HISTOLOGIE

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HISTOLOGIE
Auf die Besprechung der Pflanzenzelle, also die Cytologie, folgt die
Lehre vom Bau der Gewebe, die man als Histologie bezeichnet. Die Histologie
der Samenpflanzen, die uns hier allein interessiert, ist komplizierter als die der
Tange oder Moose, aber immer noch weit einfacher als diejenige der höheren
Tiere.
Eine Samenpflanze beginnt ihr Leben als befruchtete Eizelle, also im
einzelligen Stadium. Die Entwicklung zum Embryo und weiter zur reifen Pflanze
erfordert Wachstumsvorgänge: Zellteilungen vermehren die Zahl der Zellen,
Zellstreckungen vergrößern sie und Differenzierungen passen die Zellen an
spezialisierte Aufgaben an. Die Zellen sind nicht unabhängig von einander,
sondern in Stoffwechsel, Wachstum und Leistung aufeinander abgestimmt, um
ihre Aufgaben im Pflanzenkörper erfüllen zu können. Man fasst Gruppen von
Zellen zu Geweben zusammen, wenn sie gemeinsame Züge aufweisen. Die
Histologie beschreibt und erforscht die pflanzlichen Gewebe. Es gibt freilich
viele Möglichkeiten, die Gewebe einzuteilen. Man kann anatomische,
physiologische, entwicklungsgeschichtliche oder funktionelle Aspekte
bevorzugen; die einzelnen Betrachtungsweisen sind dabei grundsätzlich
gleichberechtigt. Unsere Einteilung der Gewebe deckt sich daher auch nicht mit
derjenigen in allen Lehrbüchern der Allgemeinen Botanik.
Allgemein anerkannt ist die Gegenüberstellung von Bildungsgeweben
oder Meristemen einerseits und Dauergeweben andererseits. Wir wollen uns
zuerst den Meristemen zuwenden.
Zu Beginn der Samenkeimung teilen sich Zellen im ganzen Körper des
Embryos. Später wird jedoch die Neubildung von Zellen auf bestimmte
Körperstellen beschränkt, während andere Teile neue Aufgaben übernehmen.
Die erwachsene Pflanze enthält neben differenzierten weiterhin auch embryonale Gewebe. Diese, die Meristeme, erzeugen fortlaufend neue Zellen und
daraus neue Gewebe und Organe, ohne sich dabei zu verbrauchen. Dies ist ein
Unterschied zur Organisation der Tiere, die nach dem Jugendwachstums die
Zellteilungen größtenteils einstellen und nur eine begrenzte Zahl von Organen
haben. Meristeme sind nicht ständig aktiv. Außenbedingungen, etwa
Winterkälte oder Sommertrockenheit, unterbrechen dieTeilungstätigkeit. Auch
physiologische Einflüsse (Hormone; s.u.) können Meristeme für lange Zeit
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inaktiv halten. So wird oft das Wachstum der Seitenknospen unterdrückt,
solange der Haupttrieb wächst.
Die embryonalen Zellen der Meristeme unterscheiden sich von voll
ausgewachsenen Zellen in einigen Punkten. Die Zellen sind klein, im Verhältnis
zum Volumen ist der Kern groß. Sie enthalten Proplastiden, aber keine
Chloroplasten oder Chromoplasten. Die dünnen Wände haben keine
Sekundärschichten. Vakuolen sind, wenn überhaupt vorhanden, meist klein.
Es gibt verschiedene Typen von Meristemen, und auch auf ihre
Einteilung sind verschiedene Prinzipien angewendet worden. Am einfachsten ist
die Gliederung nach der Lage im Pflanzenkörper. Wir erhalten so:
a) Apikalmeristeme oder Spitzenmeristeme an den Vegetationspunkten von
Wurzel und Sproß; sie bauen neue Organe auf.
b) Lateral- oder Flankenmeristeme an den Seiten der Organe; sie bauen neue
Gewebe in bestehenden Organen auf.
Wir werden Apikalmeristeme und Lateralmeristeme im Zusammenhang
mit dem Bau der Organe näher besprechen, in denen sie auftreten. Daneben
gibt es in Dauergewebe eingebettete Komplexe embryonaler Zellen, die zwar in
einem Ruhezustand länger meristematisch bleiben als ihre Umgebung, sich
jedoch dann nach wenigen Teilungen erschöpfen. Das sind die Restmeristeme
oder interkalaren Meristeme. Dazu gehören die an der Basis der Blätter
sitzenden Teilungsgewebe und das Gewebe im Grasknoten, das
niedergedrückte Grashalme zur Aufrichtung befähigt. Nach wenigen Teilungen
differenzieren sich die Zellen aus. Restmeristeme spalten sich fortlaufend von
Apikalmeristemen ab, sind also deren Produkte. Sie enthalten oft auch
differenzierte Elemente; so werden etwa die Grashalmknoten von
wasserleitenden, also toten Gefäßen durchsetzt. All dies zeigt, daß die
Interkalarmeristeme den Apikal- und Lateralmeristemen nicht gleichrangig sind.
Die Dauergewebe der Samenpflanze entstehen aus den
meristematischen Zellen durch Zellteilung, Streckung und Differenzierung. Alle
Dauergewebe, die vor Einsetzen des sekundären Dickenwachstums gebildet
werden, leiten sich von den Apikalmeristemen ab. Diese, die sogenannten
Vegetationspunkte an den Spitzen des Sprosses und der Wurzel, geben
laufend Zellen ab; die abgegliederten Zellen teilen sich noch eine Zeit lang
weiter, sodaß die Enden von Sproßachse und Wurzel von einer in ständiger
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Teilung begriffenen Meristemzone eingenommen wird. Diese Teilungszone ist
allerdings nur Bruchteile eines Millimeters lang. Anschließend kann man an der
unterschiedlichen Größe und Teilungsrichtung der Zellen schon erkennen,
welche Gewebe der erwachsenen Pflanze aus ihnen entstehen werden. Auf
diese Determinationszone folgen Streckungszone und
Differenzierungszone. Die Zellen strecken sich unter Wasseraufnahme und
Vakuolenbildung, sie verlieren ihre Teilungsfähigkeit und erreichen schließlich
das endgültige Volumen und die Gestalt, die für Dauergewebezellen der einen
oder der anderen Art charakteristisch sind. Nach Erreichen der endgültigen
Zellgröße endet die Differenzierung erst, wenn die Zellen ihrer künftigen
Aufgabe völlig entsprechen. Von der Gesamtheit der genetischen Möglichkeiten
einer Zelle wird bei den Differenzierungsvorgängen jeweils nur ein begrenzter,
je nach Zelltyp verschiedener Anteil verwirklicht. Mit anderen Worten heißt das,
dass von allen Enzymproteinen, deren Struktur in der DNA des Kernes
festgelegt ist, immer nur ein Teil gebildet wird. Dabei kommt es jedoch nicht nur
darauf an, daß die Enzyme erzeugt werden, sondern die korrekte Differenzierung ist nur dann gewährleistet, wenn die Enzyme rechtzeitig und in der
richtigen Reihenfolge zur Verfügung stehen. Andererseits muß ihre Produktion
auch rechtzeitig wieder "abgedreht" werden. Die Hauptfrage der Differenzierung
kann daher nur die Molekularbiologie beantworten. Sie lautet: Wie wird darüber
entschieden, welche der zahlreichen möglichen Boten-RNA - Moleküle zu
welchem Zeitpunkt gebildet werden? - Als überregionale Mittel zur Steuerung
produzieren bestimmte Teile der Pflanze (besonders Blätter und Wurzeln)
Botenstoffe, die Phytohormone. Man unterscheidet 5 Gruppen: Auxine,
Giberelline, Cytokinine, Abscisinsäure, Ethylen. Dazu kommen noch einige
Wachstumsregulatoren (Brassinolide, Jasmonsäure u.a.), die eher lokal
begrenzt wirken.
Ergebnis der Differenzierung sind voll ausgebildete, funktionsfähige
Dauergewebe. Wenn sich ihre Zellen direkt von den Apikalmeristemen
herleiten, nennt man sie primäre Gewebe. Die Teilung der Lateralmeristeme
produziert sekundäre Gewebe. Wir können Dauergewebe nach ihrer Lage,
Entwicklung und Funktion für unsere Zwecke in drei große Gruppen einreihen,
die man Hautgewebe, Grundgewebe und Stranggewebe nennt. Wir wollen
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Bau und Funktion dieser Gruppen der Reihe nach besprechen. Die Einteilung
ist, wie gesagt, nicht verbindlich!
Das primäre Hautgewebe
Das primäre Hautgewebe ist die äußerste Zellschicht aller Organe der
Spermatophyten und der Farne (zusammen: der Kormophyten). Es kommt in
zwei verschiedenen Ausbildungen vor, die sich voneinander grundlegend
unterscheiden. Die Funktionen dieser beiden Erscheinungsformen des
Hautgewebes sind geradezu gegensätzlich, und das hat auch Auswirkungen
auf den Bau. Daher bezeichnet man sie mit verschiedenen Namen: die
Epidermis bedeckt die Organe des Sprosses, also Stämme und Blätter; die
Rhizodermis oder Wurzelepidermis findet sich an den Wurzeln. Die Epidermis
muß isolieren, die Rhizodermis stellt Kontakt mit dem Boden her.
Die Epidermis wird vom Apikalmeristem des Sprosses, dem
Sproßvegetationspunkt, angelegt. Die Zellen der äußersten Zellschicht in der
Determinationszone, des Protoderms, bilden die neuen Wände bei der Teilung
nur senkrecht zur Oberfläche, nicht jedoch parallel dazu. Das Hautgewebe
bleibt daher einschichtig. Die Zellen schließen mit einer Ausnahme eng
aneinander; diese Ausnahme bildet der Bereich einer Spaltöffnung.
Die normalen Aufgaben der Epidermis an oberirdischen Pflanzenteilen
sind folgende:
a) Einschränkung der Transpiration
b) Gasaustausch durch die Spaltöffnungen
c) mechanischer Schutz
d) Speicherung von Wasser und Stoffwechselprodukten
Die Lebensdauer der Epidermis ist sehr verschieden. Organe, deren
sekundäres Dickenwachstum unbedeutend oder nicht vorhanden ist, behalten
ihre Epidermis, solange sie selbst leben. So kann die Epidermis mancher
Kakteen viele Jahrzehnte alt werden, die von Koniferennadeln oder
immergrünen Laubblättern der mediterranen Pflanzen mehrere Jahre. Stämme
und Seitentriebe von Holzpflanzen hingegen beginnen schon im Jahr ihrer
Ausbildung mit dem sekundären Dickenwachstum, also der Vermehrung ihres
Leitgewebes mit Hilfe eines Lateralmeristems. Dadurch wird der Umfang des
Stammes erweitert, und dem kann die Epidermis nicht lange folgen. Ihre Zellen
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sind nämlich nicht mehr teilungsfähig und zerreißen bald unter dem Druck von
innen, den die Vermehrung und die Streckung von Zellen in der Achse
ausüben. Das müßte eigentlich zum Vertrocknen dieser Triebe führen, da die
Epidermis sie nicht mehr schützt. Doch entsteht gleich nach Beginn des
sekundären Dickenwachstums unter der Epidermis ein sekundäres
Hautgewebe, das dem Wachstum durch Teilung seines Lateralmeristems folgt.
Welche Zelltypen finden sich in der Epidermis? Die Hauptmasse des
primären Hautgewebes besteht aus den eigentlichen Epidermiszellen, welche
nur wenig spezialisiert sind. Dazwischen eingesprengt sind die Schließzellen
der Spaltöffnungen, oft begleitet von besonders geformten Nebenzellen, sowie
verschiedene Auswüchse, die als Trichome bezeichnet werden.
a) Die eigentlichen Epidermiszellen: Im Querschnitt erscheinen diese
Zellen meist flach. In der Aufsicht sind alle Übergänge vom isodiametrischen
zum stark gestreckten Typ möglich. Langgestreckte Zellen sind meist an
Pflanzenteilen mit ausgeprägtem Längenwachstum zu finden, etwa an
Stengeln; die Epidermiszellen folgen nämlich dem Streckungswachstum der
Organe. Häufig zeigen die Wände, die auf die Oberfläche senkrecht stehen, in
der Aufsicht wellige Struktur. Die Fläche, an der benachbarte Zellen aneinander
haften, wird auf diese Weise vergrößert, was die mechanische Festigkeit des
Gewebes zweifellos erhöht. Wellige Wände finden sich besonders im
Hautgewebe der Blätter, und tatsächlich sind Blätter durch scherende Kräfte,
die der Wind ausübt, besonders beansprucht. Die Wände sind im allgemeinen
ungleich dick. Die äußere Wand, der eigentliche Abschluß des Pflanzenkörpers,
ist meist sehr stark ausgebildet. Die Undurchlässigkeit für Wasser und
Wasserdampf wird durch das Cutin bewirkt, das in Form eines dünnen
Häutchens, der Cuticula, außen der Zellwand aufgelagert ist, oft aber auch
Teile der Zellwand durchtränkt, die dann Cuticularschichten enthält. Die
Cuticula überzieht alle Teile des Sprosses (Achsen und Blätter) und verhindert
durch ihren Cutingehalt die Wasserabgabe aus diesen Zellen bis auf einen
geringen Restwert, die cuticuläre Transpiration. Die Entwicklung der Cuticula
war einer der wesentlichen Schritte zur Eroberung des Landes durch die
Pflanzen. Wir werden das noch besser begreifen, wenn wir Wassertransport
und Wasserabgabe näher betrachten werden. - Die Oberfläche der Cuticula ist
häufig noch mit kristallinen Wachsablagerungen bedeckt. Regentropfen
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perlen von ihnen ab und nehmen dabei Staubteilchen und Mikroorganismen
mit. Hingegen wäre ein Wasserfilm ein Keimmedium für Pilze und Bakterien.
Auch könnte stehendes Wasser langsam einsickern und Schaden anrichten. So
platzen die Früchte von Zuchtsorten gelegentlich durch übermäßige
Wasseraufnahme. Dicke Wachsablagerungen finden sich tatsächlich besonders
an Früchten; denken Sie etwa an blaubereifte Zwetschken oder Trauben. Im
Rasterelektronenmikroskop zeigen die Wachse lockere, oft bizarre Strukturen.
Sie bilden keinen geschlossenen Film, der die Transpiration verringern könnte.
Cutin und Wachse wandern in flüssiger Form durch die zellulosische Zellwand
und erstarren erst an der Oberfläche durch Reaktion mit dem Luftsauerstoff.
Dicke der Wand, Cutinschichten und Wachse zeigen ökologische
Anpassungen, besonders an die Beanspruchung des Wasserhaushaltes. Epidermiswände enthalten gelegentlich Lignin, so etwa bei den Koniferen;
häufiger wird Kieselsäure (SiO2-Polymere) in Form amorpher Salze
abgelagert; das ist charakteristisch für Schachtelhalme ("Zinnkraut"), echte
Gräser und Riedgräser. Die Kieselsäure ist hier als Rekret mit Funktion
anzusehen: Sie verleiht den Zellen mechanische Festigkeit.
Eigentliche Epidermiszellen enthalten meist keine Chloroplasten. Die
Vakuolen enthalten oft Anthocyane oder zwar farblose, aber stark UV-absorbierende Flavonverbindungen. Man hat experimentell bewiesen, daß die Epidermis
als Schutzfilter für die UV-empfindlichen Chloroplastenpigmente in den
darunterliegenden Assimilationszellen des Grundgewebes dient. Das paßt gut
dazu, daß sich bei extremen Schattenpflanzen und bei submersen, also
untergetaucht lebenden Wasserpflanzen sehr wohl funktionsfähige
Chloroplasten in der Epidermis finden. Hier ist ja für die Chloroplastenpigmente
keine Gefahren durch zu viel Licht oder durch Licht von schädlicher
Wellenlänge zu befürchten.
b) Der Spaltöffnungsapparat (Schließzellen und Nebenzellen):
Die lückenlos aufgebaute Epidermis wird durch winzige Öffnungen
durchbrochen, die von jeweils zwei hochspezialisierten Zellen eingefaßt sind.
Man bezeichnet die Öffnungen als Spaltöffnungen, das Zellenpaar als
Schließzellen. Sie enthalten als einzige Epidermiszellen Chloroplasten. Durch
Formwechsel der Schließzellen wird die Größe der Öffnung verändert. Die
funktionelle Einheit aus Schließzellen und Spaltöffnung wird als Stoma (griech.
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"Mund", Mz. Stomata) bezeichnet. Die Spaltöffnung führt zunächst in einen
Hohlraum, die Atemhöhle, von dem aus zahlreiche Interzellularen, luftgefüllte
Kanäle, das Grundgewebe durchziehen.
Die Stomata sind besonders typisch für die grünen Sproßteile, vor allem
die Laubblätter, doch finden sie sich auch auf Blütenblättern und farblosen,
unterirdischen Sproßteilen (Rhizomen), nicht jedoch auf Wurzeln. Ihre
Verteilung über die Blattseiten ist verschieden. Meist sind sie auf der Blattunterseite gehäuft, manchmal sogar ausschließlich anzutreffen. Auch die Zahl der
Spaltöffnungen ist artabhängig. Extremwerte dürften 50 und 900 Stück je mm
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Blattfläche sein. Für ein Blatt der Sonnenblume ergeben sich ungefähr 13
Millionen Öffnungen. Insgesamt macht die Porenfläche jedoch nur 1 - 3% des
gesamten Blattareals aus. Die Wuchsbedingungen können Zahl und Größe der
Spaltöffnungen einer Art modifizieren, das Porenareal ist also veränderlich. Ein
besonders kleines Porenareal besitzen Typen, die gut an Trockenstandorte
angepaßt sind.
Die Spaltöffnungen reagieren in einer ökologisch sinnvollen Weise auf
eine ganze Reihe von Umwelteinflüssen. Es scheinen hier zwei Regelkreise zu
wirken. Der CO2-Regelkreis spricht auf die Konzentration von CO2 im Inneren
des Blattes an. Man kann ihn völlig rein studieren, wenn man abgezogene
Epidermen im Dunkeln mit Luft von verschiedener CO2-Konzentration bespült.
Die Luft der freien Atmosphäre hat eine CO2-Konzentration von ungefähr 360
ppm, das heißt 360 µl*l-1, sechsunddreißig Hunderttausendstel des Volumens,
0.036 Volumsprozent. (Ich nenne alle diese verschiedenen Formulierungen, da
hier in der Literatur ziemliche Willkür herrscht). Wenn man nun die
Konzentration der Luft im Experiment absenkt, dann bleiben die Spalten im
Dunkeln bis etwa 220 - 250 ppm geschlossen, darunter öffnen sie sich. Im Licht
sinkt bei den Pflanzen der CO2-Gehalt im Inneren des Blattes, da ja das CO2
bei der Photosynthese verbraucht wird. Daher öffnen sich die Spalten am
Morgen und schließen sich nach Einbruch der Nacht, wenn die Atmung der
Gewebezellen die CO2-Konzentration im Blattinneren erhöht und dieses Gas
nicht mehr durch Photosynthese verbraucht wird. Eine Ausnahme bildet der
CAM-Typ der Photosynthese (s.u.).
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Anders funktioniert der H2O-Regelkreis. Wenn die Wasserversorgung
der Zellen erschwert wird, sinkt ihr Wassergehalt. Es wird Abscisinsäure
(ABA) freigesetzt, und diese induziert Turgorverlust der Spaltöffnungen, also
eine Volumsverkleinerung. Das aber bewirkt, daß sich die Spalten verengen.
Das versteht man erst, wenn man den Mechanismus der Spaltbewegungen
näher angesehen hat. Hier gibt es eine Reihe von kleinen Abwandlungen eines
Grundprinzips. Wir wollen nur Bau und Funktion des häufigsten Typs von
Spaltöffnungen, des sogenannten Helleborus-Typs, besprechen.
Die Schließzellen dieses Typs sind nierenförmig in der Aufsicht. Der
Durchmesser der Spaltöffnung, die zwischen ihnen freibleibt, schwankt, wenn
sich das Volumen der Schließzellen ändert. Wie kann sich das Volumen
ändern? Natürlich durch Aufnahme oder Abgabe von Wasser; die Zelle füllt sich
prall mit Wasser oder sie erschlafft: Ihr Turgor steigt oder sinkt. Man würde nun
zunächst annehmen, daß durch Volumsvergrößerung der begrenzenden Zellen
der Durchmesser der zwischen ihnen liegenden Öffnung verkleinert wird. Da
aber die Rückwand der Zellen weit dünner ist als die anderen Wände, kann sich
die Zelle nur dort verformen und ausdehnen. Sie zieht dabei die dünne
Wandpartie im Bereich der engsten Stelle, des sogenannten Zentralspaltes,
mit sich. Die Anordnung der Zellulosefibrillen in den Wänden unterstützt noch
diese einseitige Ausdehnung.
Was bewirkt die Volumszunahme? Es handelt sich um osmotische
Vorgänge. Wenn die Konzentration von gelösten Stoffen im Zellsaft steigt, dann
strömt in die Vakuole Wasser ein; wenn die Zellsaftkonzentration sinkt, dann
wird Wasser an die Nebenzellen abgegeben. Öffnen und Schließen sind mit
lebhaften Verlagerungen von Kaliumionen verbunden. Beim Öffnungsvorgang
wird K+ durch aktiven Transport in die Schließzellen aufgenommen. Der
Konzentrationsanstieg zieht passiv Wasser nach, das ja leicht durch die
Plasmagrenzschichten in die Vakuole dringen kann, wo das Kalium gespeichert
+
wird. Das positiv geladene K kann freilich nicht allein aufgenommen werden,
sondern zum Ladungsausgleich ist noch ein negativ geladenes Anion nötig.
Diskutiert wird, welcher Säurerest sich hier beteiligt. Es scheint dies
verschieden zu sein. Bei Gräsern wird meist Cl- mitgepumpt, bei anderen Arten
werden aus der Stärke der Schließzellchloroplasten, die ja als einzige Plastiden
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der Epidermis photosynthetisch aktiv sind, organische Anionen synthetisiert,
anscheinend meist das Ion der Apfelsäure, das Malat. - Über die Rolle der
Spaltöffnungen im Wasserhaushalt und über ihr Verhalten im Freiland wird
noch gesprochen werden.
Die Schließzellen der Spaltöffnungen grenzen oft nicht an eigentliche
Epidermiszellen, sondern an kleinere, besonders geformte Zellen, die nach
ihrer Lage neben den Spaltöffnungsschließzellen Nebenzellen heißen. Ihre
Form scheint im Laufe der Ausdifferenzierung des Protoderms sozusagen
erzwungen zu werden; sie haben trotz ihrer charakteristischen Gestalt keine
eigenständige Funktion, sondern sie ähneln in allen wichtigen physiologischen
Eigenschaften den typischen Epidermiszellen.
Einzelne Spaltöffnungen können bei manchen Pflanzenarten einen
Funktionswechsel erfahren und flüssiges Wasser ausscheiden. Man kann
diesen Vorgang, die Guttation, besonders in feuchter Atmosphäre, also etwa
am frühen Morgen auf der Wiese, beobachten. Die wasserausscheidenden
Öffnungen bezeichnet man als Hydathoden oder Wasserspalten.
c) Die Trichome (Pflanzenhaare und Emergenzen):
Haare sind Anhangsgebilde des Pflanzenkörpers, die definitionsgemäß
nur aus Hautgewebezellen bestehen. Dadurch unterscheiden sie sich von den
Emergenzen, an deren Bildung auch das darunterliegende Grundgewebe
beteiligt ist. In der Funktion ist zwischen beiden wenig Unterschied, wenn auch
Emergenzen meist massiver sind. Wir wollen hier diese Auswüchse, die man
zusammen Trichome nennt, gemeinsam besprechen,.
Haare entstehen aus Zellen des Hautgewebes, und zwar sowohl der
Epidermis wie der Rhizodermis. Epidermishaare zeigen sehr verschiedene
Formen. So strecken sich manchmal die Epidermiszellen bloß zu langen
Fadenzellen, oder sie werden durch Querteilungen gegliedert. Manche Haare
verzweigen sich sogar und bilden dann Gestalten wie bizarre Bäumchen.
