer Verstärker
Reize
 abweichend vs. normal
 respondent vs. operant
Reaktionen
 Elemente
Diagnostische Instrumente
14
der
Einteilung
nach
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 15
Brickenkamp (1996)
Therapeutische Verfahren
 Elemente der Einteilung nach Benesch
(1995)
Behandlungseffekte
 Hauptwirkung
erwünscht
vs.
unerwünscht
 Besserung vs. keine Veränderung vs.
Verschlechterung
Psychische Störungen
 Elemente des DSM –IV oder der ICD –
10
Die hier oben erwähnten Klassenbegriffe stellen Bausteine oder Werkzeuge dar,
die in der Klinischen Psychologie verwendet werden, um:
(1) Im Bereich der Klinischen Psychologie als Wissenschaft Theorien zu
formulieren.
(2) Im Bereich der Klinischen Psychologie als Technologie therapeutische
Handlungsregeln zu formulieren.
Klinische Psychologie
Technologie
Wissenschaft
(therapeutische
Handlungsregeln)
Der
Wissenschaftstheoretiker
(Theorieentwicklung)
versteht
Klassifikation
als
Strategie
zur
wissenschaftlichen Begriffsbildung, die zu einem System von Klassenbegriffen
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 16
führt, dem Klassifikationssystem. Im Rahmen der Identifikation (= Zuordnung einer
Einheit zu einer Klasse), wird festgelegt ob eine Einheit zu einer Klasse gehört.
Ein wesentlicher Schritt bei der Bildung von Klassenbegriffen ist die
Bedeutungsfestlegung. Die Bedeutung setzt sich dabei aus der Extension (=
Begriffsumfang) und der Intension (Begriffsinhalt) zusammen.
Extension = Anzahl der Einheiten (wie Situationen, psychische Störungen) die unter
einen Begriff fallen.
Intension = Anzahl der Eigenschaften, die eine Einheit besitzen muss, um zu einer
Extension zu gehören
→Alle interessanten Klassenbegriffe in der Klinischen Psychologie sind in ihrer
Extension offen, dadurch können die Begriffsumfänge nur über die
Begriffsinhalte bestimmt werden.
2.1 Festlegung der Intension
Im Bereich der Klinischen Psychologie ist als eine Variante der wissenschaftlichen
Begriffsbildung die Explikation zu nennen. Ihr liegen die bekanntesten
Klassifikationssysteme für psychische Störungen zugrunde.
Was versteht man nun unter Explikation?
Unter Explikation wird die Transformierung eines gegebenen, unexakten Begriffes
(= Explikandum) in ein exaktes Konzept (= Explikat) verstanden.
Explikation
Unexakter Begriff
=
Explikandum
Transformation
Exaktes Konzept
=
Explikat
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 17
Welche Bedingungen muss ein Begriff erfüllen, um als adäquates Explikat
für ein gegebenes Explikandum zu gelten?
(1) Ähnlichkeit mit dem Explikandum
Das Explikat muss in den meisten Fällen in denen das Explikandum angewendet
wurde, anwendbar sein. Eine vollständige Deckung ist nicht erforderlich.
(2) Exaktheit
Für die Explikata werden nur Begriffe, für die präzise Gebrauchsregeln und
Anwendungsvorschriften vorhanden sind, zugelassen.
(3) Fruchtbarkeit
Auf der Grundlage des Explikats müssen allgemeine Aussagen formuliert und
bewährt werden können, sowie Beziehungen deutlich werden, die allein auf
Grundlage des Explikandum nicht sichtbar waren.
(4) Einfachheit
Einfachheit bezieht sich auf Begriffsfestlegungen, Annahmen und Regeln, die den
Begriff mit anderen in Beziehung bringen.
In der Klinischen Psychologie gibt es in der Regel für ein Explikandum mehrere
Explikate, die miteinander konkurrieren und unterschiedliche Aspekte des
Explikandum zur Geltung bringen.
z.B.: Begriff der psychischen Störung
Im Grunde genommen ist der Begriff psychische Störung ein unexakter und vager
Begriff – Was ist eine psychische Störung? (Versuch das mal zu erklären!  )
Dabei kann das Bemühen um eine Klassifikation psychischer Störungen als
Explikationsversuch gesehen werden, innerhalb dessen eine Differenzierung und
Bedeutungsfestlegung versucht wird. So wird z.B. im DSM – IV der Begriff der
psychischen Störungen als hierarchisches Gefüge von Klassenbegriffen
expliziert:
Psychische Störung
Persönlichkeitsstörung
17
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 18
Zwanghafte
Der oben skizzierte Klassenbegriff wird
durch diagnostische Kriterien intensional
Persönlichkeitsstörung
festgelegt. Durch diese Explikation kann der unexakte Begriff der psychischen
Störung in einen exakten Begriff übergeführt werden. Das ist aber nur der Fall, wenn
die in den diagnostischen Kriterien vorkommenden Begrifflichkeiten exakt bestimmt
sind.
In den Kriterien des DSM – IV wird auf Begrifflichkeiten Bezug genommen, die zwar
der Beobachtungssprache näher sind als die Explikanda, bei denen es sich selbst aber
um Dispositionsbegriffe (z.B.: Patient X ist depressiv)
handelt. Diese
Dispositionsbegriffe werden durch Anführen von Beispielen in ihrer Bedeutung
bestimmt (z.B.: Perfektionismus, Rigidität als Kriterien für zwanghafte
Persönlichkeitsstörung).
→ Da es im DSM –IV aber keine präzisen Gebrauchsregeln für die Verwendung
dieser Begriffe gibt, ist die Bedingung der Exaktheit des Explikats nicht voll erreicht.
Bei den Elementen des ICD – 10 und des DSM – IV handelt es sich um pragmatische
bzw. sozial konstruierte Begriffe, deren Bedeutung auf bestimmte Personengruppen
und Zeitpunkte zu relativieren ist. Deshalb werden die Explikationen von bestimmten
in ihrer personellen Zusammensetzung wechselnden Expertengruppen vorgenommen
und laufend weiterentwickelt. Diese konstruierten Klassenbegriffe können als
Konstrukte aufgefasst werden und dabei kann der Versuch des Nachweises der
Fruchtbarkeit der Explikate als Konstruktvalidierung begriffen werden.
3. Ätiologie
Ätiologie = Lehre von den Ursachen psychischer Störungen.
In der Ätiologie geht es um die Beantwortung folgender Fragen
(1) Wie entstehen psychische Störungen?
(2) Wodurch werden sie ausgelöst?
(3) Wodurch werden sie aufrechterhalten?
Aus wissenschaftstheoretischer Sicht werden die hier gestellten Fragen so verstanden:
Aufgrund
von
welchen
Ursachen
(Antezedensbedingungen)
und
welchen
Gesetzesannahmen ist es der Fall, dass eine bestimmte psychische Störung
entstanden ist, ausgelöst wurde bzw. aufrechterhalten wird?
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 19
3.1 Deduktiv – nomologische Erklärungen
Erklärungen können qualitativ unterschiedlich sein, deshalb formulierten Hempel &
Oppenheim Bedingungen, denen korrekte Erklärungen genügen müssen (die so genannten Adäquatheitsbedingungen).
Adäquatheitsbedingungen
B(1) Das Argument das vom Explanans zum Explanandum führt, muss logisch
korrekt sein
B(2) Das Explanans muss mindestens ein allgemeines Gesetz enthalten (oder einen
Satz aus dem ein allgemeines Gesetz ableitbar ist)
B(3) Das Explanans muss empirischen Gehalt besitzen
B(4) Die Sätze, aus denen das Explanans besteht, müssen gut bewährt sein
Struktur
G1; G2 …
Bestandteile
Explanans
A1, A2, … Explanans
E…
Explanandum
Allgemeine Gesetze,
theoretische Annahmen
Sätze,
die
beschreiben
Hypothesen
oder
Antezedensbedingungen
Deutet an, das E logisch aus G1, G2 … und
A1, A2 … folgt, es symbolisiert den
Argumentationsschritt
Ist die Beschreibung des zu erklärenden
Ereignisses
Bsp. für eine deduktiv – nomologische Erklärung
G1: Wenn auf ein Verhalten eine positive Verstärkung folgt, erhöht sich die Chance
auf Wiederholung des Verhaltens
A1: Auf das aggressive Verhalten von Peter erfolgt Zuwendung der Mutter
A2: Die Zuwendung der Mutter ist ein positiver Verstärker für Peter
19
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 20
E: Peter ist oft aggressiv
Das H – O – Modell der deduktiv – nomologischen Erklärungen ist ein Idealmodell.
Dadurch ist es schwer innerhalb der Klinischen Psychologie Erklärungsargumente zu
finden, die diesem Modell genügen. Das Erklärungsmodell und die ihm zugeordneten
Adäquatheitsbedingungen geben aber die formalen Charakteristika der Zielzustände
psychologischer Forschung vor.
3.2 Dispositionelle Erklärungen
Dispositionen
=
Situationsbezogene
Bereitschaften
und
Tendenzen
zu
abweichenden Verhalten
Bei der Beantwortung der Frage, warum bei einer bestimmten Person eine psychische
Störung vorliegt, ist auch die Frage interessant, welche Bedingungen diese Störung
auslösen bzw. aufrechterhalten.
Im Rahmen von dispositionellen Erklärungen wird abweichendes/gestörtes Verhalten
einer Person dadurch erklärt, dass ihr bestimmte Dispositionen zugeschrieben werden.
Dispositionsbegriffe bezeichnen Dispositionen und werden durch hinreichende
und/oder notwendige Symptomsätze (Manifestationsgesetze) in ihrer Bedeutung
bestimmt. Wenn es zu einem bestimmten Dispositionsbegriff nur einen
hinreichenden bzw. notwendigen Symptomsatz gibt, hat dieser definitorischen
Charakter, existieren hingegen mehrere Manifestationsgesetze, spricht man von
empirischen Gesetzmäßigkeiten.
Bei den Explanans einer dispositionellen Erklärung kommen auch Gesetzesaussagen
vor, in denen meist auf bestimmte Situationen, Verhaltensweisen, die vom
Dispositionsträger in bestimmten Situation zu erwarten sind, eingegangen wird.
G: In sozialen Situationen treten bei Personen, die zu starker Selbstabwertung neigen,
Ängste und Durchsetzungsschwierigkeiten auf
A1: Der Patient neigt zu starker Selbstabwertung
A2: Der Patient befindet sich in einer sozialen Situation
E: Bei den Patienten treten Ängste und Durchsetzungsschwierigkeiten auf
G = Manifestationsgesetz
A1 = Aussage, in der dem Patienten eine Disposition zugeschrieben wird
A2 = Aussage, die auf den situativen Kontext Bezug nimmt, unter denen die In E
beschriebenen Probleme auftauchen
20
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 21
E = beschriebenes Problem
In der Klinischen Psychologie setzen die Symptomsätze oft die Dispositionsbegriffe
mit anderen Dispositionsbegriffen in Verbindung. Dies ist auch bei den
Klassifikationssystemen für psychische Störungen der Fall, die ja aus einer Hierarchie
von Dispositionsbegriffen bestehen. Es stellt sich dabei die Frage ob es innerhalb eines
solchen Systems Dispositionsbegriffe gibt, die durch Manifestationsgesetze mit
Situations – Verhaltens – Erwartungen in Verbindung gebracht werden können.
Dispositionsbegriffe
Manifestationsgesetze
Situations – Verhaltens – Erwartungen
Ist dies nicht der Fall, „hängen die Systeme in der Luft“, ist dies unzureichend der Fall
„stehen sie auf dünnen Beinen“.
Da Begriffe wie psychische Störungen selbst Dispositionsbegriffe sind, wird in der
Klinischen Psychologie das Vorliegen eines Symptoms bei einer Person, oft durch die
Zuschreibung einer psychischen Störung als Disposition erklärt (Achtung vor
zirkulären Begründungen).
3.3 Historisch – genetische Erklärungen
Innerhalb der Klinischen Psychologie ist es nicht nur von Interesse wie gewissen
Dispositionen entstanden sind, sondern auch, wie sie erworben wurden und sich
entwickelten. Dabei reicht es nicht aus die Entwicklungsschritte zu beschreiben,
sondern es muss auch die Frage nach dem „Warum“ gestellt werden.
Bei historisch – genetischen Erklärungen handelt es sich um eine Kette einzelner
Erklärungsargumente, bei denen das Explanandum eines Erklärungsargumentes im
Antezedens des nächsten vorhanden ist. Dieses Antezedens umfasst mehrere
Informationen, ohne die der Übergang zum nächsten Explanandum unmöglich wäre.
So ist es möglich die Entstehung von Störungen zu erklären, die sich nach gewissen
Gesetzmäßigkeiten vollziehen, aber in ihrem Verlauf und ihrer Eigenart von
Umgebungsbedingungen abhängt, die selbst unerklärt bleiben.
21
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 22
4. Diagnostik
In einem wissenschaftstheoretischen Zusammenhang
kann die Diagnostik 3 Zwecken dienen
(1) Zuordnung
einer
Person
oder
Einheit
zu
einer
Klasse
eines
Klassifikationssystems
(2) Erklärung der Probleme und Schwierigkeiten die sich in einem konkreten
Einzelfall stellen
(3) Vorbereitung einer therapeutischen Entscheidung
Eine Diagnose stellt aus wissenschaftstheoretischem Blickwinkel den Versuch da, eine
adäquate wissenschaftliche Erklärung für ein Explanandum zu finden, indem die
Schwierigkeiten und Probleme, die sich im konkreten Einzelfall aufwerfen,
beschrieben werden. Dabei bilden die Antezedensbedingungen die Diagnose.
6. Kapitel
Klassifikation
1. Methodische Bemerkungen
Klassifikationen
dienen
dazu,
die
übergeordneten Einheiten zuzuordnen.
Übergeordnete Einheiten
A
B
C
D
22
Vielfalt
der
Einzelerscheinungen
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 23
Einzelerscheinung X
Klassifikation ist aber auch die Zuordnung eines Elementes,
Klassenzugehörigkeit unbekannt ist, zu einer vorgegebenen Klasse.
dessen
Klassen
A
B
C
D
Element mit unbekannter
Klassenzugehörigkeit
Klassifikationen ≈ Grundprinzipien der Wissenschaft sind, da sie Gesetzmäßigkeiten
ermöglichen.
→ In der klinischen Psychologie: Merkmals – und Personenklassifikationen.
1.1 Merkmalsklassifikationen vs. Personenklassifikation
Merkmalsklassifikation:
Man bemüht sich aufgrund von Symptom – oder Merkmalskonfigurationen höhere
Einheiten zu definieren – man bildet Syndrome.
Personenklassifikation:
Verwendung
von
Diagnosen
und
die
Personenklassifikationen
sind
durch
hinreichende Bedingungen charakterisiert – stellen also Typen dar. Typen sind
geometrische Schwerpunkte in einem Merkmalsraum, wobei es zwischen den Typen
keine eindeutige Abgrenzung gibt.
23
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 24
2. Klassifikationssysteme für Personen mit psychischen Störungen
2.1 Allgemeine Gesichtspunkte
Innerhalb des klinischen Sektors wird eine Vielzahl von Klassifikationssystemen
verwendet, daraus folgte die Forderung nach einem polydiagnostischen Ansatz, der
simultan die wichtigsten Systeme berücksichtigt.
Derzeit dominieren bezüglich psychischer Störungen international aber
2 Klassifikationssysteme
a) ICD (International Classification of Diseases)
b) DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders)
2.1.2 Für DSM und ICD relevante Begriffe
(1) Komorbidität
Unter Komorbidität versteht man das Auftreten verschiedener psychischer
Störungen bei einer Person, wobei diese psychischen Störungen gleichzeitig oder
auf der Zeitachse verschoben auftreten können. Sind diese psychischen Störungen
auch von somatischen Erkrankungen begleitet, spricht man von Multimorbidität.
(2) Multiaxialität
Unter Multiaxialität versteht man die Beschreibung einer Person mit Hilfe
mehrerer Achsen, wobei jede Achse durch einen spezifischen Inhalt charakterisiert
ist. Multiaxiale Systeme beinhalten meist mehrere unterschiedliche Aspekte, die
24
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 25
teilweise additiv und nicht theoretisch begründet, zusammengefügt wurden. Diese
Multiaxialität ermöglicht eine differenziertere Personenbeschreibung.
(3) Operationale Diagnostik
Eine Diagnose wird durch einen Kriterienkatalog (Ein - & Ausschlusskriterien) mit
Verknüpfungsregeln für die Kriterien definiert.
Struktur der Kriterien
a)
Symptom/e muss/müssen vorhanden sein
b)
Symptom/e dürfen nicht vorhanden sein
c)
Von den Symptomen müssen mindestens X vorhanden sein
Plus eventuell: Zeit – und Verlaufskriterien
 bessere Interrater – Reliabilität, durch operative Diagnostik
:Die Kriterien der operativen Diagnostik stellen letztendlich Konventionen
dar, die nicht zu homogenen und inhaltlich sinnvollen Gruppen führen müssen.
