Abhängigkeit erzeugende psychotrope Substanzen

Werbung
1
Abhängigkeit erzeugende psychotrope Substanzen
Sefan Böhm, Institut für Pharmakologie, Universität Wien.
Begriffsklärung
Ein Abhängigkeitssyndrom umfasst körperliche, Verhaltens- und kognitive
Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für
die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr
früher höher bewertet wurden. Ein entscheidendes Charakteristikum der
Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope
Substanzen oder Medikamente (ärztlich verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak
zu konsumieren.
Zur Diagnose der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen sind drei der
folgenden Kriterien erforderlich.
1. Ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren.
2. Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d.h. über Beginn,
Beendigung oder die Menge des Konsums, deutlich daran, dass mehr von der
Substanz konsumiert wird oder über einen längeren Zeitraum als geplant und
an erfolglosen Versuchen oder dem anhaltenden Wunsch, den
Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren.
3. Ein körperliches Entzugssyndrom, wenn die Substanz reduziert oder
abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen oder
auch nachweisbar durch den Gebrauch derselben oder einer sehr ähnlichen
Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
4. Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten. Für eine Intoxikation
oder um den gewünschten Effekt zu erreichen, müssen größere Mengen der
Substanz konsumiert werden, oder es treten bei Konsum derselben Menge
deutlich geringere Effekte auf.
5. Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder
Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügen oder Interessensbereiche
wegen des Substanzgebrauchs; oder es wird viel Zeit darauf verwandt, die
Substanz zu bekommen, zu konsumieren oder sich davon zu erholen.
6. Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen, deutlich
an dem fortgesetzten Gebrauch, obwohl der Betreffende sich über die Art und
das Ausmaß des Schadens bewusst war oder hätte bewusst sein können.
Obwohl Toleranzentwicklung ein Diagnosekriterium ist, zeigt sich bei einigen
Abhängigkeit erzeugenden Substanzen (z.B. Cocain und Nikotin) auch ein
gegenteiliger Effekt, eine Sensitivierung (Zunahme der Wirkung nach wiederholtem
Gebrauch). Beim Entzug ist zu unterscheiden zwischen physischem und
psychischem: Der psychische Entzug ist ein negativer emotionaler Zustand, der zu
einem starken Verlangen nach der Substanz führt (,craving’), welches nur durch
deren Einnahme gestillt werden kann. Die physische Entzugssymptomatik kann je
nach eingenommener Substanz von Schlafbedürfnis (Cocain und Amphetamine) bis
zu
ausgeprägten
Erregungszuständen
(Ethanol)
reichen.
Psychische
Entzugssymptomatik (craving) tritt bei allen psychotropen Abhängigkeit erzeugenden
Substanzen auf, physische Entzugssyndrome können fehlen oder nur sehr schwach
ausgeprägt sein. Dass psychischer von physischem Entzug unabhängig ist, zeigt
sich auch daran, dass Abhängige auch nach vielen Jahren der Abstinenz aufgrund
des Verlangens nach der Substanz rückfällig werden, obwohl sie nach so langer Zeit
natürlich keinerlei Anzeichen einer physischen Abhängigkeit zeigen.
2
Gemeinsam ist allen Abhängigkeit erzeugenden psychotropen Substanzen, dass sie
einen Belohnungseffekt ausüben. Ein solcher lässt sich auch im Tierversuch
nachweisen: jegliches Verhalten, das zur Einnahme der Substanz führt wird mit
hoher Wahrscheinlichkeit wiederholt, ein Verhalten, das die Einnahme verhindert,
wird vermieden. Das funktionelle Korrelat dieses Belohnungseffekts ist eine
gesteigerte Dopaminfreisetzung im nucleus accumbens, der ventrale Anteil des
Striatums. Obzwar die unten angeführten Gruppen von Abhängigkeit erzeugenden
psychotropen Substanzen (Tabelle 1) alle unterschiedliche Wirkmechanismen
aufweisen, ist die Steigerung der Dopaminfreisetzung immer zu finden.
Tabelle 1. Abhängigkeit erzeugenden psychotropen Substanzen
Gruppe
Vertreter
Wirkmechanismus
Opioide
Heroin
Morphin
Codein
Alkohole
Ethanol
Sedativa
Benzodiazepine Verstärkte Aktivierung von GABAA
Barbiturate
Rezeptoren
Psychomotorische Cocain
Stimulantien
Amphetamine
Nikotin
Halluzinogene
Cannabinoide
Aktivierung von Opioidrezeptoren
Verstärkte Aktivierung von GABAA
Rezeptoren, Blockade von NMDA
Rezeptoren
Blockade der Monoamin Rückaufnahme
und Monoaminfreisetzung
Aktivierung von nikotinischen
Acetylcholinrezeptoren
LSD
Mescalin
Ecstasy
Phencyclidin
Monoaminfreisetzung und Aktivierung von
Monoaminrezeptoren
9-Tetrahydrocannabinol
Aktivierung von Cannabinoidrezeptoren
Blockade von NMDA Rezeptoren
Von der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen zu unterscheiden ist
Arzneimittelabhängigkeit oder –missbrauch, wobei sich auch hier ein Zwang zur
Einnahme manifestieren kann, aber die Wirkung der Substanzen (z.B. Laxantien,
Analgetika) nicht psychotrop ist.
Opioide
Der Begriff Opium ist abgeleitet von ( = opos), der griechischen Bezeichnung
für Saft, wobei der Saft des Schlafmohns (papaver somniferum) gemeint ist. Der
Ausdruck Opiate bezeichnet Wirkstoffe, welche aus dem Schlafmohn gewonnen
werden (z.B. Morphin und Codein). Die chemischen Strukturen dieser pflanzlichen
Opiate lassen sich im Labor verändern, sodass semisynthetische Derivate daraus
resultieren. Daneben gibt es auch vollsynthetische Substanzen, sowie in Tieren zu
findende Peptide, die Wirkungen auslösen können, die jenen der Opiate ähnlich
3
sind. Der Überbegriff für all diese Wirkstoffe ist daher Opioide, und die tierischen
Wirkstoffe werden opioide Peptide genannt.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Die Abhängigkeit erzeugenden Opioide sind alle Agonisten an Opioidrezeptoren.