Grundsätzlich muß man zwischen lebenden und toten Haaren unterscheiden,
die sehr verschiedene Funktionen haben.
Lebende Haare vergrößern die Oberfläche und steigern die
Verdunstung. Solche Haare finden sich oft an frisch entfalteten Blättern, etwa
bei der Buche oder der Platane. Sobald das Blatt erwachsen ist und die
Spaltöffnungen funktionieren, verkahlen solche Blätter oft, oder die Behaarung
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bleibt nur an wenigen Stellen erhalten. Tote Haare werden weiß, sobald Luft
eindringt. Sie sind zunächst für den Strahlungshaushalt des Blattes wichtig, da
sie das Licht reflektieren und damit bei voller Sonneneinstrahlung die
Überhitzung verhindern oder wenigstens reduzieren. Weiße Haare sitzen
manchmal auf beiden Blattseiten, öfter aber an der Blattunterseite, wo sie ihre
Aufgabe der Strahlungsreflexion besonders bei jungen und bei welken Blättern
erfüllen, weil dann das Licht auf sie fällt. An der Blattunterseite haben weiße
Haare aber noch eine weitere Funktion: Sie verlangsamen die Luftbewegung an
der Oberfläche, wodurch die Feuchtigkeit, die aus den Spaltöffnungen
entweicht, nicht so rasch abgeführt wird. Dadurch ergibt sich ein Rückstau der
Feuchtluft, der seinerseits die Transpiration des Blattes reduziert. Wir finden
daher tote, weißfilzige Haarüberzüge vor allem an Pflanzen von
Trockenstandorten.
Diesen beiden Hauptfunktionen der Haare, der Steigerung der
Transpiration im einen, ihrer Verringerung im anderen Fall, stehen eine große
Anzahl von Spezialfunktionen gegenüber. An Samen sitzen oft Flughaare. Sehr
häufig ist die Ausbildung von Drüsenhaaren, die in mehreren Familien
auftreten. Bei den Labiaten sezernieren sie ätherische Öle, in den
Knospenschuppen vieler Laubbäume, etwa der Roßkastanie, klebrige
Substanzen, die die Knospe gegen Wasserverluste abdichten. Bei
insektenfressenden Pflanzen werden Verdauungsenzyme von Haaren gebildet
und ausgeschieden. Eine Sonderform der Drüsenhaare sind die Brennhaare
der Brennessel. Ihr wichtigster Teil, eine riesige, flaschenförmig aufgetriebene
Haarzelle, sitzt auf einem Sockel aus Grundgewebe. Das ganze Gebilde ist
daher eine Emergenz. Die Haarzelle verjüngt sich nach oben stark und endet
mit einem kleinen, schräg aufgesetzten Köpfchen. Die unmittelbar darunter
liegende Stelle ist dünn und sehr spröde, da sie mit Kieselsäure inkrustiert ist.
Wird das Köpfchen leicht berührt, so bricht es an dieser "Sollbruchstelle" ab.
Das neue offene Haarende wirkt wie eine Injektionsspritze und dringt in die
Haut ein, in die sich der Haarzell - Inhalt ergießt. Da dieser Histamin und
Acetylcholin in hoher Konzentration enthält, schmerzt die Wunde und
entzündet sich. Es ist schwer vorstellbar, daß ein solches Gebilde zufällig
entstehen könnte; eher scheint es, daß diese Sekretzelle im Dienste der
Verteidigung das Ergebnis einer längeren Optimierung durch Selektion darstellt.
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Typische Emergenzen sind die Stachel, wie man sie bei der Rose und
der Brombeere findet. Sie können Wirbeltiere abwehren, sie können aber auch
als Kletterhilfe dienen. Der Botaniker unterscheidet den Stachel, eine Bildung
aus epidermalen und subepidermalen Geweben eines Organes, vom Dorn, bei
dem ein ganzes Organ zu einem stechenden Gebilde umgewandelt ist. In
diesem Sinne ist jede Rose ohne Dornen!
Soviel zur typischen Epidermis der Sproßorgane. Die Wurzelepidermis
oder Rhizodermis bedeckt den Teil der Wurzel, mit dem diese Wasser aus
dem Boden aufnimmt. Während also die Epidermis den Wasseraustausch mit
der Umgebung stark einschränkt, ist er für die Rhizodermis eine Hauptaufgabe.
Ihr entspricht die Struktur: Die Wände sind dünn und nicht von einer Cuticula
bedeckt. Spaltöffnungen fehlen, da ja der Gasaustausch nicht von der Cuticula
behindert wird. Ein Filz einzelliger, lebender, schlauchförmiger Haare, der
Wurzelhaare, vergrößert die Oberfläche um mindestens den Faktor 10 (etwa
bei der Erbse auf das Zwölffache!). Die Rhizodermis schließt also den
Pflanzenkörper nicht ab, sondern bringt ihn in engen Kontakt mit der
Außenwelt. Wir werden über die Rhizodermis und ihr Zusammenspiel mit den
übrigen Geweben der Wurzel später noch mehr erfahren.
Das sekundäre Hautgewebe
Wir wissen bereits, daß die Epidermis der Sproßachse nur die grünen
Pflanzenteile bedeckt und oft nur eine beschränkte Lebensdauer hat. Sie kann
nämlich dem Wachstum von Organen, die sich stark verdicken, nicht folgen.
Ihre Zellen sind kaum teilungsfähig und zerreißen, sobald der Druck von innen
zu groß wird. Sekundäre Ersatzgewebe, die Periderme, sichern dann weiter
den Abschluß. Auch sie sind wasserundurchlässig. Diese Abdichtung bewirkt
das Suberin in der Zellwand. Wir finden Periderme dort, wo die Achse
sekundär wächst, also an Stämmen von Dikotylen und Gymnospermen. Auch
dicke primäre Speicherknollen (Kartoffel) und Früchte (Alexanderbirne) bilden
Periderme. Die Monokotylen, die zweite Unterklasse der Angiospermen, haben
kein sekundäres Dickenwachstum und daher keine Periderme.
Suberineinlagerungen in Einzelzellen oder Zellkomplexen kommen dagegen
häufig auch bei Monokotylen und Farnen vor. Man muß also Verkorkung
(=Suberineinlagerung) und Ausbildung eines echten Korkgewebes (eines
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Periderms) auseinanderhalten, ebenso wie Verholzung (=Lignineinlagerung)
nicht nur im Holz, sondern auch in anderen Teilen der Pflanze auftreten kann
und auch bei Pflanzen, die kein Holz bilden. Verkorkung von Einzelzellen und
Zellschichten tritt bei allen Kormophyten nach Verwundung auf, da eine
zerstörte Epidermis "geflickt" werden muß, damit keine Trockenschäden an den
darunterliegenden Zellen auftreten.
Und nun zum echten Periderm. Das erste Periderm an einem jungen
Stamm ersetzt die Epidermis; nach einiger Zeit des Dickenwachstums wird
dieses erste Periderm meist durch Folgeperiderme abgelöst. Jedes Periderm
besteht aus zwei bis drei Teilen:
a) dem Phellogen, einem Lateralmeristem, das das Periderm erzeugt,
b) dem Phellom oder Kork, dessen Zellen vom Phellogen nach außen
abgeschieden werden, und manchmal auch
c) dem Phelloderm, das vom Phellogen nach innen abgeschieden wird.
Der Anfang der Peridermbildung ist die Anlage eines Phellogens. Ein
Ring von Zellen im Stamm teilt sich durch Wände parallel zur Oberfläche des
Organs. Je eine der beiden Tochterzellen erweist sich durch dünne Wände,
Plasmareichtum und kleine Vakuolen als Phellogenzelle und schnürt nach
außen Phellomzellen, nach innen Phellodermzellen ab. Das erste Phellogen
entsteht in den meisten Fällen in der Subepidermis, der äußersten Schicht des
Grundgewebes unter der Epidermis. Jedoch kann auch die Epidermis selbst
oder aber eine tiefere Schicht des Grundgewebes Bildungsort dieses
Phellogens sein. Die Phellogene der Folgeperiderme, die bei stärkerem
Dickenwachstum angelegt werden, entstehen stets in tieferen Schichten des
Rindengewebes oder im Bast, also im sekundären Stranggewebe. Das führt
schließlich zur Bildung einer Borke (s.u.).
Wie sind nun die verschiedenen Zellen des Periderms gebaut, und
welche Funktion erfüllen sie?
Phellogen: Das Phellogen, ein Lateralmeristem, besteht aus einer Schicht
meristematischer Zellen, die im Querschnitt rechteckig sind. Die Zellen teilen
sich überwiegend tangential, geben also neue Zellen nach außen und innen ab.
Gelegentliche Teilungen durch senkrecht auf die Oberfläche stehende Wände
vermehren die Phellogenzellen, sodaß sich das Meristem dem Um66
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fangswachstum der Achse anpassen kann. Die Zahl der nach außen
abgeschnürten Phellomzellen ist stets größer als die der nach innen gebildeten
Phellodermzellen. Das Phelloderm kann auch überhaupt fehlen.
Phellom: Wenn eine nach außen abgeschiedene Tochterzelle des Phellogens
zur Korkzelle umgebildet wird, streckt sie sich in radialer Richtung, bleibt aber
gleich breit. Dadurch liegen alle Korkzellen mit der Phellogenzelle, von der sie
abstammen, streng in einer Reihe. Korkzellen stoßen lückenlos, ohne
Interzellularen, aneinander.
Die besondere Eignung als Zellen eines Abschlußgewebes erhalten die
Korkzellen durch das Suberin in ihren Wänden. Diese Substanz wird in Form
von Lamellen über der Primärwand abgelagert. Die Suberinlamellen selbst sind
wieder von Wachsschichten durchzogen, die nur elektronenmikroskopisch
sichtbar sind. Die Zelle verkorkt in der Weise, daß nach Abschluß des
Streckungswachstums auf die zellulosische Primärwand Schichten von reinem
Suberin und Wachs aufgelagert werden. Dabei bleiben zunächst Tüpfel
ausgespart, durch die den Phellom-Protoplasten, die ja selbst keine
Photosynthese betreiben, das Material für die Synthese von Suberin und
Wachs geliefert wird. Zuletzt werden auch die Tüpfel mit Suberin ausgefüllt,
worauf die Zellen absterben. Das Lumen füllt sich mit Luft. Suberin und Wachse können über 40% des Trockengewichtes der Wand ausmachen. Häufig
werden Phlobaphene, Oxydationsprodukte der Gerbstoffe, eingelagert, die die
Wände braun färben. Alle diese Substanzen verleihen den Wänden
beträchtliche Resistenz gegen den Angriff von Mikroorganismen.
Durch die Verkorkung zahlreicher hintereinander liegender Zellen wird
die Transpiration noch wirksamer eingeschränkt als durch die Cutinisierung der
Epidermis. Selbst dünne Korklagen setzen die Wasserabgabe wesentlich
herab: Ein geschälter Erdapfel gibt in der Zeiteinheit 64 mal mehr Wasser ab
als ein ungeschälter. Auch übermäßige Erwärmung durch Sonnenstrahlung
verhindert der isolierende Kork wirksam. Alles in allem könnte man
geschlossene Korkschichten gut mit dem Kunststoff Styropor vergleichen.
Einige Worte zum technischen Kork. Dieser ist das Produkt der
mediterranen Korkeiche, Quercus suber. Der junge Baum bildet "männlichen
Kork", eine rissige, harte Borkenschicht wie bei den heimischen Eichenarten
ohne wirtschaftlichen Wert. Erst nach dem Schälen dieser Schicht, im Alter von
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10 bis 15 Jahren, entstehen aus einem neuen Phellogen mächtige und doch
gleichmäßige Schichten weichen Korks. Dieser "weibliche Kork" wird in
Abständen von etwa 9 Jahren wiederholt durch Schälen geerntet.
Das Periderm schließt als Abschlußschicht den darunter liegenden
Pflanzenkörper luft- und wasserdicht von der Außenwelt ab. Ein gewisser
Gasaustausch ist aber weiterhin erforderlich: Die lebenden Zellen des Stammes
müssen mit Sauerstoff versorgt werden, um ihren Energiebedarf aus der
Atmung decken zu können. Oft enthalten sie auch Chloroplasten; dann
benötigen sie auch CO2. In das Periderm sind daher Bereiche eingeschaltet, die
durch lockere, interzellularenreiche Anordnung der Zellen Gasaustausch
ermöglichen. Diese Bereiche werden als Korkporen oder Lentizellen (von lat.
lenticella = kleine Linse) bezeichnet, da sie in der Aufsicht meist linsenförmig
erscheinen. Lentizellen entstehen häufig unterhalb der Stomata des primären
Hautgewebes. Ihr lockeres Füllgewebe wird vom Lentizellenmeristem
produziert, das mit dem Phellogen allseitig zusammenhängt. Die Füllzellen sind
verkorkt oder unverkorkt; für den Gasaustausch hat das keine Bedeutung, da
die Luft an den Zellen vorbei durch die Interzellularen streicht.
Dort, wo die Stämme ein langandauerndes Dickenwachstum zeigen, also
bei Sträuchern und Bäumen, wird die erste Peridermschicht, die das primäre
Hautgewebe ersetzt, meist mehr oder weniger bald zerrissen. Buche,
Hainbuche und Hasel stellen als sogenannte „Peridermbäume" Ausnahmen
dar. Bei ihnen bleibt das erste, die Epidermis ersetzende Korkgewebe dauernd
tätig und produziert eine glatte Rinde, weil es der Umfangerweiterung folgen
kann. Bei den übrigen heimischen Holzgewächsen kommt es zur
Borkenbildung. Neue Periderme werden im Inneren der Stämme, zuerst im
Rindengewebe, dann darunter im Bast, einem Teil des sekundären
Stranggewebes, angelegt. Diese Periderme sind entweder uhrglasförmig und
trennen relativ kleine Partien aus dem lebenden Bast heraus, oder sie sind
ringförmig angeordnet und bilden sich innerhalb des geschlossenen Periderms
aus, das sie in seiner Funktion ablösen sollen. Im ersten Fall finden wir eine
Schuppenborke, etwa bei Kiefer, Lärche, Eiche und Esche. Im zweiten Fall
liegt eine Ringelborke vor, die wir bei der Birke finden. Was umfaßt nun der
Begriff Borke? Stets wird durch die Folgeperiderme lebendes Gewebe vom
Zusammenhang mit den wasserleitenden Elementen des Stranggewebes
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abgeschnürt. Die verkorkten Peridermzellen verhindern die Nachleitung von
Wasser und Nährstoffen zu diesen Geweben, die daher bald absterben und
vertrocknen. Die Gesamtheit aus Peridermen und dazwischen eingeschalteten,
abgestorbenen Gewebekomplexen, die ältere Stämme bedeckt, nennt man
Borke. Die ökologische Bedeutung des tertiären Hautgewebes, wie man die
Borke auch nennt, geht über die mechanische Schutzwirkung und über die
Vermeidung von Wasserverlusten weit hinaus. Einlagerungen von Gerbstoffen
und Phlobaphenen verleihen den Borken Widerstandsfähigkeit gegen
Schädlingsbefall; Borke isoliert gegen Hitze und plötzliche Kälte. Andererseits
sind Borkenschäden für Bäume recht gefährlich, da dann Mikroorganismen in
die lebenden Gewebe eindringen können. Darauf ist bei Bauarbeiten im Bereich
der Bäume zu achten: Die Stämme sind durch Abdeckung zu schützen,
entstandene Wunden müssen mit Baumwachs behandelt werden.
Das Grundgewebe
Als Grundgewebe werden alle Gewebe zwischen Hautgewebe und
Stranggewebe zusammengefaßt. Sie entwickeln sich aus dem Grundmeristem
der Determinationszone. Anatomisch und physiologisch handelt es sich um eine
sehr heterogene Ansammlung von Geweben, die man am besten zunächst
nach ihrem Bau weiter aufgliedert. Wir können unterscheiden:
a) Parenchym
b) Kollenchym
c) Sklerenchym
Wir wollen diese Systeme der Reihe nach besprechen.
Das Parenchym
Das Parenchym besteht aus lebenden, dünnwandigen Zellen von
isodiametrischer oder mäßig gestreckter Gestalt. Solche Zellen werden als "parenchymatisch" bezeichnet, sie finden sich jedoch nicht nur im eigentlichen Parenchym, sondern auch im sekundären Hautgewebe als Phelloderm und im
Stranggewebe als Leitparenchym. Das Parenchym des Grundgewebes ist der
Hauptsitz wichtiger Leistungen der lebenden Protoplasten. Die Zellen sind
verschieden stark spezialisiert, doch stets weniger als im Hautgewebe oder im
Stranggewebe. Zellen mit so einzigartigen Funktionen wie Schließzellen oder
Korkzellen gibt es im Parenchym nie. Daher kommt es gelegentlich zum
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Aufgabenwechsel, etwa von der Assimilation zur Speicherung. Protoplasten
unspezialisierter Zellen können sich in Sonderfällen teilen. Das erklärt etwa die
Bildung von Phellogenen im Parenchym nach Verwundung, die dann Wundkork
bilden. Bei Beginn des sekundären Dickenwachstums entstehen
Lateralmeristeme (Phellogen, Teile des Kambiums) im Stamm und in der
Wurzel durch Teilung parenchymatischer Zellen.
Das Parenchym benötigt für seinen Stoffwechsel Energie, die aus Photosynthese und Atmung stammt. Ausreichende Versorgung mit Luft ist für diese
Prozesse eine Hauptvoraussetzung. Die Gase treten durch Stomata oder
Lentizellen in den Pflanzenkörper ein und werden in Interzellularräumen
weitergeleitet.
Luftführender Interzellularen können auf zwei Weisen entstehen,
nämlich schizogen oder rhexigen. Die Zellen des Apikalmeristems stoßen
lückenlos aneinander. Durch enzymatische Auflösung der Mittellamellen an
einzelnen Stellen bei Beginn der Streckung entsteht eine kleine Lücke, die sich
durch Streckung der angrenzenden Primärwände zur schizogenen
Interzellulare vergrößert. Wenn sich die Zellen, die an eine solche
Interzellulare anstoßen, mehrfach teilen und strecken, können sehr große
Lufträume entstehen, wie sie für Wasser- und Sumpfpflanzen charakteristisch
sind.
Durch mechanisches Zerreißen von ganzen Zellen entstehen die
rhexigenen Interzellularen. So folgen etwa die Markzellen im Zentrum von
Stengeln dem Streckungswachstum der äußeren Gewebe nicht; sie zerreißen
unter Beteiligung enzymatischer Abbauvorgänge in der Zellwand und es
entsteht eine lufterfüllte Markhöhle. Diese ist für manche Familien
charakteristisch, etwa für die Halme der Gräser oder die Stengel der
Doldenblütler.
Es gibt einige funktionelle Sondertypen des Parenchyms:
a) Assimilationsparenchym: Dieses findet man in allen grünen Pflanzenteilen,
besonders aber in Blättern. Charakteristisch sind seine großen Interzellularen.
Wir haben schon bei der Besprechung der Diffusionsvorgänge gesagt, daß sie
in Wasser etwa 10 000 mal langsamer als in Luft ablaufen. CO2 sollte also auf
dem Gaswege möglichst nahe an die grünen Zellen herangeschafft werden;
daraus erklärt sich der Bau dieses Gewebes.
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b) Speicherparenchym: Reservestoffe werden oft in spezialisierten Organen,
etwa unterirdischen Knollen oder Rüben, gespeichert. Samen speichern für die
Erstversorgung der nächsten Generation. In allen diesen Fällen speichern
große, zusammenhängende Komplexe aus typischen Parenchymzellen. Da die
Atmung dieser Zellen nicht sehr intensiv ist, besitzen sie meist keine großen
Interzellularsysteme. Wasserspeichernde Parenchyme finden sich in Blättern
und Stämmen sukkulenter Gewächse, etwa der Kakteen.
Holzgewächse speichern übrigens nicht im Grundgewebe, sondern in
lebenden Zellen des sekundären Stranggewebes (Holzparenchymzellen und
Markstrahlparenchymzellen).
c) Ausscheidungsparenchym: Hier muß man zwischen intrazellulärer und
extrazellulärer Ausscheidung unterscheiden. Intrazelluläre Ausscheidung ist
die Ablagerung in Vakuole oder Zellwand der Zelle, die das
Ausscheidungsprodukt gebildet hat. Beispiele sind Kalziumoxalat und Milchsaft
in Vakuolen, Kieselsäure in den Zellwänden. Oft sind einzelne Zellen mit
Speicherfunktion für Ausscheidungsprodukte in Parenchyme mit anderen
Aufgaben eingebettet. Man nennt solche Zellen Idioblasten. Extrazelluläre
Ausscheidung erfolgt aus Drüsenhaaren des Hautgewebes oder aus
Hydathoden ins Freie, oft aber in Interzellularen. Häufig sind dies schizogene
Interzellularen, die mit speziellen Grundgewebezellen ausgekleidet sind. Diese
produzieren Exkrete oder Sekrete. Hierher gehören die Harzgänge im Grundgewebe der Nadeln vieler Koniferen; ähnliche Harzgänge besitzen diese im
Stranggewebe des Stammes. Korbblütler, Doldenblütler und andere Familien
haben schizogene, mit aromatisch riechenden Ausscheidungsstoffen gefüllte
Interzellularen. Daneben gibt es eigene Interzellularen für die Ausscheidung,
die lysigenen Interzellularen. Durch Auflösung von Zellwänden und
Degeneration der Protoplasten entstehen große Hohlräume. Besonders oft tritt
dieser Typ dort auf, wo ätherische Öle im Grundgewebe entstehen, etwa in der
Schale von Citrus-Früchten.
d) Durchlüftungsparenchym: Die Wurzeln von Sumpf- und Wasserpflanzen
stecken in einem sauerstoffarmen Milieu, die Wurzel hat aber hohen Sauerstoffbedarf. Daher sind auf anaeroben Standorten im Stengel und in der Wurzel
riesige Interzellularsysteme ausgebildet, die man Aerenchyme nennt. Sie
stehen über die Spaltöffnungen der Blätter mit der Außenluft in Verbindung.
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Die Wände der Parenchymzellen sind unverdickt. Bereits diese Zellen
festigen den Pflanzenkörper: Sie werden durch den Turgordruck des Protoplasten straff gespannt, und ihre Zellwand ist in diesem Zustand sehr steif.
Natürlich kann das nur bei lebenden Zellen funktionieren und auch nur dann,
wenn die Zellen gut mit Wasser versorgt sind. Ist dies nicht der Fall, dann
kommt es zu Welkeerscheinungen. Das Prinzip des Turgordruckes genügt also
nicht einmal, um großen krautigen Pflanzen die nötige Festigkeit zu verleihen.
Die Anforderungen sind ja hoch: Ein hohler Halm von Weizen oder Roggen hat
bei einer Höhe über 1 m an seiner Basis weniger als 3 mm Durchmesser und
muß dabei an seiner Spitze noch die Last der Ähre (rund 50% des
Trockengewichtes!) tragen! Dazu ist hohe Festigkeit erforderlich. Daneben
verfügt der Pflanzenkörper aber auch noch über eine beträchtliche Elastizität.
Der lange Roggenhalm mit seiner schweren Ähre kann vom Wind
vorübergehend gegen den Boden gedrückt werden, ohne zu knicken, und
richtet sich danach mühelos wieder elastisch auf.
Kollenchyme und Sklerenchyme
Im Grundgewebe finden sich daher neben den Parenchymen auch Zellkomplexe, die mit Hilfe verdickter Zellwände festigend wirken. Die Zellen sind
teils lebend, teils tot; die Verdickung kann gleichmäßig alle Wände erfassen
oder sich auf einzelne Wände oder gar Wandteile beschränken. Und schließlich
sind manche, aber nicht alle Wände lignifiziert. Wie soll man diese Vielfalt einteilen? Man hat sich für das einfachste Kriterium, nämlich das Erscheinungsbild
im Mikroskop, entschieden und nennt Kollenchymzellen jene Zellen, deren
Wände nur teilweise, nicht allseitig verdickt sind. Sie sind zu größeren
Zellkomplexen, den Kollenchymen, zusammengefaßt, die an der Peripherie
des Organes liegen, das sie stützen sollen. Meist sind sie lebend, meist
langgestreckt, meist enthalten die Wände keine Lignin.