In Deutsch: Die Reliabilität (= die Beziehung zwischen dem wahren Wert und
dem beobachteten Wert) ist gewährleistet, aber nicht die Validität (= inhaltliche
Gültigkeit).
 Vielzahl von Symptomkriterien meist nicht definiert – Interpretationsspielraum!!
2.1.2 Fehlerquellen im diagnostischen Prozess
Durch folgende Fehlerquellen wird die Übereinstimmung der
Beurteiler/innen (Interrater – Reliabilität, Objektivität) reduziert
(1) Patienten – bzw. Subjektvarianz
25
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 26
 Der Patient kann sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen
Krankheitszuständen befinden (vgl. Bipolare Störung: Heute manisch, morgen
depressiv)
 Langzeitperspektive
(2) Situationsvarianz
 Patienten
können
zu
unterschiedlichen
Zeitpunkten
unterschiedliche
Störungsausprägungen haben
 Kurzzeitige Patientenvarianz
(3) Informationsvarianz
 Aufgrund unterschiedlicher Informationen über kranke Personen, können
verschiedene Untersucher/innen zu unterschiedlichen Diagnosen kommen.
 Informationsvarianz
kommt
auch
dadurch
zustande,
dass
sich
die
Untersucher/innen in ihrer Exploration unterscheiden.
(4) Beobachtungsvarianz
 verschiedene Untersucher/innen werten die erhobene Information verschieden
aus (z.B.: A gewichtet die Information schwerer als B es tun würde)
 ≈ Auswertungsobjektivität bei einem Test
(5) Kriterienvarianz
 Da
verschiedene
diagnostische
Untersucher/innen
Entscheidung
verschiedene
heranziehen,
Kriterien
kommen
sie
für
ihre
auch
zu
unterschiedlichen Entscheidungen.
 Kriterienvarianz kann aber auch durch nicht präzise definierte Diagnosen
entstehen
 ≈ Interpretationsobjektivität bei einem Test
Bei der Patienten – und Situationsvarianz handelt es sich um wahre
Varianzquellen,
die
nicht
zu
Lasten
Diagnosesystems gehen.
26
der
Untersucher/innen
oder
des
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 27
2.2 ICD - Klassifikationssystem der WHO
Im ICD – 9 sind die psychischen Störungen in 4 Teilbereiche unterteilt
1. Organische Psychosen
2. andere Psychosen
3. Neurosen,
Persönlichkeitsstörungen
(Psychopathien)
und
andere
nichtpsychotische Störungen
4. Oligophrenien (Schwachsinn)
Jeder dieser Teilbereiche ist in Hauptkategorien unterteilt, die durch 3 Ziffern
gekennzeichnet sind. Die vierte Ziffer erlaubt die Bezeichnung von Unterkategorien.
z.B.:
300 = Neurosen
300.3 = Zwangsneuros
Steckbrief ICD – 10
(1) Unterteilt in 21 Kapitel (I – XXI)
(2) Zusätzlich werden alle Krankheiten in verschiedene Bereiche untergliedert
(A – Z)
(3) Kapitel V enthält psychische Störungen und umfasst nur den Bereich F
27
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 28
Der ICD – 10, kann unter besonderer Berücksichtigung
von Teil V (F) folgendermaßen zusammengefasst werden
a) Ziel der Klassifikation (auch bei DSM): Gesundheitsstatistik, Forschung,
Kommunikation
b) Geltungsbereiche: alle Krankheiten
c) Klassenlogik (auch bei DSM): Typen (Diagnosen)
d) Klasseneigenschaften (auch bei DSM): Komorbidität zugelassen
e) Klassifikationseinheiten (auch bei DSM): uneinheitlich (Ätiologie, Verlauf,
Syndromatik, Schweregrad), atheoretisch, deskriptiv.
f) Datenquellen (auch bei DSM): Nutzung aller Datenquellen
g) Vorgehen bei Gewinnung der Einheiten: klinisch – kombinatorisch,
basierend auf Konventionen in Abstimmung mit Mitgliedsländern der WHO
h) Definition der Einheiten: (hier: psychische Störungen): Glossar und
Kriterienkatalog
i) Zuordnungsregeln: (hier: psychische Störungen): zum Teil implizite, zum
Teil explizite Regeln
j) Formale Genauigkeit (auch bei DSM): (hier: psychische Störungen): durch
internationale Studien mehrfach überprüft
Im Teil V werden die psychischen Störungen in 10 Hauptgruppen (F0-9) unterteilt,
wobei jede psychische Störung mit dem Buchstaben F und vier bis fünf Ziffern
codiert wird (Fab.cd bzw. Fab.cde)
Wenn man kennzeichnen will, dass neben einer somatischen Krankheit auch
psychische Faktoren eine Rolle spielen, ist zusätzlich zur somatischen Kodierung die
Kategorie F54 (psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei andernorts
klassifizierten Krankheiten) zu verwenden.
28
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 29
Kodierungslogik des ICD - 10
Code
Klassifikationsebene Bedeutung
F
einstellig
Hinweis auf psychische Störung
Fa
Zweistellig:
Umfasst
Hauptkategorie
zusammengehörig
Fab
Dreistellig:
Beispiel
verschiedene,
als F4:
betrachtete Neurotische-,
Belastungs-
Störungen
und somatoforme Störungen
Einzelne Störungseinheiten
F40:
Phobische Störungen
Kategorie
Spezifikationen
Fab.c
-----------------
u.a.
aufgrund F32.0:
Vierstellig:
inhaltlicher Gestaltung (z.B.: Art leichte depressive Episode
Subkategorie
der Phobie oder Schweregrad
F40.0: Agoraphobie
F40.00:
Fab.cd
Fünfstellig:
Spezifikationen u.a. aufgrund von Agoraphobie
Zusatzspezifikationen
Verlauf,
somatischer Panikstörung
Syndromatik,
inhaltlicher F40.01:
Gestaltung
Agoraphobie
ohne
mit
Panikstörung
F14.241:
Wird
Fab.cde
nur
bei
Sechsstellig:
Störungsgruppen
Zusatzspezifikation
Abhängigkeitssyndrom,
29
einigen Abhängigkeitssyndrom
von
(z.B.: Kokain, bei gegenwärtigen
bipolare Substanzgebrauch,
mit
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 30
Affektstörung)
zur körperlichen Symptomen
Zusatzspezifikation verwendet
Unterschiedlichen Versionen des ICD – 10 V (F)
(1) Klinisch – diagnostische Leitlinien
a) Für die klinische Praxis konzipiert
b) Jede Störungseinheit ist mit dem jeweiligen Code und dem Text (Glossar)
detailliert beschrieben.
(2) Forschungskriterien
a) jede Störungseinheit ist mit einem Kriterienkatalog beschrieben
b) präzisere Richtlinien
(3) Leitfaden zur Diagnostik und Therapie in der Primärversorgung
In Bearbeitung für ICD-11 sind 3 Achsen:
Achse
Beschreibung
Achse I
psychische Störungen (inkl.
Persönlichkeitsstörungen) und somatische
Störungen/Erkrankungen
soziale Funktionseinschränkungen
Achse II
(Globaleinschätzung und Subskalen wie z.B.:
familiäre oder berufliche Funktionsfähigkeit)
Umgebungs- – und situationsabhängige
Achse III
Einflüsse/Probleme der Lebensführung und
Lebensbewältigung
30
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 31
Unterschiede des ICD – 10 zu ICD – 9
1. operationale Diagnostik wird verwendet
2. Kategorienzahl wurde vergrößert
3. Verwendung des Begriffes Störung statt Krankheit
4. Versuch
der
Zusammenfassung
von
Störungen
mit
ähnlichen
Erscheinungsbild (deskriptive Kategorienbildung)
5. Verzicht auf den Begriff „Neurose“ als Diagnoseeinheit ( der Begriff
„neurotisch“ wird aber weiter deskriptiv verwendet)
6. Bereitstellung von Untersuchungsverfahren
2.3 DSM – Klassifikationssystem der American Psychiatric Association
 DSM IV wurde aufgrund von Expertenberichten und umfangreichen
Feldstudien entworfen.
 Der DSM ist
in 17 Hauptgruppen unterteilt, wobei jede Hauptgruppe
weitere Einheiten (Störungen) enthält.
Die einzelnen Einheiten sind in der Form eines systematisierten,
kurzgefassten Lehrbuchtextes beschrieben, der folgende Punkte
umfasst
(1) Diagnostische Merkmale (allgemeine Beschreibung des Störungsbildes)
(2) Subtypen und/oder Zusatzcodierungen
(3) Codierungsregeln
(4) Zugehörige Merkmale & Störungen
(5) Besondere kulturelle – Alters – und Geschlechtsmerkmale
31
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 32
(6) Prävalenz
(7) Verlauf
(8) Familiäre Verteilungsmuster
(9) Differentialdiagnos
Unterschiede zum ICD – 10
Unterscheidungspunkt DSM - IV
ICD - 10
Geltungsbereich
Nur psychische Störungen
Alle Krankheiten
Gewinnung der Einheit
Stärkere Orientierung an der
klinisch – kombinatorisch, basierend
empirischen Forschung
auf Konventionen in Abstimmung
mit Mitgliedsländern der WHO
DSM IV mit ICD – 10
Berücksichtigt weniger, dass die
vergleichbar, da die
Symptomatik zu Beeinträchtigungen in
Definition der Einheiten operationale Diagnostik
unterschiedlichen Funktionsbereichen
verwendet wird
führen muss
Explizite Zuordnungsregeln
Implizite & explizite Zuordnungsregeln
Zuordnungsregeln
Entscheidungsbäume
Autorenschaft
APA
WHO
Anzahl der Versionen
eine
mehrere
Darstellung
Lehrbuchtext
Allgemeine Beschreibung (Glossar +
Kriterienkatalog)
32
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 33
Achsen des DSM IV
Achse I: Klinische Störungen, andere klinisch relevante Probleme (Zustände, die
nicht einer psychischen Störung zuzuschreiben sind, aber Anlass zur Beobachtung
oder Behandlung geben)
Achse II: Persönlichkeitsstörungen, geistige Behinderungen (in der Kategorie
Störungen, die gewöhnlich erst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz
diagnostiziert werden)
Achse III: Medizinische Krankheitsfaktoren (somatische Krankheiten)
Achse IV: Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme
(Kritik: Coping wird nicht erfasst)
Achse V: Globale Erfassung des Funktionsniveaus
Die Achsen I – III beinhalten die offiziellen DSM Diagnosen, während die Achsen IV
und V Ergänzungen darstellen, die für spezielle klinische und Forschungszwecke
verwendet werden.
2.4 Untersuchungsverfahren
(1) Checklisten
 enthalten eine Zusammenstellung relevanter Kriterien (meist in Symptomform)
 Informationsgewinnung ist offen und erfolgt in Form eines freien Interviews
 ≠ Regeln zur Datengewinnung
 arbeiten mit Entscheidungsbäumen, mit denen man Diagnosen stellen kann
33
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 34
(2) Strukturiertes Interview
 Ablauf, Inhalt und Formulierung der Fragen festgelegt, dadurch wird die
Informationsvarianz reduziert
 Auswertung bezüglich Diagnosen ist festgelegt
 Entscheidung ob ein Symptom die Kriterien erfüllt, basiert auf der vorhandenen
Information und auf dem Urteil des Untersuchers
(3) Standardisierte Verfahren
 explizite Vorgabe, wie die Antwort des Patienten zu bewerten ist
 ≠ klinische Erfahrung notwendig zur Durchführung
Für Forschungsprojekte werden heute strukturierte und standardisierte Verfahren
eingesetzt.
2.5 Bewertung von Diagnosesystemen bei psychischen Störungen
(1) Phänomenologische Kritik
 Diagnosen stellen Vergröberungen da, die der Individualität nicht gerecht
werden
(2) Verhaltenstherapeutische Kritik
 Diagnosen ergeben keinen Behandlungsplan und haben deshalb nur wenig
Nutzen für die Praxis
 Individualität wird zu wenig berücksichtigt, deshalb ist der Zusammenhang
zwischen Diagnose und Intervention nur wage (heute wenig vertreten)
(3) Sozialpsychologische Kritik
 Diagnosen führen zu Stigmatisierungen und erschweren so die Rehabilitation
34
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 35
 Trifft aber nur begrenzt zu, da Betroffene eher aufgrund der Hospitalisierung
und des Störungscharakters diskriminiert werden
(4) Methodische Kritik
 Diagnosen sind wenig reliabel und deshalb wenig brauchbar
 Heutzutage wurden die besprochenen Varianzquellen (Informationsvarianz etc.)
durch die operationale Diagnostik und durch die standardisierten und
strukturierten Untersuchungsverfahren reduziert
 Reliabilität ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die
Gültigkeit von Diagnosen (so kann Diagnose X reliabel gestellt sein, aber
eventuell keine sinnvolle, „valide“ Störungseinheit sein)
Reliabilität von Diagnosen lässt sich überprüfen durch
a) Interraterreliabilität
Hier wird die Übereinstimmung unterschiedlicher Beurteiler meist mittels
Videoaufnahme geprüft, bei denen den Beurteilern/innen eine Videoaufnahme
eines Experteninterviews vorgelegt wird, und eine Diagnose erstellt werden muss.
Zur Auswertung werden verschiedene Koeffizienten wie z.B. der Kappa –
Koeffizient (bezieht Randwahrscheinlichkeiten mit ein) verwendet. Man erhält
durch
den
Vergleich
Durchführungsobjektivität
der
Datengewinnung
(also
eine
Kontrolle
durch
der
2
Beurteiler
die
Informations-
und
Situationsvarianz)
b) Stabilität (Re- Testmethode)
Übereinstimmung zwischen 2 Beurteilern zu 2 verschiedenen Zeitpunkten wird
gemessen. Dabei müssen die Zeitabstände doch relativ kurz sein (max. 1 Tag), da
sonst die Situationsvarianz mit einfließt.
(5) Inhaltliche Kritik („Validität“)
35
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 36
a) Bei Diagnosen ist die Gültigkeit nicht in Form eines Validitätskoeffizienten
berechenbar, da sie keine Tests sind. Diagnosen stellen vielmehr eine
Sammlung von Konstruktsystemen dar, die nur in einer umfassenden
Theoriediskussion bewertet werden können.
b) Eine Diagnose X ist nur dann inhaltlich sinnvoll (gültig), wenn sich mit ihr
bezüglich Syndromatik und/oder Verlauf und/oder Ätiologie und/oder Therapie
präzise Aussagen verbinden lassen. Deshalb können Diagnosen nicht als
Ganzes, sondern nur einzelne Diagnosen aufgrund der Forschung kritisiert bzw.
relativiert werden
c) Diagnosen stellen oft Konventionen von Expertengremien da, was
forschungsmäßig fraglich ist.
d) Diagnosen homogenisieren, was vielleicht heterogen ist.
e) Diagnosesysteme wie ICD oder DSM haben teilweise bezüglich der Einheiten
einen relativ großen Auflösungsgrad, wobei aber offen bleibt, ob tatsächlich
Unterschiede vorhanden sind
f) Zusammenhang zwischen Diagnose und Intervention ist wage, aber es sind
noch keine besseren Lösungen vorhanden.
(6) Persönlichkeitspsychologische Kritik
 Die heutigen Diagnosesysteme favorisieren den typologischen Ansatz
(Personenklassifikation) und vernachlässigen dimensionale Konzepte
(Merkmalsklassifikation), obwohl sich dimensionale Ansätze in der
Persönlichkeitsforschung als fruchtbarer erwiesen haben.
(7) Berufspolitische Kritik
 Diagnosen dienen der Umschreibung des Zuständigkeitsbereiches der
Medizin und sind daher für andere Berufsgruppen problematisch.
3. Merkmalsklassifikation
36
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 37
In der Klinischen Psychologie werden Typologische Ansätze und Eigenschaftsansätze
verwendet. Studien belegen, das Fremdbeurteilungsverfahren in der Regel besser
zwischen (klinischen) Gruppen differenzieren und änderungssensitiver sind als
Selbstbeurteilungsverfahren.
7. Klinisch – psychologische Diagnostik:
Allgemeine Gesichtspunkte
1. Funktion der klinisch –psychologischen Diagnostik
Funktionen der klinisch – psychologischen Diagnostik (© Perrez):
(1) Beschreibung
(2) Klassifikation
(3) Erklärung
(4) Prognose
(5) Evaluation
Diese Funktionen können sich auf Personen und interpersonelle Systeme
beziehen.
Ad1) Beschreibung
Sie ist der Ausgangspunkt für die anderen Funktionen, da die Probleme oder
Störung(en) einer Person oder eines interpersonellen Systems
in ihrer Art und
Ausprägung erfasst werden.
Bei der Beschreibung muss man zwischen der Beschreibung des Ist – Zustandes und
der Beschreibung von Veränderung unterscheiden.
37
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 38
Ad2) Klassifikation
Zuordnung zu Klassifikationssystemen mittels expliziter oder impliziter Regeln. Nicht
nur auf die Zuordnung von Patienten zu diagnostischen Einheiten beschränkt (z.B.:
Zuordnung zu Interventionen)
Ad3) Erklärung
Diagnostik versucht zur Erklärung beizutragen indem sie die dazu notwendigen Daten
so umfassend und präzise wie möglich bereitstellt.