Gegenwärtig sind drei verschiedene Rezeptoren für Opioide bekannt, welche mit
den griechischen Buchstaben , , und  bezeichnet werden. Durch Binden eines
Agonisten an diese Rezeptoren werden heterotrimere G Proteine aktiviert, welche
ihrerseits das Signal intrazellulär weiterleiten. Opioidrezeptoren finden sich sowohl
im zentralen Nervensystem, als auch in peripheren Organen. Deren Aktivierung
durch Agonisten kann daher zahlreiche Wirkungen zur Folge haben. Tabelle 2 gibt
einen Überblick über zentrale und periphere Opioidwirkungen.
Zentral
Tabelle 2: Wirkungen von Morphin als prototypischer Opioidrezeptoragonist
Wirkung
Spinale Analgesie
Supraspinale
Analgesie
Euphorie
Sedation/Hypnose
Muskelrigidität
Anxiolyse
Krämpfe
Hypothermie
Miosis
Atemdepression
Antitussive Wirkung
Antiemetische
Wirkung
Blutdrucksenkung
Bradykardie
peripher
Verzögerte
Magenentleerung
Obstipation
Störung des
Gallenflusses
Harnverhaltung
Hemmung der
Wehentätigkeit
Wirkmechanismus
Hemmung der synaptischen Übertragung im Hinterhorn
Hemmung der neuronalen Aktivität im Thalamus und
Aktivierung hemmender deszendierender Bahnen
Aktivierung mesolimbischer dopaminerger Neurone
Hemmung der Formatio reticularis
Aktivierung nigrostriataler dopaminerger Neurone
Hemmung der neuronalen Aktivität im Locus coeruleus
Hemmung inhibitorischer Interneurone
Hemmung des hypothalamischen Temperaturzentrums
Aktivierung des Nucleus oculomotorius
Hemmung der CO2-Empfindlichkeit des medullären
Atemzentrums
Hemmung des medullären Hustenzentrums
Hemmung des medullären Brechzentrums
Hemmung des medullären Vasomotorenzentrums
Aktivierung des Nucleus dorsalis nervi vagi
Abnahme der Magenmotilität und Pyloruskonstriktion
Tonussteigerung, sowie Hemmung der propulsiven
Motorik und der Wasser- und Elektrolytabgabe durch die
Mucosa
Kontraktion der Gallenblasenmuskulatur und des
Sphincter Oddii
Kontraktion des Sphincter vesicae
Abnahme der Empfindlichkeit des Uterus gegenüber
Oxytocin
Bei i.v. Verabreichung entsteht sofort ein Wärmegefühl begleitet von einem
orgasmusähnlichen Gefühl (rush; Dauer von wenigen Minuten) und gefolgt von
einem Zustand mit traumhafter Indifferenz (high; Dauer bis zu einer Stunden). Nach
3 bis 5 Stunden ist die akute Wirkung vorbei.
Regelmäßige Opioidzufuhr führt zu ausgeprägter Toleranz, welche nicht durch
Veränderungen im Metabolismus bedingt ist, sondern durch ein verringertes
Ansprechen des jeweiligen Erfolgsorgans ( = pharmakodynamische Toleranz).
4
Dementsprechend ist die Toleranz nicht für alle Effekte gleich. Die deutlichste
Wirkungsabnahme findet sich bei der Euphorie und bei zentral dämpfenden
Wirkungen (z.B. Sedierung), weniger bei zentral erregenden Wirkungen (z.B.
Miosis), und die geringste Wirkungsabnahme tritt bei peripheren Wirkungen auf.
Dies erklärt, warum bei Opioidabhängigen sowohl die euphorisierende, als auch die
atemdepressive Wirkung stark abnimmt (sodass auch 100-fach gesteigerte
Dosierungen keine Atemlähmung verursachen), während Miosis und Obstipation
weniger nachlassen.
Entzugssymptomatik
Wird eine länger dauernde Opioidzufuhr unterbrochen, zeigen sich
Entzugssymptome, die alle Umkehrungen der bekannten opioiden Wirkungen sind
(Tabelle 3). Die Symptomatik des Entzugs wird als eher unangenehm empfunden, ist
aber bei allgemein guter Konstitution nicht lebensbedrohlich. Die Dauer der
Symptomatik hängt von der Dauer und dem Ausmaß der Opioidzufuhr ab und
beträgt typischerweise mehrere Tage.
Tabelle 3. Entzugssymptomatik der Opioide
Opioidhunger
Pupillenerweiterung
Ruhelosigkeit, Reizbarkeit
Schweißausbrüche
Hyperalgesie
Piloerektion (cold turkey)
Übelkeit, Erbrechen
Tachykardie
Darmkrämpfe, Durchfälle
Hypertonie
Dysphorie
Gähnen
Schlaflosigkeit
Hyperthermie
Angstzustände, Spannungszustände Muskelschmerzen
Therapie der Opioidabhängigkeit
Die akute Pharmakotherapie von Opioidabhängigen stützt sich auf drei
unterschiedliche Prinzipien: 1) Schneller Entzug durch Verabreichung eines
Opioidantagonisten (z.B. Naloxon; die Symptomatik ist vergleichbar mit der des
unbehandelten Entzugs, dauert aber nur Stunden, nicht Tage; sie kann durch
oberflächliche Narkose oder Sedativa abgeschwächt werden). 2) Durch Clonidin
oder Baclofen kann die physische Symptomatik gedämpft werden, durch trizyklische
Antidepressiva oder Benzodiazepine die psychische. 3) Durch Zufuhr von Agonisten
an Opioidrezeptoren wird die Entzugssymptomatik verhindert. Für diese
Substitutionstherapie werden retardierte Morphinzubereitungen, Methadon, oder
Buprenorphin eingesetzt. Ziel dieser Substitutionstherapie ist neben der Beseitigung
der Entzugssymptomatik auch das Lösen der Opioidabhängigen aus dem illegalen
Milieu der Heroinanwendung, sowie eine langsame Reduktion der zur Substitution
eingesetzten Dosis.