Sklerenchymzellen haben allseitig gleichmäßig verdickte Wände, sind
oft tot und infolge ihrer starken Verdickung ein sehr wirksames Element der
Festigung. Sehr häufig werden die verdickten Zellwände durch Lignineinlagerung weiter versteift. Sklerenchymzellen bilden Sklerenchyme. Isodiametrische Sklerenchymzellen nennt man Steinzellen oder Sklereiden. Ihre
Wände sind deutlich geschichtet, da das Wandmaterial rhythmisch abgelagert
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wird. Sie finden sich in der Fruchtwand (dem Perikarp) von Nuß- und
Steinfrüchten, sowie in Rinden und Borken. Sklerenchymfasern sind meist als
Bündel in das Grundgewebe eingelassen. Sind diese Bündel zahlreich und
wenig verholzt, so sind sie als Pflanzenfasern wirtschaftlich interessant (Blätter
von Agave sisalana, Sisalagave, und Musa textilis, Manilahanf).
Das Stranggewebe
Das Stranggewebe dient hauptsächlich dem Stofftransport und der mechanischen Festigung der Pflanze, daneben auch der Speicherung. Es zieht
sich als zusammenhängendes System von den dünnsten Wurzeln bis in die
Blätter. Seine Entwicklung war einer der Hauptschritte bei der Evolution der
höheren Landpflanzen, der Kormophyten, zu denen außer den Spermatophyten
auch noch die Farnpflanzen oder Pteridophyten gehören.
Stoffe werden in zwei getrennten Gewebeteilen geleitet, die auf den
Ferntransport von Wasser und anorganischen Nährstoffen einerseits und auf
den Ferntransport von Photosynthese-Produkten andererseits spezialisiert sind.
Das Wasser mit den darin gelösten Nährstoffen wird von der Wurzel aufgenommen und im Xylem zu den oberirdischen Teilen der Pflanze befördert.
Die bei der Photosynthese gebildeten Kohlenhydrate gelangen im Phloem von
den Orten der Bereitstellung ("sources") zu den Orten der Entnahme ("sinks").
Besonders im Xylem, aber auch im Phloem finden sich langgestreckte Zellen
mit verdickter Wand, die der Pflanze hohe mechanische Widerstandsfähigkeit
gegenüber Zug, Biegung und Druck verleihen. Lebende Elemente des
Stranggewebes können auch Reservestoffe speichern.
Die Elemente des Stranggewebes sind im primären Zustand zu Gefäßbündeln vereinigt, die im Grundgewebe eingebettet sind. Jedes Gefäßbündel
enthält Xylem und Phloem, die selbst wieder aus mehreren verschiedenen
Zelltypen mit spezialisierten Aufgaben bestehen.
a) Die Elemente des Xylems:
Als hochspezialisierte Elemente der Wasserleitung dienen Tracheiden
und Tracheen. Beide sind im funktionsfähigen Zustand tot und bestehen nur
mehr aus den verdickten, stark verholzten Wänden. Tracheiden sind einzelne
Zellen, die mit steilen, getüpfelten Schrägwänden aneinander grenzen;
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Tracheen (Gefäße) sind dagegen Längsreihen tonnenförmiger Einzelzellen, der
Gefäßglieder, die durch teilweise oder völlige Auflösung ihrer Querwände zu
geschlossenen Röhren von oft beträchtlicher Länge vereinigt sind. Sie kommen
nur bei Angiospermen vor. Funktionsfähige Tracheiden und Tracheen sind mit
Wasser gefüllt, das auch Bodennährsalze enthält. Im Frühjahr werden auch
organische Stoffe (Zucker), die aus der Mobilisierung von Reservestoffen
stammen, vom Xylemwasser der Bäume zu den austreibenden Knospen und
den jungen Trieben transportiert.
Die Wände der Wasserleitungselemente besitzen verschieden
ausgebildete, verholzte Verdickungen, die dem in Tracheen und Tracheiden bei
der Transpiration der Pflanze entstehenden Unterdruck oder Zug von vielen bar
standhalten. Was passiert, wenn man einen dünnwandigen Schlauch oder
einen Plastiktrinkhalm zuhält und die Luft ansaugt? Halm oder Schlauch
kollabieren, da der außen herrschende Überdruck die Wandung eindellt. Nun ist
die Druckdifferenz zwischen Außen- und Innenseite bei einem solchen
Experiment maximal 1 bar (Atmosphärendruck gegen Vakuum). Die
Druckdifferenz zwischen der Xylemflüssigkeit und der Atmosphäre kann
hingegen auch bei heimischen Pflanzen 10, 20 oder 30 bar betragen.
Entsprechend druckresistent muß die Wandung der wasserleitenden Elemente
gebaut sein. Das wird durch Verdickung und Verholzung erreicht.
Bei krautigen Hygrophyten sind häufig nur kleine Bereiche der Wände
verdickt; man spricht dann von Ring-, Schrauben- und Netzgefäßen oder tracheiden. Auf trockenen Standorten und generell bei Holzgewächsen findet
sich überwiegend eine massive Form der Verdickung, die nur den Bereich der
Tüpfel freiläßt. Es entstehen die Tüpfelgefäße und Tüpfeltracheiden.
Das Xylemparenchym besteht aus lebenden und verholzten
parenchymatischen Zellen. Es dient der Speicherung von Reservestoffen, wie
Stärke und Fett, vermittelt aber auch die Querleitung des Wassers und der
Nährsalze aus dem Bündel ins Grundgewebe.
Als mechanische Festigungselemente dienen im Xylem die
Libriformfasern. Es sind dies prosenchymatische, verholzte und dickwandige
Zellen, die den Sklerenchymfasern ähneln. Sie finden sich nur bei
Angiospermen.
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b) Die Elemente des Phloems:
Assimilate werden in wäßriger Lösung von den in Längsreihen
angeordneten Siebröhrengliedern, den Elementen der Siebröhren,
transportiert. Ihre Zellen enthalten Protoplasten mit Mitochondrien und
stärkehaltigen Plastiden. Zellkern und Tonoplast werden in den
hochentwickelten Siebröhren der Angiospermen frühzeitig aufgelöst; das
Plasma erfüllt das gesamte Lumen der Zelle als aufgelockertes Maschenwerk in
innigem Kontakt mit dem Zellsaft. Die Siebröhren sind stets unverholzt. Ihren
Namen verdanken sie lokalen, siebartigen Durchbrechungen ihrer Querwände
und ihrer Längswände. Die stark perforierten Querwände der Siebröhrenglieder
bezeichnet man als Siebplatten, ähnliche, aber kleinere Abschnitte, die hier
und da in den Längswänden auftreten, als Siebfelder. Dicke Plasmastränge
durchziehen diese Wanddurchbrechungen und verbinden die Protoplasten. Man
kann sich vorstellen, daß die innige Verbindung der Protoplasten im System der
Siebröhren beim Stofftransport nützlich ist, man hat aber noch keine völlig
gesicherte Vorstellung darüber, wie das Wasser und die darin gelösten Stoffe
(meist Saccharose, in einigen Fällen auch Oligosaccharide, besonders
Raffinose, und dazu eine Anzahl weiterer Substanzen, wie etwa
Pflanzenhormone, Kaliumionen, Aminosäuren und sogar ATP), transportiert
werden. Die meisten Autoren gehen heute von osmotischen Prozessen aus:
Wenn das Röhrensystem an einer Stelle (der Source) mit gelösten Stoffen
beladen wird, dann erhöht sich dort durch Ansaugung von Wasser der innere
Druck. Die Druckwelle pflanzt sich fort und mit ihr werden Stoffe zu den Orten
geringerer Konzentration (den Sinks) transportiert (Münch´sche
Druckstromhypothese).
Die Lebensdauer der Siebröhren ist in der Regel auf eine einzige
Vegetationsperiode beschränkt. Dann degenerieren sie und müssen durch
neue ersetzt werden.
Bei den Angiospermen gehen die Siebröhren durch inäquale Teilung aus
Siebröhrenmutterzellen hervor. Aus der größeren Zelle entsteht das
Siebröhrenglied, aus der kleineren, die sich vorher auch noch quer teilen
kann, entsteht schließlich die Geleitzelle. Geleitzellen sind viel englumiger als
die Siebröhren, sehr plasmareich, haben große Zellkerne und stehen mit den
Siebröhren durch zahlreiche Plasmodesmen in enger plasmatischer
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Verbindung. Ihre polyploiden Kerne steuern den Stoffwechsel der kernlosen
Siebröhrenglieder, wie man annimmt. Sie liefern also RNA oder Proteine, die in
das Protoplasma des Siebröhrengliedes übertreten. - Die kernlosen Siebröhrenglieder und ihre Schwesterzellen, die Geleitzellen, finden sich nur bei den
Angiospermen. Die Gymnospermen haben kernhaltige Siebzellen, die auch im
Hinblick auf die Eiweißsynthese autark sein dürften.
Auch im Phloem treten parenchymatische Zellen mit Speicher- und
Leitfunktion auf, die größer als die Geleitzellen sind und als Phloemparenchym
bezeichnet werden.
Sklerenchymatische Elemente des Phloems, die ebenso wie die
Libriformfasern des Xylems der mechanischen Festigung dienen, sind die
Phloemfasern. Das sind prosenchymatische, an den Enden zugespitzte Zelen,
die meist nur ein enges Lumen besitzen. Ihre Zellwände sind unterschiedlich
verholzt: stärker bei Jute, schwächer bei Hanf, gar nicht bei Lein, um drei
kommerziell genutzte Phloemfasern zu nennen. In der Regel sind sie tot,
gelegentlich, so etwa beim Wein, kommen auch lebende Faserzellen vor.
Phloemfasern sind bei geringem Durchmesser ungewöhnlich lang, im
Durchschnitt 1 -2 mm, bei Lein 0.4 - 6,5 cm, bei der Brennessel bis 7,5 cm. Wie
bereits erwähnt, halten den Längenrekord unter allen bekannten Pflanzenzellen
die Phloemfasern der Gattung Boehmeria (Ramie), die bis 55 cm lang werden
können. Ihre Länge erreichen die Fasern durch ein lange andauerndes
Wachstum, bei dem ihre Spitzen sich auch zwischen andere Zellen schieben
können, deren Mittellamellen aufgelöst werden ("gleitendes Wachstum"). Die
Fasern liegen häufig als kompakter Strang an der Grenze vom Phloem zum
Grundgewebe und können daher oft auch technisch genutzt werden.
Zusammenfassend eine Gedächtnisstütze: Im voll entwickelten Zustand
sind alle Elemente des Xylems mit Ausnahme der Xylemparenchymzellen tot,
hingegen alle Elemente des Phloems mit Ausnahme der meisten Phloemfasern
lebend.
Die Gefäßbündel
Wir kennen also jetzt die Elemente des Stranggewebes. Xylem und
Phloem treten stets in unmittelbarer Nachbarschaft auf, bleiben aber scharf
voneinander getrennt. Vor Einsetzen des sekundären Dickenwachstums lassen
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sich im Sproß und der Wurzel Stränge von Leitgewebe, die Leitbündel oder
Gefäßbündel, unterscheiden. Sie haben kreisförmigen oder elliptischen
Querschnitt und verlaufen in Richtung der Längsachse der Organe, sind aber
durch Querverbindungen zu einem kommunizierenden System verbunden. Abzweigungen reichen in Seitenäste und Blätter. Hier vollzieht sich der gesamte
Ferntransport von Wasser und Assimilaten. Man teilt die Gefäßbündel nach den
Lagebeziehungen zwischen Xylem und Phloem ein.
a) Das kollaterale Gefäßbündel ist für die Stämme und Blätter der Gymnospermen und Angiospermen charakteristisch. Das Phloem ist nach aussen,
das Xylem nach der Mitte des Stengels gerichtet. In den geschlossenen
kollateralen Bündeln der Monokotylen grenzen Xylem und Phloem direkt
aneinander, in den offenen kollateralen Bündeln der Gymnospermen und
Dicotylen sind sie dagegen durch einen meristematischen Gewebestreifen,
das faszikuläre Kambium, getrennt.
b) Im konzentrischen Gefäßbündel ist ein Xylem- oder Phloemstrang von
einem mantelförmigen Phloem- oder Xylemstrang umgeben. Liegt das Xylem im Bündel innen, so ist dieses hadrozentrisch, und nur dieser Typ ist
wichtig, da er nämlich bei den meisten Farnen vorkommt.
c) Das radiäre Gefäßbündel ist typisch für Wurzeln. Zum Unterschied von den
oft sehr zahlreichen Bündeln im Stamm gibt es stets nur ein radiäres Bündel
pro Wurzel. Dafür hat es aber mehrere getrennte Xylem- und
Phloemstränge. Sie sind im Querschnitt wie die Speichen eines Rades und
miteinander abwechselnd angeordnet. Die Xylemteile stoßen im Zentrum
meist aneinander, das Xylem bildet daher eine sternförmige Figur. In den
Buchten zwischen den Xylemsträngen liegt das Phloem, das vom Xylem
durch Leitparenchymschichten getrennt ist. Die Entwicklung dieses Bündeltyps erfolgt zentripetal, von außen nach innen; am weitesten außen
liegen daher die kleinen ersten Elemente, die Primanen, weiter innen die
später ausdifferenzierten Folgeelemente von größerem Durchmesser. Zum
Bündel gehört hier noch ein Meristemring aus teilungsfähigen Zellen, der
Perizykel.
Den Bau des sekundären Stranggewebes, das keine neuen Zelltypen
enthält, wollen wir zusammen mit seiner Bildung etwas später besprechen.
ORGANOGRAPHIE
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Wir kommen zur Organographie des Pflanzenkörpers, der aus drei
typischen Organen besteht: Stamm und Blatt sind enger verwandt, da sie auf
ein gemeinsames Apikalmeristem zurückgehen. Sie werden als Spross
zusammengefaßt. Dagegen ist die Wurzel als Produkt eines zweiten, anders
strukturierten Apikalmeristems deutlich eigenständig.
Die Grundform der drei Organe des Pflanzenkörpers und ihre übliche
Funktion werden oft stark abgewandelt. Wir sehen also viele Funktionen und
noch viel mehr Formen; mit der Gliederung dieser Vielfalt beschäftigt sich die
Morphologie im engeren Sinn. Wir wollen zunächst die typischen Baueigentümlichkeiten der drei Organe untersuchen und so den „idealen Bau“ des ganzen Pflanzenkörpers erarbeiten. Sonderbildungen umfassen meist den ganzen
Körper, also mehrere Organe, und sie sind oft Anpassungen an bestimmte
Umweltansprüche.
Der Samen
Zunächst werden kurz Bau und Keimung des Samens besprochen, da
ein junger Spermatophyt sich stets aus einem Samen entwickelt. Der Samen
entsteht aus der Samenanlage; diese enthält eine Eizelle, die nach ihrer
Befruchtung durch die männlichen Geschlechtszellen den vielzelligen Embryo
aufbaut. Der Embryo braucht Schutz, vor allem gegen Fraßfeinde. Meist ist also
die Diaspore (die Verbreitungseinheit) von einer widerstandsfähigen Hülle
umgeben. Manchmal ist diese Hülle, die oft Sklereiden enthält, ein Teil der
Frucht (etwa bei der Walnuß oder der Maroni), manchmal die Samenschale, die
Testa. Im Inneren ruht der chlorophyllfreie, bleiche Embryo, der bei der
Keimung auf Reservestoffe angewiesen ist. Diese werden von der Mutterpflanze mitgegeben. Entweder ist dafür ein spezielles Nährgewebe (Endosperm)
ausgebildet, in das der Embryo eingebettet liegt, oder er speichert selbst, und
zwar in den Keimblättern oder Cotyledonen. Nährgewebe enthalten zum
Beispiel die Samen der Gräser, also auch der Getreidearten. Nährgewebelose
Samen mit Speicherkotyledonen haben unter anderem die Stein- und
Kernobstarten, die Hülsenfrüchtler wie Erbse und Bohne, die Buchen und
Eichen, der Kürbis oder die Haselnuß. Die Keimblätter im Samen sind dann
sehr verdickt und kaum mehr als Blattorgane zu erkennen.
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Die Achse des Embryos besteht aus der Keimwurzel oder Radicula
und dem Hypokotyl, die am Wurzelhals ineinander übergehen. Das Hypokotyl
trägt die Keimblätter oder Cotyledonen, deren Zahl für die beiden Klassen der
Angiospermen (Ein- und Zweikeimblättrige) charakteristisch ist. Nadelhölzer
haben verschieden viele Keimblätter je nach Art. Alle Zellen des Embryos im
Samen sind noch teilungsfähig.
Nach der Fertigstellung geht diese junge Pflanze in einen Ruhezustand
über, wobei der Samen meist stark austrocknet. Es folgt die Trennung der Diaspore von der Mutterpflanze und die Verbreitung durch Wind, Wasser oder
Tiere. Nach der Verbreitung und der Einbettung in den Boden keimen viele
Samen auch unter günstigen Bedingungen nicht sofort. Das gilt besonders für
Samen, die spät im Jahr reifen. Diese Keimruhe kann verschiedene Ursachen
haben, von noch nicht abgeschlossenen Wachstumsprozessen bis zu
chemischen Hemmstoffen oder einer wasserundurchlässigen Testa. Solche
Samen müssen eine Nachreife durchmachen, um keimfähig zu werden. In
gemäßigten Breiten sind oft niedrige Temperaturen zur Auslösung der Nachreife erforderlich. Es können also viele Samen Anfang November auch bei
Temperaturen um 10°C nicht keimen; dadurch wird die empfindliche Jungpflanze vor den niedrigen Wintertemperaturen geschützt. Der Samen keimt im
Frühjahr, wenn nicht ein "Überliegen" erfolgt und er ein oder mehrere weitere
Jahre in Ruhe bleibt. Die Keimung hat Voraussetzungen:
1)
Wasser muß in genügender Menge und in günstigem Zustand vorhanden
sein.
2)
Die Sauerstoffversorgung muß gewährleistet sein.
3)
Die Temperatur muß geeignet sein. Der Bereich ist an sich sehr groß (0 45°C), doch haben viele Samen ein Optimum bei 25 - 30°C.
Die Keimung eines Samens wird durch die Aufnahme von Wasser ein-
geleitet. Die trockenen Zellen im Samen vergrößern sich durch Quellung und
sprengen die Testa. Das Zellmaterial wird durch Teilung vermehrt und durch
Streckung vergrößert. Dabei ist zunächst das Wurzelwachstum gefördert. Die
Primärwurzel tritt aus, verankert den Keimling im Boden und versorgt den wachsenden Embryo mit Wasser und Mineralstoffen. Substanzen und Energie für
das Wachstum werden durch Umbau und Abbau der Reservestoffe gewonnen.
Zuletzt streckt sich der Stamm. Die Blätter entfalten sich und treten aus der
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Samenschale aus, die als leere Hülle abgeworfen wird. In manchen Fällen
streckt sich das Hypokotyl nicht. Dann können auch die Cotyledonen in der
Samenschale zurückbleiben, da diese Reservestoffbehälter nach ihrer
Entleerung nutzlos sind. Man bezeichnet das Vorkommen eines gestauchten
Hypokotyls als hypogäische Keimung ("Keimung unter der Erde", da ja der
Same in vielen Fällen von einer dünnen Erdschicht bedeckt ist). In anderen
Fällen, vor allem bei Samen mit Endosperm, werden die Keimblätter über die
Erde erhoben. Sie werden grün und dienen als erste photosynthetisch tätige
Organe der Pflanze. Dieses Verhalten bezeichnet man als epigäische
Keimung ("Keimung über der Erde").
Wir sehen uns zunächst die weitere Entwicklung des Sprosses an.
Ganz zu Anfang der Keimung sind noch alle Zellen des Keimlings teilungsfähig,
doch bald werden allein von den Apikalmeristemen neue Zellen gebildet. Den
Sprossvegetationspunkt nennt man seiner Gestalt wegen auch Vegetationskegel. Er legt an den Flanken unmittelbar unter seiner Spitze die
Blätter an. Die sich streckenden jungen Blätter überragen und umhüllen das
Apikalmeristem und schützen so das empfindliche Gewebe. Ein solches
Gebilde nennt man Knospe. An jenen Stellen, die später in den Achseln der
Blätter liegen, bleiben Zellen meristematisch und bilden ihrerseits einen
Vegetationskegel und in weiterer Folge eine Knospe aus. Dann ruhen sie.
Diese Knospen in den Achseln der Blätter bilden später die Seitensprosse,
während der erste Vegetationskegel oft den Hauptspross aufbaut. Meist ist die
so angelegte Hauptachse negativ gravitrop, sie wächst vom Erdmittelpunkt
weg. Stellen der Blattabzweigung nennt man Knoten oder Nodien (Einzahl:
Nodium). Sie unterscheiden sich anatomisch von den
Zwischenknotenstücken oder Internodien. Die Länge der Internodien ist je
nach dem Wuchstyp der Art verschieden. Bei vielen Kräutern sind die Blätter in
einer grundständigen Rosette angeordnet, da die Hauptachse gestaucht bleibt
und die Internodien sich kaum strecken. Oft ist die Rosette nur für das
vegetative Wachstum charakteristisch. Sobald die Pflanze die Blühreife erlangt,
verlängern sich die Internodien an den neugebildeten Sprossabschnitten, und
es bildet sich ein Stengel, der mit einem endständigen Blütenstand abschließt.
Dieser Stengel kann beblättert sein, wie beim Hirtentäschel, der Zuckerrübe
oder dem Radieschen. Andere Rosettenpflanzen, wie etwa Primel,
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Hungerblümchen, Erdbeere, Löwenzahn oder Wegerich, treiben Stengel ohne
grüne Blätter, die von einem Blütenstand abgeschlossen werden. Blüten an
gestreckten Stengeln sind wohl für Bestäuber leichter zu finden.
Bei den meisten Pflanzen strecken sich aber alle Internodien beträchtlich.
Daran ist auch die Neubildung von Zellen in Interkalarmeristemen beteiligt, die
meist an der Basis der jungen Internodien knapp über dem Knoten sitzen.
Pflanzen mit gestreckten Stengeln zeigen die Regeln der Blattstellung besser
als Rosettenpflanzen. An jedem Knoten können ein, zwei oder mehrere Blätter
stehen. Mehrere Blätter pro Knoten bezeichnet man als quirlständige Blätter.
Zwei Blätter pro Knoten sind gegenständig; sie stehen einander immer
diametral gegenüber. Dabei können die Blätter an aufeinanderfolgenden
Knoten in rechtem Winkel zueinander stehen, was man als dekussierte
Blattstellung bezeichnet, oder sie können übereinander stehen, wodurch sie
zwei parallele Reihen bilden; das ist die distiche Anordnung. Wenn sich nur ein
Blatt an jedem Knoten entwickelt (wechselständig), bilden sich entweder zwei
gegenüberstehende Reihen, die Blätter sind also wieder distich, oder sie liegen
schraubig auf einer Linie, die sich um die Achse herumzieht. Der Winkel
zwischen zwei aufeinanderfolgenden Blattansatzstellen ist dann kleiner als 180
°C; er ist genetisch bedingt und sehr konstant. Allerdings kann einseitiger
Lichteinfall die Stellung der Blattspreiten recht unterschiedlich machen. Der
Blattstiel kann nämlich durch Wachstumsvorgänge die Spreite in eine optimale
Stellung für die Photosynthese bringen.
Die Blattstellung ist schon auf dem Vegetationskegel festgelegt. Um jede
junge Blattanlage entsteht eine physiologische Sperrzone, die die Entstehung
konkurrierender Anlagen unterdrückt. Die junge Anlage wirkt aber auch in die
Tiefe des Stammgewebes und sorgt dafür, daß sie mit Leitgewebe versorgt
wird, wofür eine besondere Ausbildung der Blattknoten nötig ist. Diese
Entwicklungssteuerung beruht auf der Abgabe von Hormonen, die um die Anlage einen Konzentrationsgradienten bilden.
Wir wollen jetzt den inneren Bau des Stammes betrachten, und zwar
zunächst den Zustand vor dem Beginn der Tätigkeit von Lateralmeristemen.