Ad4) Prognose
Diagnostik trägt zur Vorhersage von Verläufen psychischer Störungen bei (mit oder
ohne Intervention). Die Diagnostik von Prädiktorvariablen erfordert ein komplexes
Forschungsdesign.
Ad5) Evaluation
Bewertungen
in
der
Veränderungsmessungen.
Interventionsforschung
Indikationsaussagen
(unter
basieren
meist
Randbedingung
auf
x
ist
Intervention y sinnvoll) stellen dabei bewertete Veränderungsaussagen dar.
2. Diagnostische Konzepte
2.1 Der diagnostische Prozess – Diagnostik als Problemlöseprozess
Ziel des diagnostischen Prozesses ist es, psychologische Fragestellungen zu
beantworten und im Rahmen des Problemlöseprozesses Entscheidungsgrundlagen
bereit zu stellen.
Ergebnisse
von
diagnostischen
Untersuchungen
Hypothesencharakter und sind deshalb untrennbar
Berufserfahrung und persönlicher Erfahrung verknüpft.
2.2 Eigenschaftsdiagnostik
38
haben
immer
mit Fachwissen,
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 39
Die traditionelle Persönlichkeitsdiagnostik stellt eine Eigenschaftsdiagnostik dar – sie
will das Verhalten aufgrund von Persönlichkeitseigenschaften (Traits) vorhersagen.
Testantworten werden formal durch die Faktorenanalyse mit den Konstrukten
verknüpft.
2.3 Verhaltensdiagnostik
2.3.1 Grundlagen der Verhaltensdiagnostik
Die Verhaltensdiagnostik strebt – ausgehend von einer genauen Analyse des Problems
und dessen Auftrittsbedingungen – Hinweise zur Entstehung, Erklärung und
Aufrechterhaltung eines Verhaltens sowie dessen Änderungsmöglichkeiten an.
Bei der Verhaltensanalyse werden hauptsächlich Heuristiken verwendet, die weniger
nach Kriterien inhaltlichen Güte, sondern nach Kriterien der Brauchbarkeit beurteilt
werden.
Die Analyse eines kritischen Verhaltens kann auf mehreren Ebenen erfolgen
(1) Situative Verhaltensanalyse auf der horizontalen Ebene
Bei der horizontalen Analyse eines IST – Zustandes steht die Suche nach einem
funktionalen Zusammenhang auf der Ebene der vorhergehenden, begleitenden und
nachfolgenden Bedingung im Vordergrund (problematische Verhalten als Funktion
der vorhergehenden und nachfolgenden Bedingungen)
IST - Zustand
A priori
Bedingung
Derzeitige Bedingung
39
A posteriori
Bedingung
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 40
(2) Vertikale Verhaltensanalyse, Plananalyse
Hier wird untersucht, welche übergeordneten Pläne, Ziele und davon abgeleitete
Regeln bestimmte Verhaltensweisen auslösen.
Dabei schließt man entweder von Verhaltensweisen auf Pläne und Ziele (bottom
up) oder von Plänen und Zielen auf Verhaltensweisen (top down).
Ziele und Pläne
Top down
bottom up
Verhaltensweisen
(3) Analyse von Systembedingungen
Hier wird nach der Struktur und Dynamik von Systemen, Identifikation von
systemstabilisierenden Regeln und Regelkonflikten aufgrund unterschiedlicher
Normzugehörigkeit gefragt.
Hohe
Leistungsanforderung
im Beruf
Enge Bindung an
Herkunftsfamilie
Essstörung
Gesellschaftliche
Faktoren
40
Vernachlässigte
Sozialkontakte
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 41
2.4 Verknüpfung von Eigenschaftsdiagnostik und Verhaltensdiagnostik
Die klinisch – psychologische Diagnostik muss, um ausreichend differenzieren zu
können, sich an einem interaktiven Persönlichkeitsmodell orientieren. Verhaltens und Eigenschaftsdiagnostik müssen miteinander verknüpft werden.
Konzeptuell sind dabei die Diagnosesysteme dem Eigenschaftsansatz zuzuordnen.
Diese Diagnosesysteme können die Reliabilität und Objektivität der Verhaltensanalyse
erhöhen, wobei die Verhaltensanalyse prinzipiell zur Hypothesenüberprüfung und
individuellen Anpassung der störungsspezifischen Therapie dient.
Die Hypothesenbildung wird erleichtert, wenn man schon zu Anfang auf gut
ausgearbeitete und empirisch gesicherte Störungstheorien zurückgreifen kann.
3. Veränderungsmessung
Die Erfassung von Veränderungen ist für die klinisch – psychologische Diagnostik
von großer Bedeutung.
Dabei können mehrere Problembereiche unterschieden werden:
(1) Allgemeine Rahmenbedingungen
(2) Messtheoretische Fragen
(3) Erhebungstechnologie
Ad1) Allgemeine Rahmenbedingungen
 Von den allgemeinen Rahmenbedingungen hängt die Beurteilung der
Veränderung ab. Dabei sind vor allem Gedächtnisprozesse (z.B.: Bei
Selbstbeurteilung wichtig, da dadurch die Fehlervarianz steigt) und
Veränderung der Beurteilungskriterien (den Urteilskategorien wird
zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliches Gewicht zugeteilt 
so hat man z.B. zu Beginn der Therapie andere Zielpräferenzen als am
Ende) wichtig.
41
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 42
Ad2) Messtheoretische Fragen
 Die klassische Messtheorie ist kein adäquates Verfahren zur
Veränderungsmessung (Reliabilität von Differenzwerten, Korrelation
von
Ausgangswert
mit
Differenzwert
und
Konstrukt,
Konstruktkonstanz etc. sind nicht ausreichend gelöst).
 Zum anderen werden in der klassischen Messtheorie die Kennwerte nur
für einen Zeitpunkt berechnet, für eine Veränderungsmessung wäre aber
eine Analyse mehrerer Zeitpunkte nötig.
Ad3) Erhebungstechnologie
Hierzu gibt es 4 Formen
1) Indirekte Veränderungsmessung
Bildung von Differenzen von Statusbeurteilungen.
2) Direkte Veränderungsmessung
Direkt Einschätzung von Veränderungen bei einem Messpunkt (z.B.: besserschlechter).
3) Beurteilung von Therapiezielverwirklichung
Es werden Veränderungen von einem Ausgangszustand (Therapiebeginn) zu einem
Zielzustand (Therapieende) beurteilt.
Am weitesten verbreitet hier: Goal attainment scaling.
4) Beurteilung des (psychopathologischen) Status nach einem Zeitintervall
bezüglich des Normbereiches
4. Multimodalität als Grundprinzip der Diagnostik
Multimodalität bedeutet, dass ein multivariates Vorgehen gewählt wird, bei
welchem innerhalb einzelner Kategorien variiert wird.
Bezüglich der Multimodalität sind folgende Kategorien zu unterscheiden:
(1) Datenebenen (Grundkategorien organischer Merkmale)
(2) Datenquellen (Informationsgeberin)
(3) Untersuchungsverfahren
42
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 43
(4) Konstrukte/Funktionsbereiche ( Einheiten innerhalb einzelner Datenebenen
bzw. über Datenebenen hinweg)
4.1 Datenebenen
Zur Erfassung menschlichen Erlebens und Verhaltens
werden mehrere Datenebenen differenziert
1. biologische/somatische Ebene
 oft
unterteilt
in
biochemische,
neurophysiologische
und
psychophysiologische Ebene
 im Vordergrund stehen physische Vorgänge die chemisch oder
physikalisch erfassbar sind
2. psychische/psychologische Ebene

Fokus auf individuelles Erleben und Verhalten (inkl. Leistung)
3. soziale Ebene
 Fokus auf interindividuelle Systeme (soziale Rahmenbedingungen)
4. ökologische Ebene
 materielle Rahmenbedingungen
4.2 Datenquellen
43
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 44
(1) die befragte Person selbst
Da sie eine Selbstbeobachtung abgibt
(2) andere Personen
Therapeuten,
Bezugspersonen,
geschulte
BeurteilerInnen
machen
eine
Fremdbeobachtung in Form einer Fremdbeurteilung/Verhaltensbeobachtung.
Auch institutionell anfallende Daten (z.B.: Zahl der Krankenhaustage) zählen
zur Fremdbeobachtung.
(3) apparative
Verfahren,
Verfahren
der
Leistungs-
&
Intelligenzdiagnostik mittels Papier/Bleistift
Sie erbringen Funktions- und Leistungskennwerte der Zielperson, sind aber
keine Selbstbeobachtung, sondern eine eigene Datenquelle.
In der klinisch - psychologischen Diagnostik gilt großes Interesse der Relation
zwischen Selbstbeobachtungs- und Fremdbeobachtungsverfahren. Dazu ist zu sagen,
dass der Unterschied zwischen Selbst– und Fremdbeobachtungsverfahren nicht allzu
groß ist, sie korrelieren in der Depressionsdiagnostik mit r = .4 bis r = .6. Bei
Selbstbeobachtungs- und Fremdbeobachtungsverfahren ist zu Berücksichtigen, dass es
sich
hierbei
um
Aussagebereichen
unterschiedliche
Beurteilungen
handelt,
über
die
die
mit
unterschiedlichen
gleiche
wissenschaftliche
Daseinsberechtigung verfügen.
4.3 Untersuchungsverfahren
4.3.1 Psychologische Tests und andere Formen der Datengewinnung
Um ein diagnostisches Urteil fällen zu können, gibt es unterschiedliche Wege der
Datengewinnung, besonders stringent dabei ist der psychologische Test.
Tests sind folgendermaßen charakterisiert
44
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 45
 Standardisiert bezüglich Durchführung, Auswertung und Interpretation
 Gewinn einer Verhaltensstichprobe und Schluss auf Eigenschaften
 Quantifizierung (Messung der Merkmale)
 Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität und Validität etc. liegen vor
Psychologische Tests können vorliegen in Form von:
a) Selbst– oder Fremdbeurteilung (Ratings)
b) Projektiven Verfahren
c) Leistungsdiagnostik
In der Praxis stellt jedoch das diagnostische Interview das häufigste Verfahren da. Das
diagnostische Interview erfüllt neben der Informationserhebung auch Funktionen
der Beratung und Therapie. Eine weitere Form ist die Verhaltensbeobachtung, bei
der das Spontanverhalten, das Verhalten unter experimentellen Bedingungen
(z.B.: Rollenspiel) oder das Verhalten in der Realität beobachtet wird.
4.3.2 Individualdiagnostik vs. Diagnostik interpersoneller Systeme
Die meisten Tests, besonders psychologische Tests, sind für die Individualdiagnostik
konzipiert.
4.3.3 Datenerfassung im natürlichen Umfeld: Felddiagnostik
Ermöglicht die direkte Registrierung komplexer Verhaltensmuster. Sehr erfolgreich!
Löst aber reaktive Effekte aus.
4.4 Konstrukte
Mit Hilfe einer komplexen Erfassung der Wirksamkeit durch Variation der Konstrukte
werden in der Therapie neben der Zielwirkung auch die Nebenwirkungen gemessen.
Bei den Konstrukten handelt es sich um multimodale Konstrukte, sie berücksichtigen
mehrere Datenebenen. Es werden spezifische (z.B.: Neurotizismus) oder globale
Konstrukte (z.B.: soziale Anpassung) verwendet.
45
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 46
4.5 Problematik der Multimodalität
Multimodales
Vorgehen
erhöht
die
Komplexität
und
führt
zu
Interpretationsproblemen. Diese Interpretationsprobleme entstehen dadurch, dass
mehrere Datenmodalitäten (Datenebenen, Datenquellen, Untersuchungsmethoden) in
ihren
Ergebnissen
pro
Zeitpunkt
oder
im
Verlauf
übereinstimmen/nicht
übereinstimmen können.
Primär
a) Grad
der
Übereinstimmung
bei
einem
Untersuchungszeitpunkt:
Konkordanz/Diskordanz der Daten
b) Grad der Übereinstimmung bei mehreren Untersuchungszeitpunkten:
Synchronizität/Desynchronizität der Verlaufskurve
Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung können wahre Sachverhalte, aber auch
Scheinzusammenhänge
repräsentieren.
Vorraussetzung
für
eine
inhaltliche
Interpretation ist ein gemeinsamer Bezugsrahmen.
Dabei
führt
in
einer
Entscheidungssituation
die
Nichtübereinstimmung
unterschiedlicher Datenmodalitäten zu Schwierigkeiten. Hier stellt sich die Frage
welche
Modalität
(Datenebenen,
Datenquellen,
Untersuchungsmethoden)
bei
Widersprüchen den Ausschlag geben soll. Ein univariates Vorgehen ist hier nicht
sinnvoll, da die Komplexität des zu untersuchenden Phänomens zu stark reduziert
würde, doch können folgende Gesichtspunkte zur Lösung beitragen:
(1) Das Verfahren hypothesen- bzw. theoriengeleitet wählen
(2) Stärker darlegen, in welcher Relation Untersuchungsverfahren und
Konstrukt stehen
46
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 47
(3) Methodenstudien im Sinne der Multitrait – Multimethod – Analyse
durchführen, um Zusammenhänge empirisch erklären zu können
Wenn man also verschiedene Modalitäten heranzieht, muss man diese auch
integrieren, dabei können Widersprüche oder Passendes in Hinblick auf einen
Zeitpunkt oder eine Zeitachse diskutiert werden.
Bsp. für eine multimodale Untersuchung:
Funktionsbereiche
Kognitiv - subjektiv
Behavioral - motorisch
Psychophysiologisch
Möglichkeiten
1
2
+
+
+
+
+
-
3
+
+
4
+
+
5
+
6
+
-
7
+
-
8
-
Wenn ich 3 Funktionsbereiche habe, können die Daten auf eine „Störung“ hinweisen
oder nicht (+ „gestört“ oder – „nicht gestört“).
Wenn ich in jedem der Funktionsbereiche + oder – habe, ergibt es 8 Möglichkeiten:
2 – 7 sind problematisch, da sie diskordant (= nicht übereinstimmend) sind
1 & 8 sind kordant.
Mögliche Gründe für Widersprüche
In Bezug auf einen Zeitpunkt
(1) Verschiedene Erfolgsauffassungen
(2) Unterschiedliche Wahrnehmung
In Bezug auf Zeitverlauf
47
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 48
(1) Verschiedene Datenquellen
(2) Konzentration auf verschiedene Aspekte
Widersprüche sind aufzuklären!
Diskordanz/Kordanz kann auch mit Korrelationen thematisiert werden.
Kordanz: r ≈ .9 bis 1, oder r ≈ -.9 bis -1
Diskordanz: r = 0
8. Epidemiologie
Epidemiologie = Untersuchung der Verteilung und Determinanten der Krankheitshäufigkeit
beim
Menschen;
Mit
Hilfe
demographischer,
soziale
und
Umweltfaktoren etc. zur Hilfe gezogen sowie andere Disziplinen wie Soziologie,
Mathematik, Demographie etc.
1. Aufgaben der Epidemiologie
a) Feststellung der Krankheitsverteilung über Raum und Zeit in
Abhängigkeit von Umwelt, Persönlichkeit und Organismus.
Vorraussetzung für die Erkennung einer Krankheitshäufung in Raum und Zeit
ist die vollständige Erfassung aller Fälle in einer definierten Zeitspanne und
Population/räumlich definiertes Gebiet.
Dabei kann die Verteilung der Krankheit über Raum und Zeit Hinweise auf
mögliche Krankheitsursachen liefern.
48
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 49
b) Untersuchung
von
Entstehung,
Verlauf
und
Ausgang
von
Erkrankungen (Vervollständigung des klinischen Bildes)
Weitgehend wurde die Entstehung, Verlauf und Ausgang von Erkrankungen
nur in Krankenhäusern beobachtet – das erzeugte ein eindimensionales Bild. Mit
Hilfe der Epidemiologie wird eine vollständige Erfassung aller Fälle angestrebt um
auch eine vollständige Aussage über Entstehung, Verlauf und Ausgang von
Erkrankungen machen zu können.
c) Prüfung
von
Hypothesen
über
kausale
Beziehungen
zwischen
Umweltfaktoren und Krankheit
Hauptbeitrag der Epidemiologie sollte auf der Entwicklung und Überprüfung von
Hypothesen liegen, die sich auf spezifische Faktoren beziehen, die eine bestimmte
Krankheit in einer definierten Bevölkerungsgruppe beeinflussen.
d) Ermittlung individueller Krankheitsrisiken
2. Forschungsdesigns
2.1
Deskriptive,
analytische,
experimentelle
Epidemiologie
und
psychiatrische Ökologie
 deskriptive Epidemiologie untersucht die Krankheitsverteilung in einer
definierten Bevölkerung und in geographisch, biologisch und soziologisch
abgegrenzten Gruppen. Wichtig für Planung und Evaluation von
Gesundheitseinrichtungen
49
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 50
 analytische
Epidemiologie
erforscht
mit
gezielten
Hypothesen
Zusammenhänge und Determinanten von Krankheiten. Mit experimentellen
Studien wird der Zusammenhang mit Risikofaktoren untersucht.