Präparate
Morphin wird nach oraler Verabreichung enteral resorbiert, wobei aber die
Bioverfügbarkeit nur 30% beträgt (daher muss bei oraler Einnahme eine ungefähr
dreimal höhere Dosis als bei parenteraler Applikation eingesetzt werden). Bei
parenteraler Verabreichung werden maximale Wirkungen nach 15 min (bei oraler
Einnahme nach 30 min) beobachtet. Morphin wird im Körper zu Morphin-3- und
Morphin-6-Glucuronid metabolisiert, wobei letzteres ein aktiver Metabolit ist. Die
Plasmahalbwertszeit von Morphin beträgt ca. zwei bis drei Stunden, diejenige von
Morphin-6-Glucuronid ist ein wenig länger. Aufgrund dieser pharmakokinetischen
5
Parameter ist Morphin insbesondere für eine länger dauernde Substitutionstherapie
nicht gut geeignet und wird daher in verschiedenen retardierten Darreichungsformen
(Filmtabletten bzw. Kapseln mit Mikrogranula) eingesetzt. Bei 12-stündlicher, d.h.
zweimal täglicher Verabreichung zeigen diese retardierten Morphine weitgehende
Bioäquivalenz mit flüssigen Morphinzubereitungen, wenn die letzteren alle 4
Stunden oral eingenommen werden. Maximalen Wirkungen werden bei retardierten
Morphinpräparationen aber erst nach zwei bis drei Stunden erreicht.
Codein unterscheidet sich von Morphin durch Methylierung der phenolischen OHGruppe, wodurch die orale Bioverfügbarkeit auf 60% gesteigert wird. Codein hat eine
Plasmahalbwertszeit von 2-4 Stunden und wird zu ca. 10% zu Morphin metabolisiert.
Es ist auch dieser aktive Metabolit, der die typischen opioiden Wirkungen vermittelt,
da Codein selbst eine extrem geringe Affinität zu Opioidrezeptoren aufweist. Codein
zeigt aber ausgeprägte antitussive Wirkung.
Heroin (=Diacetylmorphin) unterscheidet sich von Morphin durch seine höhere
Lipidlöslichkeit, welche eine wesentlich schnellere Penetration in das Gehirn erlaubt.
Dort wird Diacetylmorphin zuerst zu 6-Monoacetylmorphin und dann weiter zu
Morphin abgebaut, und diese Metaboliten vermitteln alle opioiden Wirkungen des
Heroin. Es werden nach intravenöser Applikation im Gehirn sehr schnell hohe
Morphinspiegel erreicht, welche für die stark euphorisierende Wirkung verantwortlich
sind. Wird Heroin subkutan angewandt, so ist seine Wirkung nahezu dieselbe wie
die subkutan verabreichten Morphins, da die Konversion zu Monoacetylmorphin und
Morphin schon vor der Passage der Blut-Hirn-Schranke stattfindet.
Methadon, ein synthetisch hergestelltes Opioid ist ein reiner  Rezeptor Agonist mit
ähnlicher Affinität wie Morphin. Es zeigt daher Wirkungen wie Morphin, mit dem
Unterschied, dass es eine nahezu komplette orale Bioverfügbarkeit besitzt.
Trotzdem werden die zentralen Wirkungen nach i.v. Applikation von Methadon
ungefähr dreimal schneller erreicht als nach oraler Aufnahme. Außerdem sind die
maximalen Wirkungen nach parenteraler Verabreichung viel stärker als nach oraler.
Methadon wird nach hepatischer Metabolisierung hauptsächlich renal
ausgeschieden, die Plasmahalbwertszeiten betragen 14 bis 40 Stunden.
Buprenorphin, ein semisynthetische Thebainderivat, ist ein partieller Agonist an 
Rezeptoren und ein Antagonist an  Rezeptoren. Der partielle Agonismus an 
Rezeptoren gepaart mit einer sehr hohen Affinität, verleiht Buprenorphin
Eigenschaften, die es von anderen Opioiden deutlich unterscheidet. Infolge der
eingeschränkten maximalen Wirksamkeit besitzt Buprenorphin ein niedrigeres
Abhängigkeitspotential als volle  Agonisten. Darüber hinaus sind auch alle anderen
morphinartigen Wirkungen weniger stark ausgeprägt, und Buprenorphin erscheint
daher insofern sicherer, als eine zentrale Atemlähmung auch bei Überdosierung
unwahrscheinlich ist. Trotzdem sollte die atemdepressive Wirkung nicht außer acht
gelassen werden, da diese, insbesondere in Kombination mit anderen
atemdepressiv wirkenden Substanzen, wie Benzodiazepinen, bedeutsam werden
kann. Die partiell agonistische Wirkung von Buprenorphin kann diesem Opioid aber
auch antagonistische Eigenschaften verleihen. Dies bedeutet, dass bei
Opioidabhängigen in Abhängigkeit von der Ausgangslage (Dauer und Ausmaß der
vorangegangen Opioidaufnahme, Höhe der zirkulierenden Opioidspiegel) durch
Buprenorphin auch ein Entzugssyndrom ausgelöst werden kann. Durch die hohe
Affinität aktiviert Buprenorphin  Rezeptoren lang dauernd, und die Wirkdauer (bis
6
zu mehreren Tagen) ist wesentlich länger als die Plasmahalbwertszeit (ca. drei
Stunden). Bei Abhängigen tritt nach Absetzen von Buprenorphin eine
Entzugssymptomatik nur sehr verzögert und abgeschwächt auf. Außerdem kann
Buprenorphin durch andere  Rezeptor-Liganden nicht vom Rezeptor verdrängt
werden, und die Wirkung kann durch Antagonisten, wie Naloxon, nur dann
abgeschwächt werden, wenn die hemmende Substanz gleichzeitig mit oder sofort
nach Buprenorphin verabreicht wird. Analog dazu, können auch Agonisten (wie
Morphin oder Heroin) nicht mehr ihre typische Wirkung entfalten, wenn Buprenorphin
den Rezeptor besetzt.