Dieser primäre Zustand bleibt bei allen Einkeimblättrigen und Farnen, aber
auch bei zarten, einjährigen Kräutern unter den Dikotylen zeitlebens erhalten.
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Vom meristematischen Vegetationspunkt der Sprossachse werden basalwärts Zellen abgegliedert, die in der darunterliegenden Determinationszone
entsprechend ihren Aufgaben in einen peripheren Mantel aus künftigem
Abschlußgewebe (Protoderm), eine Lage Grundmeristem der Rinde und einen
zentralen Strang Grundmeristem des künftigen Markgewebes gesondert
werden. Zwischen diesen bleibt bei den Dicotylen und Gymnospermen ein
schmaler Zylindermantel erhalten, das Prokambium. Es spaltet sich später
häufig in isolierte Einzelbündel auf, die aber mehr oder minder exakt auf einem
Zylindermantel liegen bleiben. - Anders ist es bei den Monokotylen, wo kleinere
meristematische Prokambiumstränge undifferenziert zwischen den späteren
Grundgewebsbereichen erhalten bleiben.
Nach der ersten Sonderung folgen die Zonen der Streckung und der Differenzierung, wo die Zellen des Grundmeristems zu parenchymatischen Dauerzellen werden. Bei Dikotylen und Gymnospermen nennt man die Bereiche
außerhalb des Gefäßbündelringes das Rindenparenchym, die zentralen
Bereiche das Mark. Aus der äußersten Schicht, dem Protoderm, entsteht die
Epidermis. Gleichzeitig werden im Prokambium, dessen Zellen sich in die
Länge strecken, Leitelemente angelegt. Zwischen den einzelnen
Prokambiumsträngen entwickeln sich bei Dikotylen und Gymnospermen
Streifen parenchymatischen Gewebes, die Markstrahlen. Mit zunehmender
Entfernung vom Vegetationspunkt schreitet die Differenzierung der
Prokambiumstränge fort, wobei auf der Innenseite Wasserleitungselemente, auf
der Außenseite Siebröhren gebildet werden, deren Gesamtheit man
Protoxylem und Protophloem nennt. Diese Elemente sind nur kurz in Funktion
und werden beim weiteren Streckungswachstum zerrissen. Ihre Aufgabe wird
dann von neugebildeten, längeren und breiteren Elementen in den Leitbündeln
übernommen, deren Gesamtheit man als Metaxylem bzw. Metaphloem
bezeichnet.
In den Internodien der Gymnospermen und der Dikotylen sind die
offenen kollateralen Bündel auf einem Zylindermantel angeordnet. Die Bündel
können durch breite primäre Markstrahlen getrennt sein oder zu einem fast
geschlossenen Zylinder zusammentreten. Der Bündelring umschließt das Mark,
dessen Zellen oft Reservestoffe speichern. Gelegentlich bildet sich aber auch
eine rhexigene Markhöhle. Außen ist der Bündelring oft von einem Ring skler82
83
enchymatischer Zellen umgeben. Alle diese Elemente zusammen bilden den
Zentralzylinder. Um den Zentralzylinder liegt die Rinde, deren Parenchymzellen
Photosynthese und Speicherung betreiben. Die äusserste Schicht des primären
Stammes ist die Epidermis. Darunter finden sich im primären Stamm häufig
Lagen von Kollenchymen und Sklerenchymen. Zusammen mit den verholzten
Elementen des Leitgewebes (Tracheen, Tracheiden, Libriformfasern und
Phloemfasern) verleihen sie dem Stamm Festigkeit.
Anatomisch unterscheiden sich die Knoten der Dikotylen beträchtlich von
den Internodien. Hier biegen die Bündelverzweigungen als sogenannte Blattspuren in die Blätter aus, ebenso Zweigspuren in die Seitenachsen, die ja in
den Achseln von Blättern entstehen. Das Xylem, das im Stamm innen liegt,
befindet sich im Blatt auf der ursprünglich dem Stamm zugekehrten Oberseite.
Häufig sind die in den Internodien längs verlaufenden Bündel in den Knoten
horizontal verbunden. Dadurch können Beschädigungen einzelner Abschnitte
des Leitgewebes immer wieder umgangen werden.
Der Stamm der Monokotylen enthält viele geschlossene kollaterale
Bündel, die bei kompaktem Stengel über den gesamten Querschnitt verteilt
sind. In Stengeln mit Markhöhle, wie etwa bei Gräsern, können Bündel natürlich
nur am Rand liegen, bilden dort aber selten nur einen Kreis. Der Bündelverlauf
durch den monokotylen Stamm ist höchst kompliziert. Während bei den
Dikotylen von einem Netzwerk "stammeigener" Bündel zu den Blättern kurze
Blattspurstränge abzweigen, verlaufen bei den Monokotylen die Bündel meist
über lange Strecken im Stamm, werden aber immer wieder von Blattbündeln
angezapft, die oft über mehrere Knoten parallel verlaufen und erst dann in die
Blätter ausbiegen. Der Bau des Leitsystems ist also mindestens so kompliziert
wie bei den Dikotylen, doch erfordert seine Analyse raffinierte Techniken. Der
Eindruck, daß die Bündel regellos über den Stammquerschnitt verstreut seien,
wie er sich bei der Betrachtung einzelner Querschnitte ergibt, ist jedenfalls
falsch.
Da die Gefäßbündel der Monokotylen kein Kambium enthalten, fehlt
ihnen das Lateralmeristem für ein sekundäres Dickenwachstum. Monokotyle
bleiben daher meist krautig. Dennoch können manche Arten dieser Unterklasse
baumförmige Dimensionen erreichen. Das bekannteste Beispiel sind wohl die
Palmen. Deren Stämme enthalten einzelne Leitbündel in einem verholzten
83
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Parenchym. Sie bleiben nach der Keimung viele Jahre gestaucht; alle
Assimilate werden zur Vergrößerung des Spitzenmeristems durch Teilung der
Zellen verwendet. Wenn schließlich das Längenwachstum einsetzt, genügen
Streckung und Erstarkung der Zellen, die von dem großen Vegetationskegel
abgegeben werden, um einen mächtigen, säulenförmigen Stamm aufzubauen.
Zum Unterschied vom Stamm dikotyler Bäume ist der Palmenstamm an der
Basis nicht breiter als in der Krone; im Gegenteil, durch weiteres Wachstum des
Vegetationskegels kann manchmal gegen die Spitze hin eine mäßige
Verbreiterung eintreten.
Dikotyle und Gymnospermen haben zeitlebens kleine Vegetationskegel,
die nur wenig Zellmaterial abgeben. Im Verlauf des Differenzierungswachstums
entstehen daraus die primären Gewebe. Wenn die Apikalmeristeme der
Hauptachse und der Seitenachsen neue Zellen abgeben, werden jedoch die
bereits fertigen Teile des Stammes immer stärker belastet: Leitelemente an der
Stammbasis müssen mehr Wasser heranschaffen, mechanische Elemente
müssen ein stets wachsendes Gewicht tragen. Wenn das primäre Wachstum
begrenzt ist, dann reichen die direkt vom Apikalmeristem abstammenden Leitund Festigungsgewebe für diese Aufgabe aus. Hierher gehören aber nur relativ
wenige einjährige dikotyle Kräuter.
Bereits mehrjährige Stauden, noch mehr aber die hochwüchsigen Bäume, benötigen zusätzliche Leit- und Stützgewebe. Sie werden nicht mehr vom
Apikalmeristem gebildet, sondern von einem Lateralmeristem, dem Kambium.
Dieses beginnt in einiger Entfernung vom Apikalmeristem mit der Bildung
sekundärer Dauergewebe, die den primären hinzugefügt werden.
Das Kambium
Das Kambium ist ein Lateralmeristem (von mehreren). Es liegt also parallel zur Außenseite des Stammes und gibt (wie das Phellogen) neue Zellen
durch tangentiale Teilungen nach innen und nach außen ab. Das Kambium ist
schon im primären Stamm der Dikotylen und Gymnospermen vorhanden,
jedoch nur teilweise: Das Bündel- oder Faszikularkambium trennt in den
offenen kollateralen Leitbündeln das Xylem vom Phloem. Es ist dies jener Rest
des Prokambiumstranges, der bei der Bündeldifferenzierung nicht zu Xylem und
Phloem umgewandelt wurde, sondern meristematisch blieb.
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Die Bündel liegen im Stamm der Dikotylen und der Gymnospermen auf
einem Zylindermantel. Zwischen den Bündeln laufen Parenchymstreifen, die
primären Markstrahlen, die Rinde und Mark verbinden. Das sekundäre
Dickenwachstum wird damit eingeleitet, daß Markstrahlzellen direkt neben
dem Bündelkambium sich erneut teilen. Durch weitere Teilungen auch in der
Mitte des Markstrahls entstehen Streifen von Interfaszikularkambium oder
Zwischenbündelkambium, die zusammen mit den Bündelkambien einen
geschlossenen Kambiumring bilden. Durch zeitlich abgestimmte Teilungen
dieses Ringes vergrößert sich der Umfang der Achse gleichmäßig. Bei Arten
mit einem im primären Zustand ringförmig angelegten Stranggewebe bildet das
Faszikularkambium bereits einen geschlossenen Ring, der die schmalen
primären Markstrahlen quert, so dass kein neues Interfaszikularkambium
gebildet werden muss.
Die Kambiumzellen sind typische Meristemzellen, treten aber in zwei
unterschiedlichen Formen auf: Die Fusiforminitialen sind in der Längsrichtung
des Stammes gestreckt, die kleineren Markstrahlinitialen isodiametrisch. Das
Kambium hat meist keine Interzellularen, daher ist der Gasaustasch des
Stamminneren erschwert und nur dort rasch, wo im Kambiummantel Lücken
sind, etwa bei der Abzweigung von Seitensprossen.
Ein aktives Kambium gibt nach innen und außen Zellen ab, die sich
langsam zu Holz- oder Bastelementen ausdifferenzieren. Im Querschnitt sieht
man daher meist nicht nur eine, sondern mehrere Lagen dünnwandiger Zellen
in radialen Reihen hintereinander liegen. Die nach innen gerichteten Teilungen
schieben das Kambium nach außen: Die Zellen des Holzes bleiben an ihrem
Bildungsort, während die äußere der beiden Tochterzellen meristematisch
bleibt, nach einiger Zeit wieder ihr ursprüngliches Volumen erreicht und sich
erneut teilt. Es werden weit mehr Zellen nach innen als nach außen abgegeben,
sodaß das Holz viel zellenreicher als der Bast ist. Die Steuerung der Produktion
erfolgt durch Hormone: Verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Auxin und
Gibberellin zum Auxin, dann bildet die Kambiumzelle ein Holzelement; nimmt
die Gibberellin-Konzentration relativ zu, dann wird eine Bastzelle abgeschnürt.
Da sich der Holzkörper verdickt, muss auch der Kambiumring an seinem
Außenrand erweitert werden. Das geschieht durch tangentiales Wachstum der
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Kambiumzellen und durch gelegentliche radiale Teilungen. Danach bleiben
beide Tochterzellen im Kambiumring.
Alle Gewebe außerhalb des Kambiums kommen durch die
Umfangserweiterung unter Spannung. Wir haben bereits die Konsequenzen
gesehen: Erst ersetzt ein Oberflächenperiderm die Epidermis, dann kommt
auch dieses unter Spannung und wird durch Tiefenperiderme abgelöst. Sie
schnüren das Rindengewebe und die älteren, außenliegenden Bastschichten
ab und ergeben mit diesen zusammen eine tote, meist stark mit Gerbstoffen
imprägnierte Schutzschicht, die Borke.
Die Produkte des Kambiums
Wir wollen jetzt sehen, was das Kambium eigentlich produziert. Hier sind
uns zwei klare Definitionen hilfreich, die wir zunächst zur Kenntnis nehmen und
erst später durchdenken wollen.
Definition I: Alles vom Kambium beim sekundären Dickenwachstums nach
innen abgeschiedene Gewebe heißt Holz, und zwar unabhängig vom Grade
der Verholzung, also vom Ausmaß der Lignineinlagerung.
Definition II: Alles vom Kambium nach außen abgeschiedene Gewebe heißt
Bast.
Man liest für Holz gelegentlich "sekundäres Xylem" und für Bast
"sekundäres Phloem". Beides ist nicht ganz korrekt, wenngleich im Englischen
üblich. In beiden Fällen kommen nämlich zu den primären Elementen des
Xylems und des Phloems noch ganz neue Elemente, die Markstrahlen, hinzu.
Wir finden also im Holz folgende Bestandteile:
a) bei Gymnospermen: Tracheiden, Holzparenchym1, Markstrahlparenchym
1
b) bei Dikotylen: Tracheiden, Tracheen, Libriformfasern oder Holzfasern ,
1
Holzparenchym , Markstrahlparenchym
Auch im Bast kommen zu den Bestandteilen des Phloems noch die
Markstrahlparenchymzellen hinzu. Wir finden also bei:
1
a) Gymnospermen: Siebzellen (mit Kern, ohne Geleitzellen) Bastfasern ,
1
Bastparenchym , Markstrahlparenchym
86
87
1
1
b) Dikotylen: Siebröhren, Geleitzellen, Bastfasern , Bastparenchym ,
Markstrahlparenchym
(1 Namenswechsel gegenüber den Elementen des primären Zustandes: Ersatz von "Xylem" durch “Holz",
und von "Phloem" durch "Bast", am Bau ändert sich nichts!)
Alle Elemente, die sich schon im primären Bündel finden (= alle außer
den Markstrahlen), sind in achsialer Richtung gestreckt. Sie sind im sekundären
Zustand Produkte der Fusiforminitialen. Nach der Abgliederung vom Kambium
können sie entweder die Länge der meristematischen Fusiforminitialen
beibehalten: Das tun die Tracheenglieder und die Siebröhrenglieder. Sie
können sich verlängern und durch "gleitendes Wachstum" zwischen andere
Zellen eindringen; so verhalten sich Fasern, teilweise auch Tracheiden. Und
schließlich können sie sich ein- oder mehrmals teilen und kleinere Zellen liefern;
dann entstehen Bastparenchym und Holzparenchym. Die Funktion aller dieser
Zellen gleicht der ihrer Vorläufer in den primären Bündeln.
Etwas Neues ist das Markstrahlparenchym, das Produkt der
Markstrahlinitialen. Seine Zellen strecken sich quer zur Achse. Die Markstrahlen
verbinden das Stamminnere mit den äußeren Teilen, also das Mark mit der
Rinde und das Holz mit dem Bast. Diese Verbindung ist sehr wichtig für den
Stoffaustausch. Durch sie erreichen Photosyntheseprodukte aus den Siebröhren die lebenden Holzzellen, wo sie als feste Reserven, nämlich als Stärke
oder Fetttröpfchen, abgelagert werden. Wasser, Nährsalze und remobilisierte
Reservestoffe gelangen hingegen vom Holz in den Bast.
Im primären Stamm werden die Parenchymzonen zwischen den Bündeln
als primäre Markstrahlen bezeichnet. Beim sekundären Dickenwachstum
genügt es nicht, diese primären Markstrahlen nur zu verlängern. Ein alter
Stamm hat einen großen Umfang, und die wenigen primären Markstrahlen
könnten dort nur einen kleinen Teil des Bastes anzapfen und nur mit einem
kleinen Teil des Holzparenchyms in innigen Kontakt treten. Um auch die
Zwischenbereiche zu versorgen, teilen sich daher von Zeit zu Zeit Fusiforminitialen in Gruppen oder einzeln quer und werden zu kleineren Markstrahlinitialen.
Das Kambium gibt dann an diesen Stellen nach innen und außen
Markstrahlzellen ab. Diese sekundären Markstrahlen beginnen im Holz und
enden im Bast. Es wurde gezeigt, daß immer dann, wenn Fusiforminitialen zu
weit vom nächsten Markstrahl abrücken, durch die fehlende Versorgung mit
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Stoffen aus diesen Markstrahlen eine Teilung dieser Initialen erzwungen wird.
Das ergibt einen sogenannten "Mangelmustereffekt", der zu einer sehr regelmäßigen Verteilung der Markstrahlen im Holzkörper führt.
Neben der Querleitung dienen die Markstrahlzellen auch der Reservestoffspeicherung während der Vegetationsruhe und der radialen Versteifung, da
ihre Zellen klein und ihre Wände stark verdickt sind. Sie sind meist auch massiv
verholzt. Starke Tüpfelung ermöglicht dennoch leichten Stoffaustausch.
Rhythmen des Dickenwachstums
Das sekundäre Dickenwachstum folgt Rhythmen. Viele Jungpflanzen
verdicken schon im ersten Jahr die Basis ihrer Stengel durch die Tätigkeit des
Kambiums, jedoch erst, wenn die Differenzierung der primären Gewebe
beendet ist. Sie beginnen daher relativ spät im Jahr mit ihrem sekundären
Dickenwachstum. Anders bei älteren Stämmen: Das Kambium der Holzpflanzen
kann an einer Stelle des Stammes viele Jahre und Jahrzehnte hindurch neue
Leitelemente bilden. Es beginnt sich im Frühjahr zu teilen, sobald die
Bedingungen es zulassen; das ist je nach Breitengrad, Höhenlage und
Witterung zeitlich verschieden. Ein grober Richtwert für Tieflagen in
Mitteleuropa wäre ein Zeitpunkt im Monat April. Ebenso ist das Ende der
Teilungen im Spätsommer nach Art und Standort verschieden. Meist tritt die
Ruhepause Ende August bis Ende September ein. Man darf jedoch nicht
annehmen, daß die Teilungen in der Zwischenzeit ständig im gleichen
Rhythmus erfolgen; es gibt aktive und weniger aktive Phasen. So sind etwa für
die Rotföhre (Pinus sylvestris) zwei aktive Phasen und zwei Pausen des
Kambiums allein während der Frühjahrsmonate beschrieben worden. Die
Pausen entsprechen dem Austrieb der Nadeln Ende April und der Entwicklung
der weiblichen Zapfen Ende Mai. Das ist verständlich: Nadelschub und
Zapfenwachstum benötigen organische Substanzen, die teils in die
neugebildeten Zellen eingebaut, teils zum Energiegewinn veratmet werden.
Nun richtet sich die Verteilung der Assimilate im Körper der Pflanze stets nach
der Konkurrenzkraft der Verbraucherstellen, der "Sinks". Gegenüber
Nadelschub und Zapfenwachstum zieht das Kambium also den Kürzeren und
pausiert.
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Bei der Föhre teilt sich die einzelne Zelle eines aktiven Kambiums etwa
jede Woche, ihre Streckung hält etwa 2 - 3 Wochen an, und die Ausbildung der
Tracheidenwände dauert nochmals etwa 3 - 4 Wochen. Alle diese Vorgänge
werden durch Umweltfaktoren wie Temperatur und Wasserversorgung
beeinflußt und modifiziert.
Das Holz
Wir haben erwähnt, daß die Kambiumzellen weit häufiger Holzzellen als
Bastzellen bilden. Auch sind Bastzellen recht kurzlebig, und die äußere Borke
verwittert langsam. Daher ist das Holzvolumen ein Mehrfaches des
Bastvolumens. Holz ist ein besonders wertvolles und vielseitig nutzbares
Naturprodukt. Wir haben auch gesehen, daß im Holz der evolutionär jüngeren
Dikotylen neue Elemente entstanden. Dese Elemente verbesserten die
Hauptfunktionen des Holzes, Leitung und Festigung. Bei den Gymnospermen
müssen die Tracheiden eine Doppelfunktion erfüllen: Sie leiten Wasser und sie
festigen den Pflanzenkörper. Beides tun sie bemerkenswert gut, wenn man
bedenkt, daß hier eigentlich ein Widerspruch besteht. Leitrohre sollten große
Innendurchmesser haben; Festigungselemente sollten dickwandig sein, und die
aus ihnen aufgebauten Gewebepartien werden durch Hohlräume geschwächt.
Die Tracheiden sind jedoch sehr variabel. Sie können dickwandig und englumig
oder aber dünnwandig und weitlumig ausgebildet werden. Sie können also
sowohl festigen wie leiten, doch sind sie für beides nicht optimal gebaut. Bei
den Dikotylen leiten hauptsächlich die Tracheen. Sie haben Durchmesser
zwischen 0.02 und 0.5 mm, während Tracheiden oft weniger als 0.1 mm
erreichen. Auch Tracheen haben natürlich dicke Wände, da sie ja unter der
inneren Spannung der Wassersäule nicht kollabieren dürfen. Die Masse der
3
Wände pro mm wäre aber gering, wenn das Gewebe nur aus den weitlumigen
Tracheen bestünde. Daher festigen neben den weiter vorhandenen Tracheiden
die phylogenetisch neuen Libriformfasern. Ihre Lumina sind überaus eng, sodaß
sie für die Wasserleitung nicht mehr in Frage kommen; umso effizienter sind sie
als Festigungselemente.
Das Kambium arbeitet, wie wir gesehen haben, nur während des Sommerhalbjahres, etwa von April bis September. Der in diesem Zeitraum gebildete
Holzzuwachs legt sich als Kegelmantel um die älteren Teile des Holzes; er
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heißt Jahrring, da er am Querschnitt einen farblich abgesetzten Ring bildet. Im
Jahrring lassen sich anatomische Unterschiede zwischen dem zu Beginn
gebildeten Frühholz und dem Spätholz des Augusts und Septembers erkennen. Besonders deutlich unterscheiden sich Früh- und Spätholz bei den
hauptsächlich aus Tracheiden aufgebauten Nadelhölzern. Das erklärt sich aus
der großen Variabilität der Tracheiden. Frühholztracheiden sind weitlumig und
dünnwandig; sie dienen in erster Linie der Wasserleitung. Die englumigen und
dickwandigen Spätholztracheiden sind vor allem Festigungselemente. So
werden auch die Jahrringgrenzen mit freiem Auge sichtbar: Sie werden dadurch
gebildet, daß auf die engen Tracheiden des dünkleren Spätholzes sofort das
weitlumige, helle Frühholz des nächsten Jahrringes folgt.
Früh- und Spätholz unterscheiden sich auch bei den ringporigen
Laubhölzern deutlich. Sie bilden im Frühjahr zunächst eine oder mehrere Lagen
sehr weiter Gefäße, deren Lumina schon mit freiem Auge als Poren sichtbar
sind. Diese Zone hebt sich vom dichten Spätholz mit engen Gefäßen auffällig
ab und läßt auch die Jahrringgrenzen scharf hervortreten. Die engeren
Tracheen der zerstreutporigen Laubhölzer sind dagegen gleichmäßiger über
den Jahrring verteilt. Sie zeigen daher keine auffallenden Unterschiede
zwischen Früh- und Spätholz und keine deutlich hervortretenden
Jahrringgrenzen.
Durch Jahrringzählung kann man das Alter von Bäumen bestimmen.
Langlebig sind zum Beispiel folgende Arten:
Ulmen bis 600 Jahre
Eichen 1000 Jahre
Linden 1000 Jahre
Eiben 3000 Jahre
Sequoiadendron (Mammutbäume, Nordamerika) 4000 Jahre
Pinus longaeva (Borstenkiefer, Nordamerika) 4600 Jahre
Hingegen ist die Lebensdauer von Pionierhölzern wie Grauerlen und manchen
Weiden mit weniger als hundert Jahren begrenzt.
Jahre, die für das Wachstum günstiger oder ungünstiger sind, führen zur
Bildung unterschiedlich breiter Jahrringe. Es ergeben sich über längere
Zeiträume charakteristische Muster, die für Bäume einer Art in einem bestimmten Wuchsgebiet übereinstimmen. Diese Muster bleiben auch in längst gefällten
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Stämmen erhalten, deren Außenbereiche so alt sind wie die innersten Zonen
jetzt noch stehender Individuen. Man kann diese Überlappung in die
Vergangenheit ausdehnen und Jahrringmuster für Perioden erarbeiten, die weit
vor der Lebenszeit der ältesten Bäume liegen.