 Experimentelle Epidemiologie bedient sich experimenteller Studien, in denen
Einflussgrößen manipuliert werden.
 Psychiatrische Ökologie will die Beziehung zwischen geographisch definierten
Umweltvariablen (= Gebietsmerkmale) und psychiatrischer Morbidität und
ihrer Verteilungsprozesse in Gebieten und Bevölkerungen analysieren.
 Transkulturelle Epidemiologie ist ätiologisch orientiert und will die Beziehung
und Determinanten zwischen Kultur und psychischen Störungen analysieren.
Wenn man z.B. in einer einzigen Kultur eine spezifische Störung findet 
wahrscheinlich kulturabhängig
Wenn eine Störung in einer Kultur mehr und in einer anderen Kultur weniger stark
ausgeprägt ist  unter anderem kulturabhängig
2.2 Epidemiologische Messvariablen
2.2.1 Krankheitsmaße
a) Prävalenz
Prävalenz = Gesamtzahl aller Krankheitsfälle, die in einer bestimmten
Population zu einem gewissen Zeitpunkt (Punkt-) oder über eine gewisse
Zeitspanne (Streckenprävalenz) vorhanden sind.
Innerhalb der Streckenprävalenz unterscheidet man auch zwischen der Erfassung von
Krankheitsfällen oder der Patientenanzahl (Unterschied wenn eine Person öfters krank
war).
50
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 51
→ Prävalenzdaten werden auch von der Lebenserwartung & Krankheitsdauer
beeinflusst.
b) Inzidenz
Inzidens = Häufigkeit des Neuauftretens einer Krankheit innerhalb eines
bestimmten Zeitraumes, unabhängig davon, ob die Erkrankung am Ende
der Zeitperiode noch besteht.
Prävalenz – und Inzidensraten können unterschiedlich gewonnen werden
a)
Erfassung
über
Behandlungseinrichtungen
im
Rahmen
Inanspruchnahmeraten (= administrative/behandelte Prävalenz/Inzidens)
von
b) Erfassung im Rahmen einer Feldstudie (=wahre Prävalenz/Inzidens)
2.2.2 abhängige Variablen
a) Falldefinition
Falldefinition
Dimensionaler Ansatz
Kategorialer Ansatz
Merkmale und Symptome werden als
Analyseeinheit verwendet. Dabei werden
Merkmale und Symptome unter der
Annahme gradueller Unterschiede auf ihr
Ausmaß und ihre Häufigkeit untersucht.
Der medizinischen Tradition gemäß,
werden
kategoriale
Unterschiede
zwischen „Fällen“ und „Nichtfällen“
angenommen und in Bezug auf ihre
Fallhäufigkeit analysiert
Bezüglich der Epidemiologie ist eine exakte Falldefinition unerlässlich, sprich:
Welche Merkmale müssen vorhanden sein bzw. dürfen nicht vorhanden sein, um
einen Fall als negativ oder positiv identifizieren zu können?
51
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 52
b) Fallidentifikation
In früheren Studien erfolgte die Fallidentifikation im klinischen Interview, wo der
Psychiater den Probanden nach der Vorgeschichte und den Krankheitserscheinungen
befragte und darauf unkontrolliert die jeweils gültigen Diagnoseklassifikationen
anwendete. Bei stabilen und gut definierten Diagnosen (z.B.: Schizophrenie)
funktionierte das erstaunlich gut, bei Persönlichkeitsstörungen oder neurotischen
Erkrankungen, wo die Übergänge fließend sind, funktionierte dies jedoch nicht
zufrieden stellend. Lösung: Verwendung standardisierter Interviews zur Diagnostik
von ICD-10 bzw. DSM-IV Störungen.
2.2.3 Unabhängige Variablen
Bezüglich der Interpretation epidemiologischer Hypothesen ist es fundamental zu
unterscheiden, ob es sich bei den unabhängigen Variablen um geographisch
definierbare Umweltfaktoren oder um Populationsmerkmale handelt.
Gebietsmerkmale
Soziographische Daten können mit der abhängigen Variable psychische Störung in
Verbindung gebracht werden. Es können keine Krankheitsursachen ermittelt werden
– so kann nicht gesagt werden, dass Angehörige der Unterschicht häufiger an
psychischen Störungen leiden, als Angehörige der Mittel – bzw. Oberschicht. (nur
Angabe von Korrelationen, keine Kausalbeziehungen) Dies entspreche einem
ökologischen Fehlschluss.
Soziodemographische Variablen (Geschlecht, Alter, Familienstand etc.)
52
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 53
Sind immer in epidemiologischen Studien zu berücksichtigen, da viele Erkrankungen
von diesen Variablen abhängen.
Über die globalen soziodemographischen Daten hinweg, ist es nötig die Umstände
zu spezifizieren, die das Risiko für die Entstehung bestimmter Erkrankungen
erhöhen/erniedrigen.
Durch
die
additive
Annahme
vermittelnder
sozialpsychologischer Faktoren und Persönlichkeitsfaktoren wurde es möglich
prüfbare Modelle zu entwickeln, die z.B. das überhöhte Auftreten von psychischen
Störungen in der Unterschicht möglicherweise erkläre könnten:
2.2.4 Studie von Hollingshead und Redlich über den Zusammenhang zwischen
soziale Schicht und psychische Störungen
Hollingshead und Redlich kamen zu folgendem Ergebnis:
In der Unterschicht wurden allgemein mehr psychische Störungen festgestellt, in der
Oberschicht überwogen dabei die neurotischen Störungen, in der Unterschicht eher die
psychotischen. Diese Ungleichverteilung der Psychosen/Neurosen könnte aus der
Erhebungsmethode (behandelte Prävalenz) resultieren: vielleicht sind auch in der
Unterschicht die Neurosen stärker vertreten, werden allerdings nicht so oft behandelt,
da Personen aus der Unterschicht sich nur dann in Behandlung begeben, wenn (unter
diesem Schichtaspekt) kein normales Leben mehr möglich ist (ist bei Psychosen
normalerweise der Fall). Doch wodurch lässt sich die allgemeine stärkere Belastung
der Unterschicht durch psychische Störungen erklären?
Hollinghead und Redlich fanden 2 mögliche Gründe
1. In der Unterschicht herrschen mehr Stressoren (z.B.: Arbeitslosigkeit) vor,
gleichzeitig
liegt
aber
auch
ein
53
Defizit
an
persönlichen
(z.B.:
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 54
Bewältigungsstrategien) und sozialen (z.B.: Freunde, soziales Netzwerk)
Ressourcen vor
2. Die Drifthypothese: Personen aus der Oberschicht, die an psychischen
Störungen erkranken, erleiden einen sozialen Abstieg und landen in der
Unterschicht
3. Epidemiologische Projektdesigns
3.1 Querschnittstudie
Querschnittsstudie = einmalige Untersuchung einer geographisch definierten
Population zu einem bestimmten Zeitpunkt
Mit einer Querschnittsstudie erhält man eine Momentaufnahme über den
Gesundheitszustand der Bevölkerung.
Im Vergleich zu Querschnittsstudien haben
Longitudionalstudien folgende Vorteile
1. Beziehung zwischen einem Merkmal und einer Krankheit lässt sich in eine
zeitliche Ordnung bringen (Voraussetzung für das Erkennen kausaler
Beziehungen!)
2. Durch die Longitudionalstudien wird eine genaue Bestimmung der Inzidenz,
des natürlichen Verlaufs und Ausgangs der Krankheit möglich.
3.2 Fallkontrollstudie
Bei einer Fallkontrollstudie (z.B.: Depressive vs. Nichtdepressive) wird von einer
Gruppe von Personen mit einer bestimmten Krankheit ausgegangen, die mit einer
Gruppe „Gesunder“ (Kontrollgruppe) verglichen wird. Dabei sollte die Stichprobe
54
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 55
möglichst die Population repräsentieren, um die Fehlermöglichkeit zu minimieren und
die Aussagekraft zu maximieren.
3.3 Interventionsstudien (z.B.: Immunisierung und darauf folgende
Beobachtung)
Ermöglicht die Ursache – Wirkungsbeziehungen zu untersuchen. Hierzu wird der
kausale Faktor bei weitgehend gleich bleibenden Untersuchungsbedingungen
modifiziert (ethische Probleme bei nicht Behandlung eines Krankheitsfaktors).
4. Datenerfassung in der Epidemiologie
4.1 Primärerhebung
Bei der Primärerhebung werden die Daten durch den/die Forscher selbst erhoben,
Datenerheber und Datennützer sind ein und dieselbe Person.
Vorteile:
 überprüfbare & erschöpfende Erhebung durch kontrollierte Erheber und
standardisierte Meßmethoden in einem einheitlichen Setting
Aufgrund von Kosten oder bei der Erhebung seltener Krankheiten erfolgt oft ein
2stufiges Vorgehen:
1. Mit
Hilfe
eines
Screeningverfahrens
werden
Personen
mit
einem
Krankheitsverdacht ausgewählt (hohe Sensibilität, aber niedrige Spezifität 
Erhebung aller Fälle und einiger nicht – Fälle)
2. Eingehende Untersuchung, um den Verdacht zu erhärten
4.2 Sekundärdaten
Bei Sekundärdaten sind Datenerheber und Datennützer ≠ ein und dieselbe Person.
4.3 Versorgungsebenen
Inanspruchsnahmeuntersuchungen psychiatrischer und anderer
55
Dienste 0,6%
Statistiken aufgrund von Krankenhäuser, ambulante Dienste, die aber keine wirklich
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 56
Bevölkerungsbezogene kumulative Fallregister 1,7%
Hier werden die Kontakte mit allen psychiatrischen Einrichtungen innerhalb &
außerhalb des Untersuchungsgebietes registriert, die eine geographisch definierte
Bevölkerung versorgen.
Erhebung über Patienten der Hausärzte 23% (erkannt 14%)
Nur wenige begeben sich sofort in psychiatrische Behandlung, viele nehmen zuerst
den Weg zum Hausarzt. Eine Stichprobe aus der Klientel ist sehr repräsentativ.
Feldstudien 25%
5.
Hier geben Patienten (möglicherweise Unfreiwillig) in einem natürlichen Setting über
ihr psychisches Wohlbefinden Auskunft.
Epidemiologie
Störungen
Sie sind mit einem psychischer
sehr großen Aufwand
verbunden, auch ist hier die
Fallidentifikation erschwert.
5.1
Häufigkeit
Versorgungsebenen
psychischer
Störungen
auf
verschiedenen
Im Laufe der Zeit kam es auch zu Änderungen in der Häufigkeit der psychischen
Störungen:
1. Scheinbare Häufigkeitsänderungen
Verursacht durch Arzt, verbesserte Diagnosemöglichkeiten, die Gesellschaft
(veränderte Grenzen der Zuschreibung von „krank“, erhöhte Toleranz) und den
Patienten (verändertes Hilfesuchverhalten und Problemdefinition)
2. Wirkliche Häufigkeitsveränderungen
Altersabhängig (Alterszusammensetzung führt zu veränderter Risikobevölkerung,
veränderte Lebenserwartung) und altersunabhängig (Verhaltens- und
Umweltfaktoren verändern Erkrankungsrisiken, verbesserte Therapien senken
Prävalenz und Inzidenz)
56
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 57
6. Praktische Bedeutung der epidemiologischen Forschung
a) Entwicklung von Methoden der Prävention, Behandlung und Rehabilitation
und Prüfung ihrer Wirksamkeit und Risiken (Therapieforschung)
b) Evaluation von Einrichtungen und Systemen der Versorgung psychisch
Kranker, die der organisatorischen Umsetzung bewährter Therapie – und
Rehabilitationsverfahren dienen, besonders im Hinblick auf Wirksamkeit und
Kosten (Versorgungsforschung)
9. Ätiologie/Bedingungsanalyse:
methodische Gesichtspunkte
1. Begriffe
Prävention, Therapie oder Rehabilitation wären ohne Ätiologie nur begrenzt möglich.
Bei den meisten psychischen Störungen muss man von einem Ursachenbündel bzw.
Ursachenkette ausgehen – die so genannte Multikausalität.
Wenn auch bei Störungen nur eine Ursache bekannt ist (z.B.:
Chromosomenanomalie), sind doch für den aktuellen Zustand der Person eine Kette
von Bedingungen verantwortlich, die auf der Chromosomenanomalie aufbauen. Da
psychische Störungen sehr komplex sind, wird hier ein differenzierter Ursachenbegriff
benötigt. Deshalb spricht man nicht von der Ursache/Ätiologie einer Störung, sondern
von deren Bedingungen.
Bezüglich der Multikausalität, können sich die auslösenden Faktoren auf einer oder
mehreren Datenebene bewegen:
Psychisch: Kognitives Defizit
57
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 58
Sozial: Partnerkonflikt
Biologisch: Dopaminerge Dysfunktion
Ökologisch: Wohnverhältnisse
→ multikausale, multimodale Modelle sind anzunehmen.
Durch das Prinzip der Komorbidität wird die Ursachenfrage noch komplexer, da hier
die Relation zwischen verschiedenen durchlaufenen Störungen berücksichtigt wird.
Bsp. für Komorbidität:
Schizophrenie
und
Drogenmissbrauch
Medikamentenmissbrauch.
oder
Angststörung
und
2. Störungsverlauf und seine Bedingungen
2.1 Phasenunterteilung
Um den Ursachenbegriff zu präzisieren, erwies es sich als sinnvoll, den
Störungsverlauf in 4 aufeinander folgende Phasen zu unterteilen und für jede Phase
Bedingungsfaktoren mit unterschiedlicher Funktion zu definieren.
58
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 59
Phase
Potentielle,
die
beeinflussende Faktoren
Altersbereich
Biolog. Faktoren:
Genetische Faktoren
Geburt, Psycholog. Faktoren:
Inakzeptanz der Mutterrolle
Soziale Faktoren:
Partnerschaftskonflikte
Ökol. Faktoren:
Radioaktive Belastung
1. Prä – und perinatale Phase
Vor
der
Geburt
2. Sozialisations-, Entwicklungsphase
Frühe Kindheit
Kindheit
(bis Adoleszenz)
3. Phase vor Ausbruch
Störung
(Prodomalphase)
der
4. Phase nach
Störung
der -
Ausbruch
Phase
Biolog. Faktoren:
Infektionen
Psycholog. Faktoren:
Kognitive Defizite
Soziale Faktoren:
Ungenügende Interaktion mit der
Bindungsperson
Biolog. Faktoren:
Drogenkonsum
Psycholog. Faktoren:
Arbeitsüberlastung
Soziale Faktoren:
Partnerverlust
Ökol. Faktoren:
Lärmbelastung
-
Biolog. Faktoren:
Inadäquate Medikamentation
Psycholog. Faktoren:
Coping - Defizite
Soziale Faktoren:
Konflikte
Ökol. Faktoren:
Inadäquate Wohnverhältnisse
59
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 60
Phase 1 & 2
Das hier erworbene Erkrankungsrisiko wird meist mit dem Begriff Vulnerabilität
(= Erkrankungsrisiko bezüglich einer spezifischen Störung) umschrieben. Ob nun
eine Störung zustande kommt, hängt zusätzlich von den auslösenden Faktoren ab.
So wird bei einer geringen Vulnerabilität eine massivere Auslösebedingung nötig, als
bei einer hohen Vulnerabilität (vgl. die folgende Figur).
Faktoren der Phase 1 & 2 (teilweise auch 3) werden als Akquisitationsbedingungen
(Aneignungsbedingungen) bezeichnet. Akquisitationsbedingungen sind für die
primäre
Prävention
wichtig,
da
ihre
Kenntnis
die
gezielte
Verringerung/Unterbindung störungsfördernder Bedingungen ermöglicht.
Auslösende(r)
Faktor(en)
Grad der
Vulnerabilität
Erkrankung
Personen die trotz vorhandener vulnerabilisierender Faktoren keine Störung
entwickeln, sind resilient.
Die Resilienz sollte aber nicht als Gegenteil zur Vulnerabilität gesehen werden,
vielmehr sollte man eine orthogonale Sicht (zwei verschiedene Aspekte) einnehmen.
Marker = Indikator für eine Störung
Trait – Marker = Merkmale, die vor dem Ausbruch einer Störung auftreten, und so
die Vulnerabilität messbar machen
State – Marker = Indikatoren, die nur während einer Störungsepisode gemessen
werden können und Vorhersagen für den weiteren Verlauf ermöglichen
Phase 3 (Vorfeld der Störung)
Bei vielen Störungen, sowie einzelnen Personen sind oft fließende Übergänge
zwischen den Phasen 2 & 3 des Störungsverlaufes anzunehmen.
Hier wird die Frage nach den Auslösern gestellt. Das ist jedoch schwer zu
beantworten.
z.B.: so kann eine erhöhte Zahl von life – time – events aus
a) einer erhöhten Belastung
b) einer anbahnenden Störung
c) Wahrnehmungsverzerrung
resultieren.
60
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 61
Phase 4 (Verlauf nach Störungsausbruch)
Hier wird nach den Bedingungen gefragt, die die Störung aufrechterhalten.