Alkohole
Ethanol ist der am weitesten verbreitete und am besten bekannte aliphatische
Alkohol. Sowohl Methanol, als auch höhere homologe Alkohole haben im Prinzip
ähnliche akute Wirkungen wie Ethanol, nämlich primär sedativ-hypnotischnarkotische, und können auch zu Abhängigkeit führen. Ähnliches gilt auch für
aliphatische Kohlenwasserstoffe (z.B. in Benzin), deren halogenierte Derivate (z.B.
Chloroform), oder andere organische Lösungsmittel, die (wenn auch seltener als
Ethanol) ebenso missbräuchlich verwendet werden. Die chronische Toxizität der
angeführten Substanzen weist beträchtliche Heterogenität auf. Hier wird in weiterer
Folge nur auf Ethanol eingegangen, da dieser am häufigsten eingenommen wird.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Wie beispielsweise Inhalationsnarkotika verursachen Alkohole auf zellulärer Ebene
ausschließlich hemmende Effekte. Dazu tragen zwei unterschiedliche
Wirkkomponenten bei: die Verstärkung der Aktivierung von GABAA Rezeptoren
durch GABA, sowie die Hemmung von NMDA Rezeptoren durch Blockade im
Bereich des Ionenkanals (nicht-kompetitiver Antagonismus). In Individuen zeigen
sich unter steigenden inkorporierten Ethanoldosen trotzdem nicht nur sedative,
sondern auch erregende Effekte (z.B. gesteigertes Selbstbewusstsein, Rededrang),
was sich durch die Hemmung inhibitorischer Nervenzellen (Disinhibition) erklären
lässt. Letztendlich überwiegen aber die Symptome einer Sedation bis hin zur
Narkose (Tabelle 4).
Tabelle 4. Ethanolwirkungen
Blutethanol (‰)
Symptome
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
1.0
1.5
2.0
3.0 - 4.0
4.0 - 5.0
geringste Gangstörungen
Einschränkung von Vigilanz und Gesichtsfeld
Blindzielbewegungen gestört
Verlängerung der Reaktionszeit, geringe Sprachstörungen
leichter Nystagmus
mäßiger Rausch
starker Rausch, Verschwinden koordinierter Reaktionen
Eintrübung des Bewusstseins, anterograde Amnesie
Koma
zentrale Atemlähmung
Weitere Ethanolwirkungen mit starker interindividueller Variabilität sind: Übelkeit,
Erbrechen, Schwindel, Libidosteigerung und Hyperventilation. Kardiovaskulär führen
geringe Dosen zu Blutdruckanstieg, höhere zu peripherer Vasodilatation mit
Erwärmung und Rötung der Haut.
7
Regelmäßige Ethanolzufuhr führt zu einer beträchtlichen pharmakodynamischen
Toleranz, die aber nur die zentralen Effekte betrifft. Für diese zeigt sich eine
Kreuztoleranz mit anderen Sedative, wie z.B. Benzodiazepine oder Barbiturate. Der
Metabolismus über Alkoholdehydrogenase und Aldehyddehydrogenase bleibt
unverändert und die Elimination beträgt immer ca. 0.,15 ‰ pro Stunde. Für die
chronischen toxischen Wirkungen in der Peripherie (Tabelle 5) entsteht keine
Toleranz.
Tabelle 5. Chronische Alkoholschäden
Tremor
Fettleber, Hepatitis, Zirrhose
Wernicke-Encephalopathie
Hypertonie
Korsakow-Psychose
Kardiomyopathie
Cerebrovaskuläre Demenz
Polyneuropathien
Delirium tremens
Depression
Fetales Alkohol Syndrom
Entzugssymptomatik
Nach regelmäßiger Ethanolaufnahme führt deren Beendigung zu einer
Entzugssymptomatik (Tabelle 6), die umso ausgeprägter ist, je öfter und je mehr
Ethanol konsumiert wurde.
Tabelle 6. Ethanolentzug
Alkoholhunger
Tachykardie, Hypertonie
Tremor, Reizbarkeit
Hyperhidrose
Krampfanfälle
Übelkeit
Schlafstörungen
Wahrnehmungsstörungen
Delirium tremens (Agitation, Verwirrung, visuelle Halluzinationen,
Fieber, Tachykardie, Mydriasis, Erbrechen)
In einer frühen Phase (< 24 h) ist die Symptomatik mild (Zittern, Übelkeit,
Schwitzen). Daran (nach 24 bis 72 h) können sich Krampfanfälle anschließen, und in
schweren Fällen kommt es dann zum Vollbild des delirium tremens.
Therapie der Ethanolabhängigkeit
In der Phase des akuten Ethanolentzugs wird die Symptomatik bekämpft, und zwar
ähnlich wie beim Opioidentzug mit Benzodiazepinen und Clonidin. Gegenüber
Clomethiazol, welches früher häufig eingesetzt wurde, sollte Benzodiazepinen der
Vorzug gegeben werden, da sie weniger toxisch sind und weniger unerwünschte
Wirkungen aufweisen. Zu bedenken ist aber, dass Benzodiazepine und Clomethiazol
selbst auch zu Abhängigkeit führen können. Als alternative Medikation stehen
beispielsweise niederpotente typische Neuroleptika zur Verfügung.
Ist die Phase des akuten Entzugs überwunden, besteht immer noch das Verlangen
nach Ethanol. Diesem kann mit mehreren alternativen Medikationen begegnet
werden: 1) Substanzen, die eine Alkoholunverträglichkeit auslösen (z.B.
Kalkstickstoff, Disulfiram). 2) Der Opioidrezeptorantagonist Naltrexon kann das
Verlangen nach Alkohol eindämmen. 3) Acamprosat, wie Ethanol selbst eine
Antagonist an NMDA Rezeptoren, reduziert auch den Ethanolhunger.