Ausgehend von frisch gefällten Eichen bis hin zu subfossilen Stämmen
aus dem Donauschotter ist es so gelungen, für Südwestdeutschland eine 7000jährige "Normkurve" zu erstellen, in die sich Eichenholz unbekannten Alters
einordnen und damit datieren läßt. Baudaten von Dachstühlen mittelalterlicher
Dome und von keltischen Hügelgräbern wurden so sehr präzise bestimmt. An
der Boku wird derzeit Grubenholz aus Hallstatt datiert, nachdem in der Nähe
durch Taucher uralte Stämme aus einem Bergsee geborgen worden waren.
Bei den meisten Holzarten sind nicht alle im Laufe der Jahre gebildeten
Jahrringe dauernd an der Wasserleitung beteiligt; oft ist im Stamm nur eine
schmale, äußere Zone aktiv, die als Splint oder Splintholz bezeichnet wird,
während die älteren, innen gelegenen Teile ihre Funktion verlieren. Das äußert
sich so, daß die lebenden Elemente des Holzes absterben und sich die
Leitelemente mit Luft füllen. Tracheen werden oft durch die Bildung von Thyllen
verstopft. Dabei haben die Holzparenchymzellen eine entscheidende Rolle. Sie
lösen enzymatisch eine Tüpfelmembran des Gefäßes auf, vergrössern ihr
Volumen und wölben sich durch das Loch in das Lumen des Gefäßes vor.
Durch Teilungen entsteht dort ein neues Gewebe, das die Tracheen ausfüllt.
Man nimmt heute an, daß diese meist gerbstoffreichen Zellen vor allem das
Wachstum von Pilzen in den Gefäßlumina blockieren sollen. Behält das nichtleitende Holz die gleiche Farbe wie der Splint, heißt es Reifholz (Fichte, Tanne,
Weide), nimmt es aber durch Einlagerung von Gerbstoffen, Gummi, Harzen
oder Farbstoffen eine dunklere Farbe an, nennt man es Kernholz (Eiche,
Kiefer, Lärche, Tropenhölzer).
Wir haben bisher den Querschnitt des Holzes betrachtet; der Aufbau des
Holzes ist sehr kompliziert und erfordert zum vollen Verständnis eine räumliche
Betrachtungsweise. Dabei muß man sowohl makroskopisch wie mikroskopisch
von genau definierten Schnittführungen ausgehen. Die drei standardisierten
Schnittebenen für holzanatomische Untersuchungen werden anatomische
Hauptschnitte genannt. Es sind dies:
91
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a) Der Querschnitt: Er wird senkrecht auf die Längsachse des Stammes geführt und zeigt vor allem den Verlauf und die Ausprägung der Jahrringe. Er
schneidet Gefäße, Tracheiden und Fasern quer, kann also zur Messung der
Durchmesser und Wandstärken herangezogen werden. Markstrahlen werden
der Länge nach aufgeschnitten, ihre Breite und Länge läßt sich vermessen.
b) Der Radial- oder Spiegelschnitt verläuft durch den Mittelpunkt des Sprosses als Längsschnitt. Er zeigt in abwechselnder Folge das längsgeschnittene
Früh- und Spätholz in Form schmaler Streifen. Der Name "Spiegelschnitt" rührt
von den Markstrahlen her, die bei geradem Verlauf lange Streifen bilden und
sich bei makroskopischer Betrachtung des Holzes durch ihren Glanz von der
Grundmasse des Holzes abheben. Radialschnitte zeigen nur die Höhe eines
Markstrahles, nicht jedoch seine Breite. Die Länge der Leitelemente läßt sich
bestimmen.
c) Der Tangential- oder Fladerschnitt verläuft parallel zum Radialschnitt in der
äußeren Zone der Achse. Er schneidet abwechselnd Früh- und Spätholz an,
wodurch eine eigenartige Zeichnung des Holzes, die Fladerung, entsteht. Der
Fladerschnitt trifft die Leitelemente in Längsrichtung und schneidet die
Markstrahlen quer, sodaß deren Breite und Höhe bestimmt werden kann.
Der Bast
Der Bast zeigt wenig ausgeprägte Jahrringe, seine Struktur wird durch
Tiefenperiderme gestört. Das Wort Bast wird vom Wortstamm "binden"
abgeleitet und bezieht sich auf die Verwendbarkeit der Bastfasern mancher
Arten, etwa der Linde.
Der Aufbau von Sproßsystemen
Wir haben die Entwicklung und den inneren Bau des Stammes besprochen. Dabei haben wir gleich zu Anfang die Gliederung des Stammes in
Knotenbereiche (Nodien) und Zwischenknotenbereiche (Internodien) betrachtet.
Sie ist für die Gestalt der Pflanze von großer Bedeutung: Die Internodien
strecken sich verschieden stark, und die Achse kann sich im Bereich der Nodien verzweigen. Von dieser Verzweigung wollen wir jetzt reden.
Der negativ gravitrope Stamm wird als Hauptachse bezeichnet.
Seitensprosse gehen aus Knospen hervor, die in den Achseln ihrer Tragblätter
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als meristematische Zonen angelegt sind. Die Knospen sind von Blattanlagen
umhüllte Vegetationspunkte, die entweder bald austreiben oder länger inaktiv
bleiben ("schlafen"). Knospen von Holzgewächsen treiben in der Regel
frühestens im Jahr nach der Anlage aus. Die Größe der Knospen an ein und
derselben Achse variiert stark. Sie ist bereits ein Hinweis darauf, wie lang der
aus ihnen entstehende Seitentrieb wird. Bei der basitonen Förderung werden
die basalen Knospen am Sproß stärker ausgebildet. Sie treiben früh aus und
bilden kräftige, die Hauptachse überragende Sprosse. Eine Hauptstammbildung
unterbleibt. Diese Verzweigung kann nur Sträucher als Wuchsform ergeben.
Die meisten Holzarten zeigen jedoch eine akrotone Förderung, die Knospen
werden von der Spitze des Triebes zur Basis kleiner. Die Seitenzweige akroton
geförderter Arten werden umso länger, je näher sie der Triebspitze stehen. Die
kleinsten Knospen an der Basis treiben nicht aus, sie sind hormonell gehemmt
und „schlafen“. Bei Entfernung der hemmenden Endknospe kann es aber zur
Bildung von Regenerationstrieben kommen, die man Stockausschläge
nennt. Je nach Art bleiben die Knospen verschieden lang austriebsfähig. So
kann sich im ostösterreichischen Eichen-Hainbuchen-Mischwald im
Niederwaldbetrieb, das heißt bei einer Umtriebszeit von 30 Jahren, nur mehr
die besonders austriebsfähige Hainbuche (Carpinus betulus) halten.
Gut sichtbar wird die akrotone Förderung bei Ahorn- und Eschenarten.
Die ökologische Bedeutung der Akrotonie dürfte zunächst in der raschen
Durchdringung des Luftraums für den Lichtgewinn liegen. Die Ausgaben für
Zweige und Blätter im lichtschwachen Kroneninneren werden reduziert, was vor
allem im Eigenschatten der mächtigen Wipfel alter Bäume wichtig wird.
Bei manchen Bäumen sind die Unterschiede zwischen geförderten
Trieben der Spitzenregion und den weniger geförderten der Mittelregion eher
graduell, wie wir das etwa bei Ahorn und Esche gerade gesehen haben. In
anderen Fällen werden die Unterschiede aber extrem; man unterscheidet dann
Langtriebe und Kurztriebe. Bei dieser zweiten Form strecken sich die
Internodien des Kurztriebes kaum, sodaß eine rosettenartige Anordnung der
Blätter resultiert. Bei der Buche und einigen anderen Waldbäumen wachsen die
Endknospen eines Kurztriebes im nächsten Jahr erneut als gestauchter
Kurztrieb weiter. Das ergibt eine dichte Aufeinanderfolge von feinen Blattnarben
der Knospenschuppen am Zweig, unterbrochen von einigen größeren Narben
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der Laubblätter. Bei vielen Nadelbäumen treiben nur die der Endknospe
benachbarten 4 - 6 Seitenknospen zu Langtrieben aus, die tiefer inserierten
Knospen jedes Jahreszuwachses am Haupttrieb treiben nicht aus oder werden
zu Kurztrieben. Die Folge ist ein stockwerkartiger Aufbau. Bei den heimischen
Kiefern (Pinus-Arten) sitzen grüne Nadeln zu je zweien (bei der Zirbe zu fünft)
an Kurztrieben. Die Langtriebe tragen nur Schuppenblätter.
Eine wirtschaftlich bedeutende Rolle spielen Kurztriebe bei Kernobst
(Apfel, Birne) und Steinobst (Kirsche, Zwetschke) aus der Familie der Rosengewächse. Man nennt sie hier Fruchtholz, da nur sie Blüten und Früchte
tragen können; Langtriebe bilden ausschließlich grüne Blätter. Der obstbauliche
Schnitt und die dadurch erreichte Kronenausformung optimieren Zahl und
Stellung der Kurztriebe für die Obstproduktion.
Wir haben jetzt den einzelnen Trieb und seine Seitensprosse betrachtet.
Wachstum unter Verzweigung führt allmählich zum Aufbau eines
Sproßsystems. Es ermöglicht die Durchdringung des Luftraums und eine
Vergrößerung der photosynthetisch aktiven Oberfläche. Ausschlaggebend für
den Aufbau des Sproßsystems ist das Verhalten der Endknospe, mit der der
Jahrestrieb im Spätsommer abschließt. Es gibt zwei Haupttypen:
Beim ersten Typ entsteht der längste Trieb des neuen Jahres aus der
Endknospe. Der Haupttrieb verlängert sich also jedes Jahr und die Seitentriebe
bleiben kürzer. Es entsteht ein Monopodium. Monopodial verzweigte Bäume
haben einen durchgehenden, gegenüber den Seitenästen stets dominierenden
Schaft. Hierher gehören alle Nadelhölzer, ebenso Erle, Esche und Ahorn. Der
Umriß ihrer Krone ist typischerweise pyramidal.
Den Gegensatz bildet das Sympodium. Hier werden beim Neuaustrieb
die obersten Seitenknospen gegenüber der Endknospe gefördert. Beim
Monochasium übernimmt nur ein Seitensproß die Führung. Er schließt im
Herbst mit einer geschwächten, verkümmernden Triebspitze ab. Der
Fortsetzungstrieb entsteht wieder unter der Spitze und schwenkt in die
Wachstumsrichtung der alten Hauptachse ein. Dieses Verzweigungssystem ist
oft nur bei genauem Studium von einem Monopodium zu unterschieden.
Hainbuche, Ulmen und Linden sind Beispiele. Beim Dichasium setzen die
beiden obersten Seitenknospen in den Achseln gegenständiger Blätter das
Wachstum fort. Das sehen wir beim Flieder, beim Kreuzdorn oder bei der
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Mistel. Die Folge ist ein Verzweigungssystem ohne klar erkennbare
Hauptachse, daher ergibt sich wieder strauchiger Wuchs.
Besonders anschauliche Beispiele für die verschiedenen Verzweigungsmöglichkeiten liefern die Blütenstände oder Infloreszenzen. Man versteht
darunter Sproßsysteme, die der Blütenbildung dienen und dementsprechend
verändert sind. Ihre Verzweigung unterscheidet sich meist deutlich vom
vegetativen Bereich. Es fällt hier etwas weg, was für die photosynthetisch
aktiven Teile des Pflanzenkörpers wichtig ist: Die optimale Einstellung der
Blätter zum Licht spielt keine Rolle mehr. Das erlaubt eine große Zahl an
"spielerischen" Abwandlungen, die teilweise unglaublich kompliziert sind. Wir
können hier nicht näher darauf eingehen. Einige häufig vorkommende Typen
von Blütenständen werden Sie im Sommersemester kennenlernen.
Was wir bis jetzt vom Bau des Stammes besprochen haben, war das
Typische, das sich bei den meisten Arten mit leichten Abwandlungen findet.
Doch kann der Stamm, ebenso wie die anderen Organe, radikal umgebaut
werden, um ihn an besondere physiologische oder ökologische Anforderungen
anzupassen. Solche Veränderungen des typischen Bauplans nennt man
Metamorphosen. Meist bleiben solche Abwandlungen nicht auf ein Organ
beschränkt; wir werden daher erst nach Besprechung des typischen Bauplanes
der beiden anderen Organe, des Blattes und der Wurzel, die Metamorphosen
des Kormus zusammenfassend besprechen.
Das Blatt
Das Blatt ist morphologisch und anatomisch das variabelste Pflanzenorgan. Man kann sehr verschieden gebauter Blätter an einer Pflanze finden, die
im Laufe der individuellen Entwicklung in festgelegter Abfolge auftreten. Alle
sind, ebenso wie der Stamm, an dem sie wachsen, Produkte des
Sproßvegetationspunktes. Das Apikalmeristem wird also öfter umgestimmt
(umprogrammiert), es erzeugt nacheinander verschiedene Arten von Blättern.
Die Blattfolge am Stamm
Die Keimblätter oder Kotyledonen sind die ersten Blätter der jungen
Pflanze. Ihre Funktion wurde bereits besprochen.
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Auf die Kotyledonen folgen die Laubblätter, zunächst oft einfach
gebaute Primärblätter, deren Hauptfunktion die Photosynthese ist, ebenso wie
bei den reicher gegliederten Folgeblättern. Die Laubblätter sind die größten
Blätter. So wie die Hauptachse des Keimlings beginnen auch die Seitensprosse
ihr Wachstum mit einfach gebauten, stark reduzierten Blättern, den
Knospenschuppen der Winterknospen, bevor sie Laubblätter bilden. Die
Internodien zwischen diesen Schuppen sind ungestreckt, sie sitzen also dicht
aneinander. Solche Blätter werden auch an allen Vegetationspunkten des
Haupttriebs und der Seitentriebe im Herbst angelegt, um das Meristem während
der Vegetationsruhe durch Ausbildung einer Winterknospe vor Wasserverlust
zu schützen. Zahl, Form und Farbe der Knospenschuppen sind für die
Holzpflanzen sehr charakteristisch und daher ein wichtiges Hilfsmittel für die
Bestimmung von Bäumen und Sträuchern im Winterzustand.
Geht der Sproß zur Blütenbildung über, dann verändert sich erneut die
Blattgestalt. Die Hochblätter unterscheiden sich von den Laubblättern durch
einfachere Form, oft geringere Größe und manchmal auch durch die Farbe,
wenn sie Schaufunktionen übernehmen. Oft entspringen die Blüten in den
Achseln von Hochblättern. Blüten sind Sprosse, und zwar meist Seitensprosse.
Gelegentlich beendet aber auch das Apikalmeristem des Haupttriebes seine
Tätigkeit mit der Ausbildung von Blütenorganen. In der Blüte selbst findet man
dann Kelchblätter und Kronblätter mit Schutz- und oft Schaufunktion,
Staubblätter, die den Pollen produzieren, und Fruchtblätter, die die
Samenanlagen tragen. Mit der Bildung der Fruchtblätter erschöpft sich der
Vegetationskegel der Blüte und stellt sein Wachstum ein.
Die Entwicklung und der Bau des Blattes
Nach der Anlage des Blattes an der Sproßspitze wächst es durch
Zellteilung, Streckung und Differenzierung. Bei den Spermatophyten differenziert sich die Blattspitze früh aus, das Wachstum wird mit Hilfe eines oder
mehrerer interkalarer Meristeme fortgesetzt. Das starke Breitenwachstum vieler
Blätter kommt daher, daß meristematische Zellen an den Blatträndern sich noch
lange als "Randmeristem" teilen. Unterschiedliche Aktivität dieser
interkalaren Randmeristeme bewirkt Zähnung, Lappung oder
Fiederteiligkeit der Spreite.
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Wir beschränken uns im folgenden auf die Besprechung des äußeren
und des inneren Baus der typischen Laubblätter. Die übrigen Blattorgane
zeigen meist ähnlichen, aber vereinfachten Bau. Wir müssen jedoch die Laubblätter der Angiospermen und der gymnospermen Koniferen getrennt
besprechen, da zwischen ihnen ziemlich große Unterschiede bestehen.
Angiospermen: Das typische Laubblatt der Monokotylen und Dikotylen ist ein
flächig ausgebreitetes Assimilationsorgan. Bereits in einem sehr frühen
Entwicklungsstadium sieht man an den Blattanlagen zwei deutlich getrennte
Abschnitte, Oberblatt und Unterblatt, aus denen später Blattspreite und
Blattstiel einerseits, Blattgrund und Nebenblätter andererseits hervorgehen.
Aus dem Unterblatt entstehen also der verbreiterte Blattgrund, mit dem das
Blatt dem Stengel aufsitzt und das diesen bei manchen Arten als Scheide
umfaßt, sowie zwei kleine Anhänge, die Nebenblätter, die nur selten fast
laubblattartig ausgebildet sind, in vielen Fällen aber auch fehlen können.
Aus dem Oberblatt entsteht zunächst der Blattstiel. Er leitet Wasser und
Photosyntheseprodukte. Daneben kann er durch Wachstum die Blätter im
Raum orientieren und optimal zum Licht einstellen. Es entsteht so ein
Blattmosaik zur Ausnützung des einfallenden Lichtes. Liebhaber von
Topfpflanzen wissen, daß diese ein ständiges Drehen der Töpfe, also eine
Änderung der Orientierung gegenüber dem einfallenden Licht, sehr übel
nehmen. Sie können die richtige Lichtorientierung nicht erreichen und reagieren
meist mit Blattabwurf auf die Überforderung der Blattstiel-Reaktion. Der
Blattstiel ist jedoch keineswegs überall vorhanden. Den breit angesetzten
Blättern vieler Monokotyler, etwa der Gräser, fehlt er völlig. In diesen Fällen
geht der Blattgrund, eine verlängerte Blattscheide, direkt in die Spreite über.
In einigen morphologisch interessanten Sonderfällen, etwa bei Akazien
der afrikanischen Trockensavannen, wird der Blattstiel verbreitert und
übernimmt an Stelle der verkümmerten Spreite die Photosynthese.
Die Blattspreite ist in der Regel dorsiventral gebaut und zeigt an der
Oberseite ein dunkleres Grün. Sie ist meist eine geschlossene Fläche, die vom
Rand her mannigfaltig gezähnt, gelappt oder geschlitzt sein kann. Gelegentlich
löst sie sich in mehrere Teilblättchen (Finger- oder Fiederblättchen, die der
Mittelachse des Blattes, der Rhachis, ansitzen) auf. Die Monokotylen haben
vorwiegend einfache Blätter (Ausnahme: viele Palmen), während
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Fiederblättchen für manche dikotyle Familien, etwa die Hülsenfrüchtler oder
Leguminosen, charakteristisch sind.
Das folgende Schema zeigt den Bau der Laubblätter in Übersicht:
Blattspreite (oder Blattachse und Fiedern)
Oberblatt:
Blattstiel (kann auch fehlen)
Blattgrund
Unterblatt:
Nebenblätter (können fehlen)
Die Histologie der Spreite
Die Anordnung der drei Gewebesysteme zeigt große Mannigfaltigkeit,
die sowohl auf systematische Unterschiede wie auf Anpassungen an
ökologische Anforderungen zurückgeführt werden kann. Wir wollen zunächst
das Laubblatt heimischer Angiospermen besprechen, deren Photosynthese
dem C3-Weg folgt. Die subtropischen C4-Pflanzen (etwa Mais und Sorghum)
haben einen abweichenden Blattbau, der mit physiologischen Besonderheiten
zusammenhängt und später besprochen werden soll.
Hautgewebe ist die Epidermis. Periderme treten nur nach Verwundung
auf. Die wichtigsten Strukturen der Blattepidermis sind die Spaltöffnungen, die
den Blättern die Photosynthese ermöglichen. Sie regeln die Abgabe von H2O
und die Aufnahme von CO2. Die Spaltöffnungen sind über die Gesamtfläche
des Blattes verschieden verteilt. Untergetauchte Wasserblätter haben oft
überhaupt keine funktionsfähigen Spaltöffnungen; sie nehmen die gelösten
Gase über die gesamte, nur sehr schwach kutinisierte Epidermis auf.
Schwimmblätter, etwa die von See- und Teichrose, tragen Spaltöffnungen
ausschließlich auf der Oberseite, sind also epistomatisch. Die Gasdiffusion ist
in Flüssigkeiten viel langsamer als in Gasen. Es ist daher logisch, daß
Schwimmblätter, deren Evolution ja sozusagen den Weg ihrer Versorgung mit
Sauerstoff und Kohlendioxid frei wählen konnte, sich über die Gasphase
versorgen. Andererseits hängt bei Landpflanzen die Verteilung der Spaltöffnungen von der Orientierung des Blattes im Raum ab. Steilstehende Blätter haben
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meist Stomata auf beiden Seiten, sind also amphistomatisch. Steht das Blatt
eher waagrecht, ist es oft hypostomatisch mit Öffnungen an der Unterseite.
Der ökologische Vorteil von Stomata auf der lichtabgewandten Seite des Blattes
liegt in geringerer Überhitzung, daher auch geringerer Wasserabgabe der
Blattzellen, die den Spaltöffnungen benachbart sind.
Das Grundgewebe des Blattes ist das Mesophyll. Seine Hauptmasse ist
gewöhnlich ein Assimilationsparenchym, das durch Interzellularen mit Luft
versorgt wird. Dieses Parenchym ist in Lagen geteilt: Das Palisadenparenchym besteht aus zylindrischen Zellen senkrecht auf die Epidermis. Die
Zellen des Schwammparenchyms haben unregelmäßige Formen und sind von
besonders großen Interzellularen umgeben. Der Name vergleicht das Gewebe
mit dem Badeschwamm, der ebenfalls reich an Hohlräumen ist. Meist tritt das
Palisadenparenchym in einer oder mehreren Reihen an der Oberseite, das
Schwammparenchym an der Unterseite des Blattes auf. Solche Blätter heißen
dorsiventral oder bifazial. Viele Blätter sind aber auch beiderseits gleich
gebaut: man nennt sie äquifazial. Nur an den Bündeln, in denen das Xylem zur
Oberseite gekehrt ist, kann man sich hier orientieren. Hierher gehören einmal
viele Wasserpflanzen, bei denen das Palisadenparenchym ganz fehlt.
Andererseits finden sich äquifaziale Blätter auch an Landpflanzen. Das sind
meist Arten, deren Blätter aufrecht stehen, wie Schwertlilien oder Bogenhanf
(Sansevieria). Bei ihnen grenzt an beide Epidermen eine Schicht von
Palisadenparenchym.
Die Anteile von Palisadenparenchym und Schwammparenchym am
Blattquerschnitt können in Blättern derselben Pflanze verschieden sein. Hierfür
sind einmal Außenfaktoren verantwortlich. Wassermangel und Starklicht
begünstigen die Ausbildung von Palisadenparenchym; man spricht dann von
Sonnenblättern, da angespannter Wasserhaushalt meist mit starker Belichtung
einhergeht. Bei gedämpftem Licht und guter Wasserversorgung, etwa an der
Basis der Baumkrone, werden Schattenblätter gebildet. Sie zeigen einen
hohen Anteil von Schwammparenchym. Letzten Endes sind diese quantitativen
Unterschiede im Bau hormonell vermittelt. Das sieht man unter anderem daran,
daß ähnliche Unterschiede auch, unabhängig von der Umwelt, im Zuge der
Entwicklung auftreten können. Bei vielen Pflanzen finden sich deutliche
Unterschiede zwischen Jugendblättern (die eher den Schattenblättern
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entsprechen) und Altersblättern von der Art der Sonnenblätter. Auch dafür
sind hormonelle Umstimmungen verantwortlich, die besonders bei der
Erlangung der Blühreife einsetzen. Der Efeu ist ein gutes Beispiel, bei ihm
ändert sich auch die äußere Gestalt der Blätter. – Oft ist ein Teil des Mesophylls
ein Festigungsgewebe aus Kollenchym oder Sklerenchym. Sehr häufig liegt
eine Bündelscheide um das Stranggewebe; weniger oft, und zwar besonders
bei Pflanzen von Trockenstandorten, sind es die Zelllagen unmittelbar unter der
Epidermis, die als Hypodermis verdickt sind und festigen.
Das Stranggewebe des Blattes dient der Wasser- und
Nährstoffversorgung, der Ableitung der Assimilate und der Festigung. Die
Blattspreite wird von Bündeln in verschiedener Zahl und Größe durchzogen.