Faktoren der Phase 4 werden als Performanzbedingungen (aufrechterhaltende
Bedingungen) bezeichnet. Performanzbedingungen sind für die Therapie von
Bedeutung.
2.2 Vulnerabilisierende vs. protektive Faktoren
Nur durch die Analyse der Dynamik vulnerabilisierender und protektiver
Faktoren kann eine umfassende Bedingungsanalyse erfolgen. Dieses
Zusammenspiel ist für alle 4 Phasen von Bedeutung.
Vulnerabilisierende bzw. protektive Faktoren können internal oder external
lokalisiert sein und den verschiedenen Datenebenen zugeordnet werden. Manche
Faktoren werden je nach Vorzeichen als vulnerabilisierend oder protektiv betrachtet
(z.B.: zuwenig Sozialkontakt ist vulnerabilisierend, viel Sozialkontakt jedoch
protektiv).
Vulnerabilisierende bzw. protektive Faktoren werden primär bezüglich der
Pathogenese diskutiert.
2.3 Verlaufsformen
Für psychische Störungen können unterschiedliche Verlaufsformen aufgestellt werden,
die einzeln oder in Kombination die psychische Störung charakterisieren.
(1) Episode
 Eine Episode entspricht einer einzelnen Manifestation einer Störung
 Eine Episode ist durch das Auftreten einer Störung mit Mindestausprägung und
Mindestdauer gekennzeichnet
a) Paroxysmaler Verlauf (z.B.: Bei Panikattacken)
 Punktueller, anfallsartiger Verlauf einer Störungsepisode
 Innerhalb von Minuten wird der Spitzenwert erreicht, wobei aber innerhalb von
Minuten bis Stunden wieder der Ausgangswert erreicht wird
Wert
Zeitachse
61
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 62
b) Chronischer, kontinuierlicher Verlauf
 Die Störungsepisode bleibt über einen längeren Zeitraum mit einer
Mindestausprägung bestehen
Wenn man den Verlauf einer Episode betrachtet, können der Verlauf oder einzelne
Abschnitte
a) stabil (≠ Veränderung)
b) progredient (sich verschlechternd)
c) fluktuierend ( Der Ausprägungsgrad der Störung wechselt)
sein.
Wenn man bei einer einzelnen vorhandenen Störung, die möglichen Endzustände
einer Episode betrachtet, können folgende Varianten unterschieden werden.
1. Heilung, Genese
 Es wird das gleiche Niveau wie vor Ausbruch der Störung erreicht, wobei die
Störung innerhalb eines definierten Mindestbereiches nicht mehr auftritt. Die
vor dem Ausbruch vorhandene Persönlichkeitsstruktur wird mit prämorbider
Persönlichkeit umschrieben.
2. Vollremission
 Es sind keine Zeichen oder Symptome der Störung mehr vorhanden, wobei aber
offen ist, ob die Störung noch einmal auftritt. Vorstufe der Heilung.
3. Teilremission
 Es liegen noch einzelne Symptome oder Zeichen vor, die aber nicht das
Störungskriterium erfüllen.
 Teilremission kann zur Vollremission oder erneuter Erkrankung führen
4. Chronifizierung
 Die Störung bleibt über längere
(Störungskriterien werden erfüllt)
Zeit
hinweg
auf
Mindestniveau
5. Persönlichkeitsveränderung
 nach Abklingen der Störung wird das ursprüngliche Persönlichkeitsniveau nicht
mehr erreicht
 postmorbide Persönlichkeit
62
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 63
6. Tod
 Bei psychischen Störungen besteht ein erhöhtes Sterberisiko aufgrund der
Unfall - & Suizidgefahr
Treten mindestens 2 Episoden auf, spricht man von einem episodischen,
phasenhaften oder rezidivierenden (Rezidiv: Rückfall) Verlauf. Dabei kann es
sich um unterschiedliche oder gleiche Störungsbilder handeln.
3. Versuchsplanung
 Längsschnittstudie
 retrospektive Studien
 Querschnittstudie
Zahl der Erhebungspunkte
Stichprobenselektion
 unausgelesene
Normalpopulation
 Risikogruppen
 Klinische Gruppe
Abbildungsgenauigkeit
(Phänomen – Untersuchung)
 Klinische Studien
 Analogstudien
Zahl der untersuchten Personen
 Einzelfallstudien
 Gruppenstudien
Ausmaß der
Untersuchers
Einflussnahme
Stichprobe,
 Laborstudien
 Feldstudien
des
 Interdependenzanalysen
 Dependenzanalysen
Analyseform
3.1 Zahl der Erhebungspunkte
Da psychische Störungen als zeitliches Geschehen zu sehen sind, bieten sich
Längsschnittstudien zur Erforschung der Ätiologie an.
63
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 64
3.1.1 Längsschnittstudie
a) Prospektive Längsschnittstudie
Hier soll die Entstehung einer Störung unter natürlichen Bedingungen beobachtet
werden. Deshalb werden Personen vor Ausbruch der Störung über einen längeren
Zeitraum beobachtet. Nach Ausbruch der Störung(en) kann anhand des Vergleiches
von gesunden und kranken Personen auf die Bedingungsfaktoren geschlossen
werden.
Kritik:
 Längsschnittstudien greifen nur einen Teil aus der Variablengesamtheit &
Zeitachse heraus
 Generationeneffekt (können die Ergebnisse, die anhand von Personen des
Jahrgangs 1970 – 1990 gewonnen wurden auch auf Personen des Jahrganges
2020 – 2040 angewendet werden?)
b) „Fiktive Längsschnittstudie
Hier werden Personen untersucht, die sich bezüglich der Dauer der Zielvariablen
unterscheiden. Wenn man diese Gruppen (=Kohorten) aneinanderreiht erhält man
einen fiktiven Längsschnitt.
soziale Anpassung
Krankheitsdauer
1 Jahr
2 Jahre
3 Jahre
Aus diesem fiktiven Längsschnitt werden dann Schlüsse gezogen.
Kritik:
 Kohorten – und Zeiteffekte können zu falschen Schlussfolgerungen führen
64
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 65
c) Retrospektive Längsschnittstudie
Personen berichten über vergangene Zeiten, daraus werden dann Verlaufsaussagen
gewonnen
Nachteil:
 Gedächtnisverzerrung aufgrund der Informationsverarbeitung
3.1.2 Querschnittstudien
Um die Ätiologie/Bedingungsgefüge zu klären, werden oft zwei oder mehr
Stichproben miteinander verglichen, die sich in einem ätiologisch wichtigen Punkt
unterscheiden:
 In der Genetik wird das Morbiditätsrisiko für Störung X bei verschiedenen
Verwandtschaftsgraden (=Stichproben) ausgehend von der Person mit der
Störung X, getestet. Aufgrund genetischer Hypothesen erwartet man
Gesetzmäßigkeiten zwischen Verwandtschaftsgrad und Höhe des
Morbidätsrisikos.
Stichprobe 1
Person
mit Störung X
Stichprobe 2
Stichprobe 3
Verwandte
2. Grades
Verwandte
1. Grades
 Unter Querschnittstudien fallen auch Experimente, die eine Gruppe mit der
Störung S mit einer Kontrollgruppe vergleichen
 Personen unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf die Zielvariable, sondern
auch in Bezug auf andere Merkmale (Schicht, Alter etc.)
Nachteil:
Integrationsprobleme bezüglich der Ursache – Wirkungsfrage.
65
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 66
Bei einer Gruppe mit Diagnose X (depressive Störung) kann ein beobachtbares
Phänomen (z.B.: verminderte Sozialkontakte) unterschiedlich erklärt werden:
(1) Symptomvariante
Störung X
(u.a. Störung S)
 S ist Teil der Störung X (Kontaktdefizit als Teil der depressive Störung)
(2) Aufrechterhaltung
Störung X
Merkmal S
Störung X
→ S folgt aus X (Kontaktdefizit als Folge der depressiven Störung, was unter anderem
zur Aufrechterhaltung der Störung führt)
(3) Ursachen/Bedingungsvariante
Merkmal S
Störung X
→ S führt – allein oder mit anderen Faktoren - zu X (Kontaktdefizit allein oder
zusammen mit anderen Faktoren verursacht depressive Störung)
(4) Vulnerabilitätsvariante
Merkmal S
Störung X
66
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 67
→ S - allein oder zusammen mit anderen Faktoren - erhöht das Risiko für X
(Kontaktdefizit allein oder zusammen mit anderen Faktoren stellen
Vulnerabilitätsfaktoren dar)
3.2 Stichprobenselektion
a) (Un)ausgelesene Stichproben der Normalpopulation
b) Risikogruppen
c) Klinische Gruppen
3.3 Abbildungsgenauigkeit (Phänomen – Untersuchung)
Analogstudien bilden die Realität nur partiell oder vergleichsweise ab.
Studien können dabei in folgenden Punkten von der Wirklichkeit abweichen: Gattung,
Störungsausprägung, Untersuchungspersonen, Zeitdimensionen, Setting und
Untersuchungsverfahren.
Für Analogstudien werden
a) Tieruntersuchungen, als Analogon für Aussagen beim Menschen
b) Experimente bei gesunden Menschen
c) Computersimulationen
verwendet.
To take with you
Analogstudien ≠ Gegenpol zur klinischen Realität; Jede Forschung bildet in ihrer
Untersuchung die Realität in verschiedenen Dimensionen ab, wobei je nach
Dimension die Abweichung variieren kann.
3.4 Analyseformen
Interdependenzanalysen stellen Zusammenhänge dar (Ko-variationen,
Korrelationen) und machen keine Aussagen zur Relation Ursache - Wirkung
In Dependenzanalysen werden die unabhängigen Variablen systematisch variiert
und Störfaktoren ausgeschaltet. Wichtig ist hier das Experiment. Aufgrund der
komplexen Sachverhalte und daraus resultierenden ethischen Gründen, sind
Dependenzanalysen in der Ätiologie nicht durchführbar
67
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 68
10. Genetische Faktoren
1. Forschungsmethoden
Studiendesign ohne genetischen Marker
 Abschätzung von Wiederholungsrisiken
 Abschätzung
der
Relevanz
von
familiären mit nicht – familiären
Ursachenfaktoren
 Nosologische Differenzierung zwischen
Störungen
 Auffinden
von
kosegregierenden
Merkmalen
und
Definition
der
Vulnerabilitätsdimension
 Entdeckung
prämorbider
Normabweichungen
familiärer
Störungen
Familienstudien
High – Risk - Studien
 Differenzierung und Quantifizierung des
genetischen Anteils an den familiären
Faktoren
 Abschätzung des Einflusses der Gen –
Umwelt – Interaktion
 Abschätzung der Relevanz spezifischer
Umgebungsfaktoren
Zwillingsstudien
Adoptionsstudien
 Abschätzung des Umwelt – Anteils an
familiären Faktoren
Segretationsanalysen
 Feststellung des familiären
genetischen Übertragungsmodus
3.1 Familienstudien
(1) Familiäre Häufung
Eine familiäre Häufung von Merkmalen der Erkrankung liegt dann vor, wenn in
der Familie des Merkmalsträgers eine höhere Prävalenz als in der Familie der
Kontrollpersonen vorhanden ist. Bei der Auswahl der Kontrollgruppe sollte hierbei
68
bzw.
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 69
höchst sorgfältig umgegangen werden, damit die Merkmalshäufigkeit nicht
unterschätzt wird und so in der Kontrollgruppe erhöhte falsch – positiv Befunde
auftreten.
(2) Aussagekraft von Familienstudien
Der Befund einer familiären Häufung eines Merkmals impliziert aber noch keine
genetischen Ursachenfaktoren, deutet aber darauf hin.
Trotz alledem sind sie in der klinischen Forschung zentral, weil:
a) Validierungskriterium für die Definition von familiär gehäuften psychischen
Störungen
b) Erlauben Aussagen über das Ursachenverhältnis zwischen den untersuchten
Krankheiten → zeigen unterschiedliche familiäre Belastungsmuster
unterschiedliche ätiologische pathophysiologische Bedingungen an?
(3) Was ist bei der Durchführung einer Familienstudie zu beachten?
a) Reliabilität der Fallidentifikation und der Charakterisierung des
Phänotyps (möglichst standardisierte Verfahren; trainierte Interviewer;
möglichst alle Verwandet, dabei auch Verstorbene einbeziehen).
b) Kontrollkollektiv
(Kontrollgruppe möglichst parallelisieren)
c) Blindbedingung
(Der Untersuchende soll nicht wissen ob die gerade untersuchte Person
krank ist)
d) Diagnosestellung für Probanden & Angehörige
(Die oben erwähnte Information und Krankengeschichte werde
zusammengelegt und ein erfahrener Kliniker stellt auf dieser Basis seine
Diagnose)
e) Repräsentativität
(Rekrutierung in einer definierten Grundgesamtheit)
3.2 Zwillingsstudien
Besondere Aussagekraft, da sie auf der unterschiedlichen Übereinstimmung der
genetischen Information zwischen den Zwillingspartnern (Eineiig oder Zweieiig) bei
weitgehend gleichen Umweltbedingungen basiert.
In Zwillingsstudien wird systematisch die genetische Varianz variiert.
69
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 70
Aussagekraft von Zwillingsstudien ist begrenzt, da:
(1) Annahme der Gleichheit der Umgebungsbedingungen
Sind die Umweltbedingungen von Zweieiigen Zwillingen genau so homogen wie
bei Eineiigen Zwillingen? Das beginnt pränatal, wenn sich Eineiige Zwillinge eine
Plazenta teilen und Zweieiige Zwillinge von zwei separaten Plazenta ernährt
werden und geht bei der Frage weiter ob Eltern doch nicht bei Zweieiigen
Zwillingen einen anderen Erziehungsstil als bei Eineiigen Zwillingen verfolgen.
(2) Repräsentativität
a) Repräsentativität bezüglich aller Zwillinge
b) Repräsentativität für andere Populationen als Zwillingspopulationen
→ Zwillinge unterscheiden sich in ihrer pränatalen Entwicklung und
Sozialisation von anderen Personen und das Zusammenleben der Zwillinge
schafft eine besondere Erziehungs- und Sozialisationssituation
3.3 Adoptivstudien
In Adoptivstudien werden systematisch die primären Umgebungsfaktoren
variiert. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Auswahl der Adoptiveltern zufällig und
unabhängig vom sozialen und Erkrankungsstatus der biologischen Eltern erfolgt
Forschungsstrategien für Adoptivstudien
(1) Prävalenzrate einer Erkrankung wird über Kinder verglichen, die entweder von
einem Merkmalsträger wegadoptiert wurden oder von gesunden Eltern
wegadoptiert wurden.
Prävalenzunterschied wird als genetisch betrachtet.
(2) Prävalenz der Erkrankung kann über die biologischen Eltern von erkrankten
oder gesunden Personen verglichen werden.
Prävalenzunterschied wird als genetisch betrachtet.
(3) Erkrankungsprävalenzen können zwischen wegadoptierten (leben in einem
Haushalt mit gesunden Eltern) und nicht wegadoptierten Geschwister
verglichen werden.
Prävalenzunterschied wird als umweltbedingt betrachtet.
70
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 71
Aussagekraft von Adoptivstudien ist begrenzt, da:
(1) Selective Placement
Bei Adoptionen wird oft die soziale Schicht der biologischen Eltern ausgewählt.
(2) Zeitpunkt der Adoption
Viele Adoptionen erfolgen erst, wenn das Kind eine Zeit lang bei den Eltern gelebt
hat; dass verletzt jedoch die Unabhängigkeitsvorrausetzungen der Adoptivstudien
(3) Adoption als kritisches Lebensereignis
Die Adoption und die vorhergehenden (zur Adoption führenden) Ereignisse stellt ein
kritisches Lebensereignis da, was eine psychische Störung auslösen kann. Ist das der
Fall, geht die Repräsentativität für gleiche Störungen verloren.
3.6 Tierstudien
Aufgrund übergreifender genetischer Isomorphien, lassen sich von Tierstudien
hypothetische Rückschlüsse auf den Menschen machen.
14. Psychologische Faktoren:
Einflüsse der Sozialisation
1. Einleitung
Die Psychoanalyse und die Bindungstheorie sehen die Auslöser für psychische
Störungen in der frühen Kindheit, nur der lerntheoretische Ansatz sieht mögliche
Einflüsse über das ganze Leben verteilt. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben
bildet eine Klammer für die verschiedenen Sozialisationsmodelle.
2.
Soziale
Einflüsse
als
Störungselemente
von
Entwicklungsverläufen: Das Konzept der Entwicklungsaufgaben
Der psychoanalytische und der bindungstheoretische Ansatz thematisieren soziale
Störungsbedingungen explizit unter der Entwicklungsperspektive und die Anfänge
psychischer Störungen als Adaptationsprobleme. Entwicklung ist dabei als lebenslange
Sequenz von Readaptations- oder Entwicklungsaufgaben zu verstehen.
Was sind Entwicklungsaufgaben?
71
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 72
Entwicklungsaufgaben sind Aufgaben, die der Organismus bzw. die Person in einer
bestimmten Lebensphase bewältigen muss.