Präparate
Disulfiram ist alleine verabreicht weitgehend ohne Wirkung (unerwünschte
Wirkungen: Müdigkeit, orthostatische Dysregulation, Hautexantheme), verursacht
aber in Kombination mit geringsten Alkoholmengen eine Unverträglichkeitsreaktion:
8
starke Hautrötung an Kopf, Schultern und Brust, Hitzgefühl, Kopfschmerz,
Tachykardie, Hypotonie (bis Kreislaufkollaps), Atemsteigerung. Dieses AntabusSyndrom beginnt innerhalb von 30 min nach Alkoholaufnahme und dauert einige
Stunden. Nach Absetzen von Disulfiram kann diese Alkoholunverträglichkeit bis zu
14 Tage anhalten. Dislufiram wird gut oral resorbiert und nur langsam eliminiert,
sodass eine Erhaltungsdosis nur jeden zweiten Tag eingenommen werden muss.
Naltrexon ist ein oral verfügbarer Antagonist an allen Opioidrezeptoren. In Opioidnaiven Patienten zeigen solche Antagonisten praktische keine Wirkung. In OpioidAbhängigen, hingegen, wird Naltrexon ein Opioidentzugssyndrom auslösen, und ist
in diesem Falle kontraindiziert. Durch Blockade der Wirkungen von Endorphinen,
welche am Ethanolhunger in Abhängigen beteiligt zu sein scheinen, reduziert
Naltrexon die psychische Abhängigkeit von Ethanol. Nalterxon wird nach Resorption
in einen aktiven Metaboliten umgewandelt, welcher eine Halbwertszeit von ca. 13 h
aufweist, sodass eine einmal tägliche Dosierung ausreicht.
Acamprosat verursacht wie Ethanol selbst eine Modulation inhibitorischer
Neurotransmission und eine Blockade von NMDA Rezeptoren. Es erzeugt aber
praktisch keine Eigenwirkung (unerwünschte Wirkungen: Durchfälle, abdominelle
Schmerzen, Übelkeit, Juckreiz), reduziert aber den Alkoholhunger.
Sedativa
Alle pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Eigenschaften von
Benzodiazepinen und anderen Sedativa werden im entsprechenden Kapitel
(Anxiolytika, Hypnotika, Sedativa) besprochen. Hier werden nur für die Abhängigkeit
von diesen Substanzen relevante Punkte behandelt.
Neben der bewusst missbräuchlichen Einnahme zur Erzielung angst- und
spannungslösender Wirkungen werden Benzodiazepine und verwandte Substanzen
vor allem durch Ärzte zum Einsatz gebracht, und oft entwickelt sich hieraus eine
Abhängigkeit. Nach länger dauernder Anwendung (Monate bis Jahre) von
Benzodiazepinen nehmen deren Wirkungen (die sedativen Effekte mehr als die
anxiolytische Wirkung) deutlich ab, und bei plötzlicher Reduktion oder Absetzen der
‚Therapie’ entwickelt sich ein Entzugssyndrom (Tabelle 7), das umso ausgeprägter
ist, je höher die Dosierung und je länger die Einnahmedauer war.
Tabelle 7. Benzodiazepinentzug
Unruhe, Nervosität
erhöhte Lichtempfindlichkeit
Paraesthesien, Dysaesthesien erhöhte Geräuschempfindlichkeit
Muskelkrämpfe
Myoklonien
Schlafstörungen
Schwindel
Nach hohen Dosen Krampfanfälle und Delirium
Therapie der Benzodiazepinabhängigkeit
Zur Beseitigung der Entzugssymptome kann natürlich ein Benzodiazepin eingesetzt
werden. Diese Vorgangsweise beseitigt aber die Abhängigkeit nicht, und Ziel einer
solchen ‚Substitutionsbehandlung’ (vgl. Opioide) ist ein langsames Ausschleichen,
welches je nach Dauer des vorangegangenen Abusus Monate bis Jahre benötigen
kann. Alternativ können Anxiolytika/Sedativa eingesetzt werden, die selbst keine
Abhängigkeit hervorrufen. Solche Substanzgruppen sind Azaspirone, H1
Antihistaminika und niederpotente typische Neuroleptika. All diese Substanzen sind
aber oftmals weniger gut wirksam als Benzodiazepine. Therapieversuche können
auch mit Antiepileptika wie Carbamazepin und Phenobarbital unternommen werden.
9
Psychomotorisch stimulierende Substanzen
Psychomotorisch stimulierende Substanzen haben vorwiegend erregende
Wirkungen auf die Psyche: Steigerung des Antriebs, der Wahrnehmungsfähigkeit,
der Denkleistung, sowie Reduktion der Müdigkeit. Unter Beachtung dieser
Parameter können Cocain, Amphetamine und verwandte Substanzen, sowie Nikotin
zu dieser Gruppe gezählt werden. Trotzdem sind diese drei Untergruppen
beträchtlich heterogen, sodass sie nachfolgend separat behandelt werden.
Cocain
Cocain wird aus den südamerikanischen Cocasträuchern gewonnen und wird dort
seit langer Zeit verwendet. In Europa ist die weite Verbreitung von Cocain u.a.
Sigmund Freud zu verdanken, der nicht nur dessen psychostimulierende Wirkung,
sondern (gemeinsam mit Karl Koller) auch dessen lokalanaesthetische Wirkung
beschrieb.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Während die lokalanaesthetische Wirkung primär auf der Blockade
spannungsabhängiger Na+ Kanäle beruht, ist die psychomotorische Wirkung davon
unabhängig, sondern auf die Blockade der Monoamin Rückaufnahme im Gehirn
zurückzuführen: Cocain blockiert die Transportproteine für Dopamin, Noradrenalin
und Serotonin. Dadurch kommt es zu einem Überschuss an Monoaminen mit
Unterdrückung des Müdigkeitsgefühls, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, erhöhte
Libido, Hyperaktivität, Gefühl der Leistungssteigerung, bei höheren Dosen Euphorie,
seltener Halluzinationen, Angst, Irritation und zuletzt eventuell Krampfanfälle. In der
Peripherie dominiert Vasokonstriktion (mit Hypertonie) und Tachykardie. Die
Wirkungen auf das Herzkreislaufsystem können auch bei hoher Dosierung zu akuten
toxischen Erscheinungen wie Herzrhythmusstörungen, Ischaemien und plötzlichem
Herztod führen.