Man bezeichnet die Blattbündel als Adern oder Nerven. Gewöhnlich springen
die dickeren Adern, die man auch Rippen nennt, auf den Unterseiten
leistenförmig vor; oberseits entsprechen ihnen oft Vertiefungen oder Furchen.
Oft verläuft in der Mitte der Spreite ein besonders kräftiger Strang, die
Mittelrippe. Im Frühling findet man auf dem Boden zahlreiche Blätter, deren
Epidermis und Grundgewebe ausgefault sind, von denen sich aber das zarte
Maschenwerk der Nerven als "Skelett" erhalten hat. Dieser Anblick zeigt uns,
daß die Nerven auch die Aufgabe der Festigung und der Formgebung erfüllen;
bei zarten Blättern ist hierfür zusätzlich der Turgordruck sehr wichtig. - Die
Vielfalt der anatomischen Bezeichnungen fällt auf; das Stranggewebe des
Blattes besteht also aus "Adern", "Nerven" oder "Rippen", die funktionell kaum
Ähnlichkeiten mit den gleichnamigen Strukturen bei Mensch und Tier zeigen.
Das ist historisch zu verstehen: Die Pflanzenanatomie begann weit später als
die medizinische und tierische Anatomie und wurde zunächst von Ärzten
betrieben, für die die Pflanze ein Lieferant von Heilmitteln war. Man war damals
über die Funktionen selbst im Tierkörper nur schlecht informiert, aber über den
Pflanzenkörper wußte man gar nichts. Daher suchte man nach oberflächlichen
Ähnlichkeiten: Dem einen schien der Vergleich mit Nerven naheliegend, dem
anderen der mit Adern. Ähnliche etwas ungeschickte Begriffe finden sich in der
Pflanzenanatomie allenthalben: Denken Sie an die "Haare" oder an die
"Stomata", was ja wörtlich "Münder" bedeutet.
Die großen Pflanzengruppen unterscheiden sich durch Verlauf und
Verzweigung der Nerven in der Spreite. Die Angiospermen haben
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"vereintläufige" Nerven, die untereinander verbunden sind, die Farne und
Gymnospermen "getrenntläufige". Streben die Hauptnerven, die schon
makroskopisch gut sichtbar sind, unabhängig voneinander der Blattspitze zu, so
spricht man von streifiger Nervatur. Diese ist für die meisten Monokotylen
bezeichnend. Die Querverbindung durch feinere Nerven erfolgt hier nach Art
dünner Leitersprossen. Hingegen sind bei den Dikotylen die Hauptnerven
maschenartig verbunden, was man netzige Nervatur nennt. Die starken
Nerven lassen zwischen sich Interkostalfelder frei, in die blind endende feine
Nerven eindringen.
Die C4-Blätter, die es nur bei Angiospermen gibt, unterscheiden sich von
den oben besprochen C3-Blättern durch eine ganz andere Anordnung des
photosynthetisch aktiven Grundgewebes, des Mesophylls. Es gibt keine
Schichtung von Palisadenparenchym und Schwammparenchym, die chloroplastenführenden Zellen ordnen sich um die Nerven an, die im Querschnitt von
einem Kranz aus Mesophyll umgeben sind ("Kranzanatomie"). Auf die
physiologische Bedeutung dieses Bauplanes gehen wir im Rahmen der
Ökophysiologie ein.
Koniferen: Die Nadelblätter der heimischen Koniferen werden als Anpassung
an die Trockenheit gedeutet. Es fehlen Nebenblätter und Stiel. Immergrüne
Koniferen transpirieren auch im Winter, wenn Wasser aus dem gefrorenen
Boden schwer oder nicht nachgeleitet wird. Der Nadelbau schränkt diese
Transpiration stark ein. Die Oberfläche ist klein im Verhältnis zum Volumen, das
Interzellularensystem mäßig entwickelt. Die Epidermis ist tot, sehr stark
kutinisiert und so massiv verdickt, daß die Lumina fast verschwinden. Ähnlich
verdickt ist die Subepidermis, die auch Hypodermis heißt. Die Stomata sind
tief eingesenkt, wodurch vor ihnen eine windgeschützte Höhle entsteht. Oft ist
diese durch poröse Wachse verstopft. Die Tanne und einige exotische Arten
haben zwei Reihen von Spaltöffnungen mit weißlichen Wachsschichten an der
Unterseite der Nadeln.
Die Nerven der Farne und Gymnospermen sind "getrenntläufig": In
flächigen Blättern (Farne, Ginkgo) verzweigen sich die Bündel nach dem Eintritt
in das Blatt, die einzelnen Äste werden aber nicht mehr verbunden. Dieser
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primitive Typ ist offensichtlich nicht sehr günstig, da bei Beschädigungen durch
Insektenfraß, Pilzbefall oder Hagel, die einzelne Nerven durchtrennen, ganze
Blattbezirke ohne Zu- und Ableitung bleiben müssen.
Bei den heimischen Koniferen sind ein bis zwei unverzweigte Bündel in
ein chlorophyllfreies Grundgewebe aus lebenden (assimilatleitenden) und toten
(wasserleitenden) Elementen, das Transfusionsgewebe, eingebettet, das
Stoffe zwischen Bündel und Mesophyll vermittelt. Zum Assimilationsparenchym
hin ist das Transfusionsgewebe von einer Zellschicht abgegrenzt, die als
Endodermis bezeichnet wird, ein Name, der uns auch für ein Gewebe der
Wurzel begegnen wird, aber bloß "Innenhaut" bedeutet. Koniferennadeln sind
der Länge nach von Harzgängen durchzogen; das sind schizogene Interzellularen zwischen lebenden, harzproduzierenden Sekretionszellen. Sie fehlen der
Eibe.
Blattaustrieb und Blattfall
Die Blätter entstehen als Anlagen am Vegetationskegel. Viele Arten,
darunter Ahorn, Roßkastanie, Buche und Eibe, legen alle Blätter für das
nächste Jahr schon ab Juni oder Juli an, sobald die Blätter für dieses Jahr
entfaltet sind. Andere Arten, wie Birke oder Liguster, legen nur einen Teil der
Blätter vor der Winterruhe an, die übrigen Anlagen werden im Austriebsjahr
gebildet. Die Blattanlagen treiben in Sonderfällen vorzeitig aus, und zwar dann,
wenn die entfalteten Blätter einer Katastrophe, wie Spätfrost oder Insektenfraß,
zum Opfer fallen. Baumarten unterscheiden sich stark in dieser
Regenerationsfähigkeit. Linde, Flieder und Esche sind nur zu schwacher
Erneuerung in der Lage; Eiche, Ulme und Ahorn können ihre Blätter einmal im
Jahr erneuern, Birke, Erle und Robinie sogar öfter. Starke Regenerationsfähigkeit ist übrigens auch günstig für die Resistenz gegen Industrieabgase.
Gegen Ende ihres Lebens altern die Blätter physiologisch. Beim Altern
hören Nukleinsäure- und Proteinsynthese (außer von abbauenden Enzymen)
fast völlig auf. Die Synthese wird durch Phytohormone gehemmt, dagegen
gehen Abbauvorgänge weiter. Aminosäuren, Zucker und Ionen werden
freigesetzt und im Phloem verlagert. Sommergrüne speichern diese wertvollen
Stoffe im Herbst vor allem im Stamm und in der Wurzel. Bei den Immergrünen,
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deren alte Blätter nach mehreren Jahren der Tätigkeit über die ganze Saison
verteilt abgestoßen werden, bauen junge Blätter diese Nährstoffe ein.
Schließlich wird an der Basis des Blattstieles eine schon vorhandene
Trennschicht aktiviert. Sie besteht aus kleinen Parenchymzellen mit wenigen
Interzellularen. Die eigentliche Abtrennung ist ein aktiver Prozeß, bei dem
Mittellamellen oder ganze Zellwände aufgelöst werden. Diese Vorgänge sind
hormonell gesteuert, wobei Auxine und Abscisinsäure zusammenwirken. Nötige
Enzyme, also Pektinasen und manchmal auch Zellulasen, werden neu gebildet.
Das benötigt sowohl Zeit als auch Energie, die durch Atmung beigestellt wird.
Plötzliche Kälteeinbrüche im Herbst, etwa zu Anfang November, überraschen
die Bäume oft noch voll beblättert. Während der Kälte können die Blätter mangels an Stoffwechselaktivität nicht abgeworfen werden; wenn dann noch
Schnee fällt, kann es zu argen Fällen von Schneebruch kommen.
Die Blattalterung und der Blattfall werden durch zwei Umweltfaktoren
beeinflußt: neben der Temperatur spielt auch die Tageslänge eine Rolle.
Dabei reagieren offenbar manche Arten eher auf tiefe Temperaturen (wie etwa
manche Walnußsorten, die die Tageslänge nicht kümmert, solange nur die
Tage und Nächte einigermaßen warm bleiben), andere stärker auf die
Tageslänge. Dazu gehören manche Alleebäume, die gelegentlich durch
Straßenlaternen übertölpelt werden: Äste, die sehr nahe an die Lampe
heranwachsen, bleiben dann weit länger beblättert als die weiter entfernten.
Blattnarben am Zweig zeigen die Stellen, wo früher Blätter ansetzten.
Sie werden durch Verkorkung (Suberineinlagerung) der Wände an der
Wundfläche verschlossen, oft entsteht auch ein echtes Periderm. Form und
Größe der Blattnarben kann als Bestimmungsmerkmal dienen.
Die Wurzel
Dieses Organ ist das Produkt des Wurzelvegetationspunktes und
unterscheidet sich stark von Stamm und Blatt, die vom gemeinsamen
Sproßvegetationspunkt erzeugt werden. Die Wurzeln verankern die Pflanze im
Boden, und sie nehmen dort Wasser und Nährsalze auf, die sie dem Sproß
zuleiten. Wurzeln entwickeln sich meist unter der Bodenoberfläche, doch gibt es
Beispiele für Luftwurzeln ebenso wie für unterirdische Stammteile. Aus dem
Bodenleben und den Aufgaben erklären sich einige Baueigentümlichkeiten: Die
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Festigungsgewebe liegen zentral und nicht peripher, da die Wurzel im Boden
nicht durch Biegung, sondern durch Zug beansprucht wird. Sie bewahrt damit
Baueigenheiten, die in frühen Epochen der Evolution (etwa im Karbon) auch
Stämme primitiver Bäume zeigten. Das Hautgewebe bewirkt engen Kontakt mit
der Umgebung und nicht Abschluß. Stomata und Blattanlagen fehlen. Auch
Dickenwachstum und Verzweigung der Wurzel zeigen eigene Züge. Die
verborgene Lebensweise hat die Erforschung der Wurzel sehr behindert: Zwar
wird auch ihre Physiologie immer besser untersucht, doch sind noch viele
Fragen offen.
Wir betrachten zuerst die Gliederung der Wurzel in der Längsrichtung.
Nahe an der Spitze liegt das Apikalmeristem. Es braucht für seine zarten Zellen
besonderen Schutz gegen mechanische Verletzung durch scharfkantige
Bodenteilchen. Diesem Schutz dient eine Kappe aus parenchymatischen
Dauerzellen, die Wurzelhaube oder Kalyptra. Das Meristem liegt also im
Inneren der Wurzelspitze und scheidet zur Spitze hin Kalyptrazellen, zur Basis
hin die Vorläufer der Dauergewebezellen ab. Die ältesten Zellen der
Wurzelhaube lösen sich außen ab, sie mazerieren und werden von innen her
durch neue Zellen ersetzt. Dabei bildet sich ein hochmolekularer KohlenhydratSchleim, der den Reibungswiderstand beim Eindringen der Wurzel in den
Boden vermindert.
Das Apikalmeristem bildet die Teilungszone der Wurzel. Es folgt die
Determinationszone, deren Zellen sich zwar noch teilen, aber bereits die
künftige Abgrenzung der Gewebe zeigen, da sie je nach Bestimmung
unterschiedlich groß sind und bestimmte Teilungsrichtungen bevorzugen.
Daran schließt unmittelbar die Streckungszone an. Sie ist nur einige Millimeter
lang Dadurch wird die Wurzel beim Eindringen in den Boden nicht so leicht in
dieser wenig gefestigten Zone, in der ja die Zellwände für das Wachstum
erweicht werden müssen, verformt. Verlängerung der Zellen in der
Streckungszone treibt die Spitze der Wurzel vorwärts. Abschnitte hinter der
Streckungszone verändern ihre Lage relativ zum Boden nicht mehr. An die
Streckungszone schließt die Differenzierungszone an. Ihren Namen hat sie
davon, daß hier die inneren Gewebe (Phloem, Xylem und Grundgewebe)
fertiggestellt werden. Äußerlich ist die Differenzierungszone an einer
Rhizodermis mit Wurzelhaaren zu erkennen. Sodann folgt die Zone der älteren
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Primärwurzel, deren Abschlußgewebe nicht mehr die Rhizodermis, sondern
die Exodermis ist. Hier beginnt später auch die Bildung von Seitenwurzeln. Bei
Gymnospermen und Dikotylen kommt vor dem Übergang in den Stamm noch
die Zone der Sekundärwurzel.
Wir sehen uns jetzt den inneren Bau der Wurzel an. Natürlich kann
man die Wurzel an verschiedenen Stellen ihrer Längserstreckung quer schneiden und dort ihr Inneres untersuchen. In der Kalyptra finden wir nur lebende
Zellen, die den Parenchymzellen des Grundgewebes ähneln. In der
Teilungszone zeigt der Querschnitt nur Meristemzellen, in der
Determinationszone und der Streckungszone verschieden große Zellen mit
Primärwänden und Vakuolen, aber ohne deutliche Unterschiede im Bau der
Protoplasten oder der Wände.
Sehr verschieden sind die Zellen hingegen in der Differenzierungszone.
Wir wollen uns daher einen Querschnitt durch diese Region ansehen, am
besten durch den Endbereich, wo schon alle Zellen fertiggestellt sind.
In der Differenzierungszone besteht das Hautgewebe der Wurzel aus
Rhizodermiszellen, die eine einschichtige Lage bilden. Bezeichnend sind die
dünnen Außenwände, denen eine Cuticula fehlt. Auch fehlen Stomata.
Hingegen ist die Rhizodermis reichlich mit einzelligen, lebenden Wurzelhaaren
ausgestaltet, die die Oberfläche vergrößern. Gase und Wasser samt den darin
gelösten Salzen des Bodens können durch die dünnen Wände leicht
aufgenommen werden. Unter der Rhizodermis findet sich eine meist mächtige
Lage von Grundgewebe, die Wurzelrinde. Ihre äußerste Region tritt bereits in
der Differenzierungszone durch abweichenden Bau hervor; es fehlen diesen 1 3 Schichten meist Interzellularen, und die Zellen sind auffällig klein. Das sind
frühe anatomische Anzeichen dafür, daß die Zellen auch physiologisch
abweichen und in der älteren Wurzel zu einem typischen Abschlußgewebe
umgestaltet werden. Man nennt diese Schicht Exodermis. Die darunter
liegende Hauptmasse der Rinde kann, wie jedes Grundgewebe, verschiedene
Funktionen übernehmen. Häufig ist sie ein Speichergewebe; bei Sumpf-und
Wasserpflanzen sind die Interzellularen oft so stark entwickelt, daß man das
Gewebe Aerenchym nennt. Daneben gibt es auch Exkretion. Photosynthese ist
natürlich bei Erdwurzeln aus Lichtmangel unmöglich, sie beziehen Stoffe vom
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Sproß. Hingegen können Luftwurzeln Chloroplasten bilden und Photosynthese
betreiben.
Die innerste Rindenschicht vor dem Stranggewebe ist bei allen Wurzeln als Endodermis ausgebildet. Ihre Funktion hängt eng mit der Aufnahme
von Mineralstoffen zusammen. Dieser Vorgang muß daher kurz besprochen
werden.
Die Zellwände der Rhizodermis und der Wurzelrinde sind für die Bodenlösung frei zugänglich: Wasser und Ionen können in den Hohlräumen der
Zellwand (aber nicht in den luftgefüllten Interzellularen zwischen den Zellwänden!) bis zur Endodermis diffundieren. Alle lebenden Zellen können Stoffe aus
der Zellwand in ihre Protoplasten aufnehmen. Das Wasser tritt durch
Permeation ein, die Ionen der anorganischen Nährsalze werden durch aktiven
Transport aufgenommen, wobei nur die von der Pflanze wirklich benötigten
ausgewählt werden, da nur für sie die spezifischen Trägersysteme im
Plasmalemma vorhanden sind. Nach der Aufnahme werden die Ionen durch
das Protoplasma der Zellen und durch die Plasmodesmen von Zelle zu Zelle
befördert. Transportiert wird also im Symplasten, der Gesamtheit der
miteinander verbundenen Protoplasten. In der Wand bleiben jene Stoffe zurück,
für die es keine Verwendung gibt, etwa Kieselsäure und Aluminiumsalze in
Silikatböden oder der Überschuß von Calcium auf Kalkstandorten. Diese Stoffe
wären eine Belastung für den Sproß; daher müssen sie zurückgehalten werden,
bevor sie durch Zellwanddiffusion das Xylem und damit den
"Schnelltransportweg" zu den Blättern erreicht haben. Die notwendige Sperre
ist in die Zellwände der Endodermis eingebaut.
Die Endodermiszellen schließen ohne Interzellularen aneinander. Ihre
Wände haben eine eigentümliche Einlagerung von wasserabstoßendem Material, den Casparyschen Streifen. Er zieht sich als Band durch alle
Radialwände der Zelle, also durch jene vier der sechs Wände, die von innen
nach außen führen. Im Querschnitt sieht man schwache Wandverdickungen.
Das eingelagerte Material ist chemisch dem Suberin ähnlich; oft findet sich
auch Lignin. Die Einlagerung hydrophober Stoffe verhindert den Transport von
Wasser und Ionen durch diese Zellwände. Nicht imprägniert sind nur die beiden
Tangentialwände, über die aber kein direkter Zugang zum Wurzelinneren
besteht. Stoffe, die die Endodermis passieren sollen, müssen also unbedingt
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irgendwo in das Protoplasma eintreten und sind daher der Auswahl durch die
Carrier unterworfen. Nicht aufgenommene Ionen diffundieren aus dem
Zellwandraum wieder zurück in den Boden. Freilich sind die Trägersysteme
nicht perfekt, es werden daher hin und wieder nicht benötigte Ionen in das
Protoplasma aufgenommen und zum Xylem gebracht, jedoch in viel geringerer
Menge, als dies ohne den Casparyschen Streifen der Fall wäre.
Innerhalb der Endodermis liegt das radiäre Gefäßbündel der Wurzel.
Unmittelbar auf die Endodermis, die innerste Grundgewebeschicht, folgt eine
Schicht dünnwandiger Zellen, der Perizykel, ein Lateralmeristem. Neue
Gewebe bildet er erstens bei der Entstehung von Seitenwurzeln, zweitens bei
der Anlage von Peridermen und drittens beim sekundären Dickenwachstum der
Wurzel. Das Phloem liegt in einzelnen Strängen nahe am Perizykel. Das
mächtigere Xylem ist ebenfalls in Stränge aufgelöst, die mit den
Phloemsträngen abwechseln und von ihnen durch Parenchymzellen getrennt
sind. Jeder Strang liegt sozusagen auf einem eigenen, vom Zentrum
ausgehenden Radius, daher der Name des "radiären" Bündels. Die
Xylemstränge verschmelzen im Zentrum miteinander, wobei dort große Gefäße
oder Xylemparenchym liegen können. Die Zahl der Stränge ist variabel und hat
Beziehungen zur Systematik: Für Dikotyle und Gymnospermen sind niedere
Zahlen von zwei bis fünf charakteristisch, während die Monokotylen Bündel mit
höheren Strangzahlen enthalten.
Am Beginn der Differenzierungszone ist das radiäre Bündel noch nicht
voll funktionsfähig. Die ersten fertigen Siebröhren und Tracheen liegen an der
Außenseite. Hier können also bereits Stoffe transportiert werden, sobald sich
die ersten Wurzelhaare entwickeln. Im Verlauf der Differenzierungszone kommen immer neue Leitelemente dazu, bis das Bündel voll funktioniert und das
ganze Xylem Wasser transportiert.
Ich möchte ausdrücklich festhalten, daß wir bisher kein Wort vom
Kambium gesagt haben. Dieses fehlt nämlich in der primären Wurzel aller
Pflanzen, also auch der Dikotylen und Gymnospermen.
Wir legen jetzt einen weiteren Querschnitt durch die Wurzel, diesmal in
der Zone der älteren Primärwurzel. Hier hat sich einiges verändert. Die
Rhizodermis ist sehr kurzlebig: Die Wurzelhaare funktionieren oft nur wenige
Tage, dann stirbt das gesamte Hautgewebe ab. Der Wurzelkörper verliert damit
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seine zur Umgebung hin offene Hautschicht und bildet durch Umbau der
Exodermis ein Abschlußgewebe. Jetzt lagern ihre Zellwände Suberin ein, die
Zellen bleiben aber dennoch am Leben, da die Wände stark getüpfelt sind. Die
hydrophoben Exodermiswände verhindern die Wasserabgabe an trockene
Bodenschichten. Allgemein wachsen ja die feinen Saugwurzeln in die wasserreichsten Bodenschichten. Die nahe der Oberfläche liegenden Schichten
trocknen stärker aus als die tieferen. Ältere Wurzeln müssen das Wasser bis
zum Übergang ins Hypokotyl, dem Wurzelhals, leiten und dabei auch diese
trockenen oberen Bodenschichten durchqueren. Wurzelhaare würden diesen
Schlauch "durchlöchern", das Suberin der Exodermis dichtet ihn ab.
Seitenwurzeln werden erst in der älteren primären Wurzel angelegt. Das
ist ein Unterschied zu den Seitensprossen, die schon am
Sproßvegetationspunkt angelegt werden und als oberflächennahe Meristeme in
den Blattachseln ruhen, bis sie austreiben. Die Seitenwurzeln entstehen im
Inneren der Mutterwurzel aus dem Perizykel. Dieses Lateralmeristem baut
durch lokale Teilungen ein neues Apikalmeristem auf, den Vegetationspunkt der
Seitenwurzel. Die Anlagen durchbrechen dann durch Streckung die Rinde ihrer
Mutterwurzel, wobei auch Mazerationsvorgänge eine Rolle spielen.
Bei den Gymnospermen, den dikotylen Holzgewächsen und einigen dikotylen Kräutern findet in der Wurzel sekundäres Dickenwachstum statt.
Voraussetzung ist die Bildung eines Kambiumringes. Im Stamm gibt es schon
im primären Zustand ein Fascicularkambium; in der Wurzel ist dies anders. Hier
entwickelt sich erst bei Beginn des Dickenwachstum ein Kambium, und zwar
aus den parenchymatischen Zellen zwischen Xylem und Phloem des radiären
Gefäßbündels. Über den Xylemstrahlen stößt dieses Meristem auf den
Perizykel, dessen Zellen in das Kambium einbezogen werden. So entsteht ein
geschlossener Kambiumring, der im Querschnitt sternförmig ist.
Wie im Stamm bildet das Kambium auch in der Wurzel nach innen Holz
und nach außen Bast. Durch verstärkte Teilungen in den Buchten des
"Kambiumsternes" entsteht ein runder Holzzylinder, der von einem
Kambiumring umgeben ist. Auch hier gibt es Fusiforminitialen und
Markstrahlinitialen, und das Holz der Wurzel bildet (sekundäre) Markstrahlen.
Wurzelholz ist von Stammholz selbst mikroskopisch oft schwer zu
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unterscheiden. Wenn man einen ganzen Wurzelquerschnitt zur Verfügung hat,
sieht man im Zentrum die Xylemstränge des radiären Bündels.
Außen ist die sekundäre Wurzel von Periderm bedeckt. Dieses entsteht
jedoch nicht, wie im Stamm, an der Peripherie. Das erste Periderm der Wurzel
bildet vielmehr meist der Perizykel, der als Phellogen dient und nach außen
Korkzellen abgibt. Die gesamte Wurzelrinde von der Exodermis bis zur
Endodermis wird dabei abgestoßen. Tiefenperiderme schneiden dann in den
Bast ein und bilden eine Borke.