Diese Entwicklungsaufgaben können
a) Sozial
b) Biologisch
c) Kulturell
d) Innerhalb der Person
bedingt sein
2.1 Biologische Entwicklungsaufgaben
Sie werden als entwicklungsbedingte Disequilibria, die durch die biologische Reifung
bedingt sind, verstanden (z.B.: Pubertät, sexuelle Reifung).
2.2 Soziale oder kulturelle Entwicklungsaufgaben
Das sind Entwicklungsaufgaben, die von der sozialen Umwelt oder dem kulturellen
System an bestimmte Lebensperioden der Person gestellt werden (z.B.: Reinlichkeit
oder Einschulung).
2.3. Selbstbedingte Entwicklungsaufgaben
Selbstbedingte Entwicklungsaufgaben sind Ziele die sich die Person für diesen
Lebensabschnitt gesteckt hat.
Des Weiteren kann man auch zwischen normativen und nicht normativen
unterscheiden
(Unterscheidungskriterium:
soziale
und/oder
biologische
Altersnormierung).
Mit den Entwicklungsaufgaben überlappt sich teilweise das Konzept der „kritischen
Lebensereignisse“, welche eine nachhaltige soziale Anpassung erfordern und so die
psychischen Ressourcen der Person stark beanspruchen.
Es werden auch Familienentwicklungsaufgaben unterschieden, die auf die
Anforderungen an eine Familie eingehen (z.B.: erstes Kind, Austritt der Kinder aus der
Familie).
72
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 73
Das Konzept der Entwicklungsaufgaben sieht die Grundlage für die Anbahnung einer
psychischen Störung in einer unangemessenen Bewältigung einer Entwicklungsaufgabe.
3. Störungen als Folge einer unbewältigten Triebgeschichte: Das
psychoanalytische Modell
3.1 Allgemeine psychoanalytische Hypothesen zur Entstehung von Neurosen
Die Psychoanalyse siedelt die Auslöser für psychische Störungen in der frühen
Kindheit an. Unterscheidung zwischen allgemeinem und speziellem Krankheitsmodell.
 Allgemeine Krankheitsmodell
Konstitution (Genetik)  Trauma in der frühern Kindheit  Latenz  Ausbruch
der Störung durch neue Aktualisierung des Traumakonfliktes
 Spezielles Krankheitsmodell
Anwendung des allgemeinen auf spezielle Störung (was für Menschen, wann
Trauma, etc.)
Ursprünglich war der Begriff der Abwehr negativ behaftet, mittlerweile wird er neutral
gesehen, krankhaft wird sie erst wenn sie nicht situationsadäquat ist. Ähnliches gilt für
den Begriff des Coping, der mittlerweile nicht mehr rein positiv gesehen wird, da ein
Bewältigungsversuch auch scheitern kann.
Ihren großen Vorteil hat die Psychoanalyse immer in der (angeblichen) Bekämpfung
der Ursache/Krankheit an sich gesehen, und nicht (wie sie es der Verhaltenstherapie
vorwirft) in der reinen Symptombekämpfung.
Symptomverschiebung
Wenn ich nur Symptome bekämpfe, aber nicht die Krankheit, verschwindet das
Symptom (Bettnässen) zwar, aber es tritt nach einiger Zeit ein anderes Symptom
(Daumenlutschen) der Krankheit (in diesem Fall: Aufmerksamkeit erregen) auf.
Symptome haben laut Psychoanalyse zwei Funktionen
 Primär
Kompromissbildung zwischen Triebbefriedigung und realistischem Verhalten
 Sekundär
zusätzlicher Gewinn zur Ersatzbefriedigung  massive Zuwendung etc.
73
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 74
3.2 Neuere Ansätze: emotionale Entwicklung und psychische Störungen
Innerhalb der Psychoanalyse wurde die psychosexuelle Entwicklung zu Gunsten einer
emotionalen Theorie erweitert, die dabei von der Entwicklung menschlicher
Grundbedürfnisse ausgeht.
menschliche Grundbedürfnisse
a) Sicherheitsbedürfnis
b) Autonomiebedürfnis
c) Sexuelle Bedürfnisse
d) Aggressive Bedürfnisse
e) Narzisstische Bedürfnisse
Diese Bedürfnisse werden mit verschiedenen Entwicklungsphasen in Verbindung
gebracht, die die Psychoanalyse wiederum mit der Ätiologie verknüpfte:
(1) Orale Phase
Das Erlebnis der Abhängigkeit wird als das prägende emotionale Ereignis der
frühen Kindheit angesehen. Aufgrund dessen haben die Kinder ein hohes
Sicherheitsbedürfnis, dem mit der Bereitstellung einer sicheren Umwelt Rechnung
getragen werden sollte. Ist dies nicht der Fall impliziert das psychische Störungen
(vgl. Bindungstheorie von Bowlby).
→ Bei traumatischer Erfahrung in dieser Phase entwickeln die Personen später
Depression und Schizophrenie
(2) Anale Phase
Hier spielen laut Psychoanalyse Autonomie- & Aggressionsbedürfnisse eine
wichtige Rolle für die Entwicklung.
→ Zwangsstörungen
(3) Phallische Phase
In der Neo- Psychoanalyse steht in dieser Phase die Bedrohung der körperlichen
Integrität im Mittelpunkt. Die Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen
Elternteil stellt eine Geschlechterrollenübernahme dar, die sich im Rahmen der
Triade bewegt. In diesem Prozess sind neben der Sicherheit auch Rivalität und
Schuldgefühle ein Thema.
→Angststörungen
74
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 75
3.3 Empirische Studien zu psychoanalytischen Hypothesen
Die meisten Hypothesen konnten der empirischen Überprüfung nicht standhalten.
Auch die störungstypischen Ursachen in den verschiedenen psychosexuellen
Stadien stellen keine Prädiktoren für spätere „Neurosen“ oder psychotische
Störungen dar – Schicksal der frühkindlichen Sexualität ist nicht der
entscheidende, differentielle Faktor für spätere Störungen.
4. Störungen als Folge der Deprivation: Das bindungstheoretische
Modell
2 wichtige Änderungen gegenüber der Psychoanalyse
1. Interaktivität: die betroffene Person ist nicht mehr allein in die Entwicklung
einer Störung verwickelt
2. Dominanz der Sexualität ist nicht mehr gegeben
4.1 Aufbau von Bindung als Entwicklungsaufgabe
→ Bindung als eigenes Verhaltenssystem mit eigener Funktion und Organisation
Bindungsverhalten = Jedes Verhalten, das geeignet ist, Nähe und das Pflegeverhalten
zu organisieren
Schon Säuglinge können durch lächeln oder weinen das Pflegeverhalten der Mutter
aktivieren. Bindungsverhalten ist universell und tritt besonders häufig und
regelmäßig bis zum 3ten Lebensjahr auf. Als angstprotektiven Faktor nimmt man die
Erwartung an, dass die Bindungsperson in gefährlichen Situationen da ist.
Sobald das Kind eine Sicherheitsgrundlage erworben hat, beginnt es die Umgebung zu
explorieren (diese beiden „Systeme“ interagieren miteinander).
Besonders wichtig ist das 5 – 6 Lebensjahr, da hier laut Bowlby Aufbau der Bindung
und erste Exploration wichtige Entwicklungsaufgaben sind.
3 Typen von aufeinander aufbauenden Entwicklungsaufgaben
Reproduktionsverhalten
Explorationsverhalten
75
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 76
Bindungsverhalten
verschiedene Bindungstypen
(1) Sicher
 zeigt bei Trennung dass es die Eltern vermisst und schreit bei der 2ten
Trennung
 Nach der Reunion spielt es wieder
(2) Unsicher – vermeidend
 schreit nicht bei der Trennung und fokussiert die Aufmerksamkeit auf die
Umgebung oder Spielsachen
 vermeidet oder ignoriert aktiv die Eltern bei der Reunion
 sträubt sich beim in die Arme nehmen,
 emotionslos
(3) Unsicher – ambivalent
 zeigt Kummer, verhält sich aber ambivalent: sucht einerseits den Elternteil,
andererseits ist es passiv oder widerspenstig bei der Reunion
 konzentriert sich weinend auf einen Elternteil
(4) Desorientiert – desorganisiert
 unordentliches bzw. orientierungsloses Verhalten bei Elternanwesenheit
 keine eindeutige Zuordnung möglich
4.2 Hypothesen über bindungshemmende Faktoren und die Folgen der
Deprivation
Deprivation = Ein Kind kann nicht Wärme, Intimität & eine kontinuierliche
Beziehung erhalten
Dabei wird der pathogene Effekt der Deprivation durch folgende Faktoren mit
bestimmt:
(1) Deprivationsausmaß
(2) Deprivationsgeschichte
76
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 77
(3) Der Deprivation nachfolgende Bedingungen
Eine typische Reaktion von 6 Monate alten Babys bei der Trennung von der Mutter ist
zunächst das Protestverhalten, das von der Kummerreaktion gefolgt wird. Sind
diese Reaktionen erfolglos schwächen sie ab und treten dann periodisch wieder auf –
dies entspricht einem emotionalen Rückzug (gleicht dem depressiven Verhalten).
Bowlby macht aufgrund besonderer Merkmale der Bindungs- bzw.
Trennungserfahrung Aussagen über differentielle Effekte hinsichtlich der
Entstehung spezifischer Störungen:
 Entstehung von phobischen Störungen und Angststörungen
Das Erlebnis des bedrohenden Verlustes disponiert zur Angst. Bei einem als
unsicher erlebten Bindungsverhalten, bei drohender Trennung oder einer gestörten
Interaktion mit der Bindungsfigur können Neigungen zu Phobien entstehen.
 Entstehung von Depression
Bei der Depression erfolgte eine partielle oder weitgehende Inaktivierung des
Bindungsverhaltens aufgrund eines tatsächlich eingetretenen Trennungs- bzw.
Verlusterlebnisses. Vorbereitet wird diese Inaktivierung durch starke
Deprivationserfahrungen (besonders durch lang andauernde Trennungserlebnisse
unter ungünstigen Umständen).
4.3 Empirische Studien zu bindungstheoretischen Konzepten
Empirische Fundierung ist vorhanden, doch ein Makel ist die wenig gesicherte
Reliabilität der Klassifikation der Bindungsmerkmale.
4.3.1 Studien zu den Folgen von quantitativ ungenügender Interaktion
Betroffen von einer quantitativ ungenügenden Interaktion sind
a) Kinder mit einer nicht ausreichend vorhandenen Bindungsfigur,
b)
In
Heimen
untergebrachte
Kinder,
die
über
quantitativ
ungenügende
Interaktionsangebote verfügen.
c) als Extremvariante: Kinder die von einer Untersorgung und Vernachlässigung
betroffen sind
Im Falle einer Vernachlässigung liegt neben der quantitativ unzureichenden
Interaktion auch eine unzureichende qualitative Beziehung vor. Dies hat ein Defizit in
der sozialen, körperlichen und kognitiven Entwicklung zur Folge.
Was ist mit berufstätigen Müttern?
77
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 78
Die Folgen der Berufstätigkeit hängen u.a. von der Qualität der Betreuung,, der
Bedeutung des Berufes für die Zufriedenheit der Mutter, dem ökonomischen Status der
Familie und anderen Faktoren ab. Weitgehen kann die These einer quantitativ
unzureichenden Interaktion durch Berufstätigkeit nicht aufrechterhalten werden.
4.3.2 Studien zu den Folgen von qualitativ gestörter Interaktion
Eine qualitativ gestörte Interaktion erleben Kinder die
a) abgelehnt werden
b) ambivalente Zuwendung erleben
c) Objekte der Angst der Eltern sind
Forschungsergebnisse konnten zeigen, dass zerrüttete Familienverhältnisse oder
ungünstige Pflegeverhältnisse die Entwicklung von psychischen Störungen
begünstigen.
Der folgenreichste Ausdruck einer gestörten Interaktion ist die physische, psychische
und sexuelle Kindesmisshandlung. Schädigende Folgen beruhen hier weitgehend auf
einem andauernden misshandelnden Milieu, als auf einzelnen Tätigkeiten.
Unmittelbare Folgen bei sexueller Kindesmisshandlung
(1) Emotionale Reaktionen
(2) somatische Beschwerden
(3) gestörtes Sozialverhalten
(4) gestörtes Sexualverhalten
Langzeitfolgen bei sexueller Kindesmisshandlung
(1) häufiger Typ A Bindungen (unsicher – vermeidend)
(2) über 80 % gehören zum Typ D (Desorientiert – desorganisiert)
(3) Depression
(4) Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls
(5) Verhaltensstörungen & Störung des Sexualverhaltens - & Erlebens
4.3.2 Studien zu den Folgen von Trennungserlebnissen (Diskontinuität der
Interaktion)
Diskontinuität = alle Arten von vorübergehenden kürzeren oder längeren sowie
78
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 79
dauerhaften Trennungen
4.3.2.1 Scheidung
In unserer Kultur ist die Scheidung ein weit verbreitetes Trennungserlebnis, das für
Eltern sowie Kind eine vorübergehende starke Belastung ist, welche als kritisches
Lebensereignis einen hohen Adaptionsaufwand erfordert. Kinder können darauf mit
Störungen (Lernstörungen, Schulangst etc.) reagieren, was sich auch in der
Adoleszenz bemerkbar machen kann. Die Folgen einer Scheidung werden dabei stark
durch das Familienklima vor und den Lebensverhältnissen nach der Scheidung
beeinflusst.
4.3.2.2 Adoption
Adoptivkinder zeigen signifikant stärkere Anpassungsprobleme als Nichtadoptierte
Kinder. Das muss aber nicht aufgrund der Adoption der Fall sein, sondern kann auch
mit den adoptionsspezifischen Entwicklungsaufgaben zusammenhängen.
4.3.3.3 Langzeiteffekte
Langzeiteffekte der Trennung äußern sich unter anderem in Depression. So haben
Frauen die ihre Mutter vor dem 11ten Lebensjahr verloren haben, ein doppelt so hohes
Risiko an Depression zu erkranken.
Abschließend ist zu sagen, dass bezüglich Trennung und Entstehung psychischer
Störungen auch das Wechselspiel zwischen Vulnerabilisierenden & Protektiven
Faktoren beachtet werden muss.
Kurzfristige Trennungen haben keine Störungen zur Folge.
5. Störungen als Folge der Lerngeschichte: Lerntheoretische
Modelle
Lernpsychologische Ansätze thematisieren hauptsächlich psychologische Lernprozesse, die in verschiedenen Entwicklungsphasen für den Erwerb von psychischen
Störungen bedeutsam sind. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei soziale und
andere Umwelteinflüsse und deren Einfluss auf Verhaltensmerkmale und Störungen –
dabei wird davon ausgegangen, dass der Mensch in jedem Lebensalter durch
entsprechende Umwelteinflüsse Störungen entwickeln kann.
Lerntheorie und „experimentelle Neurosenforschung“ akzentuieren 3 Typen von
Lernbedingungen, die die Entstehung von Störungen fördern:
79
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 80
(1) Fehlangepasstes Verhalten als Folge von Konditionierungsprozessen
z.B.: Hochgeneralisierte Hundephobie aufgrund eines Bisses.
Hier wurde der Erwerb des fehlangepassten Verhaltens optimal begünstigt.
(2) Fehlangepasstes und desorganisiertes Verhalten als Folge der maximalen
Störung von Konditionierungsprozessen
Ist die Orientierung für den Organismus unmöglich oder ist die
Verarbeitungskapazität durch Überreizung überlastet, wird eine adaptive
Verhaltensleistung unmöglich - Das hat eine Störung zur Folge
(3) Kognitive Faktoren, die das Lernen von Störungen beeinflussen
5.1 Störungen als Folge von Konditionierungsprozessen
Eysenck systematisierte Störungen nach Art der Lernprozesse:
(1) Störungen der ersten Art
(Charakterisiert durch vorausgegangene klassische Konditionierungsprozesse)
→ dysthymische Störungen (phobische Störungen,
Zwangsstörungen und gewisse depressive Störungen)
Angststörungen.
(2) Störungen der zweiten Art
(Mangel an adäquaten Reaktionen, was eine Unteranpassung der Person an die
soziale Umwelt zur Folge hat)
→Psychopathien und alle Störungen, die durch operante Konditionierung
aufrechterhalten werden.
Durch den Selektionsdruck bestimmter Spezies bilden sich biologisch – evolutionär
„vorbereitete“ Stimulusklassen (Spinnen, Höhlen, enge Räume etc.) was zur Ausbildung konditionierter Angstreaktionen führen kann.
Charakteristika dieser konditionierten Angstreaktionen
(1) Rasche Aneignung, oft schon nach der ersten Konfrontation
(2) hohe Extinktionsresistenz
(3) als primitive, non – kognitive Lernform interpretiert, daher durch kognitive
Instruktionen wenig beeinflussbar
80
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 81
5.1.2 Operante Konditionierung
5.1.2.1 Verstärkerverlust
Das Paradigma der operanten Konditionierung liefert sehr fruchtbare Hypothesen zur
Erklärung der Depressionsentstehung.