Nach chronischem Cocainkonsum kann es auch zu Myokardschäden mit
eventuellem Herzversagen kommen, und Exposition in der Schwangerschaft führt zu
Fehlbildungen im Nervensystem und in den Extremitäten. Darüber hinaus entstehen
nach langem Abusus psychiatrische Störungen (Angststörungen, Depressionen,
Psychosen). Erwähnenswert ist, dass Cocain praktisch keine Toleranzentwicklung
auslöst, und manchmal sogar das Gegenteil, eine Sensitivierung (stärkere Effekte
bei gleicher Dosierung), festzustellen ist.
Die zentralen Wirkungen zeigen sich sofort, und die Euphorie ist stark ausgeprägt,
wenn die freie Base (‚Crack’) geraucht wird, bzw. wenn Cocain.HCl i.v. verabreicht
wird. Bei nasaler Applikation des Hydrochlorids entsteht weniger Euphorie, und die
anderen Effekte erscheinen langsamer. Die Wirkungen des Cocain halten nur kurz
an (< 1 h), und häufig wird Cocain in kurzen Abständen immer wieder
aufgenommen. Solche Phasen gesteigerten Cocainabusus (‚binges’) dauern häufig
Stunden bis Tage.
Cocainentzug
Nach Phasen hoher Cocainaufnahme zeigt sich eine milde Entzugssymptomatik
(Tabelle 8) mit hauptsächlich psychischen und kaum physischen Erscheinungen.
Tabelle 8 Cocainentzug
Cocainhunger
Dysphorie
Müdigkeit
Unlust
Depression
Erschöpfung
10
Bradykardie
Amphetamine
Amphetamin und verwandte Substanzen (Methamphetamin, Methyphenidat,
Fentyllin, Amfetaminil) sind Abkömmlinge des Phenylethylamin und somit mit den
natürlich vorkommenden Monoaminen verwandt. Therapeutisch werden sie bei
Kindern mit hyperkinetischen Verhaltensstörungen und bei Narkolepsie eingesetzt.
Die ausgeprägte anorektische Wirkung der Amphetamine führte zu deren Einsatz als
Appetitzügler. Hierfür können auch Substanzen eingesetzt werden, die weniger
ausgeprägte psychomotorische Wirkungen haben (z.B. Norpseudoephedrin,
Fenfluramin). Trotzdem können alle Appetitzügler zu Abhängigkeit führen, sodass
deren therapeutischer Nutzen fragwürdig erscheint.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Amphetamin und dessen Abkömmlinge greifen auch an den Transportproteinen für
Monoamine an. Anders als Cocain bewirken sie aber nicht nur eine
Aufnahmehemmung, sondern auch eine Freisetzung der Monoamine über die
Transporter aus der Präsynapse in den Extrazellulärraum. Unter Amphetaminen sind
hauptsächlich Noradrenalin und Dopamin von dieser Wirkung betroffen. Durch
letzteres können Zeichen einer weckreaktion entstehen, sodass die
Amphetaminderivate auch Weckamine genannt werden. Methylierte und
methoxylierte
Amphetaminderivate
(z.B.
Ecstasy)
wirken
stärker
auf
Serotonintransporter und können außerdem an 5HT-Rezeptoren angreifen. Deren
Wirkungen sind daher nicht ident mit jenen der übrigen Amphetamine, und es
besteht auch praktische keine Kreuztoleranz (siehe Halluzinogene).
Durch die Zunahme der extrazellulären Monoamine im Gehirn entstehen ähnliche
Wirkungen wie unter Cocain (Tabelle 9), die jedoch zumeist stärker ausgeprägt sind.
Tabelle 9. Amphetaminwirkngen
Zentral:
Erregung, Antriebssteigerung
Unterdrückung des Müdigkeitsgefühls
Stimmungsanhebung bis Euphorie
Verkürzung der Schlafdauer
Steigerung der Konzentrationsfähigkeit Appetitreduktion
Steigerung des Wohlbefindens
Steigerung des Selbstvertrauens
Erhöhung der motorischen Aktivität
Verlust an Kritikfähigkeit
stereotype Bewegungen
Leistungssteigerung, erhöhte Fehlerquote
Bei hohen Dosen: Halluzinationen, Wahn, psychotische Episoden
Peripher:
Blutdruckanstieg
Tachykardie
Schwitzen
Tremor
Wie bei Cocain kann es unter hohen Dosen zu eventuell tödlichen
Herzrhythmusstörungen und kardialen Ischaemien kommen.
Amphetamin wird oral gut resorbiert, wird aber wie Cocain auch nasal und i.v.
angewandt. Die Wirkungen treten zumeist langsamer ein, halten bei einer
Plasmahalbwertszeit von 5 – 20 Stunden auch länger an.