Wurzelsysteme
Wir wissen bereits, wie sich die Wurzel der Pflanze verzweigt. Die
Verzweigungen sind nicht auf die Hauptwurzel beschränkt, sondern auch die
Seitenwurzeln verzweigen sich erneut, so daß schließlich ein Wurzelsystem von
beträchtlichem Umfang entstehen kann. Addiert man Längen und Oberflächen
sämtlicher Wurzeln, so kommt man zu überraschend hohen Werten; so ist zum
Beispiel die Länge der Wurzeln einer einzeln stehenden Weizenpflanze auf 80
km berechnet worden. Das ist natürlich weit mehr als die Gesamtlänge der
oberirdischen Teile, doch muß man bedenken, daß diese weit mehr Masse
besitzen. Das zeigt sich auch im Oberflächenverhältnis: beim Roggen ist die
Oberfläche des Wurzelsystems 130 mal so groß wie die der Sproßteile. Der
zarte Bau der Wurzeln ist nur dadurch möglich, daß sie sich nicht selbst tragen
müssen. Durch die zentralen Festigungszellen im radiären Gefäßbündel
widerstehen sie der Zugbelastung und verankern den Pflanzenkörper wirksam
im Boden.
Bei Gymnospermen und Dikotylen geht das Wurzelsystem auf die
Radicula des Embryos zurück, die die Primärwurzel oder Hauptwurzel bildet
und sich reichlich verzweigt. Es entsteht ein allorhizes Wurzelsystem.
Ein allorhizes Wurzelsystem, bei dem die Hauptwurzel länger und
deutlich dicker als die Seitenwurzeln ist, nennt man ein Pfahlwurzel-System.
Die Pflanzen nennt man auch Tiefwurzler, da die Hauptwurzel senkrecht nach
unten wächst und sehr lang werden kann. Hierher gehören Kren, Löwenzahn
und Zichorie unter den Kräutern, Eiche, Kiefer und Tanne unter den Bäumen.
Bei den Flachwurzlern bleibt dagegen die Hauptwurzel bald in ihrem
Wachstum zurück; mehrere flach streichende Seitenwurzeln übernehmen die
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Führung. Hierher gehören der Erdapfel unter den Krautigen, die Fichte und die
Pappelarten unter den Bäumen. Eine dritte Bewurzelungsform stellt das
Herzwurzel-System dar. Hier gibt es keine führende Pfahlwurzel, aber ebenso
fehlen die flach streichenden Seitenwurzeln. Vielmehr krümmen sich starke
Seitenwurzeln bogig in die Tiefe. Dieser Typ ist von Erle (mit sehr tiefem
System), Lärche, Birke, Linde und den Kernobstarten verwirklicht.
Das Wurzelsystem der Monokotylen ist ganz anders gebaut: Es ist
homorhiz. Die Keimwurzel stirbt früh ab oder bleibt sehr kurz und unverzweigt.
Sie wird durch sprossbürtige Wurzeln ersetzt, die aus dem Hypokotyl und
darüber liegenden Internodien oder Nodien (bei Mais 6 - 8 Knoten) hervorgehen. Das System besteht daher aus einer großen Zahl etwa gleichstarker
Wurzeln, die bogenförmig in den Erdboden eindringen. Sie werden als Büschelwurzeln bezeichnet.
Sprossbürtige Wurzeln finden sich nicht nur bei den Monokotylen. Viele
Dikotyle bilden regelmäßig, zusätzlich zu ihrem allorhizen Wurzelsystem, sprossbürtige Wurzeln. Beispiele sind die Bodenspross- und Haftwurzeln des Efeus
oder die Luftwurzeln vieler Tropenpflanzen. Auch an unterirdischen Sprossen
(Rhizomen) und Ausläufern (etwa bei Erdbeere und Brombeere) entstehen
regelmäßig Wurzeln.
Die Ausbildung des Wurzelsystems hat größte Bedeutung zunächst für
die Wasser- und Nährstoffversorgung der Pflanze: Arten, die in verschiedene
Bodenschichten vordringen, werden die Vorräte insgesamt besser ausnützen
und sich dabei weniger konkurrenzieren, als solche, die im gleichen Bestand
denselben Bewurzelungstyp zeigen. Das ist einer der Vorteile von
Mischbeständen, wie Wiesen oder naturnahen Wäldern, gegenüber
Monokulturen, wie Getreidefeldern oder Fichtenforsten. So hat ein FichtenBuchen - Mischbestand eine höhere Gesamtwurzelzahl als Reinbestände der
beiden Arten. Flachwurzler können kurze Niederschläge ausnützen, Tiefwurzler
das absinkende Wasser nach langen Regenperioden verwerten. Tiefwurzler
können so den Wasserspiegel absenken und Staunässe im Boden vermeiden
helfen, wie sie auf ungeeigneten Standorten mit Fichtenmonokultur auftreten
kann. Man hat sogar nachgewiesen, daß Tiefwurzler Wasser an die oberen
Bodenschichten abgeben, von dem Flachwurzler in Trockenperioden profitieren
können (Luzerne - Mais, "Intercropping"). Für Verbauungszwecke ist das
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Verhalten der Wurzeln auch für den Kulturtechniker interessant; leider ist das
Spezialwissen über diese Fragen noch nicht lückenlos; immerhin kann man
öfters beobachten, dass Wurzeln Steine sprengen können. Die Forstwirte
wissen viel über Waldbäume, da hier die praktische Bedeutung bald erkannt
wurde. So leidet etwa die Fichte als Flachwurzler im Reinbestand häufig unter
Windwurf, wobei der ganze Wurzelteller von stärkeren Stürmen ausgehoben
wird. Die Tanne und die Föhre sind als Tiefwurzler viel weniger anfällig.
Wir wissen, dass die Hauptachse von Bäumen aufrecht wächst, während
sich die Seitenachsen unter einem Winkel einstellen. Ebenso gibt es
Wachstumsunterschiede zwischen Haupt- und Nebenwurzeln: Die einen
wachsen senkrecht nach unten, die anderen stellen sich unter einem Winkel zur
Senkrechten ein. Es läßt sich nachweisen, daß hier tatsächlich die Schwerkraft
das Wachstum der Pflanzenorgane steuert. Man bezeichnet diese richtende
Wirkung als Gravitropismus (Geotropismus). Die Einstellung von Organen in
Richtung auf den Erdradius bezeichnet man als Orthotropismus.
Hauptwurzeln reagieren meist positiv, sie wachsen zum Erdmittelpunkt;
Hauptsprosse sind negativ gravitrop. Bildet die Längsachse der Organe einen
Winkel mit der Lotlinie (Seitentriebe, Seitenwurzeln 1. Ordnung), so spricht man
vom Plagiotropismus. "Agravitrop", also von der Schwerkraft nicht beeinflußt,
sind Seitenwurzeln 2. oder höherer Ordnungen und Saugwurzeln; sie reagieren
“hygrotropisch“ auf den Wassergehalt. Man kann die Schwerkraft im Experiment ausschalten (im Weltraum) oder durch Zentrifugalkräfte überlagern; das
beweist, daß hier eine Massenbeschleunigung wahrgenommen wird. Dafür sind
natürlich Rezeptoren nötig. Die gängige Hypothese sagt, dass Amyloplasten mit
Stärkekörnern im Zentrum der Wurzelhaube sich unter der Wirkung der
Schwerkraft verlagern und Druck auf geeignete Rezeptoren am ER ausüben.
Dies löst in der Streckungszone einseitige Streckungen aus, die das Organ in
die vorprogrammierte Richtung krümmen. Unklar ist, wie die Information aus
der Kalyptra die Streckungszone erreicht.
Wuchsstoffe sind daran beteiligt, daß Wurzelbildung an ungewöhnlichen
Orten ausgelöst werden kann. So entstehen Wurzeln auch an Blättern und
Stammstücken nach Verletzung, und zwar entweder sofort oder erst nach
Hormonbehandlung. Man spricht dann von Adventivwurzeln und kann diese zur
vegetativen Vermehrung durch Stecklinge nützen.
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Stämme und Blätter bilden also Wurzeln. Andererseits kann aber auch
die Wurzel neue Sprosse bilden. Sie entstehen wie die Seitenwurzeln aus dem
Perizykel. Ein neu entstehendes Sprossmeristem baut eine Knospe und dann
einen beblätterten Sproß auf, der die Erdoberfläche durchbricht und zu einer
jungen Pflanze heranwächst. Diese Wurzelbrut findet sich auch bei Bäumen.
Pappeln und Weiden, besonders Silber- und Zitterpappel, zeichnen sich durch
starke Wurzelbrut aus. Da alle Wurzelschößlinge genetisch mit dem
Mutterbaum völlig identisch sind, sieht man im Auwald gruppenweise Klone,
die der Forstmann je nach ihren Eigenschaften begünstigen oder zurückdrängen kann. Andere Arten bilden Wurzelbrut reichlich bei Verletzung der Wurzeln
aus. Sind dies “Unkräuter“, wie die Ackerwinde oder die Kratzdistel, dann
werden sie durch die Wurzelbrut sehr schwer bekämpfbar.
Die Metamorphosen
Die drei Pflanzenorgane sind sehr flexibel konstruiert, sie können sich an
besondere Lebensweisen oder Standortsfaktoren anpassen. Man nennt
extreme Abweichungen im Bau Metamorphosen (Gestaltumwandlungen).
Dabei können Spezialbildungen, etwa Speicherorgane oder Dornen, verblüffend
ähnlich werden, auch wenn sie auf verschiedene Organe zurückgehen. Sie sind
dann zwar analog (funktionsgleich), aber nicht homolog (ursprungsgleich).
Standortfaktoren, an die sich die Kormophyten habituell und
physiologisch anpassen mussten, sind die Wasserversorgung, die
Temperatur, die Einstrahlung und die Versorgung mit Mineralstoffen. Wir
wollen einiges davon besprechen, so weit es in Mitteleuropa zu finden ist.
A. Anpassungen an die Wasserversorgung:
1. Wasserpflanzen (Hydrophyten): Hier gibt es eine gleitende Skala der Formen. Submerse leben ganz untergetaucht, Arten mit Schwimmblättern haben
Kontakt zur Atmosphäre, und amphibische Formen können an Land steigen; sie
leiten zu den Sumpfpflanzen über, die nur mit ihren unteren Teilen im
wassergetränkten Boden stehen.
Alle echten Wasserpflanzen bilden ihre submersen Sproßteile besonders
aus. Das Wasserleitungsgewebe wird reduziert, Mineralstoffe und Gase (CO2,
O2) werden durch die kaum cutinisierte Epidermis aufgenommen. Die großen
Interzellularen in Stamm und Blättern geben Auftrieb und erlauben aufrechten
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Wuchs. Das Aerenchym ist bei Arten mit Schwimmblättern auch für die
Sauerstoffversorgung wichtig. Bekanntlich ist O2 im Wasser schlecht löslich,
luftgesättigtes Wasser hat nur etwa 3% der Atmosphärenkonzentration.
Sauerstoff wird zu den Wurzeln tief unter der Wasseroberfläche besser in der
Gasphase geleitet; das erforderte aber große Interzellularen. Manche Arten
haben jedoch eine radikal andere Lösung gewählt: Sie wurden sekundär aus
bewurzelten Pflanzen zu Schwimmpflanzen. Die Gattung Lemna bildet noch
eine verkümmerte Wurzel aus, während sie bei der kleinsten Blütenpflanze,
Wolffia arrhiza, völlig fehlt. Die Mineralstoffaufnahme ist ganz auf die
Sproßepidermis übergegangen, aber nicht sehr effizient: Massenentwicklung
dieser Wasserlinsen gibt es nur in überdüngten Teichen.
2. Feuchtpflanzen (Hygrophyten): Sie müssen die Transpiration fördern, um
Mineralstoffe zu den Blättern zu bringen. Wir finden also an luft- und
bodenfeuchten Standorten große, dünne und saftreiche Blattspreiten mit
lebenden Haaren. Die Spaltöffnungen sind oft über die Umgebung erhoben.
Typische Hygrophyten finden sich im Unterwuchs des tropischen Regenwaldes.
3. Mesophyten: Das sind Pflanzen "mittlerer Standorte" mit ausgewogenem
Wasserhaushalt und daher ohne besondere morphologische Anpassungen.
4. Trockenpflanzen (Xerophyten): Wir finden eine Vielzahl von Strategien der
Pflanzen, um mit dauernder oder vorübergehender Trockenheit fertigzuwerden.
Arten, die wenigstens zeitweise große Trockenheit des Bodens ertragen,
heißen Xerophyten. Eine Reihe von Baueigenheiten gelten als Anpassung an
die Trockenheit, als Xeromorphosen. Besonders xeromorph sind viele
Wüsten- und Steppenarten, aber auch heimische Bewohner von offenen Felsen
und Sandfluren und sogar heimische Immergrüne. Diese, etwa die Nadelhölzer,
müssen ja Frostperioden im Winter ertragen, die die Wasseraufnahme aus dem
Boden erschweren oder unmöglich machen.
Anatomisch sind viele Xerophyten (wenn auch keineswegs alle!) durch
eine Kombination von teilweise bereits bekannten Zügen charakterisiert. Hierzu
gehören: derbe oder gerollte Blätter, dicke, stark cutinisierte Außenwände der
Epidermis, subepidermale Sklerenchyme, Wachsüberzüge, eingesenkte
Spaltöffnungen, Haarfilze aus toten Haaren.
Ein wirksamer Transpirationsschutz ist die Reduktion der
transpirierenden Oberflächen. Abgeschwächt und vorübergehend kann man
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das oft beobachten; bei Bäumen spricht man geradezu vom "frühsommerlichen
Laubfall", wenn sie in den ersten trockeneren Junitagen zahlreiche Blätter
abwerfen. Das sind dann meist solche, die im Schatten des Kroneninneren
wenig produktiv sind. Subtropische Savannenarten können zu Beginn der
Trockenzeit alle Blätter verlieren, und auch den Blattfall der heimischen
Laubbäume im Herbst kann man als günstige Reaktion auf die Frosttrocknis
betrachten: Sie müssen nicht so viel Material zur Vermeidung der Austrocknung
investieren wie immergrüne Blätter.
In Extremfällen wird die Oberflächenreduktion zur Daueranpassung. Es
entstehen blattlose Rutensträucher, etwa der mediterranen Besenginster
(Spartium junceum), bei dem die grünen Zweige Photosynthese betreiben.
Noch günstiger wird das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen, wenn ein
Organ stark verdickt wird und Wasser speichert. Dies sind die sukkulenten
Pflanzen; sie sind durch besondere Wassergewebe charakterisiert (etwa die
Agave). Blattsukkulenten gibt es auch unter unseren Fels- und
Trockenrasenarten, besonders in den Gattungen Sedum (Fetthenne) und
Sempervivum (Hauswurz) aus der Familie der Steinbrechgewächse. Bei starker
Trockenheit sieht man, daß die älteren Blätter dieser Arten schrumpfen und
schließlich absterben, während junge Blätter oft sogar noch weiter wachsen
können. Das Wasser wird also in die produktivsten Pflanzenteile umgelagert.
Bei den Stammsukkulenten wird der Achsenkörper als Wasserspeicher
ausgebildet und ist im Extremfall fast kugelig; die Kugel hat ja die kleinste
Oberfläche für ein gegebenes Volumen. Meist sind die Blätter der Stammsukkulenten stark reduziert, oder sie werden sofort abgeworfen, wenn die
Trockensaison beginnt. Die bekanntesten Stammsukkulenten sind die
amerikanischen Kakteen, von denen sich einige (so z.B. die Gattung Opuntia)
auch ans europäische Mittelmeer und nach Australien ausgebreitet haben. In
Afrika treten an ihre Stellen säulen- und kandelaberartige Euphorbiaceen und
Asclepiadaceen, die manchen Kakteen zum Verwechseln ähnlich sehen. Die in
verschiedenen Verwandtschaftskreisen und Kontinenten als Anpassung an
extreme Trockenheit entwickelte Kaktusform ist eines der besten botanischen
Beispiele für Konvergenz. Darunter versteht man gleiche morphologische Ausgestaltung miteinander nicht näher verwandter Arten. Auch physiologische
Anpassungen sind vielen Sukkulenten gemeinsam; so zeigen sie oft einen
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speziellen Photosyntheseweg, den man als CAM bezeichnet. Er wird später
noch genauer besprochen werden.
Es ist merkwürdig, daß Xerophyten auch sehr häufig Dornen ausbilden.
Es mag sein, daß der spärlichere Pflanzenwuchs der Trockengebiete
Schutzmittel gegen den Tierfraß erfordert. Andererseits begünstigen
offenkundig Trockenheit und Starklicht die Ausbildung von Dornen durch
hormonelle Umstellungen. Im Prinzip kann jedes der drei Organe zum Dorn
umgewandelt werden. Wurzeldornen sind selten und finden sich nur an
Luftwurzeln von Exoten. Sprossdornen gehen bei heimischen Holzgewächsen
meist aus Kurztrieben hervor, so bei der Schlehe (Prunus spinosa), bei den
beiden Weißdornarten (Crataegus laevigata und monogyna), beim Wildapfel
(Malus silvestris) und der Wildbirne (Pyrus pyraster). Langtriebdornen hat der
Kreuzdorn (Rhamnus cathartica). Außer ganzen Sprossen werden aber auch
Blätter zu Dornen umgewandelt. Bei der Robinie sitzen die beiden
Nebenblätter als massive Dornen neben dem zarten Blattstiel. Bei der
Berberitze (Berberis vulgaris) stehen die Dornen an Langtrieben. Sie sind
reduzierte Blätter, in deren Achseln noch im gleichen Jahr weichlaubige
Kurztriebe austreiben. – Woran kann man Dornen von Stacheln unterscheiden?
Als umgewandelte Organe enthalten sie stets Stranggewebe, während die
Stachel als Emergenzen allein aus Hautgewebe und Grundgewebe bestehen.
B. Anpassungen an den Lichtgewinn
Licht ist für die Photosynthese der Pflanze unbedingt nötig. Im Freiland
fällt während der Vegetationsperiode auf alle Standorte genug Strahlung ein,
doch beschatten sich die Pflanzen gegenseitig. Nur physiologisch besonders
angepaßte Schattenpflanzen ertragen Dauerbeschattung. Es ist daher oft vorteilhaft, der Beschattung durch Konkurrenten räumlich oder zeitlich
auszuweichen. Das einfachste (und „ehrlichste“) Mittel ist es, rasch zu
wachsen. Dazu muß aber in kurzer Zeit ein massiver und stabiler Körper
aufgebaut werden. Es gibt eine freilich kleine Gruppe von Pflanzen, die diese
Notwendigkeit umgehen.
Einige von ihnen sitzen hoch oben auf den Ästen der Bäume und leben
als Epiphyten. Das erschwert die Wasser- und Nährstoffversorgung; man
findet daher in der heimischen Flora zwar Algen und Flechten auf Bäumen,
Angiospermen aber fast ausschließlich in den Tropen mit ihren täglichen
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Regenfällen. Epiphyten müssen mit jenen Mineralstoffen auskommen, die sie
aus angewehtem Staub und abgefallenen Pflanzenresten erhalten.
In unserem Klima sind unter den höheren Pflanzen ausschließlich
Kletterpflanzen zu finden. Sie wurzeln im Boden und klimmen mit dünnen
Stämmen an anderen Pflanzen, aber auch an Felsen und Mauern empor. Sie
sparen so Material gegenüber Arten, die ihr gesamtes Gewicht selbst tragen.
Das Klettern erfolgt mit verschiedenen Mechanismen. Bei den
Spreizklimmern stehen Körperteile steif ab. Bei Solanum dulcamara, dem
Bittersüßen Nachtschatten, sind dies Sprosse, bei der großen Sternmiere
(Stellaria holostea) Blätter. Kletterrosen und Brombeeren verhaken sich mit
Stacheln, also Emergenzen, das Klettlabkraut (Galium aparine) mit starren,
nach unten gerichteten Borstenhaaren. Wurzelkletterer bilden sproßbürtige
Haftwurzeln. Wir haben das schon beim Efeu, dem einzigen heimischen
Vertreter, kennengelernt. Windepflanzen haben lange Internodien; die
Triebspitzen wachsen kreisend und der gesamte Sproß umschlingt die Stütze.
Die Blätter entfalten sich bei Windepflanzen verzögert; die langen Triebe
müssen also nicht auch noch das Gewicht ausgewachsener Blätter tragen
(Hopfen, Bohne). Rankenpflanzen schließlich haben spezielle
Befestigungsorgane. Eine Ranke ist ein fadenförmiges Gebilde, das eine Stütze
umwindet und damit den Sproß verankert. Die Ranken der Weingewächse sind
verzweigte Sproßachsen. Und zwar wird in Abständen das Sproßende zur
Ranke umgebildet; da das Sproßsystem ein Monochasium ist, also eine
Seitenknospe den Sproß verlängert, wird die Ranke in eine seitliche Stellung
gedrängt. Dabei umschlingen die Ranken von Vitis vinifera, dem Wein, das
stützende Gerüst oder (in der Natur) die tragende Pflanze (ebenso beim Wilden
Wein oder der Mauerrebe, Parthenocissus quinquefolia), während die Ranken
von Parthenocissus tricuspidata, der Mauerkatze, an den Enden Haftscheiben
tragen, die mit Hilfe eines Klebesekrets an Mauern oder rauhen Borken haften.
Blattranken bilden zahlreiche Hülsenfrüchtler, etwa die Erbse, bei der
sich die endständigen Blattfiedern zu Ranken umwandeln, oder viele
Wickenarten. Manche Arten von Lathyrus (Platterbse) bilden das ganze
Oberblatt zu Ranken um und betreiben Photosynthese nur mit den großen
Nebenblättern. Die Waldrebe (Clematis), eine holzige Ranunculacee mit
Fiederblättern, windet die Blattstiele und die Blättchenstiele der Fiedern um die
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Stützen. Auch die Ranken der Kürbisgewächse haben Blattnatur. Wild wächst
bei uns die Zaunrübe (Bryonia dioica), bei der man die Reizbarkeit der Ranken
gut studieren kann: Junge Ranken sind ausgestreckt. Streicht man mehrmals
mit einem Stück Holz darüber, dann beginnen sie sich alsbald einseitig
einzurollen. Diese Reaktion auf mechanische Reize nennt man
Thigmotropismus.
Wurzelranken gibt es in der heimischen Flora nicht, sie kommen aber in
den Tropen vor. Sie entstehen natürlich aus sprossbürtigen Wurzeln.
C. Anpassungen an ungewöhnliche Ernährungsbedingungen.
Höhere Pflanzen sind zum Unterschied von Bakterien, Pilzen und Tieren
im typischen Fall autotroph. Sie müssen also zum Energiegewinn und zum
Aufbau ihrer eigenen Körpersubstanzen kein organisches Material aus dem
Stoffwechsel anderer Organismen aufnehmen.
Der Gegensatz dazu ist die Heterotrophie, die in mehreren
verschiedenen Ausbildungen und Formen vorkommt. Die Mannigfaltigkeit des
heterotrophen Verhaltens ist besonders bei den niederen Organismen sehr
groß. Manche benötigen nur Kohlenstoffverbindungen, andere sind auch auf
organisch gebundenen Stickstoff angewiesen. Die extremsten Ansprüche
stellen jene Organismen, die bestimmte lebenswichtige organische Substanzen
nicht selbst erzeugen können. Solche Verbindungen werden Vitamine genannt;
sie sind für Bakterien ebenso bekannt wie für den Menschen, wenn es sich
auch um verschiedene Verbindungen handelt.
Allgemein teilt man die heterotroph lebenden Pflanzen, Pilze und
Bakterien in drei Gruppen ein: Saprophyten, Parasiten und Symbionten.