Depressives Verhalten unterscheidet sich von non – depressiven Verhalten durch:
a) unterschiedliche Häufigkeit des Sozial – Berufs – und Freizeitverhaltens, wo
deutliche Verhaltensdefizite vorhanden sind
b) äußerlich durch Beschwerden und bei Meide - & Fluchtverhalten findet man
Verhaltensexzesse
Diesen eher quantitativen Verlust erklärt Fenster wie folgt:
(1) die eingeschränkte Wahrnehmung von sich selbst und der Umgebung, reduziert
die Empfänglichkeit für Verstärker
(2) eingeschränktes soziales Verhaltensrepertoire (aufgrund der Lerngeschichte),
macht die Person vulnerabel für Depression, da es den Zugang zu sozialen
Verstärkern hemmt
(3) Plötzlicher Verstärkerverlust durch Änderung in der Umwelt (Trennung, Tod
etc.)
Dadurch entwickelt sich eine negative Verstärkerspirale:
Die Person zeigt weniger instrumentelles Verhalten, dadurch bekommt sie weniger
Verstärker, was wiederum als unerwünschtes Verhalten ausgelegt wird.
Durch den Wegfall der sozialen Verstärker kommt es zur Löschung der
Selbstverstärkung, was wiederum das positive Selbstbild der Person beeinträchtigt.
Durch das Trennungserlebnis fallen auch aktivitätsfördernde Hinweisreize weg, die die
Aktivität mindern.
5.1.2.2 Bestrafung in der Erziehung
Einen weiteren relevanten Risikofaktor stellt das Erleben massiver und/oder
inkonsistenter und unvorhersehbarer Bestrafung dar. Ein weiterer Punkt ist, dass
Strafreize an sich schädigende Folgen haben können, deswegen lernen bestrafte
Kinder oft nicht unerwünschtes Verhalten zu hemmen, sondern werden zu
Ängstlichkeit, Unsicherheit und oft auch zu Aggression disponiert.
5.2 Verhaltensdesorganisation als Folge von Störungen des Konditionierungsprozesses
81
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 82
Lernbedingungen, die den Konditionierungsprozess in maximaler Weise stören, sind
von den vorhergehenden Bedingungen klar zu unterscheiden.
Lernbedingungen, die den Konditionierungsprozess in maximaler Weise stören, wurde
in der Pawlow – Schule besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wobei neurotische
Störungen als Folge
(1) Einer zu starken Erregung
(2) Einer zu starken Hemmung
(3) Eines Konfliktes zwischen Erregungs - & Hemmungsprozessen
interpretiert wurde, was zu einem Versagen des Nervensystems und einer
Verhaltensdesorganisation führt. Individuelle Unterschiede werden hierbei auf
unterschiedliche genetische Konstitutionen zurückgeführt. In allen Fällen wird
adaptives Verhalten
gestört oder verunmöglicht; neue konditionierte Reaktionen nicht mehr erlernt und
bereits gelernte werden gelöscht.
Zu starke Reizung  bei hoher Reizintensität & zu starker Komplexität
Zu starke Hemmung  zu stark erschwerte Wahrnehmungsdiskrimination
5.3 Störungen als Folge von kognitiven Lernprozessen
Negative Attributionstendenzen sind oft mit Depression gekoppelt.
Aus der Sozialisationsperspektive interessiert, wie solche dysfunktionalen
Attributionstendenzen in Abhängigkeit von sozialen Faktoren erlernt werden.
Der depressionsfördernde Attributionsstil wird auch durch ungenügende Kontrollerfahrungen
in
der
Lerngeschichte
vermittelt,
was
zu
externalen
Kontrollüberzeugungen (es werden externe Faktoren, die nicht beeinflussbar sind,
angenommen) und den entsprechenden Kausalattributionstendenzen führt.
→ erlernte Hilflosigkeit
Es werden bezüglich der möglichen Kausalbeziehungen zwischen
Attributionen und depressiven Störungen verschiedene Modellvarianten
angenommen:
(1) Das Symptom – Modell
Dysfunktionale Attributionen werden als Bestandteil und nicht als Auslöser des
depressiven Syndroms begriffen.
82
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 83
(2) Das Auslöser – Modell
Dysfunktionale Attributionen werden als Folge eines negativen Ereignisses
gesehen, die dann zu einer depressiven Störung führen
(3) Das Diathese – Stress – Modell
Hier wird von einem stabilen dysfunktionalen Attributionsstil ausgegangen, der
einen Vulnerabilitätsfaktor darstellt
(4) Das Modell der Aufrechterhaltung
Dysfunktionale Attributionen sind nicht die Auslöser, sondern haben eine
aufrechterhaltende Wirkung
(5) Das Coping – Modell
Dysfunktionale Attributionen sind
depressiven Störungen verknüpft
mit einer niedrigen Resistenz gegenüber
5.3.1 Modelllernen
 Ängstliche Mütter geben ihre Angst über Modelllernen an das Kind weiter.
 Trait – Angst der Kinder korreliert signifikant mit der der Eltern
 Die klinisch – psychologische Relevanz des Modelllernens zeigt sich auch im
„Werther – Effekt“ – im ZDF wurde der Suizid eines Studenten ausgestrahlt,
dadurch stieg die Suizid Frequenz deutlich an.
6. Gestörte Entwicklung –Entwicklung von Störungen
Damit eine Störung durch eine gestörte Entwicklung entsteht, spielen verschiedene
protektive und vulnerabilisierende Faktorenbündel eine Rolle.
Pathogene Faktoren
(1) Angeborene und erlernte interindividuelle Unterschiede bezüglich der
Vulnerabilität
(2) Geschlechtsspezifische Unterschiede (Männer bewältigen Partnertrennungen
schwerer; Frauen leiden deutlich öfter an Depressionen)
(3) belastende negative Lebensereignisse (teilweise kulturell standardisiert)
(4) chronische negative soziale Einflüsse (teilweise kulturell standardisiert)
Protektive Faktoren
(1) internale Kontrollüberzeugung
(2) Copingstrategien
83
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 84
(3) Berufliche und soziale Kompetenz
15. Sozialpsychologische Aspekte
1. Einführung
Sozialpsychologische Prozesse tragen zur Entstehung bzw. Aufrechterhaltung von
psychischen und körperlichen Störungen bei. Die Sozialpsychologie hat diesbezüglich
Modelle entwickelt, die sich auf
 soziales Verhalten und soziale Interaktion
 soziale Kognition
(Wissen, Gedanken und Vermutungen über Ereignisse in unserer Umwelt)
beziehen.
Obwohl die Sozialpsychologie über durchaus attraktive Modelle verfügt, für die
Plausibilität und klinische Evidenz spricht, steht sie vor dem Dilemma, dass dies
schwer empirisch oder experimentell nachweisbar ist.
Weitere Schwierigkeiten:
 bei Störungen wirken gleichzeitig mehrere Faktoren hemmend oder fördernd
 sozialpsychologische Faktoren lassen sich nur schwer isolieren
 auch gut fundierte sozialpsychologische Theorien weisen bei kritischer
Betrachtung erhebliche Mängel auf
1.1 Sozialpsychologische Wirkfaktoren
Trotz alledem liefert die Sozialpsychologie einen wichtigen Fundus für die Klinische
Psychologie. Dabei stehen folgende sozialpsychologische Wirkfaktoren mit der
psychischen (Persönlichkeitsmerkmale) und körperlichen Ausstattung (spezifische
körperliche Vulnerabilität/Resilienz) des Individuums in Interaktion:
1. Soziales Verhalten
84
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 85
a)Interaktion & Kommunikation
b) Ausdruck von Emotionen
c) Soziale Kompetenz
d) Bindung & Unterstützung
2. Soziale Kognition
a) Soziale Wahrnehmung
b) Attribution
c) Erwartungen
3. Soziale Bedingungen
a) Rollen
b) Status
c) Lebensbedingungen
d) kulturelle Einflüsse
1.2 Ebenen der Einwirkung sozialpsychologischer Wirkfaktoren
Des Weiteren lassen sich verschiedene Ebenen der Einwirkung dieser
sozialpsychologischen Faktoren auf psychische oder körperliche Störungen bzw.
Erkrankungen annehmen:
1. die direkte Einwirkung
z.B.: Einfluss sozialer Isolation auf das Verhalten (vgl. René Spitz)
2. die indirekte Einwirkung
z.B.: Die Arbeitssituation, die als psychologische Reaktion Stress erzeugt und
somit indirekte körperliche Symptome bedingt.
3. Moderator – Variablen
z.B.: S – O – R Schema, hier ist der Organismus (O) die Moderator Variable
4. Zusatzbedingungen
z.B.: Die familiäre Interaktion bei bestehender Vulnerabilität, die einen
Rückfall der Schizophrenie bewirkt.
85
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 86
5. aufrechterhaltende Bedingung
z.B.: mangelnde soziale Kompetenz die verhindert das eine depressive Person
neue Kontakte knüpft
6. Wechselwirkung
Eine Wechselwirkung zwischen organischen oder psychologischen Defiziten,
die zur Manifestation psychischer oder körperlicher Störungen führt.
1.3 Ursache - Wirkung
Bei jedem Zusammenhang zwischen sozialpsychologischen Wirkfaktoren und
psychischen oder körperlichen Störungen, ist sehr kritisch die Ursache – Wirkungs –
Frage zu klären.
z.B.: verändertes Kommunikationsverhalten
Ein verändertes Kommunikationsverhalten kann
a) Folge einer depressiven Störung sein
b) Ausdruck der depressiven Störung sein
c) aufgrund negativer Erfahrungen mit Personen während dieser Störung zustande
kommen
Don`t forget:
Korrelationen sagen nichts über das Ursache – Wirkungsverhältnis aus!!
1.4 Spezifische vs. Allgemeine Wirksamkeit
Spezifische Modelle sind eher selten. Es werden eher allgemeine Modelle wie
Attributionstheorien genützt. Sozialpsychologische Prozesse sind meist nicht die
alleinige Ursache für Störungen, sondern eine Wirkkomponente.
2. Soziales Verhalten und Interaktion
Zahlreiche Störungen, vor allem psychische Störungen, sind am veränderten
Sozialverhalten erkennbar.
Störungen der Kommunikation spielen in unterschiedlicher Weise für klinisch
relevante Symptome/Syndrome eine Rolle:
86
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 87
(1) Sie treten als Symptom oder als Teil eines Syndroms in Erscheinung (z.B.:
Stottern)
(2) Sie sind die Ursache für andere Symptome
(3) Sie sind Begleiterscheinungen, Ausdruck oder Folge anderer Störungen
Eine eindeutige Differenzierung ist aber nicht möglich, denn so kann das nonverbale
Verhalten der depressiven Person andere zu vermehrter Zuneigung veranlassen oder
einen Rückzug bewirken. Dies hat wiederum Einfluss auf die depressive Symptomatik.
Ursache und Wirkung stehen also in einem Wechselspiel zueinander.
2.1 Instrumentalität des Verhaltens
Instrumentalität des Verhaltens = ich bewirke mit meinem Verhalten eine gewisse
Verhaltensweise einer/mehrerer Person(en).
z.B.: Depressives Verhalten
Zuerst ruft das depressive Verhalten positive Reaktionen hervor – es erfolgt vermehrte
Zuwendung. Das führt aber zu keiner Reziprozität, da das Verhalten des/der
Depressiven nur vom eigenen, internalen Zustand moderiert wird. Das löst einen
Rückzug des Sozialpartners aus, was durch die depressive Person nicht flexibel
beantwortet/aufgehalten werden kann. Wie man sieht, trägt die spezifische Art der
Interaktion, sprich die fehlende Reziprozität zu einer Ausbildung depressiven
Verhaltens und später zu dessen Aufrechterhaltung bei.
2.2 Ökonomische Modelle der Interaktion
„Motto“ dieser Modelle: „Ich gebe dir was, wenn und damit du mir was gibst“ - Der
Mensch wird also als ökonomisch denkendes Wesen dargestellt (homo oeconomicus).
Im Sinne der Austauscht – Theorien, wird davon ausgegangen, dass Individuen im
Rahmen ihres sozialen Verhaltens danach streben, den eigenen Nutzen zu maximieren.
Die Individuen gehen also nach dem Maximierungsprinzip vor, sprich möglichst
hohe Belohnung für möglichst wenig Aufwand. Dabei kommt innerhalb von sozialen
Beziehungen die Reziprozität ins Spiel (Ich belohne dich, wenn du mich belohnst;
Wie du mir, so Ich dir ).
z.B.: depressives Verhalten
Da das Individuum zu wenig Feedback gibt, erhält es auch wenig Feedback.
Aus beiden Modellen (Ökonomisches und Verhaltensinstrumentelles) folgt:
 eine Zielgerichtetheit des Verhaltens
87
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 88
 eine Störung ist kein isoliertes Ereignis oder ein zeitlich stabiler Zustand,
sonder entwickelt sich. Diese Entwicklung ist in einem Zeitablauf sozialer
Interaktion eingebettet.
 Diese Modelle folgen nicht einem Ursache – Wirkungsschema (hier Ursache,
da Wirkung), sondern sehen im Ablauf verschiedene Komponenten der
Störung, die wiederum die Interaktion moderieren
2.3 Soziale Kompetenz
 Modelle der sozialen Kompetenz beziehen sich auf angemessenes und
effektives Sozialverhalten und sind anwendungsorientiert.
Soziale Kompetenz = Leistung der psychischen Funktionen inklusive des verbalen
und nonverbalen Verhaltens in Bezug auf soziale Situationen
Soziale Kompetenz wird oft mit motorischen Fähigkeiten verglichen
1. Motivation
(Pläne und Ziele)
4. Wahrnehmung
(Ist – Soll – Vergleich)
Übersetzung
3. Es werden
Veränderungen in der
Umwelt bewirkt
2. Motorische Reaktionen
(soziale Fertigkeiten)
Durch den Ist – Soll – Vergleich, werden Modifikationen in der Übersetzung oder in
der Motivation durchgeführt. Dabei können Störungen auf verschiedenen Ebenen
vorkommen und somit Störungen auf anderen Ebenen verursachen.
Das Bewältigen von sozialen Situationen fordert spezifische Fähigkeiten
a) Kontakt zu Beginn des Gespräches herstellen
b) Zuhören und Feedback geben
88
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 89
c) Eingehen auf den anderen mit Signalen zum Weiterführen der Äußerung oder
zum Sprecherwechsel
d) Grüßen & Verabschieden
e) Äußern von Einstellungen
Alles das ist bei Personen mit psychischen Störungen (Schizophrene, Depressive und
bei verschiedenen neurotischen Störungen) nur mangelhaft vorhanden.
2.4 Kommunikation von Emotionen
1. Kontrolle des emotionalen Ausdrucks
Eine starke Kontrolle des emotionalen Ausdrucks geht mit verstärkter Aktivierung
physiologischer Prozesse einher, was bei einer Chronifizierung zu somatischen
Erkrankungen führen könnte.
2. Wirkung von emotionaler Kommunikation
Welche Auswirkungen haben emotionale Mitteilungen auf einen Erkrankten?
Hierzu gibt es 2 Theorien
a) die Doppel – Bindungs – Theorie (double bind theory)
In schizophrenen Familien treten häufig Situationen auf, in denen auf der Inhaltsebene
und der Beziehungsebene inkonsistente Botschaften gesendet werden (ist aber
empirisch nicht eindeutig bewiesen)
b) das Konzept der ausgedrückten Emotionen (expressed emotions/EE)
Sie wollen nicht die Ursache der Schizophrenie erklären, sondern einen Rückfall
vorhersagen, expressed emotions bedeutet dabei, dass sich die Angehörigen negativ
über den Patienten äußern. Hierbei wird aber nicht erfasst, ob Angehörige sich direkt
gegenüber dem Patienten negativ äußern, sondern wie häufig ein Angehöriger über
den Patienten „kritische Kommentare“, „feindselige Äußerungen“ und „emotionale
Überbeteiligung“ (emotional overinvolment) äußert. Dies geschieht nur gegenüber
dem Interviewer, welcher nur den Sprechinhalt und die Stimmlage berücksichtigt.
Bei > 6 negativen Äußerungen wird die Person als High EE eingestuft, was bei nicht
Einhaltung der Medikamentation, mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schizophrenen
Rückfall zur Folge hat.
Die Ergebnisse sprechen hierbei für diese Theorie und lassen sich auch auf depressive
Personen anwenden.
Beiden Ansätzen ist gemein, dass negative emotionale Mitteilungen der Angehörigen
zu Schizophrenie oder zu einem Rückfall nachvorhergehender Schizophreniee führen
können.
89
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 90
3. Soziale Kognition
Soziale Kognition = Denkinhalte, die sich auf soziale Gegebenheiten beziehen bzw.
durch soziale Einflüsse verändert werden.
In der Sozialpsychologie werden darunter soziale Wahrnehmung, Einstellungen und
Werthaltungen sowie Attribution subsumiert.
Wesentliche Kennzeichen der sozialen Wahrnehmung sind die Selektion (Auswahl
der Sinnesreize) und die Inferenz (Schlussfolgerung, aufgrund von beobachteten
Verhalten).
3.1 Labeling - Etikettierung
Ist die Selektivität unserer Wahrnehmung dafür verantwortlich, dass wir Verhalten als
gestört oder abweichend ansehen?