Nach chronischer Zufuhr entwickelt sich für Amphetamine eine deutliche Toleranz,
sodass die Dosen um das bis zu 100-fache gesteigert werden, wobei die Gefahr
einer Intoxikation beträchtlich ist
11
Amphetaminentzug
Je länger und je mehr Amphetaminderivate eingenommen werden, desto eher
entsteht Entzugssymptomatik mit überwiegenden psychischen, und nur geringen
physischen Erscheinungen (Tabelle 10)
Tabelle 10. Amphetaminentzug
Amphetaminhunger
Dysphorie
Müdigkeit
Angst
Lethargie
Heißhunger
Erschöpfung
Krämpfe
Nikotin
Unter den Inhaltstoffen der Tabakpflanze ist Nikotin der einzige, der beim Rauchen
zentrale Wirkungen hervorruft. Alle anderen dabei aufgenommenen Substanzen sind
nur toxikolgisch von Interesse.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Nikotin ist ein Agonist an nikotinischen Acetylcholinrezeptoren. Trotzdem sind die
Effekte des Niktoin nicht nur durch einfache Rezeptoraktivierung zu erklären. In
Anwesenheit von Nikotin werden die Rezeptoren nämlich auch desensitiviert, und
nach chronisch wiederholter Nikotinzufuhr zeigt sich eine deutliche Zunahme an
Nikotinrezeptoren im Gehirn (möglicherweise eine Gegenregulation zur
Desensitivierung der Rezeptoren unter Nikotin). Somit kann Nikotin durch
Rezeptoraktivierung einerseits zu neuronaler Erregung führen und durch
Desensitivierung zu Hemmung synaptischer Übertragung. Daher können mit
niedrigen und hohen Dosen Nikotin durchaus entgegengesetzte Wirkungen erzielt
werden.
Nikotinrezeptoren gibt es im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark),
aber auch im peripheren Nervensystem (autonomes Nervensystem und
Skelettmuskulatur). Wirkungen können daher an all diesen Orten entstehen (Tabelle
11).
Tabelle 11. Nikotinwirkungen
Zentral:
Muskelrelaxation
Unterdrückung der Müdigkeit
Stimulation der Atmung
Übelkeit, Erbrechen
Analgesie
Antidiurese
Bei hohen Dosen: Tremor und Krämpfe, zuletzt Atemlähmung
Peripher:
Blutdruckanstieg
Tachykardie
gesteigerte Darmperistaltik
ev. Diarroe
Salivation
erhöhte Bronchialsekretion
Nach wiederholter Applikation können die peripheren, nicht aber die zentralen
Wirkungen Toleranz zeigen.
Die meisten toxischen Konsequenzen chronischen Tabakrauchens (z.B. chron.
Bronchitis, Bronchialkarzinom, andere Karzinome) sind nicht durch Nikotin bedingt.
Auch die bekannten kardiovaskulären Erkrankungen sind primär auf andere
Rauchinhaltsstoffe zurückzuführen, auch wenn Nikotin zur Entstehung derselben
einen (weitgehend unbekannten) Beitrag leisten kann.
12
Nikotinentzug
Obwohl die zentralen Wirkungen des Nikotin keine Toleranz zeigen, finden sich bei
Rauchern, die nach langer Nikotinzufuhr dieselbe beenden, Entzugssymptome, die
vorwiegend auf psychische Erscheinungen beschränkt sind (Tabelle 12).
Tabelle 12. Nikotinentzug
Nikotinhunger
Dysphorie
Ungeduld
Angstzustände
reduzierte Herzfrequenz
Gereiztheit
Depression
Feindseligkeit
Konzentrationsschwierigkeit
Appetitsteigerung
Die Entzugssymptomatik ist wesentlich schwächer als bei Opioiden oder Ethanol
und kann nach Beendigung einer regelmäßigen Nikotinzufuhr 2 bis 3 Wochen
anhalten. Das unbedingte Verlangen nach Nikotin (bzw. Tabak) kann viel länger
anhalten, und Rückfälle nach Nikotinabstinenz finden häufig nicht in der Phase des
akuten Entzugs statt.
Therapie der Nikotinabhängigkeit
Die Symptomatik des akuten Nikotinentzugs kann mit Clonidin behandelt werden.
Angesichts der beträchtlichen Toxizität des Tabakrauchs erscheint die Gefährdung
durch Zufuhr reinen Nikotins vernachlässigbar. In diesem Sinne ist die häufigste
Vorgangsweise in der Raucherentwöhnung die Anwendung von reinen
Nikotinpräparationen (z.B. als Kaugummi oder als transdermales therapeutisches
System). Durch Resorption zu hoher Nikotindosen können hierbei Übelkeit,
gastrointestinale Krämpfe, Husten, Schlafstörungen und Muskelschmerzen
entstehen. Außerdem sollten Patienten mit Koronarinsuffizienz wegen der Gefahr
myokardialer Ischaemien keine Nikotinpräparate erhalten.
Alternativ zu Nikotinpräparaten kann des Antidepressivum Bupropion zur
Raucherentwöhnung verwendet werden. Diese substanz hemmt vorwiegend die
Rückaufnahme von Dopamin und soll so das Verlangen nach Nikotin stillen.
Halluzinogene/Psychotomimetika/Psychedelika
Diese Substanzen verändern Gedanken, Wahrnehmung und auch die
Stimmungslage ohne starke Veränderung der Psychomotorik (Unterschied zu den
psychomotorischen Stimulantien). Gedanken werden verworren, ungeordnet,
flüchtig, die Wahrnehmung wird traumartig, Wahnvorstellungen können entstehen.
Die Stimmung ändert sich nicht in eine eindeutige Richtung, und es kann sowohl
depressive, als auch euphorische Erscheinungen geben. Auffällig ist jedenfalls, dass
die entstehenden Veränderungen mit Symptomen einer Schizophrenie einige
Gemeinsamkeiten aufweisen, und dass diese durch Neuroleptika aufgehoben
werden können.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Ebenfalls in Analogie zu den pathophysiologischen Hypothesen zur Schizophrenie
lassen sich Halluzinogene in zwei funktionelle Gruppen unterteilen: 1) solche, die
Monoamine
freisetzen
(vorwiegend
Phenylethylaminderivate;
z.B.
Methylendioxymethamphetamin = Ecstasy; Dimethoxymethylamphetamin = DOM;
Mescalin)
und/oder
an
Monoaminrezeptoren
angreifen
(vorwiegend
Tryptaminderivate mit agonistischer Wirkung an 5HT2 Rezeptoren; LSD; Psilocybin),
13
und 2) solche, die NMDA Rezeptoren blockieren (Phencyclidin, Ketamin). Die
Wirkungen dieser Psychotomimetika sind einander ähnlich und werden hier anhand
derjenigen von LSD (Lysergsäurediethylamid) besprochen (Tabelle 13).
Tabelle 13. LSD-Wirkungen
Zentral:
Intensivierung der Sinneswahrnehmungen
Akustische und taktile Halluzinationen
Verlust von Raum- und Zeitgefühl
Körperentfremdung
Peripher:
Blutdruckanstieg
Hyperthermie
Hypersalivation
Mydriasis
Illusionäre Verkennung
Synästhesien
Wechselnde Stimmungslage
ev. Euphorie, aber auch ‚bad trips’
Tachykardie
Schwitzen
Hyperreflexie
Tremor
LSD ist hochpotent und die beschriebenen Wirkungen können schon nach oraler
Aufnahme von nur 20 g auftreten. Die ersten Symptome sind nach 30 bis 60 min zu
merken, das Maximum wird nach 2 bis 4 Stunden erreicht, und die Symptomatik
geht nach ca. 8 Stunden zu Ende. Insbesondere die Phenylethylaminderivate rufen
auch amphetaminartige Wirkungen hervor und können ev. zu Herzkreislaufversagen
führen. In seltenen Fällen können Symptome einer einmaligen Anwendung auch bis
zu Wochen anhalten.
Bei wiederholter Zufuhr in kurzen Abständen zeigt sich eine Toleranzentwicklung,
die aber nach ca. einer Woche Substanzkarenz wieder verschwindet.
Entzugssymptome sind bei Psychotomimetika nicht zu finden. Nach oftmalig
wiederholter Anwendung können auch ohne Einnahme von Halluzinogenen
psychotische Episoden auftreten, insbesondere visuelle Halluzinationen, deren
Symptomatik jener nach Substanzeinnahme stark ähnelt (‚Flashback Episoden’).
Phencyclidin unterscheidet sich von den oben genannten Psychotomimetika vor
allem dadurch, dass es stark analgetisch wirksam ist. Außerdem verursacht
Phencyclidin neurologische Symptome, wie Nystagmus, Ataxie, Dysarthrie und
Rigor. Daneben zeigt sich immer wieder fremdaggressives Verhalten, was
Phencyclidin besondere Gefährlichkeit verleiht. Nach hohen Dosen kommt es zu
Krampfanfällen, Rhabdomyolyse, Koma und ev. Tod.
Die Wirkungen zeigen sich schon 5 min nach Beginn der Aufnahme über
Zigarettenrauch und erreichen ein Maximum nach 30 min. Nach 3 bis 6 Stunden
klingt die Wirkung ab. Bei wiederholtem Gebrauch stellt sich Toleranz ein, es gibt
aber keine Entzugssymptomatik. Nach chronischer Aufnahme können depressive
und Angststörungen auftreten.
Präparate
DOM
Mescalin
14
LSD
Psilocybin
Phencyclidin
Cannabinoide
Cannabinoide sind die Inhaltsstoffe des indischen Hanfs, welche in
unterschiedlichen Zubereitungen angewandt werden: Marihuana (Gemisch
getrockneter Blüten und Blätter), Haschisch (das Harz der Spitzen der blühenden
weiblichen Staude), Haschischöl (öliges Haschischextrakt). Die wirksamen
Komponenten des Hanfs sind die Cannabinoide, unter welchen 9Tetrahydrocannabinol das wirksamste ist.
Wirkmechanismen und Wirkungen
Cannabinoide greifen als Agonisten an Cannabinoidrezeptoren an, von welchen es
zwei Typen gibt: CB1 Rezeptoren finden sich primär im Gehirn, während CB2
Rezeptoren auf Zellen des Immunsystems zu finden sind, wo sie
immunmodulatorische Effekte vermitteln können. Die CB1 Rezeptoren befinden sich
überwiegend an präsynaptischen Nervenendigungen, wo sie zumeist
Neurotransmitterfreisetzung hemmend regulieren. Durch diese überwiegend
inhibitorischen Effekte kommen die bekannten psychotropen Wirkungen zustande
(Tabelle 14).
Tabelle 14. Cannabiswirkungen
Zentral:
Entspannung
Wohlbefinde
Leichte Euphorie
Apathie, ev. Müdigkeit
Intensivierung der Sinneswahrnehmungen
Reduktion der Denkleistung
Störung des Zeitgefühl
Körperentfremdung
Analgesie
antiemetische Wirkung
Bei hohen Dosen Psychose: Halluzinationen, Angstzustände
Peripher:
Vasodilatation, z.B. konjunktivale Rötung
Tachykardie
Hunger
Tachykardie
Bronchodilatation
Blutdruckdysregulation
Die psychotropen Effekte sind denjenigen des LSD ähnlich, aber schwächer
ausgeprägt, und Angstzustände bzw. Wahnvorstellungen treten nur selten auf. Die
Resorption von 9-Tetrahydrocannabinol ist beim Rauchen höher als beispielsweise
bei oraler Aufnahme. Die Wirkungen setzen innerhalb von Minuten ein, erreichen ihr
Maximum nach einer halben Stunde und sind nach 3 bis 4 Stunden beendet.
Bei chronischem Abusus entwickelt sich geringe Toleranz, wobei auch Kreuztoleranz
zu Ethanol und Sedativa auftreten kann. Außerdem kann nach sehr lang dauernder
15
Aufnahme zu Einschränkungen der kognitiven Lesitungsfähigkeit und zum
‚amotivationalem Sndrom’ (Antriebs- und Konzentrationsstörungen) kommen.
Cannabinoidentzug
Bei Absetzen nach chronischem Gebrauch zeigt sich ein mildes Entzugssyndrom
(Tabelle 15) mit vorwiegend psychischen Phänomenen.
Tabelle 15. Cannabisentzug
Cannabishunger
Schlafstörungen
gastrointestinale Krämpfe
Erbrechen
Gereiztheit
Ruhelosigkeit
Übelkeit
Appetitlosigkeit
Herunterladen