1. Die Saprophyten verwerten tote Teile von Organismen. Bakterielle und
pilzliche Saprophyten sind als Fäulniserreger weit verbreitet. Meist scheiden sie
Enzyme aus, die die Makromoleküle toter Organismen in die Bausteine, etwa
Zucker oder Aminosäuren, spalten; diese werden dann durch aktiven Transport
aufgenommen und genützt. Die Saprophyten haben größte Bedeutung für das
Geschehen in der Biosphäre: Sie treiben den Kreislauf des Kohlenstoffs, des
Stickstoffs, des Schwefels und des Phosphors. Ohne Abbau toter Organismen
wäre alles CO2 längst aus der Atmosphäre verschwunden, Photosynthese wäre
unmöglich und die Erde tot. Freilich erfolgt diese Remineralisierung nicht
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restlos; das zeigen schon die fossilen Brennstoffe, die ja nicht abgebaute Reste
von Lebewesen sind.
Echte Saprophyten gibt es unter den höheren Pflanzen nicht, da diese
ihre abbauenden Enzyme nicht durch die Wurzeln ausscheiden können.
Hingegen gibt es bei einigen Orchideen und Pyrolaceen eine Symbiose (s.u.)
zwischen der Wurzel und einem Pilz. Die Pflanze liefert dem Pilz Wirkstoffe, die
er nicht synthetisieren kann, und der Pilz schließt den Humus des Waldbodens
saprophytisch auf. Die von den Pilzhyphen gewonnenen Stoffe werden auch
den symbiontischen Kormophyten zugeführt, die völlig chlorophyllfrei bleiben
und auf diesem Umweg auch saprophytisch leben. Hierher gehören die beiden
bleichen Orchideen Nestwurz (Neottia nidus-avis) und Korallenwurz
(Corallorhiza trifida) und die Pyrolacee Fichtenspargel (Monotropa hypopitys).
2. Parasiten entziehen lebenden Wirten organische Verbindungen. Das tun die
Krankheitserreger von Mensch, Tier und Pflanze unter den Bakterien und
Pilzen. Der Wirt wird auf verschiedene Weise geschädigt. Für den Parasiten ist
es optimal, wenn er dabei nicht abstirbt! Wenn der Parasit bloß begrenzte Stoffmengen entzieht (etwa durch lokale Welketoxine), ist er meist nicht besonders
bedrohlich. Doch zerstört er dabei oft Gewebe des Wirtes, oder er verstopft die
toten Elemente des Xylems, die für die Wasserleitung gebraucht werden. Dann
kommt es, wie etwa beim Ulmensterben, zu katastrophalen Trockenschäden,
die den Wirt töten.
Es gibt auch parasitische Angiospermen. Man unterscheidet hier
Halbschmarotzer (Hemiparasiten) und Vollschmarotzer (Holoparasiten).
Halbschmarotzer passen nicht ganz in das Schema der Heterotrophie: Sie
erzeugen organische Verbindungen durch Photosynthese, sind also
kohlenstoffautotroph. Hingegen ersparen sie sich die Ausbildung und den
Betrieb eines leistungsfähigen Wurzelsystems und entnehmen Wasser und
anorganische Nährstoffe dem Xylem einer Wirtspflanze. Sie sparen also
organische Substanz auf Kosten des Wirtes. Am besten sieht man dies bei
Viscum album (der immergrünen Mistel) und Loranthus europaeus (der
Eichenmistel oder Riemenblume). Hier sitzt der Parasit hoch auf den Ästen der
Wirtspflanze und sendet flache Wurzeln in die Rinde. Von diesen treten kurze
Senker in das Astholz und stellen den Anschluß an die wasserleitenden
Elemente her. Die weißen oder gelben Beeren werden von Vögeln gefressen
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und gelangen mit dem Kot auf andere Bäume. - Bodenbewohnende
Hemiparasiten sind in der Familie der Rachenblütler oder Scrophulariaceen zu
finden. Die Unterfamilie der Rhinanthoideen besteht nur aus Halbschmarotzern.
Sie fallen freilich nicht auf, da sie unter der Erdoberfläche mit kurzen Wurzeln
das Wurzelxylem ihrer Wirte anzapfen. Die Gattungen Rhinanthus (Klappertopf), Melampyrum (Wachtelweizen), Pedicularis (Läusekraut), Euphrasia
(Augentrost) sind weit verbreitete grüne Halbparasiten; kurioserweise gibt es in
dieser Unterfamilie auch einen bleichen Vollparasiten, der sich genauso
verhält: die Schuppenwurz (Lathraea squamaria). Sie parasitiert auf Holzpflanzen und entwickelt sich im Frühjahr, wenn das Transpirationswasser auch
große Mengen an remobilisierten Reservestoffen enthält. Vollparasiten aus
anderen Familien, wie die Sommerwurz (Orobanche) und die Kleeseide
(Cuscuta) bohren dagegen auch das Phloem der Wirtspflanzen an und
entziehen diesem die Stoffe, die in den Siebröhren transportiert werden.
3. Symbionten leben in enger Gemeinschaft und ziehen daraus beiderseits
Nutzen. Symbiosen beruhen nicht auf Verträgen unter Pflanzen, sondern auf
wechselseitigem Parasitismus oder Angriff und Abwehr, wobei keiner der
Gegner siegt. Sie entziehen einander Nähr- und Wirkstoffe und können auf
diese Weise besser fortkommen als allein.
Eine sehr innige Symbiose zwischen Organismen aus ganz
verschiedenen systematischen Gruppen findet sich bei den Flechten. Hier
entzieht eine Alge einem Pilzmyzel (einem Geflecht aus Pilzfäden) Wasser und
anorganische Nährsalze. Der Pilz hingegen entsendet in einzelne Algenzellen
kurze Fortsätze, mit denen er die Protoplasten verdaut. Die Gestalten der
Flechtenkörper sind so charakteristisch, daß man sie als selbständige
systematische Einheiten und nicht unter den Algen oder den Pilzen einreiht.
Sogar bei den Fortpflanzung werden häufig Pilz und Alge gemeinsam
verbreitet. Flechten wachsen vor allem auf offenen Extremstandorten, wie
Felsen und Baumrinden (epiphytisch) und in alpinen Rasen.
Pilze sind auch Partner in der Mykorrhiza, einer Symbiose mit der
Wurzel einer höheren Pflanze; sie ist für sehr viele Pflanzen
ernährungsphysiologisch wichtig. Ungefähr 80% der heimischen Kormophyten
haben eine Mykorrhiza! Bei vielen Waldbäumen umspinnt ein Pilzmyzel die
stumpfen, keulig angeschwollenen Wurzelenden. Die Pilze wachsen in den
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Interzellularen der befallenen Wurzel bis zur Endodermis, dringen aber oft auch
in die Zellen ein. Sie entziehen dem Wirt Photosyntheseprodukte, ersetzen ihm
aber die Feinwurzeln und die Wurzelhaare, da ihre feinen Hyphen den Boden
dicht durchlaufen und aufschließen. Welche Vorteile haben nun die Partner?
Der Pilz profitiert von den organischen Substanzen der grünen Pflanze. Einerseits sind dies die Kohlenhydrate des Phloems, andererseits aber auch
Wirkstoffe zur Fruchtkörperbildung, die der Pilz nicht synthetisieren kann. Der
Gewinn der Bäume wird darin gesehen, daß der Pilz aus dem Humus anorganische Stoffe freisetzt, die er samt dem Wasser dem Baum zuleitet. Junge Zirben mit verpilzten Wurzeln enthielten bei einer Analyse in den Nadeln 86%
mehr Stickstoff, 234% mehr Phosphor und 75% mehr Kalium als Pflanzen ohne
Mykorrhiza. Verbesserte Ernährung und geringere Investitionen in die Wurzeln
ermöglichen die Besiedlung ungünstiger Standorte; so hat man errechnet, daß
die alpine Baumgrenze rund 2 - 300 m tiefer liegen würde, wenn die Bäume, die
hier alle mykotroph sind, keine Pilzwurzeln hätten. Die Partner der Bäume sind
meist Höhere Pilze (Basidiomyceten). Unter ihnen finden sich die Speisepilze,
aber auch die bekanntesten giftigen Arten.
Eine ökologisch und wirtschaftlich sehr wichtige Symbiose ist die
zwischen Wurzeln und stickstoffbindenden Mikroorganismen. Höheren
Pflanzen fehlen die Enzyme, die zum Einbau des Stickstoffs der Luft, also des
Moleküls N2, in organische Verbindungen nötig sind. Sie sind daher auf
Ammoniumsalze und Nitrate des Bodens angewiesen. Hingegen können
gewisse Bakterienarten das N2 zu NH3 reduzieren, wozu sie allerdings sehr viel
Atmungsenergie benötigen. Und hier setzt eine sehr profitable Symbiose ein:
Die Bakterien befallen die Wurzel und entziehen ihr organische Verbindungen.
Dafür erhält die Pflanze N-Verbindungen, die in den Sproß transportiert werden.
Sie benötigt keinen Stickstoffdünger, und nach der Ernte erhöhen die
verrottenden Wurzeln den Stickstoffgehalt des Bodens, sodaß der Anbau dieser
Pflanzen den Ertrag später gebauter Kulturpflanzen verbessert. Die
Leguminosen, die stets stickstoffbindende Symbionten besitzen, haben daher
einen festen Platz im Fruchtwechsel. Sie werden oft auch zur Gründüngung
angebaut und ohne Ernte in den Boden eingearbeitet. Als Erstsaat erleichtern
sie die Begrünung von Rohböden (etwa auf frischen Wegböschungen).
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Diese Symbiose entsteht zwischen Bakterien der Gattung Rhizobium
und den Hülsenfrüchtlern oder Leguminosen. Die im Boden frei lebenden
Bakterien dringen durch die Wurzelhaare in die Pflanze ein, indem sie die Wand
des Haares enzymatisch auflösen. Ein Bakterienschlauch durchwächst die
Rinde und gelangt bis zur Endodermis, die die Bakterien nicht durchdringen
können. Der Befall regt die Rindenzellen zu Teilungen an; es entstehen
Meristeme, die dicke Knöllchen produzieren. Die Bakterien teilen sich und
befallen die Zellen des Knöllchens, wo sie von Membranen umschlossen
werden und ständig Stickstoffverbindungen abgeben. Schließlich erlangt die
Abwehr der Pflanze das Übergewicht und die Bakterien werden verdaut, was
der Pflanze weiteren Stickstoff bringt. Und wo liegt der Vorteil der Bakterien?
Nach dem Absterben der Wurzel gelangen weit mehr Bakterien in den Boden,
als sich unter seinen kargen Bedingungen ohne Symbiose hätten bilden
können. Das Beispiel zeigt, wie sich die Symbiose aus dem Parasitismus der
Bakterien und der Abwehr der höheren Pflanze entwickelt hat. Von dem
Kampfgleichgewicht profitieren beide Partner.
Einige Bäume, vor allem die an Feuchtstandorten wichtigen Erlen, aber
auch der Sanddorn und die Ölweide, bilden ähnliche Symbiosen mit der
stickstoffbindenden Frankia alni, einer anderen Bakterienart. Auch hier
entstehen an den Wurzeln Knöllchen, die bei der Erle die Größe von
Tennisbällen erreichen können.
Schließlich wollen wir noch die "fleischfressenden" Pflanzen
(Insectivoren) erwähnen. Das sind Arten, die einen Teil ihrer Mineralstoffe aus
Tieren (meist Insekten) decken, die sie mit besonderen Einrichtungen fangen
und enzymatisch zerlegen. Alle diese Pflanzen kommen auf mineralstoffarmen
Standorten vor, etwa bei uns in oligotrophen (nährstoffarmen) Gewässern und
auf Hochmooren, oder aber im tropischen Regenwald, der nur fälschlich als
üppiger Standort gilt. Auch diese Arten sind nicht heterotroph im engeren Sinn,
da sie organische Substanzen durch Photosynthese aufbauen.
Der Sonnentau (Drosera), eine Hochmoorpflanze, hat den Typus der
Klebfallen verwirklicht. Die Pflänzchen tragen auf ihren Blättern Tentakel,
Emergenzen, deren Drüsenköpfchen ein klebriges, honigduftendes Sekret
absondern. Kleine Tiere werden angelockt, bleiben hängen und werden von
immer mehr Tentakeln erfaßt, da diese auf die chemischen Stoffe, die das Tier
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absondert, mit Krümmungen reagieren. Ähnlich ergeht es Tieren an den drüsig
behaarten Blättern des Fettkrautes (Pinguicula). Die Tiere werden durch
ausgeschiedene Enzyme rasch verdaut und die Substanzen der Weichteile
werden absorbiert, die Chitinskelette bleiben über. Der Wasserschlauch
(Utricularia), eine submerse Wasserpflanze, fängt Kleinkrebse (Daphnien) in
Fangblasen.
D.
Anpassungen an die Temperatur
I. Pflanzen heißer Zonen
Man kann die Wirkung von Wassermangel und von hoher Temperatur
kaum trennen, da beide über den Wasserverbrauch eng zusammenhängen. Je
mehr sich das Blatt erhitzt, desto mehr Wasser verdunstet. Man weiß also oft
nicht, ob morphologische Anpassungen (etwa ein weißer Haarfilz), die die
Strahlungsbelastung reduzieren, eher die schädliche Überhitzung des Blattes
verhindern sollen oder die große Wasserabgabe bei hoher Temperatur.
//. Anpassung an die Winterkälte in gemäßigten Klimaten
Der Winter ist bei uns sowohl durch die Kälte als auch durch den
erschwerten Wasserhaushalt eine ungünstige Zeit. Ausdauernde Pflanzen
passen sich morphologisch und physiologisch an, aber es ist oft schwer zu
entscheiden, ob Abänderungen eher auf die Kälte oder auf die winterliche
Trockenheit zurückzuführen sind. Im einzelnen sind die Anpassungen dieser
Tropophyten recht verschieden. Mit der Physiologie der Kälteresistenz werden
wir uns später beschäftigen. Morphologisch ist bedeutsam, welche Teile des
Pflanzenkörpers der Kälte überhaupt ausgesetzt werden. Es macht einen
Unterschied, ob die Blätter über den Winter behalten werden. Sie sind ja bei
tiefen Temperaturen photosynthetisch inaktiv, transpirieren aber weiter und
stellen damit eine Belastung dar. Der Neuaufbau aller Blätter im Frühling kostet
freilich Energie und Material, besonders Mineralstoffe. Nadelhölzer und
immergrüne Dikotyle statten ihre Blätter mit wassersparenden Einrichtungen
aus und sorgen für physiologische Kälteresistenz. Auch das kostet Energie und
Material. Dafür können sie diese kostspieligen Organe mehrere Jahre behalten
und sind bei kurzen Vegetationszeiten, etwa im Gebirge, zu Beginn der
günstigen Jahreszeit sofort zur Photosynthese bereit. Niederwüchsige Kräuter
behalten oft wenigstens einige Blätter über den Winter.
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Unabhängig davon, was die Blätter tun, unterscheiden sich Pflanzen
darin, was aus den Stämmen und den an ihnen sitzenden Winterknospen wird.
Dabei kommt es auf die Höhe über dem Boden an: Je weiter die Knospen in die
Luft gestreckt werden, desto stärker sind sie wasserentziehenden, eisigen
Winden ausgesetzt, desto weniger kann die gut isolierende Schneedecke sie
schützen. Nach dem allgemeinen Habitus und der Lage der Erneuerungsknospen hat man die Kormophyten in fünf Gruppen eingeteilt. Der
prozentuelle Anteil dieser Lebensformen ( die man besser Überlebensformen
nennen sollte) an der Pflanzenwelt einzelner Standorte schwankt.
a) Phanerophyten oder Luftpflanzen tragen ihre Erneuerungsknospen höher
als 50 cm über der Oberfläche. In unserem Klima sind dies wintergrüne und
winterkahle Bäume und Sträucher und die wenigen ausdauernden
Kletterpflanzen wie Wein, Efeu und Waldrebe.
b) Chamaephyten (Halb- und Zwergsträucher) tragen ihre
Erneuerungsknospen näher am Boden, zwischen 10 und 50 cm Höhe. Das ist
besonders in Regionen mit regelmäßiger, hoher Schneelage vorteilhaft: Die
Knospen sind vor der extremen Kälte geschützt, besonders vor nächtlichen
Strahlungsfrösten, da Schnee ein sehr schlechter Wärmeleiter ist. Ferner
trocknen Pflanzenteile unter dem Schnee nicht aus. Ich möchte hier nur die
Heidelbeere und die Heidekräuter (Calluna und Erica) nennen, doch gehören in
den Alpen nach klassischen Untersuchungen Josias BRAUNS rund ein Viertel
aller Pflanzen in diese Gruppe.
Noch reichlicher vertreten sind in den Alpen, aber auch in tieferen Lagen
der gemäßigten Zonen, die
c) Hemikryptophyten oder Oberflächenpflanzen, deren Erneuerungsknospen
dicht am Boden liegen. Sie werden schon von leichter Schneedecke oder Streu
gegen den Bodenfrost geschützt. Hierher gehören die zweijährigen und
ausdauernden Rosettenpflanzen, wie Löwenzahn oder Wegerich, die Stauden
mit oberirdischen Ausläufern, etwa die Erdbeere, und die ohne Blätter
überwinternden Schaftpflanzen, wie die Brennessel oder der Wermut; bei
diesen liegen die Knospen am Grund des vertrockneten Stengels. In den Alpen
gehören zu dieser Gruppe über 60% aller Pflanzenarten, allgemein in der
gemäßigten Zone rund 50%.
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d) Kryptophyten überdauern mit unterirdischen oder unter der
Wasseroberfläche liegenden Organen und entwickeln an diesen die
Erneuerungsknospen. Hierher gehören Hydrophyten (Wasserpflanzen) ebenso
wie Geophyten: Rhizomgeophyten und Zwiebelgeophyten. Die unterirdischen
Organe sind zum Zweck der Speicherung stark verändert. Kryptophyten sind
eher selten, aber ihre wirtschaftliche Bedeutung für den Menschen ist groß.
e) Die fünfte Gruppe, die Therophyten, überdauern die ungünstigste Jahreszeit
als Embryonen in widerstandsfähigen Samen. Die einjährigen vegetativen
Körper sterben völlig ab. Zu dieser Gruppe gehören viele unserer wichtigsten
Feldfrüchte, zum Beispiel die Sommergetreide, aber auch Unkräuter, etwa der
Klatschmohn, die Vogelmiere oder das gemeine Kreuzkraut. Meist sind dies
Pflanzen (natürlich oder künstlich) offener Standorte.
Die Therophyten sind also Einjährige (Annuelle). Dabei müssen wir
Sommer- und Winterannuelle unterscheiden. An unseren Klimarhythmus
angepaßte Therophyten sind nur die Sommerannuellen, die im Frühjahr
keimen, sehr rasch blühen und fruchten und noch im Laufe des Sommers ihren
Lebenszyklus beenden. Hierher gehören die Sommergetreide neben vielen
unserer Wildpflanzen. Hingegen keimen die Winterannuellen bereits im Herbst,
überdauern den Winter als Hemikryptophyten und blühen und fruchten im
folgenden Jahr. Hierher gehören die Wintergetreide und verschiedene Ackerunkräuter von nahöstlicher oder mediterraner Herkunft. In diesen Gebieten ist
nämlich nicht der Winter die ungünstigste Zeit, sondern der Sommer mit seiner
langen Dürre. Annuelle sind offenbar in Anpassung nicht nur an die Kälte,
sondern auch an lange Dürre entstanden.
Für den Frühjahrsaustrieb ausdauernder Pflanzen werden Reservestoffe
gebraucht; zu ihrer Speicherung sind lebende Zellen in großer Zahl nötig. Bei
Phanerophyten und Chamaephyten werden dazu die lebenden Zellen im
Stamm (Holz und Bast), in der Wurzel und eventuell auch in überwinternden
Blättern herangezogen. Am anderen Ende der Lebensformen, bei den
Therophyten, muß der Keimling mit dem auskommen, was im Samen
gespeichert werden kann. Bei den Hemikryptophyten und den Kryptophyten,
ausdauernden Kräutern, stehen zur Stoffspeicherung nur jene unterirdischen
oder oberflächennahen oberirdischen Organe zur Verfügung, die als einzige
überwintern. Um für einen raschen Wachstumsschub im nächsten Frühjahr
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genug Material speichern zu können, entstehen verdickte Gebilde mit vielen
Zellen. Einige dieser metamorphosierten Organe sind wichtige Nahrungsquellen
des Menschen. Man unterscheidet fünf Gruppen:
1) unbegrenzt wachstumsfähige unterirdische Wurzelstöcke oder Rhizome
2) begrenzt wachsende ober- oder unterirdische Sproßknollen
3) Zwiebeln mit speichernden Blättern;
4) Wurzelknollen aus Nebenwurzeln;
5) Rüben, das sind verdickte Hauptwurzeln.
1. Wurzelstöcke oder Rhizome sind verdickte unterirdische Sprossachsen mit
meist kurzen Internodien. Sie wachsen meist horizontal und können viele Jahre
alt werden, da sie alljährlich apikale Knospen anlegen und im Frühjahr wieder
austreiben. Alte Teile sterben im Laufe der Jahre ab; die Rhizome können sich
jedoch verzweigen und so allmählich große Flächen mit ihren "Herden" von
oberirdischen Sprossen bedecken. Rhizome bilden viele Kräuter, besonders
Waldbodenpflanzen, wie Einbeere, Salomonsiegel, Maiglöckchen oder
Bingelkraut. Rhizome tragen sprossbürtige Wurzeln und schuppenförmige
Blätter.
2. Sprossknollen können oberirdisch oder unterirdisch angelegt werden. Sie
bestehen entweder nur aus dem Hypokotyl oder aus einem oder mehreren
Internodien des Hauptstammes oder eines Seitentriebes.
a) Reine Hypokotylknollen finden sich bei der Zyklame, dem Radieschen und
der roten Rübe.
b) Eine oberirdische Sprossknolle aus mehreren grün beblätterten
Sproßabschnitten bildet der Kohlrabi (Brassica oleracea var. gongylodes).
c) Unterirdische Sprossknollen haben (wie Rhizome) Schuppenblätter. Sie
sind dicker als Wurzelstöcke, meist nur einjährig und tragen keine
sprossbürtigen Wurzeln. Bekanntester Vertreter ist die Kartoffel, bei der die
Knollen an den Enden unterirdischer Seitenzweige, sogenannter Ausläufer,
entstehen. Sie dienen der vegetativen Vermehrung: Nach Ausbildung der
stärkereichen Knollen geht die Mutterpflanze zugrunde. Aus Knospen in den
Vertiefungen der Knolle, den "Augen", entstehen nach einer Ruhezeit neue
grüne Triebe mit sproßbürtigen Wurzeln. – Auch Topinambur bildet
Sprossknollen.
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3. Zwiebeln bestehen aus unterirdischen, sehr stark verkürzten Sprossachsen
mit verdickten, fleischigen Speicherblättern.
4. Die Wurzelknollen ähneln äußerlich sehr den Sprossknollen. Sie sitzen an
sprossbürtigen Wurzeln und unterscheiden sich von den Sprossknollen durch
Wurzelhauben und das Fehlen von Schuppenblättern. Beispiele wären die
Dahlie, die Feigwurz (Ranunculus ficaria) und die Batate (Ipomoea batatas), die
in den Tropen die Kartoffel vertritt. Auch viele Orchideen bilden Wurzelknollen,
die oft sogar verzweigt sind.
5. Rüben sind verdickte Hauptwurzeln. Es gibt sie daher nur bei den Dikotylen;
die Hauptwurzel der Monokotylen stirbt ja ab. Meist ist die Rübe keine reine
Hauptwurzel, sondern Stammteile beteiligen sich an ihrem Aufbau.
Reine Wurzelrüben haben die Karotte und die Zuckerrübe. Bei der Futterrübe (Beta vulgaris var. crassa) und beim Rettich (Raphanus sativus) sind
große Hypokotylanteile einbezogen. Bei der Sellerie (Apium graveolens) ist
auch noch ein Teil des beblätterten Stammes rübenförmig verdickt. Es gibt also
alle möglichen Übergänge zu den früher besprochenen reinen Hypokotylknollen
(Radieschen) und Sproßknollen (Kohlrabi).
Bei der Karotte (primärer Zustand) speichert das Rindenparenchym,
beim Rettich (sekundärer Zustand) das Parenchym in dem ganz weich
ausgebildeten und kaum verholzten Holz.
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