Nach der Labeling Theorie kann ein erheblicher Teil der Krankheiten auf eine
gesellschaftliche Etikettierung des Individuums zurückgeführt werden. So ist der
Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt nach diesem Ansatz mit einer
Stigmatisierung verbunden, die zu einer Verfestigung der Abweichung führt bzw. für
den größten Teil des abweichenden Verhaltens verantwortlich ist.
Der Labeling Ansatz stützt sich weitgehend auf Szasz, der das rein medizinische
Krankheitsmodell der Psychiatrie kritisiert. Nach Szasz ist die Normalität des
Verhaltens nicht durch einen medizinisch – physiologischen Zustand, sondern durch
psychosoziale, ethische Normen definiert. Demnach sind psychische Störungen, nicht
als Krankheiten, sondern als Lebensprobleme zu sehen. Abnormitäten interpretiert
Szasz als fehlgeschlagenes Anpassungsverhalten an die Gesellschaft.
Labeling – Theoretiker unterscheiden zwischen primärer und sekundärer Devianz (=
Etikett der Abweichung):
Primäre Devianz führt dazu, dass die Gesellschaft das Individuum mit einem Etikett
versieht.
Sekundäre Devianz wird durch die abweichende Rolle hervorgerufen, die das
Individuum laut Gesellschaft zu spielen hat.
90
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 91
Der Labeling Ansatz bietet aber keine Erklärung für das Zustandekommen von
abweichendem Verhalten.
3.1.1 Rosenthal - Effekt
Rosenthal ließ 8 Pseudopatienten mit „Stimmen hören“ als Symptom in 12
Psychiatrischen Kliniken einweisen. Die Diagnose war in 11 Fällen Schizophrenie.
Was führte dazu?
Rosenthal nimmt an, dass Kliniken Situationen generieren, in welchen Verhalten nur
zu leicht als fehlerhaft interpretiert werden kann.
Rosenthal kommt zum Schluss, dass man nicht zwischen Krank und Gesund
differenzieren kann.
In weiteren Untersuchungen wurde in Kliniken angekündigt, das hier Pseudopatienten
eingeschleust wurden, wobei in den Kliniken 10% Pseudopatienten entdeckt wurden –
nur: es gab keine Pseudopatienten   
3.1.2 Kritische Betrachtungen bezüglich der Labeling Theorien
 Empirische Untersuchungen konnten die starken kausalen Effekte bei der
Entstehung der Devianz nicht eindeutig belegen
 Diese Effekte lassen sich für psychische Störungen, Alkoholismus und
Delinquenz nicht nachweisen – es wurden eher gegenteilige Effekte
nachgewiesen
 Nicht die Rolle am Rande der Gesellschaft, sondern das Verhalten des
Individuums führt zur Devianz
 Wird eine psychische Störung oder körperliche Behinderung durch eine
Institution etikettiert führt das zu einer institutionellen Behandlung, hat also
eher positive Effekte (Anmerkung: ja von Institutioneller Sicht, aber die
Etikettierung hat ja weitreichendere gesellschaftliche Folgen, wie der Kampf
um Anerkennung der eigenen Person – Schlagwort phantom normalcy)
 Abweichende Verhaltensmuster und vermindertes Selbstwertgefühl, tritt schon
vor der Etikettierung durch Institutionen auf - sie sind also nicht die Folge der
Etikettierung, sondern treten schon vorher auf
 Eine Etikettierung allein reicht nicht ganz aus, um eine Verhaltensänderung zu
bewirken, es ist offensichtlich auch eine direkte Interaktion der Beteiligten von
91
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 92
Nöten, die das Verhalten des anderen im Sinne einer Selbsterfüllenden
Prophezeiung beeinflusst.
3.1.3 Bedeutung der Labeling Theorie
 Sie lenkte das Augenmerk auf die Bedeutung der sozialen Wahrnehmung bei
devianten Verhalten. Bei der Diagnostik spielen diese Prozesse mit Sicherheit
eine wichtige Rolle.
 Sie zeigte das Problem der sozialen Bewertung von psychopathologischen und
diagnostischen Kategorien auf
3.2 Einstellungen
Einstellungen beeinflussen wesentlich Störungen, bei denen ohne Verhaltensänderung
eine Verschlechterung des körperlichen Zustandes oder eine Chronifizierung zu
erwarten ist (z.B.: Rauchen). Hier spielen auch die kognitive Dissonanz oder die
Reaktanz (die wahrgenommen Einschränkung der individuellen Freiheit und die
Tendenz diese Freiheit wieder her zustellen) eine Rolle.
3.3 Attributionstheorie – Ursachenzuschreibung
Attribution = Vorgang bei dem eigenem oder fremden Handeln bestimmte Ursachen
oder Gründe zugeschrieben werden.
Verhaltenstherapeutische und hier vor allem kognitive Therapierichtungen gehen
davon aus, dass negative oder irrationale Gedanken die Ursache für negative
emotionale Zustände und dysfunktionale Verhaltensweisen sind.
Attributionen haben auch Auswirkungen auf Therapieform und Krankheitsmodelle:
Attribuiert man die Ursachen eher auf die Person (internal) oder auf die Umwelt
(external)?
Besonders das Depressionsmodell der „gelernten Hilflosigkeit“ beruht auf
attributionstheoretischen Annahmen:
Gelernte Hilflosigkeit beruht demnach auf motivationalen, emotionalen und
kognitiven Lerndefiziten, die aufgrund negativer Erfahrungen in unkontrollierbaren (=
Kontingenz zwischen dem eigenem Verhalten und dem Ergebnis in einer Situation
fehlt) Situationen entstehen. Dies hat auch einen Einfluss auf zukünftige
Kontingenzen, wobei Attributionen eine Schlüsselrolle spielen:
Erfahrung, dass eine Situation
unkontrollierbar
Attribution ist
Attribution
92
Erwartungen hinsichtlich
zukünftiger Kontingenzen
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 93
Ob sich die „Hilflosigkeits- Symptome“ generalisieren/chronifizieren hängt von der
Art der Kausal – Attribution ab. So tendieren Depressive dazu, negative Ereignisse
auf internale, globale und stabile Faktoren, Erfolge hingegen external, spezifisch
und instabil zu attribuieren.
Kritik
 Kognitive Modelle erfüllen nicht ausreichend die Bedingungen ätiologischer
Modelle (kann z.B.: die Spontanremission nicht erklären)
 Depressionen klingen meist nach 6 Monaten ab, laut Attributionstheorie
müssten die negativen Attributionsstile zu einer Chronifizierung führen.
3.4 Sozial – kognitive Lerntheorien
Wesentliche Bestandteile Sozial – kognitive Lerntheorien sind die Selbstwahrnehmung
und die Erwartung bezüglich zukünftiger Ereignisse.
Mit dem Modell der Sozial – kognitiven Lerntheorien lassen sich vor allem
Vermeidungsverhalten, Soziale Phobien, sozialer Rückzug und Verhaltensdefizite
verstehen.
Ergebniserwartung (© Bandura) =
gewünschten Effekt haben wird
Wissen, dass ein bestimmtes Verhalten den
Wirksamkeitserwartung (© Bandura) = Grad der Gewissheit, mit der man sich
selbst in der Lage sieht ein Verhalten durchzuführen
Ergebniserwartung und Wirksamkeitserwartung müssen eine gewisse Höhe
erreicht haben, damit eine Handlung oder ein Verhalten gezeigt wird.
Ergebniserwartung
+
Sicheres,
angemessenes
Verhalten
+
Wirksamkeitserwartung
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Sozialer
Aktivismus,
Protest,
Beschwerde
Milieu
Änderung
-
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 94
Selbst – Abwertung
Verzweiflung
-
Resignation
Apathie
Eine Veränderung der Ergebniserwartung kann durch Modelllernen, Instruktion etc.
erreicht werden, es findet also ein Wissenserwerb statt.
Die Wirksamkeitserwartung läst sich hingegen nur durch eigenes, gegebenenfalls
von außen unterstütztes Handeln verändern.
4. Folgerungen zur Wirkweise sozialpsychologischer Faktoren
Für keines der Modelle kann eine direkte Ursache – Wirkungsbeziehung in Bezug auf
psychische Störungen nachgewiesen werden.
Sozialpsychologische Faktoren wirken selten direkt als Hauptursache auf eine Störung
ein. Sie wirken meist im Zusammenspiel mit anderen Faktoren indirekt, moderierend
oder zusätzlich aufrechterhaltend. Sozialpsychologische Prozesse tragen ohne Zweifel
zur Aufrechterhaltung von Störungen und zum positiven/negativen Verlauf von
Störungen bei.
16. Soziologische Aspekte
1. Soziologische Perspektiven zu Gesundheit und Krankheit
1.1 Gesundheits – und Krankheitsverhalten
Krankheitsverhalten kann als Prozess verstanden werden, der sich in verschiedene
heuristische Stufe der Entscheidungsbildung untergliedern lässt:
(1) Symptomwahrnehmung und –bewertung, sowie
Abwehrprozesse, die dadurch mobilisiert werden.
(2) Selbstmedikation und Mitteilung an signifikante Andere
intrapsychische
(3) Inanspruchnahme des Laiensystems
(4) Inanspruchnahme des professionellen Versorgungssystems
Je schmerzhafter und auffälliger ein Symptom ist, je bedrohlicher die
Erkrankungsweise und je stärker die Behinderung des Alltagshandelns, desto höher ist
die Wahrscheinlichkeit, das professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird.
94
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 95
Dabei ist aber zu beachten, dass die Symptomwahrnehmung und Interpretation
wesentlich vom
a) Laienwissen
b) Differenziertheit des eigenen Körpererlebens
c) normativen Orientierung der jeweiligen Bevölkerungsschicht
abhängen.
Gründe für ein nicht – adäquates Krankheitsverhalten (es wird keine Hilfe
gesucht)
(1) man selbst nimmt die eigenen Symptome nicht wahr, sondern nur die
signifikanten Anderen (vgl. Schizophrenie).
(2) Unrealistische Formen der Selbstwahrnehmung und -beurteilung
(3) Missachtung der Symptome Selbstkontrollillusionen bei Suchtkranken
Auch familiendynamische Prozesse können die Mitteilung an signifikante Andere
hemmen und sogar zu einer Neuinterpretation der Symptome im Sinne der
Verharmlosung führen.
Aus soziologischer Sicht ist das Krankheitsverhalten Teil eines subkulturellen,
normengeleiteten Alltagshandeln, dass von relevanten Bezugsgruppen (speziell
Primärgruppen) bezüglich des sozialen Austauschs verstärkt und kontrolliert wird:
 So orientieren sich sozio – ökonomisch und sozio – kulturell benachteiligte
Personen meist an sozialen Normen, die für gesundheitsbewusstes Verhalten oft
nachteilig sind.
 Diesen Personen wird nun auch in ihrer Sozialisation vermittelt, dass Dinge in
ferner Zukunft von geringerer Bedeutung sind und aktuell anliegende Dinge
vorrangig sind. Das führt dazu, dass motivale Fähigkeiten, die zur
Bedürfnisaufschiebung und zur Erreichung langfristiger Ziele unumgänglich
sind, vermindert werden.
Dies zeigt sich auch in folgendem empirischen Ergebnis
95
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 96
Geringe
Symptomaufmerksamkeit
korreliert
mit
mangelnder
Zukunftsorientierung und einem instrumentellen Verständnis des Körpers.
 In oberen Schichten besitzt der Körper Symbolwert als Träger der Identität und
wird somit auch geschont und gepflegt. In unteren Schichten wird er eher als
Maschine gesehen, die einem unbeeinflussbaren Verschleiß unterliegt.
Ob jemand der Krank ist zum Arzt geht, hängt von verschiedenen Faktoren ab
a) vom subjektiven Gesundheitszustand der Person
(nimmt sie sich Selbst, wenn sie krank ist, auch als krank war?)
b) Versicherungsstatus
(je höher der Anteil der im Krankheitsfall Versicherten, desto höher die
Inanspruchnahme des Arztes)
c) Selbstbeteiligung bei der Versicherung
(Je höher die Selbstbeteiligung bei der Versicherung, desto niedriger die
Inanspruchnahme des Arztes)
d)soziale Differenzierung der Angebotsqualität
(Die Qualität des Angebots steigt mit der Höhe des sozialen Status)
1.2 Soziale Lage und Gesundheit
Begehrte Ressourcen wie Macht, Einkommen, Bildung etc. sind in einer Gesellschaft
nur begrenzt vorhanden und aus diesem Grunde auch ungleich auf soziale Positionen
verteilt. Dadurch entstehen unterschiedliche Lebenschance und Lebensumstände, die
die Soziologie als soziale Ungleichheit definiert. Soziale Ungleichheit ist somit ein
Merkmal der Sozialstruktur.
Welche Merkmale sind für die Bestimmung des sozialen Status in modernen
Gesellschaft wichtig?
a) Ausbildung
b) Beruf
c) Einkommen
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Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 97
Aufgrund dieser 3 Variablen werden Personen einer ziemlichen homogenen, vertikalen
Bevölkerungsgruppe zugeordnet: der sozialen Schicht.
1.2.1 Soziale Lage, Gesundheit & Geschlecht
(1) Es besteht der gleiche inverse Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und
Sterblichkeit, nur ist dieser schwächer
(2) Die weibliche Morbidität und Mortalität variiert über verschiedene Länder &
Zeitpunkte hinweg – dies weist auf soziologisch fassbare Einflüsse bezüglich
der Geschlechterrolle hin
(3) Starke geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Krankheit und
Gesundhei
1.2.2 Der Zusammenhang zwischen Schicht und psychischen Störungen
Holingshead und Redlich weisen in ihrer Studie darauf hin, dass einzelne
psychiatrische Diagnosen schichtsspezifische Häufigkeiten aufwiesen. Sie erklärten
diese durch die soziale Differenzierung und durch soziogene, in den unteren
Schichten häufiger vorfindbare Belastungskonstellationen.
 In neuren Studien wird ein inverser Zusammenhang zwischen
psychischen Störungen (besonders Schizophrenie) und sozialer Schicht
belegt.
 In Studien bezüglich „sozialer Selektion“ vs. „soziale Verursachung“
deuten sich Unterschiede bezüglich Depression und Schizophrenie an.
 Dohrenwend et. al (1992) kann deutliche Hinweise auf soziogenetische
Einflüsse bei Depression (besonders bei Frauen) und soziale
Selektionsprozesse
bezüglich
schizophrenen
Erkrankungen
nachweisen.
 Ein repräsentative nordamerikanische Studie kann einen inversen
Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und psychischen Störungen
nachweisen
1.3 Chronisch sozio – emotionaler Distress und Gesundheit
Gewisse Leiden in der Gesellschaft, wie Gewalt, Benachteiligung, Überforderung
oder andere Arten zwischenmenschlicher Konflikte lösen starke, wiederkehrende
Emotionen der Bedrohung, Angst und Hilflosigkeit aus, die wiederum
Aktivierungszustände im Organismus auslösen (Chronisch sozio – emotionaler
Distress). Geschieht dies über einen längeren Zeitraum können physiologische
Funktionen in ihrem Zusammenspiel gestört werden und pathologische Prozesse
begünstigt werden.
97
Einführung in die klinische Psychologie, Psychotherapie & Gesundheitspsychologie 98
Soziologisch gesehen ergibt sich die Dramatik sozio – emotionaler Distresserfahrungen aus der Tatsache, dass diese einen erfolgreichen Austausch zwischen
selbstregulatorischen Aktivitäten einerseits und gesellschaftlichen Chancen – und
Belohnungsstrukturen andererseits gefährden.
→ (Selbstregulatorische Aktivitäten und gesellschaftlichen Chancen – und
Belohnungsstrukturen manifestieren sich im sozialen Status des Individuums.)
Indem die Gesellschaft dem Individuum einen sozialen Status zuweist, erwartet und
ermöglicht sie ihm, die sozio – emotionale Motivation der Selbstwirksamkeit zu
aktivieren.
1.4 Soziogenetische Modelle der Krankheitsverhütung – bzw. entstehung
(1) Das Modell des sozio – emotionalen Rückhalts
 Jede Person besitzt aufgrund ihrer Vergesellschaftung ein soziales
Netzwerk, mit mehreren wichtigen Personen, die ihr in Krisen – und
Belastungssituationen schützende Aktivierung zukommen lassen.
(2) Das Anforderungs – Kontroll – Modell
 Distress als Folge erfahrener Arbeitsplatzbelastung, welche aus einem
spezifischen Aufgabenprofil des Arbeitsplatzes resultiert.
 Dabei handelt es sich um Aufgaben die durch hohe quantitative
Belastungen (Zeitdruck etc.) und durch einen niedrigen Entscheidungsund Kontrollspielraum gekennzeichnet sind.
 Dadurch werden positive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und des
Selbstwertgefühls behindert und affektive Spannungszustände können
nicht mehr effizient abgebaut werden
(3) Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen
 Chronisch sozio – emotionaler Distress entsteht aus einem
wahrgenommenen Disequilibrium zwischen hoher Verausgabung am
Arbeitsplatz und vergleichsweiser geringer Belohnung